You are welcome - Predigt zur Jahreslosung nach den Anschlägen in Paris, von Jens Junginger
You are welcome
Weil die Losung für das Jahr 2015, nicht treffender, aktueller und herausfordender nicht lauten könnte,
angesichts des barbarischen Terroranschlags und des Geiseldramas in Paris
angesichts der Aufmärsche gegen die angebliche Islamisierung des Abendlands
und angesichts sich ausbreitender Skepsis, Angst und Sorge unter uns allen,
rufen wir 10 Tage nach dem Beginn des neuen Jahres heute diese Losung noch einmal in Erinnerung.
Aus dieser Losung spricht die Sehnsucht und Bitte des Apostel Paulus,
im Blick auf Menschen, auf Menschengruppen,
die sich in der Stadt Rom offenbar schwer getan haben,
sich gegenseitig anzunehmen.
Wir hören, was Paulus am Ende seines Briefes an die Freunde und Glaubensgeschwister in Rom über den Losungsspruch hinaus schreibt:
(Römerbrief Kapitel 15 nach der Übersetzung der Basisbibel)
„Wir, die Starken, sind verpflichtet,
die Schwächen von denen mitzutragen,
die nicht so stark sind.
Es geht ja nicht darum,
was uns gefällt.
Vielmehr soll jeder von uns so handeln,
wie es seinem Mitmenschen gefällt.
…wir sollen die Hoffnung nicht aufgeben.
Dabei helfen uns die Ausdauer und die Ermutigung,
wie wir sie aus den Heiligen Schriften gewinnen können.
Diese Ausdauer und diese Ermutigung kommt von Gott.
Daher bitte ich euch:
Nehmt einander an,
so wie Christus euch angenommen hat,
damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird.
Denn das sage ich:
Weil Gottes Zusage wahrhaftig gilt,
trat Christus in den Dienst der Beschneidung.
[d.h. der Jude Jesus orientierte sich an den Gesetzen der Tora]
So wollte Gott das einlösen,
was er den Stammvätern[ Abraham, Isaak und Jakob]
versprochen hat.
9Aber auch die Heiden haben allen Grund,
Gott für sein Erbarmen zu loben.
[d.h. die Menschen aus den Völkern,
die nicht an den Gott von Israel glauben.]
Denn in der Heiligen Schrift steht:
"Darum will ich dir danken unter den Heiden
Deinen Namen will ich preisen mit einem Lied."
Unbekannte Gesichter
fremde Sprachen
seltsame Sitten
Mittendrin
CHRISTUS
Im Gewirr der unbekannten Laute
sein Name
in der Melodie anderer Sprachen
Gottes Lob
in den Gesten fremder Menschen
seine Liebe (Gottfried Heinzmann)
Liebe Gemeinde
Skepsis, Befremden Konflikte, Gräben, Spaltungen, Auseinandersetzungen, Aversionen, das sind keine Phänomene unserer heutigen Zeit in einer globalisierten Welt, in einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft.
Der Apostel Paulus war intensiv damit befasst
Konflikte und Streitereien zu schlichten, zu vermitteln,
um für gegenseitigen Verständnis zu werben, Ausgleich zu schaffen,
um Frieden zu stiften, zur Solidarität aufzufordern
und die Einheit der Christengemeinden zu stärken.
Wo er nicht selbst war oder noch nicht war, wie in Rom,
bei den dortigen Glaubensgenossen,
mit ihrer ganz unterschiedlicher religiöser und sozialer Prägung,
von deren Unstimmigkeiten und Verständigungsschwierigkeiten er aber gehört hatte,
da versuchte er schriftlich Einfluss zu nehmen, mit eindringlichen Worten, wie eben im Brief an die Römer.
Die Schar der Christusgläubigen in Rom lebte in den ungesünderen, dicht besiedelten Stadtteilen Roms - bis auf wenige Ausnahmen, in recht ärmlichen Verhältnissen.
Da war sich schon immer wieder jeder selbst der Nächste, wenn‘s um die Existenz, ums Überleben, ums tägliche Brot ging.
Das verhinderte, dass sich alle einander annahmen.
Und noch etwas Zweites bot Stoff für Konflikte.
In den besagten Vierteln dieser Metropole lebten Christusgläubige mit jüdischem Hintergrund und Christusgläubige, die einen anderen kulturellen oder religiösen Hintergrund hatten.
In der Sprache des Paulus Heidenchristen.
Und Paulus wurde nicht müde immer wieder zu betonen:
Alle sind von Gott angenommen,
diese Zusage Gottes gilt wahrhaftig – für alle.
Deshalb bittet er so eindringlich darum
Nehmt einander an,
so wie Christus euch angenommen hat,
damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird.
Das ist eine eindringliche Aufforderung des Apostels
religiöse, soziale und kultureller Entfremdung und gesellschaftlicher Spaltung
zu überwinden.
Da wo es in einer Gesellschaft bunter zugeht, kapseln sich Menschen – zunächst – voneinander ab und ziehen sich wie eine Schildkröte in ihren Panzer zurück.
Ein Verharren im Panzer ist für keinen förderlich – im Gegenteil.
So entstehen Isolation, Parallelwelten und Beziehungslosigkeit.
Warum verharren Menschen dort, unter diesem Panzer?
Warum fühlen sie sich zurückgesetzt, vergessen, aufgegeben oder bedroht?
Wovon sind sie enttäuscht?
Ich denke: Das sollte uns interessieren, danach müssten wir fragen.
bei jenen, die gegen Überfremdung und Islamisierung aufmarschieren
bei jenen, die sich mit dem Makel Migrationshintergrund als die ewigen Verlierer erleben und daher in radikale Systeme flüchten.
Diffamierung in beide Richtungen, führt zu mehr Isolation und Radikalisierung.
Nehmt einander an,
das ist ein leidenschaftlicher Aufruf, der besagt:
geht aufeinander zu, trefft euch, erzählt euch, fragt euch
was ihr denkt und glaubt und warum,
fragt euch, wie es euch geht, was euch befremdet und was ihr nicht versteht,
und sagt euch womit ihr nicht klar kommt,
was ihr euch wünscht voneinander, was ihr erwartet.
Findet heraus was euch trennt und eint.
Verharren wir in der Angst, in der Sorge in der Furcht,
fühlen sich die, die Furcht säen wollen, lateinisch: „Terror“ als Gewinner.
Bleiben wir bei uns selbst, skeptisch, ängstlich, mutmaßend, verdächtigend
und denken Islam ist Islamismus, ist Salafismus und Islamischer Staat, so treiben wir selbst die Radikalisierung voran und zwar, gerade derer, die selbst von ihrer Religion keine Ahnung haben.
Die Jahreslosung für dieses Jahr hat eine Brisanz, die so nicht zu erwarten war. Sie trifft den Nerv. Sie ist eine Zeitansage.
Faszinierend, verlockend, spannend - eine echte Herausforderung.
Erst recht angesichts der Tatsache dass 57% der nicht muslimischen Bevölkerung in Deutschland den Islam für eher oder sehr bedrohlich halten, und angesichts von 63 Prozent, die keine Kontakte mit Muslimen haben.
Nehmt einander an! Darauf liegt eine wahrhafte Verheißung.
Das war spürbar in den Begegnungen und Gesprächen, die wir im vergangenen Jahr hatten, hier in der Kirche und in der Moschee hatten.
Auch die folgende Begegnung vermag von dieser Verheißung etwas anschaulich machen:
Ich sitze Hope (Name geändert) gegenüber
[erzählt eine Ehrenamtliche aus der Ini Asyl].
Ihr Baby hat sie an der Brust angelegt, ihr älterer Sohn spielt mit einem kleinen Spielzeugauto, das er durch den ganzen Saal chauffiert.
Wir befinden uns im Café International, es ist eigentlich kein Ort.
Das Café International ist eine Zeit – und eine Gelegenheit. Nämlich die, sich kennenzulernen sich zu begegnen, vielleicht jemanden zu treffen der die eigene Sprache spricht… .
Da ist ein großer Tisch voller Menschen aus Eritrea.
Dort sitzt etwas verloren ein Paar mit einem Kind aus Bosnien, am hinteren Tisch eine putzmuntere 11-köpfige Kinderschar mit ihren Eltern aus Syrien.
Mein Mann sitzt an einem Tisch mit Afghanen.
Meine Tischnachbarin kommt aus Nigeria, sie strahlt mich an,
„I am so happy“! sagt sie
Endlich ist sie heil in Deutschland angekommen, nach der beschwerlichen Flucht über Land nach Libyen, dann auf einem Seelenverkäufer übers Mittelmeer.
Schwanger mit dem Baby, das jetzt an ihrer Brust liegt und friedlich nuckelt und mit ihrem kleinen Sohn, der wohl kaum lange Strecken laufen konnte.
Wie wird sich ihr Leben in Deutschland entwickeln?
Noch ist alles neu. Sie kennt sich nicht aus, ist fasziniert von dieser anderen Kultur und glücklich endlich angekommen zu sein.
Ja, und sie will Deutsch lernen, möglichst schnell.
Ich biete ihr an, einmal in der Woche vorbei zu kommen und sie zu unterrichten.
Sie strahlt mich an „Thank you - Danke schon“ sagt sie und lacht über das ungewohnte Wort.
„Bitte schön“ sage ich, „You’re welcome“.
Nehmt einander an
so wie Christus euch angenommen hat,
das hat Paulus seiner eindringlichen Bitte hinzugefügt
anders gesagt:
Nehmt einander an,
so wie Christus zu spüren gegeben hat:
„you are welcome“.
Jemanden anzunehmen,
unglaublich vielen Menschen das zu spüren zu geben,
sie es erfahren lassen
und gerade den Geringsten, den Letzten zuzusagen,
you are welcome,
darin war Jesus Christus unübertreffbar, ja einzigartig.
Auch weil er nicht darauf schaute wie Menschen kulturell religiös geprägt waren.
Dafür hat er sein Leben gegeben
doch tot zu kriegen war er und seine Botschaft nicht.
Wer sich wirklich zutiefst angenommen fühlt,
vermag andere anzunehmen.
das heißt im Umkehrschluss aber auch:
Wer sich nicht angenommen fühlt
nimmt auch andere ungern an.
Das wissen wir – eigentlich - und müssen uns doch immer wieder
daran erinnern lassen,
als Christen, Eltern, Pädagogen Politiker,
Ärzte, Pfleger, Sozialarbeiter als Bürger und Bürgerin.
Paulus erinnert uns :
Angenommen … das Leben
läuft anders, als gedacht.
Angenommen … es dominieren
die Schatten und die Ablehnung.
Angenommen … der Platz
an der Sonne bleibt leer, weil
der erste Schritt aufeinander zu
so unendlich schwer fällt.
Dann hat Christus bereits
den ersten Schritt getan.
Er hat sich nicht abgewandt.
Er hat angenommen.
Ohne wenn und aber. (Dieter Braun)
Amen