Freut euch, ihr Christ_innen, freuet euch sehr! – Predigt zu Jesaja 35,3-10 von Kirstin Müller
35,3-10

Freut euch, ihr Christ_innen, freuet euch sehr! – Predigt zu Jesaja 35,3-10 von Kirstin Müller

Liebe Gemeinde,

wo hat er sich nur versteckt, der Engel vom letzten Weihnachten? Irgendwo muss er doch sein. Als ich ihn schließlich in einer Ecke des Schrankes entdecke, kommt er mir kleiner vor, als ich ihn in Erinnerung hatte. Trotzdem freue ich mich, dass er noch da ist. Beim Suchen fällt mir außerdem ein Kerzenhalter in die Hände. Den hatte ich ganz vergessen. Ich freue mich, dass ich ihn wiederentdeckt habe. Stück um Stück schmücke ich die Wohnung im Advent. Das gehört für mich zur Vorbereitung auf Weihnachten dazu. Engel und Kerzenhalter sollen in diesem Jahr ihren Platz auf der Fensterbank finden. Fehlt nur noch der leuchtende Stern. Ein Zacken ist abgeknickt. Sieht irreparabel aus.  Soll ich ihn trotzdem noch einmal aufhängen? Der fehlende Zacken wird seinem Leuchten hoffentlich keinen Abbruch tun. Sein Licht soll doch anderen und mir zur Freude ins Dunkel scheinen.

Freude gehört zum Advent – in diese Zeit. Sie sucht ihren Platz in unserem Leben. Alle Jahre wieder. Neu.

Freude gehört zum Advent in vielen Liedern, wie „Tochter Zion, freue Dich!“ oder in Erzählungen und Erinnerungen: „Ich weiß noch, wie die Augen der Kinder an Weihnachten geleuchtet haben!  War das schön!“. Sie ist Vorfreude auf Menschen, die wir als Weihnachtsbesuch erwarten, oder im Gepäck, wenn wir uns selber auf den Weg machen, andere zu besuchen. Wir suchen Geschenke aus, um Menschen eine Freude zu bereiten. Und es gehört wohl auch zur Freude, dass ich Menschen in dieser Zeit sehr schmerzlich vermissen kann. Schmerzlicher, als in anderen Zeiten.  Dass mir – zum Beispiel beim Schmücken der Wohnung mit weihnachtlichem Schmuck aus vergangenen Jahren - erst bewusst wird, was sich alles getan hat in meinem Leben. Wer mir fehlt. Was neu und anders ist. Sich gewandelt hat. Manchmal zum Besseren. Manchmal aber auch nicht.

Freude gehört zum Advent. Mit dieser Freude sorgsam umzugehen, klarzukommen in dieser Zeit, ist eine Aufgabe. Sie beginnt damit wahrzunehmen, was ist und auf uns zukommt. Zukommen will.

Seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. Lk 21,28

Seht auf! Also: Sieh her. Schau genau. Denn es steht Großes an: Etwas ist in die Welt gekommen, kommt wieder zur Welt, was stark und mächtig ist. Gott kommt, um zu erlösen, zu verändern, zu retten. Dich. Und die Welt. Das zu sehen ist eine große Aufgabe. Weil damit eine große Erwartung verbunden ist: Erlösung naht. Wie soll ich Erlösung, Rettung der Welt im Alltag meines Lebens, im Alltag der Welt sehen, erkennen? 

Vielleicht, indem ich bei mir beginne und die Erwartung auch und vor allem als Ermutigung sehe. Diese, meine Adventszeit als gott-verbunden wahrzunehmen. Sie als Bestandteil des großen göttlichen Tuns zu sehen. Wenn ich meinen kleinen Engel zusammen mit dem wiedergefundenen Kerzenhalter in die Fensterbank stelle. Mich an ihnen freue. Wenn ich meinen demolierten Stern im Fenster zum Leuchten bringe. Mich an ihm freue. Und glaube, dass auch andere das Licht erfreut. Und sei es nur für kurze Momente. Wenn ich mich traue, darauf zu vertrauen, dass meine Erwartungen von Gott gesehen werden. Und erfüllt werden. Weil Gott zur Welt kommt. Auch zu mir. Und weil die Welt – von Gott aus gesehen - eine gerettete ist. Auch für mich.

Seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. Lk 21,28

Beim Blick in die Bibel fällt auf, dass Menschen ihre Erwartung auf Rettung oft groß gedacht haben. Von Gott her gedacht haben. Schon in alten Zeiten war das so. Sie haben sich Rettung herbeigesehnt. Erlösung aus Notlagen, Bedrückung, Ungerechtigkeit.  Sie haben sich erinnert an Zeiten, in denen sie sich von Gott behütet gefühlt haben. Manchmal kannten sie solche Zeiten nur aus Erzählungen. Sie haben diese Erzählungen in ihr Leben hineingelassen. Und damit die Sehnsucht in ihrer Zeit genährt. Rettung einen Platz eingeräumt. Deshalb lassen Sie uns heute bewusst in eine alte biblische Verheißung schauen. Sehen, was uns da ganz fremd – oder auch vertraut entgegen kommt. Wie uns Freude begegnet.

Ein Blick in das Buch des Propheten Jesaja. Dort heißt es im 35. Kapitel:*

Jauchzen sollen Wüste und Öde, frohlocken soll die Steppe und blühen wie die Lilien.  Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unseres Gottes. Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie. Sagt den verzagten (*herzverscheuchten) Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht. Seht – da ist euer GOTT!

Eine blühende Wüste. So etwas habe ich noch nie gesehen, aber ich stelle es mir himmlisch vor. Eine vor neuem Leben strotzende Landschaft. Jauchzen, frohlocken, jubeln sind die Worte, mit denen Jesaja diese Landschaft beschreibt. Nach langer Zeit bricht – unverhofft – Leben auf. Frische Farben, leuchtendes Grün. Knospen brechen hörbar auf. Es ist ein Aufblühen wie ein Lachen – mehr noch, wie ein Jauchzen, eine große Freude. Darin wird diese Landschaft adventlich – auch wenn sie nicht winterlich mit Schnee, Tannengrün und Lichterglanz daherkommt. In Jauchzen, Frohlocken, Jubeln wird laut Jesaja die Herrlichkeit Gottes erkennbar: Seht, da ist euer Gott! Das ist ein guter Grund, um die müden Hände zu stärken und die wankenden Knie festzumachen. Mich aufzumachen. Dorthin, wo die Sehnsucht mich hinführt. Selbst mit mattgewordener Freude, mit im-Halse-steckengebliebenen Jauchzern und schmerzenden Gliedern. Zu erwarten, dass Gott kommt, sichtbar wird. Und nicht zu erstarren und mutlos zu werden, aus lauter Furcht, es könnte nicht so sein.

Sagt den verzagten (*herzverscheuchten) Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht. Seht – da ist euer GOTT!

Eine Landschaft, die vor Leben jauchzt und jubelt, ein mutiges Losgehen zu einem Sehnsuchtsort, ein Warten auf Gott. Findet die Verheißung Jesajas Anklänge in Ihrem Leben? Heute? In der Erinnerung? Oder in Erwartung auf das, was kommen soll?  Ich höre sie als Aufforderung, mein Gottvertrauen wachsen zu lassen. Ihm zwischen Engel, Kerzenhalter und Stern einen Platz in meiner Wohnung, meinem Leben einzuräumen.

Seht, da ist euer Gott. Er kommt zur Rache. Das von Gott Gereifte – er selbst kommt und befreit euch.* Plötzlich wird es ernst. Ein verstörender Vers. Ein Riss in der Sehnsucht, dass alles heil werden und  schön aussehen soll.  Mit Gott kommt Rache. Sie fügt sich nur schwer in das Jauchzen und den Jubelklang ein.

Bitte keine Rache. Niemals und schon gar nicht in dieser Zeit, die vom Frieden auf Erden träumt.  Schreien nicht aber das Unrecht, Unglück und Leid der Welt nach Rache? Nach ausgeglichen und abgegolten werden?

Bei Jesaja ist Rache Gottessache. Nicht Menschenangelegenheit. Er bringt sie zur Sprache, aber malt sie nicht weiter aus. Oder doch. Dann aber in ungewöhnlichen Tönen. Das von Gott Gereifte – er selbst kommt und befreit euch.*  Gottes Rache kommt – als Befreiung. Als Rettung.

Gereiftes wird gerettet. Es geht hier nicht nur um kurzes Aufblühen, sondern auch um Reifen, Ernten, Früchtebringen. Nicht nur ein kurzer Zeitpunkt, sondern ein Zeitraum gerät in den Blick. All das, was in den Jahren der Sehnsucht, die sich nicht erfüllt hat, geworden ist: Enttäuschte Erwartungen, Verluste, Wunden und Narben bekommen hier ihren Platz. Bei Gott. Auch das Enttäuschtsein von Gott und das Gottverlassensein. Sie haben ihren Platz, aber sie bedeuten nicht das Ende aller Sehnsucht. Das was gereift ist – Gott kann es befreien. 

Und so sieht Befreiung (die Rache Gottes?) nach Jesajas Verheißung aus:

Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden, dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

Wir kommen zurück in die blühende Wüste – in die knospende Landschaft.  Wenn Gott abgegolten und befreit hat, dann ändert sich das Leben grundlegend. Dann wird viel mehr möglich, als ich mir bisher gedacht oder vorgestellt habe. Was hält mich davon ab, mir die Welt vorzustellen, wie sie erlöst ist, von Gott gerettet?! Wie könnte sie aussehen? Wie wird es sein?

Sehnsuchtsbilder zu zeichnen, die Welt, wie sie sein kann. Und diese Bilder wie Sterne ins adventliche Fenster hängen, Lichtpunkte der Sehnsucht in der Welt, Lichtpunkte der Rettung auch. Auch das eine mögliche Aufgabe im Advent, Erlösung auszumalen, sie mir mit anderen vorzustellen. Von ihr zu erzählen, Gottes Rettung Ausdruck zu verleihen, reifen zu lassen und damit ihren Raum in der Welt zu vergrößern.

 Und dann kommt noch einmal Freude auf:

Und es wird dort (in der Wüste)  ein Damm sein, ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Auf ihm kann kein Makliger (unreiner) wandern. Selber ER geht ihnen den Weg voran, dass auch Toren sich nicht verlaufen. Es wird da kein Löwe sein  und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen  und nach Zion kommen mit Jauchzen ewige Freude wird über ihrem Haupte sein;  Freude und Wonne werden sie ergreifen  und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Die Befreiten aus dem Volk Israel werden nach Hause kommen. Auf sicherem Weg. Gott wird mit ihnen sein. Unreine werden nicht unter ihnen sein. Auf dem Weg, den Gott bereitet, kann sich niemand verlaufen.Es droht keine Gefahr von wilden Tieren. Gott selbst geht voran. Und so werden die Erlösten ankommen: Mit Jauchzen und Freude und Wonne. Am Ende wird nicht nur die Landschaft von Freude ergriffen,am Ende breitet sich die Freude unter den Menschen aus. Wird laut und hörbar. Das Ende ist ein Jauchzen! Freude! Wonne!

Freude gehört zum Advent. Stille Freude. Aber sie darf auch laut werden. Jauchzen!  Können Sie das? Jauchzen? Wo ist für Jauchzen Platz? In meiner Wohnung, bei Engel, Kerzenhalter und Stern? In meinem Herzen?

Vielleicht sollten wir täglich mindestens einmal jauchzen – um der Freude im Advent Ausdruck zu verleihen. Um sie groß werden zu lassen. Von Gott her gedacht. In unserer Zeit. Vielleicht ist es wie beim Lachen, von dem gesagt wird, dass es schon reiche, die Gesichtszüge zu verziehen. Ich muss nicht froh sein. Aber wenn ich die Mundwinkel hochziehe, lächele, wirkt es trotzdem. Wenn unser Jauchzen so der Erlösung den Weg bereiten könnte, mithelfen könnte - das wäre doch was, oder?!

Advent ist Zeit der Freude. Ich mag ihr trauen. Mich trauen, die Freude großwerden zu lassen. Denn seht: Gott kommt. Rettet. Erlöst. Mag die Sehnsucht danach in uns wachsen und reifen, dass sie laut wird und die Erde das Jauchzen lernt! Amen.

Tochter Zion freue Dich!

 

* in Klammern habe ich „beredte“ Worte aus der Übersetzung von Buber/Rosenzweig ergänzt.

* Gamal in Vers 4 kann vergelten, aber auch reifen, vollbringen und abstillen bedeuten. Deshalb folge ich hier der Übersetzung Buber/Rosenzweig.

Bei Luther heißt es: Gott, der vergilt, kommt und wird euch helfen.

* Bei Luther heißt es:

Kein Unreiner darf ihn betreten;

nur sie werden auf ihm gehen;

auch die Toren dürfen nicht darauf herumirren.