Inszenierte Paradoxie – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Christoph Maier

Inszenierte Paradoxie – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Christoph Maier
1,18-25

Liebe Gemeinde,
ein ganz und gar außergewöhnliches Wort. Ein Bibelwort wie ein Tornado. Paulus saugt die Worte auf, wirbelt sie herum, dass einem schwindlig wird. Dann spuckt er sie wieder aus, und sie setzt sich neu zusammen:
Weisheit der Weisen, Torheit Gottes, Skandal ist Gotteskraft, Schwachheit ist Stärke, Ärgernis ist Weisheit Gottes. „Die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind und die Ohnmacht Gottes stellt alle menschliche Stärke in den Schatten!“ (V. 25, Menge-Bibel)
Die Gelehrsamkeit der Gelehrten – zugrunde gerichtet.
Der Verstand der Verständigen – zunichte gemacht
.“ (Jes 29,14, eigene Übersetzung und Verknappung aus dem Griechischen)

Was ist das für ein Wort, das uns heute Morgen beschäftigt. Es ist: „das Wort vom Kreuz“ (V. 18).
Das Wort vom Kreuz verkündigt den Messias als gekreuzigten.
Sprengstoff der Extremismus zerfetzt. Ey, was bist du? Gott? – Du Opfer!
Messias – der große Endzeitherrscher und König, hingerichtet von Römern.
Weisheit der Welt: Gott ist Tot. Das Ende der Religion.

Das Wort vom Kreuz aber lebt.
Das Wort vom Kreuz hält meine Welt offen für die hereinbrechende Gotteskraft.

Am Anfang war das Wort. Das Wort vom Kreuz.
... und das Wort war bei Gott und Gott selbst war das Wort (Joh 1,1)– und wir haben seine Herrlichkeit gesehen als des hingerichteten Verlierers voller Ohnmacht in grausamer Unbarmherzigkeit.

Das Wort vom Kreuz – ist uns das noch annähernd ein Ärgernis, ein Skandalon oder zumindest eine unsinnige Botschaft? Haben wir uns nicht längst daran gewöhnt an den Gekreuzigten. Über jedem Altartisch thront er, mal mit mal ohne Heiligenschein, der herrliche Gekreuzigte. Der Un-Sinn wurde zum Glaubensmaßstab überhöht, der Verachtete zum Märtyrerhelden gekrönt. Der Skandal in Erlösungslehre verwandelt – Bücherregale füllend! „Wozu Jesus am Kreuz gestorben ist“ – den Un-Sinn mit Sinn überfrachtete und überdeckt. Doch das Wort vom Kreuz ist Dynamit – ist Gotteskraft. Das Wort vom Kreuz ist Sprengstoff, der Extremismus zerfetzt. Damals wie heute. Ein gekreuzigter Messias - unvorstellbar.

Doch Paulus hält daran fest: keine Gotteskraft ohne Skandalon! Das heißt aber auch: keine Weisheit Gottes ohne nachempfundenen Unsinn!

Paulus inszeniert den Widerspruch in sich, den stummen Schrei, die schwarze Sonne, die ehemalige Zukunft, das offene Geheimnis, den gekreuzigten Messias.
Ein Paradox. Wie lässt sich ein Paradox verkündigen?
Aufgelöst in Weltenweisheit mit vielen Erklärungen, die klug genug erscheinen, um den Widerspruch vergessen zu machen. Aufgelöst als Unsinn, der Spannung beraubt weil für nicht relevant erklärt.

„Wir aber predigen den gekreuzigten Christus als Gotteskraft und Gottes Weisheit.“

Das Wort vom Kreuz – paradoxe Dynamis – Gotteskraft.
Das Wort vom Kreuz. Verdichteter kein-Sinn explodiert zu neuem Leben.

Simon Petrus war ein erfahrener Fischer. Von der Sinnlosigkeit dieser Aktion musste man ihn nicht überzeugen: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“ – und jedes Kind weiß, das wird bei Tag nicht besser. „Aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.“ Und dann? Verdichteter kein-Sinn explodiert zu neuem Leben. Die „Netze begannen zu reißen und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.“

Das war so ein Wort – so ein Wagniswort. So ein Wort vom Kreuz. Das Wort vom Kreuz hält meine Welt offen für die hereinbrechende Gotteskraft.

Der Evangelist Johannes erzählt diese Geschichte des Wagniswortes nicht zu Beginn des Evangeliums, wo Lukas die Geschichte platziert. Bei Johannes ist es eine späte Jüngerberufung des Petrus. Ganz zu Ende, als nicht nur die Hoffnung auf den Fang einer Nacht enttäuscht war, sondern als die Hoffnung auf den Messias den Retter und Erlöser enttäuscht war, da spielt unser Evangeliumstext nach Johannes. Petrus begegnet dem Auferstandenen. Paradoxe Dynamis – Gotteskraft.

Sie waren wirklich überzeugt davon, dass es keinen Sinn mehr macht. Zu oft wurde die Liebe enttäuscht. Immer wieder standen Sie sich mit den gleichen blöden Eigenschaften gegenseitig im Weg. Nach aller Weltenweisheit wäre eine Trennung, der einzig logische Schritt gewesen. „Wir sind am Ende – es hat keinen Sinn mehr.“
Wer sagt den beiden, dass Verdichteter kein-Sinn zu neuem Leben explodieren kann? Wer schafft Vertrauen für das Wagniswort? Wer glaubt an Auferstehung?
Das Wort vom Kreuz hält meine Welt offen für die hereinbrechende Gotteskraft.
Und Jesus sagt: Werft eure Netze noch einmal aus – versucht einander noch einmal zu gewinnen.

Es macht keinen Sinn mehr etwas zu sagen. Die Zeit der großen Bilder ist vorbei. Die elenden Zustände des wilden Flüchtlingscamps in Idomeni geräumt und bereinigt. Der Empörungssturm über das Gerede vom Schießbefehl für deutsche Grenzer hat sich längst gelegt. Währenddessen wird an der syrisch-türkischen Grenze tatsächlich auf Flüchtlinge geschossen. Hat es da noch Sinn auf eine gerechtere Welt zu hoffen, gar auf Frieden?
Selbst wenn all unsere Werte gekreuzigt würden und der Realpolitik geopfert würden, die Botschaft vom gekreuzigten Messias schreit genau dort lauter denn je: Werft die Netze noch einmal aus. Gebt die Hoffnung nicht auf. Euer Einsatz wird Frucht tragen.
Das Wort vom Kreuz hält meine Welt offen für die hereinbrechende Gotteskraft, die alles verändern kann.

Jemand muss die Stimme erheben und das Wort sagen.

Amen

Perikope
26.06.2016
1,18-25

Von der Schwachheit Gottes – Predigt zu 1. Korinther 1,18-31 von Christina Costanza

Von der Schwachheit Gottes – Predigt zu 1. Korinther 1,18-31 von Christina Costanza
1,18-31

I Kein ganz normaler Weihnachtsbrief

Rundbrief von den Mayfields aus Portland, USA, Weihnachten 2015. Vor genau einem halben Jahr also.
Einer dieser üblichen Rundbriefe. Ganz oben das Foto von vier Menschen, zwei kleinen und zwei großen. Mutter mit Baby im Arm, daneben der Vater, der fürsorglich den Arm um die beiden legt, davor die fünfjährige Tochter, fröhlich grinsend. Auch die Eltern schauen lächelnd in die Kamera.
Im Brief steht, was das Jahr so gebracht hat für diese vier Menschen.
Und da wird es ungewöhnlich.
Der Brief beginnt mit den Worten (ich übersetze aus dem Englischen): „Hallo! Grüße von den Mayfields. Das war das härteste Jahr, das wir jemals hatten, und wir haben uns noch nicht erholt!“
Und wo in den meisten Weihnachtsrundbriefen erzählt wird, was Gutes geschehen ist im vergangenen Jahr, oder doch zumindest Normales (Einschulung eines Kindes, Flötenkonzerte, Stress bei der Arbeit, aber es wird schon besser, Erinnerungen an den Sommerurlaub oder Ähnliches), schreibt D.L. Mayfield, die Mutter, was hart war im letzten Jahr.

Ich bewundere ihre Ehrlichkeit. Wie sie nichts beschönigt. Offen schreibt und sich verwundet zeigt: Von der traumatischen Geburt der jüngeren Tochter und dem anschließenden Krankenhausaufenthalt, vom Umzug in eine andere Stadt weit weg von Freunden und Verwandten, in ein überfülltes, lautes, verschmutztes Mietshaus. Sie schreibt von den Versuchen ihres Mannes, genügend Geld für die Familie zu verdienen, von der Angewiesenheit auf Lebensmittelgutscheine. Von der Depression, an der sie selber erkrankt, so dass sie kaum noch ihrem eigenen Beruf – D.L. Mayfield ist Schriftstellerin – nachgehen kann, und das Versorgen der beiden kleinen Mädchen zur großen Anstrengung wird. D.L. Mayfield schreibt von Angst und Schwäche, von Verzweiflung und Einsamkeit. Acht Monate im „Überlebensmodus“, wie sie es selber nennt. Es geht nur noch ums Überleben, ums irgendwie Durchkommen. „Wir haben nicht die Energie Euch vorzumachen, dass es uns gut geht – denn es geht uns nicht gut.“

 

II Das Wort vom Kreuz...

(aus 1 Kor 1,18-31; Abschnitt wird als Ganzer als Epistel gelesen)
Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.
Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.
Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist;
und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme.

Worte aus einem anderen Rundbrief, fast zweitausend Jahre alt. Paulus schreibt an die Christen in Korinth, was für ihn das Wichtigste an seinem Glauben ist. Was ihn tröstet und was ihm Kraft gibt. Das will er teilen, mit den Menschen in Korinth, und ich lese es, als hätte er an mich geschrieben, an die Mayfields und an alle, die sich einmal verloren gefühlt haben, ganz und gar.
Diesen Verlorenen kommt der nahe, der sich selber aufgibt. Der seine Macht und seine Kraft preisgibt.
Das Wort vom Kreuz erzählt eine Geschichte der Erniedrigung und Schwäche. Das Besondere: Gott selber wird schwach. Gibt das Gotteskind Jesus in dunkelster Stunde preis. Lässt zu, dass das Gotteskind zum Folteropfer wird. Schlimmere Schmerzen, größere Angst kaum vorstellbar. Die, die ihn verhöhnen, haben recht: Da greift kein allmächtiger Gott ein. Gott ist schwach.

 

III ... ist eine Torheit

„Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt. Nicht, dass ich die Menschen, die zum Kreuz beten, weniger respektiere als andere betende Menschen. Es ist kein Vorwurf. Es ist eine Absage. Gerade weil ich ernst nehme, was es darstellt, lehne ich das Kreuz rundherum ab. Nebenbei finde ich die Überhöhung [im Original: Hypostasierung] des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir genießen sollen, auf dass wir den Schöpfer erkennen. Ich kann im Herzen verstehen, warum Judentum und Islam die Kreuzigung ablehnen. (...)
Meine Tochter früher in der Kirche zu wissen, wo sie als Grundschülerin gelegentlich die Fürbitte las, weil sie so gut lesen konnte (...), meine Tochter unterm Kreuz zu wissen, war unangenehm.“
So schreibt Navid Kermani, deutsch-iranischer Schriftsteller. Ein Muslim, der sich den christlichen Glauben anschaut, wie er ihn erlebt als ein Mitmensch – und er staunt über diesen Glauben, über seine Schönheit, seine Kraft. Und gerade deshalb schreibt er, was er ablehnt am Kreuz. Kermanis Worte sind wie ein Weckruf für mich, die ich Kreuze so gewohnt bin, dass ich sie am Wegesrand, an der Wand des Klassenzimmers, an der Halskette einer Frau kaum noch wahrnehme:
Auf was wir hier vorne schauen, das Kreuz, es ist ein Folterinstrument. Mit ihm wurden Menschen getötet, unter schlimmsten Qualen. Es als „unangenehm“ zu bezeichnen, das eigene Kind unterm Kreuz zu wissen, in einer Kirche oder einer Schule, ist noch zurückhaltend. Manchmal habe ich ihn gesehen, den Schrecken in den Augen meiner Kinder, als sie ein Kreuz mit totem Jesus anschauten. Und beim Blick in ihre Augen etwas von der Tiefe dessen geahnt, was auf Golgatha wirklich geschehen ist: Ein Mensch wie ich und wie mein Kind wurde hingerichtet, blutig, hat geschrien, ist verendet.
Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit...“
Navid Kermani versteht Paulus gut. Er weiß, dass das Kreuz allem widerspricht, was Menschen sich von Gott erhoffen, und dass es allem widerspricht, was sie von Gott wissen können. Ist ein Gott, der schwach wird, überhaupt noch ein Gott? Ist Gott selber am Kreuz gestorben, so dass er keinen mehr retten kann? Hat er das, was er so gut geschaffen hat, aufgegeben an diesem dunkelsten aller Tage?

 

IV Menschwerdung

Es gibt in dem Weihnachtsrundbrief von D.L. Mayfield kein Happy End. Vielleicht sagen die Mayfields mittlerweile, nach diesem ersten halben Jahr 2016: Es geht bergauf. Das Baby schläft durch, immerhin Schlaf. Die Medikamente gegen die Depression wirken. Die Fünfjährige schließt erste Freundschaften am neuen Ort, und es gibt ein paar nette Nachbarn. Wahrscheinlich aber werden die Vier es noch eine Zeitlang schwer haben.
Sie werden es schwer haben – und inmitten all dieser Schwere und Traurigkeit, inmitten all ihrer Verlorenheit ist Gott. Ein kurzer Satz nur im Brief weist darauf hin, dass D.L. Mayfield das glaubt. Sie schreibt:
„Dieses harte Jahr war das Jahr, in dem ich Jesus erkannte – als meinen geschlagenen, verletzten Bruder. Und ich merke, wie er niemals meine Seite verließ.“
Mit diesen Worten, Worten vom Kreuz, wird der Rundbrief zum Weihnachtsrundbrief. Nicht, weil er im Dezember geschrieben wurde. Sondern weil er davon erzählt, wie ein Mensch Gott noch in der größten Traurigkeit spürt. Nicht als den mächtigen Schöpfer, der alles gut macht, nicht als den starken Retter, der Unheil wendet. Sondern als den, der gerade dann spürbar wird, wenn alles verloren ist. Wie ein Licht, obwohl es dunkel ist. Wie ein Lächeln unter Tränen. Wie eine Kraft in größter Schwäche.
Auch Navid Kermani kennt diese Kraft, die vom Kreuz ausgeht. Eine Zeitlang hat er selber auf seinem Schreibtisch ein Kreuz stehen, von einem Bildhauer aus Stahl geformt, und er empfindet, „wie es erst den Tisch, dann den Raum verwandelt“. Dieses Kreuz, es ist für ihn deshalb „so voller Segen“, weil es für die Menschwerdung Gottes steht.

 

V Gott will im Dunkel wohnen

Eben darum geht es im Wort vom Kreuz: Gott gibt Menschen Kraft, indem er selber Mensch wird, selber schwach. Er geht so tief in seine Welt ein, dass sein Gottsein, seine Macht verborgen ist. Aber gerade deshalb ist seine Schwachheit stärker als alles andere. Weil er, Gott, dabei ist in allem, was Menschen geschehen kann. Nichts kann mich trennen von ihm.

„Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“ Die Melodie dieses Weihnachtsliedes klingt in meinen Ohren mit, wenn ich das Wort vom Kreuz höre. Auf der Höhe des Jahres, kurz nach dem Johannistag – der Kehrseite des Weihnachtsfestes – bringt es einen weihnachtlichen Ton in den Sommer. Das Wort vom Kreuz erzählt vom Höhepunkt der Weihnachtsgeschichte, der nicht im Engelchor oder dem Jubel der Hirten erklingt. Sondern im Schrei des am Kreuz Gestorbenen.

Gott ist Mensch geworden und so schwach, wie Menschen es sind. Kein Gott im Himmel, sondern auf der Erde. Aber eben deshalb einer, der dabei ist. Mein geschlagener, verletzter Bruder. Keine Minute wird er von meiner Seite weichen.

Amen.

 

 

Zitate aus:

Perikope
26.06.2016
1,18-31

Aufkreuzende Chancen oder Gottes gutes Feedback – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Markus Kreis

Aufkreuzende Chancen oder Gottes gutes Feedback – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Markus Kreis
1,18-25

Gottes Feedback ist nicht nur ein bisschen gut. Gottes Feedback ist absolut gut. Da mag der Bibeltext dem Wort Gottes auch anderes nachsagen: Vorwürfe, wie naiv oder null Effekt. Gottes Feedback ist nicht nur teilweise nicht schlecht. Es ist kein bisschen schlecht. Gottes Feedback ist absolut gut.

Es kommt auf den Standpunkt an, auf die Perspektive. Menschen sagen Gott und seinem Wort vom Kreuz in der Tat nicht nur Gutes nach. Auch weniger Gutes wird von ihm gesagt: Null Effekt und naiv, so lauten die Vorwürfe der vornehmeren Sorte. Es finden sich noch Üblere.

Vom menschlichen Feedback ist im Bibeltext aber nur nebensächlich die Rede. Das ist hier zweitrangig, unser Feedback. Paulus redet von Gottes Feedback an uns. Paulus meint das Feedback, das uns der Schöpfer und wahre König der Welt gibt. In seinem Wort vom Kreuz.

Gott gewährt uns Feedback. Ein befremdlicher Gedanke? Jesaja (55,10-11) kannte ihn schon.
10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen,
11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.

Gott gibt uns wieder und wieder Feedback. Aber es dringt nicht unbedingt zu uns durch.

Gott gibt uns sein gutes Feedback. Er schenkt unserem Wollen und Bitten Gehör. Aber das nehmen wir nicht unbedingt wahr. Übrigens weiß er auch um unser geheimes Wollen und Bitten. Genauer gesagt: Nicht nur um unser Wollen und Bitten, das wir vor anderen verbergen. Sondern er kennt auch unser Wollen und Bitten, das für unsere eigenen Augen verdeckt ist. Für das wir blind sind. Dieses Gehör nehmen wir erst recht nicht unbedingt wahr.

Umso weniger merken wir, dass Gott nicht nur zuhört, sondern mehr tut. Umso weniger merken wir, dass er uns zuhört und beispringt. Dass er zu unserem Wollen und Bitten das Vollbringen beisteuert. Das sich Erfüllen. Gott motiviert uns, festigt Willen und Tatkraft. Oder er motiviert Mitmenschen, unseren Anliegen zum Recht zu verhelfen. Unsere guten Wünsche wahr werden zu lassen.

Sünde heißt: Gottes gutes Feedback nicht wahrhaben. Absichtlich oder unabsichtlich. Mit Begründung und Vorsatz oder spontan, intuitiv. Wie auch immer, Sünde heißt: Nicht wahrhaben wollen, dass Gott all unser Wollen und Bitten kennt. Auch das, was wir vor anderen geheim halten. Und unser Wollen und Bitten, das uns selbst verborgen ist. Hat Gott all das im Kreuz Jesu doch selbst kennen gelernt.

Sünde heißt: Nicht wahrhaben wollen, dass Gott uns im Kreuz beispringt. Dass er durch Vergebung dort unser Wollen und Bitten erneuert. Dass er dort durch Vergebung erneuertes Wollen und Bitten zum Ziel führt.

Sünde heißt: Nicht auf Gottes Feedback achten. Sich vom Feedback anderer Größen leiten lassen. Die Neunmalklugen und Nerds hören nur noch auf Zahlenwerke und Verträge. Erniedrigte auf Lautredner, die sie zu übergroßer Stärke aufpumpen. Niedergeschlagene auf  vermeintliche Vorbilder, die Dunkles schön reden.
So kann alles beim Alten bleiben. Nach außen stark, aber in Wahrheit schwach. Dann bleibt einem die Angst erspart, die mit allem Neuen daher kommt.

Zahlenwerke und Verträge belächeln das Wort vom Kreuz als naiv. Meist hinter vorgehaltener Hand. Oder der Glaube wird hinweg erklärt, als überflüssig bezeugt. Gottes Wort wahrhaben wollen, das ist dann nur noch mentales Training. Selbstkonditionierung. Was man sich lange genug einredet, wird irgendwann wahr. Und hilfreich. Wenn zum Beispiel eine neue Situation gerade zur Einbildung passt.

Schönredner und Lautsprecher übertönen das Wort vom Kreuz. Überdecken stumme Not mit einem Wortteppich, so dass sie sich nicht in Wahrheit äußern kann. Spielen sich mit Worthülsen zur Stärke auf. Der Zuhörer soll sich am besten wie Prinz William fühlen. Und nicht wie dessen Charity-Empfänger.

Oder die Schönredner und Lautsprecher verstecken sich hinter Gottes Kreuz. Noch raffinierter. Kennt man ja schon über 2000 Jahre lang.

2000 Jahre lang bestimmt Gottes Feedback an Menschen deren Leben. Seit 2000 Jahren wirkt Gottes Wort vom Kreuz im Wollen und Bitten der Menschen. Und viele, die mit diesem Wort unterwegs sind, erleben dabei das oder ähnliches:
Ein Unglück über den endlosen Weiten des Ozeans. Einer von der Crew oder ein Passagier strandet auf einer menschenleeren, unzugänglichen Insel. Dort harrt er seiner Rettung.

Wird nach ihm gesucht werden? Wird die Aufsicht erwägen, dass einer noch lebt? Nach diesem Vorfall? Letzte Gedanken flackern auf. Flimmern, Ohnmachtsanfall. Erst geistig, dann auch körperlich. Knockout der Nerven und dann der Blutgefäße.

Wenn er Glück hat, wacht er wieder auf. Im Hospital. Und lebt. Wenn er noch mehr Glück hat, sogar ohne bleibende Schäden. Oder der Gestrandete sitzt auf seinem Eiland und wartet. Stunde um Stunde, Tag um Tag, länger und länger. Vielleicht hat er leider Recht mit seiner Ahnung. Die Leiter der Aufsicht haben abgewinkt: Suche sinnlos. Jedenfalls taucht nichts am Horizont auf. Kein Flugzeug, kein Schiff. Warten auf die selige Ohnmacht.

Oder der Gestrandete sitzt auf seinem Eiland und wartet. Stunde um Stunde, Tag um Tag, länger und länger. Nichts. Und wieder nichts - oder doch? Da am Horizont! Da tut sich etwas! Ein Flugzeug? Ein Schiff? Augen, Ohren und Pobacken zusammen gekniffen. Da bewegt sich doch was! Schält sich eine Gestalt aus dem Blau von Himmel und Wasser heraus? Ein Flugzeug? Ein Flugzeug! Und es steuert im Himmel auf ihn zu. Düst über das Eiland. Hat der Pilot ihn gesehen? Der Pilot hat ihn gesehen. Oder...?

Oder der Gestrandete sitzt auf seinem Eiland und wartet. Stunde um Stunde, Tag um Tag, länger und länger. Nichts. Und wieder nichts - oder doch? Da am Horizont! Da tut sich etwas! Ein Flugzeug? Ein Schiff? Augen, Ohren und Pobacken zusammen gekniffen. Da bewegt sich doch was! Bildet sich eine Gestalt aus dem Blau von Himmel und Wasser heraus? Ein Flugzeug? Ein Flugzeug! Und es steuert im Himmel auf ihn zu. Düst über das Eiland. Hat der Pilot ihn gesehen? Der Pilot hat ihn gesehen. Er fliegt so langsam als möglich über ihn hinweg. Wackelt zum Handshake mit den Flügelspitzen. Wird er für Hilfe sorgen?

Oder der Gestrandete sitzt auf seiner Insel und wartet. Stunde um Stunde, Tag um Tag, länger und länger. Nichts. Und wieder nichts - oder doch? Da am Horizont! Da tut sich etwas! Ein Flugzeug? Ein Schiff? Augen, Ohren und Pobacken zusammen gekniffen. Da bewegt sich doch was! Schält sich eine Gestalt aus dem Blau von Himmel und Wasser heraus?

Ein Schiff, ein Schiff. Es nimmt Kurs auf diese Insel. Lässt ein Beiboot zu Wasser, das seine Retter anlandet. Entkräftet von Hunger zeigt er durch hilflose Gesten seinen Verbleib an. Halb irre vor Trinkwassermangel wird er aufgenommen. Dahin dämmernd nimmt er auf der Liege wahr, wie ein Arzt ihn untersucht, eine Nadel in seiner Vene platziert. Wird er bleibende Schäden behalten? Schließlich Ohnmacht, der Stream stockt, Filmriss.

In Not geraten, ob unverschuldet oder ohne Not: Wenn ein Vorhaben, ein Leben durchkreuzt wird, ist jeder Mensch wie ein Gestrandeter. Er wartet auf ein Ende.

Es gibt Gestrandete, die warten auf ein Ende ohne Hoffnung. Wenn sie je von Gottes Wort am Kreuz gehört haben, es kommt ihnen jetzt nicht in den Sinn. Gottes Feedback dringt nicht zu ihnen. Sie rechnen nicht damit, dass irgendein höheres Walten ihr Bitten in der Not erhört. Und ihnen beispringt. Selbst dann nicht, wenn sie aus ihrer Notlage gerettet worden sind, ohne dass sie es mitgekriegt haben. Absolut unempfänglich für Gottes gutes Feedback.

Es gibt Gestrandete, die warten auf ein Ende in Hoffnung. Sie haben von Gottes Wort am Kreuz gehört. Und es kommt ihnen jetzt in den Sinn. Ihnen drängt sich auf, dass Gott Feedback gewährt. Sie rechnen damit, dass er ihr Bitten in der Not erhört. Und ihnen beispringt. Doch mit dem Vergehen der Zeit geht ihr Glaube zu Grunde. Erst hoffen sie nicht mehr auf Rettung, dann nicht mehr auf Gottes Gehör für ihre Not. Kein Gegenüber, kein Handshake.

Es gibt Gestrandete, die warten auf ein Ende in Hoffnung. Sie haben von Gottes Wort am Kreuz gehört. Und es kommt jetzt wieder in ihren Sinn. Ihnen drängt sich auf, dass Gott ihnen sein Feedback gewährt. Sie rechnen damit, dass er ihr Bitten in der Not erhört. Und ihnen beispringt.

Mit dem Vergehen der Zeit geht ihr Glaube nicht zu Grunde. Sie rechnen nicht mehr auf Rettung. Aber immer noch auf Gottes Gehör für ihre Not. Gottes Wort vom Kreuz hält sie aufrecht. Obwohl ihre äußere Not nicht nach lässt. Gottes gutes Feedback verlässt nicht ihren Sinn. Ihr Wollen und Bitten findet ein gutes Gegenüber. Sie sind getrost. Auch wenn es ans Sterben geht.

Und es gibt Gestrandete, die warten in Hoffnung und werden gerettet. Sie haben von Gottes Wort am Kreuz gehört. Und es kommt jetzt wieder in ihren Sinn. Ihnen drängt sich auf, dass Gott ihnen sein Feedback gewährt. Sie rechnen damit, dass er ihr Bitten in der Not erhört. Und ihnen beispringt.

Mit dem Vergehen der Zeit geht ihr Glaube nicht zu Grunde. Er lebt auf. Sie rechnen neu und neu mit Rettung. Und nicht nur mit Gottes Gehör für ihre Not. Gottes Wort vom Kreuz hält sie aufrecht. Obwohl ihre äußere Not zunächst nicht nach lässt. Gottes gutes Feedback verlässt nicht ihren Sinn. Ihr Wollen und Bitten findet ein gutes Gegenüber. Und ihr körperliches Leiden findet Hilfe. Und oft Gesundung.

Das sind Erfahrungen mit Gottes Wort. Für Gestrandete ist das Wort vom Kreuz daher weder naiv noch ohne Effekt. Sie glauben, dass Gott Neues erschaffen kann. Neue Umstände und Situationen. Neue Gedanken, neue Gefühle, eine neue persönliche Verfassung. Denn Gott kennt Möglichkeiten, die uns verborgen sind. Sei es, dass wir sie vergessen haben. Oder übersehen. Sei es, dass wir nicht um sie wissen können. Schließlich werden sie neu von ihm erschaffen: die verborgenen Gelegenheiten, die den Weg kreuzen.

Einen „lucky Punch“ wie David. Einen Zufallstreffer wie den Schatz im Acker. Allerlei flüchtige Reisebekanntschaften mit langen Folgen. So wie sie Abraham oder Mose unterwegs begegnen. Der Heiligen Familie die drei Heiligen Könige, dem Philippus der Kämmerer aus dem Morgenland.

Dem tumben Petrus ein dicker Fischzug zur Unzeit. Dem raffinierten Saulus ein Blitzüberfall, sodass er zum Paulus geworden ist. Dem blinden Huhn Bartimäus ein göttliches Weizenkorn in der Erde. Gott gewährt gutes Feedback und gute Chancen. Zu jedem drängen sie hin. Amen.

Perikope
26.06.2016
1,18-25

Widerspruch! – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Wolfgang Vögele

Widerspruch! – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Wolfgang Vögele
1,18-25

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.“

Liebe Gemeinde,
die Torheit lobt Paulus? Weisheit und Einsicht macht er lächerlich? Im Moment kann das im Angesicht von Flüchtlingselend, rechter Gewalt und Populismus niemand verstehen. Ach, ich würde mir im Moment das Gegenteil wünschen: eine überquellende riesige Schale voll Weisheit und Vernunft, die Gott aus dem Himmel wie ein Frostschutzmittel auf Politiker, Rechthaber und Meinungsverfechter auskippt. Ich wünsche mir, dass all die Schwätzer aus den Talkshows, die Lautsprecher und Spin doctors für ein paar Tage innehalten um nachzudenken, abzuwägen und Begründungen für die eigenen Forderungen zu finden. Erst dann sollen sie mit Einsicht, Verstand und Augenmaß das Gespräch fortsetzen. Nein, das Gespräch erst einmal beginnen, weil sie sich ja bisher überhaupt nicht zugehört haben. Wer redet, um Recht zu behalten, hat nicht verstanden, wozu ein Gespräch dienen soll: dem Zuhören, Antworten und Aufnehmen der anderen Meinung.

Von der Flüchtlingsfrage über die Zukunft der europäischen Einigung, die Zins- und Schuldenpolitik und die Folgen des Klimawandels bis zur Bekämpfung des Terrorismus wäre nichts so notwendig wie Einsicht, Verständnis, Nüchternheit, Gelassenheit und Klugheit. Nur diese zusammen stiften Vernunft und befähigen zur Politik. Kurz: Weisheit wäre nötig.
Wähler sollten kritisch sein gegenüber den neuen Parteien mit ihren alten, einfachen Lösungen, in den USA, in Frankreich und leider auch in der Bundesrepublik. Und auch die Gewählten brauchen Weisheit. Wenn die Kluft zwischen Versprechen vor der Wahl und Regierungshandeln nach der Wahl sich zu stark vergrößert, wenden sich die misstrauischen Wähler in Scharen von der Politik ab.

Im Moment scheinen die Volksverführer, die Wutbürger und die gerissenen Liebediener der öffentlichen Meinung an Zustimmung zu gewinnen. Politik gerät zum Spiel der schnellen Gefühle und der persönlichen Sympathien, wo sie doch vom Kalkül des Machbaren und Erreichbaren bestimmt sein sollte. Der unbezweifelbare Eindruck stellt sich ein, dass die Spielräume des Machbaren, Vernünftigen, des Kompromisses kleiner geworden sind. Schwierige und unübersichtliche Problemlagen wecken den Wunsch nach einfachen Lösungen und zu viele Politiker erliegen der Versuchung, im Wahlkampf solche Lösungen zu versprechen, die sie dann im gewählten Amt nicht einhalten können.

Paulus, so kann man einwenden, beabsichtigt nicht, der politischen Klugheit das Wasser abzugraben. Er interessiert sich viel stärker für die Weisheit auf dem Feld des Glaubens, wo sich Fragen von Erlösung und Verwerfung, Gottvertrauen und Unglaube entscheiden. Auf diesem Feld nimmt die Weisheit plötzlich eine ganz hässliche Gestalt an. Die hässliche Weisheit – das muss erklärt werden. Auch auf dem Feld des Glaubens helfen die einfachen Lösungen der Populisten nicht weiter.

Die Weisheit des Menschen ist eine Lebenskunst, die jeder erlernen muss. Wer sie erlangen will, übt sich ein in Klugheit und Gebrauch der Vernunft, um aus den Verhältnissen, in denen er sich wiederfindet, das Beste und Angemessene zu machen. Weisheit ist die Kunst des Erreichbaren, gebunden an menschliches Maß und Fürsorge. Sie beruht auf Überlegung und Mitgefühl, auf Übereinstimmung mit der wohl geordneten Schöpfung. Gleichermaßen lebt sie aus dem Mut, Wagnisse einzugehen und aus der Fähigkeit, sich für das Schöne, Wahre, Gute zu begeistern. Sie ist bestimmt vom Respekt für die Würde der anderen und vom Bewusstsein der eigenen Würde.

Solche Weisheit ist eine erwachsene Tugend. Sie lebt von der Stärke der eigenen Persönlichkeit, von der Kraft des Denkens und der Lebendigkeit der Gefühle. Ich bin überzeugt, dem würde Paulus nicht widersprechen. Und dennoch erreicht solche Weisheit irgendwann ihre Grenzen, besonders dann, wenn sie spürt, dass die Ordnung der Welt ins Wanken geraten ist, wenn sie soziale Ungleichheit spürt, wenn sie unbarmherzig auf Schwäche, Krankheit, Leiden und Tod trifft. Weder dem Schmerz noch dem Tod kann die Weisheit irgendeinen Sinn abgewinnen. Die weise Vernunft scheitert dann an den grausamen Verhältnissen der Welt, die plötzlich gar nicht mehr als gute Schöpfung Gottes erscheint.

Sie ist der Ort des Verkehrsunfalls, bei dem das kleine Mädchen seinen schweren inneren Verletzungen erliegt. Sie ist der Ort des plötzlich entdeckten Tumors im Körper eines älteren Menschen. Er wächst immer weiter und bildet Metastasen. Sie ist der Ort der Ungerechtigkeit, an dem Menschen übervorteilt und in die Flucht getrieben werden. Grauen und Schmerz hat die Weisheit irgendwann nichts mehr entgegenzusetzen. Wenn sie es mit den einfachen pauschalen Lösungen versucht, die in der Politik so beliebt sind, dann lachen alle diese Weisheit aus, wegen ihrer Banalität und Naivität.

Deswegen versucht Paulus gar nicht erst, auf diesem Weg die Weisheit aufzuwerten. Er entwickelt eine Alternative zu der menschlichen Weisheit, die an ihre Grenzen stößt. Für die Welt, die zwischen Ordnung und Chaos zerrissen ist, entwickelt er eine ganz kurze Formel: das Wort vom Kreuz. In dieser Formel liegt der Schlüssel zur Theologie des Paulus. Paulus zögert nicht, dieses Wort vom Kreuz eine Torheit zu nennen. Zur Weisheit der Welt und zur Weisheit der Menschen setzt sie sich in Widerspruch.

Mit dem Kreuz meint Paulus die von allen Evangelien einmütig berichtete Erzählung von der Hinrichtung Jesu. Der, den viele für den Messias Israels hielten, wurde gefangengenommen, verhört, gefoltert, gequält, verurteilt. Er musste den Tod am Kreuz erleiden, den grausamsten Widerspruch gegen alle Weisheit, Klugheit und Vernunft der Welt. Das Kreuz widerspricht der ganzen Welt. Aber es ist noch mehr. Es verrückt das Verhältnis von Gott und Welt, von Gott und den Menschen. Mit dem Kreuz drängen die Menschen den allmächtigen und barmherzigen Gott, aus dieser Welt heraus. Das Kreuz widerspricht der Weisheit der Menschen. Das Kreuz widerspricht dem Angebot Gottes, sich barmherzig für sie einzusetzen. Das Kreuz tötet nicht nur den Menschen aus Nazareth, es tötet auch den Glauben an Gott. Das Kreuz blamiert alle Weisheit der Welt, die fromme, die politische, die philosophische, die wissenschaftliche, die alltägliche Weisheit, bis auf die Knochen. Insofern entlarvt das Kreuz sämtliche Illusionen, die sich die Menschen über Glauben, Gottvertrauen und Erlösung gemacht haben.

Das Wort vom Kreuz verweist zurück auf die Geschichte, die sich auf dem Hügel Golgatha zugetragen hat. Es setzt voraus, dass die Christen in dieser Geschichte von Golgatha eine bestimmte Bedeutung finden, welche die Weisheit der Welt entlarvt. Und Paulus versteht drittens dieses Wort vom Kreuz als eine Kraft. Was ist damit gemeint?

Auf der Seite der Menschen ist das Kreuz ein Endpunkt. Sie haben dem Leben Jesu ein Ende gesetzt. Mehr Auslöschung als der Tod kann nicht sein. Auf der Seite Gottes bedeutet das Kreuz: Weiter lässt sich Gott nicht aus der Welt herausdrängen. Der Tod ist für die Menschen das Ende, für Gott markiert dieser Tod einen Neuanfang. Er findet sich mit dem Tod des Jesus von Nazareth nicht ab. Wobei in unserem Predigttext Paulus die Auferstehung von Ostern mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das Kreuz ist der Widerspruch Gottes gegen den Tod. So paradox es klingen mag: Im Kreuz errichtet Gott ein Zeichen gegen den Tod. Das Instrument der Hinrichtung wird gleichzeitig zum Zeichen von Gottes Widerstand.

Am Kreuz wird sichtbar: Gott lässt sich nicht aus der Welt herausdrängen. Am Kreuz wird aber auch sichtbar: In dieser Welt ist Gott bei denen, die leiden, die Schmerzen haben, die stöhnen wegen der Ungerechtigkeit der Welt. Gott ist bei den Schwachen und Ohnmächtigen.
Das haben schon die mittelalterlichen Klostergründer gewusst, die sich besonders der Betreuung von Kranken verpflichtet hatten. Sie bestellten für die Säle, in denen die Kranken lagen, Altarbilder, welche neben anderem die Kreuzigungsszene auf Golgatha zeigten. Eines der berühmtesten Beispiele ist der Isenheimer Altar, den Matthias Grünewald für das Hospital des Antoniterklosters in Colmar im Elsass gemalt hat. Im Bild des Gekreuzigten sahen die Kranken den Gott, der mit den Schwachen und Leidenden litt. Sie sahen den mitleidenden und barmherzigen Jesus, nicht den übermächtigen Weltenrichter am Ende der Zeiten.

Für Paulus bedeutete das Kreuz einen Wendepunkt in der Geschichte Gottes mit den Menschen.Er hat versucht, diese theologische Erkenntnis in der Passage aus dem 1.Korintherbrief so deutlich und klar wie möglich zu formulieren. Für ihn war das Kreuz eine Umwertung aller Werte, ein Symbol, das die Welt, die Weisheit, die Vernunft, alles bisherige Wissen über Gott auf den Kopf stellte. Gott ist kein Triumphator mehr, kein allmächtiger, rauschebärtiger Vater im Himmel, kein Schicksalsbestimmer, kein selbstherrlicher Marionettenspieler, der die Menschen am Gängelband führen würde. Gott geht überhaupt nicht in einem der in schönen Farben gemalten Wunschbilder auf, die sich Menschen von ihm gemacht haben.

Gott ist stattdessen bei dem sterbenden, hingerichteten, ohnmächtigen Menschen Jesus von Nazareth. Und indem er ihm barmherzig beisteht, steht er auch allen anderen leidenden, ohnmächtigen Menschen bei. Das ist die große, die entscheidende theologische Erkenntnis des Paulus, der fundamentale erste kleine Schritt, mit dem er die Weisheit der Menschen vom Kopf auf die Füße stellt. Er richtet das Gedankengebäude der christlichen Theologie völlig neu aus und gibt Glauben und Vertrauen eine völlig neue Richtung.

Paulus sieht im Kreuz einen Wendepunkt für den Glauben. Danach stellt sich Gott ganz anders dar als vorher. Am Kreuz stirbt der allmächtige, alles beherrschende Gott. Das ist für alle, die an diesen Gott glauben, ein Stück klarer, nüchterner Aufklärung. Am Kreuz zerschellen unsere naiven Gottesbilder. Stattdessen, , zeigt sich am Kreuz der solidarische, tröstende, der schwache Gott. Das ist die Wende. Das ist ein Stück größtmöglicher Barmherzigkeit.

Und deswegen gilt es für Paulus, über das Kreuz zu reden, das heißt zu predigen. Denen, die das schräg finden, kommt das wie eine Torheit vor. Sie schieben, was die Theologie angeht, andere Ansprüche in den Vordergrund. Sie wollen Zeichen sehen und Beweise hören. Paulus aber genügt der gekreuzigte Christus. Ihm glaubt er. Denen, die ihm in diesem Glauben nachfolgen, ist das eine Kraft.

Was ist diese Kraft? Wie wirkt sie sich aus und in welche Richtung zielt sie? Paulus spricht von einer lebendigen dynamischen Kraft, nicht von einer statischen, unveränderlichen Einstellung.
Eine Einstellung fixiert die Haltung eines Menschen; sie kann helfen, aber in ihrer Starrheit auch behindern. Kräfte setzen einen Menschen in Bewegung. Er braucht physische Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit für seine Joggingrunde. Er braucht geistige Kraft in seinem Beruf oder bei der Lösung seiner Probleme. Er braucht geistliche Kräfte, um sein Leben zu bestehen. Diese geistliche Kraft nennen Christen auch Glauben. Sie entsteht nicht mit Hilfe von Ausdauer und Training, sie ist ein Geschenk des Heiligen Geistes. Sie entsteht aus der Zuversicht, dass dieser Gott Jesus am Kreuz nicht alleine lässt –  und mit ihm keinen Menschen in seinem Elend, seiner Furcht und seiner Todesangst.

Glauben und Vertrauen richten den Blick des Menschen auf das eigene Leben, auf die Erinnerung an alles erlebte Schöne, aber auch auf die Fehler der Vergangenheit, auf die Zukunft in Altwerden, in nicht vorhersehbarer Krankheit und auf das Sterben, dem kein Mensch entkommen kann. Das alles kann Angst machen. Aber wer glaubt, der lässt sich von diesen Ängsten nicht irremachen. Er traut nicht nur dem Allmächtigen, sondern auch dem schwachen Gott, der dem Christus am Kreuz beigestanden hat.

Pragmatische Lebensdeutung und Vernunft können das nicht nachvollziehen. Sie spüren die Kraft des Glaubens nicht und halten seine Einstellung für eine Torheit. Aber davon soll sich niemand, der diesem Gott glaubt, irre machen lassen. Paulus hat uns gezeigt: Gerade am Kreuz, dem schrecklichsten Zeichen des Zwangs und der Unbarmherzigkeit, zeigt sich der barmherzige, der überwindende Gott. Gerade am Kreuz zeigen sich Gottes Verheißungen. Und Paulus würde noch schärfer formulieren: Das Kreuz ist die Verheißung Gottes. Gott ist bei den Schwachen und Leidenden. Paulus zeigt einen Gott, der nicht triumphiert oder seine Allmacht ausspielt. Er zeigt einen schwachen, menschlichen Gott, dessen Torheit so klug ist, dass sie den Tod überwindet. Diesem Gott, nur diesem Gott vertrauen wir.

Und der Friede Gottes, welcher höher und weiter ist als alle Unvernunft, die Menschen sich ausgedacht haben, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Dr. Wolfgang Vögele, Erzbergerstr.98, 76133 Karlsruhe, wolfgangvoegele1@googlemail.com , www.wolfgangvoegele.wordpress.com


 

Perikope
26.06.2016
1,18-25

Der einzigartige Vater – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Jochen Riepe

Der einzigartige Vater – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Jochen Riepe
1,18-25

I
Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn…‘(Jer 9,22-23/2 Kor 10,17) – bevor du Ihn ansiehst, hat Er dich längst angesehen … Er, der am Kreuze starb.

II
Kinderstreit. ‚Mein Vater ist älter als deiner‘, sagt Julia. Darauf Britta keck: ‚Unser Auto ist viel größer als eures.‘ Julia: ‚Wir fliegen mit dem Flugzeug, Papa bezahlt alles‘. Britta kontert: ‚Wir fahren viel weiter…soooo weit‘. ‚Mein Vater kann einen Handstand, baut Häuser und kauft mir ein Eis‘… Julia versucht es wieder. Britta – nun fast schluchzend: ‚Mein Papa ist der beste auf der Welt …‘ – Hätten die so Hochgelobten gelauscht, so gewiss mit roten Ohren!

III
Was im Kinderwettbewerb komische oder tragikomische Züge trägt, das kann im Leben einer Gemeinde ziemlich dramatisch oder zerstörerisch ausfallen. Paulus hat von rivalisierenden ‚Parteiungen‘ in Korinth gehört, jener Gemeinde, die er selbst wohl gegründet hatte. Er hörte von Spannungen, ja in gewisser Weise auch von einem ‚Väter-Wettbewerb‘. Väter einer besonderen Art allerdings. ‚Ich gehöre zu Paulus, denn der hat mich getauft‘. ‚Ich gehöre zu Kephas , dem Jünger des Herrn‘. ‚Ich wurde von Apollos getauft‘, sagten die dritten, ‚einem ganz besonderen, weisen und lebensklugem Missionar und Prediger‘. So rühmte man in Korinth und bestand darauf: Zwischen dem Täufer und dem Täufling besteht eine tiefe Verbindung. Und man darf folgern –  denn in Korinth ging es ja menschlich zu - : Je höher der Täufer geschätzt wurde, je weiter oben er im ranking stand, desto höher stand oder fühlte sich zumindest der Täufling. So ganz fern ist uns das ja nicht: ‚Ich wurde noch von Pfarrer X konfirmiert. Er nannte uns seinen besten Jahrgang.‘

IV
Mancher hätte vielleicht den Rat gegeben, darüber hinweg zu sehen. So sind die Menschen. Aber der sensible Apostel witterte ein Problem. Ein persönliches Problem. Aber besonders eines der Gemeinde und ihrer Auf-Erbauung: Würde in diesem Prestigekampf um den besten Täufer diese in Christus geeinte, in sich so prekäre, so unterschiedliche Gemeinschaft nicht zerrissen werden und heillos in Streit, Machtgezerre und Bevormundung auseinanderbrechen? Alle Vertrauenspotentiale sozusagen verspielt?
In Christus geeint: Ohne ihn gäbe es keinen Täufer und keinen Täufling und beider Beziehung zueinander ist ja in Christus gegründet. Was ist im Vergleich mit ihm ein Täufer? Paulus spricht mit einem gewissen Achselzucken und erstaunlicher Lässigkeit, um seine eigene Taufpraxis zu relativieren: ‚Ja, ich weiß es zwar nicht mehr so genau, aber auch ich habe einige von euch getauft. Aber seid ihr deshalb auf meinen Namen getauft? Mag Apollos weise und klug und unter euch sehr geschätzt sein, ist er etwa für uns gekreuzigt worden? Am Kreuz auf Golgatha hat Gott die Klugheit der Welt, die Machtansprüche der Lehrer und Autoritäten zuschanden gemacht. In Christus, dem gekreuzigten Messias, ist alles menschliche Rühmen ausgeschlossen worden. Wir verkünden das Wort vom Kreuz, ‚eine Torheit denen, die verloren gehen; uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft‘(V. 18). Aber eben das muss man immer neu lernen: Wie gerade das Kreuz eine Gemeinde formt und stabilisiert – eine Gemeinde und ihren ‚Apostel‘.

V
Mein Vater. Dein Vater. Was Julia und Britta auf ihre kindliche Weise vorspielen, ist ja ein bekanntes Ritual im Kampf um gesellschaftliches Ansehen: Ein potenter Vater macht auch mich mächtig. Selbstbehauptung durch Prestige. Zu wem gehöre ich? Wer schützt mich? Auf welcher Stufe der sozialen Rangordnung stehen meine Eltern, meine Schule, meine Lehrer? Mit der Marke der Stars, ihrem ‚label‘, haben Jugendliche im Rahmen der Kleiderordnung teil am ‚Größeren‘. Indem ich den Therapeuten rühme und den anderen abwerte, zeige ich meine gesellschaftliche Position an. Zu dem Arzt aber gehen nur arme Leute und was den Kindern der Welt recht ist, ist den Gotteskindern sozusagen billig. Paulus versucht, eben diese Normalität zu ‚brechen‘ und unseren Kampf um Anerkennung in die Perspektive des Gekreuzigten zu stellen.
Gewiss, auch der Apostel sieht das oder wird es im Verlauf der Auseinandersetzungen mit den Korinthern lernen: Menschen brauchen Anleitung, Vorbilder, zu denen sie aufsehen können, ja, vielleicht auch ‚weise Führer‘, die eine gewisse Anhänglichkeit zulassen und gestalten. Aber eben: Dieses ‚Dienst-Verhältnis‘ (1.Kor. 3,5) eines Täufers, Missionars, einer Seelsorgerin oder eines Pfarrers oder einer Gruppenleiterin darf nie ‚ungebrochen‘ und darin distanzlos werden oder gar Beziehungen für eigene Wünsche oder Machtansprüche ausnutzen. Ein Täufer dient darin, dass er einen jeden zu seiner Klage und Bitte, seiner Selbstbestimmung vor Gott im Namen Christi anleitet: ‚Zur Freiheit hat uns Christus befreit‘ (Gal 5,1-6).

VI
Wir aber predigen den gekreuzigten Christus…‘ (V. 23) Ich sagte es schon: Paulus ist selbst betroffen, hat sozusagen rote Ohren. Sein Name wurde im Zusammenhang des Väter-Wettbewerbs von Korinth ja mit genannt – auch er der ‚Vater der Gemeinde‘, plötzlich der Guru oder Anführer einer Gemeinde-Partei?! Man ahnt die Kränkung, man sieht aber auch, wie Paulus sie verarbeitet. Durch eine starke provokative Beschreibung seines Auftrags – in gewisser Weise durch eine theologisch riskante Flucht nach vorn. ‚Mag Kephas dem Herrn besonders nahe stehen, mag Apollos eine weise, ja: wirklich charismatische Erscheinung sein…und mag ich daneben blass und grau wirken, so will ich doch dies sagen: Nicht kluge Worte machen die Verkündigung aus, sondern die Gabe und die Fähigkeit, vom gekreuzigten Christus zu erzählen, sein Wort zu entfalten und zu verstehen, wie Gott in ihm ,dem Gefolterten und Gemarterten, uns gleich geworden ist. Die Weisheit der Welt, die Sätze der Wissenschaft, die Sprachspiele der Experten beschreiben und erklären und sichern euch die Welt. Wundertäter, Heiler, Mystagogen faszinieren euch. Sie gründen Vereine und Verehrungszirkel .Das Kreuz Christi aber erschreckt und tut weh und das Besondere seiner Gemeinde ist: Eben diesen Gottes-Schrecken lassen wir uns gefallen und verkündigen ihn. Wir erzählen ‚von der Kreuzigung und den Kreuzigungen, von der Gewalt im Alltag der Gesellschaft.‘*

VII
Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn …‘ (Jer 9,22-23/2 Kor 10,17) Bevor du Ihn ansiehst, hat Er dich längst angesehen … Er, der am Kreuze starb. Was für ein ‚Prestige‘, welches Ansehen gewinnt denn der, der sich von IHM angesehen weiß? Der erkennt, dass er erkannt wurde? Paulus wird die gesamte Korrespondenz mit den Korinthern dieser Frage widmen: Wie in Christus die Gemeinde eins wird, ohne dass ihre soziale Differenziertheit geleugnet wird und ohne dass die einen Machtansprüche gegenüber den anderen erheben. Er wird um Vertrauen zueinander werben, indem er Probleme und Streitsituationen durchspielt, Rücksicht und Selbstzurücknahme lehrt und schließlich das Hohe Lied der Liebe singt, jener Gottes-Macht, die die Gemeindewirklichkeit nicht verklärt, sondern sie schöpferisch zu gestalten erlaubt. Und: Er wird dies alles an sich selbst ‚demonstrieren‘: Das Wort vom Kreuz zeichnet ja den, der es ausrichtet. Jeder Verkündiger steht neben anderen. Alle stehen gewollt oder ungewollt im Wettbewerb. Julia und Britta mögen das und genießen den Streit der Autoritäten. Aber der ‚Vater‘, der Verkündiger selbst, sein Weg zur Selbstklärung, sein Leid, sein Risiko und sein Dank, sein Schutz und seine Vertrauenswürdigkeit liegen im Inhalt seiner Predigt: Christus, der Gekreuzigte.

VIII
So wie Er, der Gekreuzigte, uns ansieht, so wie Er mit Gottes Augen uns ansieht – gleichsam ohne den Schutzmantel unserer gesellschaftlichen Positionen, unserer Leistungen und Ängste-, so wie er uns erschreckt: ‚Sehet den Menschen!‘ (Joh 19,5), so dürfen wir im Erschrecken zugleich Gottes Solidarität und Liebe erblicken. Ja, diesen Menschen will Gott, sein Geschöpf. Dich will er und in seinen Blick gehüllt darfst du auf deine schwache Weise, ungeniert ob aller anderen Blicke, Gottes Kraft bezeugen – ‚in Furcht und mit Zittern‘ (1.Kor 2,3) und in ‚langmütiger und freundlicher Liebe‘(1.Kor 13,4).


*s. L. Schottroff , Der Erste Brief an die Gemeinde in Korinth (Theol. Kommentar zum NT Bd.7) , 2013, S.33
 

Perikope
26.06.2016
1,18-25

Predigt in leichter Sprache zu 1. Korinther 4,16b-21 von Christiane Neukirch

Predigt in leichter Sprache zu 1. Korinther 4,16b-21 von Christiane Neukirch
4,16-21

(Diese Predigt ist bestimmt für einen Gottesdienst in Gebärdensprache. Deshalb ist sie in leichter Sprache verfasst und kürzer als Predigten für hörende Gemeinden. Im Vortrag wird sie noch weiter vereinfacht.)

Paulus schreibt: Ihr sollt so werden wie ich bin! Deshalb habe ich euch Timotheus geschickt. Ich habe ihn lieb wie meinen Sohn, denn er ist treu mit Jesus Christus verbunden. Er wird euch erinnern: ich, Paulus, gehe alle meine Wege mit Jesus Christus. Genauso lehre ich auch überall in den Gemeinen. Aber einige Angeber haben behauptet: ich, Paulus, komme gar nicht?! Ich werde bald zu euch kommen, wenn Jesus Christus will. Und ich werde die Kraft bei euch kennenlernen – nicht die Worte von den Angebern. Denn was ist das Reich Gottes? Das Reich Gottes ist Kraft, nicht Wort! Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock zu euch kommen oder in Liebe und Sanftmut?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater im Himmel und von Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Der Junge packt seine Schulsachen und läuft los. Er will den Bus noch bekommen. Er hat 10 Kilometer Weg bis zur Schule vor sich.

Früher ist er gelaufen. Jeden Tag. Morgens 10 Kilometer hin, nachmittags wieder zurück. Die Schule im Dorf kann er nicht besuchen. Da versteht er nichts. Denn er ist gehörlos. In der großen Stadt aber, da gibt es eine Schule für Kinder und Jugendliche wie ihn. Der Staat unterstützt diese Schule nicht. Menschen aus Deutschland und aus Finnland geben das Geld für die Schule. Die Schule liegt in Eritrea in der Stadt Keren und die evangelischen Gehörlosengemeinden aus Deutschland und Finnland geben das Geld für die Schule – und noch für zwei andere Gehörlosenschulen in Afrika.

So genau weiß der Junge das aber gar nicht. Gott sei Dank gibt es jetzt den Bus, einen VW-Bus. Er findet noch einen Platz und es geht los. Über Straßen und Feldwege, Löcher und Huckel, es rüttelt und schüttelt alle im Bus hin und her. Die Kinder sind fröhlich. Sie gehen gern zur Schule. Sie hoffen ganz fest: mit dem Lernen in der Schule wird es ihnen später im Leben besser gehen. Das ist nicht nur ihr Wunsch, aber auch nicht nur der Wunsch von ihren Eltern und den Lehrerinnen und Lehrern. Jede Woche bei der Andacht feiern sie wieder neu: Das will auch Gott, er hat alles Leben geschaffen! Gott hilft ihnen, Gott begleitet sie!

Der Junge kann sich noch gut erinnern an den Tag, als der Bus zum ersten Mal kam. So ein großes Geschenk!! Das Leben kann hart sein, das weiß der Junge von zuhause. Er sieht ja jeden Tag seine Eltern – sie sind so arm. Aber trotzdem und zur gleichen Zeit kann das Leben auch wunderbar sein – wenn Menschen anderen Menschen helfen. Sie müssen einander nicht persönlich kennen. Es ist genug, wenn sie wissen: da brauchen andere Menschen Hilfe. Der Junge hat ganz konkret erfahren: da gibt es im fernen Europa Menschen, die denken an ihn und die anderen gehörlosen Kinder und Jugendlichen in Eritrea; und die tun was. Die reden nicht nur.

Das Reich Gottes ist da – aber nicht in Worten, sondern in Kraft. So sagt es der Apostel Paulus in unserem Predigttext. Worte fliegen so viel durch die Luft – gesprochene, geflüsterte, gebrüllte Worte; gedruckte auf Papier oder im Internet, getwittert, gesimst, gefaxt, gemailt.. Worte Worte Worte. Worte von Angebern – wie die Angeber, die behauptet haben, Paulus kommt gar nicht zu der Gemeinde in Korinth! Worte, die verletzen und Verbindungen zerstören. Worte, die gar nicht wahr sind. Worte, die täuschen und verführen. Wahlkampf. Werbung. Du kannst mir viel erzählen! sagt einer zum andern. Er glaubt dem andern nicht. Worte und Taten müssen zusammenpassen! Dann erst können wir vertrauen.

In der Bibel lesen wir von Gottes Worten. Gottes Worte haben Dynamik, sind kraftvoll. Deshalb ist der Glaube an Gott genauso. Vom Glauben sprechen, mit Worten den Glauben bekennen, das ist gut. Das tun wir in fast jedem Gottesdienst. Gott gibt uns aber auch die Kraft etwas zu tun und nicht nur zu reden!

Ich weiß noch genau, wie ich in den Gebärdengemeinden zum ersten Mal den kleinen Pappbus als Sammelbüchse herumgegeben habe, für das Projekt „Schulbus für Keren“. Ich werde nie vergessen, mit welcher Offenheit und mit welchem Mitgefühl die Gemeinden die gehörlosen Kinder und Jugendlichen aus Eritrea und Tansania sofort ins Herz geschlossen haben. So viel Bereitschaft, zu helfen. So viel Verbundenheit zwischen ganz fremden Menschen. Plötzlich gehören wir zusammen, auch wenn uns 1000de Kilometer und sehr verschiedene Lebenssituationen trennen. Die Spenden sind mithineingeflossen in die Bezahlung für den Bus. Die Freude der Schulkinder ist auch unsere Freude geworden. Aus dieser Freude kommt wieder neue Kraft für das nächste Projekt: eine Solaranlage für die Schule in Keren – damit sie unabhängig von der staatlichen Stromversorgung arbeiten kann. Die klappt nämlich mal gut und mal gar nicht?!

In Vorträgen mit vielen Bildern erzählen uns die Mitarbeiter von der Gehörlosenmission, wie das Leben in den Schulen ist. Jedes Jahr gibt es Besuch – aus Deutschland fliegt eine Delegation nach Afrika oder aus Afrika kommen Gäste zu uns. Viele organisatorische Hindernisse gibt es dabei immer wieder. Aber davon lassen wir uns nicht entmutigen. Persönliche Begegnungen sind so wichtig, tun so gut!

Das Reich Gottes ist da – aber nicht in Worten, sondern in Kraft. Das Reich Gottes – das ist Gottes Kraft, die uns verbindet – mit Gott und miteinander! Hier und heute genauso wie in der Zeit des Apostels Paulus. Das Reich Gottes – das ist Gottes Kraft, die uns verbindet zu einer großen Gemeinde über alle Grenzen hinweg. Sie hilft uns, einander zu sehen und zu verstehen. Sie flößt uns Respekt und Liebe ein und macht uns barmherzig. Gottes Kraft – sie motiviert uns, immer wieder zu überlegen: wie können wir helfen, was können wir geben, was können wir tun? Und sie drängt uns dazu, das dann auch zu tun! Das kann ein Gebet sein, eine Spende, eine persönliche Begegnung... Dazu gehört aber auf jeden Fall auch immer wieder eine Pause, die ich mir nehme, weil ich wieder neue Kraft von Gott brauche.

Ihr sollt so werden wie ich bin – das schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth. Ich glaube, Paulus meint das so:

Streitet euch nicht mit vielen Worten, sondern sucht die Kraft Gottes, die euch stärkt und verbindet! Diese Kraft ist da! Schöpft daraus, nehmt sie euch, gebt euch dieser Kraft hin und handelt mit ihr!

So lasst uns leben, liebe Gemeinde!

Amen.

Perikope
29.05.2016
4,16-21

Ein Kollektiv von Begabten - Predigt zu 1. Korinther 12,4-11 von Matthias Loerbroks

Ein Kollektiv von Begabten - Predigt zu 1. Korinther 12,4-11 von Matthias Loerbroks
12,4-11

Ein Kollektiv von Begabten

Verschieden sind die Gadengaben, die Charismen, der Geist aber ist derselbe.
Verschieden sind die Dienste, aber der Herr ist derselbe.
Verschieden sind die Wirkkräfte, die Energien, aber es ist derselbe Gott, der alles in allen bewirkt.
Einem jeden wird das Aufscheinen des Geistes gegeben zum Zusammenwirken.
Dem einen ist gegeben durch den Geist das Wort der Weisheit, dem Anderen das Wort der Erkenntnis gemäß demselben Geist;
einem anderen Glaube in demselben Geist; einem anderen Gnadengaben zu Heilungen in dem einen Geist;
einem anderen die Wirkkräfte, die Energien zu Krafttaten; einem anderen prophetische Rede; einem anderen die Unterscheidung der Geister; einem anderen Arten von Zungenrede; einem anderen das Dolmetschen der Zungenrede.
Alles das bewirkt der eine und derselbe Geist, der jedem das eigene zuteilt, wie er will.

Pfingsten bedeutet: jeder und jede von uns ist begabt, ist sogar hochbegabt, nämlich vom Höchsten begabt worden, mit Gaben beschenkt, ausgestattet, ausgerüstet. Paulus lobt unsere Verschiedenheit – dreimal setzt er ein mit: verschieden sind – die Charismen, die Dienste, die Energien. Dreimal aber fügt er auch hinzu, was bei all dieser Verschiedenheit dasselbe, derselbe ist: derselbe Geist, derselbe Herr, derselbe Gott. Ihm geht es um das Gemeinsame in all unseren Verschiedenheiten, um das Gemeinsame aber gerade in unseren Verschiedenheiten. Selbstverständlich hält Paulus nichts von der faschistischen Parole: Du bist nichts, dein Volk oder in unserem Fall: deine Gemeinde, ist alles – denn was wäre schon zu erwarten, zu erhoffen von einem Volk, das aus lauter Nichtsen besteht? Er hält aber auch nichts vom bürgerlichen Kult der ganz einzigartigen Persönlichkeit, des an seiner eigenen Vervollkommnung ständig feilenden und modellierenden Individuums, des schöpferischen, also kreativen Genies, des in einem fort originellen Originals – denn was wäre das für eine Gemeinde, die aus lauter hervorragenden, aus allem und allen hervor ragenden Einzelnen besteht, die dermaßen von ihrer eigenen Einmaligkeit überzeugt und begeistert sind, dass sie schlechterdings nichts mit anderen zusammen, gemeinsam sein und machen können? Paulus will uns nicht gleichmachen, schon gar nicht gleichschalten, aber uns kollektivieren, sozialisieren, also bündnis- und gemeinschaftsfähig machen, das will er schon. Christentum ohne Gemeinschaft, ohne Gemeinde, nur im Inneren, im Herzen, in der Seele, das kann er sich nicht denken, denn Christsein, das bedeutet für ihn: ein Glied zu sein am Leib Christi, also Teil eines lebendigen Organismus, eines Kollektivs.

Es trifft sich, dass Paulus eine solche Gemeinschaft von Verschiedenen auch in Gott selbst erkennt, denn in seinem Dreiklang vom selben Geist, selben Herrn, selben Gott klingt schon die spätere Trinitätslehre von der Gemeinschaft aus Geist, Sohn und Vater an, um die es nächsten Sonntag gehen wird. Die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes soll uns daran hindern, einfältig von Gott zu reden und zu denken, simpel, eindimensional, fundamentalistisch. Dieser Gott ist nicht erst in der Gemeinschaft und Bundesgenossenschaft mit uns, sondern schon in sich selbst ein soziales Wesen. Paulus zeigt diese Gemeinschaft von Verschiedenen in Gott selbst an den verschiedenen Wirkungen Gottes. Zwar lässt sich von diesem Gott insgesamt sagen, dass er barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue ist, aber die Auswirkung dieser Gnade, die Gnadengaben, Charismen sind Geistesgaben: verschiedene Charismen, aber derselbe Geist; der Sohn ist zugleich der Herr der Kirche, der Gemeinde, nämlich Dienstherr, der uns Dienstaufträge erteilt: verschiedene Dienste, aber derselbe Herr; doch die Charismen blieben womöglich ungenützt, die verschiedenen Dienste ungetan, wenn nicht Gott, der Vater mit seiner Energie auch uns energisch und kräftig, der Schöpfer auch die Geschöpfe schöpferisch, kreativ macht: verschiedene Wirkkräfte, aber derselbe Gott, der alles in allen bewirkt. Die Gemeinschaft der Verschiedenen macht die Gemeinde zum Ebenbild Gottes – schon im ersten Buch, im ersten Kapitel der Bibel wird deutlich, dass Einzelmenschen nicht Ebenbild Gottes sein können, sondern erst die Gemeinschaft von Mann und Frau, also von Verschiedenen, und damit überhaupt die Gemeinschaft von Mensch und Mitmensch: Gott schuf den Menschen zu seinem Bild, zum Bilde Gottes schuf er ihn und schuf sie als Mann und Frau.

Jeder und jede ist begabt, vom Geist Gottes mit Gaben bedacht – und merkt das auch, behauptet Paulus, denn das leuchtet ihm oder ihr einfach auf und ein, wenn wir es nicht in falscher Bescheidenheit – und in diesem Zusammenhang ist jede Bescheidenheit falsch, weil sie Gottes Gnade boykottiert – verdrängen oder verleugnen: Einem jeden, einer jeden wird das Aufscheinen des Geistes gegeben, sagt Paulus, aber nicht, damit wir uns privat an diesem Glanz ergötzen, diese Geistesgabe gar vergötzen, sondern: zum Zusammenwirken mit anderen, zum Kollektivieren, Sozialisieren dieser Gabe.

Es ist ganz gut, uns das gesagt sein zu lassen, denn das Pfingstfest ist nicht dazu da, dass wir alle Jahre wieder neidisch werden auf die Fülle des Geistes und der Kraft in der Urgemeinde – sei es die in Jerusalem mit ihren begeisterten Feuerköpfen, von denen wir gestern hörten, sei es heute die in Korinth. Die scheint in der Tat äußerst geistreich gewesen zu sein – im Guten wie im Fragwürdigen, Problematischen. Es ist nicht ganz deutlich, jedenfalls mir nicht, ob Paulus hier das aufzählt, was ihm an Geistes- und Gnadengaben aus der Gemeinde in Korinth bekannt ist, oder ob er programmatisch zusammenstellt, was zum Zusammenwirken einer jeden Gemeinde, also auch unserer, gehört. Deutlich aber ist, wie genau er differenziert, mit wie viel einzelnen Beiträgern zum Gesamt der Gemeinde er rechnet. Ganz offensichtlich hat er nicht eine Gemeinde vor Augen, in der die Pfarrer alles in allem können und tun: Worte der Weisheit reden, aber auch und davon unterschieden Worte der Erkenntnis; die festen Glauben haben, aber auch die Fähigkeit, Menschen zu heilen; die überhaupt gewaltige Krafttaten tun, womöglich Wunder wirken; die nicht nur die Schrift auslegen, sondern selbst prophetisch reden, Gottes Wort also aufdeckend kritisch und verheißungsvoll ermutigend zuspitzen können auf die Situation; die überdies auch dazu fähig sind, im Stimmengewirr unserer Tage Gottes Geist von ganz anderen Geistern zu unterscheiden; dass Pfarrer sich gelegentlich in seltsamen Sprachen und Zungen ausdrücken, soll ja vorkommen, und so wäre es sicher wünschenswert, wenn sie auch die Gabe hätten, dieses Zungenreden zu dolmetschen.

Paulus rechnet nicht mit einem solchen Monopol, sondern mit einem Kollektiv. Menschen, die nicht nur durch ihre Lebenserfahrung, sondern auch durch göttliche Inspiration befähigt sind, Worte der Weisheit zu sagen, also Worte, die uns anderen zum guten und gelingenden Leben verhelfen, müssen nicht dieselben sein, die Worte der Erkenntnis beisteuern, uns in biblischen und politischen Zusammenhängen Einblicke und Durchblicke ermöglichen. Selbst der Glaube, den wir irgendwie bei allen Gemeindemitgliedern als gegeben voraussetzen, ist für Paulus eine besondere Geistesgabe einiger, die allen zugutekommen soll. Wer also fähig ist, Gott und Jesus mit ganzem Herzen, ohne Zwiespalt und Zweifel zu vertrauen, soll sich nicht erheben und entrüsten über den Unglauben oder Kleinglauben anderer, sondern für sie mitglauben, sie im Glauben mittragen. Wieder andere haben die Fähigkeit, Menschen zu heilen, die an Leib und Seele krank sind, haben diese Begabung vielleicht zu ihrem Beruf gemacht oder sind einfach so, durch ihre Art, heilsam für Leidende, aufrichtend für Gekrümmte. Und dann gibt es auch noch welche, die so energisch, so energiegeladen sind, dass sie vielleicht nicht immerzu Wunder wirken, obwohl das wünschenswert wäre, die aber doch Dynamik bewirken in allzu statischen, in stockenden Verhältnissen. Das können, müssen aber nicht dieselben sein, die prophetisch reden, in verschiedenen Situationen erkennen und ausdrücken können, was nach Gottes Willen jetzt dran ist. Auch die müssen nicht außerdem noch diejenigen sein, die fähig sind, die Geister zu unterscheiden, in dem Vielerlei geistiger Strömungen, die uns beeinflussen, hin- und hertreiben, Orientierung zu gewinnen und zu geben. Ob es nun geradezu in jeder Gemeinde auch diejenigen geben muss und soll, die voller Begeisterung, aber für andere unverständlich reden und agieren, davon scheint auch Paulus, wenn man den ganzen Brief liest, nicht so ganz überzeugt zu sein. Hier aber sieht er auch in diesem Zungenreden eine gute Gabe Gottes, und es kann ja in der Tat sein, dass allzu grauen, braven, sterilen, müden und langweiligen Gemeinden durch Verrückt- und Verwegenheiten aufgeholfen wird, jedenfalls dann, wenn es wiederum andere gibt, und darauf legt Paulus immer wieder Wert, die der Geist dazu befähigt, solche vielleicht etwas expressionistische, vielleicht dadaistische Äußerungen für uns andere verständlich zu machen, zu dolmetschen. Alles das, diese ganze Vielfalt, sagt Paulus, bewirkt der eine und derselbe Geist, der jedem, jeder das – ihm oder ihr – eigene zuteilt, wie er will. Es kann also durchaus eine Gabe des Geistes sein, wenn es allerlei Eigenartige, allerlei Eigenartiges gibt in der Gemeinde, der Gemeinschaft der Verschiedenen. Aber Pfingsten bedeutet nicht nur, dass jeder und jede begabt ist. Sondern dass all diese Begabten zusammenkommen, zusammenwirken, die Einzelnen sich nicht isolieren und abgrenzen, sondern gerade aus und von ihrer Vereinzelung befreit werden. Mit Worten des Dichters Peter Rühmkorf:

Vom Einzelnen ins Tausendste,
von was nur dir die Seele anrührt
und die Zunge bewegt bis, absolutja,
wenn´s das öfter gäb, wär schon gut:
jeder und jede eine halbe Schraubenwindung weiter,
kleine paar Meter mehr,
Leerzeilen weniger,
Lux drauf,
Atü dazu,
also ein fortwährend weiterwirkendes und am Ende schon gar
keinen kompositionstechnisch regelrechten Schluss mehr ab-
sehen lassendes ununterbrochenes Anschieben und Fürsprechen und
Zulegen und Forttreiben und Beistehen und Eingreifen und
Ausschreiten
bis – nein, nicht wie Ihr denkt jetzt –
aber bis vielleicht nach zwanzig fünfundzwanzig Jahren
wieder mal ein paar völlig aus der Form geratene
Einzelhandelsspezialisten vor euch hintreten
und euch fragen: Herr Sowieso, Frau Sowieso,
wir sind ja nur so wenige, was können wir bloß tun?
Ihr aber sagt
– Na, was sagt Ihr? –
Mehr werden![1]

Amen.

 

Vorschläge zum Gottesdienst:

Begrüßung mit Sacharja 4,6

1. Lied: 14,2-5

Psalm 118,24-29

Gebet

1. Lesung: Num 11,11-12.14-17.24-30

Da die Epistel Predigttext ist, ist hier Platz für die AT-Lesung; nach dem Vorschlag des Perikopenrevisionsentwurfs der EKD ist die Num 11; die kollektive Geistbegabung – einschließlich des Segenswunsches in v29 – passt besser zum Predigttext als Gen 11

2. Lied: 135,1.4.5 oder 293

2. Lesung: Johannes 20,19-23

Auch das ein Vorschlag aus dem Revisionsentwurf: das Schlüsselamt, in Mt 16 Petrus gegeben, wird kollektiviert, was gut zum Predigttext passt

3. Lied: 241,1.5.7.8 oder 133,1-4

Predigt

4. Lied: 328,2-5 oder 133,5-7

Abkündigungen

5. Lied: 268

Gebet, Vaterunser

6. Lied: 14,6

Segen

 


[1] Peter Rühmkorf, Vom Einzelnen ins Tausendste, in: ders., Einmalig wie wir alle, Reinbek 1989, S.68f.

Perikope
16.05.2016
12,4-11

Heiligen Geist antrainieren? - Predigt zu 1.Korinther 12,4-11 von Thomas Volk

Heiligen Geist antrainieren? - Predigt zu 1.Korinther 12,4-11 von Thomas Volk
12,4-11

Heiligen Geist antrainieren?

Liebe Gemeinde,

auf das Konzert der Band mit dem besonderen Namen MoZuluArt sind viele gespannt gewesen. Bei der Programmankündigung „Zulu-Music meets Mozart“ habe auch ich mich gefragt: „Wie lassen sich traditionelle Zulu-Klänge mit klassischer Musik, vor allem mit Mozart-Kompositionen, verschmelzen? Wie wird es sich anhören, wenn Sänger aus Südafrika mit einem klassischen Wiener Ensemble musizieren?“

Dann war der Abend da. Das Konzert in der Kirche fast ausverkauft. Am Anfang gespanntes Staunen, wie drei Sänger aus Simbabwe zu klassischer Musik aus Wien mit Violine, Cello und Klavier traditionelle Kompositionen singen und zu einer Einheit werden, die beeindruckt. Als dann einer der drei Sänger nach einer halben Stunde seine Trommel auspackt und den Takt schlägt, sitzt niemand mehr ruhig auf dem Platz. Hände klatschen und schnipsen. Schultern bewegen sich hin und her. Viele möchten am liebsten aufstehen und zu den Klängen tanzen. Aber wer traut sich als Erstes? In einer evangelischen Kirche? In einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt?

Alle bleiben sitzen. Am Ende des Konzerts bedankt sich einer der Sänger für den langen Applaus und fragt in das Publikum hinein: „Wie könnt ihr bei dieser Musik sitzen bleiben? Wir Afrikaner könnten das nicht!“ Darauf ruft einer aus der Zuschauermenge heraus: „Das Sitzenbleiben? Das haben wir über Jahre hinweg eisern trainiert!“

Alle müssen herzhaft lachen. Der Sänger äußert charmant seinen Wunsch, dass er sich sehr freuen würde, wenn das Publikum zum letzten Lied doch aufstehen könnte. Niemand lässt sich das zweimal sagen. Alle tanzen zur Musik und lassen die letzten Lieder zu einem ganz besonderen Moment werden. Diese Musik bringt einfach in Bewegung und es ist großartig.

Das ist eigentlich eine Geschichte zum heutigen Fest. Ganz egal ob wir uns das vorstellen könnten, bei einem Konzert in einer Kirche aufzustehen und uns schwungvoll zu bewegen: Pfingsten will uns auf alle Fälle beweglich machen. An Pfingsten soll auch so manches gelöst werden, was wir uns im Laufe des Jahres oder der Jahrzehnte antrainiert haben, was uns ganz starr und unbeweglich gemacht hat.

Vielleicht ist jemand ganz unbeweglich geworden, weil er nicht über seinen Schatten springen kann.

Das Schielen auf jeden Cent, den man zu viel ausgeben könnte. Das Knausern, obwohl man sich so manches leisten oder anderen gegenüber großzügig geben könnte.

Das viele Saubermachen im Haus, obwohl Bewegung draußen viel besser für den Rücken wäre.

Es allen recht zu machen und nicht „Nein!“ sagen können oder wollen, weil man nicht anecken will und damit jedem Streit aus dem Weg geht, um am Ende gar nicht mehr „man selbst“ zu sein.

Dabei raubt gerade dieses sich ständige Anpassen und Verbiegen alle Lebendigkeit. Wie vieles ist antrainiert, ist uns anerzogen worden und irgendwann kommt man einfach aus seiner fest gewordenen Haut nicht mehr heraus.

Bei manchen ist auch im Glauben vieles starr geworden. Manche spüren gar nicht, dass die Gebete und die Besuche im Gottesdienste einfach keinen Halt mehr geben.

Und wie ist es in der Kirchengemeinde?

Warum kommen zu unseren Gruppen und Kreisen immer weniger Menschen? Weil alle zu Hause vor dem Computer sitzen? Oder sollten wir uns vielleicht mal andere Themen überlegen, andere Musik auswählen oder vielleicht mitreißende Referentinnen und Referenten von außerhalb einladen?

Gottesdienste müssen nicht immer nach dem gleichen Muster mit den immer gleichen Worten abgespult werden. Wir dürfen nach Formen und Inhalten suchen, die uns berühren? Auch die Gottesdienstzeit kann hinterfragt werden. Es muss nicht immer der Sonntagmorgen sein. Man darf auch ruhig mal eine andere Uhrzeit ausprobieren.

Pfingsten ist das Fest, das die Menschen schon damals in Bewegung gebracht und aus aller Erstarrung befreit hat.

Lukas schreibt von einem gewaltigen Wind, der alles durcheinanderwirbelt. Von Feuerzungen, die sich auf jeden der Jüngerinnen und Jünger verteilen, ohne dass jemand verletzt wird. Wie Fenster und Türen aufgerissen werden. Wie die Menschen aufstehen, hinauseilen, und - das ist das größte Pfingstwunder - wie sie andere Menschen bewegen, wie sich am Ende sogar Fremde verstehen.

Deshalb feiern wir jedes Jahr Pfingsten, weil dieses Fest uns erinnert: „Gott möchte dich bewegen. Festgefahrenes soll sich lösen. Durch seinen Geist. Damit du bei anderen etwas lösen kannst.“

Als der Apostel Paulus den heutigen Briefabschnitt geschrieben hat, kann er schon auf manches zurückblicken, was dieses erste Pfingstfest ausgelöst hat. Viele Menschen haben sich damals in Jerusalem taufen lassen. Auch an vielen anderen Orten sind kleine christliche Gemeinden entstanden. Immer mehr Christen wollen ihr Leben miteinander teilen. Sie feiern gemeinsam Gottesdienst. Sie unterstützen sich. Sie beten miteinander (vgl. Apostelgeschichte 2,42).

Pfingsten wird deshalb auch der Geburtstag der Kirche genannt, weil an diesem ersten Pfingstfest in Jerusalem - so schreibt es die Bibel - Menschen in Bewegung kommen. Und mit ihren jeweils besonderen Fähigkeiten, die Gott jeder und jedem einzelnen mitgegeben hat, werden sie Teil eines großen Ganzen.

So schreibt Paulus an die Korinther:

„Es sind verschiedene Gaben;
aber es ist „ein“ Geist.

Es sind verschiedene Ämter;
aber es ist „ein“ Herr.

Und es sind verschiedene Kräfte;
aber es ist „ein“ Gott, der da wirkt alles in allen“ (V.4-6)

Auch deshalb brauchen wir Pfingsten, brauchen wir Heiligen Geist, brauchen wir neue Bewegung in unserem Leben, damit uns die Augen geöffnet werden: „Siehst du nicht, was Gott dir mitgegeben hat? Was dich einzigartig macht? Und was dich, nur dich, auszeichnet? Weißt du eigentlich, zu was du imstande bist, wenn du dich bewegen lässt?“

Natürlich sind wir immer auch darauf geeicht, das andere zu sehen: Das, was uns fehlt. Was wir nicht können. Und bei den anderen merken wir sehr schnell: Die können das besser. Die sind erfahrener. Die sind jünger. Die sehen besser aus. Die sind einfach schlagfertiger.

Schon für die Korinther damals sind solche Äußerlichkeiten wichtig gewesen.

Sie haben auf wortgewaltige Redner in ihrer Gemeinde geschaut, die alleine mit ihrer äußeren Erscheinung imposant gewirkt und somit den Eindruck erweckt haben, als ob sie vom christlichen Glauben eine ganze Menge verstanden hätten, jedenfalls mehr als viele andere.

Es hat Stress gegeben, weil es deshalb Grüppchen gegeben hat, die aufgrund von solchen Äußerlichkeiten sich haben beeindrucken lassen. Keine Frage, dass man solchen Persönlichkeiten mehr abnimmt und mehr glaubt.

Und es hat solche gegeben, die über außerordentliche Gaben verfügt haben. Paulus führt einige davon auf: Der eine kann gute Ratschläge geben, die jemandem wirklich weiterhelfen (V.8a). Eine andere kann eine besondere Einsicht vermitteln, mit dem jemand etwas Entscheidendes aufgeht (V.8b). Jemand wird im Glauben gestärkt und weiß sich Gott ganz eng verbunden(V.9a) und wieder jemand anderes hat die Fähigkeit, Kranke zu heilen (V.9b). Schließlich gibt es die besondere Fähigkeit, Wunder zu tun (V.10a) und wieder jemand anderes kann prophetische Worte empfangen, die wie eine Ansage Gottes zu Missständen in der Zeit klingen (V.10b).

Der Abschnitt des Apostels Paulus aus dem 1.Korintherbrief klingt, als müsste eine Kirchengemeinde heute eine Zukunfts-Visionär-Behörde, Therapiestation, Reha-Zentrum und ein Ärztehaus in einem sein.

Und wer bei dieser Auflistung auf die eigene Kirchengemeinde blickt, wird sofort feststellen, dass es bei uns diese außergewöhnlichen Gaben nicht gibt, jedenfalls nicht in dieser vollständigen Aufzählung.

Und wer im zweiten Moment dann auf die Nachbargemeinde schaut, wird vielleicht sehen: Bei denen ist der Bus beim Seniorenausflug immer voll. Die schaffen es immer, einen Jugendgottesdienst auf die Beine zu stellen. Und dann ist die Verkrampfung schnell da. Alles wird unbeweglich, weil man neidisch wird und der Heilige Geist keine Chance mehr hat zu wirken. Dabei haben alle Gemeinden ein eigenes Profil und es bringt gar nichts, sie zu vergleichen.

Neid ist an Pfingsten völlig fehl am Platz. Weder das Schielen auf andere Menschen, die es besser erwischt haben noch auf andere Kirchengemeinden, in denen scheinbar alles besser und harmonischer abläuft.

Pfingsten ist das wunderbare Fest, das uns verhelfen will, dass wir unseren Wert neu entdecken können. Dazu will der Gottes Geist uns die Augen neu öffnen. Damit wir uns von Äußerlichkeiten nicht blenden lassen und vor allem nicht immer nur vergleichen. Etwa unsere Lebensgeschichte mit denen von anderen messen. Auflisten, wie andere doch bessere Startbedingungen damals gehabt haben. Bejammern, dass die besten Jahre schon hinter uns liegen. Oder auf die Kirchengemeinden schauen, die mehr Geld haben oder von denen öfters Bilder in der Zeitung sind.

Ob man Heiligen Geist antrainieren kann? Nein, denn er weht, wo er will. Aber Pfingsten kann wieder die Verhältnisse zurechtrücken: „Gott hat mir viel mitgegeben. Auf mich kommt es an. Ich werde gebraucht. Ich habe einen Wert.“

Mit diesem Blick können wir auch auf unsere Kirchengemeinde schauen und wir werden entdecken: Überall gibt es Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen, über deren Vielfalt wir nur staunen können:

Menschen, die andere besuchen.
Die den Schaukasten Woche für Woche liebevoll bestücken.
Die anderen eine Tafel zubereiten.
Die zuhören können.
Die Kranke besuchen.
Die Flüchtlingsfamilien Deutschunterricht geben.
Die das Abendmahl im Gottesdienst liebevoll austeilen.
Die sich um bauliche Angelegenheiten kümmern.

Für mich bedeutet gilt das Bild von den vielen Gaben und dem einen Geist, dass es im dritten Jahrtausend nicht mehr nur darum gehen kann, nur auf die eigene Gemeinde zu schauen. Es tut gut, über den eigenen Tellerrand zu sehen, in die Region oder in einen Stadtteil. Wir können anfangen zu überlegen, wo jede einzelne Gemeinde ihren Schwerpunkt setzen kann, die anderen dazu einlädt oder wie wir auch gemeinsam Aufgaben schultern können.

Ganz egal, ob wir beim nächsten schwungvollen Konzert, das wir erleben, aufstehen oder erst dann mitmachen, wenn alle schon stehen - Gottes guter Geist weht nicht nur an zwei Pfingsttagen. Er weht das ganze Leben lang. Und will uns bewegen, damit wir andere bewegen können.

Und die Weite Gottes, die umfassender und höher und um-fangreicher ist als alles was uns in seinen Bann ziehen will, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Perikope
16.05.2016
12,4-11

Im Magnetfeld des Geistes: Unterscheiden lernen und weise werden - Predigt zu 1.Korinther 12,4–11 von Ulrich Kappes

Im Magnetfeld des Geistes: Unterscheiden lernen und weise werden - Predigt zu 1.Korinther 12,4–11 von Ulrich Kappes
12,4-11

Im Magnetfeld des Geistes: Unterscheiden lernen und weise werden

„Verschiedene Gaben – ein Geist.
Verschiedene Ämter – ein Herr.
Verschiedene Kräfte – ein Gott.“
Paulus spricht vom Geist Gottes so, als würde er die spätere Lehre der Kirche vorwegnehmen. Gott- Vater, Christus – der Herr und von ihnen geht der „Geist“ aus. „Ein Geist, ein Herr, ein Gott.“
Wir können uns die Wirklichkeit des Geistes im Bild von Magnet und Magnetfeld veranschaulichen. Ein Magnetfeld geht von einem Stern aus. Das All ist von Magnetfeldern durchzogen. Die Sonne, die Erde, den Mond umgeben Magnetfelder. Die Magnetfelder sind konstitutiv dafür, dass das All so ist, wie es ist.
Das Magnetfeld ist unsichtbar, aber vorhanden. Jeder Kompass beweist das. Die Kompassnadel wird vom Magnetfeld des Nordpols angezogen und in eine bestimmte Richtung gelenkt, auch wenn das alles unsichtbar geschieht.

Paulus spricht davon, dass der Geist mit seinem Kraftfeld das Leben einer Gemeinde prägt. Er ist es, der die eine und den einen zu etwas Besonderem macht. Wo menschliches Empfinden nur menschliches Handeln wahrnimmt, ist es in Wahrheit der Geist, der das bewirkt. Eine kühne These. Können wir das nachsprechen?

Ein grundlegendes Problem des Magnetfeldes ist seine Störanfälligkeit. Der Kompass von einst wird darum heute nur noch selten als Navigationsgerät verwandt. Man kann oft gar nicht sagen, woher die Störung des Magnetfeldes kommt. Sie ist unvermittelt da.
Das „Magnetfeld“ Gottes, die Gegenwart seiner Nähe im Geist, das Empfinden, im Gebet oder im Glauben gestärkt zu werden, ist nicht Tag für Tag in gleicher Weise erfahrbar. Das Kraftfeld des Geistes, in das wir eintauchen möchten, ist oft genug verschlossen. Zum Glauben gehört die bittere Erfahrung, nichts von Gott zu spüren und einfach nur dieselbe / derselbe zu sein und zu bleiben.

Demgegenüber wirkt die Schilderung der Gemeinde in Korinth wie der Bericht aus einer anderen Welt. Es ist so wie mit Pompeji, der antiken Stadt in Süditalien. Sie wurde im 2.Jahrhundert vom Vesuv verschüttet und systematisch erst im 19. Jahrhundert ausgegraben. Unter der Ascheschicht kam das blühende Leben der Mittelmeermetropole zum Vorschein, ihre Lebensfreude und Farbpracht. Wandmalereien, Geschäftsanzeigen, Handwerkerarbeiten wurden sichtbar. Man konnte sich die Farbenpracht und Buntheit dieser Stadt in dieser Lebendigkeit gar nicht vorstellen.

In dem Text, den wir hörten, ist über die Zeiten ein ungemein lebendiges, in seiner Vielfalt farbenprächtiges Gemeindeleben für die Nachwelt festgehalten. Es ist so, wie es der Oldenburger Bischof Stählin einst in Auslegung des Textes einmal sagte: „Das Ganze zeigt das Leben der Gemeinde noch so sehr in einem ‚feuerflüssigen’, noch nicht ausgeglühten und verfestigten Zustand, dass es unsinnig wäre, daraus eine Regel abzuleiten.“I1I Was in anderen Briefen des Paulus erkennbar ist und in seiner Struktur bis heute im Großen und Ganzen gleich geblieben ist, nämlich ein Gegenüber von Predigtamt und Gemeinde, fehlt.
Was war das für eine geistbewegte Gemeinde: „Dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden, dem anderen wird gegeben von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist, einem anderen der Glaube, in demselben Geist.“

Wie wohl wir mit einer solchen Gemeindeverfassung unsere Schwierigkeiten haben und natürlich das Rad einer zweitausendjährigen Kirchengeschichte nicht auf korinthisches Niveau zurückdrehen können, enthält der Bericht einige unverzichtbare Aussagen über Kirche und Glauben.

Grundlegend ist, die Besonderheit dieses Textes zu sehen.
Die neun verschiedenen Geistesgaben, die uns in den Versen 8–10 genannt werden I2I, stehen nicht für „natürliche“ Begabungen. Sie sind nicht vergleichbar mit Musikalität oder zeichnerischem Talent oder Redegewandtheit, wie wir sie in unterschiedlicher Weise als natürliche Veranlagungen besitzen. Die Gemeinde wird nicht mit einem Organismus verglichen, der sich aus gegensätzlichen Teilen zusammen setzt, die sich wunderbar ergänzen. so geht es hier, z. B. im Unterschied zum 12. Kapitel des Römerbriefes, nicht um die Frage der gegenseitigen Unterstützung durch unterschiedliche Begabungen. Festzuhalten ist, dass Paulus  nicht von unterschiedlichen Begabungen, sondern unterschiedlichen Eingebungen spricht. Das ist der Punkt, den es festzuhalten gilt und der Schlüssel zu diesem Text.

Die chaotisch wirkende Gemeinde im einstigen Korinth lebte mit allen Fasern das Priestertum aller Gläubigen, nach der jede und jeder zur Priesterin und zum Priester bestimmt ist. Ort dafür war die Versammlung der Gemeinde. Weil der Geist „jedem“ seine besondere Erkenntnis und Einsicht in den Glauben schenkte, ihm eingab, kann und soll jeder diese frank und frei äußern. So entsteht eine geistgewirkte, bunte und interessante Gemeinde.

Die erste, alles andere als beiläufige, unbequeme Frage, die der Text an uns stellt, lautet darum: „Was hat mir Gottes Geist gegeben, das „zum Nutzen aller dient“? Was habe ich erhalten, das ich zur Stärkung der Gemeinde beitragen kann? Wie weit auch die Wirklichkeit unserer Gemeinden von dem korinthischen Ideal entfernt ist, dringt er tief in uns ein. „Jeder hat eine Geistesgabe. Auch ich. Bringe ich sie in die Gemeinde ein?

Versuchen wir, der Spur der skizzierten Geistesgaben zu folgen, so möchte ich zwei heraus heben.
Einmal spricht Paulus von der „Gabe, die Geister zu unterscheiden“.
Das war angesichts der überquellenden Meinungsäußerungen in den Versammlungen eine Grundvoraussetzung, nicht in einer Flut von Darlegungen und Argumenten unterzugehen. Sie betraf, was an Worten der Schrift zitiert wurde ebenso wie deren Auslegung oder die angeführten praktischen Fälle als Veranschaulichung. Es galt in Korinth und es gilt für uns, „die Geister zu unterscheiden“. Das ist unvermeidlich subjektiv, aber gerade darum bereichernd.
Ich kann, um es kurz zu erläutern, im Rahmen der Unterscheidung der Geister in der Gemeinde erzählen, welche Worte der Schrift mir besonders wichtig sind. Es ist denkbar, dass ich über meine Vorbilder berichte, die mir Lehrer im Glauben geworden sind. Möglich ist es auch, über den Umgang mit der Zeit, wie Schriftlesung und Gebet ihren Platz im Alltag haben, zu reden.
Die „Gabe der Unterscheidung der Geister“ bedeutet, zu sagen, dass ich in diesem Wort, in diesem Menschen, in dieser Verhaltensform eine Lebenshilfe gefunden habe. Ich verleihe sozusagen manchem Schriftwort und  manchem Christen eine Art Adelstitel, der besagt, dass ich sie als Gott in mein Leben gesandt ansehe und darum hoch und heilig halte.

Zum anderen:
Paulus spricht gleich zu Beginn, und wohl nicht ohne Absicht gleich zu Beginn, davon, dass „durch den Geist Weisheitsrede gegeben“I3I wird. Das ist die erste der von ihm aufgeführten Geistesgaben.
„Weisheitsrede“ ist etwas anderes als eine bloß kluge Rede. Spricht ein Mensch zu uns „weise Worte“, sind das mehr als nur kluge Worte.
„Weisheit“ im biblischen Sinn zeichnet sich als eine Verschmelzung verschiedener Elemente aus. Wer „weise“ redet, beachtet die Verfassung des Menschen, zu dem er spricht. Mit einem niedergeschlagenen Menschen redet „der Weise“ anders als mit einem selbstbewussten und starken Menschen. Der „Weise“ bedenkt die gegenwärtige Situation und richtet sich nach ihr mit seinen Worten und Taten. „Weise“ zu sprechen, heißt zu wissen, dass es heute dieses und morgen jenes Standpunktes bedarf, dass das Leben nicht steht, sondern fließt.
Der Weise  belehrt und bereichert, aber sein Standpunkt und seine Belehrung sind nicht Selbstdarstellung. Keines seiner Worte dient erkennbar oder verborgen seinem Ruhm. Der „Weis“ spricht in dem Wissen, ein „Weiser“ zu sein, weil er weiß, wie wenig der Mensch ausrichten kann. So selbstbewusst er spricht, so klein weiß er sich. Die Weisheit, die er kennt, ist nur ein Bruchteil der Weisheit der Menschheit, erst recht Gottes.

Als der byzantinische Kaiser Justinian im Jahr 532 einen Aufstand, den Senatoren gegen ihn angezettelt hatten, niedergeschlagen hatte, ließ er in Konstantinopel eine Kirche bauen, die den Namen „Heilige Weisheit“, Hagia Sophia, trägt. Er beauftragte dazu die Architekten Athenemius von Tralles und Isidor von Milet. Beide waren vor allem Meister in der Mathematik.
Vorgegeben war, so gut es mit Mitteln der Baukunst möglich war, das Wesen der Weisheit abzubilden. Justinian wollte „einen Bau errichten, der seit den Zeiten Adams nicht seinesgleichen hatte und niemals haben wird“I4I
Die Hagia Sophia wird auf den ersten Blick von einer großen Kuppel dominiert, die von vier Säulen getragen wird. Diese Säulen vereinen sich ihrerseits so mit den Wänden, dass sie nicht als Säulen wahr genommen werden. So entsteht der Eindruck als würde die Kuppel an goldenen Ketten aufgehängt sein und über dem Gottesdienstraum schweben. Der Raum wird auf diese Weise optisch stark vergrößert.
Die meiste Last der zentralen Kuppel wird aber von zwei Halbkuppeln, im Altarbereich und Eingangsbereich getragen. Sie geben die Achse vor. Trotz dieses Zentralbaucharakters hat die Kirche eine klare Ausrichtung auf Kreuz und Altar.
Die Wände der Hagia Sophia bestehen aus Marmor und Mosaik. Hier herrscht Gold vor, weil Gold das hellste Metall ist und Licht auf die Wandgemälde aus Mosaik wirft. Das Goldmosaik gibt der Kirche nahezu stündlich ein anderes, flimmerndes Aussehen.
Diese Wände der heutigen Moschee sind verhängt.

„Durch den Geist wird euch Weisheit gegeben, sagt Paulus. Der „Geist“ ist nicht stetig erfahrbar. Er ist nicht abrufbar. Er ist wie im Mosaik der Hagia Sophia sehr wandelbar.
Weisheit ist als Gabe des Geistes nicht verfügbar.

Das Wesen der „Weisheit“ erklärt die Kuppel der Hagia Sophia. ‚Bedenke, dass du die Hagia Sophia von deinem Standpunkt aus erklärst, definierst und beschreibst. Neben deiner Sicht haben aber unter dem Himmelsgewölbe viele andere ihren Platz. So sei bescheiden.

Biblische Weisheit ist anders als menschliche Weisheit wie die Hagia Sophia auf Christus ausgerichtet. Sie sucht das Magnetfeld des Christus und damit das Magnetfeld der Liebe.
Der wesentliche Unterschied zur Klugheit ist bei der Weisheit, dass sie nie ohne die Liebe ist.
Liebe aber wird in der Ausrichtung auf Christus und das Neue Testament erworben.

„Durch den Geist Weisheitsrede“ zu erhalten, ist, wie die Hagia Sophia zu betreten, sich von ihrer Architektur überwältigen zu lassen und dann innerlich gewandelt nach draußen zurück zu kehren.
Der Geist führt uns weg von der Klugheit zur Weisheit, von einem Leben fern von der Gemeinde für die Gemeinde. Er macht uns mutig, zu bekennen: Hier und hier und hier habe ich den Geist erfahren und halte fest, was er mir offenbart hat und gebe es weiter.
                                                                                  
ANMERKUNGEN
I1I Wilhelm Stählin, Predigthilfen II. Episteln, Kassel 1959, S. 176.
I2I Wolfgang Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 3. Teilband, Zürich, Düsseldorf, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 147.
I3I Übersetzung Schrage, a. a. O., S. 135.
I4I Christa Schug-Wille, Byzanz und seine Welt, München o. J., S. 111.
 

Perikope
16.05.2016
12,4-11

Predigt zu 1. Korinther 12,4-11 von Jasper Burmester

Predigt zu 1. Korinther 12,4-11 von Jasper Burmester
12,4-11

(Pfingstmontag findet in unseren Gemeinden traditionell einer von jährlich 4 ökumenischen Gottesdiensten zusammen mit der röm.-kath. Nachbargemeinde statt.)

Liebe Schwestern und Brüder aus der Ökumene, liebe pfingstliche Gemeinde,

Pfingsten gilt als das Geburtstagsfest der Kirche, als das vom göttlichen Geist inspirierte Startsignal für die Verbreitung des Evangeliums unter den Menschen. Aber was gibt es da zu feiern, könnten Sie fragen, ist die Kirche, sind die Kirchen nicht in unserer Gesellschaft gerade auf dem absteigenden Ast? Immer weniger groß ist der Anteil katholischer und evangelischer Christinnen und Christen an der Bevölkerung, auch hier im gut bürgerlichen Volksdorf. Immer schwieriger ist es, die Vielzahl an kirchlichen Bauten zu erhalten und zu unterhalten. Und Menschen zu gewinnen, die sich langfristig ehrenamtlich ein- und anbinden an unsere Gemeinden, das wird auch nicht leichter. Gut, wir könnten jetzt einfach mal zusammen ordentlich jammern und klagen.

Muss aber nicht sein – wenn wir uns vergegenwärtigen, welch reiche Fülle an Leben trotzdem in unseren Gemeinden blüht. Unser Gemeindebrief, der Pfarrbrief, das Internet offenbaren das viele, das immer noch und manchmal auch neu bei uns möglich ist.

Welche Fülle steckt dahinter: Welche Fülle von Ideen, von Phantasie, Fleiß, Lust am Tun. Wie viele Frauen und Männer sind nötig, damit alles dieses zu Stande kommen kann, was unsere Gemeinden, die katholische wie die evangelische den Volksdorferinnen und Volksdorfern anbieten! Wenn ich nur an unsere Gemeinden denke: Dann sind hier so viele verschiedene Begabungen und Fähigkeiten zusammen, dass man nur staunen kann. Diese Gemeinden sind keine „Priester-“ „Pastoren“ oder „Pastorinnen“ – Kirche, sondern: Kirche von vielen für viele. Da sind Menschen mit praktischem Verstand und geschickten Händen, ohne die wir kein Gemeindefest und keinen Seniorennachmittag zustande brächten. Da sind Menschen, die zuhören können und begleiten, die alte Menschen besuchen und ihnen Nähe vermitteln. Da sind Menschen, die gut mit Kindern umgehen können und die Gabe haben, ihnen im Spiel Wesentliches zu vermitteln. Da sind Menschen, die singen und musizieren und die Kirchenmusik blühen lassen. Da sind darüber hinaus viele Menschen im Stadtteil, die zwar nicht oder nicht mehr unseren Gemeinden angehören, und die trotzdem als Bündnispartnerinnen und Bündnispartner sich einsetzen für Flüchtlinge, für die Umwelzt, für Kulturfragen. Und da sind Menschen, die mit großer Selbstverständlichkeit und Selbstständigkeit Aufgaben übernehmen, für die ausgebildete und hauptamtliche Menschen aus den verschiedensten Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen – dem Priestermangel in der katholischen wird in den nächsten Jahren ein Pastorinnenmangel in der evangelischen Kirche folgen. Was für ein Reichtum, immer noch! 

Was aber ist es, das diese verschiedenen Begabungen dieser verschiedenen Menschen zusammenhält? Was hat die Begabung, die Verteilung des Gemeindebriefes zu organisieren mit der Begabung des geschickten Umgangs mit Blumen zu tun? Was die Gabe des Gesangs mit der Gabe des seelsorgerlichen Zuhörens? Was das Kuchenbacken für´s Gemeindefest mit dem Ausarbeiten eines Vortrags für den Seniorenkreis? Was haben diese Gaben und ihre Trägerinnen und Träger miteinander zu tun, was verbindet sie und: sind sie alle gleichwertig  und gleich wichtig? Und welche Stärken können unsere historisch getrennten und theologisch bis heute verschiedenen Kirchen, das katholische und das evangelische Glauben miteinander für die Menschen in dieser immer weltlicheren Stadt einbringen? Wenn wir unsere Gemeinden einmal so zu betrachten beginnen, dann sind wir genau bei der Frage, um die es im Predigttext für diesen Pfingstmontag geht. Paulus schrieb einst an seine geliebte und zugleich problematische Gemeinde in Korinth:

Es gibt verschiedene Gnadengaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Dienste; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist; einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen. Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.

So sehr sich möglicherweise die Gaben, die in der korinthischen Gemeinde vorhanden waren von denen unterscheiden, die bei uns in Volksdorf vorhanden sind und aktiv werden, so sehr bleibt doch das gültig - und heilsam zu hören und zu beherzigen, was Paulus über die Vielfalt der Gaben, ihre Wichtigkeit und Bewertung zu sagen hat. Schon in dem Wort, das er für die Gaben der Menschen verwendet, steckt eine wichtige Botschaft. Er nennt sie „Charismata“, Gnadengaben. Die ganz persönlichen Fähigkeiten, die jeder und jede von uns mitbringt, sind nicht unsere Leistung, unser Können, unsere Kraft, sondern zu aller erst Geschenk, Gnade: Unverfügbar, nicht einklagbar. Sie werden uns geschenkt von Gottes Geist und zwar so "wie er will". Dagegen könnte sich Widerspruch regen: Wieso, ich habe doch dieses oder jenes gelernt, Zeit und Grips investiert, um diese Fähigkeit zu entwickeln... Dennoch bleibe ich mit Paulus dabei: Es sind uns geschenkte Gaben in uns am Werk, und Gnade ist die Chance, diese weiterzuentwickeln und reifen zu lassen. Natürlich investieren wir Zeit und Kraft und auch Geld da hinein. Aber es bleiben geschenkte, unverfügbare Gaben des Geistes. Wenn wir das so für uns und für die Menschen um uns herum akzeptieren können, dann bleibt das nicht folgenlos für unseren Umgang mit uns selbst und anderen: Ich habe bestimmte Gaben und Fähigkeiten, andere Gaben und Fähigkeiten sind mir nicht gegeben und gerade darin bin ich anders als andere und andere sind anders als ich. Ich kann mich freuen an dem, was mir geschenkt wurde und kann aufhören, mich ständig an anderen zu messen und mich immer mit ihnen zu vergleichen oder gar neidisch zu sein. Ich kann frei werden davon, mir und anderen stets Zeugnisse ausstellen zu müssen und frei werden dazu, die Gaben der anderen wahrzunehmen als das was sie sind: Als Geschenk, das ihnen und mir gleichermaßen gilt. Eine solche Haltung könnte aus einer Gemeinde, die über einen solchen Reichtum an Begabungen verfügt mehr machen als eine Gemeinschaft von Konkurrenten: Eine Gemeinschaft der vom Geist Gottes Beschenkten, jenem Geist, von dem Paulus sagt: Er wirkt Alles in Allen.

Doch diese Gabe - Fähigkeiten und Begabungen sind kein Selbstzweck: „In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller“. Hier sagt Paulus deutlich, wann wir aus dem Geist Gottes handeln und wann nicht. Aus dem Geist Gottes handeln heißt, die eigenen Fähigkeiten nicht zu Selbstbestätigung, zur geistlichen Kraftmeierei zu benutzen auf Kosten anderer, sondern zum Nutzen aller. Alles Geistesgaben können zur persönlichen Profilierung missbraucht werden. Das galt in Korinth besonders für die sogenannte „Zungenrede“ ein ekstatisches Reden in unverständlichen Lauten, das erst der Auslegung bedurfte, um für andere verständlich zu werden. Das kann aber für jede einzelne Fähigkeit zur Gefahr werden. Auch ein karitativer oder seelsorgerlicher Betreuungseifer kann dazu pervertieren, den solchermaßen Versorgten klein und unmündig zu machen, damit man selber in umso hellerem Licht als unverzichtbarer Helfer dastehe. „Zum Nutzen aller“  - das ist das einzige wichtige Kriterium.

Der Katalog der Gaben, die Paulus im Korintherbrief nennt, ist nicht vollständig und abgeschlossen, wie könnte er es auch sein: Es gibt eine ebensolche Vielfalt an Gaben und Begabungen, wie es Menschen gibt. Das gilt auch für unsere beiden Kirchen und Gemeinden. Würden wir uns doch nur endlich einmal etwas zutrauen, unsere Gaben entdecken und entwickeln zum Nutzen aller: Diese Ökumene, unsere Gemeinden würde noch viel lebendiger leben als sie es ohnehin schon tun. Doch bitte: Keinen Krampf. Keine krampfhafte, verbohrte Suche. Die Gabe des heiligen Geistes kann auch darin bestehen, einmal loszulassen, das Fragen und die Suche nach Antworten Gott zu überlassen, nicht alles selber machen zu müssen.

Darum erzähle ich Ihnen zum Schluss eine kleine Anekdote aus vergangenen Zeiten. Es war einmal ein alter Mann, ein heiliger Mönch. Von dem erzählte man sich, daß er es fertigbrachte, 70 Wochen zu fasten und auch sonst nur einmal in der Woche zu essen. Der fastete, weil er von Gott etwas wissen wollte. Er fastete 70 Wochen, weil er von Gott Auskunft wollte über die Bedeutung eines ganz bestimmten Wortes aus der heiligen Schrift, doch Gott offenbarte ihm den Sinn nicht. Da sprach der alte Mann zu sich selbst: Siehe, ich habe so große Mühen auf mich genommen, und alles war vergebens. Ich werde zu meinem Bruder gehen und ihn fragen. So ging er hinaus und als er die Tür zu seiner Mönchszelle hinter sich verschloss, da trat ein Engel zu ihm und sagte: Die siebzig Wochen des Fastens brachten dich nicht nahe zu Gott. Aber nun, da du dich gedemütigt hast und bereit bist, deinen Bruder aufzusuchen und ihn um Rat zu fragen, bin ich gesandt, dir den Sinn zu offenbaren.

Ich wünsche Ihnen gesegnete Pfingsten. Amen

 

konsultierte Literatur: Predigtstudien verschiedener Jahrgänge

Die Herkunft der Legende? Das weiß ich nicht mehr, irgendwo aufgesammelt.

 

Perikope
16.05.2016
12,4-11