Ein Leben lang lernen - Predigt zum 1.Thessalonicherbrief 4,1-8 von Karl Friedrich Ulrichs

Ein Leben lang lernen - Predigt zum 1.Thessalonicherbrief 4,1-8 von Karl Friedrich Ulrichs
4,1-8

Unser neunjähriger Johann lernt seit drei Jahren Trompete. Ich wünsche mir das, denn ich brauche einen musikalischen Partner zu Hause. Trompete lernen ist eine schwierige Sache. Ich selbst weiß das noch allzu gut.
Da muss zunächst überhaupt ein Ton von den Lippen und aus dem Blech kommen. Das kann der Lehrer vormachen, Johann und alle anderen Trompetenschüler versuchen es selbst, bis aus dem Geräusch ein Ton wird. Und klingen soll der Ton. Dann sollen es verschiedene Töne sein, verschieden hoch, verschieden lang. Da gibt es viele Regeln. Und nicht zu laut soll es sein, sondern kultiviert. Dann kommen die Melodien, Lieder oder andere Werke, die nicht alle in gleicher Manier gespielt werden können. Auch dafür gibt es Vorschriften.
Gut lernt man das alles, wenn man Freude daran hat – schon am ersten vollkommenen Ton, der einen schönen Anfang hat und hinten nicht abgebissen wird.
Freude schon an der ersten kleinen Melodie, perfekt in ihrer Weise.
Freude am ersten Duett. Freude daran, im Ensemble die eigene Stimme alleine richtig gespielt zu haben.
Trompete lernen ist eine schwierige Sache und doch ein Weg von einer Perfektion zur anderen. Am Klang arbeiten wir, bis er genau so ist, wie wir ihn uns vorstellen – dann ist es perfekt.
Am kleinen Stückchen arbeiten wir, bis wir unfallfrei durchkommen – dann ist es perfekt. Oft erleben wir: Wir haben unser Stück schon einmal geschafft und dann geht es beim nächsten Mal doch wieder schief.

Trompete lernen ist eine schwierige Sache und du brauchst dazu jemanden, der dir sagt, wie es klingt. Und der dir zeigt, wie es klingen kann.
Trompete lernen ist eine schwierige Sache und du schaffst es, wenn du dir etwas sagen und zeigen lässt. Bedenke: Der, der dir das sagt und zeigt, sagt und zeigt viel von sich. Die Regeln, die er dir sagt, sind durch ihn hindurchgegangen als seine Weise, mit denen er musizieren kann, mit denen er seinen Klang und seine Melodie vervollkommnet hat und weiter vervollkommnet.

Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus - da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut -, dass ihr darin immer vollkommener werdet. (1.Thess 4,1)

So leben, dass wir Gott gefallen, ist eine schwierige Sache. Paulus schreibt dazu einen Brief an seine „lieben Brüder“ in Thessaloniki. Er schreibt so, dass ich denke: Der wäre auch ein guter Trompetenlehrer: freundlich mit den Thessalonichern. Er motiviert sie.
So leben, dass wir Gott gefallen, ist eine schwierige Sache – und ihr schafft das. Ja, schaut auf das, was euch da gelingt! Gott sieht es gerne, dass du nicht stiehlst. Und du hast bei der letzten Steuererklärung nach kurzem Zögern dann doch alle Honorare angegeben und versteuert. Das ist doch schon etwas!
In den turbulenten Fragen der Liebe doch daran denken, möglichst wenig Menschen möglichst wenig zu verletzen, das ist auch schon etwas. Bei Paulus klingt das so:

Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht  und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.

Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. (1.Thess 4,2-6)

Gott will, dass wir bei ihm bleiben in allem, was wir tun. Sogar in den beiden besonders intimen Angelegenheiten: Geld und Liebe. Gerade da also, wo die Gefahr der Scham und der Beschämung besonders hoch ist. Wir Menschen sollen Gott ohne Scham gegenübertreten, auch wenn sich Adam vor Scham seinerzeit einen Lendenschurz umtat. Und weil wir bei Geld und Liebe einander so oft und so sehr verletzen, müssen diese Verletzungen geklärt werden. Dazu gibt Gott den Richter.
Ein Richter ist, bei Lichte betrachtet, eine erfreuliche Erscheinung. Der Richter steht für die Gerechtigkeit. Und manchmal ist es eben so, dass ich mir mit Recht etwas anhören muss, was nicht recht, nicht rechtens war. In der Gestalt des Richters ist Gott mir nahe, wenn ich mich mit meinen Gedanken und Taten von ihm entfernt habe.

Vor einigen Tagen sprachen wir im Kreis einiger Vikare und Vikarinnen im Predigerseminar über einen biblischen Text, der auch einen Anspruch Gottes auf unser Leben erhob. Die Vikarinnen und Vikare wiesen das für sich zurück. Hier werde ja so getan, als könnte man sich mit guten Werken die Nähe Gottes, das Heil erwerben. Das müsse man mit Luther und seiner Bestreitung von „Werkgerechtigkeit“ doch ablehnen. Denken Sie das auch gerade zu unseren Zeilen von Paulus? So sollen wir leben, dass wir „Gott gefallen“. Ich muss aber nicht Gott gefallen – ich möchte Gott gefallen. So, wie ich meiner Frau gefallen möchte. Und deshalb möchte ich sie (und ihn) nicht enttäuschen oder ärgern oder ignorieren oder hintergehen – möglichst. Sie ist nicht meine Frau geworden, weil ich sie nicht missachte. Umgekehrt ist es: Weil sie meine Frau ist, darum achte ich sie – möglichst ausnahmslos. Weil Gott mir nahe ist wie niemand sonst, darum achte ich auf sein Wort.

Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt. (1.Thess 4,7f)

Gott hat uns berufen. Gott denkt sich etwas, wenn er an uns denkt. Gott denkt sich uns: Er kann sich uns vorstellen als Leute, die heilig sind bei ihm. Als Menschen, die ihm verpflichtet sind, ihm wohlgefällig.
Ach Gott, das kann ich mir nun gar nicht vorstellen: ich Gott wohlgefällig. Gott denkt mich als einen Menschen nach seinem Willen. Und dieser Gedanke Gottes ist wirklicher als meine Lebenswirklichkeit, tatsächlicher als meine ernüchternden Erfahrungen mit mir selbst. Ich bin in Wahrheit der, den sich Gott denkt: nicht unrein, sondern heilig. Ich brauche den Gottesgedanken über mich nur nachzuvollziehen und endlich sein, der ich in Gottes Gedanken bin.

Dazu investiert Gott in uns – den heiligen Geist nämlich. Der Heilige Geist sagt uns nichts Neues, sondern erinnert uns daran, was uns gesagt ist (Micha 6,8). Wir wissen, welche Gebote Paulus und die anderen biblischen Akteure uns gegeben haben. Er erinnert uns zugleich daran, was uns da schon geglückt ist und was nicht und was jetzt zu tun und zu lassen ist.

Trompete lernen ist eine schwierige Sache und bist du erst einmal angefangen, hört es nie auf. Du bist nach fünf Jahren nicht fertig damit. Es hört nicht auf, du hörst da immer wieder einen Klang, der anders ist als in deinem Herzen. Du hörst da immer wieder eine Notenreihe, mit der du so nicht zu den anderen passt, zu langsam bist, zu leise, zu sonst etwas. Du bist nach fünfzehn Jahren nicht fertig damit. Es hört nicht auf, du hörst immer wieder das, was nicht perfekt ist, weil du eine Ahnung von dem hast, was perfekt wäre. Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ usw., hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei, hat einmal jemand aufgestellt und angeschlagen.
Glauben lernen ist eine schwierige Sache und bist du erst einmal angefangen, hört es nie auf. Es hört nicht auf, du hörst da immer wieder einen Klang, der anders ist als in deinem Herzen, einen Gedanken, eine Tat anders als in deinem Herzen, anders, als unser Herr und Meister es von uns hören und sehen möchte. Immer wieder und immer noch ist da etwas zu vervollkommnen. Das entmutigt mich nicht. Im Gegenteil: Gottes Gebot ermutigt mich. Gott traut es mir zu, dass ich so lebe, dass ich ihm gefalle. Schöneres und Gültigeres weiß ich über mein Leben nicht zu sagen: Gott zu gefallen. So zu leben, könnte mir gefallen.
Amen.

Perikope

Liebe – und tue, was Du willst - Predigt zum 1.Thessalonicherbrief 4,1-8 von Sven Evers

Liebe – und tue, was Du willst - Predigt zum 1.Thessalonicherbrief 4,1-8 von Sven Evers
4,1-8

Predigttext (1. Thess 4,1-8, Bibel nach Martin Luther):

Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus – da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut –, dass ihr darin immer vollkommener werdet.
Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus.
Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.
Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.
Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt
.

Liebe Gemeinde,

„Das Christentum ist die Summe dessen, was man nicht darf. Moralin, verbohrt, leibfeindlich, spießig“ – haben Sie das schon mal gehört? Ich muss bei der Lektüre dieses Abschnitts aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki zumindest sofort an genau solch eine Charakterisierung des Christentums denken. Und seien wir ehrlich: Oft wird das Christentum in der Tat ja genau so verstanden. Nicht nur in manchen christlichen Splittergruppen, die – so würde ich es jedenfalls sagen – Christsein mit der Einhaltung irgendwelcher moralischen Regeln verwechseln. Sondern auch von denen, die immer mal wieder nach der Kirche rufen, wenn sie angesichts der angeblichen Verrohung und Ausschweifung der Jugend die Besinnung auf angeblich christliche Werte fordern.

Und Paulus gibt ihnen allen auch noch Recht!
Wobei: Tut er das wirklich?
Ich will gar nicht in die Diskussion einsteigen, ob Paulus nun wirklich leib- und sexualfeindlich war, wie viele ihm immer wieder vorwerfen, oder nicht, wie viele Theologen dann immer verteidigend darzulegen versuchen. Ich denke, er hatte in der Tat mit Körperlichkeit und allem, was dazu gehört, so seine Probleme. Aber darum geht es hier gar nicht.
Worum es Paulus geht, schreibt er ganz deutlich: Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung. Punkt. Damit ist eigentlich alles gesagt, zumindest aber das Entscheidende.

Ich versuche einmal, das zu übersetzen:
Lebt so, liebe Gemeindeglieder von Thessaloniki, wie es der Gemeinschaft mit Gott, die doch Euer Leben trägt, angemessen ist.
Stellt Euch nicht einfach der Welt um Euch herum gleich. Lasst Euch nicht vom Zeitgeist treiben oder von dem, was gerade in Mode ist.
Benutzt nicht andere Menschen als Mittel zum Zweck, ganz gleich, ob Eure Frau, Euren Mann oder wen auch immer. Reduziert andere Menschen nicht auf die Frage, welchen Vorteil sie Euch bringen oder wie Ihr sie instrumentalisieren könnt.
Übervorteilt niemanden. Seid nicht immer nur auf Euch selber bedacht, sondern lebt so, wie es der Gemeinschaft mit Christus entspricht.
Lasst Euren Glauben nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, begrenzt auf die Zeit des Gottesdienstes oder wenn Ihr Euch gerade mal besonders spirituell fühlt oder mit Gleichdenkenden unterwegs seid.
Glauben ist mehr als das Fürwahr-Halten irgendwelcher Dinge.
Glauben ist eine Art und Weise zu leben.
Das, liebe Gemeinde in Thessaloniki, das liebe Gemeinde hier und jetzt, soll in Eurem Denken, in Euren Worten und auch in Euren Taten sichtbar werden.

Doch – ich will ehrlich sein: Wie oft lasse ich mich treiben von dem, was „man“ so tut. Wie oft mache ich mit in dem ständigen Kreisen um sich selbst. Ob im Straßenverkehr, bei der Steuererklärung, ob im Meckern über die Fehler anderer, während ich selber natürlich alles – naja, fast alles – richtig mache und alles – naja, fast alles, viel besser könnte als andere und so weiter.
Einfach, weil es so bequem ist zu tun, was alle tun. Weil dann niemand fragt, ich mich nicht rechtfertigen muss, ich nicht erklären muss, was mich in meinem Handeln antreibt. Weil ich nicht auffalle, sondern einfach mitschwimmen kann im Strom der Masse, des „man“.

„Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist“ (Mi 6,8). Das haben wir zu Beginn des Gottesdienstes als Wochenspruch gehört.
Doch: Wie oft versuche ich mich rauszureden?
Da stehe ich in einer konkreten Situation, weiß eigentlich, was genau hier und genau jetzt das richtige zu tun wäre, und sage mir: Ach, darüber muss ich noch einmal nachdenken.
Die Situation ist komplex, ich muss mal genau überlegen, was das Richtige wäre. Dabei weiß ich ganz genau: Dieser Mensch braucht mich jetzt. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Aber natürlich habe ich gerade jetzt keine Zeit, habe so viel Wichtigeres zu tun und verdaddel damit die Zeit, mir einzureden, dass es ja auch ganz legitim und richtig ist, dass ich jetzt doch nicht helfe.
„Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist.“ (Mi 6,8)

Ich merke, dass ich Gefahr laufe, einen anderen Menschen zu instrumentalisieren. Ich rede mit ihm – aber eigentlich rede ich gar nicht mit ihm, sondern überlege, wie ich ihn für meine Sache einspannen kann. Am besten natürlich so, dass er es gar nicht merkt – der Schein soll ja wenigstens gewahr bleiben. Aber er hat ja auch selber Schuld. Kann ja fragen. Jetzt ist er halt einfach mal Mittel zum Zweck.
„Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist.“ (Mi 6,8)

Und eigentlich weiß ich es – aber eben nur eigentlich.
Ich denke, das ist genau das, worum es Paulus geht. Wenn ich mir das vor Augen halte, wenn ich mir bewusst mache, dass ich mich selber verleugne und dass ich Gott verleugne, wenn ich meinen Mitmenschen zum Mittel für meine Zwecke mache, dann habe ich Paulus richtig verstanden. Dann habe ich ihn vielleicht auch besser verstanden als er sich selber versteht. Denn in der Tat wird das, worum es ihm geht, im wahrsten Sinne des Wortes verkehrt, wenn es sich in konkreten Regeln niederschlägt. Vor allem, wenn diese Regeln sich dann verselbständigen gegenüber ihrer Wurzel: Dem Leben in Heiligkeit oder in Gemeinschaft mit Gott, um es weniger pathetisch auszudrücken.

Richtig ist: Missbrauche nicht Deine Mitmenschen als Mittel zum Zweck. Falsch ist: Tue in dieser und jener Situation immer genau dieses oder jenes. Das eine bindet uns zurück an Gott und sein Wort, das in jedem Augenblick neu gesagt, neu gehört, neu konkret werden will.
Das andere gibt uns starre Regeln an die Hand und macht uns über kurz oder lang dogmatisch, wenn nicht gar fundamentalistisch.

Christentum ist eben nicht die Summe dessen, was man nicht darf. Christentum ist nicht eine Ansammlung von moralischen Verhaltensmaßregeln, die wir losgelöst von konkreten Situationen uns und unserer Welt überstülpen.
Christentum ist lebendiger Glaube, der immer wieder und immer wieder neu fragt: Was ist hier und jetzt, was in dieser Situation und diesem Menschen gegenüber das Richtige?
Oder noch handlicher formuliert: Was würde Jesus jetzt tun? Was ist das, was meiner Gemeinschaft mit Gott entspricht? Der Gemeinschaft, aus der heraus ich meine Mitmenschen als Schwestern und Brüder erkenne.

Konkreter geht es nicht.
Keine Regel ohne Ausnahme, keine Regel ohne einen denkenden Menschen, der nicht blind gehorcht, sondern immer wieder fragt: Ist es das, was jetzt passt? Ist diese Regel hier wirklich die richtige Richtschnur oder braucht es vielleicht etwas ganz anderes?
Das nämlich ist der Wille Gottes: unsere Heiligung.
Oder auch: Es ist uns gesagt, was gut ist.
Oder auch, mit den Worten des großen Augustinus: Liebe – und tu, was Du willst.
Und damit hier nicht der Anfang des Satzes überhört wird oder in Vergessenheit gerät (oder auch einfach mal bewusst unterschlagen wird): Liebe Gott und Deinen nächsten wie Dich selbst. Und aus dieser Liebe heraus tue dann, was Du willst. Es wird das richtige sein.
Amen.

Perikope

"Kinder des Lichtes" - Predigt zu 1. Thess. 5,4-6 von Jochen Bohl

"Kinder des Lichtes" - Predigt zu 1. Thess. 5,4-6 von Jochen Bohl
5, 4-6

Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.

(1. Thessalonicher 5, 4-6 )

Liebe Gemeinde,

der 9. November war einer der großen Tage in jenem Herbst der "friedlichen Revolution". In diesem Begriff liegt etwas Staunenswertes. Denn aus Erfahrung verbinden sich mit der Bezeichnung Revolution nicht nur der Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch Gewalttat und Blutvergießen – diese blieben aber aus. Das Friedliche kam von dem Ruf "Keine Gewalt", der kürzest möglichen Zusammenfassung der Bergpredigt Jesu, und es schwang darin etwas mit von dem Glauben, der Berge versetzen kann; aber auch ein beschwörender Unterton angesichts höchst realer und begründeter Ängste. Denn es war ja noch in den ersten Oktobertagen vielfach zu Übergriffen und massiven Gewaltanwendungen der "Bewaffneten Organe" gekommen.

In den Jahren, die dem Herbst '89 vorangingen, wurden die umstürzenden Ereignisse unter dem Dach der Kirche vorbereitet. Die Kirchen waren die einzigen Institutionen in der Gesellschaft der DDR, die sich dem Druck des diktatorischen Staates zu widersetzen und trotz aller Pressionen ihr Eigenleben nach ihrem Selbstverständnis zu gestalten wussten. Die Texte der Ökumenischen Versammlungen in Dresden und Magdeburg zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gewannen eine Tiefenwirkung; sie halfen vielen Christinnen und Christen, in zehrenden Konflikten mit staatlichem Unrecht zu bestehen. In den Monaten dann, die dem Fall der Mauer vorausgingen, in einer Situation, in der das gesellschaftliche Leben erstarrt war, der Machtwille der Partei erschöpft und niemand sonst dem Protest hätte Raum und Stimme geben können, standen die Türen der Kirchen offen, und auch die kleinsten Friedensgebete in den vielen Dorfkirchen entfalteten ihre Wirkung.

Liebe Gemeinde,

…ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. "Kinder des Lichts", was für eine Zuschreibung…große Worte, wie erhebend, sich so angeredet wissen zu dürfen. Nicht etwa Lichtgestalten, die dem irdisch-verworrenen enthoben wären, denen das Schwere von vornherein leicht ist, das nicht. Das Christenleben wird gelebt in dieser Welt, in der Hell und Dunkel ineinander übergehen. Aber doch "Kinder des Tages", wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. Das ist gut zu hören - wenn es nicht Schwärmerei ist, sondern es Gründe gibt, so von Menschen zu reden. Von der Hoffnung der Christenheit spricht Paulus zu der Gemeinde in Thessaloniki, und davon, was sie im Leben bewirkt. Es war die Frühzeit des Glaubens an den Auferstandenen, die Gläubigen hofften auf das Kommen des Gottesreiches und die Frage, wann der Herr wiederkommt, spielte eine große Rolle. Einen Termin gibt es nicht, schreibt ihnen der Apostel – unerwartet, plötzlich wird es sein, man kennt nicht den Tag und nicht die Stunde. Aber sorgen braucht ihr euch deswegen nicht, denn Ihr seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Es ist doch hell um euch, die Sicht ist klar; vertraut dem Herrn, hofft auf Christus!

Für die Zeit, bis er kommt, sagt der Apostel, seid wachsam und nüchtern. Das ist die Haltung der "Kinder des Tages", in der sie den kommenden Tag seiner Herrlichkeit erwarten; sie leben schon hier in seiner Sphäre, die Zeit und Ewigkeit umfasst – sie leben, wozu sie berufen sind!

Ja, "Kinder des Lichts" werden wir genannt und dafür gibt es nur einen Grund: die Hoffnung, zu der wir berufen sind. Nicht etwa besondere Fähigkeiten, die andere nicht hätten, nicht das Privileg auf ein gutes oder gelingendes Leben, das anderen versagt bliebe. Auch nicht politische Einsichten, die anderen verschlossen wären. Sondern die Hoffnung auf den Auferstandenen macht uns zu "Kindern des Tages", und zu Freigesprochenen.

Vor 25 Jahren taten zahlreiche unerschrockene Christenmenschen mutig und mit Gottvertrauen das Gerechte. Sie waren wachsam und nüchtern geblieben, die Hoffnung hatte sie stark gemacht und unter Bedrückung getragen. Es war eine friedliche und auch eine protestantische Revolution, denn zu einem guten Teil wurde sie von evangelischen Christinnen und Christen gemacht. In aller Demut dürfen wir sagen, dass das Jahr 89 eine angefochtene Kirche sah, die doch ihrem Herrn treu geblieben war.

Liebe Gemeinde,

"wachen und nüchtern sein", das ist der ganzen Kirche gesagt, und gilt, bis der Herr kommt. Auch in dieser Zeit der Freiheit, die vor 25 Jahren begann. Das Ende der Geschichte, wie damals manche meinten, war es nicht, auch nicht der Beginn des "Ewigen Friedens", so sind die Menschen nicht. Da sind die furchtbaren Verbrechen des "Islamischen Staates" in Syrien und Irak, der nicht endende Konflikt im Heiligen Land, der nahe Krieg in der Ostukraine, die politische Krise der EU; da ist die Frage, wie wir den Flüchtlingen, die zu uns kommen helfen und mitmenschlich handeln können. Unter den Bedingungen der Globalisierung ist es nicht länger möglich, sich zurückzulehnen und distanziert zuzuschauen, was anderswo geschieht. Schon gar nicht für die Deutschen, die überall präsent sind und Einfluss nehmen noch auf das ferne Leben, wirtschaftlich, kulturell, technologisch. Es gibt keine Nische, in die Deutschland sich zurückziehen könnte, auf dessen Möglichkeiten viele erwartungsvoll sehen. Längst ist unser Wohl und Ergehen untrennbar verknüpft mit dem der anderen in der Einen Welt. Und das ist keine Zumutung, sondern die Perspektive des Glaubens - die Erde ist des Herrn (Psalm 24,1).

Was an uns liegt, die wir als "Kinder des Lichts" angeredet werden - wir hoffen und sehen auf Christus, der uns entgegenkommt. Wachsam und nüchtern sollen wir in der Zeit stehen; also vergessen wir an diesem Tag den November 38 nicht und was ihm folgte, also sehen wir demütig auf unsere Geschichte, weichen ihr nicht aus. Erst die Hoffnung lässt den Blick klar werden für die Gerechtigkeit, die ein Volk erhöht (Sprüche 14,34) – auch das gilt, bis der Herr kommt.

Amen.

Perikope

Predigt zu 1. Thessalonicher 5,1-6 von Matthias Wolfes

Predigt zu 1. Thessalonicher 5,1-6 von Matthias Wolfes
5,1-6

Leben im Licht des kommenden Tages – Predigt zu 1. Thessalonicher 5, 1-6 von Matthias Wolfes

 

„Von den Zeiten aber und Stunden, liebe Brüder, ist nicht not euch zu schreiben; denn ihr selbst wisset gewiß, daß der Tag des HERRN wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Denn sie werden sagen: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen, gleichwie der Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen. Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife. Ihr seid allzumal Kinder des Lichtes und Kinder des Tages; wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasset uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasset uns wachen und nüchtern sein.“ (Jubiläumsbibel 1912)

 

 

Liebe Gemeinde,

 

„wachsam und nüchtern“ – diese Worte begegnen im Neuen Testament als Mahnung an die Christen mehrmals. Dabei wird immer wieder deutlich, daß es sich um eine Maxime handelt, unter der das ganze Leben stehen soll, so kurz der Zeitraum auch sein mag, der bis zum Eintritt des Endes noch vergehen wird. Im 1. Petrusbrief etwa sagt der Verfasser: „Seid wachsam und nüchtern, werdet nicht müde zu beten. Vor allen Dingen aber habt untereinander eine inbrünstige Liebe; denn die Liebe deckt auch der Sünden Menge. Seid gastfrei untereinander ohne Murren. Und dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“ (1. Ptr 4, 8-10).

In unserem Text aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki ist die Erwartung des nahen Endes, des unmittelbar bevorstehenden Anbruches der Neuen Zeit noch deutlicher ausgesprochen. Paulus will gar nicht „von den Zeiten und Stunden“ sprechen; es sei „nicht not“ davon zu schreiben; denn jeder, das heißt: jeder Gläubige, wisse ja, daß „der Tag des HERRN kommen werde wie ein Dieb in der Nacht“. Dies ist das Bild für die Plötzlichkeit, mit der jene Neue Zeit hereinbrechen wird. Es bleibt nichts anderes übrig, als immer und in jedem Augenblick darauf gefaßt zu sein.

 

 

I.

 

Auch die Rede vom „Dieb in der Nacht“ findet sich in den neutestamentlichen Schriften mehrfach. Drastisch wird eingeschärft, worum es geht. So heißt es im 2. Petrusbrief: „Es wird aber des HERRN Tag kommen wie ein Dieb in der Nacht, an welchem die Himmel zergehen werden mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden verbrennen“ (2. Ptr 3, 10). Und ebenso lautet die Mahnung zur Wachsamkeit im Schlußabschnitt des Matthäusevangeliums: „Darum wachet, denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer HERR kommen wird. Das sollt ihr aber wissen: Wenn der Hausvater wüßte, welche Stunde der Dieb kommen wollte, so würde er ja wachen und nicht in sein Haus brechen lassen. Darum seid ihr auch bereit; denn des Menschen Sohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr’s nicht meinet“ (Mt 24, 42-44).

Diese ur- oder frühchristliche Naherwartung hat sich im buchstäblichen Sinne nicht bewahrheitet. Zweitausend Jahre sind seither vergangen, und die Erde besteht noch immer, ebenso wie die Erwartung des Endes der Zeiten, eingeleitet durch die Wiederkunft des erhöhten Herrn. Aber worum handelt es sich denn eigentlich bei dieser vielbesprochenen „Naherwartung“? Was ist der Kern, worin besteht die Haltung, die von dieser Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Endes bestimmt ist?

Es geht eben tatsächlich um eine Haltung. Es geht, wie bei allen Dingen des Glaubens, um eine Einstellung zur Welt und zu sich selbst. Und diese Haltung ist mit dem Leitmotiv „Nüchtern und wachsam sein“ bestimmt. Nicht die zeitliche Dimension ist also das Entscheidende, sondern die Art und Weise, wie der Gläubige sich zu der Welt, in der er steht – und sei es noch so vorläufig –, verhält. Darüber möchte ich sprechen, denn es gibt durchaus einiges, was die Devise „Seid nüchtern und wachsam“ auch für uns wichtig sein läßt.

In den lutherischen Bibelausgaben wird unser Abschnitt mit der Überschrift „Leben im Licht des kommenden Tages“ versehen. Dabei ist nun aber nicht der „kommende Tag“ das, worum sich alles dreht, sondern das „Leben“, das heute stattfindet, jedoch im Vorschein, eben im „Licht“ dieser eintreffenden Zukunft. Es ist ein Leben auf eine Zukunft hin, nicht gefangen in einer jetzigen Gegenwart, auch nicht in einer vergangenen, sondern frei davon und insofern offen, ausgerichtet auf einen offenen Horizont.

So soll, nach diesen frühchristlichen Autoren, das christliche Leben sein. Es soll offen sein und frei, eben weil es auf einen offenen Horizont ausgerichtet ist. Sehen wir aber die Dinge so an, wie sie sind, dann müssen wir etwas anderes feststellen. Freiheit und Offenheit sind es nicht, die uns in die Augen fallen. Sie sind es weder in der Wahrnehmung unserer Mitmenschen und leider auch nicht, wenn wir es nur mit der Gemeinde zu tun haben. Vor allem aber müssen wir uns wohl eingestehen, daß es, was uns selbst betrifft, nicht weit her ist mit der christlichen Freiheit, daß vielmehr eine unselige Gebundenheit das Leben erstickt, daß wir Fixiertheit und Gewöhnung verwechseln mit Lebenssicherheit und daß uns nichts ferner liegt als jene Unvoreingenommenheit gegenüber dem Unkatalogisierten, die das wahre Zeichen von Freiheit ist.

Es gibt zwei Grundtypen der Lebensführung: zum einen den Typus der Aufrichtigkeit und des Bei-sich-selbst-Seins, zum anderen das Leben im Modus des Als-Ob. Mit dem Gegenüber, der Unverträglichkeit, dem Gegensatz beider haben wir es hier zu tun. Die neutestamentliche Mahnung fordert zu der wahrhaftigen und aufrichtigen Lebensweise auf und verwirft die andere. Die kompromißlose Entschiedenheit, aus der heraus die Autoren hier sprechen, ist aber eben auch dem Umstand geschuldet, daß die allermeisten Menschen sich lieber dem „Als-Ob“ verschreiben als jener Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Offenheit.

 

 

II.

 

Was man in einem Leben des Als-Ob nicht gewinnen kann, ist die Übereinstimmung mit sich selbst, das, was wir Identität nennen. Man bleibt ausgeliefert an ein Bild oder eine Mehrzahl von Bildern, die man sich von sich selbst und der Welt macht, in der man lebt. Das eigene Sein ist nichts anderes als eine Funktion dieser Bilder. Das Leben, das man lebt, ereignet sich im Gehäuse der Bildlichkeit. Fragt man sich dann, was man eigentlich tut, angesichts jeder wirklichen Geschichte, so bleibt letztlich nur die Erkenntnis, daß es Entwürfe zu einem Ich sind, aber nicht Ausdrucksformen des Ich, des Selbst-Seins selbst.

Das Leben im Modus des Als-Ob bleibt ein Schwindel. Die Ansprüche, die man an sich erhebt, bleiben uneingelöst. Sie sind nur Fassade, ein gezeichnetes Bild von sich, aber sie entsprechen der Person nicht, die sie erhebt. Was an diesem Modell überzeugt, sind nicht die Leistungen, nicht die Hervorbringungen im Umgang mit den anderen, sondern es ist nur die Rolle, die einer spielt. Es ist ein abgerichtetes Leben, eingezäunt in den Kontext der Entwürfe; für Wahrhaftigkeit aber ist kein Raum.

Ganz anders verhält es sich bei jenem Lebenskonzept, das die neutestamentlichen Autoren, und so auch der Apostel Paulus im 1. Thessalonicherbrief, vertreten. Hier geht es nicht um Selbstverwirklichung in der Auslieferung an ein bildgewordenes, fremdes Modell. Es geht vielmehr um Selbstwerdung und damit um die Identität als solche.

Der Christ, wie er hier vorgestellt wird, macht sich nicht frühere Zielvorgaben zum permanenten Maßstab, deren desillusionierender Wirkung er dann so fatal ausgesetzt wäre. Ihm kann es nicht gleichgültig sein, daß alle Entwürfe und Selbstprojektionen ihren eigenen biographischen Ort haben. Dort gehören sie auch hin, dort haben sie ihre Berechtigung und ihren Wert, aber nicht an die Spitzenstelle der Schreibtafel, auf der der Plan eines Leben formuliert wäre. Solche Pläne, die dann auch Fragen danach einschließen mögen, wo ich in fünf Jahren stehe, welcher „Job“ zu mir paßt oder wie meine Traumpartnerin aussieht, überhaupt auch danach, was „nun noch kommen soll“, werden nicht im voraus entworfen, nicht im Vorhinein des Lebens, sondern sie ergeben dessen Zusammenhang aus und mit ihm selbst.

 

 

III.

 

Man wird seines Glückes nicht teilhaftig, indem man plant, analysiert, berechnet und darin der gängigen Ziel- und Lösungsorientiertheit folgt. Das sagen einem allein schon Intelligenz und Kreativität. Und im übrigen kann man durchaus wissen, daß sich die Frage nach „Glück“ und gar die nach dem „Sinn des Lebens“ überhaupt nur dann beantworten lassen, wenn sie so gestellt werden, daß auch das Leben der anderen im Blick ist.

Alles dies ist es nicht, das den Christen bewegt. Weshalb sollte er nach einem „Sinn“ fragen, der sich doch von selbst ergibt? Solches Fragen ist ja auch immer ein Indiz von Mangelhaftigkeit und Abwesenheit. Man fragt nach dem Grund des eigenen Daseins, weil und sofern man sich seiner nicht sicher ist. Die Fundierung ist fraglich, weil man sich selbst fraglich ist.

Das Selbstbewußtsein eines Christen ist völlig anders gegründet. Es ist ein Bewußtsein, eine Gewißheit des Gegründetseins. Dieses Bewußtsein ist der Glaube selbst. Es ist der Glaube in seinem innersten Kern, in seiner seelischen Tiefe, und alle „positiven“ Formen und Gestalten, der gesamte Bestand an sprachgewordener Gegenständlichkeit, ist überhaupt nur insofern relevant, als er Ausdruck gibt von dieser Tiefe des gläubigen Herzens. Es ist ein freier Glaube, ein Glaube, der Freiheit schafft und selbst auf Freiheit beruht. Auch dogmatische Vorgaben und normative Sätze spielen dabei keine Rolle. Der Glaube als Weg und Wirklichkeit substantieller Freiheit – das ist es, wie im evangelischen Christentum Glaube verstanden und gelebt wird.

Für uns geht es beim Glauben um Selbstvergewisserung, um die Verankerung meines Selbstseins, meiner Identität. Es geht in meinem Glauben um meine Geschichte, meine Tradition und Kultur. Das „praktische“ Ziel für mich selbst und mein Leben ist dabei nicht, ein möglichst ertragreiches, ökonomisch überzeugendes Konzept zu verwirklichen. Wichtiger als die Handlungsvorsätze sind die Handlungen selbst; diese Einsicht ist es vor allem, die arme von reichen Seelen, getäuschte von täuschungsresistenten unterscheidet. Es geht darum, aus einem selbstbewußten Ich heraus den Erfahrungen des Undurchsichtigen und Schwierigen zu trotzen, in Mitmenschlichkeit und Güte standhaft zu bleiben, den Aufgaben und Verantwortungen gerecht zu werden (zum Beispiel als Vater, als Arbeitnehmer oder als Freund) und in all dem eben auch ein Zeugnis zu geben von dem Geist, der mich beseelt. Das ist nach christlichem Verständnis gelingendes Leben, das ist es, was „nüchtern und wachsam sein“ bedeutet.

Die Welt ist nicht so, wie sie uns versprochen wird. Aber, so unweigerlich sich auch die Enttäuschung einstellt, es bleibt, daß es die Möglichkeit eines andern Lebens gibt. Dieses andere Leben findet gleichfalls jetzt und hier statt: Augenblicke erfahrenen Vertrauens, des gelingenden Gesprächs, unbeeinträchtigen Zusammenseins. Momente des Glücks (oder der Gnade) sind es dem Christen auch, wenn sich ihm jemand aus seiner Seele heraus öffnet. In der Begegnung ist er er selbst, in dem Bewußtsein, das Seine mit anderen zu verbinden und darin als der, der er ist, wirklich zu sein. Doch die Voraussetzung oder der Boden, auf dem ihm solche Momente erwachsen, ist nicht die dabei entgegengebrachte Anerkennung als eine ihm vom Anderen gewährte Leistung, sondern eine Erfülltheit aus dem Zusammensein selbst, und darin erst ist es ein freies Miteinander.

Der Gläubige ist sich der Gegenwart Gottes bei und in ihm bewußt, der Wirklichkeit Gottes. Das ist meine Frömmigkeit; das ist Frömmigkeit, wie ich sie verstehe und verstehen will – wie wir sie verstehen und verstehen wollen, die wahre „Freudigkeit zu Gott“ (1. Joh 3, 21).

Der christliche Glaube ist uns so etwas wie die Liturgie des Lebens. Diese Liturgie, diesen Rahmen für das Ganze brauchen wir allerdings, und zwar nicht nur zu bestimmten Zeiten, bei biographischen Höhepunkten und in Krisenzeiten, zu einzelnen jahreszeitlichen Anlässen (etwa zu Weihnachten) oder gar als rituelle Begleitung oder Untermalung dessen, was sonst noch stattfindet und worin unser Leben eigentlich besteht. Sie ist nicht nur Ornament, sondern eben wirklich ein Rahmen, ein Orientierungsrahmen, eine Horizontbestimmung, die in ihrer Färbung, eben als eine Art Stimmung, alles durchdringt und bestimmt. Andere Menschen haben einen derartigen Rahmen aus anderen religiösen oder weltanschaulichen Bezugssystemen; das ist anzuerkennen und nicht weiter zu beurteilen. Ich und wir aber haben ihn aus unserem Glauben, aus unserem Vertrauen auf Gottes Sein in meinem, in unserem eigenen Dasein.

Als Glaubender spreche ich: Mein Glück, meine Freude, meine Zuversicht, mein Halt und Trost und meine Kraft liegen in Gott. Er nimmt seine Nähe nicht von mir.

Darin bin ich mir meiner gewiß. Darin bin ich der, der ich bin; darin bin ich ich selbst. „Identität“ heißt für den Christen: Ich bin der, der ich bin, weil es zur Wirklichkeit Gottes gehört, daß ich dieser bin (oder: „weil er es so will“). Er hat mich in die Welt gesetzt; er erhält mich. Das christliche Bekenntnis ist zugleich das Bekenntnis zu mir selbst. Ich erlebe seine Nähe. Ich fühle sein sicheres Geleit und seine tragende Hand. Ich bin ich als der, der zu sein er mich in die Welt gesetzt hat. Das ist das Bewußtsein, das ich von mir selbst habe.

Ich bin dieser aus Gott.

Amen.

 

 

Verwendete Medien:

Traugott Holtz: Der erste Brief an die Thessalonicher (Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Band XIII), Zürich / Einsiedeln / Köln und Neukirchen-Vluyn 1986.

Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein. Roman, Frankfurt am Main 1964.

Perikope

Predigt zu 1. Thessalonicher 5,1-6 von Eugen Manser

Predigt zu 1. Thessalonicher 5,1-6 von Eugen Manser
5,1-6

Liebe Gemeinde,

knapp 20 Jahre nach dem Tode Jesu gründete der Apostel Paulus die Christengemeinde in Thessalonich, dem heutigen Saloniki. Er verließ sie als eine lebendige Gemeinde, die von der Hoffnung auf den „Tag des Herrn“, der Wiederkunft Christi, lebte. „Unser Herr kommt!“, das war ihr Ermutigungsgruß untereinander. Da geschah das Unerwartete: Einige Gemeindeglieder starben und die Welt bestand ungerührt fort. Die Gemeinde geriet in Unruhe. ‚Wann kommt ER? Was wird mit den Verstorbenen?’ Paulus hörte von diesen besorgten Fragen. Er schrieb einen Brief. Ein Abschnitt daraus lautet so:

 

1.Thess. 5, 1-6

 

Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Von den einen herbei gesehnt, von den anderen herbei gefürchtet und dann kommt er doch völlig unerwartet.

Einen schwachen Abglanz vom Tag des Herrn habe ich heute vor 25 Jahren erlebt.

Es war ein Donnerstag, der 9. November 89. In unserer Gemeinde waren die Festtage zum 60sten Kirchweihjubiläum im Gang mit Tanz auf allen Sälen. Keiner hat geahnt, dass an diesem Abend die Mauer fallen würde. Selbst dem Sprecher dieser Nachricht schien der Inhalt nicht ganz klar zu sein. Ein kleiner Tag des Herrn – wir Menschen stolpern ahnungslos in ihn hinein.

Nicht auszudenken, wenn uns das beim Jüngsten Tag auch passiert!

Der Jüngste Tag, das ist ja der letzte Tag. Das ist der Tag meines Überganges von der Zeitlichkeit in die Ewigkeit. Es ist der Tag, an dem ich das Zeitliche segne. So wie Abraham und Jakob vor ihrem Sterben die Ihren gesegnet haben, segne ich die Meinen. Aber ich tue noch mehr. Ich bitte mit der Autorität dessen, der nichts mehr für sich bittet, der schon mit einem Fuß in der Ewigkeit steht, Gott um den Segen für das Zeitliche, das ich verlasse.

Das ist der Jüngste Tag. Wir werden ihn alle erleben so sicher wie wir geboren wurden. Ob wir aber an diesem Tag das Zeitliche segnen oder uns als zum Tode Verfluchte empfinden, das entscheidet sich daran wie viel Liebe und Barmherzigkeit wir in unserem Leben zulassen und verschenken.

 

In einer Geschichte von Franz Werfel wird von der ungeheuren Kraft der Liebe als Fürsorge erzählt. Sie heißt „Der Tod des Kleinbürgers“:

Es war nach dem Ersten Weltkrieg. In einer lichtarmen Hinterhofwohnung Wiens schlägt sich die Familie Fiala mehr schlecht als recht durchs Leben. Der Hausvater erinnert sich wohl an gute Zeiten vor dem Krieg; damals war er bei einer angesehenen Firma. Doch jetzt ist Schmalhans Küchenmeister.

Herr Fiala wurde vorzeitig pensioniert – schlechte Zeiten. Sie mussten die große Wohnung aufgeben, gute Stücke verkaufen und in den Dunstkreis der Armen ziehen. Mit Not fand Herr Fiala als 64jähriger noch eine Halbtagsbeschäftigung in einem Magazin. Das Geld muss reichen für ihn, die Frau und den 32jährigen Franzl. Der ist Epileptiker und wird nie eine Arbeit finden.

Doch Herr Fiala hat ein großes Geheimnis, ein Geheimnis, das seine Frau und vor allem den Franzl einmal vor dem Armenhaus bewahren wird, wenn er, der Vater, nicht mehr ist. Ganz im Verborgenen hat er eine Lebensversicherung abgeschlossen. Die Prämie nach seinem Tode wird für Frau und Sohn ausreichen. Eine kleine Klausel enthält die Police: Das Geld wird ausgezahlt unter der Bedingung, dass Herr Fiala das 65ste Lebensjahr erreicht. Doch was vermag schon eine kleine Klausel – er ist doch schon 64 und, Gott sei Dank, gesund.

Doch am 1. November, dem Tage aller Seelen, hält er es nicht mehr aus. Bislang konnte er es vor der Familie verschweigen. Doch heute, wo seine Frau auf dem Zentralfriedhof bei den Gräbern ist, nutzt er die Gelegenheit. Er packt eine Abreißkalender und einige Wäschestücke in die Tasche und geht steif aufgerichtet ins Krankenhaus.

„Menschenskind, Sie haben 39,3 Fieber!“ herrscht ihn der junge Arzt an. Kaum liegt Fiala im Bett, brechen aus ihm die Krankheiten wie ein Vulkan. Doppelseitige Lungenentzündung, Rippenfellentzündung.

Fiala liegt still im Bett. Er bewältigt die Krankheit wie eine Arbeit. Jeden Tag nur reißt er ein Blatt vom Kalender. Am 5. Januar wird er 65. Die Ärzte wundern sich über den seltsamen Patienten mit der harten Willensfalte in der Stirn, der nicht sterben will. Schließlich übermannt ihn die Bewusstlosigkeit hin und wieder zwischen Fieberschauern. Noch in diesem Zustand wehrt er sich gegen Morphiumspritzen. Es ist kurz vor Weihnachten.

Der Arzt sagt zu Frau Fiala: „Sie müssen sich auf alles gefasst machen. In acht Tagen hat er ausgelitten.“ Fiala wird ins Sterbezimmer verlegt, die Visite übergeht ihn schon. Da hört der Pfleger zufällig am Morgen, wie der Sterbende nach Milch verlangt. Für die Ärzte wird der Kranke zu einem „Fall“. Nach menschlichem Ermessen müsste er längst gestorben sein. Sie kommen von auswärts ans Bett dieses außergewöhnlichen Kranken, der einen schmierigen Kalender in den spindeldürren Fingern hält.

Ein alter Professor sagt zu seinen Studenten: „Das Herz ist nicht nur ein Organ, meine Herren. Da ist etwas in uns, was König des Herzens ist.“

Schließlich, am 7. Januar, stürzt der Haufen von Haut und Knochen, der einmal Herr Fiala war, in sich zusammen.

Zwei Tage über das Ziel war er hinausgerannt wie ein guter Läufer.

 

Liebe Gemeinde,

der Kleinbürger Fiala lebte nicht nur sich selbst. Er lebte in der Sorge für seine Frau und seinen Sohn. Er musste den 5. Januar erreichen, damit die Lebensversicherung seine Familie auszahlt. Die Liebe zu den Seinen hat ihn gegen alles menschliche Erwarten am Leben erhalten. Lediglich der alte Professor ahnte, was in dem gepeinigten Körper vor sich ging: „Da ist etwas in uns, was König des Herzens ist.“

Dieses Etwas trägt durchs dunkle Tal. Paulus gibt dem Etwas Namen: Glaube, Liebe, Hoffnung. Aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.

Die Gemeinde in Thessalonich war verwirrt. Sie hatten den Jüngsten Tag zu Lebzeiten als kosmisches Ereignis erwartet. Und nun starben Gemeindeglieder, Todesschatten überdeckten die Hoffnung. Andere kamen und redeten sich und ihren Mitmenschen Mut ein: ‚In dieser  Welt ist es längst Tag, es ist Frieden und keine Gefahr – das Reich Gottes ist längst vollendet unter uns.’

Paulus warnt: Seid besonnen, lasst euch nicht verwirren. Seid wachsam und lasst euch nicht ablenken. Lasst euch den Blick nicht trüben durch die Morphiumspritzen der Schönredner.

Herr Fiala hat Morphium abgelehnt. Er wollte wach den Abreißkalender  kontrollieren können. Durch ihn blieb er in der Zeit. Er wusste, was noch vor ihm lag, und was er schon hinter sich hatte. So sollen auch wir die Zeit, die Gott uns schenkt, nüchtern im Auge haben, den Kalender unseres Lebens aufmerksam verfolgen bis zu dem Punkt, an dem ich bereit bin, die Zeitlichen und das Zeitliche zu segnen.

Liebe Gemeinde, was ich aus dem Bibelwort und aus der Geschichte von Herrn Fiala gelernt habe, kann ich etwas salopp nur so zusammenfassen:

Ich kriege mein Leben und vor allem mein Sterben nur auf die Reihe, wenn mein Leben ein „Leben für“ ist und zwar nicht nur für mich, sondern für die, die mir in meinem Leben anvertraut sind.

Wenn ich sie versorgt weiß, dann habe ich ausgesorgt. Dann kann ich mich auf den Tag des Herrn freuen und das Zeitliche segnen.

Bitten wir Gott, dass er uns dabei hilft!


 

Perikope

Predigt zu 1. Thessalonicher 5,14-24 von Ulrich Pohl

Predigt zu 1. Thessalonicher 5,14-24 von Ulrich Pohl
5,14-24

Liest man diesen Abschnitt in der Lutherbibel, sieht man, wie viele Verse darin fett gedruckt sind. In den ganzen fünf Kapiteln des Thessalonicherbriefes finden sich sechs Verse, die als besonders wichtig markiert werden. Fünf davon stehen in unserem Predigtabschnitt. Einer ragt aus diesen fünfen noch einmal heraus. Es ist der vom Prüfen und Behalten, der Vers aus dem Thessalonicherbrief, der am häufigsten zitiert wird. Wohl deshalb, weil er nirgendwo sonst in der Bibel eine Entsprechung hat. Die anderen Verse haben irgendwo im neuen Testament einen großen Bruder oder eine große Schwester, die das gleiche aussagen. Der Vers vom Prüfen findet sich so pointiert, so klipp und klar nur hier in unserem Predigtabschnitt.

Prüfet alles, das gute behaltet.

Alles auf den Prüfstand stellen, und nur das gute behalten. Wie gut kennen wir das aus den Presbyteriumssitzungen, aus Gemeindeversammlungen, aus den Synoden unserer Kirche. Die Kirche befindet sich im Umbruch. Für vieles reicht das Geld nicht mehr. So müssen wir uns von manchem trennen. Müssen das, was in der Kirche an Arbeit getan wird, einer genauen Sichtung unterziehen. Aber wie schwer ist das! Nur das Gute behalten! Es gibt soviele Dinge, an denen gute Erinnerungen hängen, wer jemals zu Hause Grund reingebracht hat, der weiß das: Das uralte Service von Tante Anni zum Beispiel. Es hängen Erinnerungen aus einer beinahe versunkenen Zeit daran. Das kann ich doch nicht auf den Sperrmüll stellen! Andererseits: Wirklich auf den Tisch gestellt habe ich es noch nie. Wenn ich es noch länger behalte, wird es zum Ballast!

Ähnlich schwer fallen uns diese Entscheidungen in der Kirche und in unserer Gemeinde. Wir müssen prüfen: Was soll mit in die Zukunft, was macht die Gemeinde lebendig? Manches müssen wir zurücklassen. Und das wird manchem wehtun. Worum wir beten und woran wir arbeiten, ist, dass uns der Abschied und der damit verbundene Schmerz nicht trennt, sondern als Gemeinde Jesu Christi enger zusammenwachsen lässt.

Aber nun ist B-Stadt nicht Thessalonich. Und die Aufgabe, vor der die Gemeinde in Thessalonich damals stand, war doch eine andere, als unsere hier. Die Gemeinde dort war gerade im Entstehen begriffen. Täglich kamen neue Gemeindemitglieder hinzu. Ja, das wünschen wir uns für B-Stadt auch, aber damit waren für die Gemeinde viele Spannungen verbunden. Thessalonich, das heutige Saloniki, war damals schon eine große Hafenstadt, ein Schmelztigel gewissermaßen. Aus aller Herren Länder kamen die Menschen, die auf den Kais landeten, sich in den Gassen bewegten und in Spelunken herumtrieben. Sie sprachen verschiedene Sprachen, hatten unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen. Immer wenn jemand von ihnen neu in die junge Christengemeinde fand, stellte sich erst einmal die Frage, was bringt er, was bringt sie mit? Was bringt er mit an kulturellen Eigenheiten, an Lebenseinstellung und Überzeugungen? Was bringt er mir an Glaubensvorstellungen aus seiner bisherigen Religion. Für den einen war es ganz selbstverständlich, sich beim Beten mit dem ganzen Körper auf den Boden zu werfen. Für den anderen war es ebenso selbstverständlich, beim Beten laut und tränenreich zu Gott zu rufen. Und für den nächsten war das Gebet meditative Stille und Zuwendung in Geist und Seele. Es wird nicht leicht gewesen sein, am Sonntagmorgen den Gottesdienst so zu feiern, dass alle sich in ihrem neuen Glauben, dem Glauben an Jesus Christus, sich zurechtfinden und zu Hause fühlen konnten.

Die Unterschiede zwischen den Gemeindegliedern betrafen nicht nur Sitten und Gebräuche. Sie betrafen auch moralische Fragen: Ist es einem Christen, ist es einer Christin zum Beispiel erlaubt, mit einem Sklavenhändler Umgang zu haben. Durfte jemand, der so mit Menschen handelte, gar selbst zur Gemeinde gehören? War es nicht richtig, sich von bestimmten Gruppen von vornherein abzugrenzen?

Paulus bleibt gelassen: Guckt euch erst mal alles genau an, sagt er. Bleibt aufgeschlossen, Christen sind weltoffene Leute. Vieles begegnet euch, das ist fremd oder erscheint euch abwegig. Was auch immer es ist, lasst euch erst einmal darauf ein. Versucht, es zu verstehen. Schaut es euch genau an. Prüft alles. Und wenn sich etwas als gut erweist, behaltet es.

Diese Worte sind getragen von einer großen Toleranz. Wir leben in einer Zeit, in der manche allen Ernstes behaupten, sie müssten bekämpfen und ausmerzen, was nicht mit ihrer religiösen Einstellung übereinstimmt. Wir haben schreckliche Bilder vor Augen von der Verfolgung der Jesiden im Irak. Wir hören, wie Christen in manchen Ländern drangsaliert werden und sind empört. Überall sind sogenannte Gläubige am Werk, die die Welt mit Gewalt so umbauen wollen, dass sie ihren ärmlichen Idealvorstellungen entspricht. Es sieht beinahe so aus, als wollten sie Beton über die Gesellschaft schütten. Dabei entsteht vielleicht ein großer Grabstein. Eine Welt, an der Gott Freude hat, wird gewiss nicht daraus.

Prüft alles, das gute behaltet – diese Worte atmen dagegen eine tiefe Gelassenheit. Das, was es gibt, ist alles von Gott gemacht. Das, was unsere Augen sehen, was unsere Ohren hören und was unsere Herzen fühlen, kommt von ihm. Die Welt ist vielfältig und sie ist, wie sie ist. Rheinisch gesprochen: Et jibbt nix, wat et nit jibbt. Und Gott hat seinen Gefallen daran. Wer auf ihn vertraut, will der Welt keine vermeintlich bessere Ordnung aufzwingen. Wer auf Gott vertraut, darf die Schöpfung lieben. Darf sie lieben, wie sie ist.

Und das Böse?

Der Apostel Paulus hat wohl gespürt, dass seine Toleranz, wenn er sie zu weit fasst, in Unverbindlichkeit und Gleichgültigkeit umschlagen könnte. So als sei alles einfach deshalb erlaubt, weil es zur Schöpfung gehört, weil es von Gott geschaffen ist. Zur Klarstellung fügt Paulus an: Gebt Acht! Es gibt das Böse in der Welt. Macht einen Bogen darum! Meidet es!
Wohlgemerkt, nicht: Verurteilt das Böse. Auch nicht: Vernichtet das böse. Meidet es nur. Wenn ihr etwas geprüft habt und es als böse erkannt, wendet euch konsequent davon ab. Geht nicht hin, wo es euch begegnen könnte. Beschäftigt euch nicht damit.
Die Versuchungen in der Hafenstadt Thessalonich werden nicht geringer gewesen sein, als die unserer Zeit. Und ihnen still und fest zu widerstehen, ist weit schwieriger, als sie lauthals anzuprangern und zu bekämpfen. Die selbsternannten Sittenwächter von der Wuppertaler Scharia scheinen mir insgeheim doch viel zu sehr an dem interessiert zu sein, was sie nach außen hin ablehnen. Diskotheken, Lust und Lasterhöhlen, Kneipen mit Alkoholausschank -  warum sucht ihr diese Orte eigentlich auf, würde Paulus sie fragen. Warum meidet ihr sie nicht? Lasst sie doch einfach links liegen, wenn ihr meint, dass sie euch schaden. Führt doch zuerst einmal den Kampf, der jedem Gläubigen aufgetragen ist. Nämlich den, sich selbst im Griff zu halten und den Versuchungen zu widerstehen. Das bedeutet: Wegklicken, wenn mir im Internet Schund begegnet. Ausschalten, wenn Übles über den Bildschirm flimmert. Einen Bogen machen, wo immer mir das begegnen will, wovon ich weiß, dass es mich beschmutzt, verwirrt, verstört. Meiden, was bei mir dazu führt, dass ich mich selbst nicht mehr kenne. Mit einem Wort: Meidet das Böse. Das genügt. Und es ist viel!

Paulus weiß, schwer diese Aufgabe ist. Er weiß, wie sehr alle, die sie annehmen, auf Gott angewiesen sind. In seinem letzten Satz betet er für die Gemeinde in Thessalonich. Betet darum, dass sie heilig werden soll, also allem Bösen und aller Unreinheit fern. Wie er für die Gemeinde damals betet, betet er für uns heute. Und er lehrt uns, wie wir für einander beten sollen: Darum, dass Gott uns täglich neu die Orientierung und die innere Kraft gibt, die wir brauchen. Darum, dass Gott uns bewahrt zu aller Zeit und an allen Orten – dass er uns bewahrt an Leib und Geist, vor allem aber an unserer Seele. Und Gott ist treu. Er hat es gesagt. Wenn wir ihn bitten: Er wird es tun.

 

Perikope

Predigt zu 1.Thessalonicher 5,14-24 von Christoph Hildebrandt-Ayasse

Predigt zu 1.Thessalonicher 5,14-24 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
5,14-24

Liebe Gemeinde,

mit diesen Ermahnungen beendet der Apostel Paulus seinen ersten Brief an die Gemeinde in Thessaloniki. Wenn man sie einmal zählt, dann sind es gleich dreizehn Stück; dreizehn Ermahnungen, eine ganze Menge. Aber man spürt, dass Paulus, während er diesen Brief noch schnell zu Ende bringen will, nicht einfach noch ein paar gute Ratschläge erteilen möchte, nicht g´schwind noch einige fromme Wünsche und Floskeln aufschreiben will. Nein, er ist mit seinen Gedanken ganz bei den Christenmenschen in Thessaloniki. Er erinnert sich an gemeinsam Erlebtes, an Begegnungen, an Gespräche; auch an schwierige Gespräche, an offen gebliebene Fragen. Er sieht die Gesichter der Gemeindeglieder noch vor sich, die unterschiedlichen Persönlichkeiten und Charaktere, auch die schwierigen darunter. Auch die chaotisch-unordentlichen, die schüchternen-kleinmütigen, die wenig selbstbewussten-schwachen, auch die, denen gegenüber er am liebsten aus der Haut gefahren wäre; die ihm so viel Geduld abverlangt haben. Hinter jeder der dreizehn Ermahnungen des Apostels stehen gemeinsame Erfahrungen, Erlebnisse, Erinnerungen.

Und ich erinnere mich an die vielen Nachmittage, die ich als Bub bei dem alten Nachbarn verbracht habe. Und an seine letzte Ermahnung an mich. Er krank auf dem Sterbebett, ich verängstigt im Türrahmen. „Gell, nur nicht mogeln“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Und was hatten wir gemogelt und geschummelt bei unseren Brettspielen. Damit jeder einmal gewinnen darf.

Die dreizehn Ermahnungen des Apostel Paulus stecken voller Erlebnisse. Und die Gemeinde wird sie verstanden haben. Und wird sich erinnert haben und ist erinnert worden. Auch an das, was nicht in Ordnung ist. Das Leben als Christenmensch ist kein Kinderspiel. Es kann ganz schön schwierig sein. Es kann ganz schön enttäuschend sein untereinander. Und es verlangt manchmal ganz schön viel Geduld miteinander und Zuwendung zueinander, trotz alles gegenteiliger Erfahrungen.

Erinnern wir uns an das Evangelium, das wir gehört haben (Lk. 17, 11-19): was für eine Enttäuschung für Jesus. Von zehn geheilten Aussätzigen kommt ein einziger, um Gott für seine Heilung zu danken. Ein einziger spürt, dass er an Leib und Seele gesund wurde. Nur 10% Erfolg. Oder, deutlicher ausgedrückt: 90% Misserfolg. Lohnt sich da der Einsatz überhaupt bei einer Erfolgsquote von lediglich 10%?

In unserer Vesperkirche betreuen wir in den Wintermonaten täglich über 600 Gäste. Zur Abendandacht bleiben noch 40-60 da. Und wie viele, oder wie wenige bekommen durch den unermüdlichen Einsatz der Ehrenamtlichen der Vesperkirche und der Diakonie ihr Leben wieder in den Griff? Kann, ja darf man da überhaupt nach einer Zahl fragen?

Gott ist treu. „Treu ist er, der euch ruft“ (v24). Daran erinnert der Apostel Paulus die Gemeinde in Thessaloniki und unsere Gemeinde. Mit dieser Treue hat sich Jesus allen zehn Aussätzigen zugewandt. Das Ergebnis war enttäuschend. Aber trotzdem gilt das Evangelium allen Menschen. Da gibt es also keinen „der Einsatz lohnt sich doch nicht“-Einwand.

Und jetzt verstehen wir vielleicht auch den eigentlichen Grund für die Ermahnungen des Apostel Paulus besser, doch die Chaotischen, die Kleinmütigen und die Schwachen und die, wegen derer man aus der Haut fahren könnte, nicht fallen zu lassen; und nicht Böses mit Bösem zu vergelten und dem Guten nachzujagen untereinander und allen gegenüber: Der Grund dafür liegt darin, dass Gott treu ist. Dass er niemanden fallen lässt, auch wenn er 90% Misserfolg verbuchen muss.

Natürlich ist jeder Misserfolg, zwischenmenschlich und beruflich, enttäuschend. Aber er lässt sich einfacher verdauen, wenn man weiß, dass Gott treu zu einem steht. Ein kleines Gedicht von Eugen Roth scheint geradezu von unserem Predigttext inspiriert worden zu sein; es heißt:

„Seelische Gesundheit

Ein Mensch frisst viel in sich hinein:
Missachtung, Ärger, Liebespein.
Und jeder fragt mit stillem Graus:
Was kommt da wohl einmal heraus?
Doch sieh! Nur Güte und Erbauung.
Der Mensch hat prächtige Verdauung.“

„Treu ist er, der euch ruft.“ Von diesem Grundsatz aus formuliert Paulus seine Ermahnungen nach Thessaloniki. Durch diese Brille sieht er die Schwächen und den Kleinglauben und die Fehler der Gemeinde und ihrer Mitglieder. Auf Gottes Treue, Nähe und Zuwendung zu vertrauen, dazu ruft er auf. Das gibt, um es einmal salopp zu formulieren „ein gutes Lebensgefühl“; dieses Gefühl, dieses Wissen, diesen Vertrauen, dass Gott treu ist, auch den 90% gegenüber, den Undankbaren, Kleingläubigen, Chaotischen, Schwachen und manchmal Bösen – unter denen ich mich manchmal wieder entdecke.

Und deshalb bekommen die weiteren Ermahnungen des Apostels Paulus nun auch einen anderen Klang. Aus Ermahnungen werden Ermunterungen: Seid allzeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen. Dämpft den Geist Gottes nicht. Diesen Geist, des Evangeliums, das allen Menschen gilt. Haltet die Beziehung dazu aufrecht. Betet ohne Unterlass. Haltet den Kontakt zu Gott.

Und das kann auf so vielfältige Weise geschehen. Im Nachsprechen vorformulierter Gebete, denen man sich anvertrauen kann, die man wiederholen kann, bis sie einem zu Herzen gehen. Martin Luther hat einem Frisör einmal den Rat gegeben, die Zehn Gebote immer und immer wieder zu wiederholen im Gebet. In ein inneres Gespräch mit ihnen zu treten. An dem einen oder anderen hängen zu bleiben, bis es zum Herzen zu sprechen anfängt. Sie kennen das vielleicht vom Vaterunser am Ende des Gottesdienstes. Manchmal bleibe ich im Herzen an einer Bitte des Vaterunsers hängen. Und sie beginnt zu mir zu sprechen; ja, auch mich zu ermahnen.

Manchmal fehlen mir auch einfach die Worte für ein Gebet, einfach weil manches so elend, so verfahren, so furchtbar ist – wie gerade die Verfolgung der Christen in Syrien und im Irak. Paulus nennt das an anderer Stelle „das unaussprechliche Seufzen der Kreatur“; das Seufzen über Schuld und Sünder, über Leiden und Tod, über all das Untragbare und Unerträgliche. Betet ohne Unterlass.

Auch das ganz alltägliche Schaffen ist für Luther Gebet; das zu tun, was dran ist. Da klingt die Ermahnung des Paulus durch: Weist die Unordentlichen zurecht. Überhaupt meint Luther, man solle so beten, als ob alles Arbeiten nicht helfe; und so arbeiten, als würde alles Beten nicht helfen. Haltet an am Gebet. Dazu ermuntert uns Paulus.

Dreizehn Ermahnungen, dreizehn Ermunterungen gibt uns unser Bibelwort heute mit auf den Weg. Wenn Sie sie zuhause noch einmal durchdenken, diese Worte des Apostels Paulus am Ende des 1. Thessalonicherbriefes, dann fallen Ihnen bestimmt zu jeder der dreizehn ein Erlebnis, eine Geschichte, eine Begegnung, ein Gespräch ein.

Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird´s auch tun.

Amen

 

Gewissenserforschung

Ein Mensch, statt dass er sich beklag
Darüber, dass kein Mensch ihn mag,
Prüf, als Gerechter, vorher sich:
»Genau genommen – wen mag ich?!

 

Perikope

Predigt zu 1.Thessalonicher 5,14-24 von Bert Hitzegrad

Predigt zu 1.Thessalonicher 5,14-24 von Bert Hitzegrad
5,14-24

14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.
15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
16 Seid allezeit fröhlich,
17 betet ohne Unterlass,
18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
19 Den Geist dämpft nicht.
20 Prophetische Rede verachtet nicht.
21 Prüft aber alles, und das Gute behaltet.
22 Meidet das Böse in jeder Gestalt.
23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
24 Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.
Und Gott segne dieses sein Wort an uns.

Liebe Gemeinde!

Es ist Samstagabend. Die Predigt ist geschafft – endlich: Es fiel mir nicht gerade einfach, den Rundumschlag an paulinischen Ratschlägen meiner Gemeinde mit der apostolischen Leichtigkeit zu sagen: „Seid allezeit fröhlich …, seid dankbar in allen Dingen.“ Zum Schluss habe ich noch die Gebete für den Gottesdienst formuliert. Das war dieses Mal besonders schwer. Denn ich weiß, morgen wird in der Gemeinde die Familie sitzen, die ihren Sohn bei einem Autounfall verloren hat. Wie werden sie das hören, wie wird das in ihrem Leben klingen: „Seid allezeit fröhlich …, seid dankbar in allen Dingen.“

Aber nun ist die Vorbereitung geschafft. Ein bisschen Entspannung am Fernseher, das täte jetzt gut. Ich zappe mich durch die Programme. Krimis brauche ich heute abend nicht. Was gibt es noch am Samstagabend? Comedy. Comedy rauf und runter. „Verstehen Sie Spaß“ heißt es auf dem Ersten. Die „Blues Brothers“ singen und tanzen sich durch das Zweite. Und auf RTL reicht eine Spaß-Show der anderen die Hand. „Mario Barth – live: Männer sind peinlich, Frauen manchmal auch!“ Bülent Ceylan, der deutsch-türkische Comedian präsentiert sein neuestes Programm und auf SAT.1 geht es weiter mit den „Dreisten Drei – die Comedy WG.“ „Ein bisschen Spaß muss sein“ hat Roberto Blanko einmal gesungen. Aber das hier ist etwas zu viel Spaß, Comedy, Lachen bis zum Abwinken, Spaß bis der Arzt kommt …

Und wieder kommt mir die Familie mit dem verunglückten Sohn in den Sinn. Und ich denke an Menschen, die tief belastet aus einer arbeitsreichen Woche kommen. Menschen, die tagaus tagein für andere da sein mussten in der Pflege, Menschen, die sich aufopfern für andere. Menschen die ausgepowert sind, die viel gegeben haben, aber wenig zurückbekamen, vielleicht auch nie an sich und ihre Grenzen dachten. Sie sind ausgebrannt, kraftlos, antriebslos. Brauchen sie die Comedy-Shows der Spaßgesellschaft, um wieder durchatmen zu können? Hilft es ihnen, die verwundeten Seelen mit den Lachsalven der Comedians zu verbinden? Manchmal sieht man sie ja, die Schilder, die von der Regie im richtigen Augenblick in der Show dem Publikum im Studio hochgehalten werden: „Jetzt lachen!“ Ob das immer gelingt?

Die Ratschläge des Paulus, dreizehn immerhin, wirken wie Regieanweisungen für das Leben, für die Gemeinde, für den Glauben. „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen, denn das ist der Wille Gottes …“

Ein beliebter Konfirmationsspruch – gerade in Zeiten, als noch der Pastor die „Gedenksprüche“ für die ihm anvertrauten Konfirmanden ausgesucht hat. Nach zwei Jahren Unterricht noch einmal ein Ratschlag, wie das Leben gelingen kann. „Seid allezeit fröhlich!“ Wie der Ermahnungen der Eltern, wenn die groß gewordenen Kinder das erste Mal allein auf Reisen gehen: „Pass gut auf! Lass Dich von niemandem ansprechen! Wechsel jeden Tag die Unterwäsche! Setzt die Mütze auf, wenn es kalt wird …“ Gut gemeint für die Ohren der Kids, aber in der Regel bleiben sie dort nicht, sondern ziehen vom einen Ohr durch das andere wieder hinaus. Vielleicht weil sie doch nicht für jede Situation auf der Reise durch das Leben gemacht sind? Doch nicht aufgepasst, weil das Buch so spannend war und die richtige Haltestelle verpasst. Gut, dass der Schaffner dann nachfragte: „Kann ich dir helfen?“ Und wer den ganzen Tag in der Badehose herumläuft, muss nicht die Unterwäsche wechseln und trägt auch keine dicke Mütze, höchstens das Cappy gegen die Sonne …

Und was bleibt von dem gut gemeinten Konfirmationsspruch, wenn in der Schule die Erfolge ausbleiben, wenn auch die 132. Bewerbung für eine Lehrstelle ins Leere geht und die Freundin auch keinen Bock mehr hat auf solch einen Looser … „Bleib alle Zeit fröhlich?“ Da vergeht einem das Lachen. Und vielleicht hilft dann doch nur das Samstagabendprogramm um alles zuzuschütten, alles zu verdrängen, die süße Soße mit Spaß und Comedy darüber. War das Wort aus dem 1. Thessalonicherbrief so gemeint?

Natürlich – wer ins Leben startet, braucht Ratschläge und er bekommt sie, ob er will oder nicht. Auch die Gemeinde in Thessalonich, die eine ganz neue, eine ganz junge Pflanze auf dem griechischen Feld des Glaubens war. Paulus hatte den Anstoß gegeben, den Samen gelegt, das Pflänzchen gepflegt. Doch mit dem Wachstum kommen auch die Probleme. Und vielleicht haben sie ja auch Paulus um Hilfe gebeten. Er weiß, wo die Schwierigkeiten liegen und deshalb kann er auch ganz konkret antworten. „Weist die Unordentlichen zurecht, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann …seid fröhlich allezeit, betet ohne Unterlass!“

Nur einige Ratschläge aus der langen Liste. Ein Katalog, wie das Leben gelingen soll, in der Gemeinde und natürlich im täglichen Leben.

Aber vielleicht ging es denjenigen, die den Brief in der Gemeinde in Thessalonich lasen, so wie dem Jungen mit seinem Konfirmationsspruch nach der Konfirmation. Oder wie den Kindern, die von ihrer Mutter die Mahnungen mit auf den Weg bekamen. Schöne, wichtige Worte, aber tragen sie durch das Leben? Nur die Zähne zusammenbeißen und dann mit zugekniffenen Lippen ein Lächeln herausquetschen?  „Hätten wir Paulus nie nach seinem Rat gefragt – wir schaffen es nicht, dass Fröhlichsein allezeit und das Beten ohne Unterlass! Ist damit unser Christsein am Ende? Ziel verfehlt?“

Doch Paulus ist – Gott sei Dank – nicht nur der große Mahner, er weiß, dass solche Anweisungen für das Leben, für das christliche Leben, eine Quelle brauchen. Eine Kraftquelle, eine nie versiegende Energie, Liebe ohne Ende. Er selbst lebte aus dieser Quelle, seitdem er gespürt hatte, dass er mit seiner Weisheit, mit seiner Kraft und Energie am Ende war. Vor Damaskus hat es ihn aus dem Sattel gehoben. Da wurden ihm die Augen geöffnet, und er erkannte, das nicht er Herr ist über Leben und Tod, sondern der Auferstandene selbst. Und er,  Christus selbst, schenkt seine Nähe, seine Liebe, damit wir das Leben bestehen. Paulus hätte auch zu seiner Problem-Gemeinde sagen könnte: „Denkt an Gottes Liebe, die er Euch schenkt, jeden Tag, die ihr gespürt habt, bei Eurer Taufe und die Euch ein Lächeln schenkt gegen Leiden und Not dieser Welt immer wieder. Lebt aus dieser Liebe, handelt danach, nehmt sie zum Maßstab für den Umgang mit den Unordentlichen, den Schwachen, mit Euch selbst. Und bleibt mit dem, der die Liebe schenkt, täglich in Kontakt – sprecht mit ihm, betet ohne Unterlass!“ Und Paulus hätte sich alle guten Ratschläge, die ein wenig wie Nackenschläge für die jungen Christen wirken, sparen können. „Nein, ihr müsst Euch nicht beugen unter die Mahnungen des Apostels, Ihr dürft aufrecht und selbstbewusst leben als Gottes geliebte Kinder – also handelt auch danach!“

Vielleicht hat der Konfirmand ja längst den Spruch von der Konfirmation vergessen, weil es ihm zu oft das Lachen im Halse stecken blieb. Aber dieses bergende Gefühl, als der Pastor der Hände auf seinen Kopf legte und sagte: „Gott segnet dich!“ das spürt er immer noch. Und es tut ihm immer noch gut. Und es tröstet ihn, wenn das Leben zu traurig wird.

Und vielleicht hätte die liebe Mutter ihre Ratschläge für das selbständig werdende Kind - „Pass gut auf! Lass Dich von niemandem ansprechen! Wechsel jeden Tag die Unterwäsche! Setzt die Mütze auf, wenn es kalt wird …“ – doch einfach auf die Formel bringen sollen: „Ich habe dich lieb!“ Das geht tiefer als die gut gemeinten Mahnungen, das bleibt länger als der Abstand der Ohren, ins eine rein, aus dem anderen raus.

Aber Paulus sagt es ja, so verstehe ich seine Schlussworte nach den 13 Mahnungen, wenn er nichts dem Zufall oder dem Willen oder dem Unwillen der Gemeindeglieder überlässt. Er sagt schon deutlich, woher der Wind weht für diesen anderen Umgang im Miteinander. Er weist hin auf den Ursprung, der das Fröhlichsein und die Dankbarkeit und das tägliche Gebet schenkt:  „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt …“ Er ist es, der alles wirkt durch uns. Er ist es, der uns die Freude schenkt und den Mund zum Danken öffnet. Er ist es, der uns ein weites Herz für die Schwachen schenkt und Härte und Abstand gegenüber dem Bösen. Er ist es, der diese Welt verändert hat, damit wir Kraft und Mut finden, selbst etwas zu ändern an dem, was falsch läuft. Er hat uns eine tiefe Freude in unsere Herzen gegeben, eine Fröhlichkeit, die auch vor dem Tod nicht kneifen muss, sondern die bleibt, weil der Tod überwunden ist.

Spaß und Comedy reicht längst nicht heran an diese Freude, an diese tiefe, innere, in unsere Herzen gepflanzte Fröhlichkeit. Spaß und Comedy – das mag dann etwas für den Samstagabend sein, am Ende einer anstrengenden Woche, an einem Abend, an dem ich nicht die Welt retten muss, sondern einfach nur auf dem Sofa liege.

Doch am nächsten Morgen in der Kirche, im Gottesdienst, da brauche ich mehr, da frage ich nach tiefem, nach tragfähigem Glauben, der auch der Familie mit dem toten Sohn Hoffnung geben kann, der mir in der Woche Kraft gibt für die Aufgaben, der mit dem Ende des Sendeprogramms nicht versiegt, sondern bleibt und Blüten treibt und ein Lächeln auf den Lippen zeigt. „Seid allezeit fröhlich!“ Vielleicht wagen es wir nicht mit dem vollmundigen Lachen der frisch Erlösten, sondern mit dem vorsichtigen Lächeln derer, die ahnen, dass Gott noch Großes mit uns vorhat. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.

Perikope