Fitness für den Himmel – Predigt zu 2. Korinther 4,16-18 von Hans Uwe Hüllweg
Liebe Gemeinde,
Selbstoptimierung heißt der Virus, der seit einigen Jahren zunehmend vor allem jüngere Altersgruppen befällt. Die Mentalität des Schneller, höher, weiter breitet sich auch außerhalb der Olympischen Spiele aus. Gut zu sein reicht schon lange nicht mehr, das Ziel ist es, besser zu sein. Nicht nur besser als andere, sondern auch besser als man selbst. Das klingt erst einmal nach Anregung zu Entwicklung und Wachstum der Persönlichkeit, und das schließt auch ganz handfest Verbesserung des Körpers ein. Darum gibt es schon Stau an den Kletterrouten des Mount Everest, darum erhöhen sich ständig die Teilnehmerzahlen an Laufwettbewerben, darum plagen sich immer mehr Leute an Trainingsgeräten im Keller. Die Fitness-Messe in Köln vorige Woche zeigte den Boom an. Inzwischen besucht jeder achte Deutsche ein Fitness-Studio.
Vor einiger Zeit fischte ich aus unserem Briefkasten den Werbeprospekt eines solchen Studios ganz in der Nähe meiner Wohnung („FitX – For all of us“ – Hammer Straße, Münster). Es wollte mich auf seine Angebote aufmerksam machen und als Kunden gewinnen, ausgestattet mit einem Gutschein für eine kostenlose Schnupperstunde.
Weil meine Frau und meine Tochter mich seit Jahren damit nerven, ich müsse schlanker und fitter werden, habe ich mir diesen Werbezettel einmal in Ruhe durchgelesen, heimlich natürlich, dachte über die ganze Sache nach und ärgerte mich am Ende. Warum? Weil aus dieser und ähnlicher Werbung eine Art Fitness- und Schönheits-Wahn spricht.
Selbstverständlich ist gegen eine gesunde Lebensweise nichts einzuwenden, im Gegenteil, und wer wollte nicht eingestehen, dass es damit oft hapert! Und wer sich sportlich quälen will, soll das meinetwegen ruhig tun! Bewegung verordnet mir mein Kardiologe in schöner Regelmäßigkeit.
Medien und Werbung stellen mir aber immer aufs Neue perfekt geformte, große, schlanke, strahlenden Menschen vor Augen. Sie transportieren dieses Bild als Idealziel, und sie vermitteln und damit den Eindruck, solchen Menschen stünden alle Türen offen: Sie hätten es leichter im Leben, mit der Karriere, mit der Anerkennung, mit dem Erfolg, mit dem Anbandeln und so weiter. Manchmal mag das sogar stimmen! Die Fitness- und die Pillenindustrie haben diese Masche schon lange erkannt und versprechen, einen Menschen körperlich aufzuforsten und fit zu machen! Natürlich kostet das eine Kleinigkeit; wer es sich leisten kann, ist herzlich willkommen; wer nicht, hat eben Pech gehabt!
In der pulsierenden Metropole Korinth, reiche Hafen- und Handelsstadt der Antike zur Zeit des Neuen Testaments, muss das so ähnlich gewesen sein: Gut aussehen, fit sein, Sport treiben, immer unter Dampf stehen, Karriere machen, Erfolg haben, Geld scheffeln... Warum sollte der Apostel Paulus in seinem Brief an die dortige Gemeinde sonst dieses Thema anschneiden?
Im Gegensatz zu dem beschriebenen Trend allerdings, der vor allem auf Äußerlichkeiten achtet, schreibt der Apostel, dass der äußere Mensch nicht alles ist, sondern dass es um mehr geht als um den Versuch, nach außen gut auszusehen, Spaß zu haben, das Leben zu genießen und es möglichst lange vor dem sowieso irgendwann kommenden Tod zu bewahren.
Paulus nimmt kein Blatt vor den Mund. Beschönigungen liegen dem Apostel nicht, er sagt knallhart, wie es ist: Der äußere Menschen, der Körper verfällt. Jeder Mensch rückt jeden Tag, seit dem Tag seiner Geburt, dem Tod ein Stück näher. Vor ihm gibt es kein Entrinnen, nicht für die Reichen und nicht für die Armen, nicht für die Fitten und nicht für die Behäbigen, nicht für die Schönen und nicht für die Normalen, nicht für die Christen und auch nicht für die Nichtchristen.
Die kleine junge christliche Gemeinde in der griechischen Stadt Korinth hatte Paulus bereits zuvor viel Kopfzerbrechen bereitet. Eine Gruppe innerhalb dieser Gemeinde vertrat offensiv die sicher für manche heutige Menschen sehr sympathische Ansicht, dass sie nun, durch Jesus zur Freiheit erlöst, in diesem Leben lebten. Nach diesem Leben, so glaubten sie, stünde nichts als das Nichts des Todes: „Freu dich und genieße dein Leben, denn mit dem Tod ist alles aus!“ Oder in den Worten des Propheten Jesaja: „Aber siehe da, lauter Freude und Wonne, Rindertöten und Schafeschlachten, Fleischessen und Weintrinken: ‚Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!‘“ Diese Worte zitiert Paulus - er kennt seine Bibel -, schon in seinem 1. Korintherbrief (15,32).
Diese Haltung einiger Korinther kann Paulus nicht so stehen lassen, war ihm doch selbst der von den Toten auferstandene Christus erschienen und hatte ihn persönlich als seinen Botschafter beauftragt. Und hatte er nach dieser Begegnung nicht die ihm bevorstehende Karriere in der religiös-politischen Oberschicht der Juden aufgegeben, um ganz für Jesus Christus und seine Botschaft zu leben?
Für Paulus ist klar: Weil Jesus selbst von den Toten auferstanden ist, wird das, was an ihm geschehen ist, auch uns geschehen, die Auferweckung der Toten, denn Jesus ist der „Erste der Entschlafenen“, wie Paulus sich ausdrückt (1. Kor 15,20). Und weil das so ist, kommt es auf Äußerlichkeiten im Leben nun schon überhaupt nicht an. Da gelten andere Werte!
Auf die Frage, wie genau das Leben mit Christus nach dem Tod aussehen wird, stellt Paulus keinerlei Spekulationen an; er stellt nur fest, dass es der unsichtbare, oder besser noch, verborgene innere Mensch ist, nicht der sichtbare, der mit Christus leben wird.
Wie ist das nun aber zu verstehen? Von unsichtbaren Dingen lässt es sich ja leicht reden, wie sollen die denn bewiesen werden? In meiner hauptamtlichen Zeit als Pfarrer bekam ich gelegentlich von Oberschlauen zu hören: „Ich glaube nur das, was ich sehe“!
Eine solche Aussage ist unüberlegt und kindisch. Was wir alles nicht sehen können, woran wir aber doch glauben, weil es einfach da ist: der elektrische Strom zum Beispiel; wir sehen ihn selbst nicht, sondern nur seine Wirkungen: Das Licht geht an, der Heizlüfter heizt, der Kühlschrank kühlt… Oder Gefühle wie die Liebe, dafür gilt im Prinzip das gleiche: Wir sehen sie nicht, allenfalls ihre Wirkungen. „Ich glaube nur das, was ich sehe?“ Darauf hat ein Amtsbruder einem so Redenden mal die spitze Antwort gegeben: „Wenn das meine Ansicht wäre, müsste ich auch an Ihrem Verstand zweifeln…“
Weil Paulus so viel Wert auf den inneren, unsichtbaren Menschen legt, darum hat man ihm manchmal Leibfeindlichkeit unterstellt. Der sichtbare Mensch, seine Körperlichkeit, sei ja schließlich auch von Gott geschaffen, heißt es dann. Das stimmt sicherlich. Die Bibel sagt uns an anderer Stelle: Wer Christ ist, darf selbstverständlich auch feiern, darf fröhlich sein und darf auch dem Körper sein Recht verschaffen. Jesus selbst war auf Feiern eingeladen, und er war da nicht etwa ein miesepetriger Spielverderber, sondern hat beispielsweise, als der Wein ausgegangen war, für Nachschub gesorgt (Joh 2,1-11).
Aber genau hier setzt die Kritik des Apostels ein: Wenn jemand dabei stehen bleibt, liegt er/sie falsch. Das Leben geht über das Sichtbare hinaus. Das Leben ist mehr als nur eine Aneinanderreihung von chemischen Abläufen. Das Leben ist mehr als die äußerlich sichtbaren, ja noch mehr als die mit den Sinnen und dem Verstand begreifbaren Elemente. Das Leben hat seinen Ursprung in Gott und wird auch sein Ende wieder bei Gott haben. Jedenfalls für all die, die im Glauben an Jesus Christus und seinen Sieg über den Tod aus dieser Welt gehen.
Wie das Sichtbare zeitlich ist, wird das Unsichtbare ewig sein, wie Gott selbst. Weil Jesus Christus die Menschen zu Gott bringt, gibt es im Glauben keine Notwendigkeit für einen Fitnesswahn, für einen Schönheitswettbewerb, für eine Castingshow zum Superstar. Damit im Grunde dem Tode entgegenzuwirken, ist für einen Christen nicht nötig; denn er hat ihn ja nicht zu fürchten.
Na ja, ich wiederhole: Es ist sicherlich nicht schlecht, sich auch körperlich fit zu halten, und ich glaube keinem heute morgen würde ein bisschen mehr Bewegung besser tun als mir selbst, aber die Fitness und das, für was sie steht, darf nicht zum Mittelpunkt des Lebens werden; denn dann wird sie zu einer Art Ersatzreligion, ebenso wie Schönheit, Erfolg oder Anerkennung.
Warum soll ich mir durch Medien und Werbung ein Menschenbild aufdrängen lassen, das im Widerspruch zu dem steht, der das Leben erfunden und geschaffen hat? Die Bibel offenbart den Weg zu einem Leben jenseits aller äußeren Fitness, das den Glaubenden zugänglich ist, einen Weg, den es zu gehen lohnt, weil das Ziel selber uns entgegenkommt - der auferstandene Christus. Das ist für Christen das richtige Fitnessprogramm – Fitness für den Himmel!
Zum Schluss möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die sehr schön illustriert, dass der äußere Mensch vor der Ewigkeit nicht viel wert ist, sondern dass es darauf ankommt, wie Paulus schreibt, den inneren erneuern zu lassen:
Ein König gab seinem Hofnarren einen Stab und sagte: „Gib diesen Stab dem, der noch närrischer ist als du!“ Kurz darauf legte sich der König zum Sterben nieder und klagte: „Ich gehe in ein fremdes Land und kehre nie mehr zurück.“ Der Narr entgegnete: „Da du doch gewusst hast, dass du einmal in dieses fremde Land ausreisen musst, hast du sicher alles getan, um auch in dieser neuen Heimat ein Haus zu besitzen.“ Als dies der König verneinte, überreichte ihm der Narr den Stab und sagte: „Er gehört dir. Du bist ein noch größerer Narr als ich.“
Also lasst uns nicht müde werden, unseren inneren Menschen von Jesus Christus erneuern zu lassen, damit wir auch in der kommenden Heimat ein Haus besitzen! Fitness für den Himmel - das ist ja nun wirklich ein Grund zum Jubeln – Jubilate!
Amen.
Wertvolle Anregungen von Michael Zlámal/Dreieich, Predigtdatenbank 2006; Schlussgeschichte Hoffsümmer II/217
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Non moriar, sed vivam! – Predigt zu 2. Korinther 6,1-10 von Markus Nietzke
Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! 3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.
I.
Der Ausflug war nicht besonders spannend. Das änderte sich, als ich die Konfirmanden bat, vor einem Haus stehen zu bleiben und mit meiner Hand auf einen Querbalken zeigte: „Das ist ein seltsamer Haussegen!". Ich fragte: "Kann das vielleicht jemand von euch lesen und übersetzen?" und schaute Philipp - einen Lateinschüler aus der 7. Klasse - erwartungsvoll an. Sarah, eine Mitschülerin, lächelte: "Natürlich kann Philipp das!" Nun überlegte Philipp: "O.k., ich kann es versuchen. Da steht 'non moriar, sed vivam'". Ich freute mich. "Richtig! Und auf Deutsch?". "Tja, so leicht ist das nicht" antwortete er und sah sich fragend um, ob jemand ihm helfen könnte. Sarah sprang ihm zur Seite: „'Non' heißt ‚nicht' und ‚sed‘ aber". „Weiß ich doch!", sagte Philipp, "aber ‚moriar‘ kenne ich nicht, ‚vivam', hat wohl etwas mit ‚Leben‘ zu tun, denke ich." Er überlegte kurz und sagte dann: „Ich komme nicht weiter." Ich wollte es nicht verraten und meinte: "Vielleicht hilft es, wenn ich Dir sage, dass es um einen Gegensatz geht." Philipp konterte: „Hilft mir jetzt auch nicht wirklich... Moment mal... mori heißt doch ‚sterben'!" „Genau!" sagte ich: „Es hat etwas mit Sterben und Leben zu tun." Jetzt schien Philipp es zu erahnen: „O.k. ‚Ich werde sterben‘, aber mit dem ‚non', muss es heißen: ‚Ich werde nicht sterben, sondern leben'. Die Konfirmanden freuten sich, ich mich auch. Dann erklärte ich ihnen den Sinn der Aussage: „Da betet ein frommer Mensch: Wenn es mir noch so dreckig gehen mag, auf Gott kann ich bauen, mich fest an seine Zusagen klammern. Dass will ich bezeugen. Gott ist bei mir im Leid, will aber mein Leben. Davon rede ich. Martin Luther hat diesen Bibelvers - so sagt man - auf der Coburg an die Hauswand geschrieben, als Mutmacherspruch in schweren Zeiten: Non moriar sed vivam et narrabo opera domini. Hier, vor Ort, scheint das jemand gewusst zu haben und hat diesen Spruch als Haussegen für dieses Haus ausgewählt." „Kein Wunder!“ meinte eine Konfirmandin, „wir stehen ja direkt neben einer Kirche!"
II.
Liebe Gemeinde, die Worte: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen“ stammen aus dem Gebet- und Gesangbuch aus dem Alten, dem Ersten Testament. Es sind Worte voller Dankbarkeit. Gott hat geholfen. Das kann man erfahren, heißt es in Psalm 118: Gott hilft, auch wenn es einem Menschen richtig dreckig geht; ja, selbst dann noch, wenn es so scheint, als meinte Gott selbst es nicht mehr gut mit einem Menschen. Ein ‚Aber‘ und ‚Dennoch‘ klingt durch: Gott hilft. Dabei bleibt es. Gott hilft. Selbst dort, wo man es nicht vermutet oder meint.
III.
Dass Gott in unter allen Umständen hilft, ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Josef, einer der zwölf Söhne Jakobs, hat dieses konkret erfahren. Obwohl er von seinen Brüdern an Sklavenhändler verkauft wurde. Einige Jahre saß er – unschuldig verurteilt – im Gefängnis. Er konnte mit Gottes Hilfe Träume deuten und gelangte so schließlich an den Hof des Pharao. Josef wurde zum Segen sowohl für die Ägypter als auch alle umliegenden Völker in der Zeit einer großen Hungersnot. Am Ende seines Lebens bekennt Josef seinen Brüdern: ‚Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk‘ (1. Mose 50,20)
IV.
Dass Gott konkret unter allen Umständen hilft, ist wirklich nicht auf den ersten Blick erkennbar. Der letzte Weg von Jesus nach Jerusalem -. Das letzte Abendmahl -. Gefangennahme im Garten Gethsemane -. Der Tod am Kreuz – ohne Zweifel kein leichter Weg – das alles wird schließlich positiv gedeutet: ‚Er [Jesus] erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist...‘ (Philipper 2,8+9).
V.
In den Wochen bis Ostern bedenken wir den Weg Jesu ans Kreuz, seinen Tod und das verheißene Leben nach dem Tod. Vielleicht übt die eine oder der andere Verzicht, versucht etwas achtsamer durchs Leben zu gehen, nimmt sich ein wenig mehr Zeit als sonst für ein Nachdenken über das Leben und unsere Zeit.
VI.
Diesen Gedanken, dass Gott unter allen Umständen hilft – auch im Leid – spielt der Apostel Paulus in seinem zweiten Brief an die Korinther durch. Er und andere Mitarbeiter sind Botschafter an Christi statt, so beginnt er seine Argumentation. Gott ruft durch sie zur Umkehr auf. Gott bietet durch ihre Predigt Versöhnung an; Versöhnung, die Gott durch Jesus und seinen Tod am Kreuz mit sich selbst bewirkt hat. Einer für alle, führt Paulus aus. Dieser Eine, Jesus, ist für alle gestorben und hat dadurch allen eine neue Chance auf ein Leben mit Gott eröffnet. Jetzt sei es an der Zeit, sich daran zu orientieren, bittet Paulus. Dann wird er persönlich. ‚Meine Mitarbeiter und ich‘, sagt er, ‚geben durch nichts einen Anstoß, damit diese Hauptsache nicht in den Hintergrund tritt.‘ Dann geht Paulus noch weiter in seiner Argumentation: ‚Bedrängnisse, Ängste, Schläge, Gefängnisaufenthalte --, ich, Paulus, beziehungsweise wir als Botschafter an Christi statt, wir nehmen das alles in Kauf. Das gilt auch in weitaus fröhlicheren Umständen. Die Klammer, die sowohl Gutes als auch Schreckliches zusammenhält ist: Gott hilft unter allen Umständen. Deswegen hören wir nicht auf, diesen Jesus Christus zu bezeugen.‘
VII.
„Ein Podium und ein Gefängnis sind jeder ein Ort für sich, der eine liegt oben, der andere unten. An beiden Orten wirst du die Entscheidungsfreiheit behalten, wenn Du es wünschst“ meint der Stoiker Epiktet. (Lehrgespräche, 2.6.25). In solcher Freiheit kann Paulus nun – wahrscheinlich schreibt er diesen Brief gerade aus dem Gefängnis – sagen: ‚Wir sind unbekannt, und doch bekannt. Wir sterben und doch leben wir. Wir sind traurig und doch fröhlich. Arm und doch reich. Haben nichts und doch alles.‘
VIII.
Das sind eigenartige Sätze. Man muss sie sich langsam auf der Zunge zergehen lassen. Wieso heißt es: ‚Als die Unbekannten und doch bekannt?‘ Was soll das bedeuten, dieser Gegensatz: Einerseits: ‚Als die Sterbenden‘ und andererseits ‚siehe, wir leben‘? Der Katalog setzt sich noch fort: Hier: Traurig, dort: Fröhlich. Hier: Arm; dort: andere Reich machen, hier: Nichts haben; dort: Alles Haben? Fügen wir für unser Hören und Reden heute einmal die Worte ‚in Gott‘, ‚durch Gott‘ oder ‚bei Gott‘ hinzu. Dann klingt diese Wort-Kaskade des Apostels so: Wir sind unbekannt, und doch bekannt – bei Gott! Wir sterben und doch leben wir – durch Gott! Wir sind traurig und doch fröhlich – in Gott! Wir sind arm und doch reich – durch Gott! Wir haben nichts und doch alles – in Gott!
IX.
Paulus wagt schließlich einen Vergleich, der es in sich hat: Er, dem Jesus vor Damaskus erschienen ist, er, den Jesus zum Apostel berufen hat, er, Paulus versteht sich als einer, der Jesus auch auf eine ganz besondere Weise nachfolgt. Der Vergleich sieht so aus: Christus geht den Leidensweg bis zum Tod am Kreuz. Paulus wird Jesus nun durch sein eigenes Leiden um der Sache Jesu willen nachgestaltet. Das ist in etwa so zu verstehen: Jesus ist durch Aufruhr in Jerusalem, trotz Wachen, Beten und Fasten im Garten Gethsemane verraten und gefangen genommen worden. Jesus wurde von Soldaten bedrängt, bespuckt, geschlagen und gefoltert. Jesus hat dieses alles in Geduld ertragen, bis hin zum Tod am Kreuz. Diesen Leidensweg geht Paulus nicht nur in Gedanken nach, sondern er erlebt Ähnliches – um Christi Willen! –- Das ist ganz schön starker Tobak! Aber warum das Ganze? Hier erreicht die lange Argumention von Paulus die höchste Zuspitzung: Gerade darin, Jesus im Leiden so konkret nachgestaltet zu werden, gerade darin erweist sich seine außerordentliche Berufung als Apostel. Liebe Gemeinde, das ist heftig! Auf solch eine Weise zu argumentieren, ist uns völlig fremd und fern!
X.
In Dankbarkeit den Weg Jesu nachgehen? Auch im Leiden? Paulus sieht sich dadurch legitimiert, mit den Korinthern über das Amt und den Dienst eines Apostels zu diskutieren und zu streiten. Dies wird damals nicht jedem geschmeckt haben – und uns kommt diese Argumentation wirklich sehr, sehr fremd vor. Wir lassen das Argument so stehen.
XI.
Die vor uns liegende Fasten- oder Passionszeit dient ja nicht dazu, dass wir Jesus oder Paulus durch eigenes Leid versuchen nachzueifern. Uns mit Jesus gleichzustellen wäre völlig absurd! Nein, das wollen wir bestimmt nicht! Wir schauen auf den Weg Jesu. Wir sehen hin und staunen. Womöglich läuft uns auch einer kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, warum, wieso und weshalb nun gerade dieser Weg Jesu durch Angst, Not, Leid und Schmerzen ein Weg zur Erlösung und Versöhnung mit Gott sein soll. Vielleicht wenden wir uns scheu ab, angesichts solcher Ausmaße an Leid. Manche halten es heute für unlogisch und völlig undenkbar. Vielleicht halten wir dem aber auch stand: Wir schauen und staunen, dass dieser Weg durch den Tod neues Leben in sich birgt und wirkt.
XII.
Das wirklich Neue, was Paulus in seinem Brief unbedingt zur Geltung bringen will, ist: Die Fülle und die Herrlichkeit des neuen Lebens in Jesus Christus zeigt sich; offenbart sich, wird wirksam – bei allen äußerlichen Unannehmlichkeiten, bei Armut, mitten im Leid. Sogar im Sterben!
XIII.
Als Jesus am Kreuz hing und schrie: „Mein, Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ werden Klage und Anklage laut. Ganz laut herausgeschrien. Angst und Verlassenheit sind unübersehbar. Es ist die Klage dessen, der mit Verzweiflung ringt. Es ist aber auch die Klage dessen, der das Flehen, Klagen, Schreien und Weinen aller Verzweifelten und Verdammten auf sich nimmt (J.F. König: Theoligia positiva acromatica, De Principiis Ac Mediis Salutis, § 330, 1666). Gott hat es mit Jesus am Kreuz durchgestanden.
XIV.
Vielleicht ist es deswegen ein kleines bisschen Hoffnung, die wir aus dieser eigenartigen Argumentation des Apostels Paulus schöpfen können. Mitten in allem unseren Leid trägt uns Gott. Oft unbewusst. Wir hätten es so gerne anders. Deutlich spürbar. Gerne viel deutlicher spürbar! Gott hilft! Gott überlässt keinen von uns einfach so seinem Schicksal. Gott hilft. Auch im Leiden. Das wird uns zugesagt. Gott bekräftigt es, gerade in dem er uns im Leiden nicht im Stich lässt.
XV.
Es mag also nur ein Gedanke, ein kleiner Merksatz sein, der noch ein wenig in unserem Leben nachklingt, nachher, beim Mittagessen oder in der Mittagsruhe. Es mag sein, dass wir diesen Worten bis Ostern noch ein wenig nachspüren: „als die Sterbenden, und siehe, wir leben; … als die Traurigen, aber fröhlich; … als als die nichts haben und doch alles haben.“
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Konfi-Impuls zum Sonntag Jubilate: 22.04.2018 / 2. Korinther 4,16-18 von Thomas Binder
A. Die Jugendlichen und der Text
Außen hui, innen pfui. Wenn Paulus in v. 16 mit dem Bild vom inneren und äußeren Menschen nicht einer „Leib-Seele-Unterscheidung“ das Wort redet, sollte das in der Übersetzung deutlich werden. Gute Nachricht: „Die Lebenskräfte, die ich von Natur aus habe, werden aufgerieben; aber das Leben, das Gott mir schenkt, erneuert sich jeden Tag.“
„Lebenskräfte, die ich von Natur aus habe“ verstehen die Jugendlichen als „Hobbys oder Talente, die ich von mir aus habe“. Aber: „Wie kann man jeden Tag ein neues Leben haben?“ - „Ich verstehe nicht, warum man sich erst Mut aufbauen muss und man nicht schon von Beginn an Mut hat.“ Jugendliche tun sich schwer mit der paulinischen Vorstellung einer „inneren geistlichen Resilienz“: Was kann das für eine Kraft sein, die aus dem Glauben kommt; etwas, das „außerhalb von mir“ ist und mich stark macht? Welche Beispiele fallen Ihren Jugendlichen ein?
Jugendliche bauen sich ihr inneres Refugium, das ihnen Kraft schenkt, vor allem dann, wenn die äußeren Umstände nicht gut sind. „Während meine Oma im Krankenhaus war, musste ich immer an den Satz denken ‚Krisen sind auch Chancen‘. Das gab mir damals Kraft.“ Eine Konfirmandin: „Unser Leben ist ein Geschenk Gottes. Zwar haben wir auch manchmal Krisen, aber das sind auch Chancen und durch den Glauben an Gott wird alles gut. Wenn wir ihm vertrauen, bleibt er ewig und steht uns bei.“ Wie kann der christliche Glaube Jugendlichen helfen, Schwächen zu akzeptieren und mit Angriffen und Verletzungen besser umgehen zu lernen?
Der innere Mensch braucht auch Pflege und Heilung: Hinweis einer Konfirmandin auf das Lied „Question marks“ von Sunrise avenue: „Who do you reach to when you never been praying? You're left in the dark Go back to the start with nothing but question marks.“
(https://www.youtube.com/watch?v=NvMEil6TYqc)
Leichte(s) Leiden. „Wenn man in einer komplizierten Zeit ist, z.B. Schule oder Freunde, und Gott dir dann die Last abnimmt. So einen ähnlichen Satz hatte ich eine Zeit lang als Lebensmotto.“ - „Man hat zwar immer wieder Lasten, aber wenn die einmal vorüber sind, kommt das Gute wieder.“ - „Aber: „Es muss nicht sein, dass nach einem Leid eine Herrlichkeit kommt! Es gibt auch Leiden, die nicht vorübergehen.“ - Trotzdem: „Mit Gottes Hilfe steht man schlechte Erlebnisse durch, es zu vergessen und wieder glücklich zu werden.“- „Irgendwann nimmt Gott unsere Lasten weg, so wie Jesus die Sünden der Welt auf sich genommen hat.“
Vergängliches und Ewiges. „Ich verbinde mit Unsichtbarkeit die Zukunft. Oder Gott. Beides ist unsichtbar.“ - „Wenn etwas unsichtbar ist, weiß man nicht, ob es existiert.“ - „Wenn man an Dinge nicht glaubt, die unsichtbar sind, kann man auch nicht an Gott glauben.“ - „Man muss nicht alles sehen, um zu wissen, dass es existiert.“
B. Zur Vorbereitung im Unterricht
1. Paulus in Korinth. Aufarbeitung des geschichtlichen Hintergrundes von 2. Korinther. Lektüre von 2. Kor 4,1-15. Dazu den Paulus Film (https://www.zdf.de/kultur/gods-cloud/paulus-104.html, 7 min.)
2. Innerer und äußerer Mensch. Was meint Paulus mit dem äußeren und inneren Menschen? Bilder malen: „Wie ich mich eigentlich sehen (will)! - Was ich bin, kann man mit den Augen nicht sehen.“
3. Schatzkästchen anlegen. Imaginäres Schatzkästchen anlegen mit Ideensammlung: Was oder wer gibt mir Kraft? Wie gab euch der Glaube an Gott oder Jesus schon einmal Kraft oder Mut? Wohltuende Texte sammeln, z. B. „Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.“ (Psalm 34,9) - Methoden: Wertepyramide (Tool Pool, S. 40), Inszenierte Fotografie (Tool Pool, S. 81; https://www.ejw-buch.de/shop/tool-pool.html).
4. Meine Stärken und Talente. Dazu als Methode: http://www.vielfalt-mann.de/fileadmin/user_upload/mik_hamburg/galerie/P…
5. Meine Grenzen. Wo erleben Jugendliche Grenzen ihrer Kraft und Leistungsfähigkeit, wo die Erfahrung der Endlichkeit? „Woran ich mich festhalten will“ - Lied: „Halt dich an mir fest“ (LB 154) von Revolverheld (https://www.youtube.com/watch?v=0H0cslNgrAc).
6. Vergängliches und Ewiges. Beispiele finden für den Satz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint-Exupéry).
C. Zur Mitwirkung im Gottesdienst
Vorstellung der unter B. angefertigten Bilder - Angebot einer Einzelsegnung am Taufstein
Liturgische Texte oder Predigtanregungen:
Glaubensbekenntnis von 1943 (D. Bonhoeffer) http://gebet.evangelisch.de/content/glaubensbekenntnis-von-dietrich-bon…
„Wer bin ich“ (Bonhoeffer) : http://www.dietrich-bonhoeffer.net/predigttext/wer-bin-ich/.
D. Lieder zum Text
Neue Spur (LB 211) - Deine Gnade reicht (LB 28) - Ganz nah (LB 51) - Befreit durch deine Gnade (LB 137) - Komm und ruh dich aus (LB 139) - Du bist du (LB 144) - Himmel auf Erden (LB 141) - Unterwegs mit Gott (123) - LB = Das Liederbuch.
Thomas Binder, Pfarrer in Fürfeld
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Gottverlassene Landschaften? – Predigt zu 2. Korinther 6,1-10 von Frank-Nico Jaeger
Mitten auf dem Weg von Istanbul nach Paris stoppt eine Lawine unvermittelt den Orient Express. Kurz davor ist ein Mord geschehen. Niemand kann den Zug verlassen, der Mörder ist also noch an Bord. Aber, Agatha Christie sei Dank, mit dabei ist auch ein ganz besonderer Mann: Hercule Poirot. Der belgische Meisterdetektiv ist zur rechten Zeit, am rechten Ort. Er ist ein tugendhafter Mann. Er ist geradlinig, klar und kommt ohne Umschweife auf den Punkt. Der Mann mit dem überbordend großen Bart mag es einfach, klar und deutlich.
Sein Credo lautet: „Egal was die Menschen sagen: Es gibt richtig, es gibt falsch. Nichts dazwischen.“
Hercule Poirot hat es gut. Er hat nicht nur einen scharfen Verstand, er hat auch ein paar ausgesprochen nützliche Fähigkeiten mitbekommen: Er ist ein kompromissloser Mann. Seine gerade, klare Art bringt ihm nicht nur Freunde ein. Das juckt ihn aber nicht, denn immerhin sei er nun in einem Alter, in dem er nicht mehr allen gefallen will, sondern lieber die Dinge tut, die ihm wirklich Freude bereiten.
Es ist ein Auftritt mit viel Grandezza und in allem was er tut, ist Hercule Poirot so kontrolliert und formvollendet, dass beinahe alles an ihm abperlen kann.
Am Apostel Paulus perlt nicht viel ab. Aber der Meisterdetektiv und er teilen sich die Tatsache, dass es einige Menschen gibt, die ihre Person nicht mögen. Ansonsten ist Paulus weder ähnlich kontrolliert, noch ist er übermäßig einfühlsam. Vielmehr poltert er durch seine antike Welt. Gründet euphorisch Gemeinden und ist doch mehr ein Getriebener als ein Flaneur. Aber was für Hercule Poirot gilt, gilt auch für den wahrscheinlich größten Apostel aller Zeiten: Es ist nicht leicht Paulus zu sein.
Immerhin: Auch der Apostel geht kompromisslos seinen Weg und er ist einer an dem man sich reiben kann, weil er eine Meinung hat und diese auch gerne kundtut. Und so wie der fiktive Meisterdetektiv hat Paulus eben nicht nur Bewunderer.
Das erlebt Paulus schmerzhaft in Korinth. Hier gibt es Enttäuschungen auf beiden Seiten. Verletzte Gefühle, unerfüllte Hoffnungen. Kurzum: Es bröckelt an den Rändern und Paulus ist gezwungen zuzusehen, wie sein Werk seinen Händen entgleitet. Die Zugkraft des Apostels hat deutlich gelitten, der Apostel-Zug steht nicht mehr ganz so unter Dampf wie zu Beginn seines Wirkens. (Beispiele aus unserer Zeit mögen uns spontan einfallen.) Was auch immer man Paulus vorwerfen kann, die Korinther tun es: Seine Gegner glauben ihm nicht, zweifeln an seiner Autorität, werfen ihm auch noch vor, dass er Gelder veruntreut haben soll. Aber am schwersten wiegt wohl der Vorwurf, dass nichts passiert. Die Welt hat sich nicht geändert in Korinth. Das Böse triumphiert nach wie vor und Paulus predigt bloß einen Vertröster. Jesus Christus, Gottes Sohn, ist bloß eine Illusion - so lauten die für viele attraktiven Parolen seiner Gegner.
Das geht natürlich zu weit und der wahrscheinlich größte Apostel der Welt, muss sich zur Wehr setzen: „In großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, gar in Mühen“ schreibt Paulus, bin ich standhaft gewesen. Warum sollte ich das tun, wenn nicht aus tiefstem Glauben an diesen Gott heraus?
Weiß Gott! Paulus ist nicht perfekt. Er weiß, dass er ein Sünder ist: Er hat im Leben viel falsch gemacht, Menschen verfolgt, sie drangsaliert. Er hat ihnen ihre Würde genommen und zu Tode gebracht. Weiß Gott, Paulus ist kein unbeschriebenes Blatt. Dass er als allererster der Gnade und der Vergebung bedarf, das weiß er. Und er weiß, dass diese Gnade allen zuteilwerden wird und dass das alles verändert. Bis dahin braucht es halt noch etwas Geduld.
Geduld - daran hapert es in Korinth und daran mangelt es jetzt auch im so plötzlich gestoppten Orient Express. Und in dieser erzwungenen Pause fallen nach und nach die Masken der einzelnen Reisenden. Die Euphorie der Abfahrt ist längst zugeschneit. Die Zeit wird zu lang. Alle fallen aus ihren Rollen.
So zurückgeworfen auf sich, inmitten einer gottverlassenen Landschaft, voller Eis und Schnee, ist es nicht leicht, die Hoffnung zu bewahren. Allzumal die verdorbene Welt Einzug in die Welt der Reisenden gehalten hat. Und als wäre die Geduld der Reisenden nicht schon durch die mehr als widrigen Umstände arg genug strapaziert, kommt noch hinzu, dass es wohl nicht mehr gelingen wird andere Züge und Passagen zu erwischen, um an ein ferneres Ziel zu gelangen. Der Geduldsfaden der Reisenden ist arg strapaziert.
Der feststeckende Zug, der im Film kurioserweise mitten auf einer langen Holzbrücke halten muss, die verkommene Welt, die Last mit der Geduld - ähnlich ist es in Korinth.Auch hier bewegt sich nichts mehr, die Gemeinde steckt fest. Die Stimmung gegenüber Paulus und seiner Botschaft ist abgekühlt. Auch hier ist den Menschen der Geduldsfaden gerissen. Nicht zuletzt wird die Zahl derer, die dem Apostel und seiner Predigt glauben, stetig weniger.
Verständlich? Wahrscheinlich schon. Denn das Leben als Christ ist kein Selbstläufer. Es bewahrt nicht vor Leiden, nicht vor Ängsten, nicht vor Bedrängnis. In manchen Gegenden auf dieser Welt schützt es auch nicht vor Gefängnis oder Folter. Es wehrt nicht mal Krankheiten ab oder bewahrt einen davor, dass geliebte Menschen sterben müssen.
Ein Christenmensch zu sein bewahrt mich auch nicht vor Enttäuschungen. Oder davor selbst andere zu enttäuschen.
Als Christ bin ich qua Amt kein besserer Mensch, ich mache weiterhin Fehler, erlebe genauso viele schlechte Tage, wie alle Menschen und spüre nicht immer die Liebe Gottes wie einen Platzregen über mir. Es gibt auch bei Christen Streit unter Freunden, Streit in der Ehe und es gibt Streit unter Kollegen. Die christliche Welt ist nicht einfach nur eine bessere Welt, weil sie von Christen bevölkert wird.
Christsein ist kein Selbstläufer und wenn man mir bloß Durchhalteparolen verkündigt, dann ist es schwer, bei der Stange zu bleiben. Es braucht gute Beispiele, standhafte Menschen, Leute, an denen man sich ausrichten kann. In schweren Zeiten sind das die Anker, die ein wankendes Glaubensschiff vor dem Kentern bewahren.
Paulus ist so ein Typ. Er hat Ecken und Kanten und redet seinen Gegnern nicht nach dem Mund. Er weiß um die Abgründe, um das Leid. Er hat es selbst erlebt, aber er glaubt diesem Gott immer noch. Er hat Geduld bewiesen. Geduld im Leid und Geduld in der Anfechtung. Gewiss, es wäre bestimmt bequemer gewesen auf einfachere Angebote zu verfallen. So wie die Korinther. Den mühsamen Weg verlassen und es sich gut gehen lassen.In Korinth wollte man auf nichts verzichten: Nicht auf die Huren am Tempel der Aphrodite, nicht auf das Heiligtum des Poseidon, nicht auf die Vielgötterei und schon gar nicht wollte man das eigene Wohlergehen aus dem Blick verlieren (Vgl. Dr. M. Hohmann in: GPM IV. Reihe, 1994, Heft 2, S. 119).Und das Ende vom Lied: Auf so einer Party hat es Paulus naturgemäß schwer, denn das was er da sagt, gehört doch wohl eher zum Sprachschatz eines Spielverderbers.Wer bitteschön möchte denn etwas über Angst, Not und Trübsal hören, wenn gerade eine Orgie am Tempel der Aphrodite steigen soll.Also lieber einfache Antworten auf schwierige Fragen geben und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Wo das endet, kann man in Korinth studieren.
Paulus und Poirot. Zwei sehr gute Beispiele für Beharrlichkeit und Standhaftigkeit auch unter widrigen Bedingungen. Der einzige Haken an der ganzen Sache ist, dass Hercule Poirot nicht existiert, zumindest nicht im wahren Leben. Er ist eine Erfindung der Schriftstellerin Agatha Christie und damit nur ein ausgedachter Einspruch gegen eine schlechte Welt.
Paulus ist nicht erfunden. Er und seine Gedanken lassen sich auch nicht so einfach beseitigen. Die Korinther haben das erfahren und in seinen Briefen verkörpert er weiterhin den Einspruch Gottes gegen eine Welt, die in manchen Teilen fertig ist mit ihm. Der Apostel ist Gottes Art, der alten Welt, mit all der Trübsal, den Nöten, Ängsten und Schlägen und den Mühen und ihren ätzenden Mechanismen zu widersprechen. Er ist das beste Beispiel dafür, dass Widerstand gegen die Gleichgültigkeit und das Festhalten an Gottes Treue nicht sinnlos sind.
Oder wie Hercule Poirot sagen würde, es kommt auf uns an, in dieser Welt den Unterschied zu machen.
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Himmlische Höhenflüge und der Boden der Tatsachen – Predigt zu 2. Korinther 2, 1-10 von Katja Albrecht
Der Januar war zu grau. „Friederike“ wehte zu heftig. Immer noch räumen wir auf – die Dachziegel, die gefällten Bäume, die eingedrückte Friedhofsmauer. Und dann die Statistik: So viele Sterbefälle – und so wenige Taufen…
Woraus leben wir als Gemeinde? Sind es die herausragenden Gottesdienste, die beglückenden Momente, in denen viel mehr Menschen kamen als wir uns vorgestellt hatten? Gewinnen wir unsere Kraft daraus, dass wir durchhalten? Anpacken und aufräumen? Dass wir manche Gottesdienste in sehr kleiner Zahl feiern, immer wieder. Dass wir erleben – wenn wir uns begegnen, dann sind wir nicht unter uns. Gottes Wort, Gottes Geist kommen dazu und machen das Wesen unseres Miteinanders aus. Oder sind es sogar genau die Momente, in denen wir realisieren: Wenn es nur von uns abhinge, dann könnten wir gleich einpacken. Es menschelt ja auch unter uns. Und jede/r ist den eigenen Befindlichkeiten am nächsten.
Für mich ist es die Einheit aller dieser Erfahrungen, die uns als Gemeinde ausmacht. Dass zu uns das Eingeständnis der Schwäche ebenso gehört wie der Jubel über einen gelungenen, großen Gottesdienst, der die Herzen von vielen erreicht. Wir leben als Gemeinde daraus, dass wir uns innerhalb dieser Pole bewegen – und darauf vertrauen, dass an jedem Punkt Gott mit uns ist.
Predigttext
Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es –, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. Denn wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich kein Narr; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.
Wieder einmal bleibt Paulus nur der Brief nach Korinth. Von dort hört er vernichtende Urteile über sich. Diesem Mann und seinem Weg für die Gemeinde wollt ihr weiter vertrauen? Diesem ehemaligen Christenverfolger? Diesem schwachen Menschen? Über Paulus ist die Gemeinde doch längst hinausgewachsen… So könnten manche der korinthischen Stimmen gelautet haben… Könnten… denn bei diesem Briefverkehr kennen wir jeweils nur die Reaktionen, also das, was Paulus antwortet. In dem Abschnitt, den wir eben gehört haben, geht es ans Eingemachte. Himmlische Höhenflüge führt er an. Auf die ihn niemand Geringerer als Jesus Christus selber mitgenommen hat. Sogar einen Blick in das Paradies hat er werfen dürfen – und dort Dinge gehört und gesehen, für die er im Nachhinein gar keine Worte findet. Das Ganze geschah - vor vierzehn Jahren… Ist dieser angegriffene Apostel wirklich so bescheiden, dass er so lange über so eine überwältigende Erfahrung schweigt? Warum spricht er dann jetzt darüber?
Genau wissen wir das nicht. Generationen von Auslegern der Paulusbriefe haben versucht durch einen Vergleich der Paulusbriefe und durch Hinzuziehung weiterer Schriften Näheres herauszubekommen. Haben sie aber nicht. So wie Paulus jetzt davon berichtet, möchte er dadurch nur eines: Er lobt Gott für dieses Geschenk an ihn. Himmlische Höhenflüge…
Gleich im nächsten Gedankengang saust er mit Macht wieder dem Erdboden entgegen. Ein Stachel im Fleisch, eine körperliche Einschränkung macht ihm das Leben schwer. Gefleht hat er darum, diesen Makel loszuwerden, aber genützt hat es nichts. So spürt er es am eigenen Leib: Aus meiner eigenen Kraft heraus, weil ich etwa so ein stattliches Mannsbild bin, kann ich dem Lob Gottes kaum dienen.
Woraus leben wir als Gemeinde? Wir leben auch aus den Zeugnissen einzelner Menschen. Und obwohl diese Aussagen des Apostels ihren Ort innerhalb seines Ringens um die Gemeinde in Korinth haben, sind sie doch auch das Zeugnis eines Christen. Eines Christen, dem ein sehr vertrauter Umgang mit Jesus Christus und ein Einblick in uns Menschen eigentlich verschlossene Sphären gestattet wurde. Eine Krafterfahrung, die auch in schweren Zeiten trägt. Und dann schließt sich auch gleich das andere an: Die Klage über die eigene Begrenztheit, den schwachen Körper.
Beides steht an dieser Stelle nebeneinander, beide Pole des geistlichen Erlebens – die Erfüllung und das Angefochtensein.
Himmlische Höhenflüge und eine unsanfte Landung auf dem Boden der körperlichen Tatsachen. Das bleibt alles rätselhaft. Aber es führt uns auch mitten hinein in die Kirchenjahreszeit, die jetzt angebrochen ist – in der wir auf die Passionszeit zugehen. Himmlische Höhenflüge – das ist auch ein schönes Bild für die Weihnachtszeit mit all dem Wunderbaren, was wir gefeiert haben. Und der Weg durch die Passionszeit, das ist ein Weg durch alle Niederungen des menschlichen Lebens. Immer an der Seite von Jesus, dem Christus, Gottes Sohn und unserem Bruder.
Lass dir an meiner Gnade genügen, spricht Gott; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit… In diesem Satz ist schon ein österlicher Hoffnungsschimmer enthalten. Denn in dem Moment, in dem Jesus der Brutalität der Menschen ausgeliefert war, in dem er einen grauenvollen Tod starb, in dem Moment griff Gott ein und holte ihn ins Leben - als Hoffnung für alle Menschen, die leiden.
Sechzig Tage sind es noch bis Ostern. Zehn Tage noch befinden wir uns in dieser Zwischenzeit. Eine ruhige Zeit im Gemeindeleben. Wir blicken zurück – und blicken voraus. Denken an Glaubensfülle und beklagen Glaubensdürre. Wissen uns getragen auf dem Boden der gemeindlichen Tatsachen – und weit darüber hinausgehoben… Packen an, räumen auf. Schaffen Räume. Hören die Worte: Lass dir an meiner Gnade genügen.
Amen.
Liedvorschlag: Gott hat mir längst einen Engel gesandt (Durch Hohes und Tiefes, 344)
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Zeugnistag – „ … ist okay“ – Predigt zu 2. Korinther 12,1-10 von Wolfgang Grosse
Mittwoch gab es Zeugnisse. Halbjahreszeugnisse.
Mein Sohn, 17 Jahre alt, 11. Klasse, nächstes Jahr Abitur – so Gott will, und er will -hat natürlich auch eins bekommen. Gesehen hatte ich es bis Freitag noch nicht. Ich konnte nur aus seiner Stimmung und seinen Zwischentönen erahnen: Es schien zumindest für ihn in Ordnung zu sein. Vielleicht mit ein paar Abstrichen. Aber ich war ja neugierig. Freitagmittag sagte ich dann ganz beiläufig: „Sag mal, gab’s nicht Zeugnisse?“ „Jo, alles gut. Sport 14 Punkte, Geo (Geographie, der eine Leistungskurs) 11 Punkte. Der Rest ist okay.“ Okay ist relativ, ich weiß. Aber auch er ist schon darauf getrimmt: Schwächen gibt es nicht in unserer Gesellschaft. Und Schule ist ein Abbild der Gesellschaft.
Die Guten, gegen die keiner eine Chance hat, und die Streber sind sowieso ein Gräuel, und die Speichellecker, die Einschleimer, die schon ganz früh kapiert haben: Es geht in dieser Welt nur darum, die anderen abzuhängen, sie hinter sich zu lassen. Wenn es sein muss, mit ein bisschen Mobbing. Aber so scheint das ja zu sein, schon von klein auf.
„America first“ … „Me first“ … die Worte sind beliebig zu ersetzen in einer Zeit, in der Ausgrenzung, Abschottung und Nationalismus wieder an der Tagesordnung ist. Was für eine egoistische Zeit.
Mit diesem Zeugnis wird das nichts mit einer Lehrstelle! So wird das nie ein akzeptables Abitur; einen Studienplatz kannst du dir abschminken… Wie viele junge Menschen haben sich solche oder ähnliche Sätze in diesen Tagen anhören müssen? Mein Sohn nicht. Aber … auch ich bin nicht frei von solchen Gedanken. Gott sei Dank, ich erinnerte mich rechtzeitig an meine Schulzeit damals, fragte nicht nach sondern fragte mich: Was für ein Zeugnis würdest du wohl bekommen? Heute? Nicht Schulzeugnis. Aber vielleicht so etwas wie ein Halb-Lebenszeugnis. Ich bin 50 Jahre alt. Was für ein Zeugnis würde ich mir selbst ausstellen? Und Gott? Würde Gott okay sagen zu meinem Leben?
„Hmmm, okay … wie meinst du denn das?“ fragte ich meinen Sohn. „Na, okay halt. Passt schon. Willst es jetzt echt sehen, oder was?“ Gewissensfrage. „Nee, ist schon gut. Ich vertraue dir. Wirst es schon wissen.“
Er schaute mich verwundert an. So nach dem Motto: Das meinst du jetzt nicht ernst, oder? Wie bist du denn drauf? Andere Eltern bekommen eine Krise und du … Du sagst einfach: Lass stecken? Alles gut? Ehrlich? „Du bist aber gnädig.“
„Was ist mit dem Rest?“ fragte ich trotzdem. Mein Sohn schaute mich verwundert an. Und er kapierte scheinbar sehr schnell. „Rest ist Rest. Halt die anderen Fächer. Du weißt doch: jeder hat Stärken und Schwächen. Was ist mit dir? Stärken und Schwächen?“ „Willst du jetzt hören wie toll ich bin?“ „Nein, aber bekommst du eigentlich auch mal ein Zeugnis?“
Seine unvermittelte Frage traf mich. Zeugnis? Meine Stärken und Schwächen? Was heißt das in unserer Zeit? Gehöre ich zu den Starken oder zu den Schwachen? Wahrscheinlich ist das gar nicht so leicht zu sagen. Es wird immer noch jemanden geben, der schwächer ist, aber bestimmt auch genug Menschen, die stärker sind. Und, was heißt stark? Was heißt schwach? Geht es um den Geldbeutel? Oder um die körperliche Verfassung, oder die geistige? Um ein Zeugnis oder gar um den Glauben?
Stark und Schwach ist in unserer Gesellschaft klar formuliert. Der Slogan: Mein Haus, mein Auto, meine Familie, mein Boot … etc. … und auch in Variationen … hat sich als Satz dermaßen festgesetzt, da kommen wir nicht umhin. Letztendlich ist er ja auch Realität. Und doch ist er so relativ.
Die allein erziehende Mutter mit ihren drei Kindern - von der die Nachbarn sagen: "Die arbeitet nicht, die ist nur zu Hause." - , ist die stark oder ist die schwach? Der Polizist, der auf den Demonstranten eben nicht einprügelt, - ist der stark oder schwach? Der Banker, der seine Kinder immer nur sieht, wenn sie schon im Bett sind und schlafen, - ist der stark oder schwach? Was zählt also?
„Papa, sag mir: Worüber predigst du kommenden Sonntag?“ „Ich predige über Paulus und die Gemeinde Korinth. Eine blöde Situation damals vor ungefähr 2000 Jahren. In Korinth da zählte Stärke. Schwäche war nicht erlaubt. Das ewige Spiel der Macht. Damals wie heute.
Paulus hatte die Gemeinde gegründet. Mühsam. Aber sie war entstanden. Sie hatten seinen Worten, seinem Zeugnis von Jesus Christus geglaubt. Dann war er abgereist. Aber es gab viele Prediger damals. Auch in Korinth. Große Redner, Charismatiker, Ekstatiker, große Wortführer, die von ihren tollen Taten und Erlebnissen mit Gott erzählten. Wunder! Krankenheilungen. Offenbarungen, Visionen und sog. Zungenreden! Das beeindruckte die Menschen schon. Mein Haus, mein Auto, meine Familie, mein Boot … mein Gott! Paulus war da schnell vergessen. Kein gutes Zeugnis für ihn.
Aber er gab nicht auf. Kämpfte um die Korinther. Kämpfte mit sich. Er schrieb der Gemeinde: (Übersetzung: Gute Nachricht)
Ihr zwingt mich dazu, dass ich mein Eigenlob noch weiter treibe. Zwar hat niemand einen Nutzen davon; trotzdem will ich jetzt von den Visionen und Offenbarungen sprechen, die vom Herrn kommen. Ich kenne einen mit Christus verbundenen Menschen, der vor vierzehn Jahren in den dritten Himmel versetzt wurde. Ich bin nicht sicher, ob er körperlich dort war oder nur im Geist; das weiß nur Gott. Jedenfalls weiß ich, dass diese Person ins Paradies versetzt wurde, ob körperlich oder nur im Geist, das weiß nur Gott. Dort hörte sie geheimnisvolle Worte, die kein Mensch aussprechen kann. Im Blick auf diese Person will ich prahlen. Im Blick auf mich selbst prahle ich nur mit meiner Schwäche. Wollte ich aber für mich selbst damit prahlen, so wäre das kein Anzeichen, dass ich den Verstand verloren hätte; ich würde ja die reine Wahrheit sagen. Trotzdem verzichte ich darauf; denn jeder soll mich nach dem beurteilen, was er an mir sieht und mich reden hört, und nicht höher von mir denken. Ich habe unbeschreibliche Dinge geschaut. Aber damit ich mir nichts darauf einbilde, hat Gott mir einen »Stachel ins Fleisch« gegeben: Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich nicht überheblich werde. Dreimal habe ich zum Herrn gebetet, dass der Satansengel von mir ablässt. Aber der Herr hat zu mir gesagt: »Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft.« Jetzt trage ich meine Schwäche gern, ja, ich bin stolz darauf, weil dann Christus seine Kraft an mir erweisen kann. Darum freue ich mich über meine Schwächen, über Misshandlungen, Notlagen, Verfolgungen und Schwierigkeiten. Denn gerade wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.
Mein Sohn guckte mich verwundert an. „Verstehe ich nicht. Will er nun angeben oder den Schwanz einziehen? Der Typ ist doch völlig abgedreht. Visionen, unaussprechliche Worte und sowas. Naja, Stachel im Fleisch … und Schwäche ist Stärke … ehrlich, das ist doch Quatsch, Papa.“
Eigentlich hatte mein Sohn ja Recht. Was für verrückte Sätze. Völlig gegen unserer Zeit. Sie stellen alles auf den Kopf. „Du hast ja recht. Das mag auf den ersten Blick stimmen. Der Typ Paulus kämpft mit sich und der Gemeinde. Man merkt auch: diese Zeilen sind ihm eigentlich zuwider. Aber er muss sie schreiben. Er muss sich auf die Argumentation der angeblich „Großen“ einlassen bevor er seine eigentliche Botschaft anbringen kann. Denn auch er kennt das Spiel der Macht durchaus.“
„Ach hör‘ mir auf mit Macht. Wir haben doch sowieso keine Chance gegen die „Großen“ … Was soll das? Trump macht doch auch was er will.“
„Stimmt schon. Aber nicht wirklich. Das weiß auch Paulus. Er fängt an zu prahlen, anzugeben mit seinen Visionen, Offenbarungen, dem Paradies und unaussprechlichen Worten. Aber er weiß, dass das eigentlich nichts bringt.“ „Kein Wunder. Blöde Angeberei. Fake News, sozusagen.“ „Naja, ob fake oder nicht sei mal dahin gestellt. Aber du hast recht: Angeberei. Glänzende Seifenblasen, die oft schnell zerplatzen.“
„Und was bringt das dann?“ „Paulus will auf etwas anderes hinaus. Er kommt mit einer völlig konträren Botschaft. Er stellt alles auf den Kopf. Schwäche ist Stärke. Er ist stolz auf die eigene Schwäche. Das ist es.“
„Nee, ne? Das meint er nicht ernst, oder?“ „Doch. Ganz ernst. Er steht zu seinen Schwächen.“ „Versager? Looser?“ „Nein, eigentlich ein Gewinner. Gerade weil er zu seinen Schwächen steht. Sein sog. Stachel im Fleisch, seine wie auch immer geartete Krankheit … er weiß, dass er nicht davon loskommt und akzeptiert sie.“ „Was für eine Krankheit?“ „Keine Ahnung. Aber sie muss ihn sehr belastet haben.“
Ich sah es meinem Sohn an. Es arbeitete in ihm. Schwäche und Stärke. Schwäche in Stärke. Das muss ein junges Hirn erst einmal zusammen bekommen. „Du meinst jetzt aber nicht die 5 Punkte in Kunst, oder?“ „Ist das dein Stachel?“ „Nö, eher … naja … ich geb‘ ja zu, dass ich manchmal völlig verplant bin und nichts auf die Reihe bekomme.“ „Das passt schon eher zum Stachel. Aber ist das nicht vielleicht auch ein Gewinn für dich?“ Mir kam in diesem Moment eine Idee.
„Papa, du sagst doch selbst immer, dass ich nichts auf die Reihe bekomme. Wo soll da also was Positives sein?“ „Naja, dein Chaos bringt doch auch was Kreatives mit sich. Was ist denn mit deiner Fotografie? Die Kamera zwischendurch. Das ist doch echt toll, was du da machst.“ Seine Fotos sind wirklich sehr gut. Eine Perspektive für seine berufliche Zukunft? Was sollen da die 5 Punkte in Kunst, ehrlich? Vatergedanken.
Aber so schnell ließ sich mein Sohn nicht abspeisen. „Okay, aber das meint Paulus ja nicht wirklich, oder?“ „Nein, da hast du recht. Paulus meint etwas ganz anderes.“
„Und was?“ „Wer definiert denn, wer stark und wer schwach ist? Wer oben und wer unten ist? Sagen das die Zeugnisnoten? Oder das Portemonnaie? Oder ob man in Straße oder Stadtteil X oder in Straße oder Stadtteil Y wohne? Ob der Vater Angestellter oder Selbständiger ist? Was sind unsere Maßstäbe?“ Er nickte.
„Paulus sieht auf Gott. Und Jesus, und wie unsere Maßstäbe durchkreuzt wurden. Er sieht, wie Gott seine Macht abgab und Mensch wurde, schwach wurde, verletzlich. Schwach bis zum Tod am Kreuz. Du weißt schon Karfreitag. Und dann Ostern.
diese Erkenntnis gibt Paulus die Stärke zu sagen: ich kann meine Schwäche annehmen. Ich kann mit ihr leben. Ich muss mich nicht angeberisch groß machen und alles Negative an mir vertuschen. Denn Gott macht mich groß, weil er meine Schwächen kennt. Weil Gott in seiner Größe schwach wurde und doch den Tod besiegte.“
„Papa?“ „Ja?“ „Ich kapier‘ das ja schon ein bisschen mit Gott und Stärke und Schwäche. Aber irgendwie ist das so abstrakt …“
Da hatte er mich wohl mal wieder kalt erwischt. Nicht der Papa sondern der Pastor hatte gesprochen. „Hast recht. Vielleicht einfach so: Gott hat dich lieb so wie du bist. Er kennt dich. Mit deinen Stärken und mit deinen Schwächen. Und er ist gnädig.“ „Ehrlich?“ „Ja. Denn das Leben ist wichtig. Glück ist wichtig. Liebe ist wichtig. Nicht die Stärken und Schwächen. Deshalb ist Gott gnädig. Gnade ist wichtig.“
Mein Sohn zögerte. „Willste es jetzt sehen oder nicht?“ „Wie du willst.“ Mein Sohn stand auf und nahm mich unvermittelt in den Arm. „Habe - glaube ich - was kapiert. Bist schon okay, Papa. 11 Punkte mindestens. Hab dich lieb. Ich hol’s mal.“ Er ging in sein Zimmer. Holte sein Zeugnis. Gut, dass er nicht meine kleine Träne sah. Schwäche und Stärke. Was soll’s?
Bisschen stolz war ich aber schon auf mich. Ich weiß, Eigenlob und so. Gott verzeiht auch mir. Meine Schwächen. Meine Stärken. Durch seine Gnade. Das ist okay. Amen.