Wunder geschehn - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-18 von Frank Fuchs

Wunder geschehn - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-18 von Frank Fuchs
2,1-18

Wunder geschehn

1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen; 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.

   5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien und in Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von  Kyrene in Lybien und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden.

   12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. 14 Da trat Petrus auf mit den Elfen, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr zu Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen. 15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; 16 sondern das ist's, was durch den Propheten Joel zuvor gesagt ist: 17 "Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.

Liebe Gemeinde,

der Pfingstsonntag ist für mich ein besonderer Tag im Leben. Denn vor drei Jahren kam am Abend dieses Tages unser jüngstes Kind zur Welt. Das wäre jetzt noch nichts Besonderes. Unser 4. Kind wurde aber ausgerechnet genau an dem Datum geboren, an dem auch das 4. Kind meiner Großmutter das Licht der Welt erblickt hatte. Die Familie war jetzt wie die Familie meiner Großmutter komplett. Tragischerweise starb das jüngste Kind meiner Großmutter, also mein Onkel, bei einem Verkehrsunfall, als er ein junger Mann war. Dadurch mischt sich in die Freude an diesem Tag auch Trauer. Vielleicht fällt gerade deshalb das Zusammenfallen beider Geburtstage umso mehr auf. Jedenfalls ist dieser Zusammenhang so etwas wie ein Pfingstwunder für mich. Manchmal passieren Dinge, die wir uns kaum erklären können. Ist es reiner Zufall? Oder ist es Fügung und hat etwas von einem Wunder?

Mit Trauer und Freude hat auch Pfingsten zu tun. Denn an Himmelfahrt hatte Jesus endgültig die Jünger verlassen. Was sollte nun aus ihnen werden ohne ihren Herrn und Meister? War die Geschichte des Christentums zum Ende gekommen? Immerhin war es nach Hinrichtung und Tod Jesu nun ein gutes Ende. Aber dass Jesus nun die Jünger für immer verlassen hatte, hat sie das ganz sicher verunsichert. Sie trauerten der gemeinsamen Zeit mit Jesus nach. Sie fragten sich, was jetzt kommt, wenn es denn überhaupt noch weitergeht. Eine Möglichkeit schien für sie zu sein, dass die Zeit nun erfüllt ist und das von Jesus angekündigte Reich Gottes auf Erden verwirklicht wird. Das war auch die letzte Frage der Jünger an Jesus, bevor er sie verlassen hat. Soll das Reich Gottes nun kommen? (Vgl. Apg 1,6) Jesus antwortete darauf, dass niemand den Zeitpunkt des Kommens des Reiches Gottes wissen könne. Er verheißt ihnen aber: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und ihr werdet meine Zeugen sein. Apg 1,8 An seine Stelle tritt der Heilige Geist. Die Geschichte geht als weiter. In ihre Trauer kann sich Freude mischen. Der Auferstandene teilt den Jüngern mit, dass sie Jerusalem nicht verlassen sollen. Er sagt ihnen wie folgt Pfingsten voraus: Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. Apg 1,5 Dies zeigt, dass die Taufe im Christentum mit dem Geschehen an Pfingsten fest verbunden ist. Vorher gab es nur die Taufe mit Wasser. Jetzt aber gibt es die Taufe mit dem Heiligen Geist.

Wenn wir heute im Gottesdienst die Taufe eines Kindes erleben, dann vertrauen wir in der Nachfolge von Pfingsten darauf, dass der Heilige Geist in der Taufe wirkt. Pfingsten schärft unseren Blick dafür, dass Wunder gar nicht so weit weg von uns sind. Die Geburt eines Kindes wie die von Jonathan am 4. März ist schon wie ein Wunder. Vorher war das Kind vor allem durch das Strampeln oder auch durch den Schluckauf im Bauch zu spüren. Wie groß ist die Freude, wenn man es in den Händen hält. Die Dankbarkeit für dieses Glück ist wohl mit ein Grund dafür, dass Sie, liebe Eltern, Ihr Kind zur Taufe bringen. Für sein Leben erbitten wir Gottes Segen.

Wir sagen dann, dass etwas wie ein Wunder war. Dass es ein Wunder war, getrauen wir uns kaum zu sagen. Das hat natürlich auch mit unserem modernen Weltbild zu tun, nach dem alles wissenschaftlich erklärbar ist. Das Wunder an Pfingsten besteht darin, dass Menschen in fremden Sprachen sprechen und doch verstanden werden. Die Fremden, die nach Jerusalem zum Fest gepilgert sind, hören die Jünger in ihren eigenen Sprachen reden. So hören sie vertraute Worte und sind einander nicht mehr fremd. Damit war für sie in der Fremde überhaupt nicht zu rechnen. Entsprechend sind sie erstaunt und entsetzt, was da geschehen ist. Es ist nicht zu erklären, was da passiert. Deshalb meinen nun einige, dass sie zu sehr dem Alkohol zugeneigt waren und sich mit Wein verköstigt haben. Das ist eine naheliegende Erklärung für das Stimmengewirr, das zu hören ist. Erst Petrus kann ihnen die verwirrende Situation deuten, indem er erklärt, dass es ja erst 9 Uhr morgens nach unserer Zeit ist. Das ist wirklich zu früh für einen Umtrunk. Denn so früh morgens war auch am Himmelfahrtstag, der landläufig als Vater- oder Herrentag bezeichnet wird, noch niemand berauscht. Vielmehr verweist Petrus auf den Propheten Joel, der die Ausgießung des Heiligen Geistes vorausgesagt hat. Die Pfingstgeschichte ist die Gegenschichte zu Erzählung vom Turmbau zu Babel. Nachdem Gott die Menschen wegen ihres Hochmuts in viele Sprachen getrennt hat, sind sie nun im Geist Gottes vereint.

In Gottes Geist vereint zu sein, das ist ja der tiefere Sinn von Pfingsten. Es war für mich im letzten Jahr wie ein Wunder, dass wir zum ersten Mal mit den vier christlichen Gemeinden in unserer Stadt am Pfingstmontag nicht nur Gottesdienst gefeiert haben, sondern auch ein gemeinsames Gemeindefest. Mit Begeisterung haben viele mitgewirkt. Bei allen Diensten gab es am Ende mehr Helfer als nötig waren. Wenn sich Christen auch mit unterschiedlichen Bekenntnissen verstehen können, dann ist es, als würden sie in einem Geiste sprechen. Auch wenn freikirchliche, katholische oder evangelische Christinnen und Christen in manchen Standpunkten wie bei der Taufe getrennt sind, kommen sie an diesem Tag vereint zusammen. Morgen soll es wieder so sein.

Bei manchen Ereignissen sagen wir gern: „Das war für mich wie ein Wunder.“ Es bleibt dann der Vorbehalt, dass es eigentlich kein Wunder war. Wir können es auch anders erklären. Es war nur Zufall oder einfach etwas Besonderes. Mehr nicht. Pfingsten lädt uns aber dazu ein, die Wunder Gottes zu sehen. Manchmal ist es mehr als nur Zufall – oder eben etwas ganz Besonderes. Vertrauen wir auf Gottes Geist, dann können wir mit Wundern rechnen – auch heute.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied: Jauchz Erd, und Himmel, juble hell, 127,1-2

 

Perikope
15.05.2016
2,1-18

Wie sich Pfingsten aktuell ereignen kann - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-18 von Jens Junginger

Wie sich Pfingsten aktuell ereignen kann - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-18 von Jens Junginger
2,1-18

Wie sich Pfingsten aktuell ereignen kann
Erzählpredigt in einem Familiengottesdienst mit Taufen und Menschen aus anderen Kulturkreisen und Nationen ( Apostelgeschichte 2,1-18)

Hinführung: Kurzes Gespräch mit Kindern in welchen Städten sie schon mal waren,
wie ihnen Städte gefallen oder nicht gefallen?


Früher sahen Städte anders aus, als heute. Und wenn ich „Früher“ sage, dann meine ich, vor 2000 Jahren, in der Zeit als Jesus und seine Freunde gelebt haben.
Anstelle von Autos und Fahrrädern gab es da Eselskarren.
Die Straßen waren nicht gepflastert, geteert, sondern staubig und trocken.
Die Häuser waren kleiner und hatten flache Dächer.
Die Leute waren draußen unterwegs, in den Straßen, Gassen und auf den Plätzen.
Dort traf man sich. Dort wurde verhandelt und gehandelt.
Man erzählte sich das Neuste, aus dem eigenen Leben: Oder man sprach über besondere Ereignisse.

Eine solche Stadt, mit einem großen Marktplatz war die Stadt Jerusalem.
Und auf dem Marktplatz in Jerusalem, da feierten die Menschen ihre besonderen Feste.
Die hatten einen bestimmten Grund. Oft erinnerte man bei diesen Festen, an Ereignisse in der Vergangenheit. An den Auszug des Volkes aus der Sklaverei und an Gottes Hilfe und Begleitung auf diesem Weg.
Da gab es das ganz wichtige Passahfest.
Es erinnert an das letzte stärkende gemeinsame Essen des Volkes vor dem Auszug. Da musste es schnell gehen. Es reichte nur noch ungesäuertes Brot herzustellen.

Jesus war anlässlich dieses Passahfestes zum letzten Mal mit seinen Jüngern zusammen. Es war, als Jesus gesagt hat, dass einer seiner Freunde ihn verraten würde. Ein Tag später dann wurde er gefangen genommen und gekreuzigt.

Fünfzig Tage nach dem Passahfest wurde das nächste Fest gefeiert. Es hatte den ungewöhnlichen Namen „Schawuot“. Wörtlich heißt das: „Siebenwochen“.
Denn, sieben Wochen mal sieben Tage sind 49 Tage. Also wurde am 50sten gefeiert.
Und bei diesem Fest wurde daran erinnert, dass das jüdische Volk bei seiner langen Wanderung aus der Sklaverei in Ägypten von Gott unterstützt wurde. Am Berg Sinai haben sie die Weisungen Gottes, die Thora erhalten, sozusagen einen Teil der Bibel. Weisungen wie sie miteinander leben und umgehen sollten.

Sie feierten, dass Gott ihnen ein Geschenk gemacht hat, dass Gott unmittelbar Kontakt mit ihnen aufgenommen hat.
All diese Feste wurden draußen auf dem Marktplatz in Jerusalem gefeiert.

Da waren die Bewohner der Stadt Jerusalem auf dem Markt. Und noch viele mehr. Menschen aus vielen anderen Ländern. Man hörte sie dort in ihren Muttersprachen reden.
 
Es hört sich märchenhaft an, wenn man die Namen der Länder nacheinander aufzählt, aus denen sie kamen:
… aus Persien, Medien und Elam.
… aus Mesopotamien,

Judäa, Kappadozien,
aus
Pontus und der Provinz Asien,
aus
Phrygien und Pamphylien.
Aus
Ägypten und der Gegend von Zyrene in Libyen,
ja sogar aus
Rom sind Besucher hier.
Auch Kreter und Araber sind dabei. (vgl. Apg 2,9-11)


Wenn man sich das auf der Landkarte anschaut, dann sehen wir:
Sie kamen aus [gesprochen von den Gottesdienstbesuchern aus ihren ursprünglichen Heimatregionen] aus
Afrika und Syrien, Irak, Iran, Afghanistan.
Aus Griechenland, der heutigen Türkei und und und.

Sie hatten den gleichen Glauben.
Sie waren gekommen um mitzufeiern.
Es ging also total bunt zu auf dem Marktplatz, vielsprachig, farbig, lebendig, freudig, quirrlig.
Und alle freuten sich daran, keiner ärgerte sich über die Vielfalt oder rümpfte die Nase.

Inmitten dieses aufgeregt fröhlichen Treibens war eine Sache etwas seltsam und auffällig:
Ein Haus war verschlossen: Tür und Fenster waren zu.
Warum nur?
Darüber wurde unter den Leuten natürlich getuschelt und geschwatzt.
Erst recht, weil man wusste, dass Leute drin waren.
                                                                      
Tatsächlich hatten sich in diesem Haus einige eingeschlossen.
Es waren die Freunde und Freundinnen Jesu.
Die waren noch immer durcheinander. Ein paar Wochen war es nun her gewesen, dass Jesus mit ihnen zuletzt zusammen gewesen war, dann gefangen genommen, gekreuzigt und begraben worden war.
Drei Tage danach war dann das Grab leer. Und sind ihm einige noch auf ungewöhnliche Weise begegnet.

All die Erlebnisse und Ereignisse hatten sie noch nicht verarbeitet.
Und vor wenigen Tagen dann dieses allerletzte Erlebnis:
Als Jesus sie wissen ließ:
Ich werde den Geist zu euch senden,

Bleibt hier in der Stadt,
bis ihr diese Kraft von oben empfangen habt.«
Dann hatte er mit ihnen die Stadt verlassen
die Hände gehoben und sie gesegnet.
51Und während er sie
segnete,
entfernte er sich von ihnen
und wurde zum
Himmel emporgehoben. (Lukas 25,49ff)

Und nun sollten sie sich auf den Weg machen und von Jesus erzählen „in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Erde.“ (vgl Apg1,8)

Sie sollten andere zu Jüngern machen, taufen
und die Menschen lehren alles, was Jesus gesagt hatte (vgl Mt 28).


Das war schon ziemlich heftig.
Was für ein gewaltiger Auftrag. So viel Verantwortung!
Wie konnten sie dem gerecht werden?
Wie sollten sie es angehen?
Sie waren verunsichert und ängstlich.

Was würde passieren, wenn sie jetzt einfach das Haus verlassen und hinausgehen würden, mitten auf den Marktplatz?
Wie würden die Menschen draußen reagieren?
Wie würden sie schauen?
Würden sie mit den Fingern auf sie zeigen?
Was würden sie mit ihnen machen?
Doch was war das?                                                 [Windrauschen/ Orgelimprovisation] 
 
Plötzlich kam vom Himmel her ein Rauschen
wie von einem starken Wind.
Das Rauschen erfüllte das ganze
Haus,
in dem sie sich aufhielten.
3Dann erschien ihnen etwas wie züngelnde Flammen.
Die verteilten sich
und ließen sich auf jedem Einzelnen von ihnen nieder.
Ein Brausen und Rauschen, ein kräftiger Wind.“(
Apg2,2f)

Irritiert schauten sie sich an.
Was war hier los?
Neugierig, gespannt, interessiert rannten aus ihrem Haus auf den Marktplatz.
Mitten in die bunte Menge hinein liefen sie.
 
Ihr Ängstlichkeit, ihre Sorge, ihr Zweifel -  alles war wie weggeblasen.
Mit einem Mal.
Und nun waren sie mitten drin.
Sie strahlten, sie waren begeistert, fasziniert und – oh Wunder -  voller Kraft und Energie.
Die Freunde Jesus hatte mit einem Mal eine feurige, ja, eine heilige Begeisterung erfasst, die man mit dem Verstand allein nicht zu erfassen oder zu erklären war.

Für einen von ihnen, Petrus, war das wie ein gewaltiger Energieschub. Er ergriff das Wort und sagte.

Ihr Männer von Judäa!
Bewohner von
Jerusalem!
Lasst euch erklären,
was hier vorgeht,
und hört mir gut zu!
15Diese Leute sind nicht betrunken,
wie ihr meint.
Es ist ja erst die dritte Stunde des Tages.
16Nein, was hier geschieht,
hat der
Prophet Joel vorhergesagt:
17›Gott spricht:
Das wird in den
letzten Tagen geschehen:
Ich werde meinen
Geist über alle Menschen ausgießen.
Eure Söhne und eure Töchter werden als
Propheten reden.
Eure jungen Männer werden Visionen schauen
und eure Alten von Gott gesandte Träume träumen. (Apg 2,14-18)


Was für eine Aussage!
Dieser Geist Gottes beflügelt, lässt uns Visionen schauen und Träume träumen,
davon, dass Sprache, Dialekte, kulturelle Prägung
kein Hinderungsgrund mehr sind, für Verständigung,
kein Hinderungsgrund mehr sind,
für ein Aufstehen und Aufeinander zugehen - hier bei uns, in unserer Stadt, in Europa.

Wir müssen deshalb nicht gleich alles verstehen, tolerieren, akzeptieren, was mein Gegenüber denkt und sagt. Nein, das müssen wir nicht. Aber!
Verständigung beginnt, indem wir die inneren Blockaden, Aversionen, die Ablehnung und Abschottung überwinden – indem sich die Herzen füreinander öffnen.
Und, indem wir anderen sagen, was uns wichtig ist.

Dieser Geist Gottes wurde ausgegossen über zwei kleinen Mädchen.
Sie sprechen unterschiedliche Sprachen. Sie gehen zusammen in den Kindergarten.
Die vierjährige Lissy erzählt ihrer Mama zuhause nahezu täglich wie toll sie mit ihrer Freundin spielen kann.
Auf die Frage der Mama:
„Aber wie sprecht ihr denn miteinander? Ihr sprecht doch nicht die gleiche Sprache, sagt Lissy. Das ist ganz einfach.
Ich spreche halt wie ich spreche und sie spricht wie sie spricht.
Wir verstehen uns, aber vielleicht kannst du das nicht verstehen.?


Da ist er spürbar, zwischen diesen beiden Mädchen. Dieser sanfte Windhauch. Der Geist Gottes. Der Heilige Geist.
Da sieht man die Hoffnungs- und Friedenbotin durch die Lüfte segeln, die Taube, mit der wir die Kraft des Heiligen Geistes symbolisch darstellen.

Und so feiern wir als Christen das Pfingstfest Kraft des Heiligen Geistes zusammen mit Menschen aus anderen Kulturkreisen als Fest der Grenzen-, Sprachen- und kulturübergreifenden Verständigung und des Friedens.

[Mitchristen aus anderen Ländern melden sich in ihrer Muttersprache]

Ich heiße … und komme aus….
Ich bin Christ/in
Ich freue mich, dass wir Christen das Pfingstfest haben.
Es ist das christliche Fest, bei dem Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen zusammenkommen und zusammen feiern.
Es ist ein internationales Fest.
Es ist schön, dass wir zusammen sind.

Wir wollen dieses Fest in Zeiten wie diesen wieder ausgiebiger und bewusster feiern, es mit Leben füllen und Zeichen setzen
Amen

 

Perikope
15.05.2016
2,1-18

Globalisierung aus Galiläa - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-21(36) von Wolfgang Vögele

Globalisierung aus Galiläa - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-21(36) von Wolfgang Vögele
2,1-21

Globalisierung aus Galiläa

„Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Und ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe der große Tag der Offenbarung des Herrn kommt. Und es soll geschehen: wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden.« So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat.“

Liebe Gemeinde,

zu Beginn der Pfingstferien zählt der Evangelist Lukas verlockende Reiseziele auf. Iran und Irak, die Lukas Mesopotamien nennt, sowie Libyen empfehlen sich vielleicht nicht wegen der Kriegsgefahr, aber Reisen nach Kappadozien, heute in Zentralanatolien, nach Ägypten, nach Pontus, einer Region am Schwarzen Meer und in die Provinz Asien, heute die westliche Türkei, kann jedes Reisebüro in unterschiedlichen Preisklassen buchen. In der touristisch gut erschlossenen Türkei und in Griechenland muß niemand die Landessprache beherrschen, um sich verständlich zu machen. Die Rezeptionistin im Hotel, die Verkäufer im Bazar und die Vermieter der Sonnenschirme am Strand werden in der Regel Englisch oder ein paar Brocken Deutsch beherrschen. Die Griechen verwenden nicht das lateinische Alphabet, aber mit ein wenig Raten kann man griechische Ortsnamen, in griechischer Schrift geschrieben, schnell erkennen.

Wer einen Flug über Europa hinaus bucht, kann sich in einem fremden Land mit anderen Schriftzeichen schnell hilflos und verlassen fühlen, angefangen in Rußland, weiter über Oman und Qatar bis nach China und Japan. Für Reisende, die kyrillische oder arabische Schrift nicht beherrschen und japanische Schriftzeichen nicht erkennen, werden Bahnhöfe und Flughäfen zum Labyrinth und Restaurantbesuche zu einer Lotterie der Mahlzeiten.

Erfahrene, weitgereiste Rucksacktouristen greifen in Ländern, deren Sprache und Schrift sie nicht beherrschen, auf ein „OhneWörterbuch“[1] zurück. Darin finden sie für die wichtigsten Alltagssituationen Bilder, auf die sie zur Verständigung zeigen können. Und wenn sie Glück haben, zeigen ihre Gesprächspartner dann auf ein anderes Bild derselben Seite, um dann das billige Hotel mit Doppelzimmer, die glutenfreie Mahlzeit und die Abfahrtszeit des nächsten Busses in die Provinzhauptstadt zu erfahren.

Sprache und Schrift sorgen im gelingenden Fall für Orientierung, Verständigung und für ein nicht zu unterschätzendes Gefühl von Geborgenheit. Wo das fehlt, entstehen schnell Gefühle von Verlassenheit und gelegentlich von Verzweiflung, so beim unerfahrenen deutschen Touristen in der U-Bahn von Tokio oder beim syrischen Flüchtling, der vor einem bayerischen Grenzpolizisten in Passau steht, oder beim afghanischen Asylbewerber, der in Clausnitz in der Nacht den Bus verlassen will.

Sprache (und Schrift) sorgen für Verständigung und Orientierung. Denn wer nicht weiter weiß, kann freundlich und höflich nachfragen. Verständigung verbindet sich mit Wissen, Heimatgefühl und Vertrautheit, mit Beziehungen, Familie und Freunden, mit gemeinsam geteilten Werten. Sobald dieses Gebäude der Verständigung in Unordnung gerät, entstehen Ängste, bei den Touristen genauso wie bei den Flüchtlingen.

Die Sprache und der Heilige Geist sind auf das engste miteinander verknüpft. Wie die Sprache sorgt auch der Heilige Geist für Verständigung und Orientierung, im Glauben sehr viel mehr als in der Lebenswelt. Aber die Verständigung des Glaubens schließt an die Verständigung innerhalb der Lebenswelt an.

Die Verständigung, die mit Hilfe des Heiligen Geistes geschieht, schafft etwas Neues, eine geistliche Gemeinschaft der Freiheit, des Vertrauens und der gegenseitigen Wertschätzung. Das geschieht, indem der Geist eine neue Sprache stiftet. Um diesen theologischen Gedanken zu erklären, nimmt Lukas eine Fülle anschaulicher Bilder zu Hilfe: Wie ein Sturm braust der Geist vom Himmel. Ein gewaltiger Wind weht alle trüben Gedanken aus den Köpfen der Jünger. Ein Feuer kommt über die Gruppe der Zwölf, und sie erwachen zu einem neuen Enthusiasmus. Über den Jüngern schweben Zungen, Zeichen dafür, daß sie plötzlich in Sprachen reden können, die sie niemals gelernt haben.

Liebe Gemeinde, man darf die Bilder, die Lukas für den Geist gefunden hat, nicht ganz wörtlich nehmen. Genau das haben die unbekannten Meister mittelalterlicher Bilder getan, aber mit dieser Anschaulichkeit haben sie die Betrachter ihrer Altarbilder und Deckenfresken auch in die Irre geführt. Die Bilder machen das Wunder anschaulich, das in Jerusalem geschah. Das eigentliche Wunder von Jerusalem aber besteht nicht in Zungen, Wind und Feuer, sondern in Verständigung, Orientierung und geistlicher Gemeinschaft. Mit Metaphysik und Magie hat es wenig zu tun.

Auch das kann man sehr gut an den Pfingstbildern mittelalterlicher Meister lernen. Oft sitzen oder stehen die Jünger im Halbkreis, manchmal zusammen mit Maria, der Mutter Jesu. Alle tragen sie lange, in Falten fallende Gewänder, unter denen die nackten Füße hervorschauen. Mit ihren Händen zeigen sie aufeinander, oder sie halten Bücher und Schriften, in denen sie gerade studiert haben. Über ihnen im blauen Himmel schwebt die golden strahlende Taube des Heiligen Geistes.

Entscheidend ist aber: Die Köpfe der Jünger befinden sich alle auf gleicher Höhe. Alle Jünger tragen den gleichen Heiligenschein. Von der Taube des Heiligen Geistes gehen zwölf Strahlen aus. Alle Jünger haben am Geist in derselben Weise Anteil. Der Heilige Geist macht die Jünger gleich, und deshalb begegnen sie sich in einem Halbkreis auf Augenhöhe. Das ist das Pfingstwunder: Der Heilige Geist verbindet die Jünger zu einer neuen Gemeinschaft mit dem Auferstandenen. Sie beruht auf der Gleichheit aller: Niemand wird bevorzugt, niemand wird benachteiligt. Es entsteht eine Gruppe, in der sich weder eine klerikale Hierarchie noch eine soziale Hühnerleiter spiegelt. Kein Jünger gibt sich den vergangenen Rivalen- und Rangordnungskämpfen hin, die die Leser der Evangelien noch in unguter Erinnerung haben. Kein konsistoriales Personalreferat teilt die Jünger nach Besoldungsgruppen, Tarifen und den liebevoll gepflegten privaten Vorlieben ein. Diese Gemeinschaft braucht auch keine Reformleuchttürme, denn sie leuchtet schon von selbst, nämlich durch die Kraft des Heiligen Geistes. Und sie leuchtet nicht nur nach innen, sondern auch nach außen.

Diese durch Verständigung gebildete geistliche Gemeinschaft strahlt auf andere aus. Sie findet ihren besonderen Zweck darin, daß diese geistliche Gemeinschaft sich teilt und ausbreitet. Die geistlichen Kräfte, die von Gott kommen, heben die Abstoßungskräfte auf, welche Menschen voneinander trennen. Der Enthusiasmus des Geistes wirkt gegen Angst, Einsamkeit und Verzweiflung.

Die Kraft des Geistes erzielt bei den Jüngern eine dreifache Wirkung.

Zum einen gewinnen sie ein neues Verhältnis zur eigenen Lebensgeschichte. Die Jünger haben sich nicht an Pfingsten kennengelernt. Sie haben sich, als Jesus noch lebte, gegenseitig beschimpft, sie haben versucht, sich zu übertreffen. Sie wollten vor Jesus unbedingt anerkannt sein und gewürdigt werden. Trotzdem haben sie Jesus verraten. In der Kraft des Heiligen Geistes ist das nicht vergessen, aber diese unschönen Geschichten wirken sich nicht mehr verhängnisvoll auf die gegenwärtige Gemeinschaft der Jünger aus. Sie können im Licht der Vergebung auf ihre Vergangenheit blicken.

Zum zweiten ebnen sich Unterschiede ein. Der dauernde Wettbewerb wird eingestellt. Die Jünger müssen sich nicht mehr gegenseitig übertrumpfen. Im Heiligen Geist gewinnen sie eine Gemeinschaft, die sie zu Brüdern (und Schwestern) im Geiste Christi zusammenfügt.

Und zum dritten überwinden die Jünger in der Kraft des Heiligen Geistes ihr Alleinsein. Sie müssen nicht mehr für sich selbst kämpfen. Sie können ihre Lebensziele neu ausrichten, weil sie nicht mehr an die Ziele Selbstbehauptung und Selbstbewährung und Selbstrechtfertigung gefesselt sind.

Der Evangelist erklärt die Wirkungen des Geistes mit Hilfe eines Zitats aus dem Alten Testament. Der Geist überrascht die Jünger. Sein Kommen setzt nach Kreuz und Auferstehung Jesu Christi  die Geschichte fort, die Gott mit dem Volk Israel begonnen hat. Die Befreiung Israels aus Ägypten entspricht der Befreiung, die der Heilige Geist der ersten christlichen Gemeinde stiftet. Und damit hört es nicht auf.

Diese Kraft des Heiligen Geistes strahlt nicht nur auf die Jünger aus. Gott hat sie allen Menschen verheißen, die in der Nachfolge der Jünger in christlichen Gemeinden leben, in der gesamten Ökumene. Es kommt entscheidend darauf an, den Geist zu empfangen. Wer versucht, ihn durch Höchstleistungen und anstrengende Werke herbeizuarbeiten, der wird scheitern, weil er nur Hierarchien befestigt und Grenzmauern erhöht. Wer aber auf den Geist warten kann, dem ist eine Kraft Gottes verheißen, die kein Gemeindeaufbauprogramm und keine Kirchenreform zum Verstummen bringen kann. Wer auf den Geist wartet, der lebt aus dem Gebet, aus der Bitte an Gott, daß er wachsen lassen möge, was Menschen nicht zum Wachsen bringen können. Wer auf den Geist wartet, der lebt aus einer Haltung der Achtsamkeit und Geduld, aus dem Verzicht auf ein überstürztes und vorschnelles Handeln, das mehr zerstört als es aufbaut. Wer auf den Geist wartet, der lebt aus einer Haltung des Respekts vor der Würde seiner Schwestern und Brüder, aus dem tiefen Glauben, daß sie alle in gleicher Weise vom Auferstandenen angenommen sind.

Wer – gerade an Pfingsten – auf den Geist warten kann, der wird nicht enttäuscht. Wer den Geist spürt, der wird zum geduldigen Beter, der den Atem seiner Mitbrüder und -schwestern an seiner Seite spürt. Das ist die größte Hoffnung der Christen, die am besten und nachhaltigsten Gemeinde baut und erbaut. Und jeder kann das spüren, daß der Geist wirkt: Jemand kann plötzlich über seinen eigenen Schatten springen. Neue Bewegungen und Veränderungen ergeben sich. Streit verwandelt sich in Gespräch und Aufeinanderhören. Unverständnis und Unwissenheit verwandeln sich in Verständnis, Gnade und Liebe. Gemeinden verlassen sich nicht mehr auf sich selbst, sondern gehen im Vertrauen auf Gott Schritte, die sie sonst unterlassen hätten.

Gott zwingt niemanden, solche Schritte zu tun. Aber er traut sie jedem zu, der getauft ist.

Darum bitten wir: Komm, Heiliger Geist! Amen.

 

Perikope
15.05.2016
2,1-21

Feuer und Flamme für das Evangelium - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-18 von Michael Plathow

Feuer und Flamme für das Evangelium - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-18 von Michael Plathow
2,1-18

Feuer und Flamme für das Evangelium

1. Liebe Gemeinde des Pfingstfestes,

die Gegenwart des Geistes Gottes wird uns verheißen mit dieser Ursprungserzählung von Pfingsten: der heilige Geist, der Neuschöpfer, der Tröster, der Lehrer, der Paraklet, wie er genannt wird, will zu uns kommen, uns inspirieren, dass wir Feuer und Flamme werden durch und für das Evangelium. Mit Ostern wird Pfingsten als eines der ältesten Kirchenfeste wie früher so auch heute gefeiert in freudigem Dank und bittendem Gebet -- hier bei uns in Deutschland, besonders in Europa -- an zwei Festtagen.

Gegenwärtig finden die pfingst-charismatischen Bewegungen  und Gruppierungen weltweit Zulauf. Dabei ist die Gewissheit der Wirklichkeit des heiligen Geistes und seines Wirkens heute das, was bei Differenzen und Kontroversen uns verbindet. Unterschiedliche Akzente zeigt die Zuordnung von Geisterlebnis und Geisterfahrung sowie das “Wie” des Geisterlebens.

Am jüdischen Wochenfest 50 Tage nach der Passahfeier, so wird erzählt, waren in Jerusalem viele Menschen zusammen gekommen. Plötzlich erleben sie die dynamische Bewegung stürmischer Winde und flammender Feuerzungen. Energetische Kraft erfüllt ihr Innerstes. Inspiriert vom Geist beginnen sie vom Geheimnis Gottes und von den “großen Taten Gottes” den Anwesenden aus 17 verschiedenen Nationen und Sprachen so zu reden, dass jeder sie in seiner Sprache versteht. Verwunderung und Bestürzung “Was will das werden?” ist einerseits die Reaktion, andererseits beißender Spott und skeptischer Erklärungsversuch. Nichtverstehen greift um sich; alles bleibt unklar und zweideutig.

Da tritt ”Petrus mit den Elf” auf, heißt es. Er predigt, d. h. er legt zunächst die Schrift aus in der jüdisch-prophetischen Verstehens- und Sprachtradition: Was der Prophet Joel als Verheißung vorausgesagt hat, das ist eingetroffen. Was ein jeder uneindeutig erlebt hat, ist die Gegenwart des Geheimnisses Gottes. Und wie Gott sich erlebbar gemacht hat, so hat er sich selbst offenbart und eindeutig gezeigt in Jesus; den habt ihr gekreuzigt, Gott hat ihn uns als “Herrn, Kyrios, und Christus” erkennbar und erfahrbar gemacht (2, 36). Und durch den heiligen Geist, dem Schöpfer neuen Lebens, der zu Christus führt, lässt er nun uns Feuer und Flamme sein für das Evangelium.

So ist es die Predigt, die die Glaubens- und Geistgemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus eröffnet.

Diese bewegte und bewegende Botschaft hören wir heute als gottesdienstliche, aber auch musik- und kulturgeschichtliche Ursprungserzählung von Pfingsten. Sie ist auch ein wichtiger Text der pfingstlich-charismatischen Frömmigkeit und Theologie. Diese Erzählung der Apostelgeschichte des Lukas erleben verschiedene Pfingstler unmittelbar als den mit Glossolalie verbundenen “Anfangserweis” der “Geisttaufe”. Indem sie den Text -- über den “garstigen Graben” hinweg -- zu sich sprechen lassen, erleben sie eine “Taufe mit dem heiligen Geist”; dessen Gegenwart läßt in den Wiedergeborenen Früchte des Geistes als verschiedene Gaben, Dienste und Wirkungen zur gegenseitigen Auferbauung und zum Dienst an der Welt erwachsen (BFP, 2003) (1. Kor 12, 4 - 12).

Nun ist ein unmittelbares Geisterlebnis für Andere zunächst kaum nachvollziehbar und Anderen auch kaum zu vermitteln. Erst im Deutungs- und Verstehenszusammenhang des biblisch bezeugten Glaubens kann ein Erlebnis Klärung finden und, in die eigene Lebens- und Glaubensgeschichte hineingenommen, vermittelbare Erfahrung werden. Das gepredigte Wort Gottes schafft den Glauben; dabei korrespondieren Verheißung des Wortes Gottes und unser Glaube.

So erfährt das Pfingsterleben in Apostelgeschichte 2 gerade mit der Predigt des Petrus und von der Predigt des Petrus her Klarheit und Eindeutigkeit.

2. Liebe Gemeinde,

in vielen Stimmen und Bildern verkündigen die biblischen Zeugnisse den heiligen Geist lebensfroh und Zukunft eröffnend als unverfügbaren schöpferischen “Atem des Lebens”, ohne dessen erhaltende Kraft und wundervolle Pracht nichts lebt was ist. Zugleich wird er als Neuschöpfer verheißen, der den Glauben an Christus wirkt, und als vorausgeschenkte Erstgabe die Zukunft Gottes eröffnet. Als “Kyrios, Herr” wird er bekannt, Geber und Gaben verbinden sich. Ganzheitlich “in Herz und allen Sinnen” bewahrheitet er sich mit seinen Gaben: die drei christlichen Kardinaltugenden Glaube, Liebe Hoffnung; die sieben Zeichen des Geistes, die wir mit der messianischen Verheißung von Jes 11, 2 in Luthers Choral “Komm, Gott, Schöpfer heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen dein” (EG 126, 3) erbitten, die acht Seligkeiten nach Jesu Glücks- und Heilsrufen der Bergpredigt; die neun Früchte des Geistes (Gal 5, 22); die zwölf Charismen zur Auferbauung der Gemeinde (1. Kor 12, 28f).

Zukunftsträchtig in der Glaubens- und Kulturgeschichte wirken die Bilder und Symbole des Pfingstevangeliums als dynamische und energetische Kraft des Neuschaffens, Heilens und Heiligens: Wasser, Feuer, Erde, Wind, womit die Urelemente der griechischen Naturphilosophen (Empedokles) angedeutet sind.

Bekanntlich erhellen und erstellen Bilder Wirklichkeit; sie erweisen sich als Brücken, die über sich hinausweisen und Neues erschließen. Hier repräsentieren sie Kraft und werden spürbar als lebensnotwendig erfahren; zugleich deuten sie auf die Diskrepanz von Gottes Geist und Ungeist: einerseits das Wasser als Lebensquell, das Feuer als Wärmespender, die Erde als Nährboden, der Wind als Atem des Lebens - mit Goethe gesprochen: “Im Atemholen sind zweierlei Gaben

                      Die Luft einziehen, sich ihrer entladen,
                      Jenes bedrängt, dieses erfrischt.
                      So wunderbar ist das Leben gemischt.
                      Du danke Gott, wenn er dich press,
                      Und danke ihm, wenn er dich wieder entlässt”.

Andererseits ist da die lebenszerstörende Sintflut, die vernichtende Feuerwalze, das zukunftverschließende Erdgrab, der leidbringende Tornado. Geist und Ungeist, Geist der Lebensfülle und Geist der Lebenszerstörung, Geistesgegenwart und Geistlosigkeit, befreiender Geist Gottes und Geist der Sünde und des Bösen erstellen diese Bilder.

In ihrer andeutenden und deutenden Funktion weisen sie über sich hinaus und im biblischen Zusammenhang werden sie als Bildkomplexe aufgebrochen durch ihren Fluchtpunkt Jesus Christus und durch die Grammatik der Liebe Gottes: die Kehre hin zur alles neu machenden Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus offenbart uns durch den heiligen Geist. Denn der heilige Geist ist es, der “zu Christus bringt”, zum Glauben, der der Wirklichkeit des Geistes Gottes im Streit mit den Ungeistern der Menschen gewiss ist. Jesus Christus ist der “Ort”, wie Petrus in seiner Predigt verkündigt, der “Ort” der sich erkennbar- und erfahrbarmachenden schöpferischen und neuschaffenden Liebe Gottes; sie führt die Glaubenden geistesgegenwärtig in die Liebe zu Gott und zum nahen und fernen Nächsten und geistesmächtig ins kritische Unterscheiden der Geistes.

Diese Gewissheit bewahrheitet sich als Glaubens- und Geistgemeinschaft mit dem “eingeborenen Sohn Gottes unserm erstgeborenen Bruder”. Vom heiligen Geist berührt, bewegt, erfüllt - wie es in der Pfingstgeschichte heißt - wird das Herz, unser Personzentrum; denn nicht ich lebe aus mir selbst, sondern im Mich-ver-lassen lebt Christus im mir eigenen Selbst (Gal 2, 20): ein neues Menschen- und Wirklichkeitsverständnis in der Kraft des Geistes Gottes.

3. Liebe Gemeinde,

der heilige Geist ist es, der den Glauben schenkt und ins Leben zieht, gleich wie er -- gegen Individualisierungstrends -- Gemeinschaft und Gemeinde schafft und “bei Jesus Christus erhält im einige Glauben”. Mein Erleben und Erfahren erhält von ihm im Licht unseres auferstandenen Herrn Orientierung und Sinn.

Viele Jahre kam ich als Studienleiter in der Kapelle des Ökumenischen Instituts der Universität Heidelberg zu Gottesdienst und Andacht mit Studierenden aus verschiedenen Ländern und Kirchen zusammen. Unser Blick fiel auf das Glasfenster hinter dem kleinen Altar mit dem Kreuz: das Herabströmen des Geistes Gottes nach Apg. 2, verbunden mit der Belebung der Totengebeine nach Hes 37, von pfingstlichen Rotschattierungen inspiriert. Erkaltetes wird lebendig, Vertrocknetes saftig, Schwaches kräftig, Zerrissenes verbunden. Die Liebesflammen des heiliges Geistes streicheln und die Schwingen der Taube berühren. Und das im gegenüber zum antitypischen Glasfenster des Turmbaus zu Babel: Symbol der Hybris menschlichen Machens, Wollens und Erkennens in Gottes- und Geistvergessenheit mit Zerrissenheit, Hass und Tod in der Folge.

Der Gemeinde vermittelt die Verbindung der beiden Glasfenster Vergewisserung, Hoffnung, Inspiration: der heilige Geist “beruft, sammelt, erleuchtet und erhält” die Gemeinde und die weltweite Kirche Christi. Glut unter der Asche lässt Feuerzungen aufflammen; Gegenwind erweist sich als Aufwind; Feuer und Flamme für das Evangelium bricht hervor. Der heilige Geist verleiblicht sich in der Gemeinschaft der vielstimmigen Gemeinden als Resonanzboden des Wortes Gottes; als sein Charisma erweist sich die christliche Freiheit, grenzüberschreitend gegen Kleinglauben und Kleingeist, abgrenzend und kritisch gegen Geistlosigkeit und Ungeist. An den Früchten und Gaben des Geistes -- auch am “lebendigen Geist” der Wissenschaften -- lässt er teilhaben wie an der faszinierenden Pluralität kultureller und sprachlicher Milieus: konkrete Vielheit und vielfarbige Buntheit der Geistesgegenwart in der weltweiten Kirche. Sie lebt, wie D. Bonhoeffer zeigt, in der stellvertretenden Fürbitte, im Dasein und helfenden Dienst für einander und für Andere, grundgelegt in dem, was der gekreuzigte und auferstandene Christus immer schon “für uns“ getan hat. So “verbindet uns mehr als was uns trennt”.

Liebe Gemeinde des Pfingstfestes,

uns hier und der pluralen Weltchristenheit ist heute die Gegenwart des Geistes Gottes verheißen, Feuer und Flamme durch und für das Evangelium und für Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu sein -- u. zw. konkret.. Und das wider Kleingeist, Trägheit und Gleichgültigkeit bei uns und wider die Ungeister der Hybris menschlichen Machens mit Ungerechtigkeit, Krieg und Leid um uns herum.

In kritischer Gemeinschaft mit den pfingstlich-charismatischen Christen in der Ökumene tun wir dies, indem wir den heiligen Geist preisen, “der Herr ist und lebendig macht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und zugleich verherrlicht wird”. Wir danken für seine Gaben bei uns und in den verschiedenen Kirchen. Wir beten sprechend und singend heute und immer neu: “Komm, Schöpfer, heiliger Geist” (EG 126, 1), “O heil´ger Geist, kehr bei uns ein” (EG 130, 1).

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne und euer Tun in der Gewissheit der Wirklichkeit und des Wirkens des heiligen Geistes in und bei uns. Amen.

Perikope
15.05.2016
2,1-18

„Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ – Predigt zu Apostelgeschichte 1,1-11 von Martina Janßen

„Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ – Predigt zu Apostelgeschichte 1,1-11 von Martina Janßen
1,1-11

„Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ 

I. Ein Regentag wie ihn sich niemand Anfang Mai wünscht. Ich liege auf dem Sofa und lese ein Kinderbuch. „Alberta geht die Liebe suchen“ (Andrea Hebrock / Isabel Abedi). Ein kleines Mäusemädchen erwacht aus dem Winterschlaf. „‘Frühling ist, wenn alles erwacht‘ – sagt Mama Feldmaus. ‚Die Mäuse, die Igel, die Murmeltiere, die Bienen, die Bären, die Blumen ... und die Liebe.‘ – ‚Was ist Liebe?‘, fragt Alberta und reibt sich den Winterschaf aus den Augen. ‚Die Liebe‘, sagt Mama Feldmaus träumerisch, ‚ist etwas Besonderes. Die Liebe macht, dass es in dir flattert und kribbelt. Dass dein Herz Purzelbäume schlägt. Und dass du vor lauter Glück bis in die Wolken springen möchtest.‘ ‚Das klingt schön‘, sagt Alberta.“ Und geht die Liebe suchen. Ein Mäusejunge – Fred – begleitet sie. Sie suchen die Liebe auf den Bäumen, auf der Wiese, an einem See und finden sie nach und nach beieinander. Am Ende „fassen sich die beiden an den Pfoten. Und zusammen tanzen sie am Ufer entlang und hüpfen in die Luft. So hoch als wollten sie bis zum Himmel springen.“

II. Wir feiern Himmelfahrt. Ein Tag im Mai zwischen Frühlingsgefühlen und Vatertagsfreuden. Ein geschenkter Tag Auszeit. Zeit für sich und füreinander: Ausschlafen, ein Bummel in roten Schuhen, Schokoladeneis auf den Lippen. Sonnenstrahlen kitzeln die Nase und Blütenduft liegt in der Luft. Zeit, um eine neue Liebe zu spüren oder die alte ganz neu. Dieser Tag ist ein besonderer Tag, leicht und licht. Fast so als würden sich Himmel und Erde berühren. Hören wir, was es mit diesem Gefühl auf sich hat - und mit Himmelfahrt!

Lesung Apg 1,1-11

Es ist eine anrührende Szene gleich zu Beginn der Apostelgeschichte. Die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten. 40 Tage ist Jesus nach seiner Auferstehung bei seinen Jüngern gewesen. Gleich fährt er zum Himmel auf, um am Ende der Zeiten wiederzukommen, wenn alles heil sein wird. Doch jetzt ist da Unsicherheit. Schwebende Zeit. Mittendrin Jesus und seine Jünger. Noch einmal sind sie zusammen. Die Jünger spüren: Das ist kein normaler Tag. Etwas liegt in der Luft, irgendetwas zwischen Abschied, Verunsicherung und Hoffnung. „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Hinter dieser Frage stehen viele Fragen: Ist es jetzt soweit? Steht der Himmel nun offen? Beginnt sie endlich, die Ewigkeit? Wer so fragt, den bewegt die Sehnsucht, vielleicht auch die Angst. In diesen Worten liegt ein Drängen. Wann ist es so weit? Ich kann dieses Sehnen, dieses Drängen verstehen. Leben ist nicht immer einfach. Es gibt so vieles, das einen aus der Bahn werfen kann. Es gibt so viel Unsicherheit. Da wünscht man sich, dass alles gut ist, dass alles sicher und man selber glücklich ist. Wir sind so verletzlich, flüchtig ist das Glück, allzu brüchig erscheint, was sicher schien. Viele sagen mir das zurzeit: Was wird kommen? So viel verändert sich. Kriege, Flüchtlingsströme, ganz neue Töne in der Politik. Viele fragen mich auch: Was passiert gerade in meinem eigenen Leben? Werde ich wieder gesund? Wird alles wieder gut? Solche Worte sind mehr Wunsch als Frage. Ein Lied von Silbermond bringt das auf den Punkt.

„Sag mir, dass dieser Ort hier sicher ist,
und alles Gute steht hier still.
Und dass das Wort, das du mir heute gibst,
morgen noch genauso gilt.
Gib mir 'n kleines bisschen Sicherheit,
in einer Welt, in der nichts sicher scheint.
(…) Gib mir was, irgendwas, das bleibt.“

III. Die Jünger Jesu fühlen nicht anders: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Das ist mehr Sehnsucht als Informationsdefizit. „Sag mir, dass dieser Ort hier sicher ist, und alles Gute steht hier still. Und dass das Wort, das du mir heute gibst, morgen noch genauso gilt.“ Die Jünger ahnen: Es verändert sich etwas. Es kommt die Zeit ohne Jesus. Es bleibt nicht so wie es ist. Schwebende Zeit. Unsicherheit. „Gib mir was, irgendwas, das bleibt.“

Eine einfache Antwort gibt Jesus nicht „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen …“ Noch ist es noch nicht soweit. Noch ist sie nicht da, die Ewigkeit, die Zeit, in der alles sicher bleibt und in der das Gute still steht und nie vergeht. Den Himmel auf Erden bekommen die Jünger von Jesus nicht, doch sie bekommen etwas anderes. „Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“ Pfingsten blitzt auf. Gottes Geist liegt in der Luft. Ein bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint.

IV. „Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben und eine Wolke  nahm ihn auf und von ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Was Lukas in der Apostelgeschichte über die Himmelfahrt schreibt, ist nichts anderes als ein Bekenntnis zur Erde. Zum hier und jetzt. Zu unserem Leben. „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ In den Himmel starren und Wolkenschlösser bauen – so soll es nicht sein. Da gilt die Mahnung von Friedrich Nietzsche: „Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu!“ (Also sprach Zarathustra, 1,3). Jesus gibt keine Versprechungen für die Ewigkeit, keine Vertröstungen auf’s Jenseits oder Durchhalteparolen: „Haltet durch, bald ist es soweit. Bis es gut ist, müsst ihr warten.“ Jesus verdammt uns nicht zum Warten auf die Ewigkeit und zum Hoffen auf bessere Zeiten, sondern setzt uns in Bewegung hier und jetzt. Er gibt uns seinen Geist. „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Der Blick geht nicht zu Jesus im Himmel, sondern zu uns hier auf der Erde. Es geht nicht darum, dass Jesus nun weg und im Himmel ist, sondern darum, dass er da war, hier bei uns auf der Erde. Das verändert alles - Himmel und Erde. Gott war hier unter uns. Ganz und gar. Mit Haut und Haar. Das macht den Himmel menschlicher und die Erde himmlischer. Das bleibt für alle Ewigkeit: Jesu Spuren und sein Geist. Das ist der Halt, das ist das, was bleibt in dieser Welt voll Unsicherheit. Ein Hauch von Ewigkeit in dieser Zeit.

 „Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“ Jesus hat seinen Geist gegeben. Keine Vertröstung, sondern wahren Trost. Ein bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Das kann helfen gegen die Angst. Wo die Angst schwindet, bekommt die Sehnsucht Raum. Mit dieser Sehnsucht beginnt alles. So wie bei der kleinen Feldmaus Alberta und ihrer Sehnsucht nach der Liebe. Alberta hat nicht nur davon geträumt oder gewartet, dass die Liebe einfach so vom Himmel fällt, sondern hat sich auf den Weg gemacht und mit Fred die Liebe gefunden; ihre Sehnsucht hat sie in Bewegung gesetzt. Damit hat es angefangen. Mit dieser Sehnsucht fängt es immer an. Ein neues Leben hier und jetzt. „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Bleibt der Erde treu! Der Himmel ist nicht über den Wolken, sondern in unserem Leben. „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ – sagt Jesus. Zeit und Stunde sind jetzt. Es gibt Momente, da spüren wir den Himmel auf Erden. Wie Fred und Alberta wie sie zusammen am Ufer entlang tanzen und in die Luft hüpfen. So hoch als wollten sie bis zum Himmel springen. Es gibt sie, diese Momente „das Gehen ein Tanz, das Wort ein Gesang“ (Michel Houellebecq). Vergoldete Zeit, in der Himmel und Erde sich berühren wie die Pfötchen zweier verliebter Mäuse. Ich trage solche Momente in mir. Bilder, die immer wieder aufblitzen, auch in schwerer Zeit, die mir Sicherheit geben und mein Herz für die Sehnsucht weiten, mit der etwas Neues beginnen kann mitten im meinem Leben.

V. „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Schaut einander in die Augen und reicht euch die Hand! Bleibt der Erde treu! Folgt eurer Sehnsucht! Ihr habt die Kraft, denn Gottes Geist ist euch gegeben. Zeit und Stunde sind jetzt. Denn „wo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenken, und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, das Frieden werde unter uns.“ (Text: Thomas Laubach / Melodie: Christoph Lehmann).

Amen

 

Perikope
05.05.2016
1,1-11

Predigt zu Apostelgeschichte 1,4-12 von Frank Hiddemann

Predigt zu Apostelgeschichte 1,4-12 von Frank Hiddemann
1,4-12

Liebe Gemeinde,
zweimal ging der Himmel über ihm auf.
Das war das größte Gefühl, das er je hatte.
Einmal mitten im Leben.
Einmal Ende des Lebens,
denn er musste nicht noch einmal sterben.
...
Sein Leben war nicht einfach gewesen.
Sicher, viele Leute liefen ihm nach.
Aber auch die Dämonen kamen ihm ganz nahe.
„Sohn Gottes!“, nannten sie ihn.
Aber bis er ihnen befehlen konnte,
            in die Schweine zu fahren,
                        souverän befehlen,
musste er mit ihnen kämpfen.
So stelle ich es mir vor.
Es war sein dreißigstes Jahr,
als Jesus anfing zu wirken.
Da gehorchtem ihm Wetter und Elemente.
Die Krankheiten und die Dämonen flohen vor ihm.
Die Menschen begannen ihm zu vertrauen,
            und er machte sie satt.
Der Hunger der Seele legte sich,
            wenn sie ihm vertrauten,
                        und die Angst.
Der Hunger und die Verletzungen des Körpers verschwanden,
            wenn Jesus ihn berührte.
...
Aber bis dahin, bis er das konnte,
            tobten die Elemente in ihm selbst,
versuchten die Dämonen,
            ihn zu einem der ihren zu machen,
führte ihn der Teufel auf einen hohen Turm
            und sagte ihm:
„Du bist unverletzlich!
            Du kannst fliegen!
                        Engel werden dich tragen!“
Und Jesus hungerte an Leib und Seele
            und wusste noch nicht,
                        wohin er sich wenden sollte.
Woher kam die Macht,
            die er in sich erwachen spürte?
An wen sollte er sich wenden,
            um diese Macht zu kontrollieren?
Die Versuchungsgeschichte aus der Bibel
zeigt uns den unerschütterlichen Jesus,
            der immer korrekt antwortet:
„Gott allein sollst du dienen!“
Aber die Versuchungsgeschichte zeigt uns auch,
            wie es vorher in ihm nagte,
welche Wege für sein Leben er noch erwog:
- Machthunger,
- das Gefühl stark und unverletzlich
            und auf niemanden angewiesen zu sein,
- Unklarheit über das, was gut und böse ist.
Er hat es dem Teufel gezeigt.
Er hat ihm demonstriert,
            dass er die richtigen Antworten wusste.
Aber er hatte noch keine Gewissheit.
...
Und dann am Anfang seines Wirkens
            ging der Himmel über ihm auf.
„Gott allein“, hatte Jesus dem Teufel immer wieder gesagt.
Aber als Johannes ihn taufte,
            antwortete Gott und nannte ihn so,
wie ihn die Dämonen auch immer genannt hatten: „Sohn Gottes!“
„Dies ist mein geliebter Sohn!“, sagte Gott.
Und Jesus wusste Bescheid.
Das war der Moment der großen Klarheit.
Zur Taufe geht der Himmel auf.
Das ist noch heute so.
Es ist der Moment der großen Klarheit.
Die Entscheidung für Gott
            und - wie wir glauben - der Moment,
                        in dem heute noch Gott antwortet:
„Du bist mein geliebtes Kind!“
...
Ich nehme an,
die wenigsten von uns wissen noch genau,
            wovon Jesus spricht,
wenn er am Himmelfahrtstag zwischen seine Jünger tritt.
Ich war auch überrascht.
...
Er spricht von der Taufe.
Vielleicht erinnert er sich an seine eigene Taufe in diesem Moment.
Johannes taufte ihn im Wasser des Jordans
Der Himmel ging auf über ihm.
Das war der Moment der großen Klarheit.
Den brauchen seine Jünger gerade.
Wir erinnern uns.
...
Elf Jünger haben sich eingeschlossen.
Ostern vorbei, aber die Feigheit war geblieben.
Als sie mit Jesus durch das Land zogen,
            waren sie fast immer unter Menschen.
Oder es kam ein Gichtbrüchiger oder eine Blutflüssige auf ihn zu
            und bat um Heilung.
Das Dorf lief zusammen.
Sie waren nie allein.
Vor allem war Jesus immer in ihrer Mitte.
Dem vertrauten sie sich an,
            und er führte sie.
Selten durch Befehle,
            mehr durch die Art wie er war.
...
Sie merkten erst, als er weg war, was ihnen fehlte.
Und dann saßen die elf Männer in einem Haus
mit geschlossenen Fenstern und erwogen,
die Gruppe aus taktischen Gründen aufzulösen.
Von der Auferstehung sprachen zuerst die Frauen.
Die Elf witzelten darüber.
Jesus habe schon gewusst,
            wie man eine Nachricht am besten verbreitet.
...
Als  er selbst erschien, war Thomas gerade einkaufen.
Er war der einzige, der sich traute.
Hinterher schafften die Zehn es nicht,
den elften Jünger davon zu überzeugen,
dass Jesus wieder da war.
...
Vielleicht hatten sie,
            selbst als er wieder da war,
noch nicht richtig realisiert,
            dass er wieder da war.
Männer sind nicht leicht aus ihrer Trauer zu lösen
und aus dem, woran sie sich gewöhnt haben.
Und so spricht Jesus von diesem Moment der Klarheit,
von dem Moment, als der Himmel aufgeht.
Er kündigt den Jüngern an,
dass sie getauft werden.
Ich lese uns die Szene aus der Apostelgeschichte:
Und als er mit ihnen zusammen war,
gebot er ihnen, von Jerusalem nicht zu weichen,
sondern auf die Verheißung des Vaters zu warten,
die ihr [, sprach er,] von mir gehört habt.
Denn Johannes hat mit Wasser getauft,
ihr aber werdet mit heiligem Geist getauft werden
            nicht lange nach diesen Tagen.
Als sie nun zusammengekommen waren,
fragten sie ihn:
Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?
Er sprach zu ihnen:
Euch gebührt es nicht, Zeit oder Stunde zu wissen,
die der Vater nach seiner eigenen Macht festgesetzt hat.
Aber ihr werdet Kraft empfangen,
wenn der Heilige Geist über euch kommt,
und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem
            und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Welt.
Und als er dies gesprochen hatte,
wurde er vor ihren Augen emporgehoben,
und eine Wolke nahm ihn auf,
sodass er ihren Blicken entschwand.
Und als sie zum Himmel aufschauten,
            während er dahinfuhr,
siehe, da standen zwei Männer in weißen Kleidern bei ihnen, die sagten:
Ihr galiläischen Männer, was steht ihr da und blickt zum Himmel auf?
Dieser Jesus, der von euch weg
            in den Himmel emporgehoben worden ist,
wird so kommen, wie ihr ihn habt in den Himmel fahren sehen.
Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berge,
welcher der Ölberg heißt,
der nahe bei Jerusalem ist, einen Sabbatweg weit.
[Apg 1, 4-12, Zürcher (1931)]

Ihr werdet getauft werden mit dem Heiligen Geist.
Und sofort nach diesem Satz stellen die Jünger unter Beweis,
dass der Heilige Geist noch nicht bei Ihnen angekommen ist.
Stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?
Sie schauen eben nicht zum Himmel,
der über der Erde aufgeh'n kann, sondern auf die Erde.
Das Reich Davids,
Israel in seiner größten geografischen Ausdehnung,
das Friedensreich mit einem neuen David.
Das trauen sie Jesus zu.
König werden, mehr nicht.
...
Und der spricht noch einmal von der Taufe.
Der Heilige Geist wird über euch kommen
            und ihr werdet für mich auf der Erde sein.
Ihr werdet für meine Sache einstehen.
Ihr werdet sein wie ich war - mithilfe des Heiligen Geistes.
Und dann hebt er die Augen der Männer zum Himmel.
Er tut das, indem er selbst - vor ihren Augen - im Himmel verschwindet.
Seht, der Himmel öffnet sich!
...
Die elf starren nach oben.
Und jetzt kommt eine Slapstick-Szene.
Elf Männer aus Galiläa starren in den Himmel,
            wo hinein Jesus gerade verschwunden ist,
und zwei Engel, die plötzlich da sind, fragen:
Ihr galiläischen Männer, was steht ihr da und blickt zum Himmel auf?
Ja, was blicken sie zum Himmel auf.
Sollten sie nicht in Jerusalem Jesu Zeugen sein?
Und so gehen sie nach Jerusalem.
Sie sehen zur Erde,
            dann zum Himmel
                        und dann wieder auf die Erde.
So ist es richtig.
Hin- und hersehen.
Zu wissen: Der Himmel öffnet sich zuweilen.
Und mit diesem Wissen auf der Erde leben.
Auf der Erde, die nicht mehr ist wie bisher.
Denn der offene Himmel ist nun keine Metapher mehr.
Er öffnet sich, um Jesus aufzunehmen.
Er öffnet sich bei jeder Taufe.
Und die Jünger setzen sich in Bewegung.
Sie gehen zurück nach Jerusalem.
...
In der lateinamerikanischen Befreiungstheologie
gibt es den Begriff der „Praxis der Füße“.
Wohin geht Jesus?
Wo ist er unterwegs?
Aber auch:
Was tun die Leute in den Evangelien,
            ehe sie wissen, was sie tun wollen.
Darauf ist die Antwort:
Jesus ist im ganzen Land unterwegs.
Er mischt sich unter das Volk.
Er geht zu den Armen.
Er geht auch in die Gebiete und die Häuser,
            die ein anständiger Jude lieber meidet.
Und auf unsere elf Jünger bezogen heißt das:
Diesmal haben sie es begriffen.
Vielleicht wissen sie noch nicht, was sie tun werden.
Sie wissen noch nicht, wie sie handeln werden
in jener Geschichte, die Lukas geschrieben hat
            und die „Die Apostelgeschichte“ heißt.
Aber ihre Füße bewegen sich bereits Richtung Jerusalem,
an den Ort, wo alles endete
            und dann wieder alles begann,
                        an den Ort, wo Jesus sie haben will.

Taufe ist eine Mischung aus der Praxis der Füße: Zum Taufstein gehen.
Und einer Bewegung des Himmels: Er öffnet sich.
Und nach der Taufe gehen wir nach Jerusalem (oder wo immer uns Gott braucht).
Und wir wissen: Einmal hat sich der Himmel geöffnet.

Und wir leben unser Leben.
Und es ist nicht einfach.
Und manchmal kommen uns die Dämonen sehr nah.
Und öfter wissen wir nicht, was wir tun.
Aber die Füße gehen voran.
Und wir schauen zum Himmel,
wenn wir nicht weiter wissen und fragen uns:
Wann geht der Himmel auf?
Und wir wissen:
Es kann passieren.
Es wäre nicht das erste Mal!
Amen.
...
Und der Friede Gottes,
der weiter ist als unsere menschliche Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
 

Perikope
05.05.2016
1,4-12

Ihr werdet Kraft empfangen - Predigt zu Apostelgeschichte 1,1-11 von Mira Stare

Ihr werdet Kraft empfangen - Predigt zu Apostelgeschichte 1,1-11 von Mira Stare
1,1-11

Ihr werdet Kraft empfangen

Liebe Schwestern und Brüder,

der erste lukanische Bericht, das Lukasevangelium, erzählt über die Taten und die Lehre des irdischen Jesu und wie die Menschen durch Jesus Heilung und Heil erfahren. Er erzählt vom Weg des irdischen Jesus, der von Galiläa nach Jerusalem führt und wie Jesus immer stärker auch auf Widerstand stößt. In Jerusalem kommt der Leidensweg Jesu zu seinem Ende. Der gewaltsame Tod am Kreuz ist jedoch nicht das Letzte, wovon das Lukasevangelium berichtet. Zuerst die Frauen und dann auch die Apostel erreicht die Osterbotschaft. Noch mehr, der Auferstandene selbst erscheint den Seinen auf dem Weg nach Emmaus und in Jerusalem und lässt sich erkennen. Er versammelt sie wieder, bestätigt sie als seine Zeugen und gibt ihnen seine Zusagen und seinen Segen. Während er sie segnet, wird er in den Himmel emporgehoben. Nun scheint es wirklich, dass die Erzählung hier zu ihrem Ende kommt. Das stimmt jedoch nur teilweise. Denn sie lässt manche Aussagen noch offen. So sollen die Nachfolger/innen Jesu noch solange in Jerusalem bleiben, bis sie mit der Kraft aus der Höhe bekleidet werden. Der Zeuge des irdischen, auferstandenen und erhöhten Jesus zu sein und mit ihm verbunden zu sein, braucht eine neue Kraft, die Kraft von oben. Um mit Jesus über seinen Tod und seine Himmelfahrt hinaus weiter verbunden zu bleiben, braucht es die Kraft von oben.

Und hier, wo der erste lukanische Bericht aufhört, beginnt der zweite lukanische Bericht, die Apostelgeschichte. Diese stellt nicht die Taten der Apostel in den Vordergrund, sondern jene des auferstandenen und erhöhten Jesus, die er durch die Apostel und alle seine Zeugen wirkt. Bevor es aber zu diesem Wirken kommt, wird zuerst erzählt, wie die Zeugen Jesu für ihre Sendung gestärkt und vorbereitet werden. So erscheint der auferstandene und bereits erhöhte Jesus den Seinen 40 Tage hindurch. Die sinnbildhafte Zahl vierzig kann gedeutet werden als Zeit spezieller Gottesnähe, die im Alten Testament bereits Mose und Elija erfahren (vgl. Ex 24,18; 34,28; 1 Kön 19,8). Auch der irdische Jesus verbringt vor Beginn seines öffentlichen Wirkens 40 Tage in der Wüste und damit in besonderer Nähe zu Gott (Lk 4,1-13). Ähnlich erfahren in der Apostelgeschichte die Jünger Jesu vor Beginn ihres Auftretens in der Öffentlichkeit 40 Tage lang besondere Nähe des Auferstandenen.

Die Begegnungen mit Jesus in diesen 40 Tagen sind durch drei Elemente charakterisiert: Erstens redet Jesus ihnen vom Reich Gottes, dem zentralen Thema seiner Verkündigung im irdischen Leben. Seine Zuwendung zu Armen, Leidenden und Ausgestoßenen und sein heilendes Wirken ist die spezifische Weise, wie das Reich Gottes erfahrbar wird. Der auferstandene und erhöhte Jesus hat dasselbe Anliegen wie in seinem irdischen Leben: das Reich Gottes und die Frohbotschaft für die Armen, Leidenden und Ausgegrenzten zu verkünden. Das rechte Verständnis des Reiches Gottes ist auch mit dem Osterglauben verbunden. Denn zum Reich Gottes gehört auch der Bereich des unzerstörbaren Lebens in der Gemeinschaft mit dem auferstandenen und erhöhten Jesus.

Zweitens erfahren sie, die Nachfolger Jesu, 40 Tage lang die Mahlgemeinschaft mit Jesus. Wie mit dem irdischen Jesus, essen sie nun mit dem Auferstandenen. Drittens bekommen sie von ihm Zusagen. Wie bis jetzt nur Jesus selbst, werden nun auch die Seinen mit dem Heiligen Geist – und nicht nur mit Wasser – getauft. Sie werden die Kraft, den Heiligen Geist, empfangen. Das ist dieselbe Verheißung, die sie am Schluss des Lukasevangeliums bekommen. In dieser Kraft werden sie die Zeugen Jesu in Jerusalem und in der ganzen Welt sein. Diese Zusagen beginnen sich in der Apostelgeschichte zu verwirklichen, anfangend mit dem Pfingstereignis, bei welchem sich der Heilige Geist auf die junge und schnelle wachsende christliche Gemeinde niederlässt und sie für ihre Zeugnisaufgabe in der Welt „kleidet“ und bestärkt.

Liebe Schwester und Brüder, wir sind heute eingeladen, diesen Schritt vom ersten zum zweiten lukanischen Bericht zu machen, vom irdischen zum auferstandenen und erhöhten Jesus, der geheimnisvoll mitten unter uns ist. Seine Himmelfahrt bedeutet nicht den Abschied, sondern die neue Art seiner Gegenwart. Wie den Seinen teilt er auch uns sein Wort vom Reich Gottes mit und stärkt uns mit seinem Brot. Auch uns öffnet er den Raum des Geistes und stärkt uns durch die Kraft von oben, den Heiligen Geist, damit wir in dieser Kraft und nicht aus eigener Kraft als seine Zeugen in unserer Welt leben.

Perikope
05.05.2016
1,1-11

"Europa braucht Bereicherung"

Predigt zur Eröffnung des Themenjahres "Reformation und die eine Welt"

Margot Käßmann

Straßburg, 31.10.15

Apostelgeschichte 16,1-15

 

Liebe Gemeinde,

mit diesem Ruf "Komm nach Mazedonien und hilf uns" beginnt die Globalisierungsgeschichte des Christentums. Es ist keine neumodische Erscheinung, sondern ein Kennzeichen des christlichen Glaubens, dass er Menschen in aller Welt erreichen will.

Aber schauen wir erst einmal, wie alles begann: Der Apostel Paulus hatte im Ringen mit den Aposteln in Jerusalem bereits einen entscheidenden ersten Durchbruch errungen. Der Glaube an Jesus Christus sollte nicht nur Jüdinnen und Juden zugänglich sein, sondern sich offen zeigen für alle Menschen. Das war eine fundamentale Entscheidung, die wir heute gar nicht mehr so recht nachvollziehen können. Aber als sich nach dem Tod Jesu und der Erfahrung der Auferstehung erste Gemeinden bildeten, war die Frage: Gehören allein Menschen jüdischen Glaubens zu dieser Bewegung, oder gilt Gottes gute Nachricht für alle? Schon Jesus selbst fiel es zunächst schwer, sich zu öffnen. Eine Frau aus der damaligen römischen Provinz Syrien war es, die ihm zu einer neuen Blickrichtung verhalf. Er sagte, er sei doch nur zu den "verlorenen Schafen Israels" gesandt. Da meinte sie, die Hunde würden doch auch Brotkrumen essen, die vom Tisch der Herren fallen. Ihr Glaube hat Jesus beeindruckt und überzeugt: Gott meint alle Menschen.

Petrus macht einen ähnlichen Prozess durch. Bei ihm ist es ein römischer Hauptmann, der ihm klar macht: Die  Botschaft des Jesus von Nazareth bringt Heil und Heilung für alle Menschen. So erlaubt das Apostelkonzil in Jerusalem schließlich Paulus eine vorbehaltlose Verkündigung unter allen Menschen. Und schnell verbreitet er die Botschaft. Seine erste so genannte Missionsreise dauert 15 Jahre, die zweite und dritte etwa 8 Jahre.

Unterwegs trifft er, wir haben es eben gehört, auf den jungen Timotheus. Er verkörpert schon die neue Generation, seine Eltern sind jüdischer und griechischer Abstammung, aber beide Christen. Diese Begegnung muss für Paulus ungeheuer ermutigend gewesen sein, da zeigen sich doch Erfolge all der Mühen. Umso besser, dass Timotheus Paulus nun begleitet, der junge begeisterte und der alte erfahrene Mann – ein gutes Team. Alles läuft großartig. Die Menschen hören auf das Evangelium, die Gemeinden wachsen, eine erfreuliche, ja optimal Situation.

Doch dann geht es plötzlich nicht weiter. Es stellt sich kein Erfolg mehr ein. Da ist kein Weg nach vorn in Sicht. Der Heilige Geist verwehrt ihnen, zu predigen, heißt es im Text. Das ist eine sehr irritierende Vorstellung finde ich. Ermutigt uns der Heilige Geist nicht, zu predigen? Wir lesen doch, dass Gottes Geist brausen, erneuern will. Oder ist unsere Vorstellung da zu eng? Die Erfahrung von Paulus ist, dass es kein Weiterkommen gibt, der Geist Jesu "ließ es ihnen nicht zu" – so erleben die beiden Missionare die Situation. Und sie sind bitter enttäuscht.

Solche Sackgassen kennen wir alle im Leben:

  • Du verlierst den Arbeitsplatz und siehst keine Perspektive mehr. Du hast Angst, weil Du nicht weißt, wie es weitergehen soll.
  • Oder der Arzt sagt: "Sie haben Krebs!" Ein Albtraum wird Realität und Du kannst nichts mehr planen wie gedacht, alle Sicherheiten scheinen in Frage gestellt.
  • Ein Mann eröffnet seiner Frau: "Es gibt eine Neue in meinem Leben, ich werde mich scheiden lassen". Ein Lebensmodell bricht zusammen, alles, was Du gebaut hast an Familie und Heim ist zutiefst erschüttert.

Wer das erlebt, weiß nicht gleich neue Wege in die Zukunft, sondern muss erst einmal ertragen, dass die Lebenspläne radikal in Frage gestellt sind. Erst einmal fassungslos stehen wir da und wissen nicht weiter.

Solches Verzagen gibt es auch mit Blick auf unsere Kirche. Viele Jahrhunderte lang war es beispielsweise selbstverständlich, Kirchenmitglied zu sein. Die Menschen kamen zum Gottesdienst, weil es das zentrale Ereignis war im Dorf, in der Stadt, ja auch, weil sich ausgrenzte, wer nicht dabei war. Da haben sich die Zeiten radikal geändert. In Eisleben, der Stadt in der Luther geboren und getauft wurde, schließlich auch starb, sind heute nur noch sieben Prozent der Bevölkerung Mitglied einer Kirche. Und in Frankreich, wo wir heute Gottesdienst feiern, sind die Christen zu einer Minderheit geworden. Da entsteht Ratlosigkeit. Fragen die Menschen nicht mehr nach Gott? Was können wir tun, um die Sache mit Gott ins Gespräch zu bringen? Schweigt Gottes Geist, statt zu brausen?

Gottes Geist vermuten wir in solchen persönlichen und auch institutionellen Erfahrungen von Ausgebremst-Sein eher nicht. Aber vielleicht steht der Geist Jesu ja dafür, dass wir offen dafür sein können, dass Gott uns in eine solche Sackgasse führt, weil sie ganz neue Perspektiven eröffnet, die wir nur nicht gleich erkennen. Vielleicht waren es unsere Wege, die wir geplant haben, aber nicht Gottes Wege?

Eine Vision zeigt Paulus und Timotheus, dass sich ganz neue Wege eröffnen. Nicht nur sollen sie das Evangelium von Jesus Christus Menschen aus allen Völkern weiter sagen, sie sollen auch den großen Schritt über das Mittelmeer wagen, hin zu neuen Welten, zu bisher völlig unerreichten Welten.

Liebe Gemeinde, wir können heute nicht von einem Ruf sprechen, der Menschen über das Mittelmeer und über die Balkanländer nach Europa kommen lässt, ohne an das beispiellose Flüchtlingsdrama dieser Tage zu denken, das sich im Mittelmeer abspielt. Menschen kommen nach Europa in der Sehnsucht, Krieg, Elend  und Zerstörung zu entfliehen, um hier eine Zukunft in Frieden zu finden. Und wir stehen fassungslos da und wissen keine rechte Antwort. Unsere Gesellschaften sind gespalten in jene, die Flüchtlingen Zuflucht und Unterstützung bieten wollen und jene, die sich abschotten, Flüchtlinge anpöbeln und bedrohen. Die Politik hat keine Konzepte, wie sie mit der Not der Menschen umgehen soll. Und dann sind da diejenigen, die schlicht zum Münchner Hauptbahnhof gehen mit Essen, Wasser, Spielzeug und klatschen, um Menschen willkommen zu heißen. Und in Straßburg geben spontan Kinder der Grundschule Albert le Grand den Spendenaufruf ihres Oberbürgermeisters an ihre Eltern weiter und kommen wenige Tage später mit gefüllten Taschen zurück. Mehr als 300 Kinder beladen einen kleinen Lastwagen des Roten Kreuzes mit Gaben für die zu erwartenden Flüchtlinge.

Da weht plötzlich ein Geist der Solidarität und der Freiheit, wie wir ihn kaum erhoffen konnten. Und Menschen in aller Welt stehen staunend vor diesem Zeichen der Mitmenschlichkeit. Ja, es gibt Fremdenhass in Europa, das können wir in diesen Tagen nicht leugnen. Aber auch die christliche Kultur der Barmherzigkeit, die unseren Kontinent geprägt hat, ist hörbar und sichtbar in Europa.

Interessanterweise kommen Paulus und Timotheus nicht als Flüchtlinge nach Europa. Nein, sie werden gerufen. Es ist ein Ruf nach geistlichem Beistand, nach Hilfe zum Leben und Gottvertrauen wie der christliche Glaube ihn bringt, so glauben wir. Wenn wir uns auf dieses Bild einlassen, zeigt der Text eine ganz neue Perspektive. Europa hat Mangel und braucht Menschen, die neue Wege zeigen. Europa braucht Bereicherung! Bereicherung durch kreative junge Menschen, weil uns in Deutschland der Nachwuchs fehlt. Bereicherung durch eine lebensfrohe Kultur, weil wir manchmal allzu eng geworden sind. Bereicherung durch Menschen, die zu schätzen wissen, wie sehr wir in Wohlstand und Sicherheit leben. Wenn wir die Perspektive so wechseln, sind diejenigen, die über das Mittelmeer kommen, keine Gefahr, sie bedrängen uns nicht, sondern wir können uns freuen, dass sie kommen.

Aber ein solcher Perspektivenwechsel ist nicht leicht. Ich muss ja erst einmal erkennen, dass ich Hilfe brauche. Heute wie damals ist das vor allem schwer mit Blick auf den Glauben. Paulus hat geträumt, dass seine Mission in Europa weiter geht. Aber er ist auch dort auf Widerstand gestoßen und hat sein Zeugnis von Jesus Christus am Ende mit dem Leben bezahlt. Und doch hat sich das Evangelium in Europa rasant verbreitet, hinein in alle Welt. Heute leben Christinnen und Christen in allen Ländern der Erde. In Westeuropa haben wir mit abnehmendem Glauben zu ringen, in China wachsen die Gemeinden, in Syrien, dem Irak, im Sudan und vielen anderen Ländern werden Christen verfolgt und zahlen auch heute mit ihrem Leben für ihren Glauben.

Was Paulus und Timotheus erlebt haben, das erfahren wir auch heute immer wieder. Wir scheinen in eine Sackgasse zu geraten in unserem Leben, in unserem Glauben, aber auch als Kirchen. Wenn dann eine neue Abzweigung notwendig wird, hadern wir oft damit, es ist ein Ärgernis, Schrecken gar, wahrscheinlich auch angstbesetzt. Finden wir aber neue Wege, so mag es im Rückblick erscheinen, als habe uns Gott mit dem Heiligen Geist den anderen Weg versperrt. Als mussten wir diese Erfahrungen des Scheiterns, des Versagens, der Ausweglosigkeit machen, um offen und frei zu werden für neue Wege. Das gilt in unserem je eigenen Leben, wie für unsere Kirchen, aber auch für die Länder, in denen wir leben. Gerade Deutsche und Franzosen haben manche Sackgassen erlebt in ihren Beziehungen, bevor wir uns wie heute an so großer Gemeinsamkeit und gewachsener Gemeinschaft freuen können.

Die Botschaft aber, sie ist in alle Welt gegangen und das feiern wir heute bei der Eröffnung des Themenjahres "Reformation und die eine Welt". Auch wenn Martin Luther nur einmal nach Rom und ansonsten über die deutschen Lande nicht hinaus kam, so ist doch seine Erkenntnis von der Freiheit eines Christenmenschen und der Rechtfertigung allein aus Glauben für Menschen in aller Welt überzeugend geworden. Wir gehen auf ein Reformationsjubiläum zu, dass wir als internationale Gemeinschaft feiern können. Und wir werden es nicht abgrenzend feiern, sondern in einem ökumenischen Horizont. Denn Gottes Geist ist ein Geist des Friedens, der Liebe, der Gerechtigkeit und der Versöhnung. Das wir uns immer neu dem Wirken dieses Geistes anvertrauen, dazu gebe uns Gott reichen Segen.

Amen.


 

Perikope
31.10.2015
16,1-15

Predigt zu Apostelgeschichte 6,1–7 von Gerda Altpeter

Predigt zu Apostelgeschichte 6,1–7 von Gerda Altpeter
6,1-7

1. In jenen Tagen, als es immer mehr Jünger gab, murrten die Griechen gegen die Juden, weil ihre Witwen bei den täglichen Mahlzeiten vernachlässigt wurden.
2.Da riefen die Zwölf die ganze Gemeinde zusammen und sprachen:“Es ist nicht passend für uns, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen, um bei Tisch zu bedienen.
3. Haltet also Ausschau, Brüder, nach 7 Männern unter euch, die einen guten Ruf haben und voll Geist und Weisheit sind, damit sie diesen Dienst tun.
4. Wir aber werden festhalten am Gebet und am Wort.“
5. Die Rede gefiel allen in der Gemeinde. Sie wählten Stefanus, einen Mann voll Glaubens und heiligem Geist, und Philippus und Prochoms und Nikolaus, den Proselyten aus Antiochien.
6. Diese stellten sie vor die Apostel und legten ihnen die Hände auf.
7. Das Wort Gottes wuchs. Die Zahl der Jünger wuchs in Jerusalem. Viele aus der Menge der Priester hörten auf den Glauben.

Der Weltrat der Kirchen hat einmal alle Mitglieder aufgerufen, sich zu Taufe, Eucharistie und Amt zu äussern. Alle waren sich darin einig, dass die Taufe der Eintritt eines Menschen in die Gemeinde ist.

Bei der Eucharistie suchen wir gegenseitig Gastfreundschaft. Viele Kirchen gewähren sie einander.

Anders sieht es beim Amt aus. Wer ist ein rechter Diener in der Gemeinde? Wer darf die Sakramente verwalten? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der Dienst in der Kirche gültig getan werden kann? Wie erfolgt die Wahl und die Einsetzung? Wer gibt den Auftrag? Alle diese Fragen müssen beantwortet werden.

Es gibt verschiedene Dienste. Das wird von Anfang an deutlich. Da ist der Dienst am Wort Gottes. Da geht es um soziale Arbeit. Es braucht Leute zum Pflegen und Heilen. Es braucht aber auch Menschen, die arbeiten und Geld verdienen. Je mehr Menschen zur Gemeinde dazu kommen, umso mehr Menschen brauchte es für einen Dienst.

Zunächst gibt es in der Gemeinde nur Juden. Dann kommen Griechen dazu. Heute gibt es viele Sprachen und Staaaten, in denen es Christen gibt.

Es gibt heute das Amt des Predigens und der Verwaltung der Sakramente. Da braucht es den Dienst im sozialen Bereich, im Pflegen und Heilen, in der Versorgung er Armen und in kirchlichen Gasthäusern, in der Verwaltung und in der Reinigung der kirchlichen Räume.

Es gibt verschiedene Dienste.

Für alle Dienste gilt dieselbe Bedingung wie damals. Jeder soll einen guten Ruf haben, sie sollen wohl gelitten sein, Sie sollen Geist und Weisheit besitzen. Sie brauchen ein gütiges Herz und eine scharfe Beobachtungsgabe.

In der ersten Gemeinde finden sich ohne Mühe sieben Männer für den Dienst bei Tisch. Es sind alles griechische Namen. Die Apostel sind Juden. Die 7 Diakone sind Griechen. So kommt es zu einer guten Lösung des leidigen Streites in der Kirche.

Wir heute brauchen auch Männer und Frauen für freiwillige Dienste. Da gibt es die Kirchenräte und die Helfer für Frauen-, Kinder- und Seniorenkreise. Ausflüge werden organisiert. Es gibt Gebets-,Bibel-, Lese- und Literaturkreise. Sie werden hier im Wallis während des Gottesdienstes der Gemeinde vorgestellt und einzeln gefragt, ob sie diese Arbeit übernehmen wollen.

In manchen Kirchen werden den Menscdhen die Hände aufgelegt und sie zu ihrer Arbeit gesegnet. In der orthodoxen, anglikanischen und katholischen Kirche gilt die apostolische Suczession. Dort geht man davon aus, dass seit der Zeit der Apostel immer wieder Menschen die Hände aufgelegt worden sind, so dass dieses Handauflegen in einer Folge von der Zeit der Apostel bis heute erfolgt ist. Der ehemaliche Bischof von Hannover, Hanns Lilje, hat zu seiner Weihe als Bischof einen anglikanischen Erzbischof gebeten, damit er und alle, denen er die Hände auflegt um sie zum Dienst zu weihen, die apostolische Suczession haben. Ich selbst habe sie auf diese Weise durch meine Einsetzung zur Pfarrerin in der Marktkirche Hannover auch bekommen.

Nun suchen wir alle Menschen, die bereit sind, in der Kirche zu arbeiten, sei es nach einem entsprechenden Studium als Pfarrer, als Diakon oder Gemeindeschwester. Es gibt auch die freiwilligen Dienste. Ohne die Freiwilligen würde in der Kirche wie in der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz nichts laufen. Wir sind angewiesen auf Freiwillige. Vorläufig gilt es als Ehre, sich in einem solchen Dienst zu bewähren.

Wie sieht es aber bei denen aus, die nun doch Geld zur Seite bringen oder gegen Geld Aufträge vergeben? Das kann vorkommen. Normalerweise müssen diese Menschen zurücktreten und ihren Dienst anderen überlassen. Es wird immer wieder berichtet, dass so etwas geschieht. Es gibt aber Staaten und Kirchen, wo es selbstverständlich erscheint, dass es zu Unregelmässigkeiten kommt.

Wir brauchen Menschen in Staat und Kirche, die ehrlich und weise ihre Aufgabe tun. Es gehört auch der Heilige Geist dazu – wie bei Stephanus – um zu erfahren, was gerade nötig ist.

Möge Gott uns Menschen schenken, die gerne und gut, in Weisheit und Verstand und mit dem Heiligen Geist die notwendige Arbeit bei uns tun.

 

Perikope

"Sieben" - Predigt zu Apostelgeschichte 6,1-7 von Dörte Gebhard

"Sieben" - Predigt zu Apostelgeschichte 6,1-7 von Dörte Gebhard
6,1-7

"Sieben"

Liebe Gemeinde,
„ ... wenn das nicht einmal in der Kirche geht – wo dann?“
„Von der Kirche habe ich etwas anderes erwartet!“
Rote Empörung steht der Dame ins Gesicht geschrieben. Sie regt sich auf.
Worüber? Das ist eigentlich weniger interessant, die Geschichte ist auch nicht hier bei uns passiert.
Aber ein herzenskluger Mensch hat einmal gesagt: „Jeder weiss, dass ein Pfarrer auch nur ein Mensch ist, aber wenn es herauskommt, wollen die meisten nichts mehr davon wissen.“[1]
Die Dame ist noch immer sehr aufgebracht – aber ist sie es zu Recht?
Das wissen wir noch nicht, das wird die Predigt weisen. Wir alle müssen noch etwas Geduld haben.
Seit es die Kirche gibt, hat man sich über sie aufgeregt.
Dass sie so weit hinter ihren Idealen zurückbleibt!
Eben, dass der Unterschied zwischen Heiland und Jüngern so groß ist!
Hören Sie von den ersten Aufregungen der jungen Christenheit. Der Predigttext steht in der Apostelgeschichte des Lukas im 6. Kapitel:
Die Wahl der sieben Armenpfleger
1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. 2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. 3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst. 4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.

5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia. 6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.


Liebe Gemeinde,
zwischen den Zeilen steht alles, was wir jetzt noch wissen müssen, damit uns die Kirche in Zukunft nicht mehr Anlass zu Empörungen bietet, damit wir es zuletzt hoffnungsvoller anschauen können.

1. Die Zahl der Jünger nahm zu – die Kirche wuchs. Es wurden immer mehr, aber gerade das schafft auch größere Probleme.
Was bilden wir uns im 21. Jahrhundert eigentlich ein, wenn wir immer betonen, es sei schwierig, wenn die Gemeinden kleiner werden?!
Wissen wir überhaupt, ob das wahr ist? Ich bin überzeugt, niemals waren so viele Menschen freiwillig da. Ohne sie könnten wir nichts tun.
Früher gehörte es sich, dazuzugehören. Nicht wenig Druck und Zwang wurde ausgeübt, nicht immer war das am Tageslicht, aber dafür nicht weniger spürbar.

Wer heute und hier bei uns kommt, hat sich etwas dabei gedacht. Die Freiwilligen nehmen verhältnismäßig zu.

Wer sich weltweit zu den Christen zählt, muss sich auch etwas dabei denken und inzwischen wieder mancherorts schweres Leiden, sogar Folter gewärtigen, die Verfolgungen und die Gewalttätigkeiten, die Verspottungen und Verleumdungen nehmen auch – wieder – zu. 80% der derzeit um ihres Glaubens willen Verfolgten sind Christinnen und Christen.
Wer damals, zu Lukas’ Zeiten kam, musste sich auch etwas dabei denken,
sie wurden mehr, aber damit auch mehr Drangsalierte, vom Rest der Welt mehr oder weniger Verlachte oder Verachtete.

2. Es erhob sich ein Murren – auch typisch, nicht wahr? Konflikte in Kirchgemeinden brechen in der Regel nicht explosionsartig aus, sondern murren sich so langsam ins allgemeine Bewusstsein und nörgeln sich allmählich ins Empfinden aller Betroffenen und Beteiligten.

3. Griechische Juden gegen hebräische Juden, das können wir heute gar nicht mehr nachvollziehen. Aber wir können es uns nur allzu gut vorstellen! Es gilt für Köln und Düsseldorf, für Basel und Zürich, für ...
Denn überall, wo sich Menschen begegnen, gibt es sogleich die einen und die anderen. Winzige kulturelle und sprachliche Unterschiede reichen schon aus, dass wir sagen „wir hier und die da“. Soziologen ordnen uns heute höflich und vornehm, aber doch deutlich in unterschiedliche Milieus ein.

Die einen hören nur Musik mit Schlagzeug, die anderen immer ‚mit ohne’. Den einen fehlt dann immer genau das, was den anderen besonders lästig ist. Die einen sprechen Mundart, die anderen sehr viele sehr andere Sprachen, verstehen sich auch untereinander nicht gerade leicht. Die einen gingen gern zur Schule, die anderen waren nur froh, als es vorbei war. Die einen fahren ans Meer - oder in die Berge, die anderen verreisen nie, weil sie dazu kein Geld übrig haben. Die einen ..., die anderen ...

Griechische Juden murren gegen hebräische Juden, sie sind einander so ähnlich, aber nahe sind sie einander nicht, nicht einmal in dieser neuen, frischen Gemeinde.

4. Weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
Darauf legt Lukas, der friedliebende und harmoniebedürftige Mensch, wirklich wert! Niemand hatte irgendeine böse Absicht, schon gar nicht in den jungen Gemeinden. Damit ist es Lukas ernst, er ist unter allen Evangelisten derjenige, dem die Sozialkompetenz seiner Gemeinde am meisten am Herzen liegt. Er fördert sie mit allen, ihm verfügbaren Mitteln. Die Beispielerzählung vom Barmherzigen Samariter gibt es zum Beispiel nur bei ihm. Er überliefert sie in seinem Evangelium, weil es ihm so dringend wichtig ist für seine Gemeinde.

Nein, die Witwen werden tatsächlich übersehen. Wenn heute Hilfe ausbleibt, Menschen sich enttäuscht zeigen und abwenden, dann meist auch genau darum, weil sie übersehen wurden, weil sie keine Lobby hatten, die laut für sie rief, weil sie im Hauptwettbewerb unserer Mediengesellschaft, im Wettkampf um Aufmerksamkeit nicht bestehen können.
Übersehen konnte man die griechischen Witwen erst noch, überhören kann man das Murren darüber allerdings nicht mehr. Gottlob! Die Ohren kommen den Augen zu Hilfe. Hilfe kommt nun auch in den Blick:

5. Seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte!
Dass nur Männer gefragt und gesucht werden, hat man inzwischen oft beklagt. Aber die Probleme liegen noch tiefer, als es dass es nur um die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ginge. Jesus hätte es den Witwen natürlich selbst zugetraut, sich zu organisieren. Er hätte diese damals besonders rechtlosen Frauen in Ämter und Würden gebracht, sie ermutigt, sich selbst zu helfen, selbst zu erkennen, was hilfreich für sie ist.

Die Jünger bringen das nicht mehr so einfach über’s Herz. Sie hören wieder auf ihre Zeitgenossen, sie machen vieles doch wieder so, wie es die Leute erwarteten. Sie richten sich wieder nach den Üblichkeiten. Jesus war allen unseren Zeiten himmelweit voraus.
Der Abstand zwischen Jesus und seinen engsten Vertrauten war und ist darum auch bleibend groß.
Lange waren die Jünger mit Jesus unterwegs, so haben sie etwas gelernt: sieben Männer müssen sein, sieben sind aber auch genug.

Die Sieben ist seit Jahrtausenden eine bedeutsame Zahl. Sie verbindet die göttliche Drei mit der irdischen Vier. Wir glauben an den dreieinen Gott und haben vier Himmelsrichtungen auf Erden, vier Jahreszeiten und bauen meist Viereckiges.

Himmlisches und Irdisches gibt zusammen etwas Größeres.

Drei und Vier gibt Sieben.

Die Sieben hat sich seit Menschengedenken zu bewähren: beim Siebenkampf und den sieben Weltwundern schon in der Antike, auf den sieben Weltmeeren, bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen und bei den sieben Schweizer Bundesräten (vor den sieben Bergen), es gibt sieben Tugenden und sieben Laster, sieben Todsünden und sieben Sakramente, allerdings nur in der katholischen Kirche, „Über sieben Brücken musst du gehen“[2], es sind sieben Worte Jesu am Kreuz, sieben Wunder im Johannesevangelium, sieben Werke der Barmherzigkeit sind zu tun, es gibt ein Buch mit sieben Siegeln und unsere „Siebensachen“, sieben Streiche von Max und Moritz und das Vater Unser mit sieben Bitten, die Musikgesellschaft besteht aus 3x7 Musikerinnen und Musikern und hier nun werden sieben Armenpfleger eingesetzt.

Sieben ist gerade eben und zugleich auch vollkommen genug.

Unter Umständen haben sich die 12 Jünger aber auch nur überlegt, dass es im Streitfall unbedingt eine ungerade Zahl sein muss, waren sie doch nun neuerdings genau zwölf.
Die Zahl wird selten genannt, aber mit Jesus zusammen waren sie immer dreizehn gewesen und nach dem Tod des Judas und Karfreitag nur noch elf. Gleich aber hatten sie wieder einen zwölften Jünger gewählt. Jetzt, da sie die gesamte Verantwortung allein tragen müssen, sind sie ausgerechnet zwölf, so dass es bei Streitereien unentschieden, unentscheidbar stehen kann.

6. Sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.

Diese Namen sprechen Bände. Obwohl sie nur sperrig, altertümlich und harmlos tönen: Stephan, Philipp, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus.
Namen sind manchmal blöd, manchmal passend, aber niemals harmlos. Es sind alles Namen von Menschen, die in die erste, die vorderste Reihe gehören: Stephan ist der, der sich einen Kranz verdient hat, Philipp liebt Pferde, Prochorus ist der Anführer des Tanzes, Nikanor ist zu deutsch der Sieger, Timon der Angesehene, der aller Ehren Werte, Parmenas nennt sich einer, der Durchhaltevermögen hat, der bleibt, wo andere untergehen und Nikolaus ist einer aus einem siegreichen Volk. Gewinnertypen, alle zusammen.

Schon damals ging es um gute Namen und alles, was man mit einem richtigen Namen machen kann. Sie werden nun Armenpfleger und kommen in die erste Reihe - wenn es ums Dienen geht.

Sieben ist gerade eben und zugleich auch vollkommen genug, um die Armut vor Ort gerade nicht zu übersehen, sondern zu überblicken: wo Hilfe dringend nötig ist und wie Gerechtigkeit annähernd herbeigeführt werden kann. Die Bekämpfung der Armut war unter den ersten Christen eine vordringliche Aufgabe, und wir wissen nur zu gut, dass es bis heute so geblieben ist, wenn wir in die große, weite Welt hinausschauen. Manchmal mag man an den Verheißungen Jesu zweifeln, vollkommen überzeugend hat sich bewahrheitet, als er sagte: Arme habt ihr alle Tage bei euch (Mt 26, 11).

Liebe Gemeinde,
der siebte und damit selbstredend letzte Teil dieser Predigt, denn sieben ist gerade eben und zugleich vollkommen genug.

7. Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.

Dieser spezielle Moment hat mich besonders berührt. Es wird nicht sogleich und irgendwie gedankenlos losgelegt. Es wird nicht sofort ein Vorsitzender gewählt und eine Sitzung abgehalten. Es wird nicht unmittelbar geleitet und organisiert, es werden nicht zuerst Reglemente erlassen und Formulare geschaffen.

Vor allem anderen steht das Gebet. Auch die besten Leute haben Gebete nötig, wie es hier klingt, gerade sie. Damit bestreite ich nicht, dass alles andere auch sein muss, dass es Regelungsbedarf gibt, dass Entscheidungen gefällt werden müssen, die künftige Willkür verhindern sollen, im Gegenteil. Auch die Kirche auf Erden kommt ohne all das nicht aus, wenn sie Gerechtigkeit üben will, die Betonung liegt auf „üben“, wenn sie versucht, dem himmlisch hohen Anspruch gerecht zu werden und niemanden zu übersehen, sondern die Not, die Armen wirklich zu sehen und zu kennen.

„Von der Kirche habe ich etwas anderes erwartet ...“

Sie erinnern sich an die Dame vom Anfang, mit roten Backen und innerer Hitze vor lauter Wut?

Liebe Gemeinde,
jetzt wissen wir darauf die Antwort: Nicht schon in der Gemeinde, gänzlich erst im Reich Gottes wird es ganz anders werden, zuvor ist es auf der Welt noch wie mitten in der Welt.
Erstaunlich viel Hilfe ist aber schon jetzt möglich, besonders, wenn man Wuthitze in Wärme, Mitgefühl und Energie zur Mitarbeit verwandeln kann.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der wandle in uns alle Wut in Wärme, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,                                                                                                                            Amen.
 


[1] Werner Jetter, Homiletische Akupunktur. Teilnahmsvolle Notizen, die Predigt betreffend, Göttingen 1976, S. 139.

[2] Rockband Karat (DDR), später von Peter Maffay (Westdeutschland) nachgesungen.

 

Perikope