Predigt zu Lukas 13, 22-27 von Thomas Bautz

Predigt zu Lukas 13, 22-27 von Thomas Bautz
13,22-27

So wanderte er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf, indem er lehrte und nach Jerusalem wanderte. Da fragte ihn jemand: „Herr, es sind wohl nur wenige, die gerettet werden?“ Jesus antwortete ihnen:

„Ringet danach, durch die enge Pforte (vgl. Mt 7,13-14) einzugehen! Denn viele, sage ich euch, werden hineinzukommen suchen und es nicht vermögen. Wenn ihr erst dann, nachdem der Hausherr sich schon erhoben und die Tür abgeschlossen hat, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen beginnt und ihm zuruft: ‚Herr, mache uns auf!‘, so wird er euch antworten: ‚Ich weiß von euch nicht, woher ihr seid.‘ (vgl. Mt 25,11-12)

Dann werdet ihr anfangen zu versichern: ‚Wir haben doch vor deinen Augen gegessen und getrunken, und du hast bei uns auf den Straßen gelehrt‘ (Mt 7,22-23); aber er wird erwidern: ‚Ich sage euch: ich weiß nicht, woher ihr seid; hinweg, steht ab von mir alle, die ihr die Ungerechtigkeit übt!‘.“ (Ps 6,9)

Liebe Gemeinde!

Ungeachtet  des ernsten Anlasses im Kirchenjahr: Buß- und Bettag ist die Botschaft bei Lukas von einer für viele Kirchgänger ungewöhnlichen Härte geprägt, die zunächst so gar nicht zur „Frohbotschaft“ des Evangeliums zu passen scheint. Und tatsächlich haben wir es heute eher mit einer prophetischen „Drohbotschaft“ im Sinne einer eindringlichen Mahnung zu tun.

Die Teilhabe am Reich „Gottes“, am Königreich der Himmel, kann sich nicht anders als im Ausüben der Gerechtigkeit („Gottes“) vollziehen. Die Tora, die wertvolle Weisung für das Leben, will gelebt werden. Nach dem Evangelium, der Frohbotschaft, soll man leben, handeln; sonst wird es verkannt.

Wenn man Unrecht tut, insbesondere seinem Mitmenschen gegenüber, wenn man ungerecht wird im Umgang mit Mitarbeitern oder auch Vorgesetzten, wird das Unrecht zur „schreienden Anklage gegen sich selbst“ (Bovon). Das „Ausschlussverfahren“ geht auf eigene Kosten, und es bedarf keines „höheren Richters“, der uns die Gemeinschaft der „Gerechten“ verwehrt.

Allerdings sind wir alle immer wieder mit der lauernden Gefahr konfrontiert, einmal oder mehrmals im Leben Unrecht zu tun, Ungerechtigkeit statt Gerechtigkeit zu walten oder jemandem angedeihen zu lassen. Der lapidare Satz: „Wir sind alle keine Engel!“ birgt eine sachliche, bei Licht betrachtet, erschreckende Wahrheit.

Deshalb spiegelt die lukanische Mahnung, hinter der sich durchaus die ernste Botschaft Jesu verbergen mag, einen nüchternen Realismus: das Trachten nach dem Reich „Gottes“, ja, das Leben nach dem Evangelium, wie das Leben überhaupt, ist ein permanenter Kampf.

Wir fallen bei diesem Kampf immer wieder auf die Nase, brechen uns manchmal fast den Hals. Dennoch dürfen wir diesem Ringen um Gerechtigkeit nicht ausweichen, sollten nicht konfliktscheu werden. Freilich, es ist nicht nur unangenehm, sondern kostet sehr viel Kraft, sich einem Konflikt selbstkritisch zu stellen und ihn auszuhalten. Deshalb fliehen viele Menschen vor solchen Auseinandersetzungen, und zwar aus unterschiedlichen Gründen.

„Das bringt ohnehin nichts, führt zu nichts.“ „Das bringt nur zusätzlichen Ärger.“ „Dann werden mir noch mehr Nachteile entstehen.“ „Ich riskiere doch keine Kündigung!“

Verständliche Reaktionen, die auch deutlich werden lassen, dass man nicht unvorbereitet dem jeweiligen Konflikt begegnen sollte; heutzutage ist oftmals Rechtsbeistand von Nöten.

Die Dimension, die der lehrende Rabbi Jesus von Nazareth (vermittelt durch Lukas) anspricht, reicht allerdings noch tiefer: Es geht (ihm) um die Verwurzelung unseres Lebens und um die Früchte, die wir erbringen. Teile der Bergpredigt sind mit Gedanken der Mahnrede bei Lukas geistesverwandt, bringen aber zusätzlich mehr Klarheit (Mt 7,15-20):

„Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, im Inneren aber räuberische Wölfe sind.

An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Kann man etwa Trauben lesen von Dornbüschen oder Feigen von Disteln? So bringt jeder gute (gesunde) Baum gute Früchte, ein fauler Baum (mit verdorbenen Säften) aber bringt schlechte Früchte; ein guter Baum kann keine schlechten Früchte bringen, und ein fauler Baum kann keine guten Früchte bringen. Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

Also: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

Nicht alle, die ‚Herr, Herr‘ zu mir sagen, werden ins Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen meines himmlischen Vaters tut.“

Zu denen, die sich selbst dem „Hause Gottes“ gegenüber verschließen, denen der Einlass verwehrt wird, gehören die Heuchler. Wer vorgibt, etwas geistlich darzustellen, vielleicht sogar ein Würdenträger, ein von Amts wegen bestellter und berufener Geistlicher oder ein Presbyter (Kirchenvorsteher), in Wirklichkeit aber seine Position vorwiegend dazu benutzt, um Machtgelüste oder eigene Vorlieben auszuagieren, der hat kein Anteil am Reich Gottes.

Ich denke dabei nicht in erster Linie an Verschwendung von öffentlichen Mitteln oder gar Veruntreuung von anvertrauten Geldern, sondern eher an ungerechtes Verhalten gegenüber Untergebenen, vor allem aber an Verabsolutierung der eigenen Meinung und Verbreitung einseitiger und damit falscher Lehre. Wer ein falsches Evangelium oder Pseudoprophetentum vertritt und verkündigt, wird vom Reich Gottes ausgeschlossen, weil er die Unkundigen und Gutgläubigen indirekt am Hineinkommen hindert.

Wer meint, mit der kirchlichen Taufe bereits fest im Reich Gottes verwurzelt zu sein, gleichsam wie ein Baum zu stehen und jeglichem Sturm weltanschaulicher Infragestellung und Kritik an seinem Lebenswandel ohne weiteres trotzen zu können, schließt sich selbst aus.

Kirchenmitgliedschaft ist nicht identisch mit Teilhabe am Reich der Himmel. Übrigens hat man einmal festgestellt, dass in der Kirche relativ wenig vom Königreich Gottes gesprochen und noch weniger gesungen wird.

Natürlich sind viele Menschen in allen Kirchengemeinden sehr bemüht, Gerechtigkeit walten zu lassen; Gutes, nämlich das jeweils Passende, zu tun und Unrecht zu vermeiden. Insofern bringt ihr Leben „Früchte“ hervor, und es ist bedauerlich und nicht korrekt, wenn sie dafür nur selten gelobt werden. Viele Gemeindeglieder engagieren sich sogar mit Freude und bieten ihre Dienste ganz freiwillig und unentgeltlich an; ich denke an all die Ehrenamtler und andere, oftmals geradezu namenlosen Helfer in den Gemeinden. Ohne sie würde „Kirche“ kaum funktionieren. Diese sind gewiss nicht vom Reich Gottes ausgeschlossen.

Zusätzlich aber bedarf es noch eines weiteren Kriteriums, um ein „Ausschlussverfahren“ (im negativen Sinne) von vornherein abzuwenden. Es reicht offenbar nicht aus, Ungerechtigkeit in jeglicher Hinsicht zu vermeiden. Vielmehr ist es mindestens ebenso unerlässlich, das eigene, angelernte Bekenntnis („Herr, Herr“ sagen) und damit auch den Kirchenglauben nicht zu verabsolutieren.

Ich habe seit vielen Jahren den Eindruck, dass Bedeutung und Wert der guten Taten und Werke im Protestantismus etwas geschmälert werden. Diese geringere Einschätzung, nicht: Geringschätzung, könnte von daher rühren, dass man mitunter vergessen hat, dass Glaube ohne Werke tot ist bzw. dass eine Verwurzelung im Reich der Himmel „automatisch“, bei entsprechender Pflege, gute Früchte hervorbringt.

Die Mehrheit in unserer Gesellschaft hält sich zu keiner Kirche; ich bin aber keineswegs davon überzeugt, dass diese Menschen ein fruchtloses Leben führen.

Ich meine, dass „Kirche“ selbst ausschließend, ausgrenzend wirkt, solange sie andere Menschen zum „Herr, Herr sagen“, zu ihren Bekenntnisformen, anhält. Ich selbst habe von Haus aus keine kirchliche Anbindung gehabt. Meine Fragen als Konfirmand hatte niemand beantwortet. Inzwischen habe ich „Kirche intern“ immer wieder als eine in bestimmten sprachlichen Konventionen verwurzelte Gemeinschaft erfahren, die sich offenkundig unendlich schwer tut, allgemein verständlich und selbstkritisch Menschen anzusprechen, die „von außen“ kommen.

Nach meiner Einschätzung haben die meisten Gemeinden einfach Angst, Mitglieder aus der sog. Kerngemeinde, die klassischen Kirchgänger, zu verlieren. Wird diese Befürchtung aber geradezu kultiviert, werde ich auch kaum „Menschen von außen“ gewinnen. Sehr gefährlich wäre gar eine Haltung der sog. Kerngemeinde, wenn sie sich als bewährte Kirchgänger mit den „Geretteten“ identifizierten, im Unterschied zu jenen, denen der Zugang durch die Tür zum „Hause Gottes“ verschlossen bleibt.

Wäre aber eine solche Identifizierung ausgeschlossen, was ich stark hoffe (!), verstünde ich das Problem ganz und gar nicht: Was (oder wer!) hindert’s, die Kirchensprache in sog. „Gottesdiensten“ und bei sog. Amtshandlungen aufzubrechen und radikal zu verändern?!

Wovor hat man Angst? Mich ärgert es zutiefst, dass es längst ein Umdenken, entsprechende  Entwürfe und Modelle dazu gibt, die zum Teil in manchen Gemeinde bekannt sind, aber nicht oder vergleichsweise nur von wenigen umgesetzt werden. Zum großen Teil werden solche offenbar als revolutionär oder gar „ketzerisch“ geltende Gegenentwürfe zu den „klassischen“ mit Ignoranz oder Missachtung gestraft. Die Anregungen entstammen meist der Praktischen Theologie.

Der Buß- und Bettag ist mit Umkehr und Umdenken verbunden; für Martin Luther bedeutet dies, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei. „Das Christsein sei ein Christwerden“: „Ein Christ ist im Werden, nicht im Gewordensein.“

Das bedeutet auch, dass uns immer wieder bewusst werden sollte, „dass jeder konkrete Ausdruck religiösen Glaubens geschichtlicher Bedingtheit und Relativität unterworfen ist. Diese Erkenntnis schafft einen Geist der Toleranz und lässt jede religiöse oder kulturelle Bewegung zögern, offizielle Gültigkeit für ihre Eigenart zu beanspruchen oder ein offizielles Monopol für ihren Kult zu fordern.“ (Reinhold Niebuhr, 1974; s. J. Wachowski)

Genau das ist aber immer wieder geschehen und bleibt stets aktuell. Daher ist das Trachten nach der Herrschaft Gottes und nach seiner Gerechtigkeit (Mt 6,33) ein beständiger Kampf. Man muss regelrecht darum ringen, hineinzugelangen. Immerhin verspricht der Rabbi von Nazareth, dass wir dazu alles zum Leben Nötige erhalten.

Amen.

Hilfsmittel:

Bibelübersetzung nach H. Menge und Th.B. (vgl. „wibilex“)

François Bovon: Das Evangelium nach Lukas, EKK III/2 (1996), 425-436.

Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe V (2006), 369-374 (Johannes Wachowski; stark auf den Kasus ausgerichtet).

 

Perikope
20.11.2013
13,22-27

ZDF Predigt zu Lukas 18,1-8 von Manfred Rekowski

ZDF Predigt zu Lukas 18,1-8 von Manfred Rekowski
18,1-8

"Wir müssen reden, Gott" 
Die Predigt vom Eröffnungsgottesdienst der EKD-Synode 2013

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde hier in der Düsseldorfer Johanneskirche und zu Hause.

Wuppertal besucht Brandenburg-Ost. Wir sitzen mit unserer Partnergemeinde im Pfarrhaus und singen. "Ich möchte gerne Brücken bauen, wo alle tiefe Gräben sehen. Ich möchte über Zäune schauen und über hohe Mauern gehen."  Ein gesungenes Gebet. Doch irgendwas klingt schief, stimmt nicht an diesem Lied. Es sind nicht die Töne. Wir singen routiniert und geübt. Aber ohne echte Hoffnung, dass sich unsere Worte erfüllen.

Wenige Wochen später in Wuppertal. Der Bibelgesprächskreis trifft sich. Plötzlich kommt die Nachricht: Die Mauer ist offen! Wir schauen uns  ungläubig an: Endlich durch diese hohe Mauern gehen? Von Ost nach West?

Einer spricht aus, was viele denken: Ob Gott unsere Gebete erhört hat?

Wenn Gott damals auf der Seite der Menschen war, die sich so sehr nach Veränderung, nach Recht und Freiheit, sehnten, sollte er dann nicht auch bei denen sein, die ihn heute so dringend brauchen?

Wir haben noch eine Partnerkirche, in Afrika, im Osten des Kongos. Von den Menschen dort wird wenig in den Nachrichten berichtet. Dabei schreit es zum Himmel, wie sie leben müssen: Seit Jahrzehnten sind sie in Bürgerkriege verstrickt.

Wir wissen von Frauen, die gemeinsam versuchen, ihre Vereinsamung nach einer Vergewaltigung durchzustehen. Was ihnen Hoffnung gibt, sind Mikrokredite. Und eine Bibel, die sie geschenkt bekommen haben. Kleine Lichtblicke in großer Dunkelheit.

Sie leben am Rande der Stadt Goma in riesigen Flüchtlingscamps. Auch dort, in den beengten Zelten ist niemand sicher vor Gewalt.

Wenn ich sehe, wie sie leben müssen kommt mir ein zorniges Gebet auf die Lippen: "Gott, greif ein! Sorge für Recht und Gerechtigkeit! Mach unserer Ohnmacht ein Ende! Lass unsere Gebete endlich wirken!"

Wie viele kommen in dieses Gotteshaus mit dem Gefühl: Wir müssen reden, Gott! Wem kann ich sonst sagen, was mich im Innersten bewegt? Wo ist ein Platz für das, was mich umtreibt?

Und auch draußen vor der Kirchentür: Unzählige Stoßgebete. Am Krankenbett. Im Büro. Auf der Straße, dem Schulhof…

Doch ändert sich auch etwas? Muss ich vielleicht mehrere Zettel anheften, dringlichere Bitten aufschreiben, damit was passiert? Oder ist das hier nur ein leeres Ritual, und alles bleibt doch so, wie es ist?

Jesus meint: Nein. Es ändert sich etwas, wenn wir zu Gott beten. Aber er argumentiert nicht, wenn es um das Beten geht. Sondern erzählt stattdessen die Geschichte von der Witwe und dem Richter.

Diese Witwe hat es satt. Ihr geschieht Unrecht, doch nichts bewegt sich. So ergreift sie die Initiative und sucht den zuständigen Richter auf.

Gut, wenn man die Adresse kennt, an die man sich wenden kann. Wie oft gibt es gar keinen Zuständigen?

Dagegen hat die Witwe fast schon Glück. Sie hat die richtige Instanz gefunden. Aber die mauert. Und so kommt die Witwe der Lösung keinen Zentimeter näher. Sie gerät offenkundig an einen Richter, der nach Gusto Recht erfüllen oder Recht beugen kann. Daumen hoch oder runter? Oder die Akte besser nur liegenlassen, bis sie sich von selbst erledigt?  So sieht Willkür aus, die sich als Unabhängigkeit tarnt.

Der Richtet fürchtet sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Bis die Witwe an seiner selbstsicheren Fassade kratzt:

 

Einwurf 1 (Der Richter): Ich tue meine Pflicht, bin allein Recht und Gesetz verpflichtet. Ich bin Richter, und da ist es mein Job, frei und unabhängig zu entscheiden, unbeeinflusst auch von Mitleid. Natürlich fühlen sich manche ungerecht behandelt. Sie wissen schon: Einzelschicksale, Leute, die meinen, sie müssten der unabhängigen Rechtsprechung jetzt mal so richtig die Leviten lesen...

Klar habe ich Spielräume! Ob und wie ich diese nutze, entscheide ich ganz allein. So einfach ist das! Manchmal, wenn ich nachts wachliege, frage ich mich schon: wieso ziehst du das so durch, bist so eiskalt-professionell von dieser Rolle überzeugt?

Was ist eigentlich mit den Menschen, über die du zu Gericht sitzt? Warum berühren dich deren Sorgen und Ängste überhaupt nicht?

Nur diese Frau da, diese Nervensäge, ausgerechnet die hat mich ganz gehörig zum Nachdenken gebracht...

 

Was sorgt für Veränderung und Bewegung? Nicht immer die Kraft der besseren Argumente. Das zeigt die Politik. Und auch bei uns in der Kirche ist es nicht anders. Manchmal bringt Angst, von der wir ja sagen, sie sei kein guter Ratgeber, etwas ins Rollen.

Nun, es gibt sicher bessere Kräfte als Angst, um erstarrte Verhältnisse in Bewegung zu setzen. Mut z.B. setzt auch viel in Gang. "Mut ist die Angst, die gebetet hat", stand in diesen Tagen an einer Kirche. Das haben unsere Schwestergemeinden im Herbst 1989 erlebt. Und sich damals in mancher Gemeinde diese Witwe zum Vorbild genommen. Sie wächst ja über sich hinaus und merkt: Ich bin gar nicht so wehrlos, wie ich dachte:

 

Einwurf 2 (Die Witwe): Ich war es wirklich leid. Für mein Recht brauchte ich diesen Richterspruch. Sonst hätte ich es nicht  durchsetzen können.

Was mir die Kraft zum Kämpfen gab? Vielleicht die Achtung vor mir selbst. Unrecht darf doch nicht die Oberhand behalten nur weil der Zuständige seine Aufgabe nicht erfüllt! Dieser Richter hat mich an meine Grenzen gebracht.

Aber immerhin weiß ich jetzt, dass sich meine Hartnäckigkeit gelohnt hat. Daran werde ich denken, wenn ich wieder in solch eine Situation komme. Ich weiß jetzt, was mich stark macht und kann die Furcht überwinden.

 

Beide, weder die handgreifliche Witwe noch der selbstherrliche Richter sind  charmante Sympathieträger. Trotzdem taugen sie in Jesu Augen offenkundig als Beispiel.

"Hört, was der ungerechte Richter sagt", fordert Jesus seine Zuhörer auf. Und unterstreicht damit nochmal, dass sogar dieser starrsinnige Mann am Ende Recht sprechen wird. Das ist ja seine Aufgabe.

Wenn also schon dieser hartherzige Richter seiner Aufgabe nachkommt, wie wird erst Gott für Gerechtigkeit sorgen! Denn Gott, der Vater Jesu Christi, ist ja ganz anders. Er hat uns in Jesus Christus sein barmherziges Gesicht gezeigt.

Er ist in Jesus Christus von den Toten auferstanden und hat damit gezeigt, dass er der Herr über alle ist, die Leben beschädigen. Gott hat das letzte Wort. Auch wenn jetzt noch alles dagegen spricht: Gott tritt für seine Menschenkinder ein. In jedem einzelnen Leben. Denn wenn irgendwo auf der Welt Recht gebrochen wird, steht für Gott in jedem einzelnen Fall alles auf dem Spiel.

Trotzdem steht am Ende der Geschichte kein Triumph, sondern eine Frage: Wird der Menschensohn Glauben finden auf Erden? Diese Frage stellte sich 1989 in Brandenburg-Ost. Sie stellt sich in unseren Tagen besonders schmerzlich an den hohen Mauern und Küsten Europas.

Sie stellt sich in den vielen Ländern, in denen Menschen um ihr Leben kämpfen müssen wie dem Kongo oder Syrien. Sie stellt sich Männern und Frauen, die es in unserer Stadt schwer haben. Sie bewegt Kinder und Jugendliche, die an dieser Welt leiden. Sie stellt sich den Mitgliedern der EKD-Synode, die unsere Kirche leiten und für unsere Gesellschaft Verantwortung übernehmen.

Überall auf der Welt antworten Menschen auf diese Frage, indem sie das Vaterunser beten. Wenn wir gleich sprechen  "Dein Reich komme...."  ist in diese Bitte auch der Ruf eingeschlossen: "Gott, greif ein! Sorge für Recht und Gerechtigkeit!"

In diesen alten Worten bleibt unser Glaube wach. Und in diesen Worten wird Gott bei uns Glauben finden. Er selbst hält die Hoffnung unter uns lebendig. Und er wird Recht schaffen.

Und wir? Wir beten. Wir beten und warten. Wir beten und hoffen. Wir beten und hoffen und tun, tun das, was Not wendet. Amen.

Perikope
10.11.2013
18,1-8

Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Peter Schuchardt

Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Peter Schuchardt
18, 1-8

Liebe Schwestern und Brüder!

Bilder beeinflussen unser Denken und Fühlen. Sie machen uns traurig. Sie erzeugen Wut. Sie trösten uns. Wir erinnern uns als Volk voller Scham an die Bilder der zerstörten Geschäfte und Synagogen in unserem Land vor 75 Jahren. Die Nationalsozialisten hatten in der Reichspogromnacht gezielt diese Aktion gegen die jüdischen Bürger zur Einschüchterung und als Vorläufer der Vernichtung durchgeführt. Von vielen Schaulustigen  erhielten sie damals Beifall. Das lag auch an den hasserfüllten und diffamierenden Bildern, die sie von den Juden etwa im „Stürmer“ verbreitet hatten. Bitten wir Gott heute, dass die Bilder der Zerstörung uns wachsam sein lassen gegen jede Unterdrückung und Diskriminierung.

Aber Bilder können noch mehr als Hass und Wut, Trost und Traurigkeit hervorrufen. Bilder können uns auch irritieren und zum Nachdenken anregen. Unser Herr Jesus Christus malt mit seinen Gleichnissen Bilder. Sie nehmen uns mit auf eine Gedanken- und Herzensreise, heraus aus dem Gewohnten hin zu einer Welt, in der Gottes Reich schon sichtbar wird. Der Hirte etwa, der das verlorene Schaf sucht – und auch uns. Der Vater, der seinen Sohn wiederfindet – und auch uns. Heute hören wir ein Gleichnis Jesu aus dem 18. Kapitel des Lukasevangeliums:

1Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, 2und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. 3Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! 4Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, 5will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. 6Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! 7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? 8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?

Ein Gleichnis über einen Richter und eine Witwe. Sofort tauchen Bilder in uns auf bei diesen Worten: ein ehrenwerter, angesehener Mann und eine arme, ganz in schwarz gekleidete, verhutzelte alte Frau. Der Richter, dieses Bild ist uns, sorgt für Gerechtigkeit, ist unantastbar, allein dem Recht verpflichtet. Die Witwe dagegen ist für uns der Inbegriff des schutzlosen hilfsbedürftigen Menschen. Witwen und Waisen sollen besonders geschützt werden, so zieht es sich durch das Alte Testament. Und ein Richter, das prägt ja unser Verständnis gerade in unserem heutigen Rechtsstaat, soll allein dem Recht sich verpflichtet fühlen. Und wohlmöglich noch Gott.

Doch in diesem Gleichnis Jesu ist alles anders: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Dieser Richter ist ein Despot, der willkürlich, ohne jede Bindung an Recht und Gesetz und Gott seine Urteile fällt. Wehe dem Menschen, der bei diesem Richter Hilfe sucht, kann ich nur sagen. Denn er ist ihm und  seiner Willkür völlig ausgeliefert. Dieser Richter ist so ganz anders als das Bild, dass wir haben. Wir sehen die honorigen Männer und Frauen in den roten Roben des Bundesverfassungsgerichts – und hier ist ein fieser und gemeiner Kerl. Zur Zeit des Neuen Testaments gehen  Gerechtigkeit gegen Menschen und Gottesfurcht Hand in Hand. Nur wer gegen Menschen und gegen Gott Antwort geben kann für sein Tun, handelt verantwortungsvoll. Dieser Richter tut das gerade nicht. Er handelt verantwortungslos. Und so jemanden nimmt Jesus als für sein Gleichnis!

Und die Witwe? Wir erfahren nicht viel über sie. Sie wird eben nicht als alt, verhutzelt, und hilflos beschrieben. Das eine, was wir hören, ist: Sie meint im Recht zu sein gegen ihren Widersacher. Das andere ist: sie ist hartnäckig. aber wie! Immer wieder kommt sie und bedrängt den Richter. Der aber will ihr lange Zeit nicht helfen. Und  nun erfahren wir das dritte: Sie ist ziemlich gewaltbereit. Der Richter befürchtet, sie könne ihm ins Gesicht (im Griechischen steht wirklich ein „Veilchen“) schlagen! Eine energische Frau, die im Recht zu sein meint und vor Gewalt nicht zurückscheut, die gern mal eine langt. Und so eine nimmt Jesus für sein Gleichnis! Am Ende sagt der Richter zu sich selbst: Kein Mensch, auch nicht Gott, könne mir etwas sagen, und doch will ich dieser Witwe Recht schaffen, bevor sie mir ein blaues Auge haut.

Nun würden wir das Gleichnis und unseren Herrn völlig falsch verstehen, wenn wir meinten, so wie die beiden sollen wir auch sein. Aber das Faszinierende an diesem Gleichnis ist: Jesus nimmt es aus einer gottlosen, unbarmherzigen Welt, um uns Gottes Barmherzigkeit zu zeigen. Lukas gibt uns eine Einleitung für dieses Gleichnis. Jesus will uns damit veranschaulichen, dass wir, seine Jüngerinnen und Jünger, allezeit beten und nicht nachlassen sollen. Die rabiate Witwe schafft es durch ihr Verhalten, den despotischen Richter zum Einlenken zu bewegen. Wie viel mehr dürfen wir dann auf Gott hoffen, der es doch so gut mit uns meint! Tag und Nacht dürfen wir zu Gott rufen, und er wird uns erhören. Ja, mit wie viel mehr Glaubensgewissheit dürfen wir uns an Gott, unseren Herrn wenden. Und Jesus Christus sagt es uns: Gott wird uns Recht verschaffen in Kürze. ER wird es nicht lange hinziehen, wie dieser Despotenrichter.  Soviel Zuspruch, so viel Hoffnung, soviel Zuversicht spricht aus diesen  Worten Jesu. Soviel verspricht euch Gott, soviel Hoffnung, soviel Zuversicht könntet ihr haben.

Und doch fragt Jesus uns – und es ist das einzige Gleichnis, das mit einer Frage endet:  Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden? Was meinst du? Damit spricht Jesus uns direkt an. Wird er Glauben finden auf der Erde? Jesus fragt hier nicht nach großem  Glauben, er fragt grundsätzlich nach Glauben bei uns, bei seinen Jüngerinnen und Jüngern durch alle Zeiten hindurch. Es ist falsch zu meinen, zu Lebzeiten Jesu hätten die Menschen mehr Glauben gehabt als heute. Das Neue Testament spricht da eine andere Sprache. Und mit diesem Gleichnis stellt Jesus seinen Jüngern zu allen Zeiten die Frage: Werde ich Glauben finden bei euch, wenn ich wiederkomme? Die Sonntage am Ende des Kirchenjahres lenken unseren Blick über diese Zeit und diese Erde hinaus auf Gottes Ewigkeit. Wir wissen: Diese Erde und diese Zeit hier sind begrenzt. Auch das Wort von der Wiederkehr Christi malt ein Bild, ein sehr tröstliches Bild. Selbst wenn diese Welt untergeht, geht sie doch nicht verloren. „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“: das, was wir als Trostlied bei unseren Beerdigungen so oft singen, gilt ja für diese Welt als Ganze. Christi Hände werde auch diese Welt auffangen, wenn sie dereinst nicht mehr sein wird. Glauben wir das? Vertrauen wir darauf, dass alles Sterben und Vergehen, auch unser eigenes, auch das dieser Welt, in Christi Händen letzte Geborgenheit findet? Darum fragt er : „Werde ich Glauben finden?“ Wie bei allen Gleichnissen Jesu gilt auch hier: Achten wir darauf, wer uns hier fragt. Es ist nicht der gestrenge Verurteiler, nicht ein Despotengott, der willkürlich über uns herrscht. Es ist Christus selbst, Gottes Sohn, der uns mit seinem Leben und Sterben und Auferstehen Gottes Liebe zeigt. Die gilt für unsere Welt wie für unser Leben. Und er will uns nicht drohen, sondern einladen und ermutigen zum Gebet und zum Vertrauen auf Gott. Beides gehört zusammen. Weil wir Gott vertrauen können, können wir ihm im Gebet alles sagen. Und weil wir Gott alles sagen können, wird unser Vertrauen zu ihm wachsen und tiefer werden. Lasst euch darauf ein, das ist Christi Einladung heute an uns. Wie viel mehr als der Richter im Gleichnis wartet Gott auf unserer Gebete! Noch haben wir doch Zeit, uns mit unserem Gebet an Gott zu wenden. Noch haben wir Zeit, die ermutigenden Bilder der Gleichnisse Jesu in unser Herz aufzunehmen. Wir sollten es tun. Denn es sind Bilder der Gnade und der Barmherzigkeit. Es sind Bilder, die uns von Gottes  Walten und Wirken in unserer oft gottfernen Welt erzählen. Es sind Bilder, die die Hoffnung und den Trost in uns wachhalten. Und diese Bilder brauchen wir. Denn sie zeigen uns: Das, was jetzt ist, ist nicht alles. Auch die beschämenden Bilder der Reichspogromnacht nicht. Gottes Gnade und Barmherzigkeit kann selbst das überwinden und verändern. Und darum braucht unsere Welt nichts so sehr wie das Wort von Gottes Gnade  und Barmherzigkeit. Jesu Gleichnisse nehmen uns mit auf eine Herzensreise, in der diese neue Welt Gottes schon sichtbar wird. Und damit schon verändert sie unsere Welt hier. Seine guten Bilder stellen unsere so unbarmherzige Welt und auch uns immer wieder in Frage.

Lassen wir uns von Jesu Gleichnisbild heute anregen zum Nachdenken, zum Vertrauen und zum Gebet. Denn Gott ist doch da mit seiner heilvollen Nähe. Er wartet auf uns und unsere Gebete. Wir sollten ihn nicht warten lassen. Öffnet ihm ruhig euer Herz. Ihr braucht nur Vertrauen! Und dann könnt ihr ihm unablässig sagen, was ihr auf dem Herzen habt. Das ist die große Einladung Gottes, für jeden von euch. Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen

Perikope
10.11.2013
18, 1-8

Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Heinz Behrends

Gute Nachricht für jedes Kind: Quengeln lohnt sich. Du musst nur lange genug jaulen und betteln und drängeln, dann bekommst du, was du haben willst. „Bitte, Mama, lass mich heute abend bis 1 Uhr weg bleiben. Die Disco fängt doch erst um 11 Uhr an“.

„Ach, du nervst mich schon wieder.“ – Bitte, bitte, Mama“. „Du bleibst zu Hause“. – „Bitte Mama, einmal nur“. „Na, gut, dies eine Mal“. „Und kann Papa mich abholen“? – „Muss er dann ja wohl. Er holt Dich um1 Uhr ab“.  Und dabei wollten wir heute mal früh ins Bett, gemütlich lesen und noch ein bißchen kuscheln, denkt sie. Immer unsere süßen Blagen. Wie Plagegeister kommen die lieben Kinder daher. Um endlich Ruhe zu haben, gibt die Mutter nach. Die Strategie ist aufgegangen, weiß die Tochter. Die Erziehung ist im Eimer, denkt Mutter. Sie war wieder mal nicht konsequent, hat sich weich kochen lassen. „Ja, ich weiß, es war falsch“, sagt sie, als sie ihrer Freundin davon erzählt.

Es fällt mir nicht schwer, mich in das Gleichnis Jesu vom Inkonsequenten Richter hinein zu denken und zu –fühlen.

Da ist offensichtlich eine junge Witwe -man heiratete früh,- der ein Teil ihres Erbes vorenthalten wird. Sie kann dem Richter kein Geschenk machen. Er ist ein unbestechlicher Mann. „Er fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen“.  Ihr Prozessgegner ist ein reicher Mann. Sie hat nur eine Waffe im Prozess: Ihre Beharrlichkeit.

Der Richter erfüllt ihre Bitte um Recht, weil sie ihn nervt und weil er befürchtet, dass sie ihm eine runter haut. Eine kernige Geschichte.

„Er sagte ihnen aber ein Gleichnis drüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten“, so leitet Jesus das Gleichnis ein.

Bete beharrlich, drängele Gott und Deine Bitte wird erfüllt, das ist die Botschaft.

Viele Erfahrungen sprechen dagegen.

Sie war eine sehr intensive Beterin. Jeden Morgen nannte sie alle Namen, derer, um die sich sorgte, ihren Kindern legte sie betend die Hand auf den Kopf, wenn sie sie morgens zum Schulbus verabschiedete. Wenn sie am Wochenende zur Mittagsruhe mit geschlossenen Augen auf dem Sofa lag und er flüsterte: „Schläfst Du, Schatz“, dann antwortete sie: „Nein, ich bete.“

Doch es kam die Krise, ihr Mann bekam Prostata-Krebs. Während seiner Operation in der Klinik saß sie betend in der Krankenhaus-Kapelle. Zwei Jahre später war sie dran: Gebärmutter-Krebs. Es verunsicherte sie noch mehr. „Das Beten fällt mir sehr schwer“, sagte sie. „Dann bete ich jetzt für Dich“, entgegnete ihr Mann und sprach vor und nach der Operation die Gebete an ihrem Bett.

Als die jüngste Tochter die Diagnose MS bekam, schrie sie laut: „Warum, Gott?“ und verstummte fortan. Das Vertrauen war schwer gestört. Sie blieb ratlos: „Ich kann nicht mehr beten. Das ist schlimm. Ich verzweifle“. Die Verbindung zu Gott war unterbrochen.

Im Stillen las sie die Gedanken in andere Menschen hinein. „In guten Zeiten für andere beten, keine Kunst.“ – „Ja, wo ist denn jetzt Dein Gott?“ – „Sie tut mir leid. Sie hatte so einen festen Glauben“.  

Hat sie vorher zu viel vertraut? War sie nicht krisenfest genug? Wollte Gott sie prüfen und stärken?  Kein schöner Gedanke.

Hatte sie zu wenig Geduld gehabt? „Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“, sagt Jesus.

Wenn schon der leicht korrumpierbare Richter sich erweichen läßt, was dann erst Gott.

Hatte sie sich zu klein gemacht?

Die Witwe im Gleichnis tritt sehr resolut auf. Auf Augenhöhe. Das beeindruckt mich, das Selbstbewusstsein der Witwe. Sie läßt sich von gesellschaftlichem Abstieg, von Diffamierungen nicht irritieren. Sie drängelt und bittet. Gott will keine kleinen Kriecher, die sich selbst demütigen, sondern kraftvolle Beter.

Sie ist stark gegenüber Gott. Sie lässt sich nicht mit frommen Sprüchen abspeisen.

Wenn Gott mich als sein Gegenüber geschaffen hat, dann will ich in meinem Leid ernst genommen werden.

Leichte Zweifel sind angebracht. „Wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden“?

Doch warum hat die drängelnde Tochter um einen späten Disco-Besuch Erfolg bei ihrer Mutter? Weil sie eine lebendige Beziehung miteinander haben, verbunden bleiben, was immer auch ist.

Das Beten und die Erfüllung der Bitten sind ein weites Feld. Nach dem Gleichnis von dem Richter und der Witwe erzählt Lukas das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner, der sich hinten im Tempel stehend an die Brust schlägt und sagt: „Gott sei mir Sünder gnädig“. Einer der sich im Vergleich zum Pharisäer selbst erniedrigt und deshalb erhöht wird.

Ich halte mich an die Witwe und an die Frau, die drei Einschläge in kurzer Zeit hinter sich hat.

Sie hat ein halbes Jahr gebraucht, um wieder in Kontakt zu kommen.

Heute übernimmt sie wieder das Gebet am Morgen. Sie nennt die Namen derer, um die sie sich sorgt.

Und damit sie niemanden vergisst, hat sie die Namen aufgeschrieben.

Diese Woche sind es acht.

Perikope
10.11.2013
18, 1-8

Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Gerda Altpeter Rappaport

Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Gerda Altpeter Rappaport
18, 1-8

1 Er sagte ihnen ein Gleichnis, dass sie immer wieder beten sollten und nicht aufhören damit:
2 „Es war ein Richter in einer Stadt, der Gott nicht fürchtete und sich vor keinem Menschen scheute.
3 Es war eine Witwe in jener Stadt, die kam zu ihm und sprach:“ Verteidige mich gegen meinen Gegner!“
4 Und er wollte es nicht zunächst. Danach aber sagte er sich:“ Wenn ich auch Gott nicht fürchte
und mich vor keinem Menschen scheue,
5 so macht mich doch diese Witwe ganz kaputt. Ich werde sie verteidigen, damit sie nicht schliesslich komme, mich ins Gesicht zu schlagen.“
6 Da sprach der Herr:“ Hört, was der ungerechte Richter sagt!“
7 Aber Gott sollte nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die Tag und Nacht rufen, und langmütig sein ihnen gegenüber?
8 Ich sage euch: „Er wird ihnen schnell Recht schaffen. Wenn der Menschensohn kommen wird auf die Erde, wird er Glauben finden?“

Richten
Es ist ein schweres Amt über andere zu richten. Dazu gehört ein klares Gesetz, nach dem sich alle richten. Es gehört aber auch ein guter Kopf dazu, der genau urteilen kann, um die Situation richtig ein zu schätzen. Dann erst kann der Richter einwandfrei sagen, ob der Angeklagte Unrecht hat und verurteilt werden muss. Er kann der Klägerin nun zu ihrem Recht verhelfen.
Dem Richter in diesem Gleichnis geht es nicht um gerechtes Richten. Er braucht Geld, viel Geld. Wer ihm Geld gibt bekommt Recht. So einfach ist das. Auf andere hört und sieht er nicht. Da kommt eine Witwe zu ihm und bittet ihn um Hilfe. Erst hört er nicht hin. Er beachtet sie nicht. Sie kommt immer wieder. Da wird er ihm zu viel. Er tut, worum sie bittet.
Das Gleichnis Jesu geht um das Bitten und Beten.

Bitten - Beten
Mit diesem Gleichnis fordert Jesus seine Zuhörer auf, immer wieder Gott um etwas zu bitten im Gebet.
Bitten – Beten
Wie sieht es bei uns aus? Halten wir uns an Jesu Wort? Bitten und Beten wir jeden Tag, immer wieder neu? Natürlich soll auch der Dank, das Lob und die Verehrung kommen. Das Gebet umfasst alle Arten von Beten. Wir sollen nicht nachlassen. Wir sollen dran bleiben. Tun wir das?
Bitten – Beten
Jeden Abend bete ich. Zuerst danke ich für gute Gesellschaft, schmackhaftes Essen, angenehmes Trinken und alles, was sonst noch Gutes geschehen ist. Dann bete ich um Gottes Segen und Frieden für die Nacht. Ich schliesse alle mit ein, die ich kenne, Kinder, Enkel, Urenkel, Verwandte, Freundinnen, Freunde, Bekannte … Es ist eine lange Reihe. Dann schlafe ich ruhig ein. So geht es jeden Abend.
Auch morgens bedanke ich mich für eine ruhige Nacht und bitte darum, dass ihm all mein Tun und Lassen gefällt. Zu jeder Mahlzeit danke ich für seine Gnade, dass ich genug habe. Schliesslich habe ich im letzten Krieg in Deutschland gehungert. Es gab nur das Gemüse und das Obst aus dem Garten, nach gelesene Kartoffeln und Korn, kaum Fett, kaum Fleisch, kaum Brot. Es war eine schlimme Hungersnot.
Es ging allen Deutschen so, aber bei uns war es so schlimm, weil mein Vater noch als Jude geboren war und erst später mit seiner Mutter und allen Geschwistern getauft wurde. Unter dem Naziregime wurde er verfolgt, alle anderen Familienmitglieder ebenso. Es war eine schlimme Zeit.
2
Vielen anderen ging es genau so. Ich kann diese Zeit nicht vergessen, darum bin ich täglich so froh, dass ich nun Schweizerin bin, in Frieden leben kann, genug zu essen und zu trinken habe, und eine schöne Wohnung im Wallis mit viel Sonne und warmem Wasser für die Gesundheit.
Nun möchte ich noch eine andere Geschichte erzählen, eine die ich mit erlebt habe. Ich ändere nur den Namen.
Hanna, eine junge, verheiratete Lehrerin, bekommt Schwierigkeiten. Als sie ihr erstes Gehalt bekommt wird ihr Mann eifersüchtig. Als kleiner Angestellter des Staates bekommt er wesentlich weniger. Er braucht Anerkennung. Die findet er im Sport.
Er trainiert für Judo Kämpfe. Jeden Sonntag findet ein Kampf statt, da fährt er mit seiner Frau hin. Er gewinnt fast immer. Seine Frau bewundert ihn, aber er hat nun keine Zeit mehr mit ihr zu reden über den Unterricht und die Schwierigkeiten, die sie mit den 14-15 jährigen Jungen hat.
Sie ist erschöpft vom Unterricht während der Woche. Dann kommen die Fahrten zu den Judokämpfen. Sie kommt nicht mehr zu sich selbst.
Dann bricht sie zusammen. Sie kommt ins Krankenhaus. Die Ärzte handeln atheistisch. Sie trennen sie von allen Bindungen, besonders die von ihrem Mann. Dann trennen sie sie von Gott. Da begeht sie Selbstmord. Eine Freundin findet sie rechtzeitig und bringt sie ins Krankenhaus. Ihre Mutter bindet sie wieder an Gott an. Da kann sie wieder leben.
Aber die Geschichte geht weiter. Da sie offene Wunden hatte, sind dort Keime hinein gekommen. Es ist Hospitalitis. Sie wird nicht mehr arbeitsfähig. Der Mann lässt sich von ihr scheiden und heiratet eine andere. Sie kehrt ins Elternhaus zurück und geht dann in ein Alters- und Pflegeheim. Dort freundet sie sich mit einer Nonne an, die in der Ergotherapie arbeitet. Sie schreibt eine Autobiographie. Sie schreibt zum Schluss:
„Ich habe regelmässig Kontakt mit meinen Geschwistern und Freunden und schreibe gern meine Gedanken auf. In der Natur und in den Menschen finde ich Gottes Gegenwart. Ich weiss, dass ich von ihm beschützt bin und geleitet werde. Meine Zukunft liegt in seiner Hand. Das Tischgebet, das gleichzeitig mein Trauspruch war, steht immer über meinem Tun:
„Danket dem Herrn,
denn er ist freundlich
und seine Güte währet ewiglich.“

Perikope
10.11.2013
18, 1-8

Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Werner Schwartz

Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Werner Schwartz
18, 1-8

Predigt zum Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr, 10. November 2013, über Lukas 18,1-8 - Von der bittenden Witwe: Gottes und unsere Sorge um das Recht der Geringen

1 Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten,
2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.
3 Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!
4 Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,
5 will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?

Gleichnisse sind bemerkenswerte Geschichten. Sie wollen uns ein Licht aufstecken. Jesus will uns durch eine Geschichte wie die von der bittenden Witwe etwas deutlich machen. So dass wir’s begreifen. Und zugleich immer wieder bedenken, weil uns die Geschichte wieder und wieder einfällt, unsere Gedanken und unsere Phantasie beschäftigt und uns so, wenn es gut geht, davon abhält, das Falsche zu tun, und einlädt, das Richtige zu tun.
Ein solches Gleichnis ist die Geschichte vom Richter und der Witwe. Ein gewissenloser Richter und eine wehrlose Witwe treffen aufeinander.
Das ist ein altes Thema in der biblischen Überlieferung. Und vermutlich eine alte Erfahrung in der Menschheitsgeschichte. Nicht immer erhalten Menschen das Recht, das ihnen zusteht. Manchmal versagen die Instanzen, die eigentlich für das Recht sorgen sollten. Zu fehlbar sind die Menschen, zu viele schlimme Erfahrungen haben Menschen schon einstecken müssen. Das spiegelt sich auch in alten biblischen Texten, die beschreiben, andeuten wollen, wie das denn geht: recht richten.
Etwa 5.Mose 16:
18 Richter und Amtleute sollst du dir bestellen in allen Toren deiner Städte, die dir der HERR, dein Gott, geben wird, in jedem deiner Stämme, dass sie das Volk richten mit gerechtem Gericht.
19 Du sollst das Recht nicht beugen und sollst auch die Person nicht ansehen und keine Geschenke nehmen; denn Geschenke machen die Weisen blind und verdrehen die Sache der Gerechten.
20 Was recht ist, dem sollst du nachjagen, damit du leben und das Land einnehmen kannst, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.
Oder 2.Chronik 19:
4 Und Joschafat ... brachte sie zurück zu dem HERRN, dem Gott ihrer Väter.
5 Und er bestellte Richter im Lande in allen festen Städten Judas, Stadt für Stadt,
6 und sprach zu den Richtern: Seht zu, was ihr tut! Denn ihr haltet Gericht nicht im Namen von Menschen, sondern im Namen des HERRN, und er ist bei euch, wenn ihr Recht sprecht.
7 Darum lasst die Furcht des HERRN bei euch sein, haltet und tut das Recht; denn bei dem HERRN, unserm Gott, ist kein Unrecht, weder Ansehen der Person noch Annehmen von Geschenken.
So ist das in der Bibel beschrieben. Gerechte Richter soll das Volk haben, die das Recht nicht beugen und nicht vor den Starken kuschen, sondern die Schwachen schützen und ihnen zu ihrem Recht verhelfen. Das hat nicht immer in der Geschichte Israels so recht geklappt, deshalb begegnet häufig in der Bibel, vor allem bei den Propheten die Anklage gegen die falschen Richter, die das Recht beugen und die Einflussreichen besser wegkommen lassen als die Armen, die Witwen und Waisen, die schutzlos sind, die keinen haben, der sie schützt.
Und es begegnet die Anklage und die Aufforderung, doch zum alten Recht zurückzukehren, zum gerechten Gericht, zum unparteiischen Urteil, das allein auch den Schwachen zu ihrem Recht verhelfen kann.
Selbst wenn wir heutzutage gelegentlich ein wenig resigniert spotten, man sei nirgendwo so sehr in Gottes Hand wie vor Gericht und auf hoher See, dann wissen wir hierzulande, dass wir in (prinzipiell) unabhängigen Gerichten doch ein hohes Gut haben, das sicher notfalls zu verteidigen wäre. Denn die Vermutung, dass Gerichte auch in unserem Land parteiisch geurteilt haben, eben nicht Recht gesprochen, sondern eher Unrecht geschaffen haben, ist nicht einmal im Blick auf unsere jüngere Geschichte von der Hand zu weisen.
2
Der Richter in dem kleinen Gleichnis scheut vor Unrecht nicht zurück. Es ist auch ein doppelter Grund angegeben: weil er Gott nicht fürchtet und sich vor keinem Menschen scheut.
Sich vor Menschen nicht scheuen, das kann ihn auszeichnen. Keine Rücksicht nehmen auf Interessen der Konfliktparteien, ein unparteiisches Urteil sprechen, einfach nur das Recht suchen und dem Recht zur Geltung verhelfen.
Gott nicht fürchten – das scheint tiefer zu gehen. Der alte Spruch: Tue Recht und scheue niemand, hieß in seiner vollen Fassung einmal: Fürchte Gott, tue Recht und scheue niemand. Dahinter steht die uralte Vorstellung, die Gottesfurcht sei die Voraussetzung für menschliche Gerechtigkeit.
Gott wird als Garant für Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit gesehen. Wer Gott fürchtet, handelt nach seinen Geboten, oder er hat zu fürchten, dass er seinem Gericht und seinem Zorn verfällt. Da nicht unentdeckt bleiben wird, was Menschen tun, wird er sich aus Rücksicht auf sein eigenes Wohlergehen vermutlich auf dem rechten Weg bewegen.
Nicht so unser ungerechter Richter. Er ist das Gegenteil des Gerechten. Er ist gottlos und deshalb ruchlos.
*
Ganz anders die Situation der Witwe. Sie gehört zu den sozial Schwachen. Denn es gab keine soziale Vorsorge für sie, nicht die allerschmalste Witwenrente. Wo doch bei uns Witwenrenten schon schmal genug sind für Frauen, die nicht selbst einen Beruf hatten und deren Mann nicht einen sehr guten Beruf hatte.
Wie immer in der Weltgeschichte gab es solche, die die hilflose Lage anderer schamlos ausnutzten. Deshalb ja galt es als die vornehmste Pflicht der Richter im Volk, den Witwen und Waisen Recht zu schaffen.
Uralte Vorschriften sorgten dafür, etwa 5.Mose 24:
17 Du sollst das Recht des Fremdlings und der Waise nicht beugen und sollst der Witwe nicht das Kleid zum Pfand nehmen.
Oder 5.Mose 27:
19 Verflucht sei, wer das Recht des Fremdlings, der Waise und der Witwe beugt! Und alles Volk soll sagen: Amen.
Oder 5.Mose 24:
19 Wenn du auf deinem Acker geerntet und eine Garbe vergessen hast auf dem Acker, so sollst du nicht umkehren, sie zu holen, sondern sie soll dem Fremdling, der Waise und der Witwe zufallen, auf dass dich der HERR, dein Gott, segne in allen Werken deiner Hände.
Oder 5.Mose 26:
13 Und du sollst sprechen vor dem HERRN, deinem Gott: Ich hab aus meinem Hause gebracht, was geheiligt ist, und hab's gegeben den Leviten, den Fremdlingen, den Waisen und den Witwen ganz nach deinem Gebot, das du mir geboten hast. Ich habe deine Gebote nicht übertreten noch vergessen.
Oder Jesaja 1:
23 Deine Fürsten sind Abtrünnige und Diebsgesellen, sie nehmen alle gern Geschenke an und trachten nach Gaben. Den Waisen schaffen sie nicht Recht, und der Witwen Sache kommt nicht vor sie.
Oder Jeremia 22:
3 So spricht der HERR: Schaffet Recht und Gerechtigkeit und errettet den Bedrückten von des Frevlers Hand und bedränget nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt an und vergießt nicht unschuldiges Blut an dieser Stätte.
2
Eine breite Überlieferung im Ersten Testament. Sie belegt die Sorge, dass die Schwachen von den Starken unterdrückt werden, dass die Starken sich aufkosten der Schwachen zusätzliche Vorteile verschaffen.
*
Jesus wendet sich in seinem Gleichnis an Menschen, die in Not sind. In Drangsal und Bedrückung wie die Witwe. Sie wissen, wovon er spricht. Und sie warten sehnsüchtig auf den Tag, wo Gott sein Recht erweist, sein Recht gegenüber den Bedrängern und Unterdrückern. Sie warten auf das Weltende, denn dann wird alles gut. Dann werden die Verheißungen Gottes erfüllt, und der Himmel bricht auf Erden an.
Sie wissen auch: Nach bisheriger Erfahrung ist diese Wende in der Welt noch nicht gekommen. Noch ist die Erde eher Jammertal als Freudensaal. Noch ist das Elend eher zu erfahren als der Jubel.
Da, in dieser Situation nehmen sie in der Gleichnisgeschichte Jesu das Gegenbild wahr: Gott ist nicht so wie der ungerechte Richter, Gott ist barmherzig, lässt sich durch Bitten erreichen, viel eher als dieser furchtbare Richter, den es vermutlich ja auch gibt. Die Menschen dort hören: Gott nimmt ihre Bitten wahr, er erhört Gebete, er schafft ihnen Recht, schon bald.
3
So ist das Gleichnis ein Gleichnis darüber, dass sie, die Jünger und Nachfolgerinnen Jesu, die Menschen in seiner Gemeinde, allezeit beten und nicht nachlassen sollen: Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Festhalten an der Zuversicht, dass Gottes Reich kommt, zumal wenn stimmt, was wenige Verse zuvor zu lesen: Das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Mitten unter uns. Wo wir’s spüren, ist es ein kräftiges Zeichen dafür, dass Gottes Reich am Ende der Tage kommt. Wo wir Recht und Gerechtigkeit, Leben und Liebe, Freundlichkeit und Barmherzigkeit erfahren – und sie einander gewähren.
Mitten unter uns, in unserem Alltag: Gottes Reich. Wo wir das erleben, im Leben miteinander, als Schwestern und Brüder, die wir untereinander sind, wo wir das erleben: Gerechtigkeit, Herzlichkeit und Menschlichkeit, Freundschaft und Liebe, Barmherzigkeit und Leben, da wächst Gottes Reich unter uns.
4
Bleibt die Frage: ... wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden? Wird er diesen Glauben finden? Einen Glauben, der in der Liebe, durch Liebeswerke tätig wird? Wird er diesen Glauben finden?
Die Frage lädt zum Leben ein, zu bestimmtem, ganz konkretem Leben im Alltag. Wenn Gott ein Gott ist, der Recht schafft, gerade den Armen Recht schafft, dann wird Glaube zu dem Bemühen, dies zu unterstützen: dass die Armen Recht finden, dass die bittende Witwe Gehör findet, dass wir auf die Not von Menschen reagieren, ihre kleine und große Not.
So ruft diese Gleichnisgeschichte Jesu uns angesichts all dessen, was uns müde macht und hoffnungslos, zurück zum Vertrauen auf Gott, zum Glauben, zur beharrlichen Bitte und zur tätigen Liebe. Und zur Zuversicht. Denn wenn schon dieser Richter sich erweichen lässt, dann sicher doch auch Gott, der das Heil der Menschen will, ihr Glück, der will, dass ihr Leben, unser Leben Erfüllung findet, in Zeit und Ewigkeit.
Wird dieser Glaube zu finden sein auf dieser Erde, jetzt unter uns, und dann, wenn das Ende der Zeit anbricht? Das ist die Frage des Menschensohns an uns. Dieser Frage entspricht unser Gebet, in dem wir nicht müde werden: Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erde ... denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit Amen.
Darum wollen wir beten, und dafür wollen wir tätig sein, dass Gottes Reich kommt. Damit halt niemand so um sein pures Überleben betteln muss wie die Witwe. Oder wenn sie schon bittet, dass ihr dann auch Gerechtigkeit widerfährt. Dass wir dann das Nötige tun, dass wir einander hilfreich zur Seite stehen. Weil das Gottes Weg ist, die Welt zu erlösen, die Welt zu retten. Und wir haben teil daran.

Perikope
10.11.2013
18, 1-8