Gottes Friedensbewegung: Böses mit Guten überwinden - Predigt zu Römer 12, 17 - 21 von Michael Plathow

Gottes Friedensbewegung: Böses mit Guten überwinden - Predigt zu Römer 12, 17 - 21 von Michael Plathow
12,17-21

Gemeindelied vor der Predigt: NG  116: „Da wohnt ein Sehnen tief in uns ...“

4. So. n. Trin. (5. 7. 2020)

Michael Plathow

1. „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“, so haben wir gesungen, Liebe Gemeinde, ein Sehnen nach mehr Frieden und weniger Bösem in der Welt, nach Liebe und das in einer Zeit der Extreme: Politische Spannungen und Trennungen durch nationalen Egoismus und Stellvertreterkriege mit Kollateralschäden für die Zivilbevölkerung. Dazu Spaltungen durch Hassparolen und populistische Ideologien. Der Friede bleibt auf der Strecke.Tagtäglich öffnen Bad-News uns den Mund zur Klage über die Schrecken des Bösen, zum Schrei nach mehr Frieden und Gerechtigkeit. Zwischen moralisierender Empörung und trägem Egoismus, politischem Utopismus und ernüchtertem Pragmatismus sucht das Sehnen tief in uns Klärung und Entscheidungshilfe für den Weg des Friedens.

„Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“ ist die Kundgebung der letzten EKD- Synode in Dresden. Dort hören wir Folgendes über Gottes Friedensbewegung und unseren Friedensauftrag: „Als Teil der Friedensbewegung Gottes in die Welt hinein verpflichten wir uns, in unseren eigenen Strukturen und Veränderungsprozessen, in unserem täglichen Handeln sowie in den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen um Gottes Frieden zu bitten, ihn beständig zu suchen und für Gerechtigkeit und Frieden einzutreten. Wir sind unterwegs im Vertrauen, dass Gott unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet“.

Die Verantwortung für die Frage des Friedens  kennt jedoch brisante Situationen – wie etwa den Genozid. Das Auslöschen eines Volkes ist wohl das schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ich erinnere an den Holocaust. Da können notwendigen Zwangsmaßnahmen auch eine militärische Option einschliessen; sie müssen zugleich in zivile und politische Maßnahmen eingebettet sein.

2. Wie bei der EKD-Verlautbarung schlägt Paulus der christlichen Gemeinde in Rom vor, sich im christlichen Sinne von der Welt zu unterscheiden: „Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Its´s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ (Röm 12, 18) Paulus ermutigt Christinnen und Christen für ihr Zusammenleben in Staat und Kirche dazu, jederzeit zu prüfen, „was der Wille Gottes“ ist.

Ein solcher Friedensauftrag kann nerven.

Zugleich trifft er aber auch den Nerv unseres Unvermögens. Denn es ist doch immer wieder festzustellen: Es gelingt nicht so ohne Weiteres, den Frieden zu bewahren.

Bedenkt aber, liebe Gemeinde: Der Friede ist ein Geschenk Gottes. Unverfügbar. Der Friede Gottes ist höher als alle Vernunft, sagt Paulus (Phil 4, 7). Das aber ist nicht alles: Unseren Frieden haben wir bereits in Jesus Christus. Durch ihn und den Heiligen Geist haben wir Anteil an der Friedensbewegung Gottes in unsere Welt hinein.

3. Durch den Gekreuzigten leben wir Christinnen und Christen als gerechtfertigte Sünder.

Gott liebt uns mit unserem Unvermögen.

Darum wagen wir immer wieder den Frieden in einer Welt unter der Macht der Sünde. Das ist schlechthin d i e Herausforderung für uns Christenmenschen:

„Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

Ist´s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“

Sind wir also Friedwillige, so treffen wir dennoch auf Menschen, die Böses mit Bösem vergelten. Das ist die teuflische Spirale nach dem Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn

Sie führt tiefer in die Zerstörung. Kein Frieden, keine versöhnliche Haltung.

Sind wir aber Friedwillige, erkennen wir in den Anderen, in den Gegnern und Feinden unsere Mitmenschen.

Paulus öffnet uns die Augen für Gottes Friedensbewegung: Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes.

Jedem Menschen gilt Gottes Freundschaft.

Unsere feindliche Gesinnung wandelt sich unter der Friedensbewegung Gottes in Nachsicht und Güte, in eine versöhnliche Haltung. Teil dieser Friedensbewegung Gottes in die Welt hinein sind wir.

Entsprechend schreibt Paulus, seid im Vorhinein auf Gutes für alle Menschen bedacht. Wer jenseits der Grenze von Feindschaft lebt, erkennt den Anderen, den Gegner, den Fremden, als Mitmenschen und Freund Gottes, dem Gott Barmherzigkeit verheißt und der Gottes Liebe erfährt. Feindschaft wird aus den Angeln gehoben und umgekehrt in Schritte friedliebendem Zusammenlebens in religiöser und sozialer Hinsicht.

Gott selbst hat die Wende zum neuen Anfang gesetzt, den Sünder allein aus Gnade gerechtfertigt und zum neuen Leben berufen. Und mit diesem schöpferischen Neuanfang macht Gott selbst die vertrauensvolle Vorgabe; ihr folgen die Glaubenden, wenn sie grenzüberschreitend Schritte des Friedens tun mit Anderen, den Gegnern, den Fremden. Teilhaben sie an Gottes vorausgehender Friedenbewegung in die Welt hinein.

4.  Paulus ermutigt: „Überwindet das Böse mit Guten“. Schon Gott hat das Böse in euch  mit Gutem in Jesus Christus überwunden. Sein Reich ist längst angebrochen. Paulus glaubt an den friedensbewegten Gott. Er steht in der Nachfolge der Feldpredigt Jesu beim Evangelisten Lukas: „Tut wohl denen, die euch hassen; segnet die euch fluchen; bittet für die, die euch beleidigen. Wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück; richtet nicht, verdammt nicht, vielmehr vergebt und gebt“ (Lk 6, 27 – 39). Oft überfordert uns Christinnen und Christen solch friedliebendes Verhalten.

Erst recht in einer Welt wie der unsrigen: Unsere Wirtschaft lebt vom Konkurrenzkapf. Unsere Politik ist bedacht auf das Gleichgewicht der Kräfte.

Uns Christen wird der Verzicht auf Vergeltung, die Rücknahme eigener Ansprüche, so wie überhaupt jede Form von Mitleid als Schwäche ausgelegt. Schwäche aber führt zur Unfreiheit dem vermeintlich Stärkeren gegenüber. Ganz geschmacklos wird von der herrschenden Welt friedliebendes Verhalten mitunter auch als Duckmäusertum verunglimpft.

 „Überwindet Böses mit Gutem“. In der Friedenbewegung Gottes wird die wechselseitige Vergeltung unter uns Menschen ausgehebelt durch Schritte der göttlichen Liebe zum guten Miteinander. Schon der Kirchenvater Augustin hat erkannt: Schritte der Liebe werden gelernt, indem einer in der Liebe vorausgeht, den erste Schritt tut als Zugang auf den Weg des Friedens (De catechizandis rudibus).

Liebe meint da kein bloßes Gefühl. Liebe stellt eine Beziehung her durch ein Handeln, das für den Anderen Gutes tut, eine Wohltat bringt. Konkret gelebte Liebe durchbricht den Teufelskreis wechselseitiger Vergeltung hin zu mehr Frieden und Gerechtigkeit.

Christenmenschen dürfen leben in der Freiheit von der Fesselung an das ihnen geschehene Unrecht. Sie sind befreit davon, Böses mit Bösem zu vergelten. Sie sind frei, Böses mit Guten zu überwinden durch die Kraft der erbarmenden Liebe und Gerechtigkeit Gottes.

Der Wärmestrom der Liebe und  die Macht der Gerechtigkeit Gottes sind es, die die lebenverändernde und lebengestaltende Kraft des Glaubens den ersehnten Frieden stiften lässt.

Sie sind Zeichen für das schon angebrochene Reich Gottes mitten in unserer Welt.

6. Paulus mahnt schließlich: „Liebet eure Feinde“.

Feinde gibt es unzählige, liebe Gemeinde. Das zeigt sich tagtäglich..

Ist die Anfeindung kaum mehr zu ertragen, kann es sein, dass wir uns verteidigen: dass wir der Faust die Faust zeigen, dass wir nicht mehr stark genug sind, unseren Feinden mit ausnehmender Freundlichkeit und Hilfsbreitschaft zu begegnen. „Wenn deinem Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihm, gib ihm zu trinken. … So wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“, heißt es im Alten Testament. „Tut wohl denen, die euch hassen, verfluchen, verspotten, bestehlen, quälen“, heißt es in Jesu Feldpredigt (Lk 6, 27 – 30). Die Liebe Gottes zu uns ist die stärkende Kraft in unserem Leben.

Die Liebe Gottes gibt nicht auf.

Allein deshalb wagen wir immer wieder die Liebe unseren Feinden gegenüber.

Jesus ist da unser Vorbild. Ihm wollen wir nachfolgen in der Liebe.

Jesus ist der, der „keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand, der nicht wiederschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt“.

Jesus lebte die Feindesliebe und überzeugte damit: Das kommende Reich Gottes ist bereits angebrochen. Seine Macht der Liebe und Gerechtigkeit haben das Böse überwunden.

Wir als die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu im Glauben an das Gute haben Teil an der Friedenbewegung Gottes in der Welt. Auch wenn wir immer wieder im Gegenwind derer stehen, die ihre Gewinne auf Kosten anderer machen.

Wir aber wollen leben mit der „Goldenen Regel“: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch“ (Lk  6, 31), auch wenn bei der Feindesliebe eine Rückerstattung nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit nicht zu erwarten ist.

7. Lasst euch nicht entmutigen, liebe Gemeinde. Wir sind unterwegs im Vertrauen, dass Gott unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet.

Seht auf Jesus. Jesus hat Feindschaft, Verrat, Hass und Verleumdung mit Liebe entwaffnet.

Das ist unsere Hoffnung in der Liebe zu unseren Feinden.

Segen dem Fluch. Vergebung dem Unrecht. Jesu Gebet für die, die ihm zuriefen: Du bist ein Gotteslästerer.

Wir aber reihen uns ein in die vielen vor uns, die Jesu Nachfolgende waren: Dietrich Bonhoeffer, Edith Stein, Oskar Romero usw., usw. Auch wir, liebe Gemeinde, gehören zu ihnen.

Selbst dann, wenn ihr schwächelt unter dem Anspruch eines gottgefälligen Lebens. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“ (2. Kor 12, 9f). Gott stärkt den Schwachen den Rücken.

Jesus leitet uns an in der Liebe: Liebt einander. Liebt euch selbst. Liebt Gott. Liebt eure Feinde!

Darum liebt so, wie es euch möglich ist.

Denn schon längst seid ihr Kinder Gottes. Berufen zum ewigen Leben.

Mit Jesus auferstanden, seid ihr berufen zur Liebe.

Hineingenomen seid ihr schon jetzt in die Friedensbewegung Gottes.

Das ist die Frohe Botschaft. 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne und unser Tun im Vertrauen auf Jesus Christus, der „unser Friede ist“ und uns zu Friedensstiftern macht. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Prof. Dr. Michael Plathow

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Interessierte, z. T. Gerade auch junge Gemeindeglieder. Ökumenisch sehr offen. Teils-weise Besucher der Evang. Kirchentage
Errichtung eines friedensethschen Aninstituts der Landeskirche
 
2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Diskussion um die EKD-Synode in Dresden.
Die seelsorgerliche Ausrichtung einer Predigt.
Mehr kurze Sätze.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
 Gottes Friedensbewegung geht unseren Bemühungen um Frieden – nicht Böses mit Bösem zu erwiedern – immer schon voraus

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitun
 Die persönliche Anrede an die Hörer am Schluss der Predigt

Perikope
05.07.2020
12,17-21

„Ausrufezeichen?!“ – Predigt zu Römer 12, 9-16 von Dörte Gebhard

„Ausrufezeichen?!“ – Predigt zu Römer 12, 9-16 von Dörte Gebhard
12,9-16

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus, Amen.

Liebe Gemeinde,

Den lautesten Predigttext seit langem haben wir vor uns! Keine stille, heilige Nacht, keine besinnlichen Tage, sondern Worte wie Posaunen. Die ganze Zeit ausschliesslich Aufforderungen, Anweisungen, Ermahnungen. Und befohlen wird, was sich nicht befehlen lässt. Die Liebe kann man doch nicht anordnen! Geduld kann man nicht plötzlich diktieren. Hoffnung ist nicht auf Kommando da.

Es ist mir zu laut!!! Drei Ausrufezeichen! Es ist mir auch zu viel!!! Wieder drei Ausrufezeichen!

Der Abschnitt aus dem Römerbrief hat, je nach Übersetzung, mehr als ein Dutzend Ausrufezeichen! Das ist ziemlich abschreckend, nicht wahr?!

-Aber nur für uns! Nur in unseren Übersetzungen!

Beim Apostel Paulus ist davon noch nichts zu sehen. Sein Brief an die Römer kommt gänzlich ohne Ausrufezeichen aus. Aber das ist kein Wunder. Paulus schrieb zu einer Zeit, da war das Ausrufezeichen noch gar nicht erfunden. Paulus schrieb überhaupt, wie in der Antike üblich, ohne Punkt und Komma, ja sogar ohne Leerzeichen zwischen den Worten.

GARNICHTSOLEICHTEINENTEXTOHNEPUNKTUNDKOMMAZULESENODERSOGAROHNELEERZEICHENSTIMMTSDOCHMANCHEMÖNCHEIMFRÜHMITTELALTERMUSSTENSICHMITGENAUSOLCHENBUCHSTABENKETTENHERUMÄRGERNSIEWARENKOPISTENDIEBÜCHERABSCHREIBENSOLLTENZUMGLÜCKERFANDENSIEIRGENDWANNKleinbuchstabenunddas Leerzeichen Und nach und nach gesellten sich auch Punkte, Kommata und andere Satzzeichen hinzu.1

Solche Texte sparen Platz und auch Papier. Aber das machte die Lektüre seiner Briefe keineswegs leichter. Erst im Mittelalter machten sich die Vorleser und die Abschreiber Zeichen, wo man am besten mal Luft holt – aber jeder verwendete seine eigenen Striche und Punkte. Es dauerte Jahrhunderte, bis man sich auf ein paar allgemeingültige Satzzeichen geeinigt hatte.

Das allererste und damit älteste Ausrufezeichen steht wohl in Johann Fischarts „Ehezuchtbüchlein“ mit dem wohlklingenden und vielversprechenden Titel: „Flöh-Hatz/Weiber-Tratz“. Ist das ein Zufall? Das erste Ausrufezeichen in einem Reglement für die Ehe?! Fragezeichen! Eventuell: Ausrufezeichen!

Dieses wahrscheinlich wegweisende Werk erschien 1573. Richtig verbreitet hat sich unser Ausrufezeichen dann erst im 17. Jahrhundert.2 Es ist also ein ziemlich junges Ding zwischen unseren altehrwürdigen Buchstaben. Das erste Ausrufezeichen in einer Bibel ist erst von 1797. Noch nicht so lange her! Wir haben hier in Schöftland eine sehr alte Lutherbibel von 1563, noch ohne ein einziges Ausrufezeichen; nicht in den zehn Geboten, nirgends.

Wir halten fest: Man muss nicht rufen und schreien. Paulus’ Worte kann man auch leise lesen, ohne dieses Blitzgewitter von Ausrufezeichen.

Hören wir Paulus’ Worte nochmals, nun in der Übersetzung von Karl Barth. Seine Übersetzung ist genau 100 Jahre alt und entstand in unserem Nachbardorf, in Safenwil. Barth sparte auch nicht gerade mit Ausrufezeichen, aber ich lese sie nicht mit vor, so dass wir womöglich besser verstehen können, was Paulus vorschwebte – Sie finden den Text auf der Rückseite ihres Blattes.

Die Liebe sei aufrichtig! Verabscheut das Böse, klammert euch an das Gute! Seid gegenseitig zärtlich in der Brüderlichkeit! Kommt euch zuvor in der Ehrerbietung! Seid nicht träge im Ernstmachen! Brennet im Geiste! Dienet der Zeit! Freut euch in der Hoffnung! Beharret in der Bedrängnis! Haltet an im Gebet!  Nehmt Anteil an dem, was für die Heiligen getan wird! Pflegt die Gastfreundschaft!  Segnet die Verfolger, segnet und fluchet nicht! Freuet euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden! Sinnet gegenseitig auf das Eine, indem ihr nicht nach den Höhen sinnt, sondern euch herabführen laßt in die Niederungen! Folgt nicht eurer zufälligen Einsicht!

(Röm 12, 9-16, Übersetzung Karl Barth, Römerbriefkommentar)

Die Gottesdienstgemeinde hat den Predigttext schriftlich vor sich:

DIELIEBESEIAUFRICHTIGVERABSCHEUTDASBÖSEKLAMMERTEUCHANDASGUTESEIDGEGENSEITIGZÄRTLICHINDERBRÜDERLICHKEITKOMMTEUCHZUVORINDEREHRERBIETUNGSEIDNICHTTRÄGEIMERNSTMACHENBRENNETIMGEISTEDIENETDERZEITFREUTEUCHINDERHOFFNUNGBEHARRETINDERBEDRÄNGNISHALTETANIMGEBETNEHMTANTEILANDEMWASFÜRDIEHEILIGENGETANWIRDPFLEGTDIEGASTFREUNDSCHAFTSEGNETDIEVERFOLGERSEGNETUNDFLUCHETNICHTFREUETEUCHMITDENFRÖHLICHENWEINTMITDENWEINENDENSINNETGEGENSEITIGAUFDASEINEINDEMIHRNICHTNACHDENHÖHENSINNTSONDERNEUCHHERABFÜHRENLASSTINDIENIEDERUNGENFOLGTNICHTEURERZUFÄLLIGENEINSICHT

(Röm 12, 9-16, Übersetzung Karl Barth, Römerbriefkommentar, hier aber ohne Leer- und Satzzeichen wie zur Zeit des Paulus griechisch üblich)

Liebe Gemeinde

Ohne einen Haufen Ausrufezeichen klingt das Ganze ganz anders. Paulus möchte ermutigen und ermuntern, er hat Hoffnung und ziemlich viele gute Wünsche für die Gemeinde in Rom. Er will etwas anstossen, fördern, unterstützen, natürlich auch einprägen, sogar sehr nachdrücklich. Halbe Sachen sind nicht sein Ding.  Aber es ist ihm mehr als sonnenklar, dass man Glaube, Liebe, Hoffnung nicht einfach gebieten kann, nicht mit allen Imperativen und Ausrufezeichen dieser Welt.

Paulus malt die Liebe aus, er tut es in konzentrischen Kreisen, beginnend in der Gemeinde (1), bei den Geschwistern in Christus, dann kommt die Liebe zu den Fremden (2), zuletzt die Liebe zu den Feinden (3).

Ich beginne wie Paulus bei der Liebe im engsten Kreis. Die Liebe sei aufrichtig, ganz wörtlich: Die Liebe sei ohne Schauspielerei. Heute kann man ergänzen: Euer Theatertalent, auch eine Gabe Gottes, bewahrt euch auf für das Krippenspiel, dort ist es genau am richtigen Ort. Die Liebe aber sei ohne Masken. Obwohl wir Nettigkeit und etwas Naivität manchmal für Liebe halten, auch das sollen wir uns abschminken.

Liebe ohne Masken aber kann sich nicht verstellen, man sieht und spürt dann auch, wo sie das Böse verabscheut. Lieb sein heisst nicht, zu allem JA und AMEN sagen. Die Liebe ist eine gewaltige Kraft, aber ohne mächtige Gewalt, sie muss sich an das Gute klammern. Paulus nennt die unmittelbaren Konsequenzen aus aufrichtiger Liebe, verlangt nicht Liebe und dann noch dies und das und noch viel mehr. Alles, was er aufzählt, gehört zur Liebe.

Die Brüderlichkeit soll demnach etwas Zärtliches sein, so übersetzt Barth gegen den Trend in jedem Indianerfilm. Keine Blutsbrüderschaft mit hohoho und hehehe, kein Geschrei, lauter als die Pferde und der Lärm im Saloon. Eben kein Ausrufezeichen. Eine Bitte um Geschwisterlichkeit, die auch im Stillen da ist.

Alles Weitere gehört auch zur Liebe: Kommt euch zuvor in der Ehrerbietung.  Seid nicht träge im Ernstmachen. Haltet euch gegenseitig die Tür auf und haltet vor allem, was ihr versprecht. Brennt im Geiste. Auf Begeisterung kann man nur hoffen, nicht herbeizwingen. Aber es ist so wunderbar bei Menschen, die nicht so viel müssen, sondern eine Menge können und es drum gern machen.

In Zürich gibt es die Wohnheime im Seefeld. Dort haben Erwachsene mit geistiger oder psychischer Behinderung ihr besonderes Daheim, manche schon seit Jahrzehnten. Mit einer kleinen Gruppe Studierender waren wir dort vor längerer Zeit zu Gast. Die Lebenslust in dieser Wohngemeinschaft, die Begeisterung über unseren Besuch haute uns fast aus den Puschen!

Hinter diesem Satz ist ein Ausrufezeichen nötig!

Der Leiter der Wohnheime fragte uns, was wir eigentlich „normaler“ finden: die Gesichter und Gestalten morgens bei den vielen Pendlern in der S-Bahn oder die Stimmung hier? Er sei sich jedenfalls in der Früh auf dem Weg zur Arbeit nicht immer sicher, wo die Menschen mit Behinderung sind, dort oder hier?!

Überall roch es nach Leim und Lack. Riesige, farbige Bilder hatten sie gemalt, ehe wir kamen. Und die Lehrerin für Kunst erzählte uns, dass es einen gigantischen Unterschied gibt zwischen den zwei Orten, an denen sie unterrichtet: in die Volkshochschule kommen viele, die dann zunächst alles aufsagen, was sie noch nie gemacht haben, was sie nicht können. Im Wohnheim sei ihr das in 20 Jahren noch nie passiert, dass jemand gesagt habe „Ich kann das nicht!“ Im Gegenteil, alle machen sich ans Werk, die meisten voller Freude und Hoffnung, dass sie staunen müsse. Sie sind mit Liebe dabei.

Für Paulus gehört das anhaltende Gebet zur Liebe, die nun (2) nicht nur den Geschwistern gilt. Nehmt Anteil an dem, was für die Heiligen getan wird! Das Wort „Christen“ war noch nicht erfunden, drum spricht der Apostel immer von den Heiligen, wenn er die Gemeindeglieder nah und fern meint. Nehmt Anteil an dem, was für die Heiligen getan wird! Wenn es um Geld geht, drücken auch wir uns manchmal nebulös aus. Paulus schreibt zwischen den Zeilen:

Es wäre gut, wenn ihr euch an der Kollekte für notleidende Gemeinde beteiligt.

Pflegt die Gastfreundschaft!  Das scheint sehr viel klarer und tönt ziemlich selbstverständlich. Ist es aber nicht, war es auch damals nicht. Unser Wort Gastfreundschaft heisst auf griechisch Fremdenliebe.

Pflegt die Fremdenliebe!  Das klingt ungewöhnlicher und gar nicht selbstverständlich. Denn Fremde gibt es immer zwei Sorten. Die einen, die uns neugierig machen, die wir gern kennenlernen, deren Rezepte wir aus den Ferien mit nach Hause nehmen, wenn wir ihre besondere Gastfreundschaft genossen haben. Und die anderen, die unsere fremden Nachbarn sind, von denen wir viel zu wissen meinen, aber sie fast nicht kennen.

Fremdenliebe meint tatsächlich alle Fremden, auch diejenigen, die unangemeldet an die Tür klopfen, wie Maria und Josef, von denen wir kürzlich zu Weihnachten hörten, wie Abram, der als Wirtschaftsflüchtling in ein fremdes Land zog und blieb, bis eine Hungersnot ihn weiter nach Ägypten führte. Aber das ist natürlich schon sehr lange her, dass Menschen Richtung Afrika flohen (Gen 12 und Mt 2). Paulus war in Europa überall ein Fremder, seit er aufgebrochen war, das Evangelium unter die Leute zu bringen.

Fremdenliebe ist eine bleibende Herausforderung. Gelegenheiten zur Fremdenliebe ergeben sich nach wie vor fast wie von selbst, obwohl es inzwischen Hotels gibt, von denen Paulus nichts in seinen kühnsten Träumen ahnte.

Fremdenliebe erfordert viel Begeisterung für das Ungewöhnliche, braucht jede Menge Geduld nach dem ersten Erstaunen mit all’ den vielen Unterschieden. Fremdenliebe braucht Hoffnung und Beharrlichkeit – viel mehr als man sich am Anfang des Deutschunterrichtes vorstellen kann. Gelebte Fremdenliebe erfordert auch manche Kollekte. Am meisten aber kostet Fremdenliebe Zeit. Jeder Behördengang, die Wohnungs- und die Stellensuche sind zeitraubende Angelegenheiten. Nervig.

Aber das alles hatte Paulus ja von der Liebe schon geschrieben, weil es auch in der Gemeinde gilt. Nichts Neues kommt dazu.

Die Fremdenliebe ist aber nur die Zwischenstation auf dem weiten Weg zur Feindesliebe (3).

Segnet die Verfolger, segnet und fluchet nicht! In der Bergpredigt lassen sich die ersten Konsequenzen dieser sehr einseitigen Liebe ausrechnen. Man wird zweimal geschlagen, man geht doppelt so weit, man verliert mehr als der Dieb ursprünglich gestohlen hatte (Mt 5). Man gewinnt mit Feindesliebe nicht unbedingt einen neuen Freund.

Nur einer hat bisher auf Erden die Feindesliebe wahrhaftig durchgehalten: Jesus Christus selbst. Feindesliebe, wenn sie beharrlich ist, wenn sie mit Begeisterung gelebt wird, wenn sie nicht träge ist im Ernstmachen, wenn sie die Verfolger segnet, nicht verflucht ... solche Feindesliebe führt ans Kreuz.

Nein, nun verwechseln wir lieb sein nicht mehr mit nett sein. Wir haben die aufrichtige Liebe so vor Augen, das es nicht schwer ist, das Böse zu verabscheuen und sich an das Gute zu klammern ..., und wir erkennen alles andere auch, was Paulus ja von der Liebe schon geschrieben hat. Dafür brauchen wir nicht einmal ein Ausrufezeichen.

Gott hat zuerst geliebt. Aufrichtig. Nochmal: Liebhaben heisst nicht harmlos nett sein. Das Böse verabscheut er. Auch er klammert sich an das Gute. ... So folgen wir nicht unserer zufälligen Einsicht, wie Paulus zuletzt bittet, sondern glauben Gottes Liebe –

und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

1 I https://www.bel-montessori.at, abgerufen am 17. 1. 2019. Dieses Beispiel bekommen die Gottesdienstbesucher im Grossdruck ausgehändigt.

2 I Quelle: Duden. Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen. Mit umfangreicher Beispielsammlung, Dudenverlag, 1998, S. 9.

 

Perikope
20.01.2019
12,9-16

Die eine Hoffnung – Predigt zu Römer 15,4-13 von Rainer Kopisch

Die eine Hoffnung – Predigt zu Römer 15,4-13 von Rainer Kopisch
15,4-13

Liebe Gemeinde,
 
auf dem Kinderkanal im Fernsehen war am letzten Sonntag unser deutscher Astronaut Alexander Gerst zu sehen. Für die "Sendung mit der Maus" hatte er Maus und Elefant in Puppengröße mit in den Weltraum genommen. In der Kuppel der Weltraumstation zeigte er ihnen und den Kindern am Fernseher den Ausblick auf die Erde und deutete auf den schmalen blauen Rand, der die Erde umgibt. Das ist die dünne Schicht der Luft um die Erde, erklärte er.

Er fragte: „Wie gehen die Menschen mit der Erde um?“ Er zeigte Aufnahmen aus dem Weltraum: Bilder von abgeholzten Waldflächen am Amazonas und von Smogwolken aus Abgasen über einer Großstadt.  Wir Christen glauben, dass Gott uns die Erde als Heimat für unser Leben zwischen Geburt und Tod gegeben hat.
Mit der Schöpfung hat unsere Geschichte mit Gott angefangen. Ob diese Geschichte auch für uns persönlich zur Heilsgeschichte wird, liegt an uns und wie wir unser Leben und damit unsere Geschichte mit Gott gestalten.

Die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen beginnt mit der Erschaffung des Menschen. Damit es aber eine Heilsgeschichte bleibt, hat Gott sich immer wieder zu Wort gemeldet. Darauf bezieht sich der Apostel Paulus, wenn er an die Gemeinde in Rom schreibt. Hören Sie die Verse 4 bis 13 aus dem 15. Kapitel seines Römerbriefes:

Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zur Gottes Ehre. denn ich sage: Christus ist der Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind. die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): „Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“ Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): „Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“ Und wiederum (Psalm 117,1): „Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!“ Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): „Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.“ der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Paulus nennt das Haben der Hoffnung als das Geschenk für unsere Bereitschaft, uns dem Wort Gottes zu widmen. „Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.“

Woher kommt die Geduld und der Trost der Schrift? Sie kommt von Gott, dem Gott der Geduld und des Trostes. Paulus wünscht der Gemeinde in Rom, der Gott der Geduld und des Trostes möge ihr geben, dass ihre Glieder untereinander einträchtig gesinnt seien, wie es Christus Jesus entspricht. Er nennt dies als Voraussetzung für das einmütige Lob Gottes, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Wenn sich der Wunsch des Paulus für Sie, liebe Gemeindeglieder, als sehr konzentrierend und kräftig anhört, haben Sie die Gefühlsstimmung des Wunsches zutreffend aufgenommen.

Paulus stellt die Einzigartigkeit des Gottesgeschenkes der Hoffnung als verbunden mit ihrer Wirkung auf Christen dar. Diese Hoffnung bewirkt ohne unser Zutun eine Einmütigkeit im Lobpreis Gottes. Es ist die Einmütigkeit von Christen, die um die Bedeutung der Heilsgeschichte Gottes wissen, die im Evangelium von Christus Jesus zum Ende gekommen ist.  Darum schreibt Paulus den Zusatz „wie es Christus Jesus entspricht“.

„Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zur Gottes Ehre.“ Es gibt für Christen nur die eine Möglichkeit, einander zur Ehre Gottes „und Christi“ (füge ich dazu) anzunehmen, das ist die Möglichkeit der Liebe Gottes durch uns hindurch. Da es Menschen manchmal persönlich nicht gut geht, sollten wir niemals Gegenliebe für uns selbst erwarten.

Wenn wir als Christen mit Gott leben wollen, sollten wir uns über eines klar sein: Es geht nicht um uns und unsere Wünsche, sondern um den Willen Gottes. Deswegen beten wir im Vaterunser: Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Martin Luther macht uns im Kleinen Katechismus darauf aufmerksam, dass wir darum bitten, dass Gottes Wille bei uns geschieht. Oder anders ausgedrückt: dass wir nach Gottes Willen fragen und ihm folgen.

Der Apostel Paulus, auch Apostel der Heiden genannt, wuchs in einer strengen jüdischen Tradition auf, er kannte die Schriften und die Messias-Erwartungen des jüdischen Gottesvolkes. Darum ist es nicht erstaunlich, dass er die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk durch das Heilsgeschehen des Evangeliums von Jesus Christus an ein Ende gekommen und die Messias-Erwartungen erfüllt sieht.

„Das Messiasverständnis wird aus seiner nationalpolitischen und nationalreligiösen Bedeutung gelöst, und die menschheitsgeschichtliche Bedeutung des Messias wird bezeugt und entfaltet. Das ist die besondere theologische Leistung des Paulus.“ Das schreibt Walter Grundmann im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament, Band 9 von 1973.

Paulus zeigt uns für seine neue Sicht Bibelstellen aus dem Alten Testament.

Zunächst sagt er: „Christus ist der Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind.“

Christus ist als Jude geboren, um die Verheißungen Gottes an sein Volk einzulösen. Er wird aber über die Grenzen des Jüdischen Volkes hinaus auch Christus der Heiden-Völker.

Paulus zitiert den Psalm 18 (18,50):  „Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“

Dann gibt er eine Bibelstelle aus dem 5. Buch Mose (32,43) wieder: „Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“

Und wiederum (Psalm 117,1): „Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!“

Alles noch einmal zusammenfassend zitiert Paulus aus dem Prophetenbuch des Jesaja (Jesaja 11,10):
„Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.“
Es ist der zehnte Vers aus der Weissagung des Jesaja vom Messias und seinem Friedensreich.

Zu Weihnachten werden sie die beiden Anfangsverse wieder hören: „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhn der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.“

Wenn Sie zu Weihnachten „Es ist ein Ros entsprungen“ gemeinsam mit anderen singen, werden Sie das erleben können, was Paulus mit einmütigem Lob Gottes gemeint hat.

Es ist das eher seltenes Erlebnis von Freude und Friede, mit Gott und anderen Menschen eins zu sein.
 
Wie natürlich ist es ein himmlisches Gefühl, das in unseren Herzen aufblüht. Es ist aber kein kindliches oder kindisches Gefühl, nur weil es uns zuerst begegnet ist, als wir noch Kind waren.

Uns Erwachsenen kann dieses himmlische Gefühl zum zentralen Gefühl unseres Glaubens werden, weil es uns bestätigt, dass wir mit unserer Hoffnung auf Gott auf dem richtigen Weg durch unser Leben sind. „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben,
dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.“

Diesem Wunsch des Apostels Paulus schließe ich mich aus vollem Herzen an.

Es gibt, auch für die Zeit um das Weihnachtsfest herum, keinen besseren Wunsch

Amen

Perikope
16.12.2018
15,4-13

Der Messias – ein Judenknecht – Predigt zu Römer 15,4-13 von Matthias Loerbroks

Der Messias – ein Judenknecht – Predigt zu Römer 15,4-13 von Matthias Loerbroks
15,4-13

Denn was zuvor geschrieben wurde, wurde uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Beharrlichkeit und die Ermutigung der Schriften die Hoffnung haben. Der Gott aber der Beharrlichkeit und der Ermutigung gebe euch, untereinander dasselbe zu sinnen – gemäß dem Christus Jesus; dass ihr einmütig mit einem Mund den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus verherrlicht. Darum nehmt einander an, wie auch Christus euch angenommen hat zur Verherrlichung Gottes. Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Treue Gottes willen, um die Verheißungen an die Väter zu bekräftigen. Die Völker aber sollen Gott verherrlichen für sein Erbarmen, wie geschrieben ist: darum will ich dich bekennen unter den Völkern und deinem Namen Psalmen singen. Und wiederum heißt es: freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk. Und wiederum: Lobt den Herrn, alle Völker, lobpreisen sollen ihn alle Völker. Und wiederum spricht Jesaja: die Wurzel Isais wird da sein, aufstehen wird er, um über die Völker zu herrschen. Auf ihn werden die Völker hoffen. Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, auf dass ihr reich seid in der Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

 

Die Adventszeit ist nicht, jedenfalls nicht vor allem, innerliche und äußerliche Vorbereitung des Weihnachtsfests, obwohl besonders Letzteres ja immer ein bisschen unvermeidlich ist, sondern die Zeit, in der wir kräftiges und beharrliches Hoffen lernen. Im Advent werden wir aufgerüttelt und aufgestachelt, werden gestört in unserem Hang zur Resignation – man kann ja nichts machen – und zur Genügsamkeit: bloß nicht zu viel erwarten, um nicht enttäuscht zu werden. In den Bibeltexten unserer Adventsgottesdienste werden wir daran erinnert, dass Gott mehr versprochen hat, dass darum auch mehr von ihm zu erwarten ist als das, was Weihnachten, was mit der Geburt, mit dem Kommen Jesu Christi schon geschehen ist. Es kann ja keine Rede davon sein, dass mit diesem Ereignis bereits alles eingetroffen ist, was in den biblischen Schriften verheißen ist. Sondern es ist so, dass diese Verheißungen durch das Kommen Jesu bestätigt, bekräftigt, befestigt wurden. Seit Christi Geburt leben wir darum nicht in einer Zeit der Erfüllung, sondern erstrecht in einer Zeit der Erwartung. Die Adventszeit ist ein kurzer Grundkurs, um Hoffnung zu lernen, Erwartungshaltungen, ein inzwischen ja leider verpöntes Wort, einzuüben, eine Sonntagsschule der Hoffnung in vier Lektionen.

Der erste dieser Sonntag erinnert mit seiner Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem, seiner Begrüßung als und Proklamation zum König an den Palmsonntag, den Beginn der Karwoche, und so lernen wir, dass sein Leiden und Sterben die Hoffnungen, die er geweckt hatte, nicht widerlegen; dass sie im Gegenteil gerade seine Art und Weise sind, sein Königtum, das Reich Gottes durchzusetzen: seine Kreuzigung als Repräsentant seines Volkes macht ihn auch zum Befreier der Völker: der König der Juden ist zugleich der Heiden Heiland.

Am zweiten Adventssonntag geht es tatsächlich um den zweiten Advent Jesu Christi, seine zweite Ankunft, sein Wiederkommen: die Hoffnung, dass Gott durch seinen Sohn Jesus Christus diese Welt zurecht bringen, zufrieden machen, also Recht und Frieden durchsetzen, das Regime des Todes stürzen, allem Leid, allem Schmerz ein Ende machen wird, indem er einen neuen Himmel, eine neue Erde, eine neue Welt herbeiführt. Siehe, ich mache alles neu – das ist die Überschrift, das Ziel der apokalyptischen Visionen der Bibel, und so erinnert der zweite Advent ans Ende des Kirchenjahrs, den Ewigkeitssonntag. Wir lernen, uns nicht abzufinden mit der Welt wie sie ist, mit der Kirche wie sie ist, auf Jesus nicht nur erinnernd zurückzublicken, sondern ihm entgegenzusehen und entgegenzugehen: was immer noch auf uns zukommt, am Ende kommt Jesus auf uns zu, er ist unsere Zukunft. Angesichts der Katastrophen, die wir erleben und die uns bevorstehen, die wir etwas gedankenlos apokalyptisch nennen, sollen wir nicht ängstlich und bedrückt den Kopf einziehen, im Gegenteil: seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung, eure Befreiung naht.

Am heutigen dritten Adventssonntag lernen wir, dass wir diese Verheißungen nicht nur froh und erleichtert hören, sondern auch etwas tun können, dem Kommenden den Weg bereiten, mindestens Hindernisse wegräumen, unsere Hoffnungen nicht nur mit Worten bezeugen, sondern tatkräftig. Die Adventszeit ist ja nicht nur Lernzeit, sondern auch eine Zeit der Umkehr: angesichts der hoffnungsvollen Perspektiven, die uns verkündet werden, können wir von Irrwegen und Sackgassen, in die wir mangels Orientierung geraten sind, umkehren, Wege mit Zukunft gehen und bahnen: macht alle Bahnen recht, die Tal lasst sein erhöhet, macht niedrig, was hoch stehet, was krumm ist, gleich und schlicht. Es war ein Prophet im babylonischen Exil, in dem es den Juden zwar materiell nicht schlecht ging, sie aber an geistiger Dürre, seelischer Verwüstung litten, der diese kühne Vision aussprach: der Gott Israels, der doch Himmel und Erde gemacht hat, will die neue Welt nicht ohne uns, an uns vorbei, über unsere Köpfe hinweg schaffen, sondern mit uns, traut und mutet uns zu, ausgerechnet in der Wüste ihm den Weg zu bereiten, Berge von Problemen wegzuräumen, trennende Schluchten und Abgründe aufzufüllen. Johannes der Täufer hatte diese prophetische Trostbotschaft für seelisch und geistig Verwüstete aufgegriffen, indem er demonstrativ in die physische Wüste ging, und die Aufforderung zum Erniedrigen und Erhöhen gesellschaftlich und politisch verstanden und verkündet: wer hat, gebe dem, der nicht hat.

Zur Wegbereitung des Kommenden, zum Wegräumen von Hindernissen wird uns nun im heutigen Predigttext vielleicht etwas überraschend noch ein anderes Betätigungsfeld empfohlen: das Verhältnis zwischen Christen und Juden, zwischen Israel und den Völkern, eine Geschichte, in der es in den Jahrhunderten des Christentums in der Tat zu besonders grässlichen Verwüstungen gekommen ist, was Paulus zwar noch nicht wissen konnte, aber wohl schon ahnte, jedenfalls gerade im Römerbrief abwenden wollte.

Zunächst: was zuvor geschrieben wurde, die Hebräische Bibel, unser so genanntes Altes Testament, wurde uns zur Lehre geschrieben. Wir Christen aus der Völkerwelt gehen in die Judenschule, wenn wir Bibel lesen, lernen wie Einwanderer nicht nur die Geschichte, sondern auch die Eigenarten, die Denkweise, die Wahrnehmung von Gott, Welt und Mensch unserer neuen Umgebung kennen. Mit den Worten eines großen Paulusschülers: zuvor wart ihr ohne Christus, getrennt von der Bürgerschaft Israels und fremd den Bundesschlüssen der Verheißung, hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt, nun aber seid ihr nicht mehr Fremde, sondern Mitbürger der Heiligen (Israels) und Hausgenossen Gottes. Bibel lesen, die Hebräische Bibel lesen, so sagt es hier Paulus selbst, macht beharrlich, macht Mut, macht Hoffnung: dass wir durch Beharrlichkeit und die Ermutigung der Schriften die Hoffnung haben. Und die macht uns Jesusanhänger aus den Völkern fähig und bereit dazu, zusammen mit den Juden nicht nur einmütig, sondern wie aus einem Mund den Gott Israels, den wir als Vater Jesu Christi kennengelernt haben, zu loben und zu preisen.

Jesus, so hat es Paulus in seinem langen Römerbrief dargelegt und fasst es jetzt zusammen, hat große, entscheidende Bedeutung für Israel und für die Völker, aber nicht dieselbe. Ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Treue Gottes willen, um die Verheißungen an die Väter zu bekräftigen. Der Herr als Knecht, der Messias als Judenknecht, der König der Juden als Diakon seines Volkes. Wir sind es gewöhnt, das Verhältnis der beiden Teile der Bibel als Verheißung und Erfüllung zu beschreiben, aber für Paulus ist Jesus nicht die Erfüllung dieser Verheißungen, sondern ihre Bestätigung und Bekräftigung. Und das ist nicht wenig: dass Gott durch sich selbst in seinem Sohn seinen Bund mit Israel auf ewig fest macht, unabhängig von der Bundestreue oder -untreue Israels, ist etwas Großes und ist jedenfalls die Bedingung der Möglichkeit, auch uns in diese Geschichte hineinzuziehen. Denn für uns aus den Völkern bedeutet Jesus etwas anderes: wir erleben ein völlig überraschendes Erbarmen des uns zuvor weitgehend unbekannten Gottes Israels; wir kommen zur Bundesgenossenschaft mit diesem Gott – adventlich, weihnachtlich ausgedrückt – wie die Jungfrau zum Kind. Mit den Worten des greisen Simeon im Lukasevangelium: Christus ist ein Licht zur Aufklärung der Völker und zum Preis deines (Gottes) Volkes Israel. Christus ist gekommen, so sagt es der schon genannte Paulusschüler im Epheserbrief, und hat Frieden verkündet, euch, die ihr fern wart – also uns –, und Friede denen, die nahe waren – seinem Volk Israel.

Dass die Völker hinzukommen, dass es jedenfalls in fast allen Völkern eine Fraktion gibt, die zusammen mit den Juden den Gott Israels anbetet, lobt und preist, das versteht Paulus als einen Dienst des Christus an den Juden. Denn die Christen aus den Völkern können ja dazu beitragen, dass Israel errettet wird von seinen Feinden und aus der Hand aller, die es hassen; dass es, der Hand der Feinde entrissen, ohne Furcht seinem Gott dient, wie wir es vorhin im Evangelium hörten. Dass das bisher nicht geschehen ist, liegt an uns, nicht an Jesus, und zeigt uns, wo das Evangelium zur Umkehr von unseren Irrwegen hin zu Wegen mit Zukunft leitet, und auch zu dieser Umkehr und Wegbereitung gehört die Erniedrigung der Hohen und Hochmütigen, die Erhöhung der Erniedrigten, Gedemütigten. Denn Paulus sieht in der Diakonie des Christus für die Juden auch eine Platzanweisung für uns Christen. Er hat darum in all seinen Völkergemeinden eine Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem, stellvertretend für ganz Israel, gesammelt: wenn die Völker von Israels geistlichen Gütern profitieren, ist es nur recht und billig, wenn Israel von den materiellen Gütern der Völker profitiert.

Paulus zitiert aus allen drei Teilen der Hebräischen Bibel: aus der Tora, aus den Propheten, aus den Schriften, um deutlich zu machen: das ist zwar Israels Bibel, handelt von der Entstehung und dem Werdegang dieses Volkes unter den Völkern, doch die anderen Völker sind in allen ihren Teilen im Blick in der Erwartung, auch sie werden sich aufklären lassen von dem Licht, das Israel aufgegangen ist. Und das ist auch uns zur Lehre geschrieben: Advent ist nicht nur die Zeit der Erinnerung daran, was wir noch zu erwarten haben, sondern auch daran, was von uns zu erwarten ist. Die Schriftzitate zeigen: wir werden erwartet.

Besonders sein Torazitat aus dem 5. Buch Mose ist so etwas wie die Überschrift des ganzen Römerbriefs, ja des ganzen Evangeliums von Jesus Christus: Freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk! Paulus schließt mit einem Segenswunsch, in dem er die Verheißung aus dem Jesajabuch, auf ihn werden die Völker hoffen, mit dieser Freude verbindet: Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und mit Frieden im Glauben, auf dass ihr reich seid in der Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Von dieser Freude – freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk! – dann mehr am nächsten, am vierten Adventssonntag, der vierten Lektion unserer Hoffnungssonntagsschule, wenn uns wiederum Paulus zurufen wird: Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: freuet euch! Der Herr ist nahe.

Amen.

Vorschläge zum Gottesdienst

Begrüßung mit Jesaja 40,3.10

1. Lied: 10,1-3 oder 281,1.2.5

Psalm 85,2-8

Gebet

1. Lesung: Jesaja 40,1-11

Da der Predigttext ein Paulustext ist, sollte die Lesung nicht noch ein Paulustext sein. Stattdessen schlage ich die AT-Lesung vor, zumal sie den Wochenspruch im Zusammenhang hören lässt.

2. Lied: 11,3-5 oder 7,4.5 oder 14,2.3 oder 286

2. Lesung: Lukas 1,67-79

3. Lied: 20,1-3 oder 39,4.5 oder 74 oder 323,2

Predigt

4. Lied: 293 oder 326,5.6.8 oder 317,5

Abkündigungen

5. Lied: 11,7-10 oder 365,1-4

Gebet, Vaterunser

6. Lied: 10,4 oder 14,5 oder 241,8

Segen

Perikope
16.12.2018
15,4-13