22.01.23 - 3. Sonntag nach Epiphanias
Eine unendliche Geschichte - Predigt zu Joh 6,1-15 von Rudolf Rengstorf
Liebe Leserin, lieber Leser!
Wenn Jesus von Nazareth ein Mensch war wie wir, dann konnte er fünftausend Mann nicht mit fünf Broten und zwei Fischen sättigen und auch noch für eine ganze Menge Reste sorgen. Das wusste der Evangelist Johannes natürlich auch. Und doch erzählt er diese Geschichte, weil es bei dem Menschen Jesus nicht geblieben ist. Er hat sich als der vom Tod Auferstandene gezeigt. Und damit war klar: Er ist in die Herrlichkeit und Macht Gottes eingegangen. Er ist der Christus, der Retter und Heilbringer der Menschen geworden. Und so haben die Evangelisten von ihm erzählt. Von dem Menschen Jesus von Nazareth, in dem Christus sich ankündigt. Deshalb weisen die Geschichten von Jesus immer über sich hinaus. Sie zeigen, wie das Handeln dieses einen Menschen in die Zukunft hineinwächst und immer mehr Menschen erfasst. Fürs Predigen sind diese Erzählungen geschrieben: dazu also, die Menschen in die unendliche Geschichte Jesu und seiner Leute zu verstricken.
So ist in der Speisungsgeschichte zum einen der Mensch Jesus zu sehen, wie seine Zeitgenossen ihn kannten: Wie aufmerksam er seine Mitmenschen im Auge hatte und wie gern er ihr Gastgeber war. Und zugleich wird deutlich, was von ihm zu erwarten ist, wenn Menschen massenhaft nicht genug zu essen haben. Diese beiden Ebenen werden hier übereinander gelegt und zwar so, dass die Hörenden sich und ihre Zeit darin wiedererkennen können und mithineingezogen werden.
Ich gehe die Geschichte noch einmal mit Ihnen durch. Und wenn Sie bei meiner Auslegung denken: Also eigentlich wollte ich wissen, wie das damals war, und jetzt redet der auf einmal von heute: Genau das ist die Absicht dieser unendlichen Geschichten. Also von vorne:
Jesus ging weg ans andre Ufer des Galiläischen Meeres, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden.
Nach wie vor zieht Jesus in aller Welt viele Menschen zu sich. Weil seine Worte zu Herzen gehen. Weil seine Taten die Welt verändern. So hat er mit seiner außergewöhnlichen Zuwendung zu Kranken und Behinderten den Startschuss für das gegeben, was sich heute alltäglich in Arztpraxen und Krankenhäusern vollzieht. Und mit ihm gelangen auch wir Nichtjuden in die Nähe von Passa, in die Nähe des Gottes, der sein Volk aus der Sklaverei befreit. Er befreit davon, andere Menschen über mein Leben bestimmen zu lassen. Er bringt auf den Weg in das gelobte Land, auf den Weg dahin, wo Leben gelingt und geborgen ist.
Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme. Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele?
Jesus sieht die vielen Menschen, die zu ihm kommen, und er merkt sofort: Die brauchen doch erstmal was zu essen. Die Sorge um das leibliche Wohl steht hier noch vor der Aufgabe, ihnen das Evangelium zu predigen. Diakonie kommt nicht erst – wie bei Kirchens üblich – an zweiter Stelle. Sie steht hier noch vor der Verkündigung. Das hat die Hildesheimer Blindenmission, mit der ich mich auskenne, begriffen. Zuerst sorgt sie seit ihrer Gründung vor über hundert Jahren dafür, dass blinde Kinder und Jugendliche in den ärmsten Ländern Südostasiens in ein Zuhause kommen, in dem sie leben und lernen können. Erst dann erfahren sie von Jesus, der die Blinden nicht übersehen hat.
In den Volksmassen, die da auf Jesus zukommen, erkenne ich heute die Menschen, die sich von Hunger und Not getrieben nach Europa aufmachen. Und auch jene, die vergeblich auf Weizen aus der Ukraine und aus Russland warten. Das ist eine schier aussichtslose Lage. Da mag es geboten sein für „alle“– wie es in unseren Fürbittgebeten immer heißt – zu beten. Aber mit unseren begrenzten Mitteln – so sieht es aus – ist da nichts zu machen. Und entsprechend armselig fallen die Kollekten aus. Und dann ist da plötzlich die Rede von einem Kind, das fünf Brote und zwei Fische hat. Ein Kind, das noch nicht gelernt hat, seine Habe zu berechnen und mit ihr zu kalkulieren. Und genau dieses Kind wird zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte von der Speisung der fünftausend. Ich erkenne in ihm die Unbekümmertheit des „Wir schaffen das“. Wir lassen das Rechnen und Kalkulieren und fangen an mit dem, was wir haben. So hat auch Greta Thunberg allein mit ihrem Protestschild angefangen, mit dem sie sich mehrere Wochen während der Schulzeit vor das schwedische Parlament setzte. Unfassbar, was binnen weniger Jahre mit „Fridays for Future“ draus geworden ist!
Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten. Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrigblieben, die gespeist worden waren.
Die Unbekümmertheit des Kindes macht Jesus sich zueigen. Also nichts von wegen: Wir müssen die Leute zurückschicken. Können hier doch nicht die ganze Welt… Nein, erstmal sollen sie sich lagern, zur Ruhe kommen und spüren: Hier sind wir richtig. Hier kümmert man sich um uns. Und die Geschichte, dass die Hungrigen gespeist werden, beginnt. Gott hat dabei unsichtbar seine Hand im Spiel. Hat er doch seine Erde so geschaffen, dass für alle genug da ist und noch mehr. Die ungerechte Verteilung ist das Problem. Und alle, die dagegen angehen, setzen die Speisungsgeschichte fort.
Und das Modell für die gerechte Verteilung ist das, was die christliche Gemeinde damals wie heute kennt und feiert: „Da nahm er das Brot, dankte, brachs und gab ihnen das.“ Das sind die Worte aus der Abendmahlsliturgie, wie die ersten Gemeinden sie auch schon kannten. Hier wird es mit Händen zu greifen, wie diese Geschichte in Bewegung ist, wie sie auf uns zielt, die wir mit der Abendmahlsfeier vertraut sind: Seht, hier wird nicht nur Christus unter uns gegenwärtig. Hier geschieht mehr. Er bezieht uns mit ein in die Speisung der Hungernden in der Welt. Das Abendmahl drängt hinaus über den Kreis der Feiernden. Es will sich bewähren in unserem Leben als als Privatpersonen, als Gemeinde und als Bürger eines Staates, der so lange vom ungerechten Weltwirtschaftssystem profitiert hat.
Als Fernsehzuschauer haben wir die Not der ganzen Welt vor Augen. Da liegt es nahe zu resignieren. Die unendliche Geschichte aber begann damit, dass Jesus angesichts einer hoffnungslos erscheinenden Lage begonnen hat, mit dem, was da war. Und sie setzt sich fort, wo immer Menschen beginnen mit dem, was jetzt dran ist. Einschränken und Verzichten ist jetzt dran, ist unausweichlich, wenn für die nächsten Generationen noch viel übrigbleiben soll. Mit dem beherzten Einschränken und Verzichten auf klimaschädliches Reisen und klimaschädlichen Konsum nimmt die Speisungsgeschichte ihren Fortgang. Sie erhält aber eine Vollbremsung, wenn die Rüstungsausgaben verdoppelt werden. Das mag politisch opportun erscheinen. Im Sinne Jesu Christi ist es in keinem Fall. Auf ihn gilt es zu hören, damit die unendliche Geschichte weitergehen kann. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe Menschen vor Augen, die im Internet auf diese Predigt gestoßen sind und sie lesen möchten. Unter ihnen sind vielleicht Kolleginnen und Kollegen, die auf der Suche nach Impulsen für ihre eigene Predigt sind.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Zum einen die Entdeckung, dass das Essen auch bei Jesus vor der Moral, die Diakonie vor der Verkündigung steht. Zum andern, dass die fünf Brote und zwei Fische bei einem Knaben zu finden sind und seine Unbekümmertheit ein Schlüssel für das Verständnis der Perikope ist.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Speisungsgeschichte verbindet sich mit der Abendmahlsfeier, findet hier ihr fortdauerndes Modell, wirkt über diese hinaus weiter und wird zur unendlichen Geschichte.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Eine bessere Lesbarkeit, weil komplizierte Sätze aufgelöst wurden und der Gedankengang stringenter hervortritt. Ich bin konkreter geworden mit den Beispielen der Hildesheier Blindenmission, Greta Thunberg und den Hinweisen darauf, wie die Geschichte durch uns weitergehen kann.
Link zur Online-Bibel
S Läbe isch e schlotzer - Predigt zu Röm 6,3-8 von Berenike Brehm
I
s Läbe isch koi schlotzer – so pflegt man hier im Schwäbischen zu sagen. Als „Neigschmeckte“ hoffe ich, dass ich es einigermaßen richtig ausgesprochen habe. Auf Hochdeutsch, was ich besser kann, gibt es eine ähnliche Redewendung: Das Leben ist kein Ponyhof. Beides meint, dass das Leben hart ist. Dass es nicht nur süß und bunt und schön ist. Sondern, dass es schwere Zeiten bereithält. Dass das Leben „Gschäft“ ist. Dass man nicht nur auf der faulen Haut liegen kann, dass man sich die Hände schmutzig machen muss, und es ohne Schrammen nicht auskommt. Trotzdem: Wenn ich solche Sprüche höre, dann denke ich oft: „Spaßverderber“. Oder auch: „Warum denn eigentlich nicht?“
Ok, dass das Leben kein Ponyhof ist, kann ich bei näherem Hinsehen verschmerzen: Denn so ein Ponyhof macht immerhin ganz schön viel Arbeit und Dreck. Was da alles zu tun und zu erledigen ist! Aber so ein großer runder Lolly mit Regenbogenfarben drin – der ist doch was! (Lolly hervorholen und hochheben) Wäre das nicht schön, wenn das Leben genauso bunt und süß wäre? Wenn es einfach voll Genuss und Freude wäre?
II
Aber so ist das Leben nicht. Das wissen Sie – und das weiß ich. Ganz besonders wird einem das an den Rändern des Lebens bewusst: Etwa am Anfang des Lebens. Wenn man ein Neugeborenes auf dem Arm hält und sich fragt, was das Leben ihm wohl bringen mag. Wenn man sich für das neue Leben wünscht, dass ihm kein Haar gekrümmt wird, dass es sich nie eine Schramme zuzieht, oder das Knie aufschürft, dass es im Kindergarten oder in der Schule nie blöde Worte über sich hören muss, nie Angst vor einer Klassenarbeit hat, dem eigenständig Werden oder der Job-Suche. Oder auch, dass das Kind nie etwas ausprobiert, was ihm schadet, und als Heranwachsender nie Liebeskummer erleben muss. All diese Wünsche tragen wir in uns, wenn wir neugeborenes Leben ansehen. Und gleichzeitig wissen wir: s Läbe isch ebe koi schlotzer. Es ist brüchig. Verletzlich. Wir Menschen sind verletzlich. – Und nicht nur das. Wie oft sind wir es selbst, die andere verletzen!
III
Im Leben kommen wir einfach nicht ohne Schmerzen durch. Wir kommen nicht umhin, es auch mal zu versemmeln. Das ist zum einen ganz natürlich: Rückschläge gehören zum Leben dazu. Nur so finden wir heraus, wer wir sind; entwickeln Lebensweisheit und Klugheit. Oder wie die Bibel sagt: Lernen, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden. Das Problem ist dabei nur: So sehr Schmerzen auch zum Leben gehören; so sehr es natürlich ist, zu fallen und sich etwas zu brechen; so sehr wir wissen, dass unser Körper nicht unangreifbar ist, sondern uns schnell etwas zustoßen kann; so sehr wir uns bewusst sind, dass unsere Seele im Leben Schaden nehmen wird. Das alles tut einfach richtig weh. Da gibt es nichts kleinzureden. Und so sehr es dazugehört, falsche Entscheidungen zu treffen, die eigenen Worte mal nicht mit Bedacht zu wählen, bei einem Vorhaben zu scheitern; so schnell es auch passiert, nur auf sich zu sehen, und die anderen aus den Augen zu verlieren. Bei alldem machen wir uns schuldig. Da gibt es nichts schönzureden.
Ja, unser Schmerz und unsere Schuld können schwer auf uns lasten. Sie können zwischen uns und dem Leben stehen. Oder in unserem Lolly-Bild: Schmerz und Schuld frieren das Leben ein. Es ist, als umhüllen sie den süßen Lolly mit einer dicken Eisschicht: So dass ich, wo ich doch nur vom süßen Leben kosten will, beim Schlecken mit der Zunge kleben bleibe. Mir noch mehr Schaden zufüge. So dass das Leben eiskalt wird. Verfahren und beängstigend. (Lolly einwickeln/verhüllen)
IV
Es braucht also etwas, das den Lolly auftaut. Etwas, das diese Eisschicht aus Schuld uns Schmerzen schmilzt. Es braucht jemanden, der alles wegräumt, was zwischen uns und dem Leben liegt.
Ich lese aus dem Römerbrief, Kapitel 6, die Verse 3-8:
Ihr wisst doch: Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind einbezogen worden in seinen Tod. Und weil wir bei der Taufe in seinen Tod mit einbezogen wurden, sind wir auch mit ihm begraben worden. Aber Christus wurde durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt. So werden auch wir ein neues Leben führen. Denn wenn wir ihm im Tod gleich geworden sind, werden wir es auch in der Auferstehung sein. Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Christus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen. Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen Anspruch mehr. Wir sind nun also mit Christus gestorben. Darum glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.
V
Ausgerechnet der Tod soll also die Eisschicht schmelzen? Dass wir mit Jesus sterben, soll der Schlüssel zum süßen, bunten Leben sein? Ist denn nicht vielmehr der Tod gerade das, was uns am meisten vom Leben trennt? Ich denke: Paulus würde uns nicht widersprechen, wenn wir so empfinden; wenn sich unser Innerstes sperrt angesichts der Aussage, dass ausgerechnet der Tod das Leben bringen soll. Denn wir erleben doch, wie Schmerz, der uns belastet, unsere Lebensfreude kleiner und kleiner werden lässt, bis sie irgendwann in uns erstirbt. Wie Schuld, die uns nachhängt, unsere Beziehungen schlechter werden lässt, bis sie irgendwann brachliegen und keine Frucht mehr tragen. Wir erleben doch, wie Schmerz und Schuld unser Leben ersterben lassen.
Genau diesen Tod aber ist auch Jesus gestorben, und, darauf kommt es jetzt an: Er hat ihn überwunden! Das ist es, worauf Paulus hinauswill: Dass Jesus alles getragen hat, was unser Leben ersticken will oder die Lebensfreude in uns gefrieren lässt. Dass er alles weggeräumt hat, was zwischen uns und einem befreiten Leben liegt. (Lolly befreien / Tuch von Lolly ziehen)
VI
Was sich also zuerst so düster anhört – in der Taufe mit Jesus zu sterben –, das ist eigentlich eine wahrhaft frohe und helle Botschaft. Denn es heißt nichts anders als: Wir sind alles Alte los! Durch die Taufe auf Jesu Namen wird von uns gewaschen, wo wir uns schuldig gemacht haben. Wird weggespült, was unserem Leben Schwere verleiht. Ja, Jesus hat das Eis geschmolzen, das uns von der Süße des Lebens trennt! Weder Schmerzen noch Schuld haben jetzt noch Macht über uns.
Darum können wir aus der Gewissheit leben: Was auch immer uns gerade vom süßen und bunten Leben trennen mag: Keine Eisschicht der Welt kann so dick sein, dass wir sie nicht mit Gottes Liebe zum Tauen bringen könnten. Keine Eisschicht kann so hart sein, dass Gottes Vergebung sie nicht schmelzen könnte. Ja, wenn wir getauft sind, so gibt es nichts, was uns noch einmal vom Leben trennen wird. Die Eisschicht auf dem Lolly ist eben nicht unser wahres Leben und unter Schmerz und Schuld wartet schon die pralle Süße des Lebens auf uns. Vielleicht ischs Läbe mit Gott halt doch e schlotzer. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ein Gottesdienst, der live gestreamt wird, und sowohl in der Kirche als auch zuhause mitgefeiert wird. Die Predigt sollte daher sowohl medial als auch unmittelbar funktionieren. Wir verabschieden an diesem Tag auch zwei junge Menschen aus dem Technikteam, so dass insgesamt mit einem altersmäßig sehr gemischten Publikum zu rechnen ist.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Bild vom Lolly, das mich selbst sehr anspricht und an die Süße des Lebens erinnert.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass in Jesus alles auf den Kopf gestellt ist, was wir über das Leben zu glauben meinen. Der Tod ist für uns gestorben.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Leider konnte ich das Manuskript aus Zeitmangel nicht zum Coaching einreichen.
Link zur Online-Bibel
Momente, die mich überfordern - Predigt zu Röm 11,33-36 von Karoline Läger-Reinbold
Momente, die mich überfordern
Es gibt Momente, die mich überfordern.
Manchmal, wenn ich mir etwas gönnen will, rufe ich eine Freundin an, und dann gehen wir in diese alte Konditorei. „Das beste Haus am Platz“, wie unsere Mütter früher sagten. Das kleine Café mit großer Tradition. Holzvertäfelte Wände, zierliche Tische und blankpolierte Zuckerdosen. Da, wo die alten Damen ihre Hüte nicht abnehmen, wenn sie bedächtig in der Tasse rühren. Wir suchen uns den besten Platz und an der Kuchentheke haben wir die Qual der Wahl: Walnuss-Marzipan? Käse-Mandarinen-Sahne oder Schwarzwälder Kirsch? Was darf es heute sein? Mehr als ein Stück schaffe ich nicht, und alles schmeckt so traumhaft gut. Die Zuckerbäcker hier sind wirklich große Meister ihres Fachs. Fast andächtig stehe ich davor, minutenlang. Auswahl und Fülle, Schönheit und Duft überfordern mich grad.
Ich weiß: Die Kuchentheke ist ein Luxusproblem. Aber: Sie kennen das auch, oder? Morgens, beim Anziehen, vor dem Kleiderschrank. Oder beim Einkaufen, die Regale voll Shampoo und Duschgel. So viele Farben, viele Möglichkeiten. Es gibt so Momente, da ist das zu viel.
Ich bin überfordert: Da kommt das Kind aus der Schule und weint: Die beste Freundin will nicht mit mir spielen. Gestern war sie so lieb, heute will sie mich ärgern! Ich kann die Welt nicht mehr verstehen. Was kann ich als Mutter, als Vater da tun? Zuhören. Aushalten. Versuchen, zu verstehen und gemeinsam nach Ideen suchen, wie es vielleicht wieder besser wird. Lösungen suchen, für einen Neuanfang.
Es gibt Momente, die mich überfordern. Im Guten und im Bösen auch. Die Ärztin stellt mir eine Diagnose und ich muss entscheiden, worauf ich mich einlassen kann. Tabletten oder erstmal warten, vielleicht noch jemand anders fragen? Oder: Der Chef macht mir ein Angebot für einen anderen Job und ich habe keine Vorstellung davon, ob ich das kann oder will. Ich brauche Zeit und manchmal auf Rat: Was ist hilfreich, was ist richtig, und vor allem: Was passt zu mir?
Am Kuchentresen ist es am Ende leicht. Die Torten sind alle gut, ich vertraue dem Bäcker. Meine Freundin und ich, wir genießen das feine Gebäck und loben die Kunst und den guten Geschmack. Momente von Freude und Dankbarkeit. Für einen kleinen Augenblick ist unser Weltbild mal ganz in Ordnung.
Von den Grenzen des Verstehens
Auch für den Apostel Paulus geht es im Römerbrief um einen solchen Moment des Dankes und des vollkommenen Einklangs. Wer plötzlich die Welt im rechten Licht sieht, der kann nicht anders, als Gott zu loben – selbst dann, wenn er ihn gar nicht ganz versteht.
Wir hören den Predigttext für den heutigen Sonntag:
Römer 11,33-36: O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?« Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.
Paulus stimmt ein Loblied an, einen Hymnus auf die Weisheit und Erkenntnis Gottes. Vielleicht überrascht es Sie, wenn ich jetzt sage: Auch Paulus war hier überfordert.
Um das zu erklären, hole ich kurz aus: Paulus hat ein Verständnisproblem. Er ist ja wie Jesus als Jude aufgewachsen und tief verwurzelt in diesem Glauben. Mit jeder Faser seines Herzens ist er davon überzeugt: Gott hat Israel erwählt, seine Liebe zu diesem Volk ist unverbrüchlich. Durch alle Höhen und Tiefen ist Gott mit ihnen gegangen, und das gilt bis heute. Warum aber teilen nicht alle, die an Gott glauben, auch die Erkenntnis, die Paulus hat? Nämlich dies: Gott hat sich in Christus gezeigt. Er ist der Herr dieser Welt. Diese Frage, dieses Ringen zieht sich durch den ganzen Römerbrief. Gott hat sich allen Menschen offenbart, den Juden und auch den Heiden, damit alle das Heil finden können. Und dann gibt es da Menschen, die folgen ihm nach, und andere machen es nicht.
Paulus will das verstehen, er will es erklären. Er kennt sich aus mit der Bibel, er zitiert aus der Schrift. Und am Ende gibt es für ihn nur diese eine Erklärung: Gott hat es selbst so gewollt. Gott verfolgt einen heiligen Plan. Ein Konzept, das wir nicht verstehen. Und die Erwählung Israels steht nicht auf dem Spiel, sie ist ewig. Denn am Ende werden alle gerettet sein. Gott aber ist frei. Er geht nicht mit jedem denselben Weg.
Diese Kapitel im Römerbrief sind harter Stoff. Es gibt ungezählte Bücher, die versuchen, zu erklären, was Paulus hier sagt und was er wohl meint.
Für mich persönlich erschließt sich das Ganze nur vom Ende, vom Lobpreis her. Der Seufzer des Grübelns und der Überforderung kehrt sich um in ein tief empfundenes Staunen. Paulus besingt Gottes Größe: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“.
Wo ich gedanklich an meine Grenzen komme, da gibt es mehrere Optionen. Ich kann aufgeben, hinschmeißen und sagen: Alles zu schwer für mich. Ich kann noch einmal anfangen, meine Kräfte sammeln, kann mir Beratung suchen und neue Methoden. Oder ich ändere meine Haltung, so wie Paulus hier, und sage: Da, wo ich gedanklich am Ende bin, da spricht jetzt mein Herz, meine Seele. Da wird aus Fragen ein Lob.
Vom Denken zum Staunen
Heute ist Trinitatis, das Fest der heiligen Dreieinigkeit. Auch so etwas, was mich überfordert, gedanklich an die Grenzen bringt. Gott ist einer – und er ist drei. Wie soll ich das verstehen?
Ich denke an die unterschiedlichen Weisen und Wege, auf denen Gott mir begegnet. Er ist der Schöpfer und Erhalter der Welt, ist Grund und Ursprung aller Dinge, er ist Mutter und Vater für mich. Und er begegnet mir in Christus, seinem Sohn, er ist mein Bruder und Freund. Ein Mensch, der gelebt hat, wie wir. Gott begegnet mir in Geschichten – mal konkret und oft auch sehr abstrakt. Er ist Wärme und Licht, lebendige Geistkraft, befreiend, beflügelnd, pure Lebensenergie. Manchmal erlebe ich Gott wie eine Stimme aus der Vergangenheit - und dann wieder wie eine Umarmung im Hier und Jetzt.
Gott ist unverfügbar und unbegreiflich. Und auch hierüber haben sich Generationen kluge Gedanken gemacht und dicke Bücher geschrieben. Man muss den Verstand nicht abgeben, um an Gott zu glauben. Ganz im Gegenteil: Es lohnt sich, seinen Weg mit den Menschen zu studieren und sein Wesen zu erforschen. Und doch bleibt am Ende etwas, was sich dem Verstand entzieht. Etwas, wofür ich keine Worte habe, aber Bilder, Geschichten, Gefühle.
Und im Laufe meines Lebens habe ich gelernt: Nicht alles, was mir lieb und wichtig ist, werde ich bis ins Letzte durchdringen und verstehen. Da geht es mir vielleicht ein bisschen wie Paulus, und ich wechsle vom Denken ins Staunen, vom Grübeln ins Lob.
Momentan ist da Vieles, was mich überfordert und was mich an die Grenzen des Verstehens bringt. Dass in Europa wieder Krieg herrscht. Dass Menschen einander unaufhörlich Gewalt, so viel Schrecken, Zerstörung und Leid antun. Warum hört das nicht auf? Wo ist Rettung und wo ist Hilfe? All diese Fragen, die Schmerzen dieser Welt bringe ich vor Gott. Meine Ratlosigkeit, meine Klage, mein Mit-Leiden, meine Ohnmacht, meinen Zorn.
Aber es gibt auch Momente der Hoffnung. Die große Hilfsbereitschaft und gegenseitige Unterstützung. Ich halte meine Augen offen für alles Gute, das geschieht.
Und dann ist da die Erinnerung an das, was am Anfang steht: Die Zusage Gottes: Ich bin für dich da. Bin der Anfang und das Ende, das A und das O. Bin in Christus für dich da, heute und alle Zeit. Um Gottes Liebe zu glauben, muss ich sie nicht bis ins Letzte verstehen. Ich sehe ihre Zeichen. Ich spüre sie in der Zuwendung durch andere. Ich schmecke sie in Brot und Wein. Ich sehe sie im Licht des neuen Tages. Wo meine Gedanken ans Ende kommen, da kann ich verstummen, kann ich lauschen und hören.
Gott überfordert mich. Oft. Aber eines bleibt mir gewiss: Seine Weisheit ist groß, seine Wege sind wunderbar. Da ist mehr, als ich fassen kann. Mein Glaube lässt mich staunen, und so ende ich mit Paulus in Lob und mit Dank: „Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
„Trinitatis“ ist ein erklärungsbedürftiges Fest – in diesen Zeiten zumal. Wo finden sich aktuelle Hinweise auf das geheimnisvolle Wirken des dreieinigen Gottes in der Welt?
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Im Römerbrief ringt Paulus um sein Verständnis von Gott und Welt; in den Kapiteln 9-11 geht es um die bleibende Erwählung Israels. Am Ende steht der Lobpreis, das Gebet. Für mich ist das kein Scheitern des Intellekts, sondern die gläubige Anerkennung von Gottes Weisheit und Größe, die sich in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder erweisen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Sören Kierkegaard spricht vom Augenblick als „Widerschein des Ewigen in der Zeit“ – Gott erschließt sich den Seinen immer wieder neu für einen kurzen, stimmigen Moment. Solche Momente gilt es zu feiern.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Predigttext ist in die Mitte der Predigt gewandert – für die Hörenden wird es leichter, auf die Worte des Paulus einzusteigen, wenn sie noch frisch im Ohr sind.
Vieles von dem, was uns Theologinnen und Theologen selbstverständlich ist, braucht eine Erklärung in einfachen Worten. Die wichtigste Kontrollfrage für mich lautet: Wozu braucht es gerade hier dieses Wort, diesen Satz?
Link zur Online-Bibel
Schneckenhaus. Blumenwiese. Auferstehn. - Predigt zu Röm 8,1-2.10-11 von Michael Greßler
I. Wort.
So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.
Denn das Gesetz des Geistes,
der lebendig macht in Christus Jesus,
hat dich frei gemacht
von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Wenn aber Christus in euch ist,
so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen,
der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen.
Wenn nun der Geist dessen,
der Jesus von den Toten auferweckt hat,
in euch wohnt, so wird auch derselbe,
der Christus von den Toten auferweckt hat,
eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch seinen Geist, der in euch wohnt.
II. Schneckenhaus
Manchmal wünsche ich mir ein Schneckenhaus.
Schon immer. Als ich klein war schon.
Ein Schneckenhaus zum Verkriechen.
Wo ich ganz drin sein kann.
Wo nichts Böses hinkommt. Und nichts Trauriges.
Und nichts, was weh tut.
»So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.«
»… In Christus Jesus«.
Gott weiß das.
Er weiß, dass mir manchmal
nur noch zum Verkriechen ist.
Wenn es draußen einfach zu schwer ist.
Wenn mir Leute wegsterben,
die ich noch gebraucht hätte.
Wenn andere böse zu mir sind.
Wenn meine eigene Schuld mich drückt.
Wenn ich anders will und nicht anders kann.
Wenn ich immer wieder dieselben blöden Fehler mache.
Hamsterräder. Teufelskreise.
Gott weiß das und kennt mich und versteht.
Und er sagt: Komm herein. Komm, ruh dich aus.
In mir.
Komm, Ich bin um dich herum.
»So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.«
In Jesus sein. Geborgen. Sicher.
Wie im Schneckenhaus.
Gott zum Verkriechen.
So können wir es heute mal sagen.
Das muss manchmal sein.
Und das darf auch manchmal sein.
Weil Gott weiß, was wir brauchen.
Darum nimmt Jesus uns auf.
Hinein. Wie in ein schönes, stilles Heimathaus.
Hinein. Wie in ein warmes Nest.
Hinein. Wie unter eine warme Decke.
»In Christus Jesus …«
Da kann uns nichts mehr angreifen.
Und nichts mehr verletzen.
Und nichts mehr traurig machen.
Nichts kann mich mehr zerstören.
Ich bin sicher. In ihm.
»So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.«
IV. Tau und frisches Grün
Aber irgendwann verlässt die Schnecke ihr Haus.
Als kleiner Junge habe ich da manchmal ewig gewartet.
Aber sie kamen immer wieder heraus.
Das müssen sie. Sie müssen wieder heraus. Ins Leben.
Das wollen die Schnecken auch.
Und sie können das auch.
Wenn die Gefahr vorüber ist.
Wenn sie genug ausgeruht haben.
Wenn sie neue Kraft gesammelt haben.
Drinnen.
Dann möchten sie wieder heraus.
Und siehe!
Draußen ist es dann auf einmal so schön.
Draußen findet so ein Tier:
Frisches Grün. Köstliche Tautropfen.
Salatblätter und Erdbeeren.
Lauter wunderbare Sachen.
Und sie trinkt den Tau und isst die Beeren und den Salat.
Und ärgert den Gärtner.
Und findet neue Kraft und neues Leben.
Und ich verlasse mein Schneckenhaus auch wieder.
Wenn es soweit ist.
Wenn die Gefahr vorüber ist –
»… unter dem Schatten deiner Flügel
habe ich Zuflucht, bis das Unglück vorübergehe«.
Wenn meine Seele sich genug ausgeruht hat –
»… so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen«.
Und ich gehe hinaus ins Leben.
Und draußen: O Wunder: Draußen ist Jesus auch.
Eben hatte ich mich noch in seiner Liebe verkrochen.
Und jetzt ist er da draußen.
Jetzt ist er da draußen und tut mir lauter Gutes –
»… und weidet mich auf einer grünen Aue
und führt mich zum frischen Wasser
und erquicket meine Seele um seines Namens willen.«
»Wenn aber Christus in euch ist,
so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen,
der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen.«
Ich hatte mich verkrochen.
Weil draußen so viel Böses ist und Leid.
Und Schmerz und Tod.
Nun komme ich wieder heraus.
Alles ist noch da. Das Böse. Und das Traurige.
Aber er ist auch da.
Und wenn ich atme, dann atme ich Ihn.
Wenn ich schaue, dann sehe ich Ihn.
Wenn ich trinke, dann ist er da.
Wenn ich bete, dann füllt er mein Herz.
Christus in mir. Mit allem, was ich nehme,
nehme ich Ihn.
Ich nehme ihn auf wie den frischen Tau
und das köstliche Grün.
Und er ist stärker als alles,
was mich bedroht und zerstört.
»Wenn nun der Geist dessen,
der Jesus von den Toten auferweckt hat,
in euch wohnt, so auch wird derselbe,
der Christus von den Toten auferweckt hat,
eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch seinen Geist, der in euch wohnt.«
V. Pfingsten
Pfingsten.
Gott um uns.
Gott in uns.
Gott über uns.
Bei ihm können wir uns verkriechen
wie die Schnecke im Haus.
Aber mit ihm können wir auch herausgehen ins Leben.
Ja, das geht.
Ich kann das. Und ihr könnt das.
Und unsere Gemeinde. Und die ganze Kirche.
Weil Er da ist.
Um uns herum ist: Er.
In uns ist: Er.
Über uns ist: Er.
Überall. Und immer.
Die frommen Israeliten nennen es Ruach –
mit einem weiblichen Wort:
Gott, die Geistkraft. Hauch. Atem. Wind.
Sturm, der uns mit Macht ergreift –
Oder auch der Sommerwind,
der uns durchs Haar streicht,
zart wie die Hand der Mutter.
Spiritus Sanctus nennt es der Lateiner:
Gott, der uns in-spiriert.
Der uns klare Gedanken gibt und zündende Ideen.
Der uns Herz und Verstand bewegt.
Und Heiliger Geist nennen wir ihn.
Gott, der um uns ist alle Tage.
Der uns geborgen macht und sicher.
Und Kraft schenkt und neuen Mut.
Gott überall.
Gott: Zum Verkriechen und zum Losgehen.
Gott: Zum Ausruhen und zum Neubeginn.
Gott: Im Leiden und zum Trösten.
Gott: Im Leben und im Sterben.
Und zum Auferstehn.
»Wenn nun der Geist dessen,
der Jesus von den Toten auferweckt hat,
in euch wohnt, so wird auch derselbe,
der Christus von den Toten auferweckt hat,
eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch seinen Geist, der in euch wohnt.«
Das hört niemals auf.
Niemals.
Egal, ob ich mich grade verkriechen muss.
Oder ob ich tapfer ins Leben gehe:
Er ist da.
Und dann bin ich geborgen. Und stark.
Solange ich lebe.
Und auch danach.
Weil ich in ihm bin.
Und bleibe.
Und er in mir
und um mich herum.
Und über mir.
Und über euch.
Und über unserer Gemeinde.
Und über seiner ganzen Kirche.
Damit wir alle leben.
Jetzt. Und in Ewigkeit.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Predigt in zahlreichen Pfingstsonntagsgottesdiensten mit Besucher*innenzahlen von 5 bis 50.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Wahrnehmungsübungen, Exegese, Textmeditation, Austausch mit befreundeten Kolleg*innen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Der individuelle Zugang zu Rö 8 – Erlösung persönlich gesehen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Predigt zu ‚feilen’ ist für mich Grundhandwerkszeug. Dazu gehört auch und vor allem das (laute!) Üben des Textes, möglichst in einer der Kirchen.
Link zur Online-Bibel
"Christus-(Über)-Mut - Predigt zu Röm 8,26-30 von Jochen Riepe
I
‚Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen…‘ Was für ein hochgemuter, erhebender und ‚ent-spannender‘ Satz! Wer kann so sprechen? Und wann? Früh am Morgen, nüchtern, spät am Abend nach dem Tagwerk?
II
Übermut – jugendlich. Chemiekurs 11. Schuljahr. Betriebsbesichtigung in der heimischen Brauerei. Nach dem Rundgang war ein Umtrunk angesagt. ‚Aber nur einen wönzigen Schlock‘, zitierte der Lehrer aus der berühmten ‚Feuerzangenbowle‘. Natürlich: Es wurde mehr als ein Schluck.
Außenstehende hätten sich gewundert: Wie die Lautstärke anstieg, wie man lachend die Köpfe zusammensteckte und die Schüler – gleichsam zittrig-schwebend – recht kluge, aber auch aufmüpfige Fragen an den Firmensprecher stellten. Der ‚arme‘ Lehrer saß dabei: Kontrollverlust? Oder eine Freisetzung ‚produktiv machender Kräfte‘, wie Goethe einmal die Wirkungen des Weingenusses beschrieb. Oder beides – ein Doppelkick gleichsam…
III
‚Sag mal, sind die betrunken?‘ So fragten nicht nur die Jerusalemer anläßlich des ersten Pfingstfestes und seines Sprachenwunders. So fragten wohl manche, die in einer urchristlichen Gemeinde zu Gast waren: ‚Sie sind voll des süßen Weines‘, heißt es in der Apostelgeschichte spöttisch. Der Heilige Geist zeige Wirkungen ähnlich einer Droge? Der ‚gottesdienstliche Schrei nach Freiheit‘, das Gebet der Gemeinde, fand Ausdruck in einem befremdenden, schwer zu fassenden und zu steuernden Sprechen oder Tönen, das bis zur Erschöpfung gehen konnte und widersprüchliche Empfindungen wachrief.
Paulus nennt es ‚Seufzen‘ – diese zum Himmel reisende ‚Sprache der Sprachlosen‘. Ich phantasiere etwas: ein tiefes Ein- und Ausatmen der Betenden, ein gemeinsames Ergriffenseins, das verständliche und unverständliche Stimmen auslöste. Heftiges, wildes, ‚extremreligöses Sprechen‘: Lallen wie ein Kind, Stöhnen, Schluchzen und Weinen: ‚Ach und Weh!‘, aber vielleicht auch lautes Jauchzen und verzückte Freudenrufe und Umarmungen. Ja, die ‚Kinder Gottes‘: Im Wasser der Taufe gestorben und auferstanden mit dem Christus. Die Kinder Gottes – geladen, das Brot zu brechen und das ‚Gewächs des Weinstocks‘ zu trinken. Gott ist nahe. Gott hört. Was für eine Hoffnung! Die ‚nach seinem Ratschluss‘ Berufenen, die ‚ersten Freigelassenen der Schöpfung‘, durften doch sich bei den Händen nehmen und dies ‚aus-gelassen‘ ausdrücken.
IV
Paulus schreibt nach Rom. Vielleicht hatten Gemeindeglieder dort ähnliches erlebt und fragten sich wie unser Lehrer: ‚Kontrollverlust. Gefühlsaufwallungen… Was ist das? Welcher Geist wirkt da?‘ Wer heute die Versammlung einer charismatischen Gemeinde besucht, wird die Skepsis kennen. Der Apostel, selbst erfahren in Himmelsreisen, verteidigt aber das gottesdienstliche Seufzen, besser: Er gibt ihm Gewicht, Fleisch und Blut, und erdet es. Mag der ‚Gott des Weines‘ Menschen entzücken… was gilt dann aber erst vom Geist Gottes, des Vaters Jesu und unser aller Vater! Hört er nicht mit jedem Seufzer einen Menschen und seine Lebensgeschichte? Gerade mit diesen hochgemuten und tränengetränkten Äußerungen ist Gottes Gemeinde mitten in der Welt und erfährt ‚live‘ das Leiden und Hoffen ‚der Kreatur‘, die sich nach der ‚herrlichen Freiheit der Kinder Gottes‘ und nach dem Ende der ‚Knechtschaft der Vergänglichkeit‘ (8,21), der Lebens- und Todeshärte, sehnt.
‚Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist‘ (5,5). Solchermaßen durchströmt und erwärmt von Gottes Macht, wird die Zunge gelöst, Kehle und Lunge atmen ein, atmen aus, und es entsteht eine ‚Symphonie der Seufzer‘ (O. Cullmann), eine Tonspur des Glaubens. Was ist christliche Freiheit, wenn ‚Lob und Flehen‘ (eg 609.2), Zittern und Zagen, Trauer und Träume, Lachen und Lallen, Herzen und Hände, ein tanzender Leib sie nicht ausdrücken.
Seufzend wird der Glaube leibhaftig: Im Stöhnen artikuliert sich meine Lebenslast, im Hecheln und Ausatmen lasse ich meine Ängste los. Im Einatmen, im lauten Jauchzen und entzückten Staunen findet Gottes ‚herrlicher Name‘ (Ps 8,1) einen Mund: Ja, Gott, hier bin ich! ‚Schööön‘ seufzt unser Chor zum Abschluß des Einsingens und hofft darauf, anschließend wirklich schön zu klingen.
V
‚Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen…‘ Was für ein hochgemuter, starker Satz! Wann kann ein Mensch so sprechen? Ich gerate doch ins Stocken und Stammeln, sobald ich dem Apostel nachsprechen will.
Meine Anekdote vom ‚schwebenden Klassenzimmer‘ hat eine Fortsetzung. Die Wirkungen der alkoholischen Gärung sind begrenzt und oft genug werden sie bereut. Nach dem Kick kommt der Kater. ‚Übermut tut selten gut‘. ‚Berauscht euch nicht mit Wein‘, heißt es im Epheserbrief (5,18). Aber einem nachsichtigen Lehrer gelang es, den wieder Ernüchterten etwas Wichtiges ‚für’s Leben‘ mitzugeben: Solche erhebenden Momente führen zusammen. Sie bauen Hemmungen und Schwellenängste ab und es entstehen positive Spannungen: Wir rücken einander näher. Ich bekomme Kontakt zu einer Mitschülerin oder einem Mitschüler, die ich bisher übersah oder gern ärgerte.
Jeder weiß ja, dass Erhebungen kein Dauerzustand sein können und eine Unterrichtstunde nicht mit einem Umtrunk beginnt. Das Intensive bedarf der Erinnerung, des Nachdenkens und der Formgebung: ‚Geist und Verstand‘ (1.Kor.14,15) müssen zusammenkommen und wenn diese etwas Erlebtes in Geduld erschließen und übersetzen, dann lernt der Mensch und wird kreativ: ‚Ich schreibe einen Artikel für die Schülerzeitung. Ich halte ein Referat über Drogen. Meine AG plant die nächste Exkursion.‘
VI
Auch daraus dürfen wir Gotteskinder etwas lernen: ‚Himmelsreisen‘ können umschlagen in große Leere und uns enttäuscht oder gar verwundert zurücklassen. Manch einer kam nicht mehr zurück. Ihre Energien, ihre Potentiale soz., bedürfen der Distanz, der Prüfung und Erdung. Die Kunst, christliche Gemeinde zu sein, liegt ja darin, die Gotteskraft, nein: nicht einzufangen oder gar zu beherrschen, ‚der Geist weht, wo er will‘, sondern ‚ohne Unterlaß‘ (1.Thess. 5,17) im Gebet zu erbitten, in der Lesung zu erinnern und im Alltag zu bewähren. Wenig später wird Paulus von einem ‚vernünftigen Gottesdienst‘ (12,1) im Alltag der Welt sprechen, aber eben: Der ist wohl nicht denkbar ohne Rückbindung an Momente der gemeinschaftlichen Entrückung.
Das ist unser ‚süßer Wein‘ oder eben unser Doppelkick: Das Hochgefühl des Glaubens und die nüchterne Verantwortung seines Grundes können zusammen bestehen. Spannungsvoll und eben deshalb produktiv. So kann, ja, auch in mir und unter uns, ohne daß wir zu weltlosen Überfliegern werden, jener Christus-Mut, jenes ‚ritterliche Ringen‘ (eg 125.3), ‚gären‘ und ‚treiben‘ (Röm 8,14) , das des Paulus Sätze mit- und nach- und euch zuspricht: Wenn Gottes Liebe Herz und Hände durchströmt, müssen ‚alle Dinge‘ uns zum Besten dienen. ‚Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein‘ (Röm 8,31).
Es gab immer wieder Versuche, um der ‚Ordnung‘ (1.Kor. 14,33) und der wohl abgeklärten Sätze willen die ‚übermütigen‘ Äußerungen des Geistes zurückzudrängen. Ja, sie sind mitunter verwechselbar mit Erscheinungen, die uns anstößig sind. Aber eine Gemeinde Christi läßt sich eben nicht denken ohne die ‚Sprache der Sprachlosen‘, das ‚Seufzen‘ der Kreatur und den ‚Schrei nach Freiheit‘. Ohne das tiefe, ‚maskenfreie‘ Durchatmen, ohne die wärmende Hand, die mich ergreift und mein Leid mitträgt. Alles heftig Expressive verunsichert: ‚Was ist das?‘, und doch kann es zusammenführen und die Gemeinde Jesu erbauen. Er, der angesichts der Not zum Himmel blickte und ‚seufzte‘ (Mk 7,33), der ‚erfüllt vom heiligen Geist‘ ‚frohlockte‘ (Lk 10,21) und am Kreuz laut schrie.
VII
Ich weiß nicht, ob die Römer mit dem Brief des Apostels mitgehen konnten. Die gemischten Gefühle bleiben ja: ‚Wenn ich mich fallen lasse, wenn die Tränen fließen, wenn ich aus mir heraustrete, werde ich beobachtet. Ich schäme mich meiner Erregungen, dem anderen sind meine Herzensergüsse peinlich. Und am wichtigsten: Ist es denn vor Gott so recht? Wird er mich hören oder rede ich gegen eine Wand?‘
Paulus spricht ja von der ‚Schwachheit‘ der Kinder Gottes, unserem Stückwerk, unserer Gebrochenheit und Egozentrik: ‚… wir wissen nicht, was wir beten sollen‘. Wie soll das Harte in uns Selbstdarstellern, die das Gute wollen und das Böse tun, sich lösen und die Wärme ‚strömen‘? Vielleicht schreibt er darum diesen rätselhaften Satz, dass der Geist selbst sich unserer Schwachheit annimmt und er unserem Nicht-Sprechen-Können ‚mit unaussprechlichen Seufzern‘ ‚aufhilft‘, es vor Gott bringt und es ‚über-setzt‘. Er bindet sich an unser Stocken und Stöhnen, stammelt soz. mit und sammelt es: ‚Hier musst du aus deinem Herzen keine Mördergrube machen. Hier darfst du für Schmerz und Sehnsucht, für Nachtgesichter und Morgenträume deine Sprache finden, und wehe dem, der den Kindern Gottes ihr Beten verdirbt!‘
VIII
Viele Gemeinden schätzen es, nach dem Gottesdienst zu einem lockeren ‚Frühschoppen‘ überzugehen. Gewiss gleicht der nicht dem schwebenden Klassenzimmer, aber wie schön (‚schööön‘!), wenn die Herzen sich öffnen, die Stimmen mutiger werden, ja, über- und freimütig, und wir ‚Dienliches‘ auch in dem entdecken, was uns widersteht, stört oder schmerzt.
In der Kraft des Hl. Geistes und der ‚Geister‘ der Menschen entsteht ein ‚entspanntes Verhältnis zur Lebenswirklichkeit‘. Auch am Morgen um die ‚dritte Stunde‘ können … ‚alle Dinge zum Besten dienen‘.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Sonntag Exaudi versammelt in der Regel eine kleine Gemeinde. Christi Himmelfahrt und das Pfingstfest flankieren ihn im liturgischen Kalender. Abschied von Jesus und Erwartung des Geistes, ‚alleingelassen‘ und doch auf den ‚Tröster‘ hoffen dürfen – so kann man die ambivalente ‚Stimmung‘ charakterisieren. Der Predigttext spricht in dieser Situation den ‚hochgemuten‘ pfingstlichen Satz: ‚Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen‘.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Es hat mich gereizt, Apg 2,13.15 und Röm 8 zusammen zu lesen und die Geisterfahrung als gottesdienstliches Phänomen zu verstehen: ‚der gottesdienstliche Schrei nach Freiheit‘ (E. Käsemann, Paulinische Perspektiven, 1972, S. 211ff). In Röm 8,28 gipfeln die Aussagen über das ‚Seufzen‘ in einer mutig-übermütigen Gewißheit. Sie tritt in der Predigt ins Gespräch mit einem Bericht jugendlichen Übermuts, der die jungen Gottesdienstbesucher gewiss aufhören und die älteren schmunzeln lässt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Gaben des Geistes sind vielfältig und die uns ‚Volkskirchlern‘ vertraute, soz. ordentliche, Normalität wird durch Paulus‘ Anerkennung des ‚Seufzens‘ bereichert und zugleich kritisch befragt: Lassen wir solche Orte zu, an denen Menschen in Klage und Lob, geformt und ‚wild‘ (G. Theißen, Erleben und Verhalten der ersten Christen, 2007, S.195: ‚Extremreligiöses Sprechen‘) ihren Glauben ausdrücken und ein ‚entspanntes Verhältnis zur Lebenswirklichkeit‘ (H. Weder, Einblicke ins Evangelium,1992 , S.259) finden können?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich danke meiner Beraterin (Predigtcoach) für ermutigende und kritische, sehr konkrete Hinweise. Sie sind bei der Bearbeitung des Entwurfs gern berücksichtigt worden.