Vor allem nicht so viel Angst haben - Predigt zu Röm 13, 1-7 von Susanne Ehrhardt-Rein
Nina will Polizistin werden.
Jonas studiert Jura und wäre später gern Richter.
Felix ist in eine demokratische Partei eingetreten, vielleicht stellt er sich irgendwann zur Wahl für ein politisches Amt.
Drei Menschen, am Anfang ihres Erwachsenenlebens, die sich engagieren. Alle drei sind getauft, christlich geprägt in ihren Familien und ihren Gemeinden. Sie denken nicht daran, dem gesellschaftlichen Leben nur zuzusehen. Sie wollen mitmischen, mit entscheiden, mit urteilen. Das Motto: Die da oben machen sowieso nur, was sie wollen – wir hier unten haben eh nichts zu melden – dieses Motto passt nicht in ihre Lebenspläne. Diese drei Menschen wollen genau da hin, wo entschieden, geurteilt, gehandelt wird. Parlament, Polizei, Gericht - Legislative, Exekutive, Judikative – das sind die drei Bereiche der staatlichen Gewalt in einer Demokratie, in unserer Demokratie. Das ist Obrigkeit. Ob die drei das selbst so sehen: „Wir sind Obrigkeit.“?
Wenn ich an die drei denke, wird mir klar: Die da oben – wir hier unten – das ist zu kurz gedacht, zu vereinfacht und undifferenziert. So funktioniert staatliche Gewalt nicht, jedenfalls nicht hier und heute, bei uns, in einem demokratischen Gemeinwesen. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ So heißt es im Grundgesetz (GG Art. 20, 2). Das ist der Maßstab, ein hoher Anspruch.
Wer Polizistin ist oder Richter, Abgeordneter in einem Parlament oder auch Lehrer oder Schuldirektorin – der und die beteiligt sich an der Gestaltung und Ausübung staatlicher Macht. Ein Glück, dass Nina und Jonas und Felix sich darauf einlassen. Offenbar sehen sie Möglichkeiten, in diesen Berufen und mit ihrem Engagement etwas Gutes zu bewirken. Sie erleben sich nicht als von oben beherrschte Untertanen. Sie wollen mitgestalten. Und sie sehen staatliche Macht offenbar auch nicht als etwas, wovon man sich als Christin oder Christ fernhalten sollte. Sie sehen die Chancen, die sie haben, wenn sie sich beteiligen. Und ich bin heilfroh, dass sie sich auf diese Verantwortung einlassen. Ich bin heilfroh über eine Polizistin, die in der Bibel liest. Über einen Richter, der zum Gottesdienst geht und über einen Abgeordneten, der betet.
Wie sollten Christen zur staatlichen Gewalt und Machtausübung stehen?
Wie steht unser Glaube zur Politik – und was heißt das für unser Handeln, unsere Lebensgestaltung?
Paulus lebte in einer anderen Gesellschaft als wir. Als er an die christliche Gemeinde in Rom schreibt, beherrscht das römische Imperium die Welt rund ums Mittelmeer. Obrigkeit, staatliche Macht – das lag gut strukturiert und zentralisiert in der Hand des Kaisers und seinen Institutionen. Klare Strukturen und klare Machtverteilung, Stabilität und langjähriger Frieden nach außen eingeschlossen. Schwertgewalt hieß aber auch Macht über Leben und Tod der Untertanen. Wer keine Steuern zahlte, wer den Kaiser nicht anerkannte, wer den Aufstand probte – bekam diese Gewalt zu spüren. Der Prozess gegen Jesus von Nazareth verlief nach römischen Prinzipien, sein Todesurteil sprach der römische Prokurator Pontius Pilatus. Paulus war gegenüber dieser Staatsmacht sicher nicht blauäugig. Er wusste, welche Grenzen ihm gesetzt waren vom römischen Recht. Aber er wusste auch, welchen Schutz dieses Recht ihm bot. Auf sein römisches Bürgerrecht berief er sich gegen religionspolitische Willkür (Apg 22,25).
An die Gemeinde in Rom schrieb er keine christliche Staatslehre, er stellt in diesem Brief keine politischen Grundsatzprinzipien auf. Ihm ging es um die Frage, wie christliches Leben in diesem widersprüchlichen und oft auch undurchsichtigen Staat gestaltet werden kann. Seine Sicht darauf ist sehr pragmatisch. Wie Christen glauben und leben – das soll eben auch daran sichtbar werden, wie sie sich zum Staat, zur politischen Macht verhalten. Paulus beschreibt in diesem Brief auch die Ansprüche, die er an die staatliche Obrigkeit stellt: „Wo Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.“(V. 1) Das ist die Grundlage. Der Kaiser, die Richter, die Statthalter: sie haben ihre Macht nicht aus sich selbst. Vor allem: Sie sind nicht göttlich. Sie sind menschlich. Sie machen Fehler. Sie haben Macht in die Hand bekommen – und sie werden sich dafür letztlich vor Gott verantworten müssen. Es ist also nicht angebracht, sich vor ihnen zu fürchten.
“Vor denen, die Gewalt haben, muss man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke.“(V. 3)
Gut und Böse unterscheiden – das ist die Aufgabe der Obrigkeit. Dazu hat sie ihre Macht. Was ist gut? Was ist böse? Wie sollen Menschen handeln? Für Paulus gibt es dafür einen klaren Maßstab: das Gesetz, die Thora. Du sollst nicht töten, nicht Falsches über andere reden, nicht fremdes Eigentum dir aneignen. An diesen Maßstab soll die staatliche Macht sich halten und ihn schützen – so, wie alle anderen auch. An die Mächtigen werden von Paulus hier dieselben Maßstäbe angelegt, wie an die „Untertanen“. Jemand muss darauf achten, dass diese Maßstäbe eingehalten werden, das ist die wichtigste Aufgabe staatlicher Gewalt. Recht und Ordnung haben keinen Selbstzweck, sie sollen das Gute schützen, das Böse bestrafen.
Paulus traut der Obrigkeit, unter der er lebt, das offenbar zu. Das ist erstaunlich, vielleicht auch leichtsinnig. Schließlich wird er am Ende doch selbst Opfer der Willkür römischer Staatsgewalt. Das Schwert, das das Gute schützen sollte, hat ihn selbst getroffen. Die Lebensgeschichte des Apostels zeigt hier vielleicht deutlicher als seine Worte, wie staatliche Gewalt missbraucht werden kann: Wenn Kaiser und Staat sich selbst für göttlich halten, für unfehlbar und allmächtig, dann missbrauchen sie ihre Macht. Dann schützen sie das Gute nicht, sondern nützen nur sich selbst. Dann müssen Christen ihnen auch wiedersprechen.
„Steuer, wem Steuer gebührt.“Anbetung gebührt ihm nicht, diesem Staat, damals nicht und heute auch nicht. Ein Staat, der Glaubensbekenntnisse fordert, ist für Christen – und für alle anderen auch – eine Zumutung. Einem Staat, der das Gute nicht schützt, gebührt weder Furcht noch Ehre.
Und wie stehen wir zu dem Staat, in dem wir heute leben? In einer demokratischen Gesellschaft, die den Anspruch hat, dass in ihr „alle Macht vom Volk ausgeht“. In der es aber auch oft schwierig ist, Gut und Böse zu unterscheiden. In der wir uns nicht so einfach auf die Seite derer schlagen können, die „da unten“ sind. Als ob wir keine Verantwortung hätten und nur „regiert“ werden von „denen da oben“. Also: Was sollen wir tun?
„Vor allem nicht so viel Angst haben.“ Diese Antwort gab der Theologe Karl Barth 1952 auf diese Frage. 1952 – wir erinnern uns: Ein verheerender Krieg lag hinter Europa und der ganzen Welt. Unsägliche Schuld vor allem auf Deutschland. Die Supermächte formierten sich zum Kalten Krieg und zur atomaren Aufrüstung. In Westdeutschland kam das „Wirtschaftswunder“ in Gang und damit Selbstzufriedenheit und Wohlstand. In Ostdeutschland verhärteten sich die ideologischen Fronten. Politisch ganz sicher keine bequeme Situation. Genug Gründe, Angst zu haben.
Mindestens so viele Gründen finden auch wir heute, um Angst zu haben: Vor Klimakatastrophe und Umweltzerstörung. Vor politischer Dummheit und vor den Beschwörern des „Christlichen Abendlandes“. Vor der Verhärtung neuer ideologischer Fronten oder dem sozialen Absturz. Vor „denen da oben“, die ja doch machen, was sie wollen.
Paulus erinnert uns daran, dass „die da oben“ keine Götter sind, sondern Menschen mit Verantwortung. Und er erinnert uns daran, dass wir uns als Christinnen und Christen und als Kirche aus eben dieser Verantwortung nicht verabschieden dürfen. Genauso wie „die da oben“ sind wir, als Bürgerinnen und Bürger dieses Gemeinwesens, mitverantwortlich für die Unterscheidung von Gut und Böse. Den Maßstab für diese Unterscheidung lesen wir einige Verse später im Römerbrief: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ (Röm 13,10)
„Die da oben“ – ob es Nina, Jonas und Felix bewusst ist, dass sie durch ihre Berufswahl und ihr Engagement zur „Obrigkeit“ gehören werden? Sie werden Mut brauchen und Ausdauer. Sie werden Fehler machen und streiten müssen für ihre Maßstäbe von Gut und Böse. Vielleicht werden sie auch angegriffen und infrage gestellt werden. Sie übernehmen Verantwortung, und ihr Glaube wird ihnen dabei helfen – das hoffe ich. „Nicht so viel Angst haben“ – das möchte ich ihnen sagen auf diesem Weg in die Verantwortung – und auch uns, an den verschiedenen Orten, an denen wir arbeiten und leben. Fasst Mut, bleibt beharrlich, macht Fehler und lernt daraus. Habt keine Angst vor der Verantwortung! Und vor allem: Haltet an der Liebe fest, die aus dem Glauben an Jesus Christus wächst.
Amen.
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Wollen und Nicht-Können. Und danken - Predigt zu Röm 7, 14-25 von Ferenc Herzig
Liebe Gemeinde, der Predigttext steht im Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom im 7. Kapitel:
14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an. 22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? [PAUSE] 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!
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Die 26jährige Schriftstellerin Ronja von Rönne notiert am 15. August: „Das eklige an der Depression ist, wie wenig originell sie ist. Im Bett liegen. Weinen. Auf irgendwas treten. Nicht mehr weinen können. Anrufe ignorieren. Kolumnen absagen […], zwei halbgare Anrufe bei Psychiatern, die nie zurückrufen. Ich weiß, ich weiß, das klingt alles wieder zu zynisch, zu sarkastisch, zu wenig nach dem bewährten ‚Ich bin eine Betroffene‘ – Geständnis-Duktus. Dabei ist die Depression ganz genauso […] lächerlich und sarkastisch wie ich gerade. Die Depression ist kein bunter Bento-Artikel, sie hat keine flickernden GIFs und kein Happy End, das mit dem Aufruf endet, sich einfach Hilfe zu suchen, Krönchen richten, Bussi, weiter gehts, bloß nicht aufgeben, ihr Süßen. Die Depressionen sind viel zu viele viel zu laute Stimmen.“
Und die Poetry-Slammerin und Dichterin Julia Engelmann – ungefähr gleich alt und ihres Zeichens selbst ehemalige Psychologiestudentin – hat ein Album veröffentlicht mit dem Titel „Poesiealbum“. In der Albuminformation schreibt sie, dass ihr das Thema „Mental Health“ am Herzen liege, weil „vor allem junge Menschen zunehmend unter Depressionen leiden“. Auf ihrem Album singt sie dann in einem wenig originellen Lied davon, dass man doch gar nicht traurig sein mss – gibt’s ja auch gar keinen Grund ‘für! Einfach das Fenster aufmachen, Coldplay im Radio laut aufdrehen, frischen Wind herein und die Zweifel rauslassen und sich einreden, dass ja die Sonne scheint und man also auch einfach glücklich sein kann.
Und Paulus schreibt: 14 Wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Das gehört dazu, das muss man nicht wegreden. Gott nimmt das ernst und Gott nimmt Dich ernst auch dann, wenn die Sonne gerade nicht scheint und die Vögel mit ihrem Gezwitscher stark an Deinen Nerven zehren, wenn Du morgens einfach nicht aus dem Bett kommst. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld. Gott kennt das.‘
Und Paulus schreibt: 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Das gehört dazu, das muss man nicht wegreden. Gott nimmt das ernst und Gott nimmt Dich ernst auch dann, wenn Du die Vorhänge zuziehst und den ganzen Tag nur hoffst, dass da keine Mails oder Anrufe kommen. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld.‘
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Das andere gibt es auch, und auch das gehört einfach dazu, wenn man Mensch ist. Tun, wollen, lassen, können, und zwar am besten alles auf einmal und sofort. Euphorie, die ins Enthusiastische umschlägt, drei Projekte gleichzeitig und noch zwei in Planung, ein weiteres für nächste Woche zugesagt und am Wochenende die Familie ins Auto gepackt und ins Blaue gefahren; und es funktioniert: Nichts. Und die zweite Frist verstreicht und aus dem Ofen quilt der Qualm des verbrannten Kartoffelauflaufs. Weil alles zu viel ist.
Weil Leben so nicht in den Griff zu bekommen ist, wenn man vor Arbeitsbeginn um Punkt 9 Uhr dringend noch exakt eine halbe Stunde joggen gehen und die Tageszeitung gelesen haben muss. Und zwischen Punkt 9 Uhr und 12 Uhr dann die ersten 30 von hundert Mails geschrieben werden müssen, tausende Zeichen getippt im Sekundentakt. Und dann das Meeting zum Mittagessen mit dem Kollegen, fünf weitere Mails mit der Verwaltung wechseln, zwischendurch und eher aus schlechtem Gewissen statt aus Leidenschaft noch Konzertkarten für das Theater gebucht, zum Wohle der Beziehung und zur Begradigung des Haussegens – was läuft da noch mal? Dann eine Präsentation gehalten und wieder Mails mit den Kollegen aus Übersee gewechselt. Zwischendurch das mittlerweile sehr pappige belegte Brötchen vom Bäcker gegessen, zum Abendbrot im Büro. Dann Theater und nach Hause an den Schreibtisch, Präsentation für morgen vorbereiten. 1 Uhr schlafen. 7.30 Uhr aufstehen, joggen, Zeitung abarbeiten, Emailpostfach öffnen.
Und Paulus schreibt: 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Auch das gehört dazu, wenn man Mensch ist. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld. Gott kennt das.‘
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Und dann gibt es auch das – und vielleicht geht auch nur das – was Paulus macht: Laut klagen und sich vor Gott werfen in dieser menschlich-allzumenschlichen Zerrissenheit: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft; und anders geht’s ja nicht. Ich will ja, aber ich kann es nicht – und alleine schon gar nicht. Zwölf Verse lang verzweifeln daran, dass ich so bin, wie ich bin, weil ich ein Mensch bin. Und dann abbrechen. Ausbrechen aus dem Denkzirkel der eigenen Unfähigkeit. Pause machen, das Unmögliche tun.
Danke sagen.
22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? [PAUSE] 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!
Danke sagen. Oder singen:
Es ist das Heil uns kommen her von Gnad und lauter Güte; die Werk, die helfen nimmermehr, sie können nicht behüten. Der Glaub sieht Jesus Christus an, der hat für uns genug getan, er ist der Mittler worden.
Amen.
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Hier stehe ich - Predigt zu Röm 7, 14-25 von Dorothee Hermann
Liebe Gemeinde,
vor einem Jahr haben wir groß gefeiert: 500 Jahre Reformation. Inzwischen ist das Verfallsdatum von Lutherbonbons, Lutherlutschern, Lutherkeksen und Luthernudeln abgelaufen, die Luther-Playmobilfigur ist vom Schreibtisch aufs Regal oder in die Spielkiste gewandert. Doch die Luthersocken ziehe ich immer wieder gerne an.
„Hier stehe ich und kann nicht anders" heißt es darauf. Ich weiß, dass dieser Satz mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht von Luther stammt. Dennoch gefällt mir die Luther-Socken-Idee. Standhaftigkeit war ja eines der Anliegen der Reformation. Standhaftigkeit im Glauben, Eindeutigkeit. Was ich sage und tue, soll sich an meinem Glauben an Christus messen und davon erzählen. Luthers reformatorische Gedanken bleiben wichtig, auch nach dem Jubiläum.
Ich ziehe die Socken an, spüre ihre Wärme. Heute möchte ich eindeutig mein Christsein leben. Ich habe Lust, mich in den Begegnungen und Aufgaben des Tages am Leben Jesu zu orientieren. Heute wird es klappen!
Ich kenne die zehn Gebote, das Gebot der Nächstenliebe. Ich bin fasziniert von Jesu Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, ihre Sehnsucht zu erkennen und ihnen neue Lebensmöglichkeiten zu öffnen. Wenn viele das auch so machen oder wenigstens versuchen würden – wie einfach könnte Leben sein, wie gerecht und gut, leicht und voller Freude.
Das Telefon klingelt. Eine Freundin ruft an. Ihre Stimme zittert. „Kommst du heute mal vorbei? Nur ganz kurz. Das wäre schön." Das hatte ich nicht eingeplant. „Vielleicht", sage ich. Und denke: Wie soll das gehen? Ich werde es nicht schaffen. Hier stehe ich und kann nicht anders. Wenn das doch sein einfach wäre.
Warum fällt es mir so schwer zu tun, was mein Herz mir sagt, was dran wäre in Jesu Sinn?
Frustriert möchte ich die Socken wechseln. Ich habe ja doch keine Chance. Ich weiß, was ich tun sollte, doch fast immer kommt was dazwischen. So oft mache ich es anders als ich will.
Doch halt. Könnte es sein, dass der Widerspruch zwischen dem, was ich will und dem, was ich tue, zum Leben als Christ, als Christin dazugehört, unvermeidlich ist? Schließlich bin ich nicht die Erste mit diesen Fragen. Schon der Apostel Paulus kannte sie. In seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom denkt er intensiv darüber nach. Später werden seine Überlegungen Grundlage der reformatorischen Erkenntnisse Martin Luthers.
Ich lese den Predigttext aus dem 7. Kapitel des Römerbriefs:
14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft.
15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.
16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist.
17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.
19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an.
22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.
23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.
24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes?
25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Verstand dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.
„Kommst du heute?" Ich weiß, dass ich kommen sollte.
Ich weiß so oft, was ich tun sollte, wie ich leben sollte: Wie ich gesund leben kann, wie ich mich für eine gerechtere Welt einsetzen und wo ich mich einmischen sollte und wo nicht. Ich weiß etliches über Beziehungen und wie sie gelingen könnten. Und doch klappt es oft nicht. Ich sündige und weiß davon.
Paulus schildert die Sünde wie etwas, das in ihm sitzt und gegen das er keine Chance hat.
Ich brauche mich also gar nicht anzustrengen. Ich werde ja doch immer wieder scheitern. Vielleicht wäre es sogar besser, das Gesetz Gottes gar nicht zu kennen. Denn erst wenn ich ein Gespür, eine Ahnung von Gottes neuer Welt habe, leide ich darunter, dass sie noch nicht da ist.
„Nein, so nicht!" höre ich Paulus sagen. Gott will, dass wir sein Gesetz erfüllen. Gott will, dass es allen seinen Geschöpfen gut geht. Wir scheitern, immer wieder. Doch: Uns daran gewöhnen, abstumpfen, ist nicht sein Wille. Gott ruft jede und jeden beim Namen, ruft jede und jeden in der Taufe als einzigartigen Menschen. Ruft uns in die Nachfolge Jesu Christi, in seine Spuren. Gott möchte, dass wir uns an seinem Gebot orientieren, so dass unser Leben gelingt.
Paulus stellt sich der Zerrissenheit, seiner Unfähigkeit, dieses Gebot zu erfüllen. Er wendet sich an Gott. Nur Gott, der Schöpfer des Gesetzes, kann in dieser komplizierten Zwickmühle helfen. Paulus ruft, schreit: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen?"
Es ist, als ob sich im Rufen schon die Antwort öffnet:
Paulus jubelt: „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!"
Christus kann mich erlösen. Christus verwandelt die Zerrissenheit in Frieden. Ich bin ein Kind Gottes – so wie ich bin. Mit meinen Irrwegen und Umwegen und Fehlern und Schwächen. Und mit all dem guten Willen. Mit Kopf und Herz, Geist und Körper. Christus macht, dass ich vor Gott bestehe. Allein aus Gnade.
Martin Luther fasste das wie eine Formel zusammen: Simul iustus et peccator. Zugleich gerecht und Sünder. Als getaufte Menschen, als solche, die zu Christus gehören, sind wir nicht nur Sünder, sondern gleichzeitig Gerettete.
Als sündige Menschen tut der Zwiespalt zwischen Wollen und Tun weh. Als Gerettete und Befreite setzen wir uns immer neu dafür ein, dass unser Wollen zum Tun des Guten führt – mit Gottes Hilfe.
Am nächsten Tag gehe ich bei meiner Bekannten vorbei. Ihre Tochter ist seit Kurzem ein Krabbelkind. Das öffnet der Kleinen neue Möglichkeiten. Kaum ist sie einen Moment unbeobachtet, robbt sie schon auf die nächste Schublade in Greifhöhe zu. Verschämt, verschmitzt, mit einem Lächeln, schaut sie sich nach der Mama um. Sie weiß, dass sie jetzt was Verbotenes machen wird. Sie weiß, dass sie die Schublade nicht ausleeren darf. Es geht ganz schnell. Ich räume Fadenrollen, Knöpfe, Strickzeug wieder zurück, nehme die Kleine auf den Arm. Wir lachen. Ich gebe ihr einen Kuss.
Jeden Tag darf ich aus Gottes Gnade neu anfangen. Jeden Tag darf ich neu für Gerechtigkeit einstehen, und versuchen, Gottes Willen ins Leben zu bringen. Ein riskantes Unterfangen, doch ich darf Fehler machen. Denn: Meine Fehler sind nicht das Letzte. Gott selbst wird alles Recht machen, auch mit mir.
Dazu stehe ich und kann nicht anders.
Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!
Amen
Gebet:
Gott, du hast uns gesagt, was gut und was böse ist.
Wir wünschen uns, dass wir das Gute tun und das Böse lassen. Wir möchten, dass das Gute über das Böse siegt. Doch unsere Möglichkeiten sind klein. Wir sind oft schwach und tun das Falsche.
Wir bitten dich: Lass uns nicht nur auf unsere Fehler achten, sondern auch sehen, was gelingt. Gib uns Mut, im Vertrauen auf deine Gnade jeden Tag neu anzufangen und dir zu überlassen, was wir nicht schaffen.
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Verantwortung von Christen im und für den Staat? - Predigt zu Römer 13,1-7 von Andreas Pawlas
1Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. 2Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu. 3Denn vor denen, die Gewalt haben, muss man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten. 4Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut. 5Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. 6Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. 7So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.
Liebe Gemeinde,
Im Zeitalter der Wutbürger,da hat dieses Bibelwort wahrhaft keine Konjunktur. Denn Thema dieser unserer Zeit scheint nicht nur Unzufriedenheit zu sein, sondern grenzenlose Wut gegen diesen Staat, gegen seine Institutionen und gegen alle seine Vertreter. Mir ist im Überblick über die vergangene Jahrzehnte noch nie wie heutzutage zu Ohren gekommen, dass derart Menschen in öffentlichem Auftrag wie etwa Feuerwehrleute oder Rettungsfahrer bei ihren Einsätzen mit Gewalt und Pöbeleien rechnen müssen, oder dass auch Ärzte in ihren Praxen Handgreiflichkeiten ausgesetzt sind, dass Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit niedergestochen werden oder dass ehrenamtliche Bürgermeister bis in ihr zu Hause verfolgt werden.
Dabei soll in keiner Weise in Abrede gestellt werden, dass so manche öffentliche Probleme wirklich diskussionswürdig sind. Wie viel gibt es da berechtigt kritisch zu sagen etwa zu solchen Projekten wie Stuttgart 21, zu G7, G20 oder dem Hambacher Forst, zu Autobahn- oder Stromtrassenführungen, zur Braunkohlenförderung oder Feinstaubbelastung, zum Umgang mit Flüchtlingen oder Asylsuchenden - und das selbst, wenn die Verwaltungsverfahren formalrechtlich einwandfrei abgewickelt sind.
Dabei dürfen wir stolz und dankbar dafür sein, dass in unserem Lande alle Meinungsäußerungen dazu erlaubt und geschützt sind, was ja keinesfalls überall auf dieser Welt so ist. Allerdings fühlen sich bei uns manche aufrechte Mitmenschen im Recht, alles gegebenenfalls mit Gewalt einfordern und durchsetzen zu dürfen, was ihnen als ihr gutes Recht erscheint.
Sollte es da nun irgendeinen Ton geben, der aus blinder Wut wecken könnte? Sollte es da nun irgendein gutes Argument geben, das blinden Zorn über so manche zweifelsohne berechtigte Problemlage in ein gemeinsames Suchen nach hilfreichen Lösungen verwandeln könnte?
Was für ein wirklich hilfloses Instrument scheint da die Predigt über das Wort Gottes zu sein. Außerdem ist ja wohl kaum damit zu rechnen, dass viele Vertreter des aufgebrachten „Volkszorns“ ihren Weg in den Gottesdienst finden, um Worte aus einem ganz anderen Raum zu hören, als aus ihrem eigenen Resonanzraum, in dem sie ja alles so rasend macht.
Dennoch darf diese verzwickte Situation kein Hinderungsgrund dafür sein, sich in der Predigt unter Gottes Wort zu stellen, und sich dadurch genau Rechenschaft zu geben, was es mit diesem so vielgestaltigen Wesen auf sich hat, das in Zeiten des Heiligen Apostels „Obrigkeit“ genannt wird und heute so kurz und knapp „Staat“.
Was besonders auffällt, ist, dass der Apostel in diesem Bibelwort nicht zu der Frage Stellung nimmt, welche Staatsform denn die angemessene, die gerechte oder die von Gott gewollte ist. Denn er redet weder von Demokratie noch Diktatur, weder über Kaisertum oder Adelsherrschaft, noch über Räterepublik oder Stammesherrschaft. Und das, obwohl doch wegen dieser Frage Revolutionen, Aufstände, Putsche durch das Land gefegt sind und viele viele Menschen ihr Leben verloren haben.
Hat Paulus das etwa nicht vor Augen,wo es so etwas in ähnlicher Form durchaus schon zu seinen Zeiten gab? Außerdem ist es noch gar nicht so lange her, dass von respektablen Theologen mit großer Resonanz eine „Theologie der Revolution“ propagiert und von so manchen sogar als der eigentliche Kern des Evangeliums angesehen wurde: Menschen, die sich nachdrücklich als Christen verstanden, verließen alle geordneten Verhältnisse und gingen in den Dschungel um Revolution zu machen. Sie vergossen Blut und ihr Blut wurde vergossen. Ein Massaker folgte dem Nächsten. Musste in den Ohren dieser Engagierten damals der Satz des Heilige Apostels „Es ist keine Obrigkeit außer von Gott“ nicht wie reiner Hohn klingen?
Und ist davon abgesehen dieses Bibelwort nicht tatsächlich manches Mal missbraucht worden zur Legitimation schlimmster staatlicher Herrschaft? Und mögen dabei nicht tragischerweise treue Menschen im Vertrauen auf dieses Bibelwort und mit besten Wissen und Gewissen ihr Blut für ein solches Staatswesen und seine Obrigkeit vergossen haben?
Dabei ist doch dem Apostel Paulus die Tatsache, dass Blut vergossen wurde, überhaupt nicht fremd. Vor allem aber, wie sollte man vergessen können, dass unser Herr Jesus Christus selbst durch staatliche Autorität gefoltert und hingerichtet wurde. Und keinesfalls darf vergessen werden, wie schnell die erste Christenheit bitter verfolgt und ebenso ihr Blut vergossen wurde. Auf Stephanus als den ersten Märtyrer, der durch staatliche Instanzen verfolgt und verurteilt wurde, folgten viele viele weitere Märtyrer bis in die heutige Zeit. Deshalb muss doch gefragt werden, wieso nun Paulus dazu kommen kann, nicht Revolution zu predigen, sondern: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.“
Allerdings will Paulus hier keine aktuellen Herrschaftsfragen diskutieren, so wichtig und berechtigt solche Fragen auch sein mögen. Sondern er nimmt hier, wie in den ganzen anderen Abschnitten dieses Briefes an die Römer sehr grundsätzlich und für alle Zeiten Stellung. Und darum ist hier keine Debatte etwa um Staatsformen gefragt, die sich ja im Zeitverlauf ändern können, sondern hier geht es, nachdem die Gegenwart des lebendigen Gottes auf dieser Welt durch Jesus Christus für jedermann erfahrbar geworden ist, um die sehr grundsätzliche Frage, wie sich der Christenmensch in dieser vorläufigen und vergehenden Welt verhalten soll und darf.
Und hat es da nicht tatsächlich Sinn, dieses: „Es ist keine Obrigkeit außer von Gott“? Denn wozu sollte die ganze Struktur eines „oben“ und „unten“, alle Möglichkeiten einer Macht der einen über die anderen dienen, wenn nicht der mit dem Schöpfungsgedanken mitgegebenen Aufgabe des Schutzes, der Ordnung und der Fürsorge. Nicht mehr und nicht weniger. Allein dazu sind den zu dieser Aufgabe Berufenen entsprechende Machtmittel anvertraut, eben das „Schwert“, wie Paulus sagt. Und genau und allein in der Erfüllung dieser Aufgabe sind die dazu Berufenen tatsächlich Gottes Diener, als sie sich hierbei nicht einen Spass machen, oder ihre Machtgelüste befriedigen dürfen, sondern nach Gottes Willen einen Beitrag dazu leisten, dass diese Schöpfung nicht im Chaos versinkt. Und genau deshalb haben sich alle nicht dazu berufenen ihnen unterzuordnen - wohlgemerkt nicht weil sie nicht die Macht haben, nicht weil sie bestraft werden können,und sich so eine Macht an ihnen willkürlich austoben könnte, sondern auch um des Gewissens willen, weil man eben von der Richtigkeit dieser Ordnungsfunktion überzeugt ist.
Und daraus folgt dann natürlich auch die ganze Thematik des Steuer- und Zollzahlens, des Respekts und der Ehrerbietung. Ja bestimmt, denjenigen, auf denen diese schwierigen Aufgaben, die Ordnung im Lande zu wahren, lasten, denen gebührt keinesfalls Widerstand, sondern Respekt und Ehrerbietung. Und dann wird es auch nicht so sein, dass man sich vor solcher Obrigkeit fürchten muss - wenn man eben Gutes tut. Denn wen sollten die Übeltäter sonst fürchten, wenn nicht genau diese Personen, denen der Auftrag erteilt ist, für Schutz, Ordnung und Fürsorge in der Gesellschaft einzutreten? Wer sollte sonst das Strafgericht vollziehen an denen, die Böses tun, wenn nicht genau diese Berufenen? Oder sollten wir etwa davon ausgehen dürfen, dass es auf dieser Welt keine Übeltäter mehr gibt? Bitte!? Wie könnte das realistisch sein?
Insofern steht zweifelsohne dem Heiligen Apostel Paulus deutlich vor Augen: die Situation, dass es keine Übeltäter mehr gibt, die wird erst am Ende aller Zeiten im Reiche Gottes erreicht sein. Bis dahin ist es eben unsere Aufgabe, in dieser gebrochenen und unvollkommenen Welt zu leben und in unserem Alltag und Sonntag Gott die Ehre zu geben.
Ich weiß, dass für manchen die Vorstellung wirklich deprimierend ist, in einer gebrochenen und unvollkommenen Welt leben zu sollen. Ich weiß, dass das gerade für junge Menschen, die so viel gute Pläne haben, unerträglich erscheint, wo sie doch aus so viel gutem Willen endlich alles besser und vollkommen machen möchten. Und ganz bestimmt sind sie es wert, dass man ihnen beisteht und hilft und ihr Leiden an der Unvollkommenheit aller Verfügungsberechtigten und die Berechtigung ihrer Kritik versteht.
Aber könnte es nicht sein, dass die wichtigste und schwierigste Aufgabe im Blick auf das Staatswesen sein muss, eben genau in dieser unvollkommenen Welt etwas sehr grundsätzlich zu prüfen, nämlich, ob etwa zu entdecken sein sollte, ob ein Staatswesen so grundsätzlich verdorben ist, wie etwa der Nationalsozialismus nach der Erkenntnis der Verschwörer des 20. Juli 1944. Und wenn das so sein sollte,welchen Grund wollte man dann anführen, nicht so wie sie gegen ihn und seine Vertreter anzukämpfen oder sogar sein Leben einzusetzen?
Oder sollte etwa zu entdecken sein, dass ein Staatswesen zwar unvollkommen ist, Fehler hat und nicht immer nur Gutes macht, weil dort eben auch fehlbare Menschen am Werke sind, aber nicht grundsätzlich verdorben ist? Und was müsste das anderes heißen, als dass es sich bei Fehlern des Staates zwar um Übles oder Ärgerlichkeiten handelt, die möglichst korrigiert werden müssen, bei den aber die eigene Existenz nicht untergeht, falls das nicht gelingt.
Und müsste jetzt etwa im Sinne solcher Prüfung ernsthaft behauptet werden, dass das Leben völlig verdorben würde, wenn z.B. Stuttgart 21 gebaut würde, weshalb man nun Gewalt gegen den Staat ausüben müsste? Das kann ich mir nicht vorstellen! Dennoch bleibt die Aufgabe, derart immer wieder neu zu prüfen und zu unterscheiden, dauerhaft jedem verantwortungsvollen Christen persönlich auferlegt. Und solange wir uns darauf ausrichten können, dass dass Reich Gottes erst noch kommt und noch nicht in seiner Vollkommenheit da ist, müssen wir eben mit Unvollkommenheiten rechnen - in unserem eigenen Leben genauso wie in dem Staatswesen, in dem wir leben.
Und muss nicht dazu auch die Ermunterung und Unterstützung für die Verantwortlichen gehören, damit sie eben möglichst gute Entscheidungen für alle Bürger treffen, und gegebenenfalls durch sachkundige und freundliche Beratung und Ermahnung durch Christenmenschen Entscheidungen korrigieren?
Und muss das nicht nur etwa für den Dienst der besonderen kirchlichen Beauftragtenbei der Bundesregierung und den Landesregierungen gelten, die es ja - Gott sei Dank – gibt, sondern genauso für jedes Gespräch von Christen mit Verantwortlichen im Bund, Land, Kommunen und Parteien, in dem die schwierigen Themen auftauchen? Was für ein großer und verantwortungsvoller Beitrag für einen jeden Christenmenschen hier im Lande. Gott sei Dank, dass solche Beiträge in unserem Lande möglich sind, damit so der Staat seinen Auftrag, für Schutz, Ordnung und Fürsorge in der Gesellschaft einzutreten, wirklich erfüllen kann.
Und schließlich darf eins nicht vergessen werden: Weil unser Staatswesen unvollkommen ist, da in ihm fehlbare Menschen am Werke sind, hat die Christenheit schon immer eine weitere Aufgabe für sich gesehen: und das ist die Fürbitte, die Fürbitte für den Staat und alle, die in ihm Verantwortung tragen. Ja, es ist ein weiterer großer und verantwortungsvoller Beitrag für einen jeden Christenmenschen. Denn es ist allein unser Gott, der letztlich aus allem menschlichen Mühen Gutes zu machen versteht. Und ihn darum um Christi willen bitten zu dürfen, das ist wirklich ein Privileg von uns Christenmenschen. Gott sei Dank! Amen.
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Ich will ja, aber ich kann nicht - Predigt zu Römer 7, 14-25 von Berenike Brehm
I Die Steine wurden einmal gefragt, ob sie nicht werden wollen wie die Menschen. Und die Steine antworteten: Dazu sind wir nicht hart genug. Eine kurze Anekdote, die zu denken gibt über unsere Welt, und darüber, was es bedeutet, in ihr zu leben. Ich weiß nicht, wer von Ihnen und euch dieses Gefühl kennt: Ich bin nicht hart genug. Ich bin nicht leistungsfähig genug. Ich pack es einfach nicht.
Wer nicht hart genug ist, wer sich nicht von klein auf anstrengt, wer nicht mit Ellenbogen kämpft, der hat nicht viel Chancen Karriere zu machen. Schon kleine Kinder lernen das. Und wer dieses Klima irgendwann nicht mehr aushält, weil sein oder ihr Innerstes sagt: Das ist doch alles falsch, ich spiel da nicht mehr mit. Der war eben nicht hart genug. Die hat sich eben nicht genug angestrengt. - So die gängige Meinung.
II Eine junge Frau schreibt auf einem Blog. Sie schreibt über diese Tage „an denen man will, aber einfach nicht kann.“ So nennt sie diese Tage, wenn die Depression sie packt. Sie schreibt: „Wir fühlen uns schlecht, einfach so, oft ohne erkennbaren Grund. Wir sind in eine dunkle Wolke hinein aufgewacht und können sie einfach nicht abschütteln. Wir fühlen uns schlecht – und dann fühlen wir uns schlecht, weil wir uns schlecht fühlen.“1
Ein Mann erzählt in einer Talkrunde im Fernsehen: „Scheitern war für mich als Manager keine Option. Los ging’s dann mit dem Schwindel. So, dass ich mich nur noch schwer konzentrieren konnte. Dann kam so ein Kopfdruck dazu, so dass ich gemerkt hab: Es wird kritisch, ich kann mich nicht mehr auf das konzentrieren, was passiert. Daraus wurde dann Unruhe und Nervosität. Über 24 Stunden.“2 Er schildert eindrücklich, wie er immer weniger kann, wie die Angst sich festsetzt, und er schließlich in eine Klinik geht.
III Wollen, aber nicht können. Das kennen nicht nur diese junge Frau, oder der Mann im Fernsehen. Davon schreibt auch der Apostel Paulus - im Römerbrief Kapitel 7:
Wir wissen ja: Das Gesetz ist vom Geist Gottes bestimmt. Ich dagegen bin als Mensch ganz von meiner irdischen Gesinnung bestimmt. Ich bin mit Haut und Haaren an die Sünde verkauft. Ja, wie ich handle, ist mir unbegreiflich. Denn ich tue nicht das, was ich eigentlich will. Sondern ich tue das, was ich verabscheue. Wenn ich aber das tue, was ich eigentlich nicht will, dann beweist das: Ich stimme dem Gesetz innerlich zu und erkenne an, dass es recht hat. Aber dann bin nicht mehr ich es, der so handelt. Es ist vielmehr die Sünde, die in mir wohnt. Ich weiß: In mir – das heißt: in meinem irdischen Leib – wohnt nichts Gutes. Der Wille zum Guten ist bei mir zwar durchaus vorhanden, aber nicht die Fähigkeit dazu. Ich tue nicht das, was ich eigentlich will – das Gute. Sondern das Böse, das ich nicht will – das tue ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich der Handelnde. Es ist vielmehr die Sünde, die in mir wohnt. Ich entdecke also bei mir folgende Gesetzmäßigkeit: Obwohl ich das Gute tun will, bringe ich nur Böses zustande. Meiner innersten Überzeugung nach stimme ich dem Gesetz Gottes mit Freude zu. Aber in meinen Gliedern nehme ich ein anderes Gesetz wahr. Es liegt im Streit mit dem Gesetz, dem ich mit meinem Verstand zustimme. Und dieses Gesetz macht mich zu seinem Gefangenen. Es ist das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern steckt. Ich unglücklicher Mensch! Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen. Wer wird mich davor bewahren? Dank sei Gott! Er hat es getan durch Jesus Christus, unseren Herrn!
(Text der BasisBibel)
IV Ich will ja, aber ich kann nicht – schreibt Paulus. Ich will ja, aber ich kann nicht. - Das sagen wir auch manchmal. Wir sagen es so dahin, wenn wir uns entschuldigen wollen, dass wir keine Lust oder keine Zeit haben. Wenn wir uns aus unserer Verantwortung reden wollen. Dann sagen wir gerne: Ich würde ja, aber… Das allerdings meint Paulus nicht. Es geht ihm nicht um faule Ausreden und ein fahles Vorschieben von Gründen.
Ihm geht es um dieses nicht können, das einen packt und nicht loslässt. Gegen das man einfach nicht ankommt, so sehr man es auch versucht. Wenn man ja die Mathearbeit schreiben will, aber die Zahlen im Kopf zu tanzen beginnen. Wenn man ja etwas leisten will, aber einfach nur müde und kaputt ist. Wenn man ja lachen will, aber diese Wolke um einen es einfach nicht zulässt. Wenn man gar nicht zu der Torte greifen will, aber die innere Stimme einfach zu stark ist.
Ich will ja, aber ich kann nicht. Viele Sätze spinnt Paulus um diesen einen Gedanken: Es sind Sätze, wie ein klebriges Spinnnetz. Sie ziehen einen hinein in dieses Netz aus Unvermögen, gegen das man nicht anstrampeln kann, und in das man sich nur tiefer verstrickt, je stärker man strampelt. Wer versucht hart zu sein, wer sich durch Leistung aus diesem Netz retten will, der verstrickt sich nur immer weiter. So Paulus. So die Erfahrung des Managers im Fernsehen.
V Du musst dich selbst verbessern!, sagt mir die Gesellschaft. Und sie zeigt mir Bilder, auf denen das makellose Glück scheinbar überall ist. Du musst Leistung bringen, sagt mir die Gesellschaft. Denn „Wer nicht arbeitet, braucht auch nicht essen“. Du bist nur etwas wert ist, wenn du deine Leistung bringst.
Es fällt schwer von sich selbst noch gut zu denken, wenn ich durch dieses Raster falle. Wenn mich das makellose Glück nicht auf Schritt und Tritt verfolgt, wenn mein Leben mehr so durchschnittlich ist. Dann strenge ich mich an, besser auszusehen, bessere Noten zu schreiben, erfolgreicher zu werden, und reicher. Beliebter zu werden und bekannter, fitter und gesünder.
Aber was, wenn sich anstrengen nicht reicht? Wenn die Mathearbeit schon wieder missglückt ist, weil die Zahlen Samba getanzt haben. Wenn ich schon wieder zu der Torte gegriffen habe, weil die Stimme so unendlich laut in mir wurde. Wenn ich schon wieder kaum etwas mitbekomme von der Welt, weil die Wolke um mich rum einfach nicht aufreißt. Wenn die Kräfte einfach nicht mehr wiederkommen, weil ich mich völlig verausgabt habe, weil ich krank und hilfsbedürftig werde, älter und gebrechlicher. Was, wenn ich will, aber einfach nicht kann? Dann stimmt etwas mit dir nicht. Dann haben wir keinen Platz (mehr) für dich. - sagt die Gesellschaft.
VI Aber Paulus sagt: Nein. Wenn du willst, aber nicht kannst, bist du völlig normal. Dann stimmt alles mir dir. Denn nichts leisten zu können, gehört zum Menschsein dazu. Es ist normal, nicht zu können. Es ist normal, dass ein Leben seine Ecken und Kanten hat. Es ist normal, dass Leben auch scheitern bedeutet. Es ist normal, dass kein Leben perfekt ist, und auch aus Leid und Tränen, und nicht nur aus Glitzer und Einhörnern besteht.
Wenn du denkst: Ich will ja, aber ich kann nicht, dann sagt Paulus zu dir: Das ist völlig normal. Genau so, und nicht anders, nimmt Gott uns an. Als solche, die wollen, aber nicht können, sind wir doch ganz nahe bei Gott.
Aus diesem Vertrauen dürfen wir Christen leben. Und wir dürfen, ja wir sollen es immer wieder laut sagen: Dass der Wert eines Menschen nicht von seiner Leistung abhängt. Dass einer, der scheinbar nichts leistet, nicht weniger wert ist, als einer, der erfolgreich durchstartet. Wir dürfen den Mund aufmachen und einer Gesellschaft widersprechen, die von uns das Unnormale verlangt, und uns für das Normale ein schlechtes Gewissen macht. Die behauptet, man müsste sich nur mehr anstrengen, man müsste nur härter an sich arbeiten. Und die damit das Netz noch enger um die Menschen schnürt.
Dieser Gesellschaft dürfen wir beherzt widersprechen. Wir dürfen die Schere an das Netz setzen, und von der Freiheit erzählen. Von der Freiheit, mit dem Mühen und Strampeln aufzuhören. Von der Freiheit, sich fallen und tragen zu lassen. Von der Freiheit etwas wert zu sein, egal, wer wir sind, wieviel wir leisten, wie gut wir funktionieren. Von der Freiheit, angenommen und wertgeachtet zu sein. Einfach, weil wir Menschen sind. Von dieser Freiheit dürfen wir nicht schweigen.
Damit die Steine, wenn sie gefragt werden, ob sie wie die Menschen sein wollen, antworten: So weich werden wir nie.
Amen.
2 I https://www.youtube.com/watch?v=ZEgAoqgYClQ, ab 38:10
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1. Gott lieben – und der Schlamassel beginnt – Predigt zu Römer 8, 28 von Frank Hiddemann
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen! (Röm 8, 28)
Liebe Gemeinde,
diesen Satz schreibt Paulus an die Christen in Rom Und das soll doch wohl heißen: Gott lieben, und der Rest gibt sich.
Wenn das so einfach wäre... Gott lieben, und der Rest gibt sich Dann bliebe uns manches erspart. Das Leben wäre nicht so entsetzlich kompliziert, und wir würden die Angst nur noch aus der Erinnerung kennen.
Aber wenn wir einen Blick auf den heutigen Predigttext werfen, müssen wir, fürchte ich, sagen: Gott lieben - und der Schlamassel beginnt! Jemand erzählt von einem ganz intimen Kontakt, den er mit Gott hat, er wird jeden Morgen von ihm geweckt.
Kennen Sie das, wenn Sie am Morgen die Augen kaum aufkriegen und noch ganz lärmempfindlich sind?
Unser Gottesknecht, der gleich zu uns sprechen wird, kriegt jeden Morgen die Ohren durchgepustet. Oder weckt Gott ganz sanft? Was meinen Sie? Was hören Sie? Ich lese Ihnen das dritte Gottesknechtlied aus dem Buch des Propheten Jesaja:
Jesaja 50, 4 Gott der Herr hat mir eines Jüngers Zunge verliehen, dass ich den Müden durch das Wort zu erquicken wisse. Er weckt alle Morgen, weckt mir das Ohr wie ein Jünger zu hören. Gott der Herr hat mir das Ohr aufgetan, ich aber habe nicht widerstrebt, bin nicht zurückgewichen.; den Rücken bot ich denen, die mich schlugen, und die Wangen denen, die mich rauften; mein Angesicht verhüllte ich nicht, wenn sie mich schmähten und anspieen.
Eines Jüngers Zunge kriegt der Gottesknecht. Das heißt, er spricht fast so gut wie sein Meister selbst. Ein junger Prophetenschüler zieht mit seinem Meister durch die Lande, und bald weiss er auswendig, was der Meister sagt. Es ist ihm gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen. Immer, wenn er den Mund aufmacht, spricht er wie der Meister.
Bei Jesus und seinen Jüngern kam dieser Effekt erst etwas später. solange sie mit ihm durch's Land zogen, staunten sie, wenn er redete. Sie waren die ersten, die sich verblüfft ansahen und bei sich dachten: "Der Meister spinnt mal wieder."
Erst als er ging, als er seinen Rücken denen bot, die ihn schlugen, als er angespieen wurde, als sie schliesslich allein waren, formte sich ihre Zunge so, dass sie eine Schülerzunge wurde, dass die Verblüffung, die einst von Ihrem Meister ausging. nun auch ihre Rede begleitete.
2. JÜNGEROHREN UND -ZUNGEN
Und hören konnten sie wie ihr Meister. Wenn einer kam, der sich scheinbar nur ganz allgemein interessierte, der nur mal hören wollte mit gerunzelter Stirn, um sich ein Urteil zu bilden, skeptisch schaute, aber dann, ohne dass er es merkte, zu nicken begann. Den konnten sie mit einem Wort ihrer Jüngerzunge treffen, so dass er sein Leben vor sie hin legte, in Stücken, aber darauf vertraute, dass aus den Bruchstücken wieder ein Gefäß werden kann, das trägt, weil es selbst getragen wird.
Und wenn jemand kam, der ein grosses Interesse an Fragen der Lehre hatte, wer der Messias sei und ob man weiter auf ihn warten müsse, ob er am Ende der Zeiten käme oder mitten drin, so konnten sie hören, was er eigentlich fragte, und ihre Jüngerzunge sagte: "Du hast eigentlich Angst vor dem Tod! Der ist in Christus überwunden. Glaube nur daran!"
Sie konnten auch hören, wenn jemand über Bildung und Wohlstand sprach und bloss das Wort "Gerechtigkeit" vermeiden wollte. Oder wenn jemand alles tun wollte, um für das Wohlergehen seines Weinberges zu sorgen, aber seine Familie hungern ließ. Dann hörten sie ihm einfach zu mit ihren geweckten Jüngerohren, und der Mann kam von selbst darauf, schwieg - und ging hinweg. Alles in allem war es nicht einfach, mit geweckten Jüngerohren durch die Welt zu gehen. Beinahe alles schien wert, verändert zu werden. Nichts hörte sich so an wie früher. Überall Untertöne und Obertöne und immer die Gewissheit dabei, was zu tun ist.
Kein Wunder, dass die Ohren und Zungen gegen Ende des Tages etwas taub und träge wurden. Und am nächsten Morgen wieder neu geweckt werden mussten.
Kein Wunder, dass die Jünger, die so durch die Welt gingen, nicht gerade besonders gut ankamen. Abgesehen von den einzelnen, denen sie halfen, die Welt anders zu sehen. - Abgesehen von den nicht wenigen, die durch ihr Beispiel die anderen Möglichkeiten der Welt verstanden. - In der Regel wurden sie eher skeptisch betrachtet, manchmal rau behandelt, manchmal verfolgt, manche getötet.
Aber wer ein gewecktes Ohr hat und eine belebte Zunge, der nimmt wie Gott wahr, er hört wie Gott, was hinter den Worten steht, er hört (und sieht) wie Gott, was getan werden muss.
Deshalb fragt sich der Gottesknecht nicht: Was habe ich eigentlich davon, dass ich Gott liebe? Oder: Wieso passiert mir das alles, obwohl ich Gott liebe? Sondern er ist gewiss, - er kann das hören mit seinen geweckten Ohren - dass seine Sache Gottes Sache ist und zu einem guten Ende kommt. Er spricht so wie in dem zweiten Teil des Gottesknechtliedes, dass ich Ihnen bisher vorenthalten habe:
Aber Gott der Herr steht mir bei; darum bin ich nicht zuschanden geworden. Darum machte ich mein Angesicht kieselhart und wusste, dass ich nicht beschämt würde. Er, der mir Recht schafft, ist nahe; wer will mit mir hadern? Lasset uns zusammen hintreten! Wer will mit mir rechten? Er komme heran! Siehe, Gott der Herr steht mir bei; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle zerfallen wie ein Gewand, die Motten werden sie fressen.
3. DAS RECHT AUF DER SCHWELLE
Im sechsten Jahrhundert vor Christus wurde dieser Text aufgeschrieben. Damals wurde unter dem Tor Recht gesprochen. Auf der Schwelle zwischen Drinnen und Draußen. Jemanden verurteilen heißt noch heute, ihn eine Weile oder ganz aus der Gemeinschaft ausschließen oder ihm eine Buße auferlegen, die er zahlen muss, um weiter in der Gemeinschaft zu sein.
Die Situation im Tor, das Recht auf der Schwelle. Wer klagt, steht auf und spricht. Wer den Angeklagten verteidigt, steht als Zeuge auf.
Wer will mit mir rechten? Er komme heran! sagt der Gottesknecht. Gott selbst wird als Zeuge für ihn aufstehen. Und wer will dann sagen: "Verurteilt ihn!" Alle Anklagen werden zerfallen wie ein Gewand, das von Motten zerfressen ist. Wie ein Vorhang auf der Bühne wird die wahre Situation sichtbar. Er hat sein Gesicht kieselhart gemacht, um alle Schmähungen durchzustehen. Um diese Situation zu erleben: Der Knecht im Recht! Der Knecht als Sieger unter dem Tor!
Oft genug geschieht das den Knechten nicht. Den Knechten wie dem Propheten Jesaja, dem sein Schüler Jesaja der Jüngere mit diesem Lied ein Denkmal gesetzt hat.
Den späteren Knechten wie dem Jesus Christus, dessen Leib am Kreuz gebrochen wurde.
All den Knechten, die nicht erfahren haben, dass ihr Weg den anderen zum besten gedient hat. - Gott lieben, und der Rest gibt sich!
Wer diesen Satz als Beobachter der Weltgeschichte spricht, kann nur den Kopf schütteln.
4. DER THERAPEUTISCHE EINFLUSS FÜRSPRECHENDEN BETENS
Letzte Woche machte die Hamburger Wochenzeitschrift "Der Spiegel" seinen staunenden oder triumphierenden Lesern die Ergebnisse einer Studie zugänglich [http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,409005,00.html ].
Sie war 2,3 Millionen Dollar teuer und wurde mit der Hilfe berühmter Kliniken und Universitäten erstellt. Die statistische Untersuchung hieß: "Studie zum therapeutischen Einfluss fürsprechenden Betens".
Es sollte also geprüft werden, ob Fürbittengebete Menschen gesund machen können.
Untersucht wurden 1.800 Patienten nach einer Bypass-Operation. Wie viele Menschen wurden ohne Komplikationen gesund? Bei wie vielen Menschen stellten sich Probleme ein? Für 600 Personen wurde gebetet, aber sie wussten nichts davon. Für 600 Personen wurde gebetet, und sie wussten davon. Für 600 Personen wurde nicht gebetet.
Die Gebete wurden von Menschen aus christlichen Gemeinden gesprochen. Sie durften so beten, wie sie es gewohnt waren. Eine einzige Bedingung aber stellten die Wissenschaftler: Im Gebet musste die Bitte um "eine erfolgreiche Operation mit einer schnellen gesundheitlichen Genesung und ohne Komplikationen" enthalten sein. Die Menschen, für die gebetet wurde wurden mit dem Vornamen und dem ersten Buchstaben des Nachnamens bezeichnet. Die Betenden kannten die Personen nicht.
Das muss so geklungen haben: "Herr, ich bitte dich um eine erfolgreiche Operation für Gisela M. mit einer schnellen gesundheitlichen Genesung und ohne Komplikationen".
Mit solchen Methoden wird der Erfolg von Medikamenten untersucht. Wirkt ein Gebet wie die Gabe eines Medikaments? Würden Sie gerne hören, dass es funktioniert hat? Würden sie gerne hören: 80% der Menschen für die gebetet wurde, wurden ohne Komplikationen gesund? Sie werden es ahnen. Das Experiment hat nicht funktioniert. Diese Art von Gebeten oder keine Gebete. Das machte keinen statistisch erheblichen Unterschied. Nur die Patienten, die wussten, dass für sie gebetet wurde, hatten offenbar so einen Stress, dass sie öfter Komplikationen bekamen.
5. GOTT LIEBEN - UND DER REST GIBT SICH
Wer von außen auf das Gebet blickt, wer ihm feste Bedingungen aufzwingt, der wird nicht verstehen, wie es unsere Wirklichkeit verändert. Gott lieben, und der Rest gibt sich! Gott bitten und spüren, Gesundheit ist wichtig, aber nicht die Hauptsache. Gott bitten und spüren, er berührt meine Augen und Ohren, dass ich sehen kann wie ein Knecht Gottes sieht.
Gott bitten und spüren, es geht nicht um Leiden oder Siegen, um Gewinnen oder Verlieren, sondern dass ich mir selbst nicht mehr im Weg stehe. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als all unsere Vernunft, bewahr euere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen
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04.11.2018 - 23. So. nach Trinitatis
28.10.2018 - 22. So. nach Trinitatis
Aktion Wüstentrost – Predigt zu Römer 15,4-13 von Nico Szameitat
Wir haben uns auf dem Weihnachtsmarkt verabredet. Schon einige Zeit haben wir uns nicht mehr gesehen. Und auch wenn es Telefon und WhatsApp gibt – so persönlich sich treffen und miteinander reden ist doch etwas anderes. Und irgendwas hat er auf dem Herzen.
Ich bin früh da und habe noch Zeit. Lauter Menschen, die an den Buden stehen, Glühwein trinken, Backfisch oder Bratwurst essen, lachen. Da gibt es Sterne in allen Farben, da Schaffelle und bunte Tücher, und dort Räuchermännchen mit dazugehörigem Duft von „Advent“ bis „Weihrauch“. Und über das Lachen und Quatschen hinweg hört man von irgendwoher Musik. Ich folge ihr und stehe dann vor einem Mann, der auf der Panflöte „Alle Jahre wieder“ spielt. Ich summe mit. Und ich bin nicht der einzige. Ich liebe Weihnachtsmärkte!
Ah, da ist er ja, pünktlich am Treffpunkt. Zusammen schlendern wir weiter über den Markt und quatschen über dieses oder jenes. An einem Glühweinstand am Rand machen wir Halt. „Zwei Glühwein, bitte! Nee, ganz normal, ohne Schuss.“ Neben der Bude ist ein dunkler Unterstand mit einer Art Theke zum Markt hin. Wir stellen uns hinein, lehnen uns auf die Theke, wärmen uns die Hände an den heißen Bechern, schauen auf den Trubel, pusten und schlürfen vorsichtig. Nach einem halben Becher beginnt er zu erzählen. „Weißt Du, meine Freundin und ich haben eine Beziehungskrise. Und eigentlich ist das Wort „Krise“ noch untertrieben…“ Fünf Jahre sind sie nun schon zusammen. Nun hat er sich in eine andere verliebt. Das kam zwar schon mal vor, also sich so in andere vergucken, aber so richtig verlieben, jetzt scheint es wohl ernst zu sein, oder nicht? Er hat es seiner Freundin gleich gesagt. Und ja, sie findet auch, dass sich ihre Beziehung verändert hat, aber nein, so schlimm wäre diese Veränderung doch nicht, dass man nun gleich die ganze Beziehung…
Und doch steht alles in Frage: Trennung - zumindest auf Zeit? Auszug - noch vor Weihnachten? Und je mehr er erzählt und je tiefer ich hinein tauche in sein Leben, umso mehr verschwindet vor meinen Augen der Weihnachtsmarkt, verschwinden Duft und Lichterketten, verschwinden die lachenden Menschen. Die Frage, die mir gerade noch auf der Zunge lag, was er denn Weihnachten so vorhat, kann ich mir sparen. Wüstenzeit statt Weihnachtszeit.
Alles, was in früherer Zeit dort aufgeschrieben wurde, wurde festgehalten, damit wir daraus lernen. Denn wir sollen die Hoffnung nicht aufgeben. Dabei helfen uns die Ausdauer und die Ermutigung, wie wir sie aus den Heiligen Schriften gewinnen können. Diese Ausdauer und diese Ermutigung kommen von Gott. Er gebe euch, dass ihr euch untereinander einig seid – so wie es Christus Jesus angemessen ist. Dann könnt ihr alle miteinander den und Vater unseres Herrn Jesus Christus wie aus einem Munde loben. Daher bitte ich euch: Nehmt einander an, so wie Christus euch angenommen hat, damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird. (…) Auch die Heiden haben allen Grund, Gott für sein Erbarmen zu loben. Denn in der Heiligen Schrift steht: „Darum will ich mich bei den Heiden zu dir bekennen und deinen Namen mit Liedern preisen.“ An einer anderen Stelle heißt es: (…) „Aus der Wurzel Isai wird ein neuer Spross hervorgehen. Er wird sich erheben, um über die Heiden zu herrschen. Und auf ihn werden sie seine Hoffnung setzen.“ (…)
(BasisBibel Röm 15,4-13 i.A.)
Wüstenzeit statt Weihnachtszeit. In den letzten beiden Wochen bin ich mehreren Menschen begegnet, die dieses Jahr überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung sind, weil ihr Leben gerade ganz andere Wege geht, und die sind nicht immer weihnachtsmarktschön. Mir ging es mal ähnlich. Damals habe ich zuhause nichts geschmückt. Die Weihnachts-CDs blieben genauso wie die Plätzchenrezepte im Schrank und der Baum an Heiligabend war so schlichttraurig wie nie zuvor.
Die Wüste vor Augen, unwegsam,finstere, frostige Nacht. Wird Glauben noch taugen, unwegsam, hungriger Zweifel erwacht. (freiTöne 58 „Die Wüste vor Augen“)
Und während draußen auf dem Weihnachtsmarkt der Trubelzug mit Volldampf auf das Weihnachtsfest zurollt, stehen mitten unter uns diese Wüstenmenschen.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom. Eine Gemeinde, die er persönlich gar nicht kennt. Aber er weiß, dass dort trostbedürftige Wüstenmenschen sitzen und so schreibt er ihnen. Er schreibt, dass er sie gerne bald besuchen und kennenlernen möchte, aber vorerst müsse halt der Brief genügen. Aber wie tröstet man nun jemanden, den man gar nicht kennt, von dem man nie ein Bild gesehen, dessen Stimme man nie gehört hat? Und wie tröstet man in einem Brief, der Tage oder Wochen unterwegs ist, bevor er gelesen wird? Paulus verweist auf die Heiligen Schriften, gewissermaßen die damalige Bibel. Dort würde man Hoffnung, Ausdauer und Ermutigung finden. Und steht es da nicht geschrieben? „Am Ende werden sogar die Heiden singen!“?
Lieber Paulus, bitte verstehe mich nicht falsch, aber ich glaube das klappt heute nicht mehr. Es ist ja wunderbar, wenn Du die Leute zu Deiner Zeit mit Deinen großen Worten, mit dem Verweis auf die Heilige Schrift trösten konntest, aber das funktioniert nicht mehr. Meinem Freund in der Beziehungskrise würde das nicht helfen. Viele große Worte – Trost, Gnade, Barmherzigkeit – , sind zwar schön zu hören, aber sie haben im Laufe der Zeit ihren Glanz und ihren Geschmack verloren. Zusammen mit Floskeln und endlos gedroschenen Phrasen wurden sie in unseren Kirchen wieder und wieder gebraucht, bis sie fast verbraucht waren. Sorry, wenn ich das so deutlich sage, aber viele Deiner geliebten Worte sind für heutige Ohren zu pappigen Worthülsen geworden. Ich brauche in der Wüste aber keine Pappsterne, sondern echte Sterne! Verstehst du mich? Ich hoffe es.
Auch dieses Jahr gab es mancherorts die Diskussion, ob man die Weihnachtsmärkte nicht Wintermärkte nennen sollte. Na klar, warum nicht? Ist der Weihnachtsmarkt nicht längst eine heidnische Veranstaltung geworden, wo es vor allem um Essen und Trinken geht? Auf einmal stehe ich wieder vor dem Flötenspieler. Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde wieder, wo wir Menschen sind. Und da summen doch ganz viele Heiden mit! Und da ist doch der Räuchernikolaus mit der Bischofsmütze! Und da der Stern von Bethlehem! Das alles sind doch Schätze und Symbole, die aus der Kirche kommen! Der Theologe Fulbert Steffensky sagte mal, dass die Kirche zu Weihnachten zu einer „Kostüm- und Sprachverleihanstalt“ wird. Es geht nicht um alte Worthülsen, sondern darum, dass wir Kleider, Masken, Sprachen und Lieder, Gesten ausleihen an die, die keine eigenen haben und die doch gelegentlich spüren, dass sie sie brauchen. Und dann schauen nämlich doch alle in die Krippe, fremde Wörter wie „Sanftmütigkeit“ beginnen zu glänzen und alle summen mit.
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat! Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh. Und es nimmt euch an. Es lauscht und schaut. Und es nimmt die ganze Welt in sich auf. Den himmlischen Gesang, die kalte Nacht, die knieenden Menschen. Alle Freude, allen Zweifel nimmt es an. Und das Kind wird groß werden, ein Großer, der sich klein hält, der zu den Wüstenmenschen geht, der lauscht und schaut, der mit ihnen isst und lacht, Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, steht auch dir zur Seite, still und unerkannt.
Am Tag danach schickt mein Freund mir eine Nachricht über WhatsApp: „Huhu, Vielen Dank für unser Treffen gestern, das Gespräch und dein Dasein. Smiley.“
Mit dem heutigen Tag beginnt der Hohe Advent, so heißt die letzte Woche vor Weihnachten. Hoher Advent, denn es ist höchste Zeit! Die Weihnachtsmenschen finden schon fröhlich triumphierend selber den Weg. Aber es ist höchste Zeit, zu den Wüstenmenschen zu gehen, und zwar nicht, um sie in Weihnachtsfröhlichkeit zu zwingen.
In der Wüste stehen wir gemeinsam da,
auf den Tresen gelehnt,
mit dem wärmenden Glühwein in der Hand,
Seit an Seit,
und schauen in die finstere, frostige Nacht.
Und die Sterne leuchten in unerhörter Klarheit.
Keine Pappe. Licht!
In dieser Nacht hört die Wüste
nicht auf zu existieren.
Aber sie ist nicht länger trostlos.
Und der Zweifel wird nicht mehr so hungrig sein.
Denn alles kommt zusammen,
das Reden, das Zuhören,
das Dasein, die Sterne.
Und es macht wie Manna
das Herz ein wenig satt.
Ein bisschen. Für den Moment.
Ich summe.
Und ich summe für dich mit.
Amen.
Lesungen
Jes 40,1-11 und Lk 1,67-80
Liedvorschläge
freiTöne 58 „Die Wüste vor Augen“
EG 10 „Mit Ernst o Menschenkinder“
EG 16 „Die Nacht ist vorgedrungen“
EG reg. „Stern über Bethlehem“, Strophe 1