„Ausrufezeichen?!“ – Predigt zu Römer 12, 9-16 von Dörte Gebhard
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus, Amen.
Liebe Gemeinde,
Den lautesten Predigttext seit langem haben wir vor uns! Keine stille, heilige Nacht, keine besinnlichen Tage, sondern Worte wie Posaunen. Die ganze Zeit ausschliesslich Aufforderungen, Anweisungen, Ermahnungen. Und befohlen wird, was sich nicht befehlen lässt. Die Liebe kann man doch nicht anordnen! Geduld kann man nicht plötzlich diktieren. Hoffnung ist nicht auf Kommando da.
Es ist mir zu laut!!! Drei Ausrufezeichen! Es ist mir auch zu viel!!! Wieder drei Ausrufezeichen!
Der Abschnitt aus dem Römerbrief hat, je nach Übersetzung, mehr als ein Dutzend Ausrufezeichen! Das ist ziemlich abschreckend, nicht wahr?!
-Aber nur für uns! Nur in unseren Übersetzungen!
Beim Apostel Paulus ist davon noch nichts zu sehen. Sein Brief an die Römer kommt gänzlich ohne Ausrufezeichen aus. Aber das ist kein Wunder. Paulus schrieb zu einer Zeit, da war das Ausrufezeichen noch gar nicht erfunden. Paulus schrieb überhaupt, wie in der Antike üblich, ohne Punkt und Komma, ja sogar ohne Leerzeichen zwischen den Worten.
GARNICHTSOLEICHTEINENTEXTOHNEPUNKTUNDKOMMAZULESENODERSOGAROHNELEERZEICHENSTIMMTSDOCHMANCHEMÖNCHEIMFRÜHMITTELALTERMUSSTENSICHMITGENAUSOLCHENBUCHSTABENKETTENHERUMÄRGERNSIEWARENKOPISTENDIEBÜCHERABSCHREIBENSOLLTENZUMGLÜCKERFANDENSIEIRGENDWANNKleinbuchstabenunddas Leerzeichen Und nach und nach gesellten sich auch Punkte, Kommata und andere Satzzeichen hinzu.1
Solche Texte sparen Platz und auch Papier. Aber das machte die Lektüre seiner Briefe keineswegs leichter. Erst im Mittelalter machten sich die Vorleser und die Abschreiber Zeichen, wo man am besten mal Luft holt – aber jeder verwendete seine eigenen Striche und Punkte. Es dauerte Jahrhunderte, bis man sich auf ein paar allgemeingültige Satzzeichen geeinigt hatte.
Das allererste und damit älteste Ausrufezeichen steht wohl in Johann Fischarts „Ehezuchtbüchlein“ mit dem wohlklingenden und vielversprechenden Titel: „Flöh-Hatz/Weiber-Tratz“. Ist das ein Zufall? Das erste Ausrufezeichen in einem Reglement für die Ehe?! Fragezeichen! Eventuell: Ausrufezeichen!
Dieses wahrscheinlich wegweisende Werk erschien 1573. Richtig verbreitet hat sich unser Ausrufezeichen dann erst im 17. Jahrhundert.2 Es ist also ein ziemlich junges Ding zwischen unseren altehrwürdigen Buchstaben. Das erste Ausrufezeichen in einer Bibel ist erst von 1797. Noch nicht so lange her! Wir haben hier in Schöftland eine sehr alte Lutherbibel von 1563, noch ohne ein einziges Ausrufezeichen; nicht in den zehn Geboten, nirgends.
Wir halten fest: Man muss nicht rufen und schreien. Paulus’ Worte kann man auch leise lesen, ohne dieses Blitzgewitter von Ausrufezeichen.
Hören wir Paulus’ Worte nochmals, nun in der Übersetzung von Karl Barth. Seine Übersetzung ist genau 100 Jahre alt und entstand in unserem Nachbardorf, in Safenwil. Barth sparte auch nicht gerade mit Ausrufezeichen, aber ich lese sie nicht mit vor, so dass wir womöglich besser verstehen können, was Paulus vorschwebte – Sie finden den Text auf der Rückseite ihres Blattes.
Die Liebe sei aufrichtig! Verabscheut das Böse, klammert euch an das Gute! Seid gegenseitig zärtlich in der Brüderlichkeit! Kommt euch zuvor in der Ehrerbietung! Seid nicht träge im Ernstmachen! Brennet im Geiste! Dienet der Zeit! Freut euch in der Hoffnung! Beharret in der Bedrängnis! Haltet an im Gebet! Nehmt Anteil an dem, was für die Heiligen getan wird! Pflegt die Gastfreundschaft! Segnet die Verfolger, segnet und fluchet nicht! Freuet euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden! Sinnet gegenseitig auf das Eine, indem ihr nicht nach den Höhen sinnt, sondern euch herabführen laßt in die Niederungen! Folgt nicht eurer zufälligen Einsicht!
(Röm 12, 9-16, Übersetzung Karl Barth, Römerbriefkommentar)
Die Gottesdienstgemeinde hat den Predigttext schriftlich vor sich:
DIELIEBESEIAUFRICHTIGVERABSCHEUTDASBÖSEKLAMMERTEUCHANDASGUTESEIDGEGENSEITIGZÄRTLICHINDERBRÜDERLICHKEITKOMMTEUCHZUVORINDEREHRERBIETUNGSEIDNICHTTRÄGEIMERNSTMACHENBRENNETIMGEISTEDIENETDERZEITFREUTEUCHINDERHOFFNUNGBEHARRETINDERBEDRÄNGNISHALTETANIMGEBETNEHMTANTEILANDEMWASFÜRDIEHEILIGENGETANWIRDPFLEGTDIEGASTFREUNDSCHAFTSEGNETDIEVERFOLGERSEGNETUNDFLUCHETNICHTFREUETEUCHMITDENFRÖHLICHENWEINTMITDENWEINENDENSINNETGEGENSEITIGAUFDASEINEINDEMIHRNICHTNACHDENHÖHENSINNTSONDERNEUCHHERABFÜHRENLASSTINDIENIEDERUNGENFOLGTNICHTEURERZUFÄLLIGENEINSICHT
(Röm 12, 9-16, Übersetzung Karl Barth, Römerbriefkommentar, hier aber ohne Leer- und Satzzeichen wie zur Zeit des Paulus griechisch üblich)
Liebe Gemeinde
Ohne einen Haufen Ausrufezeichen klingt das Ganze ganz anders. Paulus möchte ermutigen und ermuntern, er hat Hoffnung und ziemlich viele gute Wünsche für die Gemeinde in Rom. Er will etwas anstossen, fördern, unterstützen, natürlich auch einprägen, sogar sehr nachdrücklich. Halbe Sachen sind nicht sein Ding. Aber es ist ihm mehr als sonnenklar, dass man Glaube, Liebe, Hoffnung nicht einfach gebieten kann, nicht mit allen Imperativen und Ausrufezeichen dieser Welt.
Paulus malt die Liebe aus, er tut es in konzentrischen Kreisen, beginnend in der Gemeinde (1), bei den Geschwistern in Christus, dann kommt die Liebe zu den Fremden (2), zuletzt die Liebe zu den Feinden (3).
Ich beginne wie Paulus bei der Liebe im engsten Kreis. Die Liebe sei aufrichtig, ganz wörtlich: Die Liebe sei ohne Schauspielerei. Heute kann man ergänzen: Euer Theatertalent, auch eine Gabe Gottes, bewahrt euch auf für das Krippenspiel, dort ist es genau am richtigen Ort. Die Liebe aber sei ohne Masken. Obwohl wir Nettigkeit und etwas Naivität manchmal für Liebe halten, auch das sollen wir uns abschminken.
Liebe ohne Masken aber kann sich nicht verstellen, man sieht und spürt dann auch, wo sie das Böse verabscheut. Lieb sein heisst nicht, zu allem JA und AMEN sagen. Die Liebe ist eine gewaltige Kraft, aber ohne mächtige Gewalt, sie muss sich an das Gute klammern. Paulus nennt die unmittelbaren Konsequenzen aus aufrichtiger Liebe, verlangt nicht Liebe und dann noch dies und das und noch viel mehr. Alles, was er aufzählt, gehört zur Liebe.
Die Brüderlichkeit soll demnach etwas Zärtliches sein, so übersetzt Barth gegen den Trend in jedem Indianerfilm. Keine Blutsbrüderschaft mit hohoho und hehehe, kein Geschrei, lauter als die Pferde und der Lärm im Saloon. Eben kein Ausrufezeichen. Eine Bitte um Geschwisterlichkeit, die auch im Stillen da ist.
Alles Weitere gehört auch zur Liebe: Kommt euch zuvor in der Ehrerbietung. Seid nicht träge im Ernstmachen. Haltet euch gegenseitig die Tür auf und haltet vor allem, was ihr versprecht. Brennt im Geiste. Auf Begeisterung kann man nur hoffen, nicht herbeizwingen. Aber es ist so wunderbar bei Menschen, die nicht so viel müssen, sondern eine Menge können und es drum gern machen.
In Zürich gibt es die Wohnheime im Seefeld. Dort haben Erwachsene mit geistiger oder psychischer Behinderung ihr besonderes Daheim, manche schon seit Jahrzehnten. Mit einer kleinen Gruppe Studierender waren wir dort vor längerer Zeit zu Gast. Die Lebenslust in dieser Wohngemeinschaft, die Begeisterung über unseren Besuch haute uns fast aus den Puschen!
Hinter diesem Satz ist ein Ausrufezeichen nötig!
Der Leiter der Wohnheime fragte uns, was wir eigentlich „normaler“ finden: die Gesichter und Gestalten morgens bei den vielen Pendlern in der S-Bahn oder die Stimmung hier? Er sei sich jedenfalls in der Früh auf dem Weg zur Arbeit nicht immer sicher, wo die Menschen mit Behinderung sind, dort oder hier?!
Überall roch es nach Leim und Lack. Riesige, farbige Bilder hatten sie gemalt, ehe wir kamen. Und die Lehrerin für Kunst erzählte uns, dass es einen gigantischen Unterschied gibt zwischen den zwei Orten, an denen sie unterrichtet: in die Volkshochschule kommen viele, die dann zunächst alles aufsagen, was sie noch nie gemacht haben, was sie nicht können. Im Wohnheim sei ihr das in 20 Jahren noch nie passiert, dass jemand gesagt habe „Ich kann das nicht!“ Im Gegenteil, alle machen sich ans Werk, die meisten voller Freude und Hoffnung, dass sie staunen müsse. Sie sind mit Liebe dabei.
Für Paulus gehört das anhaltende Gebet zur Liebe, die nun (2) nicht nur den Geschwistern gilt. Nehmt Anteil an dem, was für die Heiligen getan wird! Das Wort „Christen“ war noch nicht erfunden, drum spricht der Apostel immer von den Heiligen, wenn er die Gemeindeglieder nah und fern meint. Nehmt Anteil an dem, was für die Heiligen getan wird! Wenn es um Geld geht, drücken auch wir uns manchmal nebulös aus. Paulus schreibt zwischen den Zeilen:
Es wäre gut, wenn ihr euch an der Kollekte für notleidende Gemeinde beteiligt.
Pflegt die Gastfreundschaft! Das scheint sehr viel klarer und tönt ziemlich selbstverständlich. Ist es aber nicht, war es auch damals nicht. Unser Wort Gastfreundschaft heisst auf griechisch Fremdenliebe.
Pflegt die Fremdenliebe! Das klingt ungewöhnlicher und gar nicht selbstverständlich. Denn Fremde gibt es immer zwei Sorten. Die einen, die uns neugierig machen, die wir gern kennenlernen, deren Rezepte wir aus den Ferien mit nach Hause nehmen, wenn wir ihre besondere Gastfreundschaft genossen haben. Und die anderen, die unsere fremden Nachbarn sind, von denen wir viel zu wissen meinen, aber sie fast nicht kennen.
Fremdenliebe meint tatsächlich alle Fremden, auch diejenigen, die unangemeldet an die Tür klopfen, wie Maria und Josef, von denen wir kürzlich zu Weihnachten hörten, wie Abram, der als Wirtschaftsflüchtling in ein fremdes Land zog und blieb, bis eine Hungersnot ihn weiter nach Ägypten führte. Aber das ist natürlich schon sehr lange her, dass Menschen Richtung Afrika flohen (Gen 12 und Mt 2). Paulus war in Europa überall ein Fremder, seit er aufgebrochen war, das Evangelium unter die Leute zu bringen.
Fremdenliebe ist eine bleibende Herausforderung. Gelegenheiten zur Fremdenliebe ergeben sich nach wie vor fast wie von selbst, obwohl es inzwischen Hotels gibt, von denen Paulus nichts in seinen kühnsten Träumen ahnte.
Fremdenliebe erfordert viel Begeisterung für das Ungewöhnliche, braucht jede Menge Geduld nach dem ersten Erstaunen mit all’ den vielen Unterschieden. Fremdenliebe braucht Hoffnung und Beharrlichkeit – viel mehr als man sich am Anfang des Deutschunterrichtes vorstellen kann. Gelebte Fremdenliebe erfordert auch manche Kollekte. Am meisten aber kostet Fremdenliebe Zeit. Jeder Behördengang, die Wohnungs- und die Stellensuche sind zeitraubende Angelegenheiten. Nervig.
Aber das alles hatte Paulus ja von der Liebe schon geschrieben, weil es auch in der Gemeinde gilt. Nichts Neues kommt dazu.
Die Fremdenliebe ist aber nur die Zwischenstation auf dem weiten Weg zur Feindesliebe (3).
Segnet die Verfolger, segnet und fluchet nicht! In der Bergpredigt lassen sich die ersten Konsequenzen dieser sehr einseitigen Liebe ausrechnen. Man wird zweimal geschlagen, man geht doppelt so weit, man verliert mehr als der Dieb ursprünglich gestohlen hatte (Mt 5). Man gewinnt mit Feindesliebe nicht unbedingt einen neuen Freund.
Nur einer hat bisher auf Erden die Feindesliebe wahrhaftig durchgehalten: Jesus Christus selbst. Feindesliebe, wenn sie beharrlich ist, wenn sie mit Begeisterung gelebt wird, wenn sie nicht träge ist im Ernstmachen, wenn sie die Verfolger segnet, nicht verflucht ... solche Feindesliebe führt ans Kreuz.
Nein, nun verwechseln wir lieb sein nicht mehr mit nett sein. Wir haben die aufrichtige Liebe so vor Augen, das es nicht schwer ist, das Böse zu verabscheuen und sich an das Gute zu klammern ..., und wir erkennen alles andere auch, was Paulus ja von der Liebe schon geschrieben hat. Dafür brauchen wir nicht einmal ein Ausrufezeichen.
Gott hat zuerst geliebt. Aufrichtig. Nochmal: Liebhaben heisst nicht harmlos nett sein. Das Böse verabscheut er. Auch er klammert sich an das Gute. ... So folgen wir nicht unserer zufälligen Einsicht, wie Paulus zuletzt bittet, sondern glauben Gottes Liebe –
und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
1 I https://www.bel-montessori.at, abgerufen am 17. 1. 2019. Dieses Beispiel bekommen die Gottesdienstbesucher im Grossdruck ausgehändigt.
2 I Quelle: Duden. Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen. Mit umfangreicher Beispielsammlung, Dudenverlag, 1998, S. 9.
Link zur Online-Bibel
Die eine Hoffnung – Predigt zu Römer 15,4-13 von Rainer Kopisch
Liebe Gemeinde,
auf dem Kinderkanal im Fernsehen war am letzten Sonntag unser deutscher Astronaut Alexander Gerst zu sehen. Für die "Sendung mit der Maus" hatte er Maus und Elefant in Puppengröße mit in den Weltraum genommen. In der Kuppel der Weltraumstation zeigte er ihnen und den Kindern am Fernseher den Ausblick auf die Erde und deutete auf den schmalen blauen Rand, der die Erde umgibt. Das ist die dünne Schicht der Luft um die Erde, erklärte er.
Er fragte: „Wie gehen die Menschen mit der Erde um?“ Er zeigte Aufnahmen aus dem Weltraum: Bilder von abgeholzten Waldflächen am Amazonas und von Smogwolken aus Abgasen über einer Großstadt. Wir Christen glauben, dass Gott uns die Erde als Heimat für unser Leben zwischen Geburt und Tod gegeben hat.
Mit der Schöpfung hat unsere Geschichte mit Gott angefangen. Ob diese Geschichte auch für uns persönlich zur Heilsgeschichte wird, liegt an uns und wie wir unser Leben und damit unsere Geschichte mit Gott gestalten.
Die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen beginnt mit der Erschaffung des Menschen. Damit es aber eine Heilsgeschichte bleibt, hat Gott sich immer wieder zu Wort gemeldet. Darauf bezieht sich der Apostel Paulus, wenn er an die Gemeinde in Rom schreibt. Hören Sie die Verse 4 bis 13 aus dem 15. Kapitel seines Römerbriefes:
Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zur Gottes Ehre. denn ich sage: Christus ist der Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind. die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): „Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“ Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): „Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“ Und wiederum (Psalm 117,1): „Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!“ Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): „Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.“ der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Paulus nennt das Haben der Hoffnung als das Geschenk für unsere Bereitschaft, uns dem Wort Gottes zu widmen. „Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.“
Woher kommt die Geduld und der Trost der Schrift? Sie kommt von Gott, dem Gott der Geduld und des Trostes. Paulus wünscht der Gemeinde in Rom, der Gott der Geduld und des Trostes möge ihr geben, dass ihre Glieder untereinander einträchtig gesinnt seien, wie es Christus Jesus entspricht. Er nennt dies als Voraussetzung für das einmütige Lob Gottes, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Wenn sich der Wunsch des Paulus für Sie, liebe Gemeindeglieder, als sehr konzentrierend und kräftig anhört, haben Sie die Gefühlsstimmung des Wunsches zutreffend aufgenommen.
Paulus stellt die Einzigartigkeit des Gottesgeschenkes der Hoffnung als verbunden mit ihrer Wirkung auf Christen dar. Diese Hoffnung bewirkt ohne unser Zutun eine Einmütigkeit im Lobpreis Gottes. Es ist die Einmütigkeit von Christen, die um die Bedeutung der Heilsgeschichte Gottes wissen, die im Evangelium von Christus Jesus zum Ende gekommen ist. Darum schreibt Paulus den Zusatz „wie es Christus Jesus entspricht“.
„Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zur Gottes Ehre.“ Es gibt für Christen nur die eine Möglichkeit, einander zur Ehre Gottes „und Christi“ (füge ich dazu) anzunehmen, das ist die Möglichkeit der Liebe Gottes durch uns hindurch. Da es Menschen manchmal persönlich nicht gut geht, sollten wir niemals Gegenliebe für uns selbst erwarten.
Wenn wir als Christen mit Gott leben wollen, sollten wir uns über eines klar sein: Es geht nicht um uns und unsere Wünsche, sondern um den Willen Gottes. Deswegen beten wir im Vaterunser: Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Martin Luther macht uns im Kleinen Katechismus darauf aufmerksam, dass wir darum bitten, dass Gottes Wille bei uns geschieht. Oder anders ausgedrückt: dass wir nach Gottes Willen fragen und ihm folgen.
Der Apostel Paulus, auch Apostel der Heiden genannt, wuchs in einer strengen jüdischen Tradition auf, er kannte die Schriften und die Messias-Erwartungen des jüdischen Gottesvolkes. Darum ist es nicht erstaunlich, dass er die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk durch das Heilsgeschehen des Evangeliums von Jesus Christus an ein Ende gekommen und die Messias-Erwartungen erfüllt sieht.
„Das Messiasverständnis wird aus seiner nationalpolitischen und nationalreligiösen Bedeutung gelöst, und die menschheitsgeschichtliche Bedeutung des Messias wird bezeugt und entfaltet. Das ist die besondere theologische Leistung des Paulus.“ Das schreibt Walter Grundmann im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament, Band 9 von 1973.
Paulus zeigt uns für seine neue Sicht Bibelstellen aus dem Alten Testament.
Zunächst sagt er: „Christus ist der Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind.“
Christus ist als Jude geboren, um die Verheißungen Gottes an sein Volk einzulösen. Er wird aber über die Grenzen des Jüdischen Volkes hinaus auch Christus der Heiden-Völker.
Paulus zitiert den Psalm 18 (18,50): „Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“
Dann gibt er eine Bibelstelle aus dem 5. Buch Mose (32,43) wieder: „Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“
Und wiederum (Psalm 117,1): „Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!“
Alles noch einmal zusammenfassend zitiert Paulus aus dem Prophetenbuch des Jesaja (Jesaja 11,10):
„Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.“
Es ist der zehnte Vers aus der Weissagung des Jesaja vom Messias und seinem Friedensreich.
Zu Weihnachten werden sie die beiden Anfangsverse wieder hören: „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhn der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.“
Wenn Sie zu Weihnachten „Es ist ein Ros entsprungen“ gemeinsam mit anderen singen, werden Sie das erleben können, was Paulus mit einmütigem Lob Gottes gemeint hat.
Es ist das eher seltenes Erlebnis von Freude und Friede, mit Gott und anderen Menschen eins zu sein.
Wie natürlich ist es ein himmlisches Gefühl, das in unseren Herzen aufblüht. Es ist aber kein kindliches oder kindisches Gefühl, nur weil es uns zuerst begegnet ist, als wir noch Kind waren.
Uns Erwachsenen kann dieses himmlische Gefühl zum zentralen Gefühl unseres Glaubens werden, weil es uns bestätigt, dass wir mit unserer Hoffnung auf Gott auf dem richtigen Weg durch unser Leben sind. „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben,
dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.“
Diesem Wunsch des Apostels Paulus schließe ich mich aus vollem Herzen an.
Es gibt, auch für die Zeit um das Weihnachtsfest herum, keinen besseren Wunsch
Amen
Link zur Online-Bibel
Der Messias – ein Judenknecht – Predigt zu Römer 15,4-13 von Matthias Loerbroks
Denn was zuvor geschrieben wurde, wurde uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Beharrlichkeit und die Ermutigung der Schriften die Hoffnung haben. Der Gott aber der Beharrlichkeit und der Ermutigung gebe euch, untereinander dasselbe zu sinnen – gemäß dem Christus Jesus; dass ihr einmütig mit einem Mund den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus verherrlicht. Darum nehmt einander an, wie auch Christus euch angenommen hat zur Verherrlichung Gottes. Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Treue Gottes willen, um die Verheißungen an die Väter zu bekräftigen. Die Völker aber sollen Gott verherrlichen für sein Erbarmen, wie geschrieben ist: darum will ich dich bekennen unter den Völkern und deinem Namen Psalmen singen. Und wiederum heißt es: freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk. Und wiederum: Lobt den Herrn, alle Völker, lobpreisen sollen ihn alle Völker. Und wiederum spricht Jesaja: die Wurzel Isais wird da sein, aufstehen wird er, um über die Völker zu herrschen. Auf ihn werden die Völker hoffen. Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, auf dass ihr reich seid in der Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.
Die Adventszeit ist nicht, jedenfalls nicht vor allem, innerliche und äußerliche Vorbereitung des Weihnachtsfests, obwohl besonders Letzteres ja immer ein bisschen unvermeidlich ist, sondern die Zeit, in der wir kräftiges und beharrliches Hoffen lernen. Im Advent werden wir aufgerüttelt und aufgestachelt, werden gestört in unserem Hang zur Resignation – man kann ja nichts machen – und zur Genügsamkeit: bloß nicht zu viel erwarten, um nicht enttäuscht zu werden. In den Bibeltexten unserer Adventsgottesdienste werden wir daran erinnert, dass Gott mehr versprochen hat, dass darum auch mehr von ihm zu erwarten ist als das, was Weihnachten, was mit der Geburt, mit dem Kommen Jesu Christi schon geschehen ist. Es kann ja keine Rede davon sein, dass mit diesem Ereignis bereits alles eingetroffen ist, was in den biblischen Schriften verheißen ist. Sondern es ist so, dass diese Verheißungen durch das Kommen Jesu bestätigt, bekräftigt, befestigt wurden. Seit Christi Geburt leben wir darum nicht in einer Zeit der Erfüllung, sondern erstrecht in einer Zeit der Erwartung. Die Adventszeit ist ein kurzer Grundkurs, um Hoffnung zu lernen, Erwartungshaltungen, ein inzwischen ja leider verpöntes Wort, einzuüben, eine Sonntagsschule der Hoffnung in vier Lektionen.
Der erste dieser Sonntag erinnert mit seiner Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem, seiner Begrüßung als und Proklamation zum König an den Palmsonntag, den Beginn der Karwoche, und so lernen wir, dass sein Leiden und Sterben die Hoffnungen, die er geweckt hatte, nicht widerlegen; dass sie im Gegenteil gerade seine Art und Weise sind, sein Königtum, das Reich Gottes durchzusetzen: seine Kreuzigung als Repräsentant seines Volkes macht ihn auch zum Befreier der Völker: der König der Juden ist zugleich der Heiden Heiland.
Am zweiten Adventssonntag geht es tatsächlich um den zweiten Advent Jesu Christi, seine zweite Ankunft, sein Wiederkommen: die Hoffnung, dass Gott durch seinen Sohn Jesus Christus diese Welt zurecht bringen, zufrieden machen, also Recht und Frieden durchsetzen, das Regime des Todes stürzen, allem Leid, allem Schmerz ein Ende machen wird, indem er einen neuen Himmel, eine neue Erde, eine neue Welt herbeiführt. Siehe, ich mache alles neu – das ist die Überschrift, das Ziel der apokalyptischen Visionen der Bibel, und so erinnert der zweite Advent ans Ende des Kirchenjahrs, den Ewigkeitssonntag. Wir lernen, uns nicht abzufinden mit der Welt wie sie ist, mit der Kirche wie sie ist, auf Jesus nicht nur erinnernd zurückzublicken, sondern ihm entgegenzusehen und entgegenzugehen: was immer noch auf uns zukommt, am Ende kommt Jesus auf uns zu, er ist unsere Zukunft. Angesichts der Katastrophen, die wir erleben und die uns bevorstehen, die wir etwas gedankenlos apokalyptisch nennen, sollen wir nicht ängstlich und bedrückt den Kopf einziehen, im Gegenteil: seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung, eure Befreiung naht.
Am heutigen dritten Adventssonntag lernen wir, dass wir diese Verheißungen nicht nur froh und erleichtert hören, sondern auch etwas tun können, dem Kommenden den Weg bereiten, mindestens Hindernisse wegräumen, unsere Hoffnungen nicht nur mit Worten bezeugen, sondern tatkräftig. Die Adventszeit ist ja nicht nur Lernzeit, sondern auch eine Zeit der Umkehr: angesichts der hoffnungsvollen Perspektiven, die uns verkündet werden, können wir von Irrwegen und Sackgassen, in die wir mangels Orientierung geraten sind, umkehren, Wege mit Zukunft gehen und bahnen: macht alle Bahnen recht, die Tal lasst sein erhöhet, macht niedrig, was hoch stehet, was krumm ist, gleich und schlicht. Es war ein Prophet im babylonischen Exil, in dem es den Juden zwar materiell nicht schlecht ging, sie aber an geistiger Dürre, seelischer Verwüstung litten, der diese kühne Vision aussprach: der Gott Israels, der doch Himmel und Erde gemacht hat, will die neue Welt nicht ohne uns, an uns vorbei, über unsere Köpfe hinweg schaffen, sondern mit uns, traut und mutet uns zu, ausgerechnet in der Wüste ihm den Weg zu bereiten, Berge von Problemen wegzuräumen, trennende Schluchten und Abgründe aufzufüllen. Johannes der Täufer hatte diese prophetische Trostbotschaft für seelisch und geistig Verwüstete aufgegriffen, indem er demonstrativ in die physische Wüste ging, und die Aufforderung zum Erniedrigen und Erhöhen gesellschaftlich und politisch verstanden und verkündet: wer hat, gebe dem, der nicht hat.
Zur Wegbereitung des Kommenden, zum Wegräumen von Hindernissen wird uns nun im heutigen Predigttext vielleicht etwas überraschend noch ein anderes Betätigungsfeld empfohlen: das Verhältnis zwischen Christen und Juden, zwischen Israel und den Völkern, eine Geschichte, in der es in den Jahrhunderten des Christentums in der Tat zu besonders grässlichen Verwüstungen gekommen ist, was Paulus zwar noch nicht wissen konnte, aber wohl schon ahnte, jedenfalls gerade im Römerbrief abwenden wollte.
Zunächst: was zuvor geschrieben wurde, die Hebräische Bibel, unser so genanntes Altes Testament, wurde uns zur Lehre geschrieben. Wir Christen aus der Völkerwelt gehen in die Judenschule, wenn wir Bibel lesen, lernen wie Einwanderer nicht nur die Geschichte, sondern auch die Eigenarten, die Denkweise, die Wahrnehmung von Gott, Welt und Mensch unserer neuen Umgebung kennen. Mit den Worten eines großen Paulusschülers: zuvor wart ihr ohne Christus, getrennt von der Bürgerschaft Israels und fremd den Bundesschlüssen der Verheißung, hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt, nun aber seid ihr nicht mehr Fremde, sondern Mitbürger der Heiligen (Israels) und Hausgenossen Gottes. Bibel lesen, die Hebräische Bibel lesen, so sagt es hier Paulus selbst, macht beharrlich, macht Mut, macht Hoffnung: dass wir durch Beharrlichkeit und die Ermutigung der Schriften die Hoffnung haben. Und die macht uns Jesusanhänger aus den Völkern fähig und bereit dazu, zusammen mit den Juden nicht nur einmütig, sondern wie aus einem Mund den Gott Israels, den wir als Vater Jesu Christi kennengelernt haben, zu loben und zu preisen.
Jesus, so hat es Paulus in seinem langen Römerbrief dargelegt und fasst es jetzt zusammen, hat große, entscheidende Bedeutung für Israel und für die Völker, aber nicht dieselbe. Ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Treue Gottes willen, um die Verheißungen an die Väter zu bekräftigen. Der Herr als Knecht, der Messias als Judenknecht, der König der Juden als Diakon seines Volkes. Wir sind es gewöhnt, das Verhältnis der beiden Teile der Bibel als Verheißung und Erfüllung zu beschreiben, aber für Paulus ist Jesus nicht die Erfüllung dieser Verheißungen, sondern ihre Bestätigung und Bekräftigung. Und das ist nicht wenig: dass Gott durch sich selbst in seinem Sohn seinen Bund mit Israel auf ewig fest macht, unabhängig von der Bundestreue oder -untreue Israels, ist etwas Großes und ist jedenfalls die Bedingung der Möglichkeit, auch uns in diese Geschichte hineinzuziehen. Denn für uns aus den Völkern bedeutet Jesus etwas anderes: wir erleben ein völlig überraschendes Erbarmen des uns zuvor weitgehend unbekannten Gottes Israels; wir kommen zur Bundesgenossenschaft mit diesem Gott – adventlich, weihnachtlich ausgedrückt – wie die Jungfrau zum Kind. Mit den Worten des greisen Simeon im Lukasevangelium: Christus ist ein Licht zur Aufklärung der Völker und zum Preis deines (Gottes) Volkes Israel. Christus ist gekommen, so sagt es der schon genannte Paulusschüler im Epheserbrief, und hat Frieden verkündet, euch, die ihr fern wart – also uns –, und Friede denen, die nahe waren – seinem Volk Israel.
Dass die Völker hinzukommen, dass es jedenfalls in fast allen Völkern eine Fraktion gibt, die zusammen mit den Juden den Gott Israels anbetet, lobt und preist, das versteht Paulus als einen Dienst des Christus an den Juden. Denn die Christen aus den Völkern können ja dazu beitragen, dass Israel errettet wird von seinen Feinden und aus der Hand aller, die es hassen; dass es, der Hand der Feinde entrissen, ohne Furcht seinem Gott dient, wie wir es vorhin im Evangelium hörten. Dass das bisher nicht geschehen ist, liegt an uns, nicht an Jesus, und zeigt uns, wo das Evangelium zur Umkehr von unseren Irrwegen hin zu Wegen mit Zukunft leitet, und auch zu dieser Umkehr und Wegbereitung gehört die Erniedrigung der Hohen und Hochmütigen, die Erhöhung der Erniedrigten, Gedemütigten. Denn Paulus sieht in der Diakonie des Christus für die Juden auch eine Platzanweisung für uns Christen. Er hat darum in all seinen Völkergemeinden eine Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem, stellvertretend für ganz Israel, gesammelt: wenn die Völker von Israels geistlichen Gütern profitieren, ist es nur recht und billig, wenn Israel von den materiellen Gütern der Völker profitiert.
Paulus zitiert aus allen drei Teilen der Hebräischen Bibel: aus der Tora, aus den Propheten, aus den Schriften, um deutlich zu machen: das ist zwar Israels Bibel, handelt von der Entstehung und dem Werdegang dieses Volkes unter den Völkern, doch die anderen Völker sind in allen ihren Teilen im Blick in der Erwartung, auch sie werden sich aufklären lassen von dem Licht, das Israel aufgegangen ist. Und das ist auch uns zur Lehre geschrieben: Advent ist nicht nur die Zeit der Erinnerung daran, was wir noch zu erwarten haben, sondern auch daran, was von uns zu erwarten ist. Die Schriftzitate zeigen: wir werden erwartet.
Besonders sein Torazitat aus dem 5. Buch Mose ist so etwas wie die Überschrift des ganzen Römerbriefs, ja des ganzen Evangeliums von Jesus Christus: Freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk! Paulus schließt mit einem Segenswunsch, in dem er die Verheißung aus dem Jesajabuch, auf ihn werden die Völker hoffen, mit dieser Freude verbindet: Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und mit Frieden im Glauben, auf dass ihr reich seid in der Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.
Von dieser Freude – freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk! – dann mehr am nächsten, am vierten Adventssonntag, der vierten Lektion unserer Hoffnungssonntagsschule, wenn uns wiederum Paulus zurufen wird: Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: freuet euch! Der Herr ist nahe.
Amen.
Vorschläge zum Gottesdienst
Begrüßung mit Jesaja 40,3.10
1. Lied: 10,1-3 oder 281,1.2.5
Psalm 85,2-8
Gebet
1. Lesung: Jesaja 40,1-11
Da der Predigttext ein Paulustext ist, sollte die Lesung nicht noch ein Paulustext sein. Stattdessen schlage ich die AT-Lesung vor, zumal sie den Wochenspruch im Zusammenhang hören lässt.
2. Lied: 11,3-5 oder 7,4.5 oder 14,2.3 oder 286
2. Lesung: Lukas 1,67-79
3. Lied: 20,1-3 oder 39,4.5 oder 74 oder 323,2
Predigt
4. Lied: 293 oder 326,5.6.8 oder 317,5
Abkündigungen
5. Lied: 11,7-10 oder 365,1-4
Gebet, Vaterunser
6. Lied: 10,4 oder 14,5 oder 241,8
Segen
Link zur Online-Bibel
20.01.2019 - 2. So. nach Epiphanias
Vor allem nicht so viel Angst haben - Predigt zu Röm 13, 1-7 von Susanne Ehrhardt-Rein
Nina will Polizistin werden.
Jonas studiert Jura und wäre später gern Richter.
Felix ist in eine demokratische Partei eingetreten, vielleicht stellt er sich irgendwann zur Wahl für ein politisches Amt.
Drei Menschen, am Anfang ihres Erwachsenenlebens, die sich engagieren. Alle drei sind getauft, christlich geprägt in ihren Familien und ihren Gemeinden. Sie denken nicht daran, dem gesellschaftlichen Leben nur zuzusehen. Sie wollen mitmischen, mit entscheiden, mit urteilen. Das Motto: Die da oben machen sowieso nur, was sie wollen – wir hier unten haben eh nichts zu melden – dieses Motto passt nicht in ihre Lebenspläne. Diese drei Menschen wollen genau da hin, wo entschieden, geurteilt, gehandelt wird. Parlament, Polizei, Gericht - Legislative, Exekutive, Judikative – das sind die drei Bereiche der staatlichen Gewalt in einer Demokratie, in unserer Demokratie. Das ist Obrigkeit. Ob die drei das selbst so sehen: „Wir sind Obrigkeit.“?
Wenn ich an die drei denke, wird mir klar: Die da oben – wir hier unten – das ist zu kurz gedacht, zu vereinfacht und undifferenziert. So funktioniert staatliche Gewalt nicht, jedenfalls nicht hier und heute, bei uns, in einem demokratischen Gemeinwesen. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ So heißt es im Grundgesetz (GG Art. 20, 2). Das ist der Maßstab, ein hoher Anspruch.
Wer Polizistin ist oder Richter, Abgeordneter in einem Parlament oder auch Lehrer oder Schuldirektorin – der und die beteiligt sich an der Gestaltung und Ausübung staatlicher Macht. Ein Glück, dass Nina und Jonas und Felix sich darauf einlassen. Offenbar sehen sie Möglichkeiten, in diesen Berufen und mit ihrem Engagement etwas Gutes zu bewirken. Sie erleben sich nicht als von oben beherrschte Untertanen. Sie wollen mitgestalten. Und sie sehen staatliche Macht offenbar auch nicht als etwas, wovon man sich als Christin oder Christ fernhalten sollte. Sie sehen die Chancen, die sie haben, wenn sie sich beteiligen. Und ich bin heilfroh, dass sie sich auf diese Verantwortung einlassen. Ich bin heilfroh über eine Polizistin, die in der Bibel liest. Über einen Richter, der zum Gottesdienst geht und über einen Abgeordneten, der betet.
Wie sollten Christen zur staatlichen Gewalt und Machtausübung stehen?
Wie steht unser Glaube zur Politik – und was heißt das für unser Handeln, unsere Lebensgestaltung?
Paulus lebte in einer anderen Gesellschaft als wir. Als er an die christliche Gemeinde in Rom schreibt, beherrscht das römische Imperium die Welt rund ums Mittelmeer. Obrigkeit, staatliche Macht – das lag gut strukturiert und zentralisiert in der Hand des Kaisers und seinen Institutionen. Klare Strukturen und klare Machtverteilung, Stabilität und langjähriger Frieden nach außen eingeschlossen. Schwertgewalt hieß aber auch Macht über Leben und Tod der Untertanen. Wer keine Steuern zahlte, wer den Kaiser nicht anerkannte, wer den Aufstand probte – bekam diese Gewalt zu spüren. Der Prozess gegen Jesus von Nazareth verlief nach römischen Prinzipien, sein Todesurteil sprach der römische Prokurator Pontius Pilatus. Paulus war gegenüber dieser Staatsmacht sicher nicht blauäugig. Er wusste, welche Grenzen ihm gesetzt waren vom römischen Recht. Aber er wusste auch, welchen Schutz dieses Recht ihm bot. Auf sein römisches Bürgerrecht berief er sich gegen religionspolitische Willkür (Apg 22,25).
An die Gemeinde in Rom schrieb er keine christliche Staatslehre, er stellt in diesem Brief keine politischen Grundsatzprinzipien auf. Ihm ging es um die Frage, wie christliches Leben in diesem widersprüchlichen und oft auch undurchsichtigen Staat gestaltet werden kann. Seine Sicht darauf ist sehr pragmatisch. Wie Christen glauben und leben – das soll eben auch daran sichtbar werden, wie sie sich zum Staat, zur politischen Macht verhalten. Paulus beschreibt in diesem Brief auch die Ansprüche, die er an die staatliche Obrigkeit stellt: „Wo Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.“(V. 1) Das ist die Grundlage. Der Kaiser, die Richter, die Statthalter: sie haben ihre Macht nicht aus sich selbst. Vor allem: Sie sind nicht göttlich. Sie sind menschlich. Sie machen Fehler. Sie haben Macht in die Hand bekommen – und sie werden sich dafür letztlich vor Gott verantworten müssen. Es ist also nicht angebracht, sich vor ihnen zu fürchten.
“Vor denen, die Gewalt haben, muss man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke.“(V. 3)
Gut und Böse unterscheiden – das ist die Aufgabe der Obrigkeit. Dazu hat sie ihre Macht. Was ist gut? Was ist böse? Wie sollen Menschen handeln? Für Paulus gibt es dafür einen klaren Maßstab: das Gesetz, die Thora. Du sollst nicht töten, nicht Falsches über andere reden, nicht fremdes Eigentum dir aneignen. An diesen Maßstab soll die staatliche Macht sich halten und ihn schützen – so, wie alle anderen auch. An die Mächtigen werden von Paulus hier dieselben Maßstäbe angelegt, wie an die „Untertanen“. Jemand muss darauf achten, dass diese Maßstäbe eingehalten werden, das ist die wichtigste Aufgabe staatlicher Gewalt. Recht und Ordnung haben keinen Selbstzweck, sie sollen das Gute schützen, das Böse bestrafen.
Paulus traut der Obrigkeit, unter der er lebt, das offenbar zu. Das ist erstaunlich, vielleicht auch leichtsinnig. Schließlich wird er am Ende doch selbst Opfer der Willkür römischer Staatsgewalt. Das Schwert, das das Gute schützen sollte, hat ihn selbst getroffen. Die Lebensgeschichte des Apostels zeigt hier vielleicht deutlicher als seine Worte, wie staatliche Gewalt missbraucht werden kann: Wenn Kaiser und Staat sich selbst für göttlich halten, für unfehlbar und allmächtig, dann missbrauchen sie ihre Macht. Dann schützen sie das Gute nicht, sondern nützen nur sich selbst. Dann müssen Christen ihnen auch wiedersprechen.
„Steuer, wem Steuer gebührt.“Anbetung gebührt ihm nicht, diesem Staat, damals nicht und heute auch nicht. Ein Staat, der Glaubensbekenntnisse fordert, ist für Christen – und für alle anderen auch – eine Zumutung. Einem Staat, der das Gute nicht schützt, gebührt weder Furcht noch Ehre.
Und wie stehen wir zu dem Staat, in dem wir heute leben? In einer demokratischen Gesellschaft, die den Anspruch hat, dass in ihr „alle Macht vom Volk ausgeht“. In der es aber auch oft schwierig ist, Gut und Böse zu unterscheiden. In der wir uns nicht so einfach auf die Seite derer schlagen können, die „da unten“ sind. Als ob wir keine Verantwortung hätten und nur „regiert“ werden von „denen da oben“. Also: Was sollen wir tun?
„Vor allem nicht so viel Angst haben.“ Diese Antwort gab der Theologe Karl Barth 1952 auf diese Frage. 1952 – wir erinnern uns: Ein verheerender Krieg lag hinter Europa und der ganzen Welt. Unsägliche Schuld vor allem auf Deutschland. Die Supermächte formierten sich zum Kalten Krieg und zur atomaren Aufrüstung. In Westdeutschland kam das „Wirtschaftswunder“ in Gang und damit Selbstzufriedenheit und Wohlstand. In Ostdeutschland verhärteten sich die ideologischen Fronten. Politisch ganz sicher keine bequeme Situation. Genug Gründe, Angst zu haben.
Mindestens so viele Gründen finden auch wir heute, um Angst zu haben: Vor Klimakatastrophe und Umweltzerstörung. Vor politischer Dummheit und vor den Beschwörern des „Christlichen Abendlandes“. Vor der Verhärtung neuer ideologischer Fronten oder dem sozialen Absturz. Vor „denen da oben“, die ja doch machen, was sie wollen.
Paulus erinnert uns daran, dass „die da oben“ keine Götter sind, sondern Menschen mit Verantwortung. Und er erinnert uns daran, dass wir uns als Christinnen und Christen und als Kirche aus eben dieser Verantwortung nicht verabschieden dürfen. Genauso wie „die da oben“ sind wir, als Bürgerinnen und Bürger dieses Gemeinwesens, mitverantwortlich für die Unterscheidung von Gut und Böse. Den Maßstab für diese Unterscheidung lesen wir einige Verse später im Römerbrief: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ (Röm 13,10)
„Die da oben“ – ob es Nina, Jonas und Felix bewusst ist, dass sie durch ihre Berufswahl und ihr Engagement zur „Obrigkeit“ gehören werden? Sie werden Mut brauchen und Ausdauer. Sie werden Fehler machen und streiten müssen für ihre Maßstäbe von Gut und Böse. Vielleicht werden sie auch angegriffen und infrage gestellt werden. Sie übernehmen Verantwortung, und ihr Glaube wird ihnen dabei helfen – das hoffe ich. „Nicht so viel Angst haben“ – das möchte ich ihnen sagen auf diesem Weg in die Verantwortung – und auch uns, an den verschiedenen Orten, an denen wir arbeiten und leben. Fasst Mut, bleibt beharrlich, macht Fehler und lernt daraus. Habt keine Angst vor der Verantwortung! Und vor allem: Haltet an der Liebe fest, die aus dem Glauben an Jesus Christus wächst.
Amen.
Link zur Online-Bibel
Wollen und Nicht-Können. Und danken - Predigt zu Röm 7, 14-25 von Ferenc Herzig
Liebe Gemeinde, der Predigttext steht im Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom im 7. Kapitel:
14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an. 22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? [PAUSE] 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!
- - - - -
Die 26jährige Schriftstellerin Ronja von Rönne notiert am 15. August: „Das eklige an der Depression ist, wie wenig originell sie ist. Im Bett liegen. Weinen. Auf irgendwas treten. Nicht mehr weinen können. Anrufe ignorieren. Kolumnen absagen […], zwei halbgare Anrufe bei Psychiatern, die nie zurückrufen. Ich weiß, ich weiß, das klingt alles wieder zu zynisch, zu sarkastisch, zu wenig nach dem bewährten ‚Ich bin eine Betroffene‘ – Geständnis-Duktus. Dabei ist die Depression ganz genauso […] lächerlich und sarkastisch wie ich gerade. Die Depression ist kein bunter Bento-Artikel, sie hat keine flickernden GIFs und kein Happy End, das mit dem Aufruf endet, sich einfach Hilfe zu suchen, Krönchen richten, Bussi, weiter gehts, bloß nicht aufgeben, ihr Süßen. Die Depressionen sind viel zu viele viel zu laute Stimmen.“
Und die Poetry-Slammerin und Dichterin Julia Engelmann – ungefähr gleich alt und ihres Zeichens selbst ehemalige Psychologiestudentin – hat ein Album veröffentlicht mit dem Titel „Poesiealbum“. In der Albuminformation schreibt sie, dass ihr das Thema „Mental Health“ am Herzen liege, weil „vor allem junge Menschen zunehmend unter Depressionen leiden“. Auf ihrem Album singt sie dann in einem wenig originellen Lied davon, dass man doch gar nicht traurig sein mss – gibt’s ja auch gar keinen Grund ‘für! Einfach das Fenster aufmachen, Coldplay im Radio laut aufdrehen, frischen Wind herein und die Zweifel rauslassen und sich einreden, dass ja die Sonne scheint und man also auch einfach glücklich sein kann.
Und Paulus schreibt: 14 Wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Das gehört dazu, das muss man nicht wegreden. Gott nimmt das ernst und Gott nimmt Dich ernst auch dann, wenn die Sonne gerade nicht scheint und die Vögel mit ihrem Gezwitscher stark an Deinen Nerven zehren, wenn Du morgens einfach nicht aus dem Bett kommst. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld. Gott kennt das.‘
Und Paulus schreibt: 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Das gehört dazu, das muss man nicht wegreden. Gott nimmt das ernst und Gott nimmt Dich ernst auch dann, wenn Du die Vorhänge zuziehst und den ganzen Tag nur hoffst, dass da keine Mails oder Anrufe kommen. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld.‘
- - - - -
Das andere gibt es auch, und auch das gehört einfach dazu, wenn man Mensch ist. Tun, wollen, lassen, können, und zwar am besten alles auf einmal und sofort. Euphorie, die ins Enthusiastische umschlägt, drei Projekte gleichzeitig und noch zwei in Planung, ein weiteres für nächste Woche zugesagt und am Wochenende die Familie ins Auto gepackt und ins Blaue gefahren; und es funktioniert: Nichts. Und die zweite Frist verstreicht und aus dem Ofen quilt der Qualm des verbrannten Kartoffelauflaufs. Weil alles zu viel ist.
Weil Leben so nicht in den Griff zu bekommen ist, wenn man vor Arbeitsbeginn um Punkt 9 Uhr dringend noch exakt eine halbe Stunde joggen gehen und die Tageszeitung gelesen haben muss. Und zwischen Punkt 9 Uhr und 12 Uhr dann die ersten 30 von hundert Mails geschrieben werden müssen, tausende Zeichen getippt im Sekundentakt. Und dann das Meeting zum Mittagessen mit dem Kollegen, fünf weitere Mails mit der Verwaltung wechseln, zwischendurch und eher aus schlechtem Gewissen statt aus Leidenschaft noch Konzertkarten für das Theater gebucht, zum Wohle der Beziehung und zur Begradigung des Haussegens – was läuft da noch mal? Dann eine Präsentation gehalten und wieder Mails mit den Kollegen aus Übersee gewechselt. Zwischendurch das mittlerweile sehr pappige belegte Brötchen vom Bäcker gegessen, zum Abendbrot im Büro. Dann Theater und nach Hause an den Schreibtisch, Präsentation für morgen vorbereiten. 1 Uhr schlafen. 7.30 Uhr aufstehen, joggen, Zeitung abarbeiten, Emailpostfach öffnen.
Und Paulus schreibt: 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Auch das gehört dazu, wenn man Mensch ist. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld. Gott kennt das.‘
- - - - -
Und dann gibt es auch das – und vielleicht geht auch nur das – was Paulus macht: Laut klagen und sich vor Gott werfen in dieser menschlich-allzumenschlichen Zerrissenheit: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft; und anders geht’s ja nicht. Ich will ja, aber ich kann es nicht – und alleine schon gar nicht. Zwölf Verse lang verzweifeln daran, dass ich so bin, wie ich bin, weil ich ein Mensch bin. Und dann abbrechen. Ausbrechen aus dem Denkzirkel der eigenen Unfähigkeit. Pause machen, das Unmögliche tun.
Danke sagen.
22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? [PAUSE] 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!
Danke sagen. Oder singen:
Es ist das Heil uns kommen her von Gnad und lauter Güte; die Werk, die helfen nimmermehr, sie können nicht behüten. Der Glaub sieht Jesus Christus an, der hat für uns genug getan, er ist der Mittler worden.
Amen.
Link zur Online-Bibel
Hier stehe ich - Predigt zu Röm 7, 14-25 von Dorothee Hermann
Liebe Gemeinde,
vor einem Jahr haben wir groß gefeiert: 500 Jahre Reformation. Inzwischen ist das Verfallsdatum von Lutherbonbons, Lutherlutschern, Lutherkeksen und Luthernudeln abgelaufen, die Luther-Playmobilfigur ist vom Schreibtisch aufs Regal oder in die Spielkiste gewandert. Doch die Luthersocken ziehe ich immer wieder gerne an.
„Hier stehe ich und kann nicht anders" heißt es darauf. Ich weiß, dass dieser Satz mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht von Luther stammt. Dennoch gefällt mir die Luther-Socken-Idee. Standhaftigkeit war ja eines der Anliegen der Reformation. Standhaftigkeit im Glauben, Eindeutigkeit. Was ich sage und tue, soll sich an meinem Glauben an Christus messen und davon erzählen. Luthers reformatorische Gedanken bleiben wichtig, auch nach dem Jubiläum.
Ich ziehe die Socken an, spüre ihre Wärme. Heute möchte ich eindeutig mein Christsein leben. Ich habe Lust, mich in den Begegnungen und Aufgaben des Tages am Leben Jesu zu orientieren. Heute wird es klappen!
Ich kenne die zehn Gebote, das Gebot der Nächstenliebe. Ich bin fasziniert von Jesu Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, ihre Sehnsucht zu erkennen und ihnen neue Lebensmöglichkeiten zu öffnen. Wenn viele das auch so machen oder wenigstens versuchen würden – wie einfach könnte Leben sein, wie gerecht und gut, leicht und voller Freude.
Das Telefon klingelt. Eine Freundin ruft an. Ihre Stimme zittert. „Kommst du heute mal vorbei? Nur ganz kurz. Das wäre schön." Das hatte ich nicht eingeplant. „Vielleicht", sage ich. Und denke: Wie soll das gehen? Ich werde es nicht schaffen. Hier stehe ich und kann nicht anders. Wenn das doch sein einfach wäre.
Warum fällt es mir so schwer zu tun, was mein Herz mir sagt, was dran wäre in Jesu Sinn?
Frustriert möchte ich die Socken wechseln. Ich habe ja doch keine Chance. Ich weiß, was ich tun sollte, doch fast immer kommt was dazwischen. So oft mache ich es anders als ich will.
Doch halt. Könnte es sein, dass der Widerspruch zwischen dem, was ich will und dem, was ich tue, zum Leben als Christ, als Christin dazugehört, unvermeidlich ist? Schließlich bin ich nicht die Erste mit diesen Fragen. Schon der Apostel Paulus kannte sie. In seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom denkt er intensiv darüber nach. Später werden seine Überlegungen Grundlage der reformatorischen Erkenntnisse Martin Luthers.
Ich lese den Predigttext aus dem 7. Kapitel des Römerbriefs:
14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft.
15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.
16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist.
17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.
19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an.
22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.
23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.
24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes?
25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Verstand dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.
„Kommst du heute?" Ich weiß, dass ich kommen sollte.
Ich weiß so oft, was ich tun sollte, wie ich leben sollte: Wie ich gesund leben kann, wie ich mich für eine gerechtere Welt einsetzen und wo ich mich einmischen sollte und wo nicht. Ich weiß etliches über Beziehungen und wie sie gelingen könnten. Und doch klappt es oft nicht. Ich sündige und weiß davon.
Paulus schildert die Sünde wie etwas, das in ihm sitzt und gegen das er keine Chance hat.
Ich brauche mich also gar nicht anzustrengen. Ich werde ja doch immer wieder scheitern. Vielleicht wäre es sogar besser, das Gesetz Gottes gar nicht zu kennen. Denn erst wenn ich ein Gespür, eine Ahnung von Gottes neuer Welt habe, leide ich darunter, dass sie noch nicht da ist.
„Nein, so nicht!" höre ich Paulus sagen. Gott will, dass wir sein Gesetz erfüllen. Gott will, dass es allen seinen Geschöpfen gut geht. Wir scheitern, immer wieder. Doch: Uns daran gewöhnen, abstumpfen, ist nicht sein Wille. Gott ruft jede und jeden beim Namen, ruft jede und jeden in der Taufe als einzigartigen Menschen. Ruft uns in die Nachfolge Jesu Christi, in seine Spuren. Gott möchte, dass wir uns an seinem Gebot orientieren, so dass unser Leben gelingt.
Paulus stellt sich der Zerrissenheit, seiner Unfähigkeit, dieses Gebot zu erfüllen. Er wendet sich an Gott. Nur Gott, der Schöpfer des Gesetzes, kann in dieser komplizierten Zwickmühle helfen. Paulus ruft, schreit: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen?"
Es ist, als ob sich im Rufen schon die Antwort öffnet:
Paulus jubelt: „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!"
Christus kann mich erlösen. Christus verwandelt die Zerrissenheit in Frieden. Ich bin ein Kind Gottes – so wie ich bin. Mit meinen Irrwegen und Umwegen und Fehlern und Schwächen. Und mit all dem guten Willen. Mit Kopf und Herz, Geist und Körper. Christus macht, dass ich vor Gott bestehe. Allein aus Gnade.
Martin Luther fasste das wie eine Formel zusammen: Simul iustus et peccator. Zugleich gerecht und Sünder. Als getaufte Menschen, als solche, die zu Christus gehören, sind wir nicht nur Sünder, sondern gleichzeitig Gerettete.
Als sündige Menschen tut der Zwiespalt zwischen Wollen und Tun weh. Als Gerettete und Befreite setzen wir uns immer neu dafür ein, dass unser Wollen zum Tun des Guten führt – mit Gottes Hilfe.
Am nächsten Tag gehe ich bei meiner Bekannten vorbei. Ihre Tochter ist seit Kurzem ein Krabbelkind. Das öffnet der Kleinen neue Möglichkeiten. Kaum ist sie einen Moment unbeobachtet, robbt sie schon auf die nächste Schublade in Greifhöhe zu. Verschämt, verschmitzt, mit einem Lächeln, schaut sie sich nach der Mama um. Sie weiß, dass sie jetzt was Verbotenes machen wird. Sie weiß, dass sie die Schublade nicht ausleeren darf. Es geht ganz schnell. Ich räume Fadenrollen, Knöpfe, Strickzeug wieder zurück, nehme die Kleine auf den Arm. Wir lachen. Ich gebe ihr einen Kuss.
Jeden Tag darf ich aus Gottes Gnade neu anfangen. Jeden Tag darf ich neu für Gerechtigkeit einstehen, und versuchen, Gottes Willen ins Leben zu bringen. Ein riskantes Unterfangen, doch ich darf Fehler machen. Denn: Meine Fehler sind nicht das Letzte. Gott selbst wird alles Recht machen, auch mit mir.
Dazu stehe ich und kann nicht anders.
Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!
Amen
Gebet:
Gott, du hast uns gesagt, was gut und was böse ist.
Wir wünschen uns, dass wir das Gute tun und das Böse lassen. Wir möchten, dass das Gute über das Böse siegt. Doch unsere Möglichkeiten sind klein. Wir sind oft schwach und tun das Falsche.
Wir bitten dich: Lass uns nicht nur auf unsere Fehler achten, sondern auch sehen, was gelingt. Gib uns Mut, im Vertrauen auf deine Gnade jeden Tag neu anzufangen und dir zu überlassen, was wir nicht schaffen.