Von Einheit und Vielfalt - Predigt zu Epheser 4,1-6 von Katja Dubiski
4,1-6

Von Einheit und Vielfalt - Predigt zu Epheser 4,1-6 von Katja Dubiski

„Von Einheit und Vielfalt“

keine Einigung in Sicht
Vor ein paar Wochen wurde in der Paulskirche in Frankfurt eine Ausstellung mit dem Titel „Frieden geht anders!“ eröffnet. Organisiert von der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau.

Frieden geht anders! Ausrufezeichen.

Vor allem dieses Ausrufezeichen hat mich neugierig gemacht. Was für ein Selbstbewusstsein hinter diesem Ausrufezeichen steckt! Drückt es doch einen Anspruch aus, es besser zu machen. Eine konkrete Vorstellung davon zu haben, was zu tun ist. Und das zu einem so komplexen Thema!

„Frieden geht anders!“ Aber – anders als was eigentlich? Und besser als wer? Und – wie soll das genau gehen?

Bei der Ausstellungseröffnung gab es Orangensaft und Sekt, ein Streichquartett hat gespielt. Das Publikum bestand größtenteils aus engagierten Kirchenmitgliedern. Es gab mehrere Grußworte und einen Vortrag.

Während des Vortrags wurde mein Sitznachbar, ein älterer Herr, immer unruhiger. Erst brummelte er vor sich hin, dann tuschelte und raunte er halblaut seiner Begleitung seinen Widerspruch zu. Der Redner vorne erläuterte unter anderem die verfassungsrechtlichen Bedingungen für militärische Ein­sätze der Bundeswehr und erwähnte auch Fragen, die sich daraus im Zusammenhang mit Waffenlieferungen ergeben. Neben mir grummelte es immer lauter und schließlich unterbrach mein Sitznachbar lautstark den Vortrag: „Frieden geht anders!“ Einige Anwesende murmelten beifällig, andere machten deutlich, dass sie keine Störung wünschten, sondern den Ausführungen des Redners weiter folgen wollten. Nach einigen Minuten allgemeiner Unruhe fuhr der Redner in seinem Vortrag fort.

Beim anschließenden Empfang und beim ersten Rundgang durch die Ausstellung war die Atmosphäre weiterhin emotional, die Diskussionen angeregt. War die Wahl des Redners die richtige? War es angemessen, den Vortrag auf diese Weise zu stören? Hatten sich die Veranstalter mit dem Titel der Ausstellung übernommen? Und – Waffenlieferungen ja oder nein?

Eine Einigung war an diesem Abend nicht in Sicht.

… sodass aus vielen eine Einheit wird
Liebe Gemeinde,
heute Abend feiern wir gemeinsam den Semesteranfangsgottesdienst. Nach Wochen des vor-sich-hin-arbeitens, mehr oder weniger ohne Sitzungen und Lehrveranstaltungen, mit weniger Kontakt untereinander, kommen wir aus allen Himmelsrichtungen wieder hier zusammen – zum Gottesdienst an der Universität.

Für manche von uns ist dies seit Jahren der wohl-bekannte Rhythmus. Manche kommen schon seit langem hier in den Uni-Gottesdienst und sind schon  lange in Bochum und an der Ruhr-Universität zuhause. Ist in diesen Tagen wohl etwas neu für sie – oder ist alles so wie immer? Mit welchen Gefühlen starten sie in das neue Semester?
Für andere ist heute und in diesen Tagen alles neu. Neue Gesichter, neue Wege und Räume, vielleicht ein ganz neuer Lebensabschnitt. Empfinden sie das wohl als aufregend und spannend? Oder eher als beängstigend?

Wir alle sind die evangelische Universitätsgemeinde.
Wir sind Kirche an der Universität.
Und uns zusammengewürfelten Haufen erreichen heute Abend Worte zu Ein-heit der Kirche.

Ich lese aus dem Epheserbrief, Kap. 4, die Verse 1-6:

1 So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, daß ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid,  2 in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe  3 und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens:  4 ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung;  5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;  6 ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

auseinander-setzen statt ver-einheit-lichen
Siebenmal „Ein-heit“.
Und dazu Demut, Sanftmut, Geduld und Liebe.
Die Ersten winken vielleicht innerlich schon ab.

Siebenmal „Ein-heit“?
Das klingt doch nach etwas viel Harmonie.
Das klingt fast nach Einheitlichkeit.

Dabei schätzen wir an der Universität doch gerade, dass verschiedene Argumente vorgebracht werden. Dass es hier Raum gibt für unterschiedliche Sichtweisen, für angeregte Diskussionen. Einheitliches Denken würde den wissenschaftlichen Austausch verhindern. Es ist die Un-einheitlich-keit, die für die Wissenschaft geradezu lebensnotwendig ist. Von Uneinheitlichkeit und neuen Ideen lebt die Wissenschaft! Hier muss am Ende der Diskussion nicht eine Meinung stehen. Kein sanfter Konsens. Kein Kompromiss. Hier kann vielmehr die Aussicht stehen – ja, eine durchaus freudige Aussicht – , dass morgen weiter diskutiert wird. Und übermorgen…

Ich gehe davon aus, dass, wer an der Universität unterwegs ist – egal ob als Studierende oder Lehrende –geradezu Lust hat an der engagierten Auseinandersetzung.
Und Einheitlichkeit ablehnt.
Und vor Einigkeit vielleicht eher zurückschreckt.

Das macht es umso reizvoller, die Worte aus dem Epheserbrief zu bedenken.

Denn neben der Diskussionslust gibt es ja auch die andere Seite: das Leiden daran, dass man sich nicht einig wird. Auch nicht in der Kirche. Gerade nicht in der Kirche.

Ich vermute, den meisten von Ihnen fällt sofort das eine oder andere Thema ein, bei dem Sie selbst emotional werden und hitzig diskutieren. Die ein oder andere Person, mit der sie sich immer wieder un-einig sind. Und immer wieder auch genau daran leiden: Dass die Auseinandersetzung verletzt und beide Seiten mit Blessuren auseinander gehen. Oder dass ein Gespräch vorschnell abgebrochen wird, um eine Harmonie zu wahren, die eigentlich gar nicht besteht.

Diskussionslust und Streitfrust existieren nebeneinander. Der Grat zwischen ihnen ist manchmal schmal.

Gottes „zuerst“
Was bedeutet also die Ermahnung, „Einigkeit im Geist“ zu wahren, für uns diskussionsfreudige und manchmal auch konfliktfrustrierte Mitglieder der Universitätsgemeinde?

Dietrich Bonhoeffer formuliert eine Beschreibung der „Einheit der Gemeinde“, die diese Ambivalenz nicht beschönigt. Freudvolle Auseinandersetzungen sind genauso innergemeindliche Realität wie leidvolle. So zu tun, als wären wir uns alle einig, ist da nicht sinnvoll. Aber gerade deshalb ist die Einheit so schwer zu fassen. Bonhoeffer schreibt, sie bleibe „im Unanschaulichen“. Ich verstehe das so: Diese Einheit kann wider unseren Verstand sein. Wider unser Gefühl. Und sie ist dennoch real. An ganz unerwarteter Stelle ist sie zu erahnen. Aber hören Sie Bonhoeffer selbst:

„Die Geist-Einheit der Gemeinde […] ist nicht durch […] Gleichartigkeit [oder] Seelenverwandschaft ermöglicht oder mit Stimmungseinheit zu verwechseln, sie ist vielmehr gerade dort wirklich, wo die scheinbar härtesten äußeren Gegensätze walten, wo jeder sein ganz individuelles Leben führt, sonst sie ist vielleicht gerade dort nicht, wo sie am meisten zu walten scheint. Sie kann aus dem Kampfe der Willen viel heller leuchten als aus der Einigkeit. Da, wo der eine sich am anderen stößt, könnte es leicht dahin kommen, daß sie an den erinnert werden, der über ihnen beiden Einer ist, und in dem sie beide einer sind. Dort, wo Jude und Grieche streiten in der völligen Verschiedenartigkeit ihrer psychologischen Struktur, ihrer Empfindung und Erkenntnis, gerade dort ist durch Gottes Willen die Einheit gesetzt (Gal 3,28).“[1]

So weit Bonhoeffer.

In aller Uneinigkeit sind wir Ein-heit.

Im Epheserbrief ist diese Ein-heit in dem Einen in Bildern beschrieben:
Die Gemeinde ist der Leib, dessen Haupt Christus ist.
Die Gemeinde ist der lebendige Bau, dessen Schlussstein Christus ist.

Und sie wird in sieben Facetten beschrieben.

ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung
ein Herr, ein Glaube, eine Taufe
ein Gott und Vater aller

Das ist die von Gott zuerst gesetzte Einheit.

zuerst:
Ein-heit

dann:
bewahrt die Ein-heit

wenn das so einfach wäre
Bewahrt die Einheit. Wenn das so einfach wäre!

Es sind große Worte, mit denen im Epheserbrief beschrieben wird, wie das geschehen soll:
Demut, Sanftmut, Geduld.
Ertragt einander. In Liebe.

Das sind große Worte.
Ich möchte keines davon klein reden. Ich glaube, dass sie tatsächlich ein Hinweis darauf sind, wie
wir Ein-heit der Kirche in unserer ganzen Unterschiedlichkeit verkörpern können. Wie wir Ein-heit trotz aller Un-Einheitlichkeit verwirklichen können.

Das sind große Worte.
Was könnten sie hier und heute bedeuten?

Demut – trotz allem danach suchen, ob es vom anderen etwas zu lernen gibt?

Sanftmut – eindeutig bei der Sache bleiben? Und dabei friedfertig sein? Friedfertig bei der Sache bleiben?

Geduld – immer und immer wieder das Gespräch suchen? In Kontakt bleiben?

Ertragt einander in Liebe – an die Grenze dessen gehen, was man noch ertragen kann? Daran zweifeln, ob man diese Meinung  überhaupt noch ertragen kann?

Und sich dann erinnern.
An Gottes zuerst:
ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung
ein Herr, ein Glaube, eine Taufe
ein Gott und Vater aller

Wenn das so einfach wäre.

setzt euch in Liebe aus-einander
Die Ausstellung in Frankfurt „Frieden geht anders!“ wird übrigens ihrem Ausrufezeichen gerecht. Sie zeigt anhand verschiedener Stationen der jüngeren Geschichte, wie durch kreative Ideen und durch Ausdauer sich hier und da neue Lösungswege fanden und der Friede sich durchsetzte. Und ich gehe davon aus, dass viele dieser Ideen und Aktionen in hitzigen Debatten entstanden sind.

Das und die Auseinandersetzungen am Eröffnungsabend selbst haben mir Mut gemacht. Es war an diesem Abend keine Einigung in Sicht, das nicht. Aber die Diskussionen waren eingebettet in eine gemeinsame Hoffnung. Das Gespräch brach nicht ab. Das Ringen um den richtigen Weg war ein gemeinsames. Und ich meine, darin etwas geahnt zu haben von der Einigkeit im Geist.

Also:
Lasst uns in diesem Semester wieder herzhaft diskutieren – die verschiedensten Argumente und die unterschiedlichsten Positionen. Und lasst uns darum ringen, was es heute bedeutet, der „Leib Christi“ zu sein. Was es für Kirche heute heißt, die „Einigkeit im Geist“ zu wahren.

Und uns dabei immer wieder in Erinnerung rufen: Wir sind zu einer gemeinsamen Hoffnung berufen.
Und es ist Gottes Friede, der uns zusammenhält.
Amen.
 


[1] Dietrich Bonhoeffer, Sanctorum Communio. Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche, hg. v. Joachim von Soosten, Berlin 1986, 128f zit. n. Ursula Kannenberg, Einheit in Vielfalt, in: Studium in Israel e.V. (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext VI, Wernsbach 2013, 356-359, hier: 356.