Weißt du noch? - Predigt zum 1. Johannesbrief 4,7-12 von Claudia Bruweleit

Weißt du noch? - Predigt zum 1. Johannesbrief 4,7-12 von Claudia Bruweleit
4,7-12

„Weißt Du noch? – So viele ‚Weißt-Du-noch‘ gibt es in Eurem Leben“. So beginnt eine erwachsene Tochter ihre Festrede auf der Goldenen Hochzeit ihrer Eltern. „Weißt du noch, wie es war, als du sie das erste Mal geküsst hast, fragt sie. „Weißt du noch, wie ihr dieses Haus gebaut habt und eingezogen seid, als noch gar nicht alles fertig war? Weißt du noch, wie wir in die Ferien fuhren und dann ging das Auto kaputt und es musste in die Werkstatt und wir kamen erst einen Tag später los und es wurden doch ganz wunderbare Ferien.”

Sie erzählt von schönen Momenten und von traurigen. Vom Lachen und Weinen, das ihre Eltern und sie und ihre Geschwister miteinander geteilt haben. Nach und nach entsteht so ein Bild von der Liebe, die diese Menschen verbindet. Sie ist lebendig und schön, das kann man hören und sehen an diesem Tag. Sie zeigt sich als romantische Liebe in den ersten Begegnungen der jungen Brautleute und dann scheint sie hindurch als tätige Liebe im Miteinander der Familie, rettet den verpatzten Ferienbeginn, weil sie es alle mit Humor miteinander ertragen, weil sie einander unterstützen. Sie scheint auf in den Erzählungen von Festen mit den Nachbarn. Das Paar, die Kinder, die Freunde feiern das Leben. Und die Gäste freuen sich mit dem Jubelpaar. Sie seufzen und verdrücken ein paar Tränen der Rührung und denken an ihre eigenen Geschichten von Liebe und Zärtlichkeit, von Ehe und Partnerschaft – sie denken an die Menschen, die sie lieben oder die sie einmal geliebt haben.

Menschen können gut leben, wenn sie spüren, dass sie geliebt werden. Es wird dann selbstverständlicher für sie, andere zu lieben, mit anderen mitzufühlen und zu helfen.

Wie kann man Liebe finden, die trägt? Und was hat das mit Gott zu tun?

„Liebe ist das Einzige, was wächst, indem wir es verschwenden“ hat die Dichterin Ricarda Huch gesagt – und damit vielleicht das gemeint, dass Liebe immer das Erste ist. Etwas, das wir geschenkt bekommen, das da ist, zu Beginn unseres Lebens, in den Augen, in den Armen der Mutter, des Vaters. Wir schöpfen daraus ein Leben lang, geben es weiter, teilen es aus – und lassen es wachsen, ein Leben lang. Wo Liebe wächst, gelingt das Leben. Das hat mit Gott zu tun, sagt Johannes. Denn Gott ist die Liebe. Gottes Liebe kommt uns in anderen Menschen entgegen und geht auf andere über, wenn wir sie annehmen und verschwenden.

Vielleicht ist es ein Fest, auf dem er diese Rede erstmals hält. Vermutlich ist es aber eher eine Krise in der Beziehung dieses Gemeindeleiters Johannes zu seinen Leuten. Denn in der Gemeinde dieses Briefschreibers knirscht es zwischen zwei Gruppen. Es gibt Rivalitäten. Und die ersten Christinnen und Christen werden kritisch beäugt oder offen angefeindet von anderen Gruppen in ihrer Gesellschaft: Von den herrschenden Römern, deren Kaiser sie nicht als Gott verehren wollen und von den Juden, die auf den Messias warteten und es als grundsätzliche Kritik verstehen, dass diese Gemeinden den Auferstandenen als Messias verehren.

In dieser schwierigen Situation macht Johannes die Liebe zu einem Markenzeichen seiner Gemeinde. An der Liebe ist Gott zu erkennen. Ja, Gott ist Liebe – mehr als alles andere ist er Liebe. So sieht es Johannes. Zwar ist Gott auch heilig. Zwar ist Gott auch allmächtig. Zwar ist er auch allwissend. Zwar ist er auch furchteinflößend – denn wir verstehen nicht immer, was er tut. Aber vor allem ist er Liebe – und gibt sich in Jesus von Nazareth den Menschen zu erkennen.[1] Seine anderen Eigenschaften lassen ihn fremd und unnahbar erscheinen. Martin Luther hat gesagt, dass Gott darin verborgen ist. Er ist Gott, aber wir sehen ihn nicht. Er ist da, aber wir verstehen ihn nicht. In Jesus von Nazareth, seinem Sohn, den er in die Welt geschickt hat, hat er sich zu erkennen gegeben als einer, der uns Menschen unendlich liebt. Er wollte und er will uns Menschen ganz nah sein. Er hat sich selbst liebenswert und verwundbar gemacht – er selbst starb in Jesus und erweckte ihn zu neuem Leben – damit wir Menschen spüren und wissen sollen, dass Gott uns liebt. Darum, empfiehlt Luther, sollen wir uns immer an den liebenden Gott halten, wenn wir an Gott denken. Denn: „Gott teilt sein Wesen nicht nur als Liebe mit, sondern Liebe ist die einzige Eigenschaft, die an die Stelle des Ausdrucks ‚Gott‘ treten kann“.[2] Nur darin ist er zweifelsfrei zu erkennen. Grenzenlos ist diese Liebe. Sie endet selbst im Tod nicht.

Darum ist die Liebe zu einem Erkennungszeichen der Christen geworden. Wer Liebe erfahren hat und die Verbindung zu Gott gezogen hat, der versteht sich selbst eingebettet in Gottes Handeln in dieser Welt.
Menschen lassen sich verändern durch Gottes Liebe. Sie sagen und zeigen: Gott ist es, den wir in dieser Kraft erleben. Er ist uns nahe, wenn wir Liebe spüren. Nicht nur die romantische Liebe, sondern auch die mitfühlende Liebe. Die helfende Liebe. Die, die vom anderen her denkt und hilft, dass einer sich selbst überwindet und für einen anderen, eine andere da ist. Gottes Liebe wird sichtbar da, wo solches geschieht. Sie wird sichtbar, wenn Menschen rücksichtsvoll und liebevoll miteinander umgehen. Sie wird sichtbar, wenn Menschen Fremden ohne Vorbehalte entgegen treten und sie einladen. Wo beides zusammenkommt, Liebe und liebevolles Handeln.

Johannes macht seinen Gemeindegliedern Mut, die Liebe zu zeigen, die in ihnen ist. Und sie als ein Markenzeichen zu verstehen. Johannes appelliert an ihren Verstand – sie sollen das, was sie glauben, bewusst tun: liebevoll mit anderen umgehen. Man kann daran ihren Glauben erkennen. Lieben ist nicht nur Geschenk, es ist für Johannes eine Aufgabe, eine lebenswichtige Aufgabe seiner Gemeinde. Denn Gott wird sichtbar, wo Menschen ihn wirken lassen.

Weißt du noch – könnte er sie erinnern. Weißt du noch, wie ich euch von Jesus Christus erzählt habe und du hast gespürt, dass es hier auch um dich geht. Du hast dein Leben besser verstanden. Und nun fang an und setze es um. Wenn du spürst, dass Gott dich liebt, dann lässt es dich nicht kalt, ob in unserer Gemeinde jemand ist, der krank liegt und sich nicht selbst versorgen kann. Dann wirst du einen Weg finden, ihm zu helfen. Das hat dann sehr viel mit Gott zu tun.

Johannes hat davon in seinen Briefen mit großer Begeisterung geschrieben. Er hat nicht von einzelnen Begegnungen erzählt, von Lebensgeschichten, die uns heute hineinnehmen könnten in diese Begeisterung. Weißt du noch – das ist eine sehr persönliche Frage. Für jeden ist sie anders. Johannes versuchte, das herauszufiltern, was für alle gilt.

„Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns.“

Über dieses Wunder können wir heute für uns nachdenken, und uns fragen: Weißt du noch?

Dann würde ich sagen: Ja, ich weiß noch, wie ich am Sterbebett der alten Frau mit ihrem Mann stand und den Psalm gelesen habe, der anfängt: „Der Herr ist mein Hirte“ (Ps 23,1). Wir haben das Vater Unser gebetet. Ganz ruhig und gelöst wurde die Sterbende dabei. Ja, ich weiß es noch, dass sie danach tief ausatmete und starb. Es hat mich sehr berührt. Und ich spürte, es war gut so, da war viel Liebe um sie herum. Liebe zwischen diesen beiden Eheleuten, aber auch Liebe zwischen Gott und ihr. Eine Liebe, die ihr Vertrauen gab, sich auf den Weg über die Grenze des Lebens hinaus zu begeben.

Weißt du noch? Ja, ich weiß noch, wie wir einmal mit Frauen und Männern unserer Partnergemeinde in Afrika einen Familiengottesdienst feierten, und wie der schwarze Pastor und der weiße Pastor abwechselnd die Konfirmandinnen und Konfirmanden unserer Gemeinde tauften. Es war eine sehr fröhliche Stimmung. Und am Ende des Gottesdienstes hatten beide in kleinen Schalen etwas Taufwasser bei sich und zeichneten denen, die es wollten, ein Wasserkreuz in die Hand und segneten sie. Da habe ich gespürt, dass Gottes Liebe sehr unterschiedliche Menschen bewegt, uns auf geheimnisvolle Weise verbindet und das Leben schön macht.

So viele „Weißt-du-noch“ haben Menschen gesammelt über Liebe, die von Gott kommt und die wächst, wenn wir sie weitergeben. Die wächst, indem wir sie verschwenden. Unerschöpflich ist Gottes Liebe. Jeder einzelne Moment unseres Lebens hat diese Qualität, hat das Zeug dazu, ein „weißt-du-noch“-Moment zu werden, der von Liebe erzählt und von Gottes Weg mit uns. Denn Gott geht jeden Schritt mit.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie das spüren können und sich darüber freuen. Amen.

 

 

[1] Diesen Gedanken führt Arnulf von Scheliah in seinem Artikel „Wie der Mensch Gott erfährt. Zwischen Vernunft und Frömmigkeit. Schleiermachers Antwort auf die Gottesvorstellungen der Aufklärung“ aus. In: Gott neu vertrauen. EKD Das Magazin zum Reformationsjubiläum 2017, S. 32. Siehe auch: www.gott-neu-vertrauen.de

[2] Arnulf von Scheliah, ebd.

Perikope
21.08.2016
4,7-12

Ein Experiment – Predigt zum 1. Johannesbrief 4,7-12 von Matthias Loerbroks

Ein Experiment – Predigt zum 1. Johannesbrief 4,7-12 von Matthias Loerbroks
4,7-12

Geliebte, lasst uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der/ jede, die liebt, ist aus Gott gezeugt und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe. Darin ist die Liebe unter uns erschienen, dass Gott seinen einzig geborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Darin besteht die Liebe: nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt und seinen Sohn gesandt: Sühne für unsere Sünden. Geliebte, wenn uns Gott so geliebt hat, sind auch wir schuldig, einander zu lieben. Niemand hat Gott je geschaut. Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet.

 

Wie lässt sich Gott erkennen? Woher wissen wir überhaupt von ihm? Woher nehmen wir die Gewissheit, von ihm zu reden, zu singen und zu erzählen? Wie können wir wissen, dass wir da nicht bloß von unseren eigenen Wünschen oder Ängsten reden?

Niemand hat Gott je gesehen, stellt unser Briefschreiber lakonisch fest. Was wissen wir dann von ihm? Und zwar mit Gewissheit?

Eine verbreitete, etwas zynische Weisheit behauptet: Liebe macht blind.
Johannes ist vom Gegenteil überzeugt: Wer liebt, erkennt Gott. Wer nicht liebt, erkennt Gott nicht. Für ihn, für die ganze Bibel, folgt nicht das richtige Tun, die Liebe, aus der wahren Erkenntnis, aus dem Glauben, aus der Gotteserkenntnis. Sondern umgekehrt: Wer liebt, erkennt Gott. Gotteserkenntnis ist keine Frage der Theorie, sondern der Praxis.

Niemand hat Gott je geschaut. Aus dieser vielleicht bedauerlichen, jedenfalls unbestreitbaren Tatsache hat ein bekannter Theologe geschlossen: Wie Gott wirklich ist, was sein Wesen ist, das können wir Menschen nicht erkennen. Von Gott können wir nur sagen, was er an uns tut. Die Bibel geht da noch einen Schritt weiter: Nicht nur in dem, was er an uns tut, lernen wir Gott kennen, sondern auch, indem wir versuchen, das zu tun, was er von uns möchte.

Die Bibel hat schon immer gewusst, was der historische Materialismus meinte, entdeckt zu haben: Dass unsere Erfahrungen uns viel stärker prägen und beeinflussen als Ideen und Ideale. Und zwar nicht nur die Erfahrungen, die wir passiv machen, weil wir gar keine Wahl haben, sondern erst recht die, die wir erst dann machen, wenn wir aktiv werden.

Der Prophet Hosea fasst seine Kritik an der herrschenden Praxis zusammen mit den Worten: Es ist keine Treue, keine Liebe und keine Gotteserkenntnis im Land. Das hängt für ihn zusammen, ist fast dasselbe: Treue und Liebe und Gotteserkenntnis. Und entsprechend beschreibt er den Mangel an Gotteserkenntnis: Fluchen, Lügen, Morden, Stehlen. Unsere Praxis als Einzelne wie als Gesellschaft im Ganzen öffnet uns oder verschließt uns für die Erkenntnis Gottes. Der Prophet hat ein Wort Gottes gehört und weitergesagt, das später auch ein Lieblingswort Jesu wurde: Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer (Hos 6,6). Auch in diesem Wort hängt Gotteserkenntnis mit Liebe zusammen, nicht mit Opfer, also nicht mit Religion. Wie eng für die Bibel Erkenntnis und Liebe verbunden sind, zeigt sich auch daran, dass „jemanden erkennen“ der biblische Ausdruck für miteinander schlafen ist.

Weil Gotteserkenntnis eine Frage der Praxis ist, nicht der Theorie, darum werden wir heute zu einem praktischen Experiment aufgefordert: „Geliebte", nämlich „von Gott geliebte“, „lasst uns einander lieben“. Dann werden wir was erleben, Erfahrungen machen, Erfahrungen mit Gott. Wir werden von ihm was mitkriegen. Was wir dann erleben, lässt sich nicht im Vorhinein theoretisch klären. Wir müssen erst in seine Nähe geraten. Und das tun wir, wenn wir einander lieben. Denn diese Praxis entspricht seiner Praxis. Das ist seine Art, auf die Welt zuzugehen, sie zu verändern. Wer sich ihm da anschließt, wird von ihm geprägt, wird ein Kind Gottes, ist von ihm gezeugt – wird also ihm ähnlich. Denn die Liebe kommt von ihm. Gott ist Liebe.

Aber woher weiß der Briefschreiber das alles? Woher weiß er, dass wir von Gott geliebte sind? Woher weiß er, dass dieses Lieben geradezu Gott selbst ist, dass er gar nicht anders kann als zu lieben?, Woher weiß er: wenn wir uns auf diese riskante Praxis einlassen, Gott kennen zu lernen, riskieren wir eigentlich gar nichts? Auch er hat ja Gott nicht geschaut, traut sich aber trotzdem zu sagen, wie Gott ist: Gott ist Liebe.

Darauf antwortet er: Die Liebe Gottes ist erschienen, also aufgeleuchtet, deutlich, klar und hell erkennbar geworden, als Gott seinen Sohn in die Welt hinein sandte, mitten hinein in eine verkehrte Welt, eine Welt, die – Religion hin oder her – von Gott und seinem Volk nichts wissen will und auch tatsächlich nichts weiß. Auch Jesus ist auf Ablehnung gestoßen, scheint den Mächtigen, sogar so gefährlich und bedrohlich erschienen zu sein, dass sie ihn umgebracht haben. Und dieser Tod schien ja zu beweisen, was wir schon ahnten: Dass Liebe zum Scheitern verurteilt ist, Frieden und Gerechtigkeit, Sozialismus, Solidarität nun eben nicht möglich sind, sondern ein blauäugiger Wunschtraum, der an der harten Realität zerbricht.

Aber gerade Jesus hat vielen eingeleuchtet. Er hat gezeigt, wer Gott ist und wie er ist. In seinen Worten und Taten wird deutlich, was es heißt, dass Gott Liebe ist.
Es bedeutet jedenfalls nicht, dass hier die Liebe überschwänglich zum Gott erklärt wird, dass Gott ein feierlicher Ausdruck für unsere höheren Gefühle, sozusagen für unsere bessere Hälfte wird.
Es bedeutet auch nicht, dass Gott im harmlosen Sinn immer lieb ist, der liebe Gott. Jesus hat gezeigt, dass Gottes Liebe ein Angriff ist auf eine verkehrte Welt, dass er dafür kämpft, alle Verhältnisse umzustürzen, in denen Menschen bedrückt und gedemütigt werden. Dass seine Liebe die Grenzen überwindet und sprengt, mit denen wir uns gegeneinander und gegen Gott abschotten. Eine unserem Brief eng verwandte Schrift, das Johannesevangelium, stellt ebenfalls fest, dass niemand Gott je geschaut hat, und fährt fort: Allein in seinem Sohn hat Gott sich gezeigt. So wie sich Gott in Jesus gezeigt hat, so ist er auch. Was er tut und was er uns zu tun gebietet, zeigt uns, wie er ist.

 Die Liebe, zu der er uns verlocken und verführen will, besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat. Sogar seine Ablehnung und Zurückweisung durch Menschen, den Tod Jesu, hat er dazu benutzt, um uns zu befreien. Wenn wir Abendmahl feiern, dann tun wir das zu seinem Gedächtnis. Wir verkünden den Tod des Herrn, aber nicht als Trauerfeier, sondern als unsere Befreiung zur Gemeinschaft untereinander, als Befreiung zur Solidarität. Um lieben zu können, muss man erst Liebe erfahren haben. Wir müssen erst befreit werden von unserem Kreisen-um-uns-selbst, unserer Angst, zu kurz zu kommen, unterzugehen, von unserem Hang, uns selbst und andere zu zerstören.

Auch wenn unser Briefschreiber alle Initiative Gott zuschreibt, betont er doch, dass Gott auch uns braucht. Wie jede Liebe hofft auch die Liebe Gottes auf Erwiderung. Und seine Liebe besteht ja gerade darin, nicht ohne uns, sondern Gott mit uns sein zu wollen. So wird uns nicht nur versprochen, dass Gott in uns bleibt, wenn wir einander lieben. Johannes sagt sogar: Erst in uns wird die Liebe Gottes ganz, vollkommen, kommt sie zum Ziel. Ihr seid meine Zeugen, spricht der HERR, und ich bin Gott, heißt es im Buch Jesaja (Jes  43,10). In jüdischer Auslegung wird der Zusammenhang zwischen beiden Aussagen ganz eng verstanden: Wenn ihr meine Zeugen seid, bin ich Gott. Wenn ihr nicht meine Zeugen seid, bin ich nicht Gott.

Es kann sein, dass wir so wenig von Gott mitkriegen, wenig Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung haben, weil wir zu wenig oder zu selten das Experiment wagen, das uns Johannes heute vorschlägt: Wartet nicht ab bis euch theoretisch alles klar ist mit Gott. Versucht einfach praktisch das zu tun, was er sagt. Dann werdet ihr was erleben, Erfahrungen machen, nicht nur mit euch selbst und untereinander, auch mit Gott. Ihr werdet ihn kennen lernen.
Amen.

Perikope
21.08.2016
4,7-12

Perpetuum Mobile - Predigt zum 1.Johannesbrief 4,7-12 von Nico Szameitat

Perpetuum Mobile - Predigt zum 1.Johannesbrief 4,7-12 von Nico Szameitat
4,7-12

Es ist faszinierend. Und zugleich superschwer zu basteln. Denn bei so einem Mobile muss alles im Gleichgewicht sein.
An der Schnur hängt der Holzspieß, an dessen beiden Enden wiederum Schnüre hängen.
Diese müssen aber gleich schwer sein, oder man verschiebt die obere Schnur ein Stück.
Und was man dranhängt, muss ja auch gleich schwer sein oder man schiebt wieder etwas hin und her.
Oh ja, so ein Mobile fordert viel Geduld. Und doch ist es so faszinierend, wenn es erst einmal hängt: Scheinbar schwerelos schweben und drehen sich die kleinen Wolken. Umeinander. Ineinander. Und kommt ein leichter Wind, so wirbelt es fröhlich herum, bevor es wieder zur Ruhe kommt. Perfekte Harmonie.

Ihr Lieben, wir wollen einander lieben. Denn die Liebe kommt von Gott. Und wer liebt, hat Gott zum Vater und kennt ihn. Wer nicht liebt, kennt Gott nicht. Denn Gott ist Liebe. So ist Gottes Liebe bei uns sichtbar geworden: Gott sandte seinen einzigen Sohn in die Welt, damit wir durch ihn das Leben bekommen. Die Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat. Er hat seinen Sohn gesandt, der für unsere Schuld sein Leben gegeben hat. So hat er uns mit Gott versöhnt.
Ihr Lieben, wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann müssen auch wir einander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Aber wenn wir einander lieben, ist Gott in uns gegenwärtig. Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.
(1.Joh 4,7-12 BasisBibel)


Was für ein Mobile!
Fünfzehn rosa Wattebäusche, auf denen Liebe steht, elf weiße Wattebäusche, auf denen Gott steht. Dazwischen Stäbe und Schnüre: der Sohn, wir, das Leben. Perfekte Harmonie.

Und die Schnellfeuerwaffe im Einkaufszentrum zerschießt die rosa Watte.
Und die Axt im Regionalzug zertrennt die Fäden, die alles zusammenhalten.
Liebe – wo soll die sein?
Bis vor ein paar Monaten erschrak ich immer nur für ein paar Tage, wenn irgendwo im Ausland ein Attentat verübt wurde. Aber dann kam dieser Sommer. Und irgendwo in mir drin ist der Schrecken geblieben. Ich erschrecke, weil die Gewalt in meinem Alltag angekommen ist. Hier in unserem Land. Dabei ist es vollkommen egal, ob es ein Attentat oder ein Amoklauf ist, ob der junge Mann islamistisch ist oder nicht. Hass und Angst. Darum dreht es sich bei diesen Gewalttaten. Und leider funktioniert es. Der Hass der Männer erzeugt Gegenhass und Angst.

Da klingt die Rede aus dem Johannesbrief von Gott und seiner Liebe schnell wie ein rosa Mobile, wie ein billiger Traumfänger: harmlos und lächerlich. Also hänge ich dieses Watte-Mobile lieber gleich wieder ab. Ich geh´ zum großen Glaubensschrank in der Ecke und lege es in die zweite Schublade von links. Da, wo auch schon die Rede vom lieben Gott liegt. Die habe ich nämlich schon vor einiger Zeit aussortiert.

Jahrhunderte lang hat die Kirche den Menschen Angst gemacht mit einem strafenden und alles sehenden Gott. Im 20. Jahrhundert kam dann der Umschwung und aus dem strafenden Gott wurde plötzlich der liebe Gott. Ich mag ihn nicht. Der liebe Gott wird nämlich schnell zum lieben Hund: Der sieht aber lieb aus. Ist der brav? „Ja, der ist ganz lieb, der tut nichts. Ganz harmlos.“
Ich will keinen lieben, harmlosen Gott, der nichts tut. Der nur spielen will.
Natürlich will ich auch keinen strafenden Gott. Ich will einen ganz anderen Gott. Und den finde ich in der Bibel.
Und weil das rosa Mobile nun schon mal in der zweiten Schublade von links liegt, lasse ich die Wörter „lieb“ und „Liebe“ gleich mit drin und erzähle in anderen Worten von Gott.

Es war einmal ein Gott, der hatte sein Herz an die Menschen gehängt. Alles tat er für sie. Die Engel, die himmlischen Heerscharen, schüttelten schon den Kopf. Dieser Gott schloss sogar einen ewigen Bund mit einem Menschenvolk: dem Volk Israel. Er tat alles für sie. Er befreite sie aus der Sklaverei. Er zeigte ihnen neue Wege, er gab ihnen Regeln fürs Zusammenleben. Und wenn andere Völker das kleine Volk bedrohten, dann schützte und rettete er es. Notfalls mit Gewalt.
Später ging dieser Gott noch andere Wege, um den Menschen zu zeigen, wie wichtig sie für ihn waren. Er schickte immer wieder Menschen mit Botschaften, manchmal sogar Engel, um ihnen den richtigen Weg zu zeigen. Denn Menschen neigen nun einmal dazu, alles selbst am besten zu wissen.
Zum Schluss aber wagte Gott sein größtes Kunststück: Einen salto mortale, einen tödlichen Sprung kopfüber in das Menschenleben. Und plötzlich lag er da und schrie in dieser Krippe. Aus dem Schrei wurde ein Leben. Er wurde größer und lernte die Menschen von Angesicht zu Angesicht kennen. Er lachte mit seinen Freunden, weinte in Jerusalem und zitterte in Gethsemane. Und schließlich beendete er seinen salto mortale am Kreuz, „damit wir durch ihn das Leben bekommen“.
Mit gefangen, mit gehangen.
Mit gestorben, mit erstanden.

Seitdem kennt Gott uns durch und durch. Er weiß aus eigener Erfahrung, was wir oft durchmachen. Er kennt die Schmerzen und die Angst. Und noch immer hört er nicht auf, für uns Menschen da zu sein.
Gott hat uns nicht einfach lieb. Seine Liebe ist kein rosa Plüsch. Nein, Gott brennt für uns.
Seine Liebe ist brennendes Feuer und rauschendes Wasser. Kraftvoll, auch gefährlich. Und nicht zu bremsen.
Und wir?

Am Montag stand es in der Zeitung: Dass es am Wochenende am ZOB eine Schlägerei gegeben hatte. Und dass einer verletzt liegen geblieben war. Viele Passanten gingen vorüber. Der hat wahrscheinlich zu viel getrunken. Bestimmt so eine Familienfehde, bloß nicht einmischen.
Endlich rief einer die Polizei, es war der Mitarbeiter vom Döner-Laden. Der Verletzte wurde ins Krankenhaus gebracht, die Täter sind noch nicht gefasst. Als der Mann aus dem Döner-Laden gefragt wurde, warum er Hilfe gerufen hat, verstand er die Frage nicht.

Es geht um eine Grundhaltung, eine selbstverständliche Grundhaltung. „Liebt einander!“ meint nicht, ein warmes Gefühl gegenüber der Menschheit im Allgemeinen zu hegen und wöchentlich seine zwei Euro in die Kollekte zu werfen.
„Liebt einander!“ meint eine Grundhaltung, aus der Taten wachsen können.
Öffnet Euer Herz so weit, dass Ihr jederzeit bereit seid, wenn tatkräftige Hände gebraucht werden. Oder eine ehrliche Zunge.
Bezieht klar Stellung, wenn beim Bäcker morgens wieder ein dummer Spruch über Flüchtlinge fällt.
Haltet euch bereit für Tat und Wort.

Ich schlendere noch einmal am Glaubensschrank vorbei. Die zweite Schublade von links lasse ich zu. Es mag andere Zeiten geben, wo federleichte Watte-Mobiles wieder nötig sind.
Dafür höre ich es drei Schubladen weiter pochen und stampfen. Ich öffne die Schublade und sehe ein ganz anderes Mobile: Ein Perpetuum Mobile. Eine Maschine, die ohne einen Anstoß und ohne, dass man neue Energie hineingibt, sich von alleine immer weiter bewegt. Die sich nie abnutzt und nie zur Ruhe kommt.

Und ich erkenne: Das ist die Liebe Gottes. Eine ewige Bewegung, eine Kraft, die nicht schwächer wird. Auch wenn ich schwach werde, weil ich einfach nicht mehr kann und die Angst stärker ist als mein Herz.
Die Liebe Gottes pulsiert weiter und weiter. Eine Kraft, die ausstrahlt und trägt, die unsichtbar auch dich trägt.

Niemand hat dieses Perpetuum Mobile je gesehen. Aber du kannst sehen, was es in Kraft setzt.
Letzten Samstag am ZOB und morgen beim Bäcker um die Ecke. Amen.
 

Perikope
21.08.2016
4,7-12

Lebe Deinen Glauben und erzähle davon! Predigt zu 1. Johannes 5, 1-4 von Anke Fasse

Lebe Deinen Glauben und erzähle davon! Predigt zu 1. Johannes 5, 1-4 von Anke Fasse
5,1-4

Lebe Deinen Glauben und erzähle davon!

Liebe Gemeinde,

vor kurzem traf ich mein Patenkind. Lange hatten wir uns nicht gesehen. Inzwischen ist sie erwachsen. Eine junge Frau. Selbstbewusst, reflektiert, kritisch. Aber auch auf der Suche. Es war eine gute, intensive Begegnung. Vieles, was passiert ist, haben wir ausgetauscht. Und dann stellt sie die Frage: Was glaubst Du?

Eine ganz klare Frage. Eine gute Frage an die Patin. Eine Frage, die mir als Pastorin natürlich nicht fremd ist. Und doch eine Frage, die immer wieder herausfordert. Selbstverständlich gibt es da das Glaubensbekenntnis. Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer.... und an Jesus Christus.... Zum Glück gibt es dieses feste Bekenntnis, in das ich mich hineinfallen lassen kann. Das mich trägt und mich mit Christen und Christinnen weltweit und über viele Zeiten hinweg verbindet.

Aber manches Mal reicht das nicht. Und dies war so ein Mal. Ein Moment, in dem es um meinen Glauben ging. Was ist mein Glauben? Was glaube ich? Was bedeutet Glauben für mich? Wie lebe ich ihn? Es gibt Momente, die ein persönliches Bekenntnis erfordern. Für mich. Für mein Umfeld. Keine dogmatischen Wahrheiten und Weisheiten sind gefragt, sondern ein klares ehrliches Bekenntnis. Am besten ohne große Schnörkel.

Lebe deinen Glauben und erzähle davon.

Was glaubst Du?

Eine aktuelle Frage, immer wieder und gerade jetzt. Der religiöse Markt ist groß, ist offen und unübersichtlich. Neben den bekannten Konfessionen, Kirchen und Religionen gibt es viele andere Gruppen, die sich da tummeln. Und dazu kommt in Deutschland eine immer wieder geäußerte Angst vor einer Islamisierung irgendwo vermischt mit der Flüchtlingsfrage.

Um mich auf diesem Markt zurechtzufinden, ist es wichtig, meine Antwort zu kennen auf die Frage: Was glaubst du? Wenn ich darauf antworten kann, gewinne ich Halt und Sicherheit in meine eigenen Wurzeln und ebenso Offenheit und Freiheit für andere Glaubensmöglichkeiten. 

Lebe deinen Glauben und erzähle davon.

Eine Form vom Glauben zu erzählen ist die Musik, der Gesang.

Lied: 272 (Ich lobe meinen Gott)

Was glaubst Du? Diese Frage war eine entscheidende Frage der ersten Christen. Es gab für sie im Unterschied zu uns keine feste Tradition, auf die sie verweisen konnten, kein altes Glaubensbekenntnis. Als Christen waren sie anders als das Umfeld. Kritik und Anfeindungen gehörten zum Alltag.

Umso wichtiger war es den eigenen Glauben zu bekennen. Seine Merkmale zu benennen und davon weiterzuerzählen.

In unserem Predigtwort aus dem ersten Brief des Johannes heißt es:
Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist,
der ist von Gott geboren;
und wer den liebt, der ihn geboren hat,
der liebt auch den, der von ihm geboren ist.

Das ist also der Glauben.
Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben,
wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.
Denn das ist die Liebe zu Gott,
dass wir seine Gebote halten;
und seine Gebote sind nicht schwer.

Zum Glauben gehört die Liebe.
Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt;
Und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

(1 Joh 5, 1-4)

Zum Glauben gehört die Liebe und die Hoffnung.

Glauben, Liebe, Hoffnung, es sind diese drei Grundpfeiler, mit denen der Autor dieses Bibelwortes seinen Glauben beschreibt.

Es ist der Glaube. Der Glaube an Jesus als den Christus. Zum Glauben an Gott den Vater kommt der Glaube an Jesus als der Christus hinzu.

Drei Wochen ist es her seitdem wir Ostern gefeiert haben und in die alten Osterchoräle eingestimmt haben: Er ist erstanden, halleluja! Es ist der Glaube und das Vertrauen in Gottes Begleitung durch Zeiten des Dunkels, des Leids und des Todes hindurch. Das Vertrauen auf den neuen Morgen nach dunkler Nacht. Das Vertrauen auf neue Lebensfreude nach Zeiten der Traurigkeit. Das Vertrauen darauf, dass der Tod nicht das Letzte ist, weil Jesus nicht im Tod geblieben ist.

Die Erfahrung der Frauen am leeren Grab und der Jünger und all der anderen nach dem ersten Osterfest in Jerusalem ist für die ersten Christen noch ganz nah. Und doch gab und gibt es immer wieder auch Zweifel. Sie sind Teil des Glaubens.  

Der Glaube an Jesus Christus definiert unseren Glauben, erdet ihn. Gott wird Mensch und ist uns, ist mir, ist dir, so ganz nah. Er lebt und erlebt die Welt in ihren verschiedensten Facetten. Und überwindet sie. Und durch den Glauben, das Vertrauen in ihn, tun wir das Gleiche mit ihm.

Die Liebe. Die Liebe sie gehört unbedingt zum christlichen Glauben dazu. Als Christ oder Christin komme ich nicht am Doppelgebot der Liebe vorbei. Auf die Frage, welches ist das höchste Gebot, antwortet Jesus: Du sollst den Herrn deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Die Liebe sie ist ein Gebot des Glaubens. Ein Gebot, das aus dem Glauben wächst. Die Liebe, sie wächst, nicht als Forderung, sondern als Frucht des Glaubens.

Und so führt der Glaube automatisch immer wieder neu über sich selbst, über den einzelnen hinaus. Indem er auf Gott, den Vater Jesu Christi verweist, verweist er immer wieder gleichzeitig auf den Nächsten, auf den Mitmenschen. Ohne die Achtung des anderen – in Toleranz und Offenheit – ist christlicher Glaube nicht denkbar. 

Jesus hat es uns vorgemacht ,indem er das Brot brach mit allen, die für diese Liebe offen waren.

Die Hoffnung. Die Hoffnung, auch sie gehört unbedingt zu meinem Glauben dazu. Als Glaubende geht mein Horizont über das Sichtbare hinaus. Ich lebe, arbeite, liebe natürlich ganz in dieser Welt. Und doch tue ich all dies im Glauben und Vertrauen in Christus, der die Welt überwunden hat. Im Glauben und Hoffen auf das Reich Gottes, das heute schon angebrochen ist.  Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2 Kor 5, 17) – so drückt es der Wochenspruch aus. Und mir fallen Beispiele vieler verschiedener Glaubensväter und –mütter ein, die aus dieser Hoffnung heraus Großartiges geleistet haben.

Einer davon ist Dietrich Bonhoeffer. Am 9. April war sein 71. Todestag. Im Gefängnis lebte er aus dieser Hoffnung heraus. Getragen von dieser Hoffnung konnte er dem Tod entgegengehen. Als letzte Worte sind von ihm überliefert: Das ist das Ende. Für mich der Beginn des Lebens.

Glauben. Liebe. Hoffnung. Die drei Grundpfeiler. Ohne sie kann ich nicht antworten auf die Frage: Was glaubst Du?

Was glaubst Du? Was sind Merkmale deines Glaubens? Eine schwere und leichte Frage zugleich. Eine Frage über die ich lange nachdenken kann. Eine Frage, über die es sich lohnt nachzudenken und auszutauschen.

Aber auch eine Frage, auf die es schwer ist auf kognitive Art und Weise allein zu antworten. So wünsche ich uns, unser Herz zu öffnen für den Grund unseres Glaubens, auf dass Glaube, Liebe und Hoffnung uns erfülle.

So erfüllt werden wir voller Überzeugung und Offenheit zugleich unseren Glauben leben und davon  weitererzählen.

Amen

Perikope
17.04.2016
5,1-4

Predigt zu 1. Johannes 5,1-5 von Sven Keppler

Predigt zu 1. Johannes 5,1-5 von Sven Keppler
5,1-15

I. „Ich danke Gott und freue mich wie ein Kind zu Weihnachten. Ich lebe noch und liebe wieder. Ich fühle mich wie neu geboren. Ich bin ein Sonnenkind für’s ganze Leben – denn da hinten wird’s schon wieder hell.“
Liebe Gemeinde, so hat es eine Frau in ein Gebetsanliegenbuch geschrieben. Sie ist irgendwann in eine offene Kirche gekommen. Hat gebetet und eine Kerze angezündet. Und dann hat sie aufgeschrieben, was sie bewegt.
Ihre Worte klingen nach Neuanfang. Sie scheint eine Krise hinter sich zu haben, die bis ins Innerste ging. Dass sie noch lebt, ist nicht mehr selbstverständlich für sie. Aber sie hat die schwere Zeit hinter sich gelassen. Hat sich neu verliebt und ist voller Hoffnung für die Zukunft.
In ihrem Glück fühlt sie sich wie ein Kind. Ein Sonnenkind für’s ganze Leben. Wie ein Mädchen zu Weihnachten, dem seine Herzenswünsche erfüllt worden sind. Sogar wie ein Neugeborenes, das neu ins Leben starten darf.
Wenn man so ein Gebetsanliegenbuch liest, dann kommt man wirklich ins Staunen. Die intensiven Gefühle der Frau sind keine Ausnahme. Viele Einträge kommen mitten aus dem Leben. Man spürt oft etwas von dem lebendigen Zwiegespräch der Menschen mit Gott.
Dankbarkeit ist die vorherrschende Tonlage. Und das aus den unterschiedlichsten Gründen:
„Danke für diesen schönen Tag.“
„Danke, dass Du mich getragen hast, als alles kaputt ging.“
„Danke dafür, dass Du mir hilfst, meine Familie und mich gesund zu erhalten.“
„Hab Dank für das Kind, das in mir wächst.“
Und ganz oft einfach nur: „Danke für Alles!“
Menschen sind wieder in Kontakt gekommen mit einer Lebensenergie, die brach lag. Sie fühlen sich wieder handlungsfähig. Können beschwingt an Aufgaben gehen, die sie sich gar nicht mehr zugetraut hatten. So, wie es die erste Schreiberin sagt: „Ich fühle mich wie neu geboren!“

II. Liebe Gemeinde, für heute ist ein Predigttext vorgeschlagen, in dem es genau darum geht: wie neu geboren zu sein. Wie ist das gemeint? Was hat das mit Gott zu tun? Und was verändert sich dadurch im Verhältnis zu anderen Menschen? Ich lese aus dem ersten Brief des Johannes, den Anfang des 5. Kapitels [1. Joh 5,1-4].
Geboren sein – immer wieder ist davon die Rede. Genauer gesagt: Von Gott geboren sein. Von Gott das Leben geschenkt bekommen, wie von einer Mutter. Die Geburt gehört zu den intensivsten Erlebnissen einer Frau. Die Wehen. Die Schmerzen. Die Angst, ob alles gut geht. Die unendliche Anstrengung.
Und dann die tiefe Dankbarkeit, wenn die Geburt gelungen ist. Wenn ein zartes, anschmiegsames Baby auf dem eigenen Bauch liegt. Auch für die Väter, die das erlebt haben, ist diese Erfahrung unvergesslich.
Ein berührendes Bild ist das: Gott schenkt uns das Leben. Wir dürfen Gott vertrauen, uns bei ihm geborgen fühlen. Er fühlt sich uns verbunden wie eine Mutter, die ihr Kind mit großer Anstrengung zur Welt gebracht hat. Wenn wir Schutz brauchen, dürfen wir zu ihm kommen.
Aber darf ich so einfach „Wir“ sagen? Darf ich Sie und mich einschließen in diese Gewissheit: „Ich bin von Gott geboren“? Auf den ersten Blick würde ich sagen: das gilt für jeden Menschen. Wenn Gott unser Schöpfer ist, dann verdanken wir ihm doch alle unser Leben. Jeder und jede Einzelne. In der Lesung haben wir davon gehört. Wir werden von Gott ins Leben gerufen und am Leben erhalten. Auch wenn wir alle zugleich noch eine andere Mutter haben, die uns geboren hat.
Aber das ist nicht gemeint im Johannesbrief. Dort steht: „Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren.“ Es ist also nur von ganz bestimmten Menschen die Rede. Von Menschen, die eine Beziehung zu Gott haben. Und zu Jesus Christus, dem Sohn Gottes.
Im Johannesevangelium ist einmal von denen die Rede, die aus Wasser und Geist geboren sind. Da denkt man natürlich an die Taufe. Bei der Taufe wird ein Mensch in die Gemeinschaft der Christinnen und Christen aufgenommen. Wer getauft ist, kann voller Vertrauen sagen: „Ich bin von Gott geboren.“ Also doch: Wir alle.
Aber ich glaube, dass das nicht nur für die Taufe gilt. Denken Sie an die Worte aus dem Gebetsanliegenbuch. Immer wieder machen Menschen die Erfahrung, behütet worden zu sein. Eine Krise durchgestanden zu haben. Wieder neu anfangen zu können. Eine neue Chance zu bekommen. Dann fühlen sie sich oft wie die Frau: „Ich freue mich wie ein Kind zu Weihnachten. Ich fühle mich wie neu geboren.“
Aus Gott geboren zu werden ist eine Erfahrung, die man immer wieder im Leben machen kann. Immer, wenn einem Menschen ein Neuanfang geschenkt wird – im Großen und im Kleinen. Und wenn es gelingt, diesen Neuanfang als Geschenk Gottes zu verstehen.

III. Auch das zweite große Thema unseres Textes stammt aus dem Familienleben. Es geht um die heikle Frage, wie Geschwister eigentlich miteinander umgehen sollen.
Es gibt ja die älteren Geschwister, die sich auf die Geburt einer kleinen Schwester oder eines Bruders freuen. Die das Wachsen des Bauches ihrer Mamma miterleben und voller Vorfreude sind. Oft fühlen sie sich für das neugeborene Baby verantwortlich und möchten es umsorgen.
Aber nicht selten passiert auch das Gegenteil: Wenn Papa gerade nicht aufpasst, wird ausprobiert, wie die das Geschwisterchen auf einen Kniff reagiert. Oder die eifersüchtige Dreijährige versucht, den neuen Mitbewohner endlich von Mammas Schoß zu entfernen. Eifersucht ist ein Dauerthema. Aggression. Angst, ins Hintertreffen zu geraten. Oder auch Fremdheit zwischen älteren Geschwistern, die ja oft einen völlig unterschiedlichen Charakter haben.

IV. In unserem Text ist die Ansage klar: Ich bin nicht das einzige Gotteskind. Wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der auch von ihm geboren ist. Mit anderen Worten: Zur Elternliebe gehört auch die Geschwisterliebe.
Und worin zeigt es sich für Johannes, dass man seine Geschwister liebt? Indem man Gottes Gebote hält. Also: Wenn man so mit seinen Geschwistern umgeht, wie Gott es erwartet.
Was in der Familie gilt, das soll auch in der Gemeinde gelten. Denn darum geht es dem Johannesbrief natürlich. Er will keine Erziehungstipps geben. Auch wenn man sich vielleicht das eine oder andere für die eigene Familie abgucken kann.
Die Gotteskinder, von denen Johannes spricht, sind die Christinnen und Christen. Und deshalb zielt er auf die Frage, wie wir in der Gemeinde miteinander umgehen sollen. Wie eifersüchtige, aggressive Geschwister? Voller Angst, nicht genug beachtet zu werden? Mit Futterneid und Missgunst?
Oder wie? Zum Abschluss der Predigt möchte ich mit Ihnen über diese Frage nachdenken. Was erwartet Gott von uns, wie wir miteinander umgehen sollen? Wie sieht das Gebot aus, das in den Augen von Johannes nicht schwer ist? Und mit dem man das Negative überwinden kann, das die Welt oft mit sich bringt?

V. Ansetzen möchte ich wieder bei dem Gebetsanliegenbuch. Bei fast allen Einträgen spürt man, wie sehr der Glaube der Menschen mit ihren eigenen Lebensthemen zu tun hat. Die einen bitten um Kraft, um die Lösung eines Problems, um neue Handlungsmöglichkeiten. Andere wollen einfach einmal klagen und die eigenen Sorgen loswerden.
Und wieder andere sind dankbar für eine Erfahrung, die sie machen durften. Manchmal ist es zu einer Lebenswende gekommen. Zu einem echten Fortschritt. Dann kann es sein, dass sich die Betroffenen wie neu geboren fühlen. Aber oft geht es um einen der vielen kleinen Schritte, aus denen das Leben nun mal besteht.
Daran kann man erkennen, was Menschen sich von Gott erhoffen. Und welche Erfahrungen sie sich in der Gemeinde wünschen – und zwar zu Recht: Es soll um sie gehen. Um ihre Lebensthemen, ihre Träume und Hoffnungen, ihre Sorgen und ihre Erfahrungen. Um ihre Beziehung zu Gott.
Dazu ist es wichtig, dass Menschen in der Gemeinde füreinander ansprechbar sind. Wie Geschwister, die sich kennen. Aber auch für solche, die seltener zu Besuch kommen. Die Einträge in den Gebetsanliegenbüchern stammen häufig von solchen Menschen.
Viele wollen oder können keine regelmäßigen Verpflichtungen eingehen. Der eigene Alltag ist schon voll genug und die Zeit immer knapper. Aber sie haben ein Gespür dafür, dass bestimmte Zeiten aus dem Alltag herausragen. Wendepunkte im Leben wie das Erwachsenwerden, die Familiengründung oder das Sterben. Höhepunkte im Jahr wie die großen Feste. An diesen Stationen suchen sie religiöse Formen. Das sollte ihnen möglich sein, ohne zu große Hürden überwinden zu müssen.
Es ist wichtig, eine gemeinsame Sprache zu finden. Die Sprachlosigkeit des Glaubens wächst. Viele Menschen haben eine ganz private Gottesbeziehung. Aber sie sind kaum in der Lage, darüber zu reden. Weil ihnen die Worte fehlen. Weil es oft nicht zum guten Ton gehört. Weil Glaube Privatsache ist. Weil die biblischen Geschichten und Bilder in Vergessenheit geraten.
Dabei zeigen die Einträge in den Gebetsanliegenbüchern, dass sich der Glaube oft in einer ganz modernen, lebendigen Sprache ausdrücken lässt. „Ich bin ein Sonnenkind für’s ganze Leben – denn da hinten wird’s schon wieder hell.“ Die Beziehung zu Gott lebt davon, dass man darüber redet. Dass man sie teilt. Und mit-teilt.
Wenn die Liebe so wichtig ist, dann auch die Liebe zum Leben. Gemeinsam feiern. Sich praktisch unterstützen. Auf Ausflügen und Freizeiten Freude haben und Freundschaften knüpfen. Kunst begreifen und die Schönheit der Schöpfung entdecken – dafür soll Raum sein. Und dann sagen zu können: „Ich freue mich wie ein Kind zu Weihnachten.“
Alles das wäre aber bloß leere Betriebsamkeit, wenn es nicht von etwas anderem getragen würde. Gott liebt uns wie Vater und Mutter und will uns zu einem gelingenden Leben befreien. Er ist als menschlicher Bruder an unserer Seite und sucht das Gespräch mit uns. Wenn wir daran mitarbeiten, erfüllen wir sein Gebot. Amen.

Perikope
17.04.2016
5,1-15

So viel Weihnachten wie jetzt ist nur ganz selten - Predigt zu 1. Johannes 5,11-13 von Henning Kiene

So viel Weihnachten wie jetzt ist nur ganz selten - Predigt zu 1. Johannes 5,11-13 von Henning Kiene
5,11-13

So viel Weihnachten wie jetzt ist nur ganz selten

Liebe Gemeinde,

für Arbeitnehmer lag dieses Weihnachtsfest wirklich günstig. Heiligabend war am Donnerstag, Silvester auch. Die Feiertage fielen auf den Freitag und Sonnabend. Mit wenigen restlichen Urlaubstagen konnten sich viele von uns ein Maximum an Urlaub sichern. Mit anderen Worten: „So viel Weihnachten wie jetzt ist nur ganz selten.“ Der Kalender 2015/2016 macht es möglich.

Ich hoffe, dass wir jeden dieser freien Tage auch wirklich gründlich erleben konnten. Weihnachten, das ist auch: Familie und Freundschaften pflegen, das eigene Leben bedenken, diese Freiheit empfinden, die nur arbeitsfreie Tage und vor allem unser Glaube uns eröffnet. Weihnachten mit allen Feiertagen, die wir seit Heiligabend begehen, mit allem, was wir erlebt haben, tut gut, weil es uns eine Ahnung von einem Mehr mitgibt. Und dieses Mehr ist menschlich, lässt Gott erkennbar werden und füllt das Leben in vielerlei Hinsicht aus. Es ist von Ewigkeit die Rede, aber alle Ewigkeit kommt in unserem Leben mit einer Krippe aus und mit dir und mir. Oftmals gleichen wir der Krippe, in die Gott sich durch den Glauben hineingibt. Es ist wie eine ungleiche Gleichung: Immer mehr von Gott kommt in unsere Welt als jede und jeder mit dem Glaube je fassen wird. Immer mehr Gnade als wir erbitten, mehr Kraft als wir zu hoffen wagten. Wenn vom Glauben die Rede ist, dann kommt oftmals dieser Überraschungsmoment zur Sprache, in dem man feststellen muss: Da ist ein Mehr, als ich je zu hoffen wagte.

II. Sorgen und nicht sorgen

In diese Reihe freier Tage hinein bildet sich eine Dimension ab, die sich vor die reine Freizeit der wenigen Urlaubstage, die man beantragen musste, schiebt. Sie zeigt deutlich: Es gibt nicht nur ein Heute, in dem ich lebe und arbeite, in dem jede und jeder immer etwas entscheiden und tun oder auch nur erdulden muss. Man könnte ja auf die Idee kommen, alles Entscheidende im Leben läge nur in der eigenen Hand. Man könnte denken, die Lösungen, besonders die Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Tage, wären in unserer und der politischen Verantwortung hoffentlich gut aufgehoben. Gerade nach den letzten Monaten, nach Paris, den Attentaten, in dieser sogenannten Flüchtlingskrise…., viele Menschen sprechen von ihren Sorgen, vermischen die Themen. Und wir wissen nicht erst seit der Wendezeit, dass das Beten für den Frieden genauso wichtig ist, wie das Verhandeln um den Frieden.

Das gibt es auch, Menschen, die sagen, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, seien nicht zu lösen. Beispielsweise seien es zu viele Flüchtlinge, die zu uns kämen. Sie fragen: Wie soll es uns gelingen diese Menschen in unsere Dörfer und Städte zu integrieren. Die einen fragen vordergründig, sie wollen keine Antworten suchen. Andere verharren nicht bei ihren Fragen, sie sorgen dafür, dass die neuen Familien in den Dörfern und Städten aufgenommen werden. In meiner Umgebung kenne ich keinen Menschen, der nicht irgendwie ehrenamtlich etwas für Flüchtlinge tut. Das geht von dem Lehrer, der zwei Nachmittage Deutsch unterrichten will bis zur Redaktion von Chrismon, die Weihnachten auf Arabisch, Englisch und Deutsch erklärt, damit die Leute wissen, was wir gerade feiern.

Ein Kaufmann erzählt mir aus seinem kleinen Dorf. Die Kommune mietet in den leer stehenden Gebäuden Wohnungen an, sorgt dafür, dass hier vor allem Familien zuziehen. Man hätte ja die Kindergärten und die Schulen in den Dörfern ursprünglich für viel mehr Kinder ausgelegt als heute kämen, es sei nun genug Platz und die Infrastruktur sei doch vorhanden, diese neuen Familien aufzunehmen. Und dann ist da auch Erschöpfung mit zu hören. Dass wir das alles wirklich gut schaffen, dass tatsächlich eine Integration dieser neu zu uns kommenden Menschen gelingen wird, das ist nicht garantiert. Die Voraussetzungen lassen sich vorbereiten, der Wille zum Gelingen schafft das richtige Klima. Wir würden uns selber überfordern, wollten wir mehr beitragen als das Gelingen zu ermöglichen. Mehr als wir mit unserer Kraft schaffen können, sollten wir nicht versuchen.

III. Gott hat das ewige Leben gegeben

Heute sehen wir auf diese vielen Festtage schon zurück. Frei waren sie und mit dem Weihnachtsfest angefüllt. Hoffentlich sagen wir alle „so viel Weihnachten, wie bei diesem Fest, ist selten gewesen!“, denken an diese lange Pause zwischen den Jahren, an unsere Familien, die Geschwister, Kinder und auch an die Menschen, die nicht mehr mit uns feiern konnten. Da schiebt sich mit dem Gedanken an dieses Fest die Erfahrung mit einer anderen Dimension in den Vordergrund. Es ist etwas, das vor und in und durch all das Machbare hindurch wirkt. Als würde alles durch eine Kraft getragen, die die Bibel „ewiges Leben“ nennt, die aber den Namen Jesus Christus trägt.

Die Krippe, in die man ihn legte, ist der Ort, an dem all das, was uns bewegt, mit einer anderen Kraft in Verbindung kommt. Es ist, als würde eine Tür zu dem geöffnet werden, von dem der 1. Johannesbrief sagt: „das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn“. Die Krippe und mit ihr Jesu Leben macht unsere Welt, macht mein und dein Leben zum Schauplatz Gottes. Seine Liebe, seine Gnade, seine Zukunftsansage führen nicht irgendwo in eine namenlose Ferne, sondern spielen in unserem jeweiligen Heute.

Diese Botschaft ist ebenso komplex, wie sie einfach ist: Das Zeugnis Gottes ist immer größer als das eigene Leben, das dieses Zeugnis aufnimmt. Es gibt immer ein Mehr an Gott, Ewigkeit und christlicher Botschaft, als ich je in meinem Glauben fassen werde. Oder: Das ewige Leben, von dem die Bibel spricht, hat eine innige Verbindung zum Heute und ist doch so viel reicher, dass ich vieles empfangen, aber niemals alles begreifen werde. Oder im weihnachtlichen Bild gesagt: Mein Glaube ist wie die Krippe von Bethlehem, mein Glaube wird, wie das ganze Leben mit Jesus Christus erfüllt, ohne Jesus Christus je ganz fassen zu können.

„So viel Weihnachten ist selten“, sagen die, die die arbeitnehmerfreundlich gelegenen Festtage durchzählen. Aber ist dann doch mehr als nur die freien Tage: Weihnachten sagt: Dein Leben ist nicht ein dauerndes Lösen der eigenen Problemen, ein Helfen-Wollen und Helfen-Können, es ist auch nicht nur ein ständiges, sich um die Zukunft Sorgen-Machen, oder gar ein sich Ängstigen, ein Erdulden möglicher Missstände und manchmal auch der Schmerzen, an denen einige von uns möglicherweise beständig leiden. Das ist alles sehr wichtig und oftmals beherrschend, aber es spielt alles nur auf einer einzigen Ebene, dem Heute, meinem eigenen Leben. Dafür muss man keine Feiertage ansetzen oder kostbare Urlaubstage beantragen.

IV. Mehr als Heute

Leben ist mehr als nur ein reines Heute. Es ist wie mit dem neuen Kalender, den kann man füllen. Aber jede und jeder weiß zugleich, der Terminkalender bildet, auch wenn er noch so voll ist, nur die eine sehr dünne Schicht meines Lebens ab. Es ist tiefer und vielschichtiger, als ich es ahne.

Wer sagt: So viel Weihnachten, wie zwischen den Jahren 2015 und 2016 ist selten, kann das am besten sagen, wenn diese Dimension, von der der 1. Johannesbrief spricht, im Blick ist. Da ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben sich in seinem Sohn, sich in das Leben hinein entfaltet ohne sich in diesem Leben dann auch noch zu erschöpfen. Die Krippe dient als Ort der Selbstbesinnung und Lebensorientierung und an ihr wird deutlich, wer und wie jede und jeder von uns wirklich ist. Möge Gott uns erfüllen.

Es ist heute, am 2. Sonntag nach Weihnachten so, ein Datum, das anzeigt, wir haben die Fülle des Festes tatsächlich durchmessen. Heute sind wir trotzdem noch immer dabei. Wir hören noch einmal Texte und singen Lieder, die in die Mitte der Geschichte lenken: Die weihnachtliche Kirche führt noch einmal in dieses Fest hinein, damit wir diesen Tag auch nutzen. Es gibt noch etwas zu sagen, zu bedenken, nutzen wir den Sonntag dazu, bevor es Schritt um Schritt in den Alltag zurückgeht. 

Und: Mit Blick auf dieses neue Jahr haben einige schon festgestellt: Das Schaltjahr schiebt den Heiligabend und Silvester auf einen Sonnabend. Die Festtage fallen mit den Wochenenden zusammen. Ein Schelm, wer sagen wollte: So wenig Weihnachten, wie wir es in diesem Jahr zu erwarten haben, ist selten. Das zu sagen, würde den Dimensionen von Weihnachten wenig gerecht. „Das Ihr das ewige Leben habt“, sagt der Johannesbrief: Dazu braucht es immer auch diese tiefere Dimension, diese Momente, für die wir keine Urlaubsanträge schreiben müssen, die sind, wenn der Glaube auf den Alltag trifft, wenn wir etwas tun und entscheiden müssen, dann ist immer etwas von diesem Glauben dabei.

Perikope
03.01.2016
5,11-13

Ewiges Leben: Wir haben es schon - Predigt zu 1.Johannes 5,11-13 von Martin Weeber

Ewiges Leben: Wir haben es schon - Predigt zu 1.Johannes 5,11-13 von Martin Weeber
5,11-13

Ewiges Leben: Wir haben es schon.

Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.

Wenn wir von „Ewigkeit“ reden, dann denken wir zumeist an eine sehr, sehr lange Zeit. Oft kommt uns diese Zeit dann viel zu lang vor: „Heute Morgen bin ich mal wieder eine Ewigkeit lang im Stau gestanden.“ „Neulich habe ich eine Ewigkeit lang im Wartezimmer gesessen.“ „Die ewigen Baustellen nerven.“

Wenn wir uns solche Redewendungen vor Augen führen, dann leuchtet uns sofort ein, dass eine lange Zeitdauer nicht schon für sich etwas Gutes ist. Bei vielem möchte man eigentlich, dass es möglichst schnell vorübergeht. Wenn wir es zeitlich verstehen, dann ist das ewige Leben nur dann ein erstrebenswertes Gut, wenn es schon in jedem einzelnen Moment attraktiv ist. Ewigkeit muss mehr sein als ein Zustand, der einfach nur lange andauert.

Vom ewigen Leben ist in unserem Predigttext die Rede, einem Abschnitt aus den ersten Brief des Johannes. „Ewiges Leben“: Der Ausdruck scheint rätselhaft zu sein. Wenn man den Briefschreiber aber ernst nimmt, dann sollte eigentlich das Gegenteil der Fall sein: Wir müssten eigentlich nur auf unsere Lebenserfahrung als Christen schauen, und schon wüssten wir, wie das Ewige Leben aussieht, denn wir haben es ja schon: „Das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat.“ Der Briefschreiber redet vom ewigen Leben nicht als von einem Gut, das uns erst in der Zukunft zuteil wird. Für ihn haben wir schon jetzt, schon in der Gegenwart, Anteil am ewigen Leben: Wer den Sohn hat, der hat das Leben.

Wie das ewige Leben aussieht, das sehen wir an Gottes Sohn, an Jesus Christus. Um es mit den Worten des Briefschreiber zu sagen: dieses Leben – gemeint ist: das ewige Leben – ist in seinem Sohn. Wir schauen das Leben Jesu an, und es tritt uns das ewige Leben vor Augen. Was zeichnet das Leben Jesu aus? Nun, er führt ein Leben im stetigen Bewusstsein der Gegenwart Gottes. Selbst als er am Kreuz an der Gegenwart Gottes zu zweifeln scheint, wendet er sich doch noch an Gott: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Mit dieser Frage ist klar: Noch in der tiefsten Verzweiflung bleibt Gott ihm sein Gesprächspartner.

Es ist nicht nur ein sprachliches Detail, dass der Briefschreiber in dem Abschnitt, den wir heute gemeinsam betrachten, die beiden Ausdrücke abwechselnd verwendet: „ewiges Leben“ und „Leben“. Er wechselt die Ausdrücke nicht nur ab, weil ihm das so im Deutschunterricht bzw. Griechischunterricht beigebracht worden ist: Ausdrücke abwechseln, nicht immer das gleiche Wort verwenden. Nein, mit dieser Abwechslung verbindet sich für den Briefschreiber eine sachliche Pointe: Ewiges Leben, das ist für ihn Leben im Vollsinn. Ein Leben, das nicht verfehlt, verschwendet oder insgesamt vertrödelt wird (so sehr auch zum Leben im Vollsinn eine zeitweise Trödelei durchaus dazugehören darf). Ein Leben im Vollsinn ist ein Leben, das seiner Bestimmung entspricht. Wie solch ein Leben aussieht, das können wir am Leben Jesu ablesen. Zwar können wir ihn nicht in allen Einzelheiten imitieren, das sollen wir auch gar nicht. Er ist er, und wir sind wir. Aber gewisse Grundorientierungen können wir durchaus übernehmen. Die wichtigste Grundorientierung scheint mir die folgende zu sein: Jesus führt sein Leben nicht für sich selbst. Er lebt es zusammen mit anderen, und er lebt es für andere.

Ein Leben mit anderen und für andere: Das ist das christliche Leben, und das ist auch das ewige Leben.

Wir denken in diesen Tagen nach über die beiden biblischen Weihnachtsgeschichten. Zum einen über die Geschichte von der Geburt Jesu im Stall. Und zum anderen über die Geschichte von den drei Sterndeutern aus dem Orient, die, geleitet vom Stern, den neu geborenen Messias besuchen. Beide Geschichten sind einigermaßen reich an Personal. Und dieser erzählerische Zug weist auf schöne Weise darauf hin, dass Jesus von Anfang an sich hinein begibt in das reiche und volle, auch spannungsvolle, Menschenleben. Das ewige Leben scheint nicht unbedingt ein ruhiges Leben zu sein. Nein, ruhig ist das Leben zusammen mit anderen meistens nicht.

Immer wieder in der Religionsgeschichte der Menschheit hat man gemeint, man käme dem ewigen Leben dadurch näher, dass man sich zurückzieht aus den Wirren und aus den Aufregungen der Welt. Man zog sich etwa zurück in die geregelte Stille des klösterlichen Lebens, oder man wurde gar zum Einsiedler. An diesen Rückzugsüberlegungen ist auch durchaus etwas dran. Die Evangelien berichten uns davon, dass auch Jesus sich immer wieder zurückgezogen hat. Er brauchte Zeit für sich allein, genauer: Zeit in der er zusammen mit Gott allein sein konnte. So geht‘s auch uns: Bei allem Engagement und bei aller Freude an der Geselligkeit brauchen wir doch immer wieder Möglichkeiten des Rückzugs. Und es ist schön, wenn die zurückliegenden Feiertage uns zwischen all den damit verbundenen Begegnungen doch auch Möglichkeiten zur Ruhe geboten haben.

In der Ruhe ist es uns vielleicht wieder neu bewusst geworden, dass sich unser Leben nicht unserer Eigenaktivität verdankt. Wir müssen unser Leben nicht selbst hervorbringen, es wird uns gegeben und geschenkt. Ein Leben, das als gegebenes und geschenktes gelebt und genossen wird: Das ist das christliche Leben, und das ist auch das ewige Leben.

Wir können am Leben Jesu ablesen, wie ewiges Leben aussieht. Aber das Bild wird erst vollständig, wenn wir uns mit Jesus nicht einfach identifizieren. Wir müssen, nein: wir dürfen uns auch mit jenen identifizieren, denen Jesus sich zuwendet. Er ist er, und wir sind wir. Und während bei ihm die Hingabe ganz im Vordergrund steht, und uns nur an ganz wenigen Stellen davon berichtet wird, dass auch er Zuneigung und Wohltaten empfangen hat, darf es bei uns anders sein: Wir dürfen im wesentlichen Empfangende sein und die Wohltaten genießen, die Gott uns gönnt.

So sieht das ewige Leben für uns aus: Wir dürfen unser Leben als gegebenes und geschenktes Leben genießen und uns daran erfreuen. Und aus dieser Freude an unserem Leben erwächst dann die fröhliche Zuwendung zu den anderen. Gott gibt, und wir geben weiter. Das ist, wenn man so will, ein „ewiger“ Kreislauf: Dankbares Empfangen, fröhliches Weitergeben.

Ewiges Leben ist etwas anderes als ein Leben, das einfach nur immer weiter und weiter geht. Ewigkeit ist mehr als endlos verlängerte Zeit. Und dennoch kann man von der Ewigkeit nicht ganz ohne Bezug auf die Zeit reden. Irgend etwas hat die Ewigkeit doch mit der Zeit zu tun. Ja, die Ewigkeit tut etwas mit der Zeit: An Weihnachten kommt die Ewigkeit in die Zeit hinein - und damit verändert sich die Zeit. Denn nun ist die Zeit erfüllt, erfüllt durch die Gegenwart Gottes in Christus. Ohne Christus können wir uns über Gott immer nur ganz abstrakte Gedanken machen. Ohne Christus rätseln wir über Gott hin und her. Aber nun haben wir ein anschauliches Bild von Gott vor uns. Der Gott, der uns einst verboten hat, dass wir uns ein Bild von ihm machen, der hat nun selber eine anschauliche Gestalt angenommen. Wir müssen nun keine Zeit mehr darauf verschwenden, uns zu überlegen, wie wir uns denn Gott vorstellen sollen. Wir schauen auf Christus und haben damit Gott vor unserem Angesicht. Die Zeit des Rätselratens ist vorbei.

Und nun fühlt sich das Leben für uns anders an: Unsere Sehnsucht hat ihre Erfüllung gefunden, unser Leben sein Ziel. Mehr können wir eigentlich nicht wollen, als Gott zu begegnen. Und in Christus sind wir ihm begegnet. Deshalb ist nun alle Zeit, die noch vor uns liegt, keine Zeit des Suchens mehr. Wir wurden gefunden, und damit hat unsere Suche ein Ende. Wir leben zwar noch auf Erden, wir tragen noch die Mühen des Erdenlebens, aber unser Leben ist schon zu einem ewigen Leben geworden: Wer den Sohn hat, der hat das Leben. Er hat es schon jetzt, und er wird es nicht mehr verlieren, auch nicht durch den Tod.

Sehr abstrakt redet unser Predigttext von dem ewigen Leben, das an Weihnachten in die Welt gekommen ist. Sehr viel anschaulicher und sehr viel gefühlvoller singen die schönen Lieder vom ewigen Leben, die wir in diesen Tagen so gerne anstimmen. Darum lasst uns nun singen…

Perikope
03.01.2016
5,11-13

Predigt zu 1.Johannes 1,1-4 von Karl Hardecker

Predigt zu 1.Johannes 1,1-4 von Karl Hardecker
1,1-4

Liebe Gemeinde,

Weihnachten ist immer gefeiert worden, auch in unruhigen Zeiten, selbst in friedlosen Zeiten.

Die Älteren unter uns haben dies selbst erlebt, die Jüngeren davon gehört: dass auch in Zeiten des 2. Weltkriegs Weihnachten gefeiert wurde, auch wenn es nichts zu feiern gab. Dass hier und da eine Feuerpause zu Stande  kam, - an Heiligabend und wenn es hoch kam auch noch am Morgen des Christtags, bevor dann das Töten und Sterben weiter ging.

Der Christbaum in friedlosen Zeiten erinnert daran, dass das Christfest ein Fest des Friedens ist und damit alles in Frage stellt, was dem Unfrieden dient. Krieg und Gewalt vertragen sich nicht.

Der Christbaum steht. Als Symbol steht er ganz fest, fest verwurzelt in der Erde, wie wenn er schon immer dort gestanden hätte, aus ewigen Zeiten.

Was von Anfang an war, - so beginnt der 1. Johannesbrief.

Was von Anfang an war: die Liebe Gottes zu den Menschen und zu dieser Welt. Was von Anfang an war: ein zutiefst konstruktives Verhältnis Gottes zu dieser Welt.

Konstruktiv, nicht destruktiv. Und so fördert dieser Gott die Menschen, wo er nur kann und er tut dies mit seinem Geist: in seinem Geiste errichten Christen Spitäler für die Ärmsten; in seinem Geiste werden behinderte Menschen gefördert, gepflegt und umsorgt; in seinem Geiste kümmern sich Christen um die seelische Not anderer Menschen und lindern ihre Angst.

Gottes Verhältnis zu dieser Welt war von Anfang an konstruktiv. Eine hohe Kunst pflegt hier unser Gott. Mit dem Mörder, der in unendlicher Schuld einen anderen Menschen getötet, konstruktiv umzugehen und mit ihm das Gespräch zu suchen und ein Verhältnis zu pflegen, an dem am Ende ein einsichtiger Mensch steht, - das ist hohe Kunst.

Konstruktiv umzugehen mit Menschen, die dementiell erkrankt sind und einen Zugang zu ihnen zu finden, der sie auch in ihrer Situation noch erreicht und erheitert, ist hohe Kunst, aber durchaus erlernbar.  

Um dieses Ziel zu erreichen, setzt dieser Gott Himmel und Erde in Bewegung. Sein Einsatz lohnt sich. Menschen reagieren und lassen sich bewegen: sie haben den Christus mit ihren Augen gesehen, mit ihren Händen betastet, mit ihren Ohren gehört.

Schade, dass wir dieses Bewegt Werden an einer Weihnachtskrippe nicht sehen: Maria sitzt, wenn auch oft lächelnd, aber doch meistens stoisch und still; Josef steht wie ein Wächter und beide bleiben bewegungslos, die Hirten stehen, die doch gelaufen kamen und an der Seite verharren die drei Magier, wo die doch eine weite Strecke zurück gelegt haben.

Wir träumen uns hinein in diese Krippe; wir verlieben uns in dieses Bild eines harmonischen Friedens, in diese Idylle. Ist sie zu schön, um wahr zu sein? Oder wie kommen wir soweit, ein Teil dieser Krippe zu sein? Wie kommen wir dahin, diese Kraft in uns zu spüren, diese Kraft, die in der Bewegung Gottes steckt, wenn er seinen Himmel verlässt?

Wir müssen dies üben. Dies ist hohe Kunst, Weihnachtskunst. Sie beginnt damit, dass wir zur Krippe her treten, demütig und mit dem Bewusstsein: wenigstens wir könnten friedlich sein, wo doch unsere Welt voller Unfrieden ist. Wenigstens wir sollten erkennen, wo der Friede beginnt. Treten wir also herzu in einer Haltung, die dem anderen das Leben lässt. In einer Haltung, die das Leuchten im anderen erkennt, die ihn zum Reden bringt, weil sie Vertrauen schafft, die seine Angst überwinden hilft, dass sein Antlitz zu leuchten beginnt.

Diese Weihnachtskunst wollen wir üben. Denn diese Kunst kann mit ihrer Kraft das elende und gedemütigte Leben von Menschen verwandeln. Sie kann das verängstigte Leben derer, die unter die Räder kommen, wenn Terror und Krieg ein Land in Schutt und Asche legen wie in Syrien, ein Stück weit verwandeln. Und so gilt das Wort des Lebens diesen verängstigten Menschen als ersten. Sie zeigt ihnen, dass das neu erschienene Leben ein Leben in Achtung und Würde ist.

Fürchtet euch nicht! sagt der Engel zu verängstigten Hirten.

Fürchtet euch nicht! Diese Botschaft gilt den Millionen von verängstigten Menschen, die auf der Flucht sind nicht nur nach Europa, auch innerhalb Afrikas, die auf der Flucht sind vor den Al- Shabaab- Milizen und sich in die gigantischen Flüchtlingslager von Dadaab nach Kenia zurückgezogen haben.

Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod: diese Erklärung der islamistischen Märtyrer macht die Schieflage deutlich, in der wir uns derzeit befinden.

Die den Tod lieben, weil sie einer fanatisierten Märtyrerpropaganda aufsaßen, sind uns, die wir das Leben lieben, unendlich überlegen. Die Kunst, die sie pflegen, ist destruktiv. Sie zerstört alles, was ihnen entgegensteht, was die Welt anders sieht.

Kein Wunder, dass es da kritische Stimmen gibt, die sagen: noch besser wäre es, wir kämen ganz ohne Religion aus, dann würde aufhören, dass in ihrem Namen Selbstmordattentate verübt, Kriege geführt, Menschen getötet oder Menschen vertrieben werden.

Aber selbst wenn wir alle Religionen abschafften, bliebe die Aufgabe, konstruktiv umzugehen mit unserer Welt und unserem Leben, Wege zu finden aus der Gefahr.

Navid Kermani hat in seinem neuesten Buch geschrieben, dass ihm das Kreuz Jesu Mühe bereite, weil es eine Geschichte der Gewalt in sich trägt. Viel mehr würde ihn Jesus mit seinen so milden und menschenfreundlichen Zügen überzeugen.

Und dabei verweist er auf ein Gedicht Hölderlins, in dem Hölderlin schreibt, dass Jesus nie genug von Güte zu sagen hatte und nie genug davon das Zürnen der Welt zu erheitern (Patmos).

Das Zürnen der Welt zu erheitern: das könnte auch eine Botschaft von Weihnachten sein. Dann wäre es selbst ein Wort des Lebens: Das Zürnen der Welt wollte Gott erheitern mit der Geburt eines Kindes, mit seinem Lächeln, mit seiner Wehrlosigkeit, mit seiner Hilflosigkeit, die so entwaffnend ist, dass sie unser Herz anspricht, die uns zu rühren im Stande ist.

Es ist hohe Kunst, Menschenherzen zu wenden. Diese Kunst kennt unser Gott. Sie beginnt damit, dass ihm Menschen, die verloren gehen, zu Herzen gehen, dass er erschüttert wird von all dem Menschenleid und all der Menschenschuld. Und dass er nach einer Antwort sucht auf all die Not und all die Angst und dass seine Antwort im Kind zu finden ist, das seinen Namen trägt. Und dieses Kind den Frieden bringt. Und dieses Kind uns die Weihnachtskunst lehrt. Und diese ist konstruktiv, diese ist menschenlieb, diese hilft Welt zu bauen, aus Kriegslandschaften Städte zu bauen und aus zerstörten Seelen Menschen, die anderen wieder vertrauen. Mit dieser Kunst kommst Du weit.

Amen

 

Perikope
27.12.2015
1,1-4

Predigt zu 1.Johannes 1,1-4 von Lucie Panzer

Predigt zu 1.Johannes 1,1-4 von Lucie Panzer
1,1-4

Lesung: Lk 2, 22-30

Lied: Vom Himmel hoch, V 1 + 2

Wie sieht Gott aus? Fragen einen manchmal die Kinder. Kann man ihn überhaupt sehen? Gott kann man nicht sehen, antworten wir klugen Erwachsenen dann meistens. Er ist überall, sagen manche noch, aber er ist unsichtbar. Und wir haben bei dieser Antwort ja die 10 Gebote auf unserer Seite. Das zweite Gebot heißt doch: Du sollst Dir kein Bild von Gott machen.
Gott kann man nicht sehen, sagen wir also den Kindern. Gott ist unsichtbar – kommt bei den Kindern an. Und manche halten Gott dann für eine Art Geist oder Gespenst – die sind auch unsichtbar. Und uns Erwachsenen gerät Gott über diesen klugen Erklärungen irgendwie aus dem Blick. „Droben über’m Himmelszelt muss ein guter Vater wohnen“, sagen und singen wir und viele fragen sich, ob der da oben womöglich schläft und gar nicht merkt, was hier unten bei uns vorgeht. Und dann passiert es leicht, dass einer sagt: So ein Gott, der ist mir zu weit weg, der kümmert sich ja doch nicht um mich und um unsere Welt – eigentlich ist es egal, ob es ihn gibt oder nicht.

Kann man Gott sehen?

Ja, man kann! Hören wir heute, ein paar Tage nach Weihnachten. Wir haben von Simeon gehört, der ein Neugeborenes im Arm gehalten hat und begriffen: „Meine Augen haben den Heiland gesehen!“ Wir singen von der guten neuen Mär‘, von der Geschichte, die Gott selbst neu anfängt: „Euch ist ein Kindlein heut‘ gebor‘n…“. Gott hat sich gezeigt. Ein Kind in der Krippe. Martin Luther hat dieses Lied gedichtet. Für ihn war das Weihnachtsfest das schönste der christlichen Feste. Da, hat er gesagt, da kann man Gott sehen. Im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. „Wir fassen keinen anderen Gott als den, der in jenem Menschen ist, der vom Himmel kam. Ich fange bei der Krippe an.“ Ja, also. Ja, man kann Gott sehen. Er selbst hat sich gezeigt.
Davon redet auch der Bibelabschnitt, der für diesen Gottesdienst heute vorgesehen ist. Er kommt aus dem 1. Johannesbrief und gibt eben diese Antwort: Ja, man kann Gott sehen. Und hören. Und begreifen. Weil er sich gezeigt hat.

Ich lese 1. Johannes 1, 1-4

Gott hat sich gezeigt. Sein Wort ist Fleisch geworden. Damit jeder ihn hören kann und sehen, betrachten und betasten. Wie die Hirten damals. Wie die Weisen, die später kamen. Wie Simeon, der Alte im Tempel. Wie alle die, die Jesus später begegnet sind. Gott hat sich gezeigt.
In diesem Kind, das Jesus heißt. Gott rettet. Oder Immanuel. Gott ist mit uns. Das ist der zweite Name, den die Eltern ihm geben sollten. An diesem Kind sollte man sehen können, wer Gott ist und wie er ist: Mit uns. Mit Ihnen. Mit mir. „Immanuel - Gott mit uns“ oder „Jesus – Gott hilft“ – diese Namen sollen mir in den Sinn kommen, wenn ich an Gott denke. Die abstrakten Gottesnamen werden überflüssig. Die Superlative: Der Ewige. Der Allmächtige. Der Herrgott – das sind Beschreibungen, die Menschen sich gemacht haben. Seit Weihnachten glauben Christen: Gott selbst hat sich in einem Menschen gezeigt, der Jesus heißt: Gott rettet.

Und was kann man sehen und hören und begreifen durch ein Kind?
Das Leben wird neu mit einem Kind und durch die Kinder. Ganz allmählich und manchmal ein bisschen mühsam lerne ich z.B. von meinen Kindern: es geht auch anders. Und manches ist viel lebendiger, viel einfacher als bei mir, die ich doch schon ein bisschen festgefahren und unbeweglich geworden bin.
Jesus war ein Kind und später ein junger Mann mit neuen Ideen. Mit ihm hat Gott gezeigt, wie das Leben neu anfangen kann. Es soll nicht immer alles beim Alten bleiben. Es soll nicht immer dasselbe von vorne losgehen: Dass es Gewinner gibt und Verlierer, Mächtige und Machtlose, Arme und Reiche, Freunde und Feinde, das ist kein Naturgesetz. Jesus hat später gesagt wie das anders werden kann: „Es ist euch gesagt, dass ihr euren Nächsten lieben und eure Feinde hassen sollt. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde.“ Oder: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Wenn euch einer auf die rechte Backe schlägt, dann bietet ihm die andere auch dar.“ Und er hat vorgelebt, wie das gehen kann, dieses neue Leben. Mit denen und für die, die sonst niemanden haben. Denen hat er sich zugewendet. Er hat gezeigt, dass alle genug zum Leben haben, wenn man teilt, was da ist. Denen, die das Leben zu Boden gedrückt hat, hat er gesagt: Steh auf. Fang neu an. Er hat ihnen gezeigt: Immanuel – Gott ist mit uns. Ganz konkret. So, dass man es sehen und hören, betrachten und betasten konnte. Gott ist mit uns. Er hilft, die Welt erträglich zu machen. Er hilft zu tragen, was einem zu schwer scheint.
Allerdings: Gott hat sich auch Feinde gemacht mit seiner Art zu Reden und zu Leben. Wer sich begreifbar macht, wird angreifbar. Das kann nicht sein, dass Gott so ist – haben sie gesagt. Gott ist anders. Wir haben ein anderes Bild von ihm Gott ist ewig. Allmächtig. Und weit weg. Im Himmel. Dieser Mann hier, mit seiner windigen Geburt und seinem merkwürdigen Lebenswandel – dieser Mann kann nicht Gott sein. Als er 30 Jahre alt war, haben sie Jesus hingerichtet.
Und doch glauben wir Christen: In diesem Menschen hat Gott sich gezeigt. Und der fängt immer neu an mit seinen Menschen. Mit jedem Kind.

Lied: Vom Himmel hoch, V. 3 - 4

Gott hat sich zu erkennen gegeben. Der Johannesbrief sagt: So ist das Leben sichtbar geworden. Leben, das gut ist. Leben, das Bestand hat. Das Leben, das ewig ist. Leben, wie es nach Gottes Willen sein soll. Das zeigt sich in diesem Kind.
Was für ein Leben zeigt sich da, in diesem Kind? In einem Kind? 
Die meisten Erwachsenen meinen ja: Wer etwas vom Leben haben will, der muss sehen, dass er hoch hinaus kommt. Wenn man das schafft, ein Stückchen weiter nach oben, dann hat man mehr vom Leben. Deshalb ist das das Wichtigste: Dass man voran kommt. Möglichst hoch hinauf. Deshalb muss man aufpassen, dass man nicht zu kurz kommt. Deshalb muss man nehmen, was man kriegen kann. Da kann man keine Rücksicht nehmen auf andere. Die müssen schon selber sehen, wo sie bleiben Mir schenkt ja auch keiner was.
Aber im Stall in Bethlehem, da wo Gott sich gezeigt hat, da konnte man sehen: Frieden und Freude fangen unten an. Dazu muss man nicht erst möglichst weit nach oben. Und ich glaube, das gilt bis heute.
Wir haben früher in unserer Familie ein Spiel gemacht – manchmal schon an Weihnachten, meistens aber erst an Silvester. Die Kinder – auch als sie noch ziemlich klein waren - wir Eltern, die Oma, der Besuch – alle konnten dabei mitmachen. „Was war am schönsten?“ – hieß unser Spiel. Jeder musste das, was für ihn im vergangenen Jahr man schönsten war, darstellen – als Pantomime, ohne Worte. So konnten auch die Kleinen schon mitmachen. Und die anderen mussten zu erraten versuchen, was dargestellt wurde. Das war oft sehr lustig, bis man endlich herausgefunden hatte, was gemeint war.
Ich erinnere mich noch gut wie unsere Tochter einmal auf dem Boden herumkroch und Miau gemacht hat – das Schönste in dem Jahr war für sie nicht der Urlaub am Meer, auch nicht, dass sie es in die höhere Schule geschafft hatte: das Schönste war, dass wir das Kätzchen behalten haben, das uns im Frühjahr zugelaufen war. Oder meine Mutter: Wir hatten uns solche Mühe gegeben mit ihrem hohen, runden Geburtstag. Jeder sollte sehen, wie viel uns die Mutter wert war. Aber an Silvester bei unserem Spiel saß sie da und strickte unentwegt an einem unsichtbaren Strickzeug und zeigte und erklärte einer unsichtbaren Schülerin. Für sie war in dem Jahr das Schönste gewesen, dass wir für ein paar Stunden zusammen gesessen haben und sie mir beigebracht hat, wie man Strümpfe strickt. Das kannst du in 30 Jahren noch, hat sie später gesagt – wenn ich längst nicht mehr bin.
Das Leben, das ewig ist: Ich glaube, das ist es. Einfach und ohne großen Aufwand. Da wo Menschen miteinander leben und einander Freude machen. Das muss nichts großes sein. Das Kind im Stall in Bethlehem war auch nichts Großes und Besonderes. Aber da konnte man es sehen und hören und betasten. Und heute kann man das auch erleben: Menschen, die sich einander liebevoll zuwenden, die können wie im Himmel leben. Nun und ewiglich.

Lied: Vom Himmel hoch, V. 5 + 6

„So merket nun das Zeichen recht“: es gibt Zeichen, an denen man Gottes Nähe sehen und hören und betasten kann. Und das Leben spüren, das Bestand hat und bleibt. Der alte Simeon hat es wohl von allein gemerkt: Wenn man so ein Neugeborenes auf dem Arm hat, dann geht einem ja das Herz auf und man hofft und will es glauben, dass das Leben gut werden kann. Und oft verändert so ein Neugeborenes die Menschen. Frauen, die Mütter werden, Männer, die Väter werden: Auf einmal sind sie andere Menschen. Fürsorglicher, zärtlicher, umsichtiger, verantwortungsbewusster als vorher. Es ist ein großes Glück, wenn das passiert. Kinder können die Welt um sie herum verändern. Vielleicht kann man auch sagen: Mit den Kindern und durch die Kinder verändert uns Gott.

Aber manchmal muss einem erst jemand die Augen für Gottes Nähe öffnen. Manchmal muss einen erst jemand darauf aufmerksam machen.
Wie geht das? Wie kann man andere aufmerksam machen auf Gott, den man sehen und hören und betasten kann? Wie kann man anderen helfen, auf Gott zu vertrauen im eigenen LEben?
In einem Bilderbuch habe ich gesehen, wie es vielleicht gehen könnte. Einfach eigentlich und einleuchtend. Das Bilderbuch ist von Jutta Bauer und heißt: „Opas Engel“.
Darin wird gezeigt, wie ein Opa seinem Enkel aus seinem Leben erzählt. Er erzählt von seinem Engel. Von dem Engel, der immer dabei war in seinem Leben. Früher hat er es gar nicht so begriffen. Aber jetzt als Opa, da weiß er: Gottes Engel waren immer dabei. Gott war immer dabei. Immanuel.
Die Bilder in dem Buch zeigen, wie das war: Als Opa ein kleiner Junge war, gab es einen schlimmen Hund in der Nachbarschaft. Aber Opa konnte zitternd aber doch mutig genug an dem Hund vorbei – der Engel hatte ihn an der Hand genommen. Bei den Raufereien mit den anderen Jungen hat der Engel ihm geholfen. Und wenn Opa auf die Nase gekriegt hat, hat er ihn nicht im Stich gelassen, sondern geholfen, das Blut abzuwischen. Der Engel hat mit Opa geweint, als er im Krieg viele schlimme Dinge erleben musste. Der Engel stand lächelnd dabei, als er die Oma zum ersten Mal geküsst hat. Vielleicht hätte er sich ohne den Engel nicht getraut. Mir selbst gefällt am Besten das Bild vom Urlaub am Meer. Opa sitzt am Strand, sein Sohn schwimmt, weit draußen. Und man sieht auf dem Bild, wie der Engel mit drohendem Gesichtsausdruck und ausgestrecktem Arm einen Haifisch aufhält. Ein paar Meter weiter schwimmt der Junge, Opas Sohn. Er merkt gar nichts von der Gefahr. Wie viele Gefahren gehen so an einem vorbei – und man hat – Gott sei Dank - gar nichts gemerkt!
So erzählt der Opa aus seinem Leben. Auf den letzten Bildern in Jutta Bauers Buch sieht man, wie der Enkel heimgeht. Und ein Engel, dem von Opa nicht unähnlich, hüpft neben ihm her.
Wie kann man auf Gott aufmerksam machen, der zu sehen, zu hören und zu betasten ist? Wie kann man seinen Kindern oder Enkeln helfen, auf Gott zu vertrauen? Ich glaube, so kann es gehen: Erzählen Sie, wie es Ihnen gegangen ist. Ungeniert und ehrlich. Erzählen sie, wie Gott ihnen beigestanden hat. Erzählen Sie vom Immanuel. Alles andere wird Gott tun. Oder sein Engel.

Lied: Vom Himmel hoch, V. 8 + 12

Kann man Gott sehen? Ich glaube ja. Man kann ihn sehen. Hören. Spüren. Man kann Erfahrungen mit ihm machen. Die Hirten in Bethlehem haben solche Erfahrungen gemacht. Der alte Simeon. Menschen, die sich freuen können in ihrem Leben – die können das erfahren.
Ich nehme mir vor, im nächsten Jahr die Augen dafür aufzuhalten. Und wenn ich Gott spüre: Dann will ich es weitererzählen. Denn, sagt der Johannesbrief: Von Gottes Nähe weiter zu erzählen, das verbindet. Und es macht die Freude größer.
Amen

Lied: Vom Himmel hoch, 14 + 15


 

Perikope
27.12.2015
1,1-4