Gnade und Friede dem, der da ist, der da war und der da kommt
Liebe Gemeinde, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,
die arme Gnade, sie hat es schwer, hat Martin Paulekun eben gesagt. Und der Predigttext antwortet prompt: Und schwer hat´s der Mensch - ohne Gnade. In Hamburg erinnern wir uns noch gut, wenn auch nicht gern an einen selbsternannten "Richter Gnadenlos", der als Innensenator starke Sprüche klopfte und am Ende "gnadenlos" an sich selbst scheiterte. Gnadenlos ist so kalt. Ist inhuman und beschämend. Für alle. Ohne Gnade kann keine Gesellschaft bestehen, die auf Menschenrecht hält und auf Demokratie.
Als vor gut einem Monat die Amtszeit von US-Präsident Obama zu Ende ging, da gehörte zu seinen letzten Amtshandlungen die Begnadigung von mehr als 200 Häftlingen. Wissend, dass sie Schuld auf sich geladen hatten. Dieser Präsident wenigstens hat noch getan, wozu Präsidenten und Könige die Macht haben: Sie können Gnade vor Recht ergehen lassen. Es ist dies eine Macht der Barmherzigkeit und der Weisheit. Sie weiß davon, dass das Leben mehr ist als ein starres Regelwerk - auch wenn Regeln wichtig sind. Die Gnade jedoch ist ein Geschenk. Geboren aus Herzensweite und Mitgefühl. Ohne diese Gnade würden wir im Eishauch des Gesetzes erfrieren.
Als sie da frierend im Regen standen, die 80 afrikanische Flüchtlinge, da habt Ihr hier in St. Pauli nicht anders gekonnt, als der armen Gnade ein Dach über den Kopf zu geben. Die Flüchtlinge hatten nach Ansicht der Behörden kein Recht, hier zu sein. Sie kamen aus dem libyschen Bürgerkrieg über Italien nach Hamburg, hatten keinen Aufenthaltstitel, keine Duldung. Ihr habt ihnen trotzdem die Türen geöffnet. Sie, die in winzigen Booten übers Meer flüchteten, legten jeden Abend ihre Schlafsäcke auf diesen Kirchenboden, der aus uralten Schiffsplanken besteht. So verweben sich Schicksale und Zeiten. Und Menschen aller Couleur verbinden sich.
Es war hinreißend zu erleben, wie Menschen den alten Räumen neues Leben gaben. Elke Jacob hat vorhin davon erzählt. Das Rentnerehepaar, der Türsteher, die Jugendliche - sie haben gegeben, was sie konnten: Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld, Geld. Eine jede, ein jeder mit der Gabe, die er oder sie empfangen hat. Es ist, als hätten viele diesen wahrscheinlich nie gehörten Satz aus dem Petrusbrief verinnerlicht: Dient einander. Ihr seid die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.
Dieses Wort "Mancherlei" heißt im griechischen Originaltext eigentlich "vielfarbig, bunt". Das ist eine wunderbare Beschreibung für das, was ich hier "live und in Farbe" miterlebt habe an Nächstenliebe. Hier in St. Pauli, wo ja nicht gerade der Reichtum zu Hause ist. Mit all den Seebären, den Genusstouristen und tapferen Fußballfans. Die Gnade ist hier auf die Welt gekommen. Gnade, die jedem einzelnen Menschen Recht gibt. Und Heimat. Sinn und Segen.
Man war gastfrei untereinander, sagt dazu der Petrusbrief. Oder besser: Man war so frei… den Geflüchteten Geborgenheit zu schenken. Ohne Murren und ohne Neid. Im Gegenteil. Viele hier fühlten sich endlich mal wieder gut. Weil sie es waren, die endlich einmal jemanden etwas geben konnten.
Gnade ist ein Geschenk, das wir auch einander machen. Indem wir zueinander halten. Solidarität üben mit denen, denen es mies geht. Indem wir denen Ansehen geben, die streng riechen und schon lang keiner mehr genau angesehen hat. Der Tisch des Herrn, an den Christus uns als eben diese bunte Gemeinschaft stets und immer einlädt, steht ja nicht irgendwo im Jenseits, sondern genau in dieser Welt! Mit all ihren Zerrissenheiten. Und wir, mittendrin, werden uns klar, demütig klar, dass jeder Sonnenstrahl, dass Jazz am Morgen und Geistesgegenwart am Lebensabend, dass dein Kind auf dem Schoß und die Hand auf der Schulter, dass all dies ein Gnadengeschenk ist, das uns hilft zu leben. Und ich denke, genau dies meinte Luther, als er sagte: Sola gratia. Allein die Gnade. Oder auch: Alles gratis. Das wirklich Wertvolle in unserem Leben, das was uns im Innern der Seele glücklich macht und stark, das ist gratis. Nicht zu verdienen. Einfach nur zu empfangen… um dann als guter Haushalter zu schauen, was wir - derart gesegnet - selbst an Segen weitergeben können.
Jeder Mensch kann zum Segen für andere werden. Jeder Mensch ist begnadet. So viel Schönheit und Fähigkeit ist in dir, raunt Gott dir zu, gleich wie jung oder alt du bist. Keiner darf dir das absprechen! Auch du dir selbst nicht.
Das ist manchmal vielleicht das schwierigste: in sich selbst zu entdecken, dass so viel Liebe sich sehnt und so viel Zartheit und Schöpferisches in einen hineingeschenkt ist. Wir sind reich an Gnade, sagt der Petrusbrief. Geboren wurden wir aus lauter Liebe. Und so Gott will gehen wir am Ende geliebt von dieser Welt. Dieses Vertrauen darin, ein in der Spanne des Lebens gesegneter Mensch zu sein, ist ein Reichtum an innerer Kraft, an Klar-Sicht, an Großzügigkeit.
Und also kann man gar nicht anders, als sich der Welt zuzuwenden und sich ihr zu öffnen. In unseren Kirchen zuallererst. Sie sollen ein Ort sein, wo erschöpfte Menschen die unerschöpfliche Gnade Gottes erleben. Mit einer Stimme, die sich für die Schwächeren erhebt und Händen, um sie Flüchtlingen zu reichen. Das letzte Jahr hat es gezeigt - und es ist unglaublich, was sich immer noch an Hilfsbereitschaft ereignet. Ich behaupte: wir sind in unserem Land dadurch reicher geworden. Wacher. Herzlicher. Nur geredet wird davon zu wenig.
Geredet wird davon, dass wir nichts zu verschenken hätten. Dass da längst schon die Obergrenze erreicht sei. Diese Stimmen werden lauter in diesem Land. Und in anderen Ländern leider auch.
Um der armen Gnade willen müssen wir hier gegenhalten, liebe Gemeinde. Gnade braucht Menschen, die Worte und Gesten für sie finden. Damit Menschenrecht wächst und Zusammenhalt. Darum geht es!
Und dazu gehört dann auch zu sagen, was nicht geht. Und zwar klar und deutlich. Unser Glaube wurzelt in der Wahrhaftigkeit. Und die ist heutzutage so wichtig, weil über die sozialen Medien so viel Lüge und Falschmeldungen und Hasspostings an Reichweite gewinnen. Wir Christen dürfen uns nicht mehr zurückhalten, liebe Gemeinde. Es ist keine gute Zeit, sich zurückzuziehen ins Private. Im Gegenteil: Seid gastfrei, seid so frei und sucht das Gespräch. Mit denen, die uns fremd sind oder fremd geworden sind. Von Angesicht zu Angesicht. Nicht alle, die sagen, "Das wird man doch mal sagen dürfen" sind unerreichbare Ideologen. Reden wir mit ihnen, in der Hoffnung, dass das Argument wirkt, nicht zuerst das gnadenlose Urteil!
So seid nun besonnen und nüchtern, sagt unser Predigttext – vor allem habt untereinander beharrliche Liebe… und dienet einander als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.
Mancherlei - tatsächlich: Die Gnade Gottes ist bunt. Deshalb kann sie überall auf die Welt kommen. Nicht nur hier in St. Pauli. Auch in deinem Leben. Beim Hören, Singen, Schweigen oder Deutschlernen, im Lachen und Gebet, im Begehren, in der Liebe. Überall dort, wo du dich hinein-, ja hin- gibst. Und auf einmal kann es passieren und Gott selbst nimmt neben dir Platz. Als ältere Dame, gewitzter Junge, als Börsenmakler, Bettler und als Flüchtlingskind auch. Und dann sagt er: Ein guter Haushalter bist du. Du lebst, je mehr du gibst. Das ist unsere christliche Botschaft auf dem Marktplatz der Welt: Reich das Leben, je mehr wir geben, werden wir doch - wundern wir uns nicht! - selbst zum Segen. Nichts weniger. Vielmehr erhellt ein wundervolles Lächeln unser Land geben wir der Gnade ein Zuhaus. Und dem Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
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Leben „ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt“ sein, das macht Demut aus – Predigt zu 1.Petrus 5,5-11 von Dieter Koch
Liebe Gemeinde,
die gehörten Worte aus dem 1. Petrusbrief bilden den Schlusspunkt einer groß ausgeführten Einweisung in die christliche Demut, formuliert in einer Situation schwerer, wenn nicht allerschwerster Verfolgung. Gesellschaftliche Ausgrenzung zeichnet das Leben der Gemeinde: Marginalisiert, an den Rand gedrängt, vielfach verleumdet und von Richter und Henker bedroht. So leben zu müssen zehrt an den Nerven der Glaubensfamilie.
In dieser Lage mahnt der Verfasser des 1. Petrusbriefes zur Demut und erinnert an den Grund der wahren Demut: die Demut Christi. Folgt nicht der Rache, gebt dem Zorn keinen Raum, haltet still, bleibt ruhig und einander zugetan. Jetzt ist die Zeit des Wartens, einst wird die volle Zeit des Jubels sein – so lassen sich seine Worte umschreiben. Übergebt euch nur Gott, lasst ihn nur walten.
Wie kann man die Schmähungen aushalten, wie im Schmerz durchhalten, ohne nicht innerlich von Eifer und Vergeltungssucht zerrieben zu werden? Allein, wenn die Demut uns trägt, die Demut uns Form gibt!
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
Doch was bedeutet uns Demut? Uns, die wir zumindest in Westeuropa als Christen frei leben können, wohl wissend, dass an anderen Orten dieser Welt Christen schweren Verfolgungen und noch schwereren Verleumdungen ausgesetzt sind.
Demut, die in der Demut Christi gründet, ist eine überaus wertvolle Gabe. Demut zu leben, ist eine Lebensaufgabe und zugleich ein geistiges Geschenk.
Doch was ist Demut? Lassen Sie uns heute der Demut in drei Szenen, einem Gedanken und der darin liegenden Botschaft etwas Raum geben.
Demut – die 1. Szene (entnommen Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ nach der Taschenbuchausgabe Frankfurt 1964, 720.Tsd. 1989):
Wir schreiben den 5. April 1453. „Wie eine plötzlich vorgebrochene Sturmflut überschwillt eine unübersehbare ottomanische Armee die Ebene von Byzanz bis knapp an dessen Mauern. An der Spitze seiner Truppen, prächtig gewandet, reitet der Sultan, Mahomet der Türke, um sein Zelt gegenüber der Lykaspforte aufzuschlagen. Aber ehe er die Standarte vor seinem Hauptquartier sich im Winde bauschen lässt, befiehlt er, den Gebetsteppich auf der Erde zu entrollen. Barfüßig tritt er hin, dreimal beugt er, das Antlitz gegen Mekka gewandt, die Spitze, bis zum Boden, und hinter ihm – großartiges Schauspiel – sprechen die Zehntausende und aber Tausende seines Heeres mit gleicher Verneigung in gleicher Richtung, im gleichen Rhythmus das gleiche Gebet zu Allah mit, er möge ihnen Stärke und den Sieg verleihen. Dann erst erhebt sich der Sultan. Aus dem Demütigen ist wieder der Herausfordernde geworden, aus dem Diener Gottes der Herr und Soldat, und durch das ganze Lager eilen jetzt seine Ausrufer, um beim Trommelschlag und Fanfarenstoß weithin zu verkünden: Die Belagerung der Stadt hat begonnen!“(S. 41f).
In wenigen Wochen wird Konstantinopel fallen. Es wird ein einziges Blutbad werden und die schönste aller Kirchen wird zur Moschee werden. Ein frommer Herrscher, ein demütiger Beter, Mahomet, ein grausamer Schlächter allemal. Doch ich frage: Ist das Demut, diese aus Gottergebenheit sprossende Bereitschaft zur absoluten Grausamkeit?
Demut – die 2. Szene (wieder aus Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“):
Wir schreiben den 31.10.1910, Schlusspunkt eines einzigartigen Dramas, Schlusspunkt im Ehekrieg zwischen Leo Tolstoi und seiner Frau Sofia Andrejewna. „Es ist mir nicht länger möglich, dieses Leben, das ich seit 16 Jahren führe, fortzusetzen, ein Leben, in dem ich einerseits gegen euch kämpfe und euch aufreizen muss. So beschließe ich zu tun, was ich längst hätte tun sollen, nämlich zu fliehen…. Verzeiht mir, ich bitte euch darum wenn mein Schritt euch Schmerz bereitet, und vor allem, Du, Sonja, entlasse mich gutwillig aus deinem Herzen, suche mich nicht, beklage dich nicht über mich, verurteile mich nicht.“(S.194) So schreibt er in einem letzten Brief seiner Frau. Worte voller Demut, zugleich voller Anspannung fließen in die Feder. Alles geschieht verstohlen in der Nacht, bevor die Flucht beginnt. Endlich Klarheit! Endlich Ehrlichkeit. Mit 83 Jahren darf man nicht länger die Augen schließen, nicht vor der Wahrheit, nicht vor dem Tod. Die Flucht beginnt, Tolstois letzte Etappe in seiner Flucht zu Gott, die drei Tage später, am 31.10.1910, im Bahnhof zu Astapowo endet. Er stirbt, innerlich erschöpft, äußerlich ohne jede Kraft. Der Graf, der sich zum Bauern machte, aber ein Herr blieb, der Apostel der absoluten Gewaltlosigkeit und reinen Gottesliebe, der doch bis zuletzt gepeinigt war von seinen inneren Dämonen. Der um die Demut wusste, sie lehrte, aber die Gier nicht los wurde. Darum immer fort sich selber demütigte, kasteite - und die Seinen mit. „Zu lange, viel zu lange habe ich es besser gehabt als die andern! Je schlechter jetzt, umso besser für mich! Wie sterben denn die Bauern? ... und sterben doch auch einen guten Tod.“(S.194) So quält er sich noch in den letzten Momenten.
Ich frage: Muss Demut zwingend sich mit Qual verbinden oder auch nur mit Trauer angesichts des Menschen Los?
Demut – die 3. Szene: Sie bleibt unausgeführt. Sie steht für die vielen, bisweilen unscheinbar kleinen, bisweilen tief ins Herz stechenden Demütigungen in unserem Alltag. Da ist ein schnell hingeworfenes Wort, da ein aufgeloderter Streit, da merkt einer wie er im beruflichen Alltag übergangen wird, weil andere unverschämt sich in den Vordergrund spielen. Da ist einer, der rackert und rackert, und so scheint es ihm, der Dank bleibt aus. Da fällt einer in die tiefe Erschöpfung, weil er es demütigen Sinnes nie vermochte sich zu wehren, Nein zu sagen, seinen Kopf hochzuhalten. Jeder mag an eigene erlittene Verletzungen denken. Muss man alles im Namen der Liebe, zu der wir angehalten sind, aushalten? Ich frage: Ist das Demut: Leben müssen, gar leben wollen unter den wiederkehrenden Wellen der Erniedrigung.
3 Szenen, liebe Gemeinde, die uns ein verzerrtes Gesicht der Demut zeigen. Aber was ist sie nun, die wahre, die wohltuende Demut, diese bescheidene, unbestechliche Tugend? Ein kluger Denker unserer Zeit, André Comte-Sponville, hat sie in seinem wertvollen Buch „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben – ein kleines Brevier der Tugenden und Werte“ (Hamburg 1996) eingeordnet zwischen die Dankbarkeit und die Einfachheit. Das ist in sich schon wertvoll.
Die Demut ist tief gelebte Ehrlichkeit im Umgang mit sich selbst. Sie schwingt zwischen Dankbarkeit und gelassener Schlichtheit, zwischen grundloser Freude und dem durch und durch feinen Jubel über die stille Güte im Täglich-Alltäglichen: das Glas Wasser, die Blumen vor dem Fenster, ihr Lächeln – geschaut, geliebt, gekostet. Viel braucht es nicht, um im Glück zu sein: Demut, gelebte Bescheidenheit, eingebunden in Dankbarkeit und gelassene Schlichtheit. Der entscheidende Gedanke: „Sich annehmen – aber sich nichts vormachen“(S.170), so schreibt Comte-Sponville. Er weiß mit Descartes zu sagen: „Die Großherzigsten sind gewöhnlich die Demütigsten“(S.172), denn sie wissen, wie es um uns steht. „Ehrlichkeit und Demut sind Schwestern“(S.174). Vor allem: „Demut führt zur Liebe und alle wirkliche Liebe setzt sie wohl voraus. Ohne Demut füllt das Ich allen Raum aus, und den andern betrachtet es nur als Objekt (der Begehrlichkeit, nicht der Liebe!) oder als Feind. Die Demut ist dieses Bemühen des Ichs, sich von den Illusionen über sich selbst freizumachen“(S.174f), sich von sich selbst zu lösen, lösen zu lassen. Leben „ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt“(S.175) sein, das macht Demut aus. Sich annehmen – aber sich nichts vormachen.
Leben „ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt“ sein, das macht Demut aus.
Die Botschaft also: Setze dich aus! Setze dich nur der Liebe und dem Licht aus. Werde frei von der Maskerade des Lebens. Trau der Verheißung, Gottes geliebtes Kind zu sein. Trau dem stillen Segen, der dich trägt, und lass dein Herz ehrlich sprechen, vor dir, vor Gott, so wie es um dich steht. Die Freude am Morgen, die Arbeit am Tage, die Dankbarkeit des Abends, die Ruhe der Nacht - nimm sie einfach an! Wachse an ihnen, mit ihnen, ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt – ehrlich und warmen Herzens.
Sei ehrlich mit dir, sei ehrlich mit den Deinen, ehrlich zu denen, die der Fluss der Tage dir entgegenträgt, dir vorüberträgt. Heuchle keine falschen Gefühle! Lerne warten! Aber quäle dich nicht! Halte dich zur Erde und halte fest an Gott! Höre auf zu rennen: „Wenigstens nachts lass dein Herz ruhen … Wenigstens nachts hör´ auf zu rennen, besänftige die Wünsche, die dich verrückt machen, versuch, deine Träume schlafen zu lassen. Gib dich preis, Leib und Seele, gib dich preis, endgültig, ohne Rückhalt in Gottes Hände“ (Helder Camara, Der Traum von einer anderen Welt, München 1987, S. 140).
Demut, die in der Demut Christi gründet, ist eine überaus wertvolle Gabe. Demut zu leben, ist eine Lebensaufgabe und zugleich ein geistiges Geschenk. Der Gott aller Gnade möge uns zur wahren, echten, warmen Demut führen. Der Gott aller Gnade, er möge uns aufrichten, stärken, kräftigen, gründen, dass wir leben ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt.
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Demütiges Sorgen?! – Predigt zu 1. Petrus 5,5c-11 von Anke Fasse
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
er überlegt und überlegt, wägt ab, wendet die Gedanken und Berechnungen hierhin und dorthin. Wie soll es bloß werden, wenn sie nicht mehr beide arbeiten können? Von dem bisschen Rente werden sie keine großen Sprünge machen können... Und wieder fing er an zu rechnen. Durchdachte diese und jene Möglichkeit. Wie sollen sie später bloß ein gutes Auskommen haben? Und die Angst und Sorge wurde größer, nahm ihn immer mehr gefangen, raubte ihm die Luft zum Atmen. Sein Blick, gefangen auf den Zetteln vor ihm. Verkrampft war er und voller Sorgen.
Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch. (1.Petr 5,7)
Die heutige Trainingseinheit war geschafft. Jetzt noch den Salat für das Abendbrot vorbereiten, selbstverständlich ernährt sie sich absolut ausgewogen. Sich fit zu halten, ist keine Kleinigkeit. Das kostet Zeit und auch Geld. Sport, Ernährung, Gesundheitschecks und was da noch alles zugehört. Was sie tun kann, das will sie schließlich auch tun, um so lange wie möglich fit, jung und gesund zu bleiben – und doch kommt immer wieder die Sorge auf: Ist das genug, was sie tut? Was ist, wenn sie etwas versäumt und doch irgendeine dieser furchtbaren Krankheiten die Oberhand über sie gewinnt? Die Angst und Sorge steigt wieder in ihr auf... aber nein, das kann doch nicht sein. Sie tut doch alles, vermeidet alle Risikofaktoren.
Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch. (1.Petr 5,7)
Und sie, sie geht in die Kirche, liest in der Bibel, engagiert sich vielseitig. Ja, sie dürfte eigentlich genug Geld haben, dass sie sich keine Sorgen machen müsste. Sie macht tolle Reisen und andere Aktivitäten. Hat Freundinnen und auch eine sympathische Familie.Eigentlich sollte sie glücklich sein – eigentlich. Aber immer sind sie da, die Sorgen über dies und über das, die belastenden Gedanken. Sie sind ständige Begleiter geworden. Sie überlegt unablässig: Was kann ich noch tun, um mein Leben besser und glücklicher zu machen? Vielleicht...
Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch. (1.Petr 5,7)
Liebe Gemeinde, wer kennt sie nicht, die Sorgen? Und wahrscheinlich ebenso bekannt sind die diversen Strategien zur Absicherung und Vermeidung von Befürchtungen. Aber so richtig erfolgreich bin ich damit nicht immer.
Um das Sorgen geht es auch in dem Bibelwort für die heutige Predigt:
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Geschwister in der Welt gehen.
Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. (1.Petr 5,5c-11)
Der Verfasser dieses Briefes hat seine Zeilen an verschiedene Gemeinden gerichtet, die unter Verfolgung und Diskriminierung litten. Und sein Rat: Demut, Vertrauen in Gott. Gott sorgt für euch. Er, Gott, wird schließlich aufrichten, stärken, kräftigen.
Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch. (1.Petr 5,7)
Er sorgt für dich – bilde dir nicht ein, du selbst bist für alles verantwortlich und könntest selbst alles regeln. Das gute Leben im Alter – meinst du wirklich, du allein kannst das machen? Die Gesundheit und das Glücklich sein – meinst du wirklich, du allein könntest das bewirken? All dies ist und bleibt Geschenk. Ist unverfügbar. Ist Gnade.
Hochmut kommt vor dem Fall, dies Sprichwort kommt mir in den Sinn. Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
Demut, das Gegenteil von Hochmut. Dieses alte Wort ist in diesem Abschnitt des Petrusbriefes der Schlüssel zum gelingenden Leben. Demut. Die Bereitschaft, etwas als Gegebenheit hinzunehmen, anzunehmen und sich selbst als eher unwichtig zu betrachten. Der Demütige erkennt und akzeptiert aus freien Stücken, dass es etwas für ihn Unerreichbares, Höheres gibt.
Ich denke an eine Wanderung in den Anden unter einem wunderbar blauen Himmel. Die Natur präsentiert sich in den schönsten Farben. Gletscher leuchten auf, Alpacas und Vicuñas wirken wie in dieses wunderbare Bild hineingesetzt – alles erscheint unwirklich schön. Und mich durchströmt ein Gefühl von Ehrfurcht und Demut vor dem, der dies alles geschaffen hat – und mich als kleines Teil von all dem.
Dies war eine Situation, in der ich so etwas wie Demut fühlte, ja wirklich tief in mir spürte – ein Wort und eine Haltung, die sonst aktuell nicht gerade oben auf liegt.
Demut, das Absehen von der eigenen Person und den eigenen Wünschen. Demut, das Vertrauen in etwas Höheres, in Gott.
Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch. (1.Petr 5,7)
Und diese Demut gilt gerade auch in schwierigen Situationen. Unter Anfeindungen und Diskriminierung. Demut und Vertrauen, dass er für mich sorgt, mir gelingendes Leben schenkt. Wobei gelingendes Leben dabei unabhängig von allen materiellen Dingen ist, von allem menschlichen Erfolg, Streben und Anerkennung. Gelingendes Leben meint das Vertrauen in Gott. Das Gehaltensein durch und in ihm, das Freiheit schenkt zum Leben. Leben, dem von ihm Sinn, Ziel und Vollendung geschenkt ist. Leben, das tiefer ist, als wir es äußerlich sehen.
So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
Und wir spüren, wie sich der Blickwinkel und die Maßstäbe ändern. Es zählt nicht mehr das Äußerliche und die eigene vermeintliche Sicherheit. Die Gesetze des Glaubens sind andere. er, Jesus Christus hat da alles verändert. Er ist und war in den Schwachen mächtig. Den Ausgestoßenen hat er sich zugewendet. Er ist nicht Leid und Kreuz und Tod ausgewichen, sondern hat dies durchlebt – in großer Demut – und überwunden.
Weil im Mittelpunkt unseres Glaubens der demütige Gott steht, Jesus Christus, können wir voller Demut alle unsere Sorgen auf ihn werfen – in dem Vertrauen, dass er für uns sorgt und schließlich uns aufrichtet und stärkt und gründet. Denn ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Heißt das nun, wir können getrost unsere Hände in den Schoß legen und einfach darauf vertrauen, dass er es gut machen wird?
Ja und nein.
Er wird es gut machen – so wie wir selbst es nicht können. Dies Vertrauen bildet die Grundlage für alles Tun und Lassen. Gestärkt durch dies Vertrauen tut der Mann, was er kann, um sein Leben im Ruhestand abzusichern. Gestärkt durch dieses Vertrauen achtet die Frau weiter auf ihre Gesundheit und sucht nach Wegen guten, sinnvollen und glücklichen Lebens. All dies ist gut und wichtig. Wenn es in Demut geschieht, geschieht es in dem Bewusstsein, dass kein Mensch letztendlich Glück und Sinn machen kann.
Leben in Demut schenkt Freiheit in und für all unser Tun, denn wir sind gehalten und getragen von Gott. All unsere Sorgen können wir getrost auf ihn werfen, denn wir leben aus dem Vertrauen: Er sorgt für uns! Welch´ eine Freiheit! Welch´ ein Geschenk! Amen.
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Predigt zu 1. Perus 5,5c-11 von Jörg Coburger
Mit dem Abstand der Jahre und der Heiterkeit gelassener Erinnerung an ständige Sorgen wegen des Mangels der DDR-Zeit, wo es an fast allem fehlte, dann an die 1990iger Jahre und dem schnellen Überfluss – und zugleich ganz anderem Mangel des Westens – stellt sich beim Predigttext Nachdenklichkeit ein.
Worum mache ich mir jetzt gerade Sorgen?
Was beschäftigt mich?Was droht mich zu verschlingen?
Was darf nicht aufgeschoben werden?
Wann nimmt mein Sorgen hysterische Formen an?
Was ist wichtig? Weniger wichtig? Ganz und gar unwichtig?
Die Worte lassen mich erst einmal durchatmen, denn ich verstehe es so, dass keiner Naivität das Wort geredet wird, wie man sich nur sorgen könne. Da ist keinerlei Vorwurf oder Moral, dass sich jemand Sorgen macht.
Die Sorgen der Petrusgemeinde, die einiger Gefahren ausgesetzt ist, stehen noch einmal auf einem anderem Blatt als wir heute und hier leben.
Wir sind oft satt, dass wir uns nach meiner Beobachtung in der Predigtlandschaft einen süßen, schönen Standardsatz leisten können, der da heißt: „Wir wollen unser Leben nicht sichern..“ oder so. Und ich sehe so viele, die nur in Angst und Not tagein tagaus gerade damit beschäftigt sind, wie sie ihr Leben mit zwei der gar drei Jobs in den Griff bekommen. Dabei sitze ich sicher, da lassen sich solche Sätze leicht daherreden. Arbeitslosigkeit habe ich niemals kennengelernt. Aber ich habe mit Menschen zu tun, die mir sagen: „Ich gehe nicht mehr in die ARGE, weil ich dort gedemütigt werde, ich halte das nicht mehr aus.“
Sind wir mit falschem Sorgen beschäftigt? Kümmern wir uns auch in den Kirchgemeinden um Nichtiges? Bischof Carsten Rentzing sagte in einem der Podiumsgespräche zur Vorstellung der Bischofskandidaten, er mache sich weniger Sorgen um weniger Geld in den Kassen als zuerst darum, dass die Kirche geistloser wird.
Wie lächerlich muss uns heute die wochenlange Sorge um den Kauf eines, vielleicht noch gebrauchten, Trabant-Auspuffs erscheinen und alle nur erdenklichen Ersatzteile um Baumaterial, wenn das Dach kaputt war, um ein Buch, das der Staat für schädlich hielt, wenn ich es läse. (Die Liste der verbotenen Bücher in der ehemaligen DDR war lang.) Mangelwirtschaft, wo man hinschaute, denn Schalck-Kolodkowski verkaufte alles für Dumpingpreise an den Westen.
Und dann kamen nach 1990 die Versicherungen, die Hochglanzbroschüren und das Gefühl: „das alles fehlt dir“. Manchmal blühende Landschaften, aber auch Beton und Bürokratie, die nicht bereit ist, sich auf Bauabläufe einzustellen. „Es gab auf einmal alles.“ Der daran gewohnte und trainierte Westen lachte wie in einem Zirkus über den doofen, stolpernd-tappenden Clowns-Osten in seinen viel zu großen Latschen und wir atmeten erst einmal auf. So stimmt es wohl auch: wir wurden in unserer Faszination auch abgelenkt, so sehr gefangen genommen, dass es sicherlich in Forschung und Lehre nicht als „brüllender Löwe“ (1.Petr 5,8) durchgeht – diese Sprache wäre wohl außer Günther Grass jedem zu barock – aber sehr wohl als etwas, dass uns zu verschlingen drohte. Wir waren vom peinlichen sozialistischen Materialismus in den westlichen Kapitalismus getaumelt. Die Kollektivismen haben gewechselt. Wir wurden aufgesogen, verschlungen.
Heute wird mir die Aufgabe erteilt, mein Leben ständig zu optimieren.
Nun mache ich mir Sorgen, dass meine Daten virtuell immer und überall abgegriffen werden. Dass wir einer Überwachung anheim gegeben sind, wo sich die alten Stasi-Schurken bestätigt zurücklehnen. Alles zu meiner Sicherheit, so einfach kann ich das auch nicht bestreiten - Terror sei Dank.
Eines aber erbitte ich mir vom meinem Herrn: Dass ich die Erfahrungen, die mit diesem Machtwechsel zu tun haben, also alte Fesseln loszuwerden und neue Fesseln zu empfinden, nie missen möchte. Und vor allem seit 25 Jahren erstmalig wirklich Demokratie einüben zu dürfen. Nie wieder wollen wir in DDR-Verhältnisse zurück. Könnte es nicht ein Symptom dieses Verschlingens sein, dass uns mit geradezu dämonischen Argumenten
(„Deutschland ist irgendwie demokratiemüde!“) die Lust eingeimpft werden soll, beherrscht zu werden? Was ist denn dämonisch und „der Teufel, der umhergeht“? Es ist die Neigung, zwar einerseits Versagen zu beklagen, aber doch daraus Gewinn ziehen zu wollen. Es ist der Hochmut, Erinnerungen alleine, ohne Gott zu sortieren. Denn wir haben nicht Erinnerung, wir machen Erinnerung. Erinnerung ist eine schöne Lügnerin.
Was verschlingt mich gerade? Wovon bin ich gerade besetzt? Worum will ich mich „zersorgen“? Was will mich trennen von Gott? Wieso denn das, Trennung von Gott? Weil der benannte Mangel an Demut solches bedeutet: Trennung von Gott. „Der Hochmut fängt an, wenn der Mensch den HERRN verlässt und sein Herz von seinem Schöpfer abwendet.“ (Sirach 10,12f)
Eine leise, aber sehr greifbare Geschichte ist die von Maria und Martha ( Lk 10,38-42 ). Sie ist ein gutes Beispiel, geradezu wie eine Konkretisierung für den Petrusbrief und dessen Gedanken zum Sorgenmachen. Ausdrücklich erkennt Jesus an, dass Martha sich viel Mühe macht. Aber völlig gegen jede political correctness setzt sich Maria ihm zu Füßen und lauscht dem Rabbi. Sie hat das gute (Erb-) Teil erwählt, das soll ihr nicht genommen werden. Jesus ist in Wahrheit beider Gastgeber! Maria sorgt sich um ihre Seele.
Für euch ist gesorgt! So verstehe ich den ganzen Brief. Dazu gehört unsere Wachheit und Nüchternheit, das Gegenteil von Hysterie. Das Werfen der Sorge ist untrennbar mit Widerstand verbunden. Die Hysterie besteht kernhaft darin, dass mir täglich jemand einreden will: „Du kommst zu kurz.“ Und ich muss, wenn auf der Höhe der Zeit, auch sagen können: „Ich führe ein selbstbestimmtes Leben.“ Habt die anderen mit ihren Leiden im Blick, so fordert es Petrus. Dann wäre Hochmut ein Mangel an solidarischem Leben.
Wachheit und Nüchternheit übersieht die anderen nicht. An mich selbst gebunden ist Widerstehen nötig. Unser Widerstand und unsere Demut gründen in der Fürsorge Gottes. „Dass ich nicht gebunden an mich selber bin.“
Besorgt um mich selbst? Kurzer Blickwechsel dazu:
Wie ist das mit den anderen, wenn sie es mit mir zu tun bekommen?
Werden sie in meiner Nähe größer oder kleiner gemacht?
Werden sie stärker oder schwächer?
Müssen sie sich ständig vor mir verteidigen oder rechtfertigen?
Wie ändert sich ihre Körpersprache mir gegenüber?
Was sprechen die Augen, die Hände die Schultern?
Darf den anderen etwas Frommes im meiner Anwesenheit herausrutschen?
(Ich frage überlegt so herum und nicht anders, weil das Schweigen meiner Beobachtung nach überhand genommen hat.)
„Haltet alle miteinander an der Demut fest!“ Langsam ahne ich erneut, was das zwischen uns entgiften kann!
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Im Sorgen Gott Gott sein lassen – Predigt zu 1. Petrus 5,5-11 von Christina-Maria Bammel
Liebe Gemeinde,
ein Politiker, weltbekannt, und ein Komiker, weltberühmt, gehen am Strand entlang. Churchill und Chaplin. Nicht die Politik, nicht das außer Rand und Band geratene Weltgeschehen beschäftigt sie. Auch über das Filmgeschäft reden sie nicht. Es interessiert nur eine Frage, die sie beide verbindet und immer wieder zusammenführt: Wie kannst du dem Strudel widerstehen, der dich so gern aus dem Leben ziehen möchte? Wie geht das mit der „Disziplin gegen den Tod“? Und was, wenn sich das Widerstehen gar nicht mehr zu lohnen scheint? Michael Köhlmeier hat Szenen dieses Gespräches literarisch skizziert: „Zwei Herren am Strand.“ Darin lässt Köhlmeier neben Winston Churchill und Charly Chaplin auch andere Personen aus dem Churchill-Clan auftreten, auch dessen Ehefrau Clementine. Sie bringt das gesamte Ehe- und Familienleben im Modus der Sorge zu: Immer vorbereitet sein auf das Schlimmste, das ist ihre Devise. Sie weiß um die depressiven Täler ihres Mannes nur zu gut. Und dann „zersorgt“ sich Clementine noch um einige ihrer Kinder. Aber am Ende hilft es alles nichts: Die Kinder gehen ihre Kreuzwege mehr oder weniger einsam und sie enden tödlich. Sucht und Depression, berufliches Scheitern – es kommt alles zusammen. Köhlmeier lässt Clementine Churchill einmal sagen: „Man sorgt sich nicht um diejenigen, die man am meisten liebt, sondern um jene, von denen die größte Gefahr für das eigene Wohlsein ausgeht. Sorge ist nichts anders als `bemäntelter Egoismus`.“
Was für eine ernüchternde und harte Einsicht: Die Sorge um die Anderen am Ende doch nicht mehr als die Sorge um sich selbst – camouflierter Egoismus? Lasst also das Sorgen sein!? Im Falle von Clementine Churchill, so legt es Michael Köhlmeier nahe, hätte weniger Sorge und mehr beherztes Entscheiden und Agieren geholfen. Von Anfang an.
Es gibt Menschen, die machen sich Sorgen, aber das ist dann auch das Einzige, was sie machen. Vom Sorgenmachen allein passiert noch nichts. Solche Sorgen machen einen allenfalls schlapp und träge. Sie fesseln, man geht ihnen regelrecht auf den Leim. Alles kann zu einer Sorge werden, stellen die Churchills und die Chaplins fest. Alles! Am Ende haben die Sorgen ein ganzes Leben zerfressen, weil dem Sorgen nichts entgegengesetzt, ihnen nicht widerstanden werden konnte. Zersorgen und zermürben zwängt ein, macht krumm und klein.
Lasst das Sorgen sein? Geht nicht so einfach, und so einfach macht es sich der Briefschreiber im Petrusbrief gleich gar nicht. Er gibt ebenso wenig besserwisserischen Ratschläge und Beurteilungen aus der Ferne.
Der da schreibt, er weiß: Es braucht ein realistisches, menschliches, ausgesprochen menschenfreundliches Augenmaß im Sorgen und Lassen. Es kann nämlich eine Form von Schöpfungs- und Macherarroganz sein, mit seiner Sorge zu meinen, alles lösen zu müssen und zu können. So wird Sorge auch zu einer Spielart der Selbstüberschätzung. Darum ist es gut, auch im Sorgen Gott Gott sein zu lassen. Gott ist ein sorgender Gott. Das ist die Grundmelodie, in der hier ein Wissender und zugleich ein Glaubender schreibt. Das macht diesen Brief so kostbar. Diese Kostbarkeit ist gleich mehrfach bemerkenswert und mag hinein ziehen in jede Faser unseres Leibes. Der Glaube wird zu einer zutiefst leiblichen Angelegenheit, weil dieser Gott, in dessen Kraft hier einer schreibt, ein leiblicher, ein inkarnierter Gott geworden ist. Der leibliche Glaube ist für den Briefschreiber der Schlüssel im Umgang mit der Sorge. Die Haltung des Glaubens erklärt er uns, wenn er anfängt:
„Haltet fest an der Demut!“
An etwas festzuhalten, das braucht Muskelkraft und Entschlossenheit. Aber dieses Halten und Festhalten hilft mir, in eine Haltung hinein zu wachsen, mich nicht wegzuducken oder eierweich dahin zu fließen, sondern wirklich etwas festhalten können. Eine Einsicht, eine Überzeugung. Dann kann es sein, dass ich diese Haltung nicht nur in mir trage und bewahre, sondern mich auch selbst erfahre als die Festgehaltene, von Gott Gehaltene. Dann kann es sein, dass ich Gottes Kraft spüre bis in den letzten und ersten Rückenwirbel hinein. An der Demut vor Gott festzuhalten verdeutlicht mir, dass Gott weder meine Vorsorgekasse noch mein „Wünscheerfüller“ ist. Wenn Gott mir das Dach wird, unter dem ich stehen kann, stehe ich darunter fest. Mit Haltung eben. Ich muss nicht betteln, um darunter zu kriechen. Aber finde ich mich dort ein, finde ich noch mehr als das bergende Dach:
„Beugt euch unter die gewaltige Hand Gottes“. Gewaltig ist diese Hand dort, wo sie dich stärkt und kräftigt, wo sie – wie eine Elternhand, wenn es gut geht – Vertrauen gibt und auch im Dunkeln gefunden wird. Sich in die Hand eines anderen begeben. Die Nachfrage nach massierenden, heilenden, einrenkenden und therapierenden Händen ist in unseren Tagen enorm – ein Indiz für die Sehnsucht nach der Hand, die echten Kontakt anbietet, was auch immer an „Echtem“ und an „Kontakt“ darin gefunden wird.
Gott erhöht zu seiner Zeit.
Höhergestellt und erhöht zu werden – wenn wir es hier und da ganz handfest erleben, spüren wir sofort den besseren Überblick, manchmal sogar den freieren Ausblick. Etwas höher gestellt zu werden, zieht raus aus der Perspektive des eingezogenen Kopfes, des Geduckten und des eingezwängten Sichtfeldes. Ich erinnere noch mein erstes Konzert mit dem ersten Freund. Massen von Menschen stehen vor der riesigen Bühne im Staub des Sommers. Schlechte Sicht, die Füße eng an eng, überall. Da nahm er einfach die stets mit ihrem Gewicht kämpfende Teenagerin hoch und setzte sie sich auf die Schultern. Eine Stunde, zwei Stunden. Erhöht und getragen war ich – unvergessen über Jahrzehnte. Was für eine körperliche Anstrengung es gewesen sein muss, davon zeugten die tiefblauen Flecken des jungen Mannes am nächsten Tag.
„Seid nüchtern und wach“, mahnt der Briefschreiber weiter. Ein Imperativ nicht nur für den Kopf. Fallen einem aber erstmal die Augen zu – was für ein Kampf kann das bedeuten, auf der Autobahn etwa um Mitternacht, wenn die letzten paar 100 Kilometer noch zurückgelegt werden müssen. Oder wenn du unbedingt wach bleiben willst neben dem Bett im Krankenhaus – man hat es doch versprochen… Ich sehe den werdenden Vater vor mir, der sich nach zwölf durchwachten Stunden vor der Geburt des Kindes so sehr danach sehnt, mal eben auf der Nachbarliege im Kreißsaal weg zu schlummern. Aber er bleibt dabei, er kämpft. Alles andere wäre fatal. Wachsam und nüchtern bleiben, gerade dann, wenn die Gedanken Karussell fahren wollen. Eben dieses Karussell stoppen, das Wesentliche sortieren, den Blick für Grenzen und Geländer schärfen. Was dann zu sehen ist, mag vielleicht zum Fürchten sein, zunächst.
Denn wie ein brüllender Löwe geht der Widersacher umher.
Man müsste diesem „schwarzen Hund“ fest ins Auge blicken. So ähnlich verhandeln Churchill und Chaplin ihre Begegnung mit dem, was das Leben dunkel und hässlich macht: „der schwarze Hund“ wird es genannt. Bei Churchill (und Chaplin) beschreibt sich damit das Ausbrechen der Nachtgedanken, die in den Strudel reißen. Und der wiederum reißt einen letztlich aus dem letzten bisschen Lebenswillen. Der brüllende Löwe, der schwarze Hund, Teufel oder das gähnende Nichts… wie auch immer wir diese Macht nennen, die uns aus dem Leben ziehen will, eines bleibt gleich: Mit festem Blick zurückschauen, stehen bleiben, weil wir aufgestellte, ins Stehen gebrachte Menschen sind. Welche Kräfte auch immer sich hier aufspielen, maskiert oder mit klarem Visier – ie erhalten nicht den Sieg, dass wir uns in Angst zerbissen vor ihnen wegschleichen.
Stehen und hinsehen und widerstehen. Ich muss an die Turner, Tänzer und Gymnastikolympioniken denken, die stehen müssen am Ende des Programms – wie eine Eins. Bloß keinen Schritt daneben in der letzten Sekunde! Es ist eine Kunst, in der Seele und Körperbalance zusammen klingen. Es ist das I-Tüpfelchen der höchsten Sportlichkeit. Stehen! Ein winziger Schritt daneben bedeutet Punktabzug. Aber es ist möglich: Sprung und stehen! Zu widerstehen, das ist nicht allein eine besonders sportliche Angelegenheit, denn es geht um Leben und Tod, um die Existenz. Hier steht alles auf dem Spiel… nicht ein paar zu lösende Alltagsfragen, die am nächsten Tag schon wieder vergessen sind. Auch hier bleibt der Brief handfest, zum Greifen und Begreifen in Mark und Bein.
Aber jetzt müsst ihr nicht aus euch heraus stark, kräftig, standfest sein. Ihr werdet dazu gemacht. Ihr werdet stark, kräftig, standfest gemacht. Gottes Einsatz! Er kräftigt, stärkt, gründet, und – so höre ich weiter – stellt dich auf, hält dich. Er weitet und schärft dir Blick und Sinne gleichermaßen.
Was sieht der geschärfte Blick? Was sich zeigt, ist nicht schwer zu erkennen, aber schwer auszusprechen. Maßlos und höllisch das Leiden der Menschen-Geschwister, nur wenige Flugstunden von uns entfernt. Verfolgt und versklavt wie Tausende von jesidischen Frauen und Kindern in diesem Augenblick, schon viel zu lang gefangen in Systemen von Terror und Überwachung. Auch sie haben ein Bild von brüllenden Löwen, Widersachern und schwarzen Hunden – ein allzu klares, tödlich vor Augen stehendes Bild. Weltweit die Geschwister anzusehen heißt ihre Geschichten von Leid und Verfolgung mit auszuhalten, das unaussprechlich Leidvolle nicht wegschweigen, sondern in Worte zu fassen. Das ist ein Anfang von Fürsorge mit Konsequenz und Konsequenzen.
Am Anfang dieses Anfangs steht aber noch etwas durch und durch in Mark und Bein Gehendes: Ihr seid berufen, beauftragt, begabt dazu. Habt ihr das gehört, ist das angekommen im Kopf? Ist der ganze Mensch davon begriffen und umgriffen? Gerufen werden – das geht unter die Haut, wenn es entsprechend kraftvoll und hörbar kommt. Das spürt man, das überhört man nicht einfach so. Ihr seid gerufen, gemeinsam mit allen Geschwistern dieser Erde, dass ihr leben sollt in einem Reich der Gehaltenen und Aufgerichteten. Mit ihnen werden wir aufrecht gehen. Uns nicht mehr größer und höher machen müssen, als wir sind. Wissend, wer dich und mich aufgerichtet hat, woher mir die aufrichtende Kraft kommt, diese Kraft zum Aufstehen. Stehen bleiben und couragiert den Blick auf das richten, was Angst machen und einem den Boden unter den Füßen wegziehen will. Denn unser Grund ist fester.Er ist Jesus Christus selbst.
Das steht in Geltung jede Minute deiner verbleibenden Lebenszeit. Lass es ein, denn hier wird darauf gesetzt, dass in höchster Unfreiheit Gott Freiraum, Lebensraum, Atemraum stiften kann. In größter Unfreiheit auch die Erfahrung von größter Freiheit? Möglich ist es! Klar könnten wir zahllose „Gegenbeispiele“ nennen, in denen nur zu erkennen war, dass aus Unfreiheit nichts Gutes kam, dass Unfreiheit schlicht Unfreiheit blieb, aber das ist es doch gerade: Einer reißt den Schleier dessen nochmal durch, einer macht das Lebenswort zum Freiheitswort. Dafür ist nur noch eine weitere Körper-Seele-Geist-Übung wichtig. Der Sorgenwurf. Wirf! Und – so behauptet der Petrusbrief – Gott kümmert sich! Das ist keine Aufforderung, mit den Aufgaben, die uns das Leben stellt, einfach alle anderen im Umkreis zu belasten und zu beschießen. Es ist die Aufforderung, immer wieder den richtigen Zeitpunkt zu finden, um die Kummerbälle in unseren Händen loszulassen – mit Kopf und Körper.
Wie viele Kummerbälle jetzt gerade in den Hände gehalten werden sehe ich nicht. Aber ich frage mich: Gibt es da leichte Päckchen, die man vielleicht bei einer Tasse Tee besprechen kann? Oder ist es eher ein übergroßer Rucksack, der über einem hängt, den man kaum allein aufgesetzt bekommt, geschweige denn irgendwo hinwerfen kann? Schaffen wir ihn – den Sorgenwurf? Keine Sorge wird da geleugnet. Sie wird gesehen, aufgenommen, aber dann auch möglichst kraftvoll geworfen – und zwar in die richtige Richtung: Gott in die Arme. Gott fängt sie – die weit Geworfenen und die kurz Geworfenen.
„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“
Könnte sein, dass das Herz so frei wird für Wichtiges: für Sanftmut und Großmut, für Güte und Freundlichkeit. Berührbar, berührt und berührend bleiben – dafür lohnt sich der Versuch jeden Tag neu. Amen.
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04.09.2016 - 15. So. n. Trinitatis
Predigt in leichter Sprache zu 1. Petrus 2,21b-25 von Christiane Neukirch
(Diese Predigt ist bestimmt für einen Gottesdienst in Gebärdensprache. Deshalb ist sie in leichter Sprache verfasst und kürzer als Predigten für hörende Gemeinden. Im Vortrag wird sie noch weiter vereinfacht.)
Christus ist euer Vorbild. Er hat für euch gelitten und ihr sollt ihm nachfolgen.
Er hat keine Sünde getan und nicht gelogen.
Menschen haben ihn beleidigt, aber er hat sie nicht wieder beleidigt. Er hat gelitten, aber niemandem gedroht. Er hat das Urteil des Gerichts angenommen.
Er hat unsere Sünden mitgenommen ans Kreuz. Wir sollen frei sein von Schuld und richtig leben wie Jesus Christus. Durch seine Wunden seid ihr geheilt.
Denn ihr ward wie Schafe, habt euch verirrt, aber jetzt habt ihr euch dem Hirten und Kenner eurer Seelen zugewendet.
Aus 1 Petrus 2,21b-25
Liebe Gemeinde!
Im Urlaub an der Nordseeküste. Auf dem Deich begegnen uns einige Schafe. Ich schaue ihre Gesichter an. Sie sehen zufrieden aus, so wie sie da stehen. Sie haben keine Sorgen. Sie wissen nichts – jedenfalls meine ich das -, aber sie müssen auch nichts wissen. Sie haben alles, was sie brauchen und das ist gar nicht viel. Einen Hirten, der aufpasst, dass sie gesund bleiben und an der richtigen Stelle grasen können; einen Zaun, der sie davor beschützt, auf die Straße zu laufen und verletzt zu werden; und die anderen Schafe, mit denen sie zusammen leben.
Nur: ohne den Hirten und den Zaun und die anderen Schafe sieht das Leben für ein Schaf nicht ganz so glücklich aus. Was kann alles passieren und ist auch schon passiert?! Jesus hat die Geschichte vom verlorenen Schaf erzählt. Von dem Hirten, der das verlorene Schaf solange sucht, bis er es gefunden hat, weil es allein nicht überleben kann.
Der 1 Petrusbrief sagt zu seinen Leserinnen und Lesern, sie waren auch wie Schafe. Aber solche Schafe ohne Hirten, ohne Zaun und Schutz. Sie hatten sich verirrt – sind in falsche Richtungen auseinander gelaufen – und wussten nicht mehr weiter.
Da muss ich an uns heute denken. Auch wir sind oft ratlos, fühlen uns hilflos. Besonders in diesen Wochen und Monaten. Immer wieder lesen, sehen und hören wir schlimme Nachrichten. Was sollen wir machen gegen den Terror, der jetzt auch zu uns nach Europa gekommen ist? Was sollen wir machen mit den vielen Flüchtlingen bei uns? Was sollen wir machen mit den Jugendlichen, die keine heilen Familien mehr kennen? Und und und – viele Fragen und viele Antworten, viele Experten und betroffene Menschen. Aber wo ist der richtige Weg, wo finden wir Orientierung und Sicherheit?
Der 1 Petrusbrief schreibt: „jetzt habt ihr euch dem Hirten und Beschützer von euren Seelen zugewendet..“ Er redet von Jesus. Er meint ernsthaft: Jesus ist die Antwort auf alle Fragen. Die Fragen seiner Leserinnen und Leser damals – und auch auf unsere Fragen heute. Bei Jesus, dem guten Hirten, sieht der 1 Petrusbrief, was wir brauchen:
ein richtig gutes Vorbild - einen Menschen ohne Schuld, der nicht lügt, der nicht droht und schon gar nicht Rache übt, der aber bei uns bleibt und uns aushält – bis ans Kreuz und der uns so zeigt, wie leben richtig ist. Jesus, unser Vorbild. Der 1 Petrusbrief ist sicher: Auf Jesus können wir vertrauen. Seine Worte und sein Leben passen zusammen. Schauen wir ihn uns also genau an!
Wie hat Jesus gelebt?
Da fällt mir zuerst auf: Jesus sucht immer wieder den Kontakt zu Gott, zieht sich zurück, geht in die Wüste und betet. Ich glaube, da findet Jesus seinen Halt. Da bei Gott bekommt er seinen weiten Blick, sein barmherziges Mitgefühl mit allen Menschen, seine Kraft, auf dem geraden Weg, in der festen Verbindung mit Gott zu bleiben.
Versuchen wir das doch auch – uns immer wieder Zeit nur für Gott zu nehmen. Vielleicht haben viele bei uns heute solche Angst vor dem Islam, weil sie ihre eigene Beziehung zu Gott nicht pflegen? Weil sie alleine gar nicht mehr wissen, wie das Beten geht?! Schön, dass wir heute hier im Gottesdienst gemeinsam beten können. Und dass jeder bei uns mitbeten kann.
Und wie geht Jesus mit den Menschen um?
Ich entdecke: Jesus hat keine Schranken im Kopf, er ist offen für alle. Jesus erzählt z.B. vom barmherzigen Samariter – ein Mann aus der Gruppe der Samaritaner – nicht beliebt in Israel. Aber bei Jesus ist gerade der Samariter der Gute. Jesus heilt den Diener eines römischen Beamten – eines Feindes. Jesus hilft einer kanaanäischen Frau – die gehört auch nicht zu seinem Volk. Nein, Jesus hat keine Schranken im Kopf.
Und: Jesus geht immer wieder auf einzelne Menschen zu. Sieht ihre Situation, versteht ihre Geschichte und spricht gut mit ihnen.
So können wir das auch machen. Niemand von uns kann die ganze Welt retten und die großen Fragen beantworten. Aber wir können einzelne Menschen kennenlernen und begleiten. Dann merken wir, wie das ist, wenn Fremdheit verschwindet: Vertrauen, Sympathie wachsen und wir fühlen uns plötzlich verbunden mit Menschen aus einer ganz anderen Kultur. So wie es in unserer Gebärdengemeinde passiert ist. Wir haben eine junge Mutter bei uns aufgenommen, die mit ihrem kleinen Sohn hierher geflüchtet ist. Und sie ist nicht die erste.
Der 1 Petrusbrief schreibt: „Denn ihr ward wie Schafe, habt euch verirrt, aber jetzt habt ihr euch dem Hirten und Beschützer von euren Seelen zugewendet.“
Machen wir das immer wieder: uns zu Jesus hinwenden und sehen, wie er gelebt hat. Verhalten wir uns wie er. Haben wir keine Angst, wenn wir auf dem Weg nur kleine Schritte gehen können.
Wenn jede und jeder so lebt, können Flüchtlinge bei uns zur Ruhe kommen und eine neue Heimat finden. Und wir stärken den Frieden gegen den Hass. Ich denke, so können wir heute Jesus nachfolgen.
Amen.
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Nachfolge ist in: Follower werden! - Predigt zu 1. Petrus 2,21-25 von Christian Bogislav Burandt
Nachfolge ist in: Follower werden!
Lebenslanges Lernen, liebe Gemeinde, liegt im Trend. Auch Reisende können das sehen: Der Zug hält an einem Bahnhof und in dessen Fenstern lachen uns entsprechende Plakate entgegen: Deutsch, Mathematik und Computer! - Wirtschaft und Gesellschaft fordern lebenslanges Lernen von uns. Und zuzugeben ist: Der Fortschritt hilft uns persönlich nur, wenn wir uns darauf einlassen und immer wieder mal neue Dinge lernen: eine neue Sprache, ein Computerprogramm, den Umgang mit einem Hörgerät.
Auch im christlichen Glauben, liebe Gemeinde, geht es um ein lebenslanges Lernen. Denn wir sind als Christen trotz Konfirmation nie fertig sondern immer im Werden. Glaube, Liebe und Hoffnung, das brauchen wir immer wieder neu! – Und wie sich das Lernen in Fragen des Glaubens vollziehen soll? Nun, ich denke es gibt viele verschiedene Gelegenheiten: in Gottesdiensten und Glaubenskursen z.B. Und es gibt verschiedene Lernmethoden, die alle einen Platz in Kirche und Gemeinde haben.
Bekannt ist ja etwa das Lernen am Modell, das Lernen durch Nachahmung. Wie sagte doch ein frustrierter Vater: „Man kann seine Kinder so gut erziehen wie man will, sie machen einem doch alles nach!“
Unser Modell, nach dem wir den christlichen Glauben lernen, ist Jesus Christus selbst: Er hat euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen, sagt unser Briefschreiber: Jesus Christus hat keine betrügerischen Reden in seinem Munde geführt. Er hat keine verbale Gewalt ausgeübt, als er angefeindet und geschmäht wurde. Er hat keine Drohungen und Flüche ausgestoßen, als andere ihm Gewalt zufügten. Ganz bewusst hat er dies nicht getan.
Lernen am Modell, Lernen am Vorbild ist etwas, was wir zunächst einmal mit Kindern in Verbindung bringen. Das griechische Wort für „Vorbild“, das der Verfasser des 1. Petrusbriefes verwendet, bedeutet ursprünglich „Vorlage zum Nachschreiben“[i]: so wie Kinder zum Schreibenlernen ein Vorbild oder gar eine Schablone zum Nachmalen bzw. Nachschreiben in die Hand bekommen. Auf diese sozusagen kindliche, intuitive Art also sollen wir uns an Jesus ein Beispiel nehmen und seinen Fußtapfen folgen.
In unwegsamen Gegenden, z.B. in der Wüste, wo das Finden des richtigen Weges lebensrettend ist, da leuchtet das unmittelbar ein: Es ist heilsam, den in Sand und Geröll erkennbaren Fußstapfen von jemandem zu folgen, um den Weg in die Zivilisation zu finden.
Aber sind uns die Fußstapfen Jesu nicht viel zu groß? Können wir das Bild aus dem kindlichen Erziehungsbereich, Jesus als Vorbild, so ohne weiteres auf uns beziehen? Haben wir zu Jesus überhaupt Vertrauen?
Schon Martin Luther hat sich mit diesen Fragen beschäftigt und über die Aussagen aus unserem Text nachgedacht. Für ihn ist es wichtig, dass bei uns Christen die Reihenfolge stimmt: erst das Vertrauen zu Jesus Christus und dann unser christliches Verhalten. In Luthers Worten gesagt: „Das Hauptstück und der Grund des Evangeliums ist, dass du Christus, ehe du ihn zum Vorbild nimmst, zuvor entgegennehmest und erkennest als eine Gabe und ein Geschenk, das dir von Gott gegeben und dein eigen sei… Sieh, wenn du auf solche Weise Christus annimmst als Gabe, dir zu eigen gegeben, und nicht daran zweifelst, so bist du ein Christ. Dieser Glaube erlöst dich von Sünden, Tod und Hölle, macht, dass du alle Dinge überwindest.“[ii] Soweit Martin Luther.
Erst wenn wir in Jesus Christus Gottes Liebe zu uns erkennen, wenn wir mit seinem Tod die Verheißung von Heil und Leben für uns verbinden, wenn wir uns ihm als unserem Erlöser anvertrauen mögen, erst dann können wir versuchen, ihm als Vorbild zu folgen. Denn dann wissen wir, was wir tun! Wie gesagt, erst muss die Basis für christliches Verhalten vorhanden sein. Unser Text hält sie in dem Vers fest mit seiner Aussage, dass Christus unsere Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben.
Sünde ist das, was die Menschen von Gott trennt und ihnen selber schadet. Sünde ist die Dunkelheit, durch die der Mensch sich selber lähmt und sich sein Leben vermiest. Sünde ist tödlich, weil sie uns wegreißt vom Gott der Liebe und des Lebens. Dagegen schreitet Jesus Christus ein. Sein Tod und seine Auferstehung eröffnen uns Leben: Durch seine Wunden seid ihr heil geworden“, sagt der Briefschreiber.
Und, liebe Gemeinde, begeben wir uns auf den Weg des lebenslangen Lernens? Nehmen wir die Mühen, die jedes Lernen bedeutet, auf uns? – Damals zur Zeit des 1. Petrusbriefes herrschte eine große Orientierungslosigkeit bei den Menschen. Woran sollten sie sich halten? An wem sollte sie sich orientieren? Der Briefschreiber erinnert die Christen daran: Ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen. Der christliche Glaube schenkt Orientierung und Halt dadurch, dass sich die Christen an Jesus Christus als an ihrem guten Hirten ausrichten. Auch im Evangelium (Johannes 10,11-16) haben wir davon gehört.
Vielleicht hat der eine oder die andere unter uns leichte Zweifel, ob denn so etwas wie „Nachfolge“ überhaupt noch in unsere Zeit passt. Aber da kann ich sagen: Nachfolge ist „inn“ und schwer angesagt: In unserer digitalen Welt, im Internet also, in den sozialen Netzwerken und beim Kurznachrichtendienst Twitter, da ist alles auf „Nachfolge“ angelegt! In der digitalen Welt hat der „Nachfolger“ natürlich eine englische Bezeichnung und heißt „Follower“: Der „Follower“ bekommt zuverlässig alle Informationen und Nachrichten von dem, dem er anhängt. Warum sollten wir nicht ganz modern sein und uns daran ein Beispiel nehmen? Es gibt die Worte von Jesus Christus, es gibt in Kirche und Gemeinde Menschen, die sie mit uns teilen, es gibt Musik und Kunst, die davon künden. Lasst uns in unserem realen Leben Follower von Jesus Christus sein!
Nachfolge bedeutet
keine Abfolge von Erfolgen.
Nachfolge bedeutet
trotz eigener Misserfolge
einem Erfolglosen Folge zu leisten.
Nachfolge bedeutet
infolge des Kreuzes von der Sünde befreit
ein Verfolger der Liebe zu sein.
Nachfolge bedeutet
gegen die Gefolgschaft der Sünde
Erfolgsaussichten geschenkt zu bekommen –
bis in die Ewigkeit.
AMEN
[i] s. Jan-Dirk Döhling, Vorgabe und Nachfolge, GPM 70/2, Göttingen 2016 (232-239) S.235.
[ii] Martin Luther, Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten soll 1522, in „Erneuerung von Frömmigkeit und Theologie“, Insel-Luther Bd. 2, hg von K. Bornkamm und G. Ebeling, Frankfurt a. Main 1982, S.200/201.
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Predigt zu 1. Petrus 2,21b-25 von Hanna Hartmann
Liebe Gemeinde!
Von Ostern kommen wir her, von der Auferweckung Jesu und seinem Sieg über den Tod; dann – vor einer Woche – der Sonntag mit dem schönen Namen Quasimodogeniti – wie Neugeborene, der auch als sogenannter „Weißer Sonntag“ eine feierliche Note hat (v.a. in unserer katholischen Schwesterkirche). Und mit dem heutigen Sonntag „Misericordias Domini“ gehen wir nun wieder hinüber in den Alltag. Bei den meisten sind die Ferien und die Urlaubstage vorbei, und die Herausforderungen der Arbeit, der Schule und allem, was damit zusammen hängt, stürmen wieder auf uns ein.
Der Bibeltext für die heutige Predigt begleitet uns dabei. Er führt uns hinein in den Alltag, hinein ins „ganz normale“ Leben, und gibt eine Art „Anleitung“ dazu, was es konkret heißt, von Ostern herkommend, diesem Christus zu folgen, seinen Weg zu gehen und auf diesem Weg zu bleiben. Hören wir den Abschnitt aus dem 1. Petrusbrief, Kapitel 2:
Christus hat euch ein Vorbild hinterlassen: Bleibt auf dem Weg, den er voranging. Tretet in seine Fußstapfen und folgt ihm auf seinem Weg.
Er hat kein Unrecht getan und hat kein unwahres Wort geredet. Wenn er beleidigt wurde, gab er es nicht zurück. Wenn er leiden musste, drohte er nicht mit Vergeltung, sondern vertraute darauf, dass Gott ihm zu seinem Recht verhelfen würde.
Alle unsere Schuld hat er ans Kreuz hinaufgetragen, damit wir, der Sünde abgestorben, nun für das Gute leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Ihr wart wie umherirrende Schafe; jetzt aber seid ihr bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Hirtensonntag –so der andere Namen des heutigen Sonntags: Christus als „guter Hirte“ geht uns voran in den Alltag und geht sogar selbst mit. Mit dem Bild vom Hirten verbinden viele von uns etwas, auch wenn wir sonst in aller Regel nichts mit Schafen zu tun haben. Ganz schön und einfach habe ich es von einem Jugendlichen gelesen, der schreibt: „Ein Hirte – das ist jemand, der einen beschützt und bei dem du dich wohl fühlst. Mütter sind Hirten. Aber auch Freunde können Hirten sein. Hirte sein, hat etwas mit Liebe zu tun.“
Hirte sein, hat etwas mit Liebe zu tun. Ja, das ist so. Und darauf deutet ja auch der andere, lateinische Namen des Hirtensonntags hin: „Miseri-cor-dias Domini“ – Barm-herz-igkeit Gottes. Da steckt „Herz“ drin. Der Hirtensonntag ist also ein „Sonntag mit Herz“.
Machen wir einen kleinen Ausflug in frühere Zeiten, zu den Gemeinden, als sie in den ersten Jahrhunderten noch sehr jung und meist auch sehr klein waren. Wer getauft werden und zur Gemeinde gehören wollte, musste Tauf-Unterricht nehmen. Die Taufe selbst fand dann in der Osternacht statt. Der Täufling bekam dazu ein weißes Gewand. Und dieses weiße Gewand trug er auch noch die ganze kommende Woche bis zum sog. „weißen Sonntag“. Dann legte er das äußere, sichtbare Taufgewand ab; ab jetzt ging es ganz einfach darum, sich im Alltag – und ohne auffälliges Gewand – als Christ zu bewähren. Und mit auf den Weg gegeben war ihm die Barmherzigkeit Gottes: „Misericordias Domini“ in Gestalt des Christus als gutem Hirten.
Die Menschen damals wussten so gut, wie wir heute: Allein lässt sich das Leben als Christ nicht schaffen. Allein geht man verloren. Da braucht es einen an der Seite: einen, der einen ermutigt und tröstet, der einem nachgeht, wenn man sich verrennt, und der einen in schlimmen Zeiten hält und vielleicht sogar trägt.
Und dieser Sonntag sagte ihnen und sagt es auch heute und:
„Der Jesus, dem ihr euch zugewendet habt, der begleitet Euch. Ihr könnt also getrost Euern Weg gehen. Er geht mit!“
Soviel zum Hirtensonntag.
Doch neben dem Hirten lesen wir auch, dass Christus Bischof unsrer Seelen sei. Ein Bischof ist für uns, als evang. Christen, eher etwas ungewöhnlich und fremd. Bei Bischof denke ich auch eher an den katholischen Bischof Fürst in Rottenburg als an unseren evang. Landesbischof July in Stuttgart. Aber an Jesus – muss ich gestehen – denke ich zu allerletzt, wenn ich an einen Bischof denke. Was könnte also der Apostel meinen, wenn er Jesus als Bischof bezeichnet?
Im Griechischen steht hier das Wort epi-scopus, zu Deutsch heißt das: über-Schauer, - also einer, der „den Blick auf etwas wirft“ oder „den Überblick hat“. Im Lateinischen heißt das Supervisor. Und damit kann ich in der Tat dann wieder viel anfangen. Ein Supervisor schaut genau hin und weiß, wo die Tücken liegen; er stellt die richtigen Fragen und kann fachkundig, persönlich und einfühlsam beraten. Jesus als Supervisor, das hat was!
Hirte und Bischof: mit dem barm- und warmherzigen Begleiter auf der einen und dem fachkundige Supervisor auf der der anderen Seite – so sollen und können wir uns also getrost den Christus-Weg in den Alltag hinein gehen.
Der Christus-Weg – das ist der Weg, den Christus gegangen ist, ein Weg nah bei den Menschen. Und der Apostel ermutigt uns: Bleibt auf dem Weg, den er voranging! Tretet in seine Fußstapfen und folgt ihm! Haltet euch an seine Leitlinien!
Und wie diese Leitlinien lauten, liebe Mitchristen, davon haben wir vorhin in der Evangelien-Lesung (Mt 5,38-48) gehört. Sie haben alle mit Liebe zu tun, mit Sanftmut und mit Verzicht auf Gewalt. Auch im Abschnitt hier sind einige aufgezählt:
Er tat kein Unrecht und redete kein unwahres Wort.
Wenn er beleidigt wurde, gab er es nicht zurück.
Und wenn er leiden musste, drohte er nicht mit Vergeltung.
Recht und gerecht handeln; die Wahrheit reden; etwas auf sich sitzen lassen; Leidvolles aushalten ohne böse Gedanken und Rachegelüste.
Der Alltag klopft hier also schon ganz mächtig an die Tür:
Die Lehrerin sieht vor dem inneren Auge ihre Klasse vor sich und die Herausforderung, zu allen gerecht zu sein und jedem gerecht zu werden.
Der Schüler denkt vielleicht an den Klassenkameraden, der ihn gerne provoziert und nicht selten auch beleidigt.
Die Journalistin geht im Geiste noch einmal jenen Artikel durch, mit dem sie – wenn sie ehrlich ist – eher Stimmung macht als sachlich informiert.
Und bei dem Anwohner, dessen Parkplatz manchmal unerlaubterweise besetzt ist, steigt beim bloßen Gedanken daran schon der Adrenalinspiegel an.
Er tat kein Unrecht und redete kein unwahres Wort.
Wenn er beleidigt wurde, gab er es nicht zurück.
Und wenn er leiden musste, drohte er nicht mit Vergeltung.
Diese Wegmarken, die Christus hinterlassen hat, sind heute nicht weniger aktuell als damals. Und sie sind im Persönlichen und Privaten nicht geringer zu schätzen als in der Weltpolitik. Denn was im Kleinen gepflegt und eingespielt wird, das wirkt sich früher oder später im Großen und in der Öffentlichkeit aus. Kriege sind keine Naturkatastrophen; sie brechen nicht aus wie Vulkane. Vielmehr werden sie von Menschen vorbereitet und durchgeführt; also können sie auch von Menschen verhindert werden. Aber bedarf es der Bereitschaft und auch der Disziplin. Ja, Disziplin – was nicht anderes heißt als: der Lehre folgen, Schüler sein – und hier konkret: Schüler von Jesus sein in Sachen Gerechtigkeit, Wahrheit, Verzicht auf Gewalt und Bereitschaft etwas auszuhalten.
Jeder Vater, jede Mutter, und alle, die mit der Erziehung zu tun haben, wissen, wie schwer und anstrengend das mit Kindern manchmal ist; und wie es oft man sich da selbst überwinden muss. „Alles fließe von selbst, Gewalt sei ferne den Dingen.“ Dieses Erziehungsmotto des böhmischen Bischofs und Pädagogen Amos Comenius, der vor 400 Jahren lebte, klingt so leicht, erfordert oft aber sehr viel Disziplin und Phantasie.
Oder Martin Luther King. Auch er gehörte zu Jesu Schülern. Konsequent setzte er sich für Gerechtigkeit ein und verzichtet dabei auch ganz klar auf Gewalt. Er berief sich dabei auf Jesus, auf sein Leiden und seine Auferweckung: „Das Opfer sei zuletzt immer stärker als die Mächtigen, denen es unterworfen ist, sagte er. Das lehre die Bibel, das lehre das ewige Vorbild des Heilands, der mit seinem Leiden und seinem Tod am Kreuz den Weg der Erlösung gezeigt und damit die Welt und die Menschheit tiefer verändert habe als jeder der Regenten dieser Erde.“ (K. Harprecht, Schräges Licht, Frankfurt 2015, 3. Aufl.)
Er blieb dabei, trotz der Tatsache, dass Tausende seiner Getreuen gerade gefoltert und ermordet wurden. Er sagte es, wohl wissend, dass er selbst gefangen genommen würde. Aber er blieb dabei: Gerechtigkeit ohne Gewalt! Zusammen mit vielen anderen, glaubte er fest daran: „We shall overcome some day! - Eines Tages werden wir gewinnen!“ Er selbst hat es zwar nicht mehr erlebt – die Gewalt einer Kugel setzte seinem Leben vorzeitig ein Ende – aber was siegte, war zuletzt die Gerechtigkeit. Am 11. April 1968 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz für die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen.
Und wir wissen: Dieser Weg ist nicht zu Ende. Er geht weiter.
Recht und gerecht handeln; die Wahrheit reden; etwas auf sich sitzen lassen; Leid aushalten ohne böse Gedanken und Worte – das sind bleibende Herausforderungen: für Amerika (wie auch immer die Präsidentschaftswahlen ausgehen werden) und auch für uns in Europa und für die ganze Welt. Wir sind alle auf dem Weg, nicht am Ziel.
Es sind und bleiben aber die Fußstapfen Christi, die uns den Weg weisen. Wie gut, dass er selbst uns begleitet und „supervidiert“; und was für ein Glück, dass er uns Spurensucher an die Seite stellt, die mit uns auf diesem Weg sind.
Amen.
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"Hinterher? Hinterher! Mit Zwischenschritten" - Predigt zu 1. Petrus 2,21-25 von Dörte Gebhard
"Hinterher? Hinterher! Mit Zwischenschritten"
Liebe Gemeinde
"Hinterher ist man immer klüger."
Oder, wie es sogar 'Programm' ist beim Kabarettisten Horst Evers:
"Hinterher hat man's meist vorher gewusst."
1. Hinterher?
"Hinterher ist man immer klüger."
Schnell halte ich meinen eigenen, rasanten Gedankengang auf.
Wirklich?
Zweifel zwacken mich.
Ziemlich viele, wenn ich an den christlichen Glauben denke.
Mein Zaudern zwingt mich zum Nachfragen, ehe ich mit der Nachfolge beginne.
"Hinterher ist man immer klüger."
Wir heutigen Christen sind weit "hinterher", keine Frage.
Aber ist jemand auch tatsächlich klüger als die früher Glaubenden?
Wir Heutigen sind diejenigen, die zur Nachfolge berufen sind und eigentlich schon klüger geworden sein sollten, wenn das Sprichwort stimmt.
Aus dem 1. Petrusbrief lese ich aus dem 2. Kapitel die Verse 21-25:
21 Dazu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt. 22 Er hat keine Sünde begangen und in seinem Mund war kein trügerisches Wort.
23 Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter.
24 Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt. 25 Denn ihr hattet euch verirrt wie Schafe, jetzt aber seid ihr heimgekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen. (Einheitsübersetzung 1. Petr 2, 21-25)
Liebe Gemeinde
Wir hören von unserer Berufung nicht nur ein bisschen später, sondern so richtig nachträglich, deutlich "hinterher". Das Beispiel Christi, von dem im 1. Petrusbrief die Rede ist, gibt es seit 2000 Jahren. Viele Vorfahren von uns hatten also schon viel Zeit, um klüger zu werden.
2. Hinterher!
Christinnen und Christen sind berufen zur Nachfolge. Christi Spuren sollen sie nachgehen.
Luther hat es noch anschaulicher gesagt: Ein Christ soll in seine, in Jesu Fußtapfen treten.
So geht es los: Jesus Christus ... hinterher!
Genau jetzt, mitten in der Predigt, müssen wir aufbrechen zu einem Gedanken-gang. Denn wir bekommen keine Vor-schrift vorgehalten.
Schon gar nicht bekommen wir ein simples, zu kopierendes
Vor-bild vor die Nase gesetzt. Wir sollen vorauslaufenden Spuren folgen.
Das ist ein großer Unterschied, ob man ein Brett mit Bildern vor dem Kopf hat (und mögen die Bilder auch noch so bewegt, animiert und optimiert sein), oder ob man sich selbst auf Spurensuche machen muss.
Vor uns liegt zweifellos ein fast(!) "zu weites Feld"[1].
Im 31. Psalm hatte es geheißen, dass Gott unsere Füße auf weiten Raum stellt. Das ist keinesfalls eine Übertreibung.
Jesus Christus hat auf diesem weiten Feld Spuren hinterlassen. Er hat in seinem kurzen Erdenleben und seiner noch viel kürzeren Wirk- und Wanderzeit viel mehr Spuren hinterlassen, als jeder heute 'normalsterbliche' Hundertjährige.
Auch nicht die größten Feinde und Ignoranten, auch nicht die Spötter und die völlig Stumpfen bezweifeln das.
Aber diese Spuren müssen gesucht werden vor dem Finden.
Sie müssen gefunden werden vor dem Folgen.
Sie müssen verfolgt werden ... bis auf weiteres.
Die Sicht ist dabei mehr als frei. Niemand, auch nicht Jesus Christus selbst, der Auferstandene, steht uns im Blickfeld. Der menschliche Blick schweift frei herum, nichts kann ihn aufhalten. Unsere Freiheit ist zweifellos fast(!) zu groß.
Fängt ein Mensch mit dem Nachfolgen an, so bemerkt er gleich und nicht erst später oder gar erst hinterher, dass sich um die Spuren Jesu herum alles gewandelt hat: die Zeiten und die Leute, die weite Welt und das alltägliche Wetter, die Weggefährten und die Wegweiser sowieso.
Dazu muss sich niemand erst groß umgucken.
Und die Fußtapfen, die im 1. Petrusbrief, die überhaupt im Neuen Testament aufgezeichnet sind, wurden auch erst hinterher festgehalten, nachträglich, nach Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen.
Denn wenn überhaupt, ist man frühestens hinterher etwas klüger, wenn auch nie klug genug für Gottes Wege in der Welt.
Folgt man dem ersten Petrusbrief, so lebt und glaubt man mit den dort nachgezeichneten Fußtapfen gleich auf wahrlich großem Fuß.
Vom 'Vorläufer' Jesus Christus heißt es:
Er hat keine Sünde begangen und in seinem Mund war kein trügerisches Wort.
Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter.
Wenn ich mich umgucke, sehe ich zuerst die Spuren, die ich schon hinterlassen habe. Zweifellos sind sie nicht nur schön.
Es gibt zweifelhaftes Zickzack und anhaltendes Zaudern, auf der Stelle treten, ohne dass ich auf dem Wege der Besserung gewesen wäre. Verirrt wie Schafe, so klingt es wenig schmeichelhaft im 1. Petrusbrief, aber es ist wahr.
Wie oft passierte es schon , dass ich genau das zurückgegeben habe, was ich bekam? Unfreundlichkeiten, ein unhöfliches Wort, Kränkungen auch, manche waren leider auch noch leicht zu überbieten.
Schlagfertig.
Zynisch.
Dabei halte ich mich gar nicht für besonders rachsüchtig.
Ehrlicherweise muss ich auch zugeben, dass ich mit dem Schmähen auch schon angefangen habe, dass ich schon gedroht habe, ohne dass sich etwas zu erleiden hatte, dass ich vor allem gar nichts vom Streiten irgendwem überlassen habe, sondern selbst gerichtet habe und mir dabei noch eingebildet habe, so käme die Gerechtigkeit wieder, jedenfalls in meine, kleine Welt.
Die vorauslaufenden Spuren Christi zeigen den Weg in die Gewaltfreiheit, der schon in Kopf und Herz und im Mund, nicht erst mit Hand und Fuß beginnt.
Die Gewaltfreiheit muss sich zuerst in Gedanken und Worten den Weg ebnen, sie fängt nicht erst bei den Werken an.
Mahatma Gandhi war im 20. Jahrhundert ein Mensch, der es nicht nur weiter als die meisten gebracht hat auf diesem Weg, sondern auch in der Lage war, von den ferneren Gefilden noch einen gute Landkarte zu zeichnen.
Mahatma Gandhi war zugleich ein Mann, der nicht nur den Anfang des Weges viel weiter vorn sah, sondern auch viele andere bewegen konnte, dorthin umzukehren, immerhin in Gedanken, also in Kopf, Herz und Mund.
Gandhi sah nicht nur die Gewaltlosigkeit vor, also den Verzicht auf Gewalt in einer bestimmten Situation, sondern sogar die völlige Gewaltfreiheit, also die prinzipielle Abkehr von jeglicher Gewalt.
Ihm ging es um die Kraft der Wahrheit und der Liebe, die jedem Menschen zur Verfügung steht. Gandhis Vorstellung war geprägt von fast(!) unvorstellbarer Einseitigkeit beim Denken und Tun des Guten:
„Jede und jeder soll unabhängig davon, was irgendeine andere Person tut, damit beginnen gut zu sein ...“[2]
Bei Gandhi zählten z. B. schon negative Gedanken und übermäßige Eile zu jener 'Gewalt', die einer umfassenden Leidensfähigkeit, tiefgehendem Mitgefühl, der Geduld und dem Frieden mit sich und den Mitmenschen im Wege steht.
Er war ein weit Fortgeschrittener in den Spuren, die im 1. Petrusbrief Jesus Christus nachgezeichnet werden.
3. Mit Zwischenschritten
Christi Spuren nachfolgen?
Oder auch nur Gandhis Gedanken ernsthaft und konsequent nachgehen?
An dieser Aufgabe kann man verzagen!
Zwischenschritte sind nötig!
Ein erster Zwischenschritt: Nicht klaglos Schmähungen und andere Qualen erleiden, passiv und tatenlos, sondern mit Fantasie Widerstand leisten, aktiv und wenn es sein kann, sogar mit Humor. Ich weiss nicht, ob Sie den Fussballverein von Deinste in Niedersachsen kennen. Er ist eine kleine Weltreise mit der Maus wert - im Internet.
Der Fussballkreisligaverein Deinste SV ist nicht heimgesucht von wunderbaren Erfolgen oder völlig unglaublichen Talenten. Im Gegenteil, auch dort hat man mit leider alltäglichem Rassismus zu kämpfen.
Ein sudanischer Fussballspieler wurde wegen seiner Hautfarbe fremdenfeindlich beleidigt und geschlagen, nicht bei einem Fußballspiel, sondern anlässlich eines Osterfeuers.
Der Verein reagierte und änderte kurzerhand sein Profilfoto auf Facebook. Nun posieren die Spieler in drei Reihen, alle tragen den rot-schwarzen Vereins-Trainingsanzug, blicken in die Kamera. Und alle haben ein schwarzes Gesicht.
Mit dem digital bearbeiteten Mannschaftsbild setzt der Verein ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie schreiben auf facebook: "Gewalt gegenüber Flüchtlingen ist erbärmlich! Emad und Amar - ihr gehört zu uns, wie jeder andere vom Deinster Sportverein und wir freuen uns, dass ihr bei uns seid!!!"[3]
(Zu Ostern waren dem Fussballverein übrigens drei Siege vergönnt, aber diesmal kam es darauf nicht an.)
Ein Spieler litt, und dann hatte einer eine gute Idee. Ganz gleich, wer es war.
Einer wurde beschimpft, aber alle waren dann bei diesem speziellen Gruppenfoto dabei.
Christi Spuren nachfolgen?
Mit Humor und ohne Angst.
Dennoch:
An dieser Aufgabe kann man verzagen!
Und wir spielen auch nicht alle Fussball ...
Zwischenschritte sind nötig!
Ein ganz anderer Zwischenschritt:
In die Oper gehen und Mozart hören. In der "Zauberflöte" singt Sarastro seit 1791: "In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht."
Und wenn man dann die Rache gar nicht mehr kennt, geht man leichtfüßig auf die Suche nach solch 'Heil'gen Hallen'!
So kann man Christi Spuren nachfolgen.
Aber Oper ist nicht jedermanns Sache!
Aber wir Jetzigen sind nun doch etwas dahinter gekommen!
Ich zweifle nun auch nicht länger, dass wir jetzt - hinterher - doch ein wenig klüger geworden sind - oder sogar gemerkt haben, dass wir es doch schon vorher gewusst haben.
Hinterher ist man doch klüger!
So wird jeder selbst und jede für sich einen Zwischenschritt, bald viele Zwischenschritte finden, die helfen, den fast(!) zu grossen Fußtapfen Jesu Christi zu folgen, ihm hinterher zu gehen und zuletzt, auch wenn wir uns verirren wie Schafe, heimzukehren zu Gott.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bei jedem Schritt, Amen.
[1] Theodor Fontane: Effi Briest, 1894/95, wiederkehrende Leitformulierung.
[2] Zitat und ganzer Absatz vgl. Wikipedia, Art. Gewaltlosigkeit. Von Hans Ruh ist mündlich folgender ethischer Lehrsatz überliefert: "Einseitig das beidseitig Richtige tun."
[3] Vgl. facebookseite des Deinster SV.