Allein aus Gnade! - Predigt zu Eph 2,4-10 von Andreas Pawlas

Allein aus Gnade! - Predigt zu Eph 2,4-10 von Andreas Pawlas
2,4-10

Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr selig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

 

Liebe Gemeinde!
Was ist das für ein altertümliches Wort, dieses Wort „Gnade“! Wir benutzen es doch gar nicht mehr in unserem Alltagssprachgebrauch. Und vielleicht wissen junge Menschen darum auch gar nicht mehr, was sich an Großem oder Kleinem hinter diesem altertümlichen Wort verbirgt.
So häufig sagte man doch früher: „Gnädiger Herr, oder gnädige Frau“. Aber, die Älteren unter uns, die mögen das noch wissen: So manches Mal waren dabei weder der Herr noch die Frau eigentlich gnädig, sondern nur herrisch oder aufgeblasen, und es war nur eine Art Schmeichelei.
Heutzutage höre ich nur noch manchmal, wenn Kinder schlecht geschlafen haben und mürrisch und knatterig aufwachen, dass man dann witzelnd sagt: „Oh, der Herr ist ungnädig“ oder „Oh, die Dame ist ungnädig.“ Aber dabei wissen wir doch, dass das alles kein ernsthafter Gebrauch des gewichtigen Wortes Gnade ist.
Wenn es also wirklich so ist, dass wir das Wort Gnade eigentlich nicht mehr ernsthaft kennen, was heißt das für uns? Sollte das etwa ein Zeichen dafür sein, dass wir in einer ungnädigen, unbarmherzigen Zeit leben, die etwa Fehler und Missgeschicke nicht zu verzeihen weiß? Wenn das tatsächlich wahr ist, dann müsste uns das nachdenklich stimmen. Denn vom Aufwachsen unserer Kinder wissen wird doch, dass man vielfach nur durch Fehler lernt und dass Kinder beim Laufenlernen erst einmal viel und tüchtig hinfallen und auch hinfallen müssen. Und trotzdem soll es in unserer modernen und erwachsen gewordenen Welt so sein, dass Gnade unbekannt und gnädiges, liebevolles Vergeben von Fehlern nicht üblich ist? Warum?
Ob das etwa daran liegt, dass wir meist glauben, alles aus eigener Kraft und Machtvollkommenheit selbst und perfekt machen zu können? Müssen deshalb Fehler meist unverzeihlich sein? Können deshalb Fehler heutzutage meist nicht mehr gnädig vergeben werden, sondern müssen unbarmherzig verfolgt werden?

Sie meinen, das stimmt nicht? Schauen wir doch einmal in die Betriebe: Werden dort nicht Mitarbeiter, die Fehler machen, zuerst streng abgemahnt und dann unbarmherzig herausgeworfen? Schauen wir doch einmal in die Politik: Werden dort nicht Politiker, die Fehler machen, von Zeitungen oder im Internet-shitstorm bis zum Letzten bloßgestellt und dann unbarmherzig ausgezählt? Nein, Gnade scheint in unserem Lande wirklich nicht mehr bekannt zu sein. Offenbar scheint man sich vielfach wirklich nicht mehr vorstellen zu können, was sich Großes oder Kleines hinter dem Begriff Gnade und vor allem  hinter dem Begriff der Gnade Gottes verbirgt.
Darum: Wie sollte es uns modernen Menschen dann möglich sein, diesen Satz des Apostels verstehen können: „Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.“

Aber vielleicht kann jetzt die Erinnerung an eine kleine Geschichte aus alter Zeit helfen, die von einem weisen und darum gnädigen König handelt. Und damals waren ja die Könige noch unumstrittene Herren über Tod und Leben ihrer Untertanen. Sie waren darum auch oberste Richter, was sich für uns teilweise hart und gruselig anhört. Auf jeden Fall bekam nun dieser gnädige König von seinem Kanzler ein sorgfältig auf Pergament geschriebenes Todesurteil zur Unterschrift vorgelegt.
Nach den harten Gesetzesvorschriften der damaligen Zeit, die schon Diebstahl mit dem Tode bedrohten, war da völlig berechtigt, was in großen Lettern dick unterstrichen und unübersehbar auf dem Pergament stand: „Gnade unmöglich, aufhängen!“ Ich wiederhole mit gesprochenem Satzzeichen: „Gnade unmöglich (Komma) aufhängen!“
Da aber nun unser König ein König war, den Gott mit Weisheit und Barmherzigkeit begnadet und beschenkt hatte (was ja nicht selbstverständlich ist bei Regierenden aller Zeiten), weil also unser König ein wirklich gnädiger König war, ließ er sich den Fall trotzdem noch einmal eingehend von seinem Kanzler erläutern. Und was musste er da hören von der Not des Verurteilten und vom Elend seiner ganzen Familie. Und das alles würde ja nach der Hinrichtung des Ernährers der Familie noch viel schlimmer werden.
Jetzt begann der König sich zu besinnen. Und der Verurteilte, was konnte der in dieser so schlimmen Situation tun? Nichts! Gar nichts! Aber der König, der tat etwas! Denn er bewegte alles sorgfältig in seinem Herzen. Kam ihm dabei vielleicht in den Sinn, wie oft Gott ihm selbst bei seinen Fehlern barmherzig war? Erinnerte er sich etwa an eigenes Versagen, das aber dann durch Gottes Gnade zum Guten gewendet wurde? Oder wurde sein Herz einfach tief angerührt durch das ganze Elend des Verurteilten? Am Ende stand jedenfalls Gnade und Barmherzigkeit. Ja, so beschloß der König völlig überraschend, barmherzig zu sein und Gnade walten zu lassen.
Aber wie er nun dieses für den Verurteilten und seine Familie so Gewaltiges und Einschneidendes machte, das ist das Erstaunliche: Denn er tat nichts, überhaupt nichts äußerlich Gewaltiges, sondern er veränderte nur an dem so sorgfältig, langwierig und mühselig auf kostbarem Pergament vorgeschriebenen Urteil eine einzige Winzigkeit. Er veränderte nur das Komma - und der Mann war frei. Er hatte das Komma nur ein Wort weiter nach vorn im Satz gezogen und schon hießen die gleichen Worte: „Gnade, unmöglich aufhängen!“. also „Gnade(Komma) unmöglich aufhängen!“.

Schauen Sie, es war etwas so Kleines, in dem sich die Gnade ausdrückte -, eben nur die Stellung eines Kommas - und doch war die Wirkung so gewaltig. So gewaltig, dass sie für den Verurteilten neues Leben und Freiheit brachte.

Aber so ist es auch häufig in den Dingen, in denen Gott in unser Leben eingreift. Was Gott in seiner Liebe für uns tut, ist manches Mal so klein, dass wir es leicht übersehen und an allem nichts mitwirken können, so wie der Verurteilte in unserer Geschichte selbst an allem nichts hat mitwirken können. Und ich weiß gar nicht, ob er überhaupt noch in der Lage war, auf das zu hoffen, was der König dann gnädig überraschend tat. Und natürlich mögen wir heutzutage solche Abhängigkeit überhaupt nicht und haben deshalb ja auch bei uns im Lande das Königtum abgeschafft. Wir wollen eben alles selber machen und selber erreichen. Aber vielleicht sind wir eben genau deshalb in der heutigen Zeit so unbarmherzig, so lieblos und ungnädig.
Nun kann man natürlich fragen, ob diese gegenwärtig populäre Haltung, nach der man alles selber machen und erzwingen will und deshalb nicht mehr gnädig ist, ob die eigentlich realistisch ist? Wenn wir auch gern fleißig und tüchtig sind und auch sein sollen, können wir denn wirklich durch unseren Fleiß und durch unsere Tüchtigkeit, oder gegebenenfalls durch Kampf oder Treten und Schlagen unser Lebensglück und das Gelingen unseres Lebens tatsächlich erzwingen und an uns reißen?
Nein! Und jeder, der genau in unsere Welt schaut, der weiß, dass das im Grunde nicht geht, sondern eigentlich nur Verkrampfung, Lieblosigkeit, Selbstüberforderung, Enttäuschung und letztlich sogar ein verzweifeltes Sterben mit sich bringt. Übrigens sagt der Apostel zu diesem allein um sich kreisenden egoistischen Zustand des Menschen „tot sein in Sünden“.
Dagegen kann doch jeder, der genau in unsere Welt schaut, sehen, dass wahre Erfüllung, Zufriedenheit für ein Leben oder auch heitere Gelassenheit eigentlich nur geschenkt werden können. Und zwar aus einer Lebensdimension, die so ganz anders ist als unsere alltägliche Lebenswelt.

Ja, es ist die Christenheit, die bezeugt, dass allein von Gott, aus seiner ganz anderen Wirklichkeit für ein Leben Erfüllung, Zufriedenheit oder heitere Gelassenheit geschenkt werden kann. Durch den Blick auf das Leben und Leiden Jesu Christi dürfen wir sogar gewiss sein, dass der, der so wie Christus allein Gott vertraut im Leben und im Sterben, dass der nicht nur Lebenserfüllung haben wird, sondern genauso wie Christus Auferstehung und ewiges Leben. Und genau diese Gewissheit, dass das so ist, die können wir uns in keiner Weise erarbeiten, kaufen oder an uns reißen. Sondern wir können uns diese Glaubensgewissheit nur schenken lassen - aus Gnade. Und dazu gibt es auch kein großes oder aufwendiges Spektakel. Keine Show, kein Flutlicht, keine Tanzgruppe mit überlauter Musik, kein Aufmarsch oder Fackelzug, sondern in der Taufe allein ein paar Worte und ein paar Tropfen Wasser. Das ist vom Äußerlichen sicherlich genauso wenig wie die Kommaverschiebung des weisen Königs, mit der er dem Verurteilten Leben und Freiheit schenkte.
Aber genauso wird Leben und Freiheit geschenkt durch die Taufe. Und eben noch mehr: Leben wird durch Christus nicht nur für die Gegenwart geschenkt, sondern sogar auf ewig. Und Freiheit gibt es eben nicht nur zu leben, sondern um erfüllt und froh zu leben, weil alle Lebensverfehlung und alle Schuld aus Gnade, aus Liebe zu uns von dem übernommen und getragen wird, der für uns ans Kreuz gegangen ist: von Jesus Christus!
Und wenn einem endlich die Augen geöffnet werden, das zu sehen und zu erkennen, das zu spüren und zu schmecken, dann kann man wirklich nur staunen über die Wunder, die Gott für uns tut, die wir doch nur für eine kurze Zeit Gast auf Erden sind. Und Gott will dabei nicht knausern. Sondern er will uns im Glauben mehr geben, als wir uns so üblicherweise ausmalen. Darum spricht der Apostel vom „überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.“

Und dieser Reichtum ist kein klebriger Reichtum, der geizig an uns haften bleibt. Sondern wem die Augen und das Herz für Gottes Gnade geöffnet sind, bei dem quillt es über, der freut sich so, dass er ganz von selbst weitergibt, weitererzählt, mit anderen mitlacht und mitweint - nicht weil er selbst so stark, tüchtig und einfühlsam ist, sondern weil er sich von Gott im Glauben beschenkt und reich gemacht fühlt. Ein solches durch Gottes Gnade reiches und erfülltes Leben schenke der Herr uns jetzt und ewig. Amen.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastor i.R. Dr. Andreas Pawlas

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine Vorstadt-Gemeinde versammelt, Alt und Jung sind beieinander. Kinder sind zuerst beim Gottesdienst dabei, dann aber kommt nach dem Evangelium der Auszug der Kinder zum parallelen Kindergottesdienst.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die vielen Schattierungen des Worte „Gnade“.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Bitte und die Hoffnung, mich selbst auch auf die Gnade Christi verlassen zu können.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe gern Anregung des Predigtcoaches zur Zuspitzung der Beispielgeschichte aufgenommen.

Perikope
15.08.2021
2,4-10

Der Blick geht nach oben - Predigt zu Epheser 1,(15-20a)20b-23 von Karoline Läger-Reinbold

Der Blick geht nach oben - Predigt zu Epheser 1,(15-20a)20b-23 von Karoline Läger-Reinbold
1,(15-20a)20b-23

Christi Himmelfahrt

Vierzig Tage nach Ostern. Heute ist Christi Himmelfahrt. Die Bibel erzählt1, dass es in dieser Zeit nach dem Ostersonntag noch viele Begegnungen gab – zwischen Jesus, dem Auferstandenen, seinen Jüngerinnen und Jüngern. Er war wieder aufgetaucht. Sie haben ihn gesehen, konnten nochmal mit ihm sprechen, und fast war es wie früher. Als wäre er immer noch da.  

Aber heute stehen sie und schauen in den Himmel. Recken die Hälse in die Luft. Bis eben war er ganz nah, jetzt ist er – entrückt. In den Himmel gehoben. Wenn die Kinder in der Grundschule ein Bild dazu malen, dann kann man sehen, wie die Gestalt in der Wolke verschwindet – die Füße gucken unten noch ein bisschen raus2. Weil er ja irgendwie bleibt, auch wenn man ihn nicht mehr sieht.  

Jesus ist fort, und dennoch halten wir Kontakt. Kaum zu glauben ist das, und gleichzeitig schön. Denn es gibt Spuren seiner Gegenwart. Zusammen mit den Jüngern halten wir Ausschau nach ihm.   

 

Der Blick geht nach oben

Ja, Himmelfahrt ist so ein Tag: Der Blick geht nach oben. In unserem Kirchenkreis geht es wie eh und je hinaus. Gottesdienst im Freien – seit Corona sind wir da Profis geworden. Nehmen mit, was wir brauchen: Regenschirm oder Sonnencreme, Sitzkissen, Strickjacke, Taschentuch, Tee.

Der Blick in den Himmel ist ein Gebet, er ist Hoffnung und Hilferuf. Der Blick in den Himmel richtet mich aus auf eine Wirklichkeit, die mehr ist als das, was vor Augen steht. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“ heißt es im Psalm (Ps 121,1; vgl. auch EG 296). Woher kommen Zuversicht, Trost und neuer Mut in dieser Zeit?

Viele von uns sind „mütend“ (müde und wütend), ungeduldig, ausgelaugt, verzweifelt, erschöpft. Wir sind pandemüde, weil so viel fehlt, seit über einem ganzen Jahr. Der Geburtstag mit Freunden. Der Ausflug ans Meer. Stattdessen in der kleinen Wohnung eingesperrt. Niemand kommt zu Besuch. Fast jede und jeder kennt einen, den es erwischt hat. Die Quarantäne und die Angst. Die Sorge, was passiert, wenn dich die Krankheit wirklich trifft. Wie lange wird das wohl noch gehen?

Komm runter und schau es dir an, Gott. Schick uns Impfstoff, Vernunft, gute Nerven und Hilfe, das alles wird dringend gebraucht. Und nicht nur bei uns, an vielen Orten sieht es richtig finster aus.

Der Blick geht nach oben. 

 

Der Predigttext

Der Verfasser des Epheserbriefs hat einen anderen Blick. Mit etwas Abstand schaut er auf seine Gemeinde und schreibt:

„Darum, nachdem auch ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen. Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke. Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“ (Epheser 1,15-23)

Das ist ein staunender Blick, voll Dankbarkeit und Freude. Ein Blick voller Liebe und Wertschätzung. Der Apostel hat erkannt, welch starker Glauben in den Menschen wohnt, und er zeichnet ein eigenes Bild. Da ist Christus im Himmel, ganz nahe bei Gott, unserem Vater. Seinem Leib, der Gemeinde, bleibt er verbunden. Und der Briefschreiber wünscht:

„Er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke.“ (Epheser 1,18-19)

Es ist eine andere Perspektive. Auch wenn wir uns hier unten sehen in all unserer Not und Ratlosigkeit: Wir sind doch Teil eines Großen und Ganzen. Wir gehören zum Christusleib. Wir haben Hoffnung, denn wir sind verbunden mit Gottes Kraft, mit seiner Stärke und Fülle. So sieht es der Epheserbrief.

 

Gottes Herrlichkeit sehen

Erleuchtete Augen des Herzens. Dass ich die Hoffnung sehen kann, den Reichtum seiner Herrlichkeit, Gottes unbändige Kraft, seine Stärke.

Wenn ich zurückdenke an die vergangenen Monate, dann spüre ich, wie sehr ich mich sehne nach diesen Zeichen seiner Herrlichkeit. Die guten Nachrichten, so unscheinbar sie auch sind. Der Sohn der Freundin: Als er im letzten Jahr mit seiner Schule fertig war, schienen alle Pläne dahin. Keine Reisen, keine Ausbildung, kein erster Job, überall nur Corona. So viele Bewerbungen und keine Rückmeldung, allenfalls mal ein Anruf oder ein Videochat. Dann plötzlich fand er seine Chance. Seit ein paar Wochen hilft er jetzt im Impfzentrum und kommt an jedem Abend fröhlich heim. Die Stimmung ist gut, die Menschen sind freundlich, er hat etwas zu tun und schon manch interessanten Kontakt geknüpft. 

Erleuchtete Augen des Herzens. Dass ich die Hoffnung sehen kann. Manchmal, wenn die Sonne scheint und ich mittags etwas Zeit habe, gehe ich zum Gastwirt um die Ecke, kaufe einen Kaffee, und wir halten einen kurzen Plausch. Jaja, die Zeiten sind schlecht, sagt er dann, aber schön, dass du da bist, und irgendwann wird es vorbei sein.

Der Himmel ist weit und trotzdem ganz nah.

Und ich denke an die alte Frau im Krankenhaus, die ich vor Jahren besucht habe. Schon eine ganze Weile lag sie dort, und niemand wusste, wie es mit ihr weiter geht. Wir haben nur kurz miteinander gesprochen, doch ihre Worte haben mich lange begleitet, auf meinem Heimweg und darüber hinaus.    

„Ich liege, ich sehe nach oben.“ Ganz ohne Unterton sagte sie das. So viel Vertrauen, viel Ruhe und Gelassenheit. So, wie es kommt, ist es gut.

Amen.

 

 

1 I Epistel Apg 1,3-11 und Evangelium Luk 24,(44-49)50-53. Wenn auf die Lesung dieser Texte verzichtet wird, lohnt es vielleicht, an dieser Stelle etwas ausführlicher zu referieren.

2 I Vgl. auch das Bild des Hans Süß von Kulmbach, Christi Himmelfahrt (16. Jh.):  https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hans_S%C3%BC%C3%9F_von_Kulmbach…

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastorin Dr. Karoline Läger-Reinbold

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine muntere Stadtteilgemeinde mit Familien, Jugendlichen, Alleinstehenden, Älteren – die Pandemie hat ihr Leben verändert. Alle sind froh, dass es nun wieder wärmer wird und man sich draußen treffen kann. Der Gottesdienst am Himmelfahrtstag wird vom Posaunenchor begleitet und findet traditionell im Pfarrgarten statt. Sofern die aktuelle Corona-Verordnung es gestattet, kann es ein Kirchen-Café unter freiem Himmel geben.   

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der liebevolle Blick, mit dem der Verfasser des Epheserbriefs seine Gemeinde betrachtet, bietet einen starken Kontrast zur Wahrnehmung der aktuellen Situation. Zum klagenden, trotzigen, fordernden Blick in den Himmel gehört daher unbedingt diese andere Perspek-tive: Die erleuchteten Augen des Herzens; das hoffende, starke Vertrauen auf den Vater im Himmel und auf den Sohn, der fern und gleichzeitig nah ist.  

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Erleuchtete Augen des Herzens zu haben bedeutet: Die vielen kleinen Zeichen zu er-kennen, in denen sich Christi Nähe, seine Kraft und Wirksamkeit zeigen. Die Füße des Auferstandenen, die noch aus den Wolken ragen, sind dafür ein schönes Symbol.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Aus der Fülle der Assoziationen die eine zu wählen, bei der ich verweilen kann, und die anderen „für die nächste Predigt aufsparen“ (so der Rat des Predigtcoachs) – das fällt mir nicht leicht. Umso schöner zu sehen, wie ein Gedanke an Kraft gewinnt, wenn er Platz hat zur freien Entfaltung.  

Perikope
13.05.2021
1,(15-20a)20b-23

Lichtsignal der Liebe - Predigt zu Epheser 5,1-2.8-9 von Markus Kreis

Lichtsignal der Liebe - Predigt zu Epheser 5,1-2.8-9 von Markus Kreis
5, 1-2, 8-9

Du musst dein Leben ändern! Das klingt vertraut. Vor Corona hat der Satz mal was Gutes bedeutet. Du musst dein Leben ändern – das hieß: Mach was aus Dir! Mach mehr aus Dir! Sei mehr als ein Herdentier, verbessere Dich!

Das war nicht nur mit Freude und Spaß verbunden, dies Gute. Das kostete auch Kraft und Zeit. War langweilig, oft das Gleiche. Stures Üben, bis alles richtig saß. Zumindest nach eigenem Ermessen. Nerventötend statt erfrischend. Nicht nur spannend, auch aufreibend. Teils von Erfolg gekrönt. Teils musste schon der Versuch als Erfolg herhalten. Du musst dein Leben ändern! Probieren war das mindeste. Aber das reichte meist, um das Ganze schließlich gut zu finden.

Mit Corona hat der Satz einen anderen Geschmack bekommen. Du musst dein Leben ändern! Ob du willst oder nicht. Das Muss ist jetzt ein echtes Muss. Und kein Darf oder Kann oder Könnte. Zwang ohne Wahl, das stand bis dahin nicht auf der Rechnung. Es hieß eher: Zwingen, das lass ich mich nur freiwillig. Letztendlich nur durch mich selbst. Und jetzt das!

Natürlich kann man so tun, als gäbe es einen Zwang von außen nicht. Es gibt sogar welche, die hingen am Gerät, die wurden schon beatmet. Und sie schaffen es trotzdem, diesen fremden Zwang aus ihrem Leben zu drängen. Was einer noch nicht erkrankten Person ja noch leichter fallen kann. Es gibt einige Leute, deren Leitsatz lautet: Du musst das Leben ändern - aber halt nicht Deines! Schlacken der Pubertät.

Und jetzt das! Corona hat das Leben verändert. Und es verändert weiter das Leben sehr vieler Menschen. Nähe und Distanz sind neu abzuwägen. Was ist das gute und richtige Maß? Mindestens zwei Meter Abstand? Immer mit Maske? Dabei nicht mehr als 15 Minuten zusammen sein? Ungelüftet schon gar nicht. Die Warn-App auf dem Smartphone? Wie kommen wir mit den neuen Zwängen gut zurecht?

1 So ahmt nun Gott nach als die geliebten Kinder 2 und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. 8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts. 9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

Wandle in Gottes Liebe als Kind des Lichts, sagt unser Predigttext. Dann kommst Du mit neuen Zwängen zurecht. Freien Willens. So in Licht und Liebe wandeln, was heißt das?

Schwarz und Gelb, Schwarz und Gelb! Borussia Dortmund ist nicht gemeint. Auch nicht die Biene Maja. Es geht um ein Warnsignal. Zu finden in Werkhallen, geklebt auf schlecht einsehbare Stufen. Um so etwas wie eine Lichtschranke, die an Stanzpressen montiert ist. So nach dem Motto: Der Gerät schläft nie und macht dich kaputt - pass also auf.

Schwarz und Gelb, Schwarz und Gelb! Gemeint sind Licht und Finsternis. Beide treten irgendwie immer zusammen auf. Was war zuerst da? Die Henne? Oder das Ei? Die Bibel sagt in Genesis 1,1: die Finsternis. Andererseits war vor all dem schon Gott da. Und der wiederum hängt ja mit dem Licht zusammen. Also was jetzt?

Gewiss ist eines: Lichtsignale machen nur Sinn, wenn sie unterbrochen werden. Stellen Sie sich vor: Sie befinden sich nachts auf einem Schiff nahe der Küste. Ein Orkan peitscht Wellen, Regen und Wolken auf. Es ist so gut wie nichts zu sehen. Kentern droht, oder Auflaufen und Leck. Halt, da war was. Ein Licht? War das jetzt der Mond? Ein Stern? Oder der Strahl eines Leuchtturms? Wenn das Licht regelmäßig von bestimmter Stelle leuchtet, dann hofft man: Ah, das Licht eines Leuchtturms. Orientierung in Sicht.

Ein Lichtsignal ergibt also nur Sinn, wenn es wechselt mit Phasen der Finsternis. Oder mit anderen Kontrasten. Es ist also egal, was zuerst da war, Licht oder Finsternis. Hauptsache, dies eine Licht ist da. Ok, es gibt auch Irrlichter. Aber Lichtsignale richten sich nach einem Code mit Regeln. Und so lassen sie sich letztlich von Irrlichtern unterscheiden.

Gottes Liebe wirkt wie so ein Lichtsignal. Zusammen mit Finsternis. Oder auch mit Irrlichtern. Aber darin als eigenes Signal erkennbar. Auch wenn es manchmal nicht erkannt wird. Und Menschen Irrlichtern folgen. Oder der Finsternis, weil sie meinen: Alles ist Finsternis, es gibt kein Lichtsignal, das orientiert. Das nach Regeln codiert ist.

Gottes Liebe wirkt wie so ein Lichtsignal im Zusammenspiel mit Finsternis. Gottes Liebe richtet aus, orientiert trotz, mit und in der Finsternis. Gottes Liebe ruft nämlich Gegenliebe hervor, besitzt Bindungsmacht. Auch in die Finsternis.

Diese Wirkung beruht auf Information. Jedes nach Regeln codierte Lichtsignal übermittelt eine Botschaft. Wie zum Beispiel dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. S-O-S. Save our souls.

Auch Gottes Lichtcode wirkt so. Er signalisiert eine Botschaft. Und die sagt: Vergiss Dein Leben in Finsternis oder Irrlicht. Ich halte an Dir fest. Auch wenn Du mich und meine Liebe ausgeschlagen hast. Ich lass in Dir Neues entstehen. Ich mache Dich zu einem anderen Menschen. Auf dass Du selbst Neues entstehen lässt. In Dir und für Dich. In Dir und für andere.

Woher stammt die Information, dass Gott in und aus Liebe verändert? Laut Epheserbrief hängt das mit Christi Opfer zusammen. Genauer gesagt: Mit der Menschen Urteil über den Tod Jesu Christi. Viele sagten damals einerseits: Jesus, das ist eigentlich nur einer von vielen namenlosen Toten. Forget about it. Andere sagten: Jesus Christus, das ist der eine, der als Gekreuzigter bis heute lebendig Gottes schöpferische Liebe zeigt.

Und es gab die, die vom einen zum anderen Lager wechseln. Mal wie bei Saulus Paulus mehr Knall auf Fall. Oder mal langsam und widerständig, fast unmerklich wie bei Petrus – deshalb auch Fels genannt. Bei beiden gilt: ihr neues Urteil über Jesus, das bewog sie zu einer neuen Sicht auf ihr Leben. Und dazu, ihr Leben zu ändern. Solche Leute gibt seit über 2000 Jahren. Sie haben Information und Leben verkettet. Bis heute. Geheimnis des Glaubens.

Vorhin wurde gesagt: In der Pandemie sind Nähe und Distanz unabwägbar geworden. Und doch immer wieder neu abzuwägen. Die zwei Meter Abstand, die einzuhalten sind, die helfen nur begrenzt. Und auch das Wissen um die Kontaktzeit, die eingehalten werden sollte. Ebenso die Corona App.

So stellen sich weiter Fragen. Wie komme ich da zurecht? War ich zu übergriffig? In meinem Bedürfnis nach Nähe. War ich zu abweisend? In meinem Wunsch nach Distanz. Und oft ist man nicht nur auf eines der beiden abonniert. Einmal will man mehr Nähe, ein anderes Mal mehr Distanz.

Dabei wird nicht nur die eigene Initiative fraglich. Auch das, was mir geschieht, was Mitmenschen tun. Habe ich die mir gezeigte Abweisung zu Recht verdient? Oder verstehe ich es zu Recht als böse, von vorne herein so abgewiesen worden zu sein? Habe ich den mir angetanen Übergriff zu Recht verdient? Oder verstehe ich es zu Recht als böse, so angegangen worden zu sein?

Solche Fragen stellen sich weiter. Und auf sie stellen sich nicht unbedingt gleich stimmige Antworten ein. Neues braucht seine Zeit. Auch ein anderes Ich. Lichtsignale der Liebe hin oder her. Licht kennt schließlich auch eine Reisezeit.

Am Ende leuchtet es zu Güte und Gerechtigkeit. Was das neue Ich dabei so alles antworten kann. Den eigenen Wunsch nach Nähe sagen und dabeibleiben, auch wenn der andere widerstrebt. Den eigenen Wunsch nach Abstand zeigen, und im Lot bleiben, wenn der andere sich trotzdem nähert. Oder trotz der eigenen Wünsche dem Bedürfnis anderer Folge leisten.

Mit gutem Gewissen den Wunsch anderer nach Nähe abweisen. Oder es bereuen, wenn ich mich einem Nähewunsch anderer widersetzt habe. Mit gutem Gewissen den Wunsch anderer nach Distanz abweisen. Oder es bereuen, wenn ich mich trotz eines Abstandswunsches genähert habe. Oder dem eigenen Bedürfnis folgen, im Widerspruch zu den Wünschen anderer.

Manche Antwort wird sich als falsch darstellen. Viele Antworten als passend. Manche stumm gebliebene Antwort als richtig. Und bei einigen wird es gut und recht sein, dass sie nicht geäußert worden sind. Dank Gottes Liebe ist mit dem Unwägbaren gut zurechtzukommen.     

Du musst dein Leben ändern. Dank Gott hat der Satz einen anderen Geschmack bekommen. Alles bekommt seine Zeit. Durch Gottes Liebe ein anderer Mensch geworden, lautet das dann in einem: Dein Wille geschehe. Danach richte ich mich aus: Gottes Lichtsignal im Schwarz und Gelb.  

Mein neues Muss ist dann ein echtes Muss. Aus freiem Willen. Und kein Darf oder Kann oder Könnte. Ein Zwang ohne Zwang. Eine Wahl, die nur das eine will und sieht: Schwarz und Gelb. Schwarz und Gelb. Ist zu Gottes Lichtsignal der Liebe geworden. Das Entstehen von Neuem. In mir. Auch gegen mein Widerstreben. Mit der Zeit. Das steht in der Rechnung, die alleine zählt. Auf den Nacken von Gottes Liebe geschrieben. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an OStR Markus Kreis

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Im Zuge der neuen Verhaltensregeln zwecks Eindämmung des Coronavirus kam es in meiner privaten und beruflichen Erfahrung zu oft nur schwelenden Konflikten im Leben, wenn Leute ihre Erwartungen an Distanz oder Nähe im Tun ihrer Mitmenschen nicht erfüllt sahen. Eines der Anzeichen der Wirkung des pandemiebedingten Veränderungsdrucks. Wobei dem sozial nicht unbekannten Druck neuerdings eine klare subjektiven oder objektive Prozess- und Zielvorstellung fehlt. Sozusagen blind vertraut werden muss, was vielen schwer fällt.    

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
(Gottes) Liebe in der Predigt zu paränetisieren statt sie zu moralisieren.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Bedeutung des Bilds vom Signalfeuer eines Leuchtturms für eine Schiffsbesatzung (Jonas?), die nachts in schwerer Sturmsee vor der Küste um gelingende Fahrt bzw. gegen das Scheitern kämpft. Darin eingeschlossen das Verständnis biblischer Texte und ihrer Kommunikation als codiertes Lichtsignal, also die physikalisch, technologische Metapher.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mit der Website Blablameter lasse ich meine Schreibarbeit auf Verständlichkeit überprüfen. Im Erstentwurf erzielte ich sehr gute Werte. Das Coaching zeigte mir, dass mein Text trotzdem zu sehr in abstrakt reflektierender Sprache verfasst ist und schlug vor, nach Leitmetaphern zu suchen. Dem bin ich nach gegangen. Ebenso den Empfehlungen zur Streichung von Doppelungen etc.pp. Herzlichen Dank.

 

Perikope
07.03.2021
5, 1-2, 8-9

Das neue Leben - Predigt zu Epheser 4,22-32 von Stephanie Höhner

Das neue Leben - Predigt zu Epheser 4,22-32 von Stephanie Höhner
4,22-32

Es regnet, als er aus der Haustür tritt und zum Fahrrad geht. Aber um jetzt noch die Regenhose von oben zu holen, bleibt keine Zeit mehr. Er ist eh schon spät dran. Also radelt er durch den Regen. Die Nässe zieht seine Beine hoch und der Regen tropft vom Helm in sein Gesicht. Hoffentlich habe ich noch eine Hose zum Wechseln im Büro, denkt er, als er durch eine Pfütze fährt und das Wasser an seinen Hosenbeinen hochspritzt.

Deshalb sollt ihr den alten Menschen ablegen, denn er entspricht der früheren Lebensweise.
Er wird zugrunde gehen aufgrund seiner trügerischen Lust.

Aber die alte Lebensweise abzulegen ist so viel leichter gesagt als getan. Jeden Tag kämpfe ich gegen die trügerische Lust der Bequemlichkeit, weil es einfacher ist, bei den großen Ketten einzukaufen als mühsam Internetseiten mit fair gehandelter Kleidung zu suchen und dann noch etwas zu finden, dass nicht dem Klischee von Ökomode entspricht.

Jeden Tag kämpfe ich gegen die trügerische Lust des Schönredens, dass diese eine kurze Autofahrt das Weltklima auch nicht retten wird und der schnelle Einkauf im Supermarkt keinen Bauern die Existenz kostet.

Jeden Tag kämpfe ich gegen die trügerische Lust der Verdrängung an, weil ich ja längst weiß, dass es aber so ist, weil eben jeder so denkt. Deswegen verdienen Näherinnen in Bangladesch (und Äthiopien) ein paar Cent für 12 Stunden Arbeit am Tag, werden Flüsse zu braunstinkenden Kloaken und überdüngen Landwirte ihre Felder, damit sie am Ende des Monats auch noch Geld zum Leben haben.

So gerne möchte ich das Alte ablegen und hoffen, dass es wahr wird:

Lasst euch stattdessen dadurch erneuern, dass der Heilige Geist in eurem Verstand wirkt.
Und zieht den neuen Menschen an wie ein neues Kleid.

Wie ein neues Kleid, für das die Näherin einen fairen Lohn bekommt und das mich mit Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit kleidet. Dann werde ich ein neuer Mensch sein.

Denn er ist nach Gottes Bild geschaffen und dadurch fähig zu wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Deshalb sollt ihr die Lüge ablegen und »jeder soll seinem Nächsten die Wahrheit sagen«.

Deshalb will ich die Lügen vor mir selbst ablegen, die mir einreden, dass ich noch mehr brauche, dass ich noch mehr machen kann, damit ich dem Trugbild meiner Selbst näher komme. Ich will die Lüge in mir ablegen, doch keine Lügnerin zu sein, weder mir selbst gegenüber noch Gott. Ich denke doch alles gerade heraus. Die Lügner, das sind die anderen. Und damit sitze ich meiner eigenen Lüge auf.
Deshalb will ich sie ablegen, die Lüge.

Denn wir alle sind Glieder am Leib von Christus.
»Euer Zorn soll nicht dazu führen, dass ihr Schuld auf euch ladet!«
Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.
Gebt dem Teufel keinen Raum zum Wirken!

Aber der Zorn überfällt mich hinterrücks, weil es so viel gibt, das mich zornig macht. Die Europäische Union, die tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt. Der brasilianische Präsident, der Hektar um Hektar Regenwald roden lässt. Die S-Bahn, die sich verspätet. Die blöde Bemerkung eines Kollegen. Meine Hilflosigkeit, dass in dieser Welt so viel schief läuft. Der Zorn besorgter Menschen, die sich nicht gesehen fühlen, sich aber lauthals Gehör verschaffen. Mein Zorn, der ins Leere läuft.

Ich sehe die Sonne über meiner Hilflosigkeit untergehen, über mein Schweigen in dieser Welt. Ist es da besser, wenn ich mich daran halte:

Kein böses Wort soll über eure Lippen kommen. Vielmehr sollt ihr stets ein gutes Wort haben, um jemanden aufzubauen, wenn es nötig ist.

Ein freundliches Lächeln für die drängelnde Frau in der Kassenschlange.
Ein Taschentuch für den Freund mit Liebeskummer.
Eine zupackende Hand für die Freundin, die ihre Stelle verloren hat.
Eine offene Kirche mit Kerzen.
Ein offenes Ohr für die alternde Mutter, die sich am Telefon beschwert.
Eine extra Portion Zeit für die Schüler, die ihren Kummer rauslassen wollen.
Eine Münze für den Pappbecher, der vor dem Mann neben Edeka steht.
Ein Abend mit Film und „über-alte-Zeiten-Reden“ für den Freund, den man viel zu selten sieht.
Eine offene Kirche mit Kerzen.
Ein „Wir schaffen das“ für die Menschen, die auf der Suche nach einem neuen Leben sind.

Dann bringt dieses Wort denen Gnade, die es hören.
Kränkt nicht Gottes Heiligen Geist, der euch als Siegel aufgedrückt wurde. So kennzeichnet uns Gott für den Tag der endgültigen Erlösung.
Alle Erbitterung, Wut, Zorn, lautstarke Auseinandersetzungen und Verleumdungen sollen euch fernliegen – und damit auch alle Bosheit.

Ich höre die alten Worte, sie treffen mich heute ins Herz. Sie sind richtig, viel zu richtig, und darum so schwer. Ich habe Angst, zu scheitern. Ich habe Angst, dem Anspruch nicht gerecht zu werden und nackt da zu stehen am Tag der endgültigen Erlösung. Vielleicht habe ich mich stets bemüht, aber ob das reicht, weiß ich nicht.  Ich weiß nicht, was überhaupt reicht für den Tag der endgültigen Erlösung.
Das bleibt ein Rätsel mein Leben lang.
Auch wenn es viel ist, zu viel für mich und mein kleines Herz, in das ich so will packen will, aber das nicht alles aushält, was ich ihm auflade – auch wenn es zu viel ist, diese alten Worte, die mich heute treffen, ist da etwas, das mich antreibt, es zu versuchen. Es ist die Sehnsucht, dass wir alle es versuchen und vielleicht wird es dann einmal ganz leicht sein und es wird sich erfüllen:

Seid vielmehr gütig und barmherzig zueinander. Vergebt einander,wie Gott euch durch Christus vergeben hat.

Amen.

Perikope
18.10.2020
4,22-32

Im Glauben eingewurzelt – Predigt zu Epheser 3,14-21 von Markus Nietzke

Im Glauben eingewurzelt – Predigt zu Epheser 3,14-21 von Markus Nietzke
3,14-21

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

I.

Ganz behutsam geht der Gärtner vor. Erst werden die Wurzelballen der jungen Tomatenpflanzen mit ein wenig Wasser berieselt, sonst werden die Blätter nass – und das schadet, wie jedermann weiß, Tomatenpflanzen sehr. Sie sind handverlesen, jede einzelne Pflanze. Er schaut sie noch einmal prüfend an. Es gefällt ihm, was er sieht. Sie sind gut angewachsen. Dann stellt er sie vorsichtig neben die Pflanzenlöcher. Gut 30 cm sind sie tief, 60 cm breit auseinander platziert, längs etwa 1 m auseinander, damit die Pflanzen gut der Sonne entgegen in die Höhe wachsen können. Die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe sind aufeinander abgestimmt. Ein bisschen gehackte Brennnesseln und Komposterde wird um die Pflanze gelegt. Mit den Händen formt der Gärtner ein kleines Becken, damit das Gießwasser und Regenwasser direkt zum Stiel geleitet werden können. Dann wird die Pflanze ein wenig angedrückt.

II.

Eingewurzelt werden, damit sich eine Pflanze gut entwickeln kann, mit diesem Bild haben wir einen Schlüssel zum Verstehen des Wortes aus der Heiligen Schrift als Predigttext für diesen Tag. Im Glauben und in der Liebe von Jesus Christus zu uns Menschen eingewurzelt werden – wer möchte da nicht zustimmen und sich durch Gott reichlich beschenken lassen? Hört, was Gottes Wort dazu sagt: „17…ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, 18 damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, 19 auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft…“ heißt es im Brief an die Christen in Ephesus. Ephesus, die große, berühmte Stadt am Meer mit 200 000 Einwohnern zur Zeit des Apostels Paulus. Gegründet hatte die Gemeinde ein Missionar mit Namen Apollos. In Ephesus befand sich zu der Zeit eines der damaligen sieben Sehenswürdigkeiten oder Weltwunder für römische Touristen, der Tempel der Artemis. Um den Kult an diesem Tempel hatte es bereits Konflikte und Spannungen zwischen Juden, Christen und Verehrer der Diana der Epheser gegeben – diese spielen aber in diesem Brief keine ausschlaggebende Rolle. Lange und mehrfach hat der Apostel Paulus in Ephesus als Missionar gewirkt; einige Briefe von dort aus an die Christen in Kleinasien, an die Galater, Philipper, Korinther und Römer geschrieben, an Mitarbeiter wie Philemon – immer darauf bedacht, Gottes rechtfertigendes Handeln durch Jesus Christus an den Menschen deutlich zu machen. Seine klare Vorstellung davon, dass 17…Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne“ betont er in allen seinen Briefen ein ums andere Mal. Auch in diesem Brief. Nun wird dieses Thema entfaltet. Damit der Glaube in den Herzen der Gläubigen wohnen kann, muss er fest eingewurzelt werden. Dazu braucht es aber Gottes Kraft, Gottes Wirken und Gottes Gaben. Geistliche Gaben, die von Gott erbeten und geschenkt werden. Der Apostel betet für die Christen in Ephesus. 14 Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater…, 16 dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen“.

Eingewurzelt sein, das bringt jeder Pflanze Stabilität und Halt. Bei Tomatenpflanzen setzt ein Gärtner gerne Pflanzstäbe dazu. Durch die Wurzeln fließt und strömt der Pflanze zu, was sie zum Leben und Frucht bringen braucht. Am Stab gehalten entwickeln sie sich und bringen viel Frucht. Ganz ähnlich sind Du und ich eingewurzelt in der Liebe, die uns Gott durch Jesus Christus schenkt. Durch das Wasser der Taufe werden unsere Glaubenswurzel getränkt. Gottes Liebe – verglichen mit der Sonne – wärmt uns und lässt uns aufwachsen, gedeihen und Frucht bringen. Am Kreuz orientieren wir uns, wie an einem Pflanzstab. Gott ist uns zugetan, wendet uns sein Herz zu, macht sich stark für uns, setzt vieles, sogar alles für uns ein. Darin hast Du halt. Davon kannst Du ein Leben lang zehren. Fest im Glauben eingewurzelt.

III.

Der Apostel betet für die Christen in Ephesus. Sagt er, schreibt er. Gewiss wird er es nicht nur gesagt und geschrieben haben. Sein Gebet für die Christen ist reine Fürbitte. Es gehört für ihn selbstverständlich dazu – wie es heute auch eine Aufgabe oder Pflicht für Pastorinnen und Pastoren sein kann, täglich oder immer wieder aufs Neue für ihre Gemeinden, Pfarrbezirke und ihre Kirche zu beten. Ganz in diesem Sinne, wie es Albert Schweitzer formulierte: „Gebete ändern nicht die Welt. Aber die Gebete ändern Menschen und Menschen ändern die Welt.“ Nicht, dass die Christen damals oder du und ich heute Nachhilfe in Sachen Glauben brauchen. Es gilt immer und immer wieder neu. Gottes geistgewirkte Gaben werden von ihm erbeten.

IV.

Der Apostel betet für die Christen in Ephesus. Für erwachsene Menschen, die sich des Ernstes der Lage durchaus bewusst sind: Ihr christlicher Glaube war gefährdet. Man sagt, es gab neue Lehren, neue Ansichten, was den Glauben anginge. Göttliche Geheimnisse, die nun nur noch einer Elite vorbehalten wären; Erlösung nur noch durch gewisse, meist philosophische oder spekulative Erkenntnisse – nichts also für jedermann! Die akute Sorge ist, dass die Christen dadurch in ihrem Glauben irre gemacht werden. Diese Sorge kann aber nicht durch ein gutes Referat oder mit schlagfertigen Argumenten beigekommen werden, sondern allein dadurch, dass Gott etwas Neues gibt: 16 Kraft… nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, 17 dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.“

V.

Damals bedurfte es offenbar einer Vergewisserung, einer Ermutigung, sozusagen eines ‚Empowerment-Programms‘. Begründet wird alles, worum es in diesem Brief an die Christen in Ephesus geht, mit dieser Aussage:  4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –;8  Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

VI.

Der Inhalt der Fürbitte beruht auf einer Besonderheit: Die einigende Mitte war das Evangelium von Jesus Christus, bei allen kulturellen und ehemals religiösen Unterschieden in der christlichen Gemeinde. Das dieses gelingt, dass Menschen unterschiedlicher Prägung und Herkunft eine Gemeinde bilden können, ist erstaunlich. Eine Besonderheit. Eine Gabe. Gottes Gabe ist es, genaugenommen. Gebetet wird um die Gabe der Kraft, im Heiligen Geist stark zu sein. Gebetet wird um die Gabe des Glaubens. Gebetet wird um die Gabe der Liebe. Gebetet wird um die Gabe der Erkenntnis und des Begreifens. Das sind Gaben, die jede Christin und jeder Christ gut gebrauchen können.

VII.

Die Liebe Gottes ist nämlich nicht nur einer gewissen Elite vorbehalten. Die Liebe Gottes lässt sich nicht spekulativ erschließen. Nein. Die Liebe Gottes wendet sich allen Menschen zu. Im kleinen, überschaubaren Raum des persönlichen Lebens. In einer christlichen Gemeinde. Und dies, obwohl vieles in der Welt ganz und gar nicht nach solcher Liebe aussieht. Das Kreuz und der Tod Jesu zeigen überdeutlich, dass es mit der Liebe auf der Welt nicht weit her ist. Aber das, was am Kreuz geschieht, macht es umso deutlicher, was die Liebe Gottes alles vermag. Jesus kommt in die Wirklichkeit unseres Lebens und nimmt uns mit in seine Wirklichkeit. Ein plausibler Grund für die Himmelfahrt Christi: Er geht schon dorthin, wohin wir noch kommen werden. Der Apostel betet, „18 damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, 19 auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt.“

Dies erkennen, oder besser gesagt, dieses zu begreifen, wäre eine Gabe Gottes, des Heiligen Geistes, die wir bis heute ebenfalls erbitten können. Als Pastorinnen und Pastoren für die uns anvertrauten Menschen, als Gemeindeglieder für unsere Mitchristen und last but not least gemeinsam auch für die Menschen, die bisher nicht in das Lob Gottes einstimmen mögen, nicht mehr können oder wollen oder meinen, es nicht zu brauchen.

VIII.

Weil er um die Nöte der Christen weiß, schreibt der Apostel den Ephesern. Aber nicht nur das. Er betet auch für sie. Für den Apostel ergibt das einen Sinn: „14 Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, 15 von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat“.

IX.

Wir können das auch tun. Zu Gott kommen und beten. Für uns und für andere Menschen, dass sie in der Liebe Jesu und im Glauben eingewurzelt werden.

X.

Eingewurzelt werden bedarf eine gewissen Sorgfalt und der Fürsorge. Im Glauben, wie im echten Leben. Das sorgfältige einpflanzen von Tomatenpflanzen, so tief wie möglich, dient dazu, damit sogar die kleinen, weißen Härchen am Stiel noch kleine Wurzeln bilden können. Es trägt dazu bei, dass die Pflanzen sich gut einwurzeln können. Deswegen gibt sich der Gärtner große Mühe damit. Er spürt die Wärme der Nachmittagssonne auf seiner Haut. Die jungen Tomatenpflanzen haben schon einen leichten Duft, den er genießerisch einatmet. „Ja, so kann es was werden“ denkt er, „ich will es jedenfalls hoffen.“

Benutzte Literatur:

Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe I. Plus. Jüdische Theologinnen und Theologen legen die Bibel aus: die neuen alttestamentlichen Texte der Reihe 1. Herausgegeben von Studium in Israel e.V., Berlin, 2018.

BERGER, Klaus: Kommentar zum Neuen Testaments. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2011

HOULDEN, J.H.: Paul`s Letters from Prison. Philippians, Colossians, Philemon and Ephesians. PNTC. Harmonsworth, Penguin Books, 1970.

VOIGT, Gottfried: Das heilige Volk. Homiletische Auslegung der Predigttexte der Reihe II. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1979.

Perikope
02.06.2019
3,14-21