Trost und Feindschaft – wie geht das zusammen? - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Christoph Schweizer
Trost und Feindschaft – wie geht das zusammen?
Ein Foto. Darauf ist eine Dose zu sehen mit einem Kreuz drauf.
Eine katholische Bekannte hat das Foto gemacht und im Internet veröffentlicht, auf Facebook.
Dazu schrieb sie: „Es ist schön, dem Muttertag mit diesem ‚Geschenk‘ Ausdruck zu geben.“
Dann hat jemand nachgefragt, was das für eine Dose ist.
Und sie erklärt: „Meinen Eltern geht es beiden nicht so gut und ich habe ihnen die Kommunion nach Hause gebracht, in einem Minigottesdienst mit ihnen. Ist sehr berührend.“
Das fand ich dann auch berührend.
Die Tochter, die ihren kranken Eltern den Gottesdienst nach Hause bringt, mit den Oblaten von der Kommunion.
Was für eine schöne Geste. Liebe. Trost. Geist.
Ich werde später auf diese kleine Geschichte zurückkommen.
Doch nun lassen Sie uns zuerst den Predigttext hören.
Er steht im Johannesevangelium Kap 15,26 bis 16,4.
Dort sagt Jesus:
26 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht – der wird Zeugnis geben von mir.
27 Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
16,1 Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt.
2 Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. 3 Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen.
4 Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.
Zwei Tonlagen in einem Text.
Der Abschnitt beginnt mit ganz positiven Formulierungen und Wörtern, die schmeicheln oder auch unsere Neugier wecken:
Wenn „der Tröster kommen wird“ – ja, Trost ist gut.
Bei Trost sein.
Getröstet – nicht vertröstet.
Wahrheit, Geist. „Geist der Wahrheit.“
Ich und der Vater – und ihr. Wir gehören zusammen.
Wir reden, einer im Namen des andern. Denn wir gehören zusammen, wir tragen Gottes Botschaft in die Welt.
Der Geist redet von mir – „gibt Zeugnis von mir“.
Und auch ihr seid meine Zeugen.
Wenn ihr da seid, ist etwas von mir da. Und von dem Vater. Und von dem Geist.
Es geht um Beziehung.
Jesus, und Gott – und wir. Wir haben es miteinander zu tun.
Schön!
Aber der Text hat zwei Seiten.
Beziehung ist die eine. Abgrenzung die andere.
Denn da sind andere. Feinde. Die wollen uns an den Kragen.
Jesus macht die Jünger mit dem, was er da sagt, zu Mitstreitern in einem Kampf.
„Wir müssen zusammenhalten. Ihr dürft nicht abfallen. Sie wollen euch töten.“
Von was für einem Kampf redet er?
Na, zum einen macht der Zusammenhang deutlich:
Unser heutiger Abschnitt gehört zu den Abschiedsreden Jesu.
Kurz darauf wird Jesus tatsächlich verraten und hingerichtet.
Und wir, die wir das lesen, wir, die wir ihm nachfolgen…
uns bereitet er darauf vor, dass es uns nicht besser geht.
Dass wir in einer feindlichen Welt leben. Dass man uns an den Kragen will.
Aber was sind das für Feinde?
In der Dramaturgie des Johannesevangeliums sind es zunächst die Juden. Das ist kein Zufall. Es hat historische Gründe.
Die Erinnerung an die Rivalität und Feindschaft zwischen Juden und Christen ist noch frisch.
Beide rangen miteinander um das richtige Verständnis der Schrift.
Juden werfen Christen vor, dass Jesus mit seinem Anspruch, Gottes Sohn zu sein, Gott gelästert hat.
Christen werfen Juden vor, es nicht begreifen zu wollen, dass Jesus der lang ersehnte Messias ist.
Ein tiefes Unverständnis, Rivalität, Feindschaft. Feindschaft – unter Verwandten. Das ist ja oft die bitterste Feindschaft.
Nämlich die unter Leuten, die sich eigentlich nahe sind, und die gerade deshalb besonders bitter voneinander enttäuscht sind.
Durchs ganze Johannesevangelium zieht sich dieses Motiv:
Hier sind wir, auf der einen Seite, in einem engen und immer enger und vertrauter werdenden Vertrauensverhältnis: Jesus, der Vater, der Tröster-Geist – und die Gemeinde, die Menschen, die zu Jesus, zu dieser guten, innigen Beziehung halten.
Und dort: Die andern. Die feindliche Welt. Die ihn nicht aufnimmt. Die ihn ausstößt. Angreift. Tötet.
Die Juden zuerst. Aber eigentlich stehen sie im Johannesevangelium ganz allgemein für die feindliche Welt.
Und was ich mich dabei die ganze Zeit frage, ist dies:
Hat der Text – hat Jesus, oder genauer: hat der Jesus des Johannesevangeliums eigentlich recht mit dieser harschen Gegenüberstellung?
Hier wir, die Gemeinde, und Jesus und Gott und der Geist, die wir uns liebevoll zugetan sind –
und dort die Feinde, die Welt, die, die falsch glauben und uns ans Leben wollen?
Das ist die Frage, an der ich herumkaue, so lange ich mich mit diesem Text beschäftige. Ich kämpfe dabei mit zwei ganz widersprüchlichen Impulsen:
Der eine Impuls: Der Predigttext hat nicht recht. Das geht doch nicht so! Das ist doch Fundamentalismus oder Sekte pur, wenn ich dauernd durch die Welt laufe mit dem Gefühl: Das sind alles meine Feinde. Nur wir in der Gemeinde sind die Guten.
Und der andere Impuls:
Ich kann doch Jesus nicht so harsch widersprechen.
Wer bin ich denn?
Und Fakt ist doch: Er wird tatsächlich hingerichtet, auf übelste Weise. Sein Weg der Liebe führte ihn tatsächlich bis in den Tod – den Tod für uns.
Es gab Feinde. Und vielerorts gibt es sie noch – gibt es die Situation, dass Menschen sich wegen ihrer Religion umbringen.
Es gibt die Gräuel des IS – gegen alle andersgläubigen, seien es Muslime oder Leute mit anderer Religion.
Es gab und gibt auch Gräuel im Namen des Christentums, leider.
In Nordirland und anderswo gingen Christen im Namen ihrer Konfession aufeinander los.
Auch die Konflikte im untergehenden Ex-Jugoslawien waren oft religiös und konfessionell geprägt.
Und Gewalt im Namen der Religion ist universell.
Wir lesen in der Zeitung von Anschlägen radikaler Hindus, von fanatischen ultraorthodoxen Siedlern in Israel. Die Liste der religiös motivierten oder zumindest religiös gefärbten Gewalt ist lang.
Es scheint also Fakt zu sein: Religion redet von Verständnis, und Liebe, Solidarität und Gemeinschaft. Religion hat es aber ganz oft mit Konflikt, Auseinandersetzung und Feindschaft zu tun.
Entweder, weil Religion missbraucht wird, um Konflikte zu legitimieren. Oder aber, weil es wirklich um Religion geht, um das intensive Ringen darum, wer nun wirklich recht hat.
Jesus bereitet die seinen darauf vor, dass dieses Ringen durchaus gewaltsam und leidvoll sein kann.
Er schwört sie darauf ein, bloß nicht abzufallen.
Bei ihm zu bleiben. In Beziehung. Mit ihm, dem Vater, dem Geist.
Was für zwei unterschiedliche Welten sich öffnen in den beiden Teilen! Bei den einen Worten gehen das Herz und der Himmel auf.
Bei den anderen schnürt sich alles zu, wird es angstvoll und eng. Da klingt es nach Durchhalteparolen.
Gehört beides zusammen? Ist das zwingend so?
Oder kann es sein, dass beides richtig ist?
Liebe, Verständnis, Gemeinschaft, Trost – diesen Zusammenhalt gibt es nur, wenn wir gleichzeitig auch die andere Seite sehen: Die feindliche Welt, die genau diese Liebe, dieses Verständnis, die Gemeinschaft und den Trost rauben will und gegen die wir bestehen müssen.
Und gleichzeitig: Liebe, wahre Liebe und damit auch echten Glauben gibt es nur da, wo wir die Rüstungen ablegen. Wo wir uns ins Auge schauen, uns nicht mehr misstrauen.
Wahre Liebe und wahren Glauben kann es gerade nicht um den Preis geben, dass wir uns abschotten und irgendwelchen möglichen Feinden misstrauen.
Für das Johannesevangelium lag ja die Abgrenzung, das Rechnen mit Anfeindungen von denen da draußen nahe. Da ist ja nicht nur die Erinnerung an die alte Familienfeindschaft zwischen Christen und Juden. Sondern da ist auch die tägliche Erfahrung, dass die noch kleine Gruppe der Christen im römischen Reich in einem Umfeld sich behaupten muss, in dem religiös zwar ganz vieles möglich ist. Es gibt viele verschiedene Kulte im römischen Reich, in den verschiedenen Regionen.
Aber eines müssen alle: Den Kaiser wie einen Gott verehren.
Da machen die Christen nicht mit (die Juden übrigens auch nicht).
Und darum sind sie Außenseiter in der römischen Gesellschaft.
Die Welt ist tatsächlich feindlich ihnen gegenüber, auf vielerlei Weise.
Von vielen kleinen alltäglichen Benachteiligungen und Ausgrenzungen bis hin zu offener Feindschaft, vieles war möglich. Feindseligkeit ist ja äußerst erfinderisch und nimmt viele Formen an.
Und hier kommt der Knackpunkt:
Die Situation der ersten Christengemeinden ist nämlich mit unserer Situation überhaupt nicht zu vergleichen. Und darum können wir Texte wie den Predigttext nicht eins zu eins auf uns übertragen!
Dass die Welt gegenüber Gott und der Gemeinde feindselig eingestellt ist – vielleicht ist was dran, das müssen wir uns noch genauer anschauen.
Aber sicher ist diese Feindseligkeit nicht vergleichbar mit der Situation vor 2.000 Jahren.
Seit 1.700 Jahren hat die Kirche großen Anteil am öffentlichen Leben.
Und darum kann bei uns keiner mehr so tun, als könne man sich zurückziehen in eine weltfreie Kirche.
Die gibt es nicht. Kirche und Welt sind bei uns eng aufeinander bezogen, miteinander verschränkt.
Das Christentum hat unsere westliche Welt entscheidend mitgeprägt.
Sie auseinanderzuhalten ist vielleicht unmöglich, auf alle Fälle aber sehr kompliziert.
Uff, das war schwere Kost bisher.
Der Versuch, argumentativ mit dem Text klarzukommen.
Mit der Gegenüberstellung von Liebe und Gemeinschaft und Verständnis auf der einen Seite, in der Gemeinde, und dem Thema Feindschaft und Ablehnung auf der anderen Seite, die wir wahrnehmen und beim Namen nennen und mit denen wir rechnen müssen.
Mit beidem zu rechnen, ist richtig. Einerseits.
Es nicht zu tun, wäre eine anbiedernde Kuscheltheologie, über die viele lästern, oft zu Recht.
Es wäre eine Theologie, die so tut, als wäre alles gut und alles irgendwie eins und alles voller Verständnis und klar.
Nein, ist es nicht!
Unser Leben ist nicht gut und eins und klar, und unser Glaube und unsere Kirche sind es auch nicht.
Mit beidem zu rechnen, mit Liebe und Verständnis und mit Feindschaft, ist also wichtig.
Es kann aber auch sehr falsch sein.
Wenn es nämlich dazu führt, dass wir Rüstungen anziehen, Mauern hochziehen, vor lauter uns-einstellen-auf Feindschaft selber feindselig werden.
Und so tun, als wäre unsere Situation so ähnlich wie die in der frühen Christenheit, als Kirche und Welt sich tatsächlich fremd und feindlich gegenüberstanden.
Es ist ja viel vertrackter.
Wir sind nämlich zugleich Kirche – und Teil der Welt. Jede und jeder von uns.
Wir nehmen Teil in der Sphäre von Liebe und Verständnis, wir erleben tiefe Gemeinschaft und Sinn.
Und zugleich sind wir selbst, jede und jeder von uns, Teil der feindlichen, der feindseligen Welt.
Die Spaltung geht doch mitten durch uns durch.
Manchmal sehen wir sie.
Manchmal leiden wir darunter, dass wir das Böse wahrnehmen – und doch selbst auch Dinge tun, von denen wir wissen oder ahnen, dass sie nicht gut sind.
Manchmal leiden wir darunter, dass wir es einfach nicht besser hinkriegen.
Und manchmal freuen wir uns, weil dann doch, inmitten der oft undurchsichtigen Welt, unserer Welt, etwas aufblitzt von Gottes Welt.
Sie erinnern sich an die Szene vom Anfang.
An dieses besondere Muttertagsgeschenk:
An die Bekannte, die ihren kranken Eltern die Kommunion nach Hause gebracht hat.
Was für eine schöne Geste. Liebe. Trost. Geist.
So kann sie aussehen, die Gemeinschaft, von der unser Predigttext spricht. In der Vater und Sohn und Geist und wir alle zusammengehören, alle Familie sind, einander trösten und beistehen und Freude und Hoffnung machen.
Doch der Riss von Gottes Heil und feindseliger Welt geht mitten durch unser Leben hindurch. Da gibt es diese Szene von der Tochter, die sich um ihre alten Eltern sorgt.
Aber wir erfahren nichts darüber, was zwischen Tochter und Eltern an den anderen Tagen passiert.
Ich weiß nur: die Tochter hat einen verantwortungsvollen Job.
Gut denkbar, dass sie das Gefühl hat, viel zu selten zu ihren Eltern zu kommen. Gut möglich, dass sie oft ein schlechtes Gewissen hat.
Und dass die Dankbarkeit der Eltern, wenn sie sich mal sehen lässt, ihr schlechtes Gewissen noch vergrößert.
Und wie sieht die Geschichte aus der Perspektive der Eltern aus?
Die sich heute freuen über die rührende Geste der Tochter und den Hausgottesdienst – und denen es morgen wieder nicht so gut geht?
Die Schmerzen haben und Angst?
Es geht ein Riss durch unsere Welt.
Und wir können nicht so tun, als würden wir nur auf der einen, auf der heilen, göttlichen Seite existieren.
Aber wir können uns Geschichten der Hoffnung erzählen und Bilder des Trostes zeigen.
Bilder und Geschichten, die aufblitzen lassen, wie Gott es meint mit uns. Und das inmitten unseres oft heillosen Durcheinanders.
Diese Geschichten sind manchmal ganz unspektakulär.
Eine kleine Dose mit einem Kreuz darauf.
So geht Kirche. So geht Glaube. So geht Trost.
Und dann aber auch: Hinschauen, wo das Leben nicht gut ist, wo wir ratlos sind, wo wir widersprechen sollen. Beides gehört zusammen.
Amen.
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Mut zum Sein! - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Klaus Pantle
Mut zum Sein!
Jesus spricht: Wenn aber der Beistand kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird über mich Zeugnis ablegen.
Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht strauchelt.
Man wird euch aus der Synagoge ausstoßen.
Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, Gott damit einen Dienst zu leisten. Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen.
Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr euch daran erinnert, dass ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.
1
„Wir wissen, dass jeder von uns für sich krepiert, und wir gehen davon aus, dass die Welt sich auch ohne uns dreht. Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Wenn jemand stirbt … vielleicht stirbt ja dann alles, jeder und alles und nur ein Nichts bleibt übrig, ein Hohlraum. (Oder Geister, Geister wären ein Trost).“ Das sagt die Bühnenfigur Barbara Fordham in Tracy Letts Theaterstück „August: Osage County. Eine Familie“. Der soeben beerdigte Vater war das geheime Zentrum der Familie und hatte sie zusammengehalten. Auf der Bühne wird nun vorgeführt, wie ein Sozialgefüge durch einen Tod buchstäblich auseinanderfliegen kann. Am Ende fragen sich die Hinterbliebenen: Was bleibt? Und was wird?
Genau dies hat der Verfasser des Johannesevangeliums im Blick: die Gefahr, dass nach Jesu Tod die noch junge Lebensgemeinschaft der ihm Nachfolgenden zerfallen könnte. So lässt er Jesus wie eine Bühnenfigur vor seinem angekündigten Tod einen großen dramatischen Monolog halten, seine „Abschiedsrede“: „Wenn ich nicht mehr bei euch bin, bleibt ihr nicht allein. Ein anderer wird an meine Stelle treten: ‚der Beistand’, der zugleich ‚Tröster’ ist und ‚Geist der Wahrheit’. Der wird unter euch gegenwärtig sein, uns in Verbindung und euch in Bewegung und die Gemeinde am Leben halten.“
Aber die Fragen: Was bleibt? Und was wird? - die bleiben. Sie stellten und stellen sich nach Jesu Tod bis heute immer wieder neu. Wie zeigt er sich, dieser „Beistand“? Wie wirkt er, dieser „Tröster“? Wie kann es aussehen, ein Leben im „Geist der Wahrheit“?
2
Vielleicht kann uns der Autor Göran Rosenberg auf eine Spur bringen. Er erzählt folgende Begebenheit:
„Als wir an einem frühen Abend Anfang Mai das kahle Zimmer in jenem staatlich finanzierten, privat betriebenen und mit Gewinn arbeitenden Pflegeheim betreten, in dem mein Schwiegervater im Sterben liegt, sitzt dort ein junger Mann und hält ihm die Hand. Es handelt sich um ein provisorisches Pflegeheim für sehr alte und sehr hilflose Menschen, die alle nicht mehr lange zu leben haben… Jetzt dauert es nicht mehr lang, sagt er, sieht auf und lächelt zärtlich, er lächelt weniger uns an als vielmehr den sterbenden Mann im Bett. Erst als Schwiegermutter sie ihm vorsichtig abnimmt, läßt er die Hand los. …
Als alles vorüber ist und wir in den provisorischen Korridorverstecken eine Kerze gefunden und für ein wenig Andacht um das ruhige Bett gesorgt haben, als dann ein Arzt erscheint, um den Todesfall zu bestätigen, fällt mir der junge Mann ein, der Schwiegervater die Hand gehalten hat. Warum hat er das getan?“
Warum hat er das getan? Der junge Mann war dort Aushilfspfleger, von einer Leiharbeiterfirma für kurze Zeit und wenig Geld „ausgeliehen“ für bestimmte Handlangerdienste. Rosenberg erfuhr, dass der junge Mann sich mit seinem Schwiegervater zu dessen Lebzeiten öfter unterhalten hatte. Das war nicht einfach, da dieser schwerhörig und langsam im Begreifen war und nur Schwedisch sprach, was die wenigsten Aushilfskräfte dort gut konnten. Der Hilfspfleger, der aus Griechenland stammte, sprach gut Schwedisch. Er pflegte sich mit dem alten Mann zu unterhalten – er „kannte“ ihn also -, obwohl das nicht zu seinen Aufgaben zählte, obwohl er dafür nicht angestellt war und dafür auch nicht bezahlt wurde. Das löste in Rosenberg ein Nachdenken aus über die Frage, was Menschen zum Guten, was sie, selbst unter prekären Arbeits- und Lebensbedingungen, zum Menschlichsein antreibt - welcher „Geist“ das ist.
Das ist eine elementare Frage im Blick auf unser Zusammenleben in der Gegenwart: Wie können wir „menschlich“ miteinander umgehen und zusammen leben in einer Gesellschaft und in einer Welt, wo vor allem zählt, was wettbewerbsfähig ist, was sich rechnet und Profit abwirft? Dem nicht nur Stand zu halten, sondern dagegen zu halten und dabei weder in Resignation noch in hilflose Wut zu verfallen, ist nicht einfach.
Der „Geist der Wahrheit“ treibt uns zuerst zur Erkenntnis der Wahrheit über uns selbst. „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, sagt der Psalmist (Psalm 90,12). Ein Intellektueller wie Rosenberg denkt bei diesem Thema an Aristoteles. Der sagt, dass sich ein gutes Leben für den Menschen nur verwirklichen lässt, wenn er über sich nachdenkt, z.B. darüber, wie er lebt, und wenn er begreift, dass sich ein gutes Leben nur in guter Gemeinschaft mit anderen Menschen führen lässt. Das setzt voraus, dass man sich selbst mit seinen Trieben und Bedürfnissen beschränken und zurücknehmen kann. Der zweite, der Rosenberg in den Sinn kommt, ist der Philosoph David Hume. Der schreibt 2000 Jahre nach Aristoteles, dass das Erkennen unserer menschlichen Einsamkeit und Zerbrechlichkeit wie unserer menschlichen Zusammengehörigkeit bei uns Menschen eine „milde Gefühlsregung gegenüber anderen und eine großzügige Fürsorge für unsere Art und Gattung“ bewirken kann. Das sei letztlich die Quelle dessen, was Hume unter „Moral“ verstand und Aristoteles unter „Tugend“.
„Wissen um unsere menschliche Situation“, schreibt Rosenberg, „nennen wir mit einem gebräuchlichen Wort ‚Gewissen’.“ Gewissen – das ist das Wissen, das uns mit anderen Menschen verbindet und uns dazu bringt, Dinge zu tun, die wir nicht für uns selbst als Individuen tun, sondern für uns selbst als Mitglieder einer Generationen und Individuen überschreitenden Gemeinschaft.
Das setzt voraus, dass wir uns von einem Geist bewegen lassen, der in uns nicht nur Selbsterkenntnis, sondern auch Einfühlungsvermögen weckt, der unsere Fähigkeit und unsere Lust zur Kommunikation anregt, der uns teilhaben lässt an einem kollektiven Gedächtnis und der für die Übernahme langfristiger Verantwortung und Verpflichtungen mobilisiert. Das sind die Voraussetzungen dafür, dass diese Fähigkeiten entstehen, dass sie sich entwickeln und von uns an unsere Kinder und Kindeskinder weitergegeben werden können.
Beim Umgang mit Alten, Kranken und Schwachen jeglicher Couleur lässt sich wie unter einem Brennglas erkennen, wo die Konfliktpunkte zwischen einem von einem „weltlichen“ und von einem „christlichen“ Geist gesteuerten Verhalten liegen. Wenn Krankenhäuser und Pflegeheime primär dazu dienen, Profit zu erwirtschaften, wenn Versicherungen Pflegende dazu zwingen, nur die vertraglich festgelegten Handreichungen zu erledigen und nicht das, was notwendig und aus menschlichen Gründen naheliegend zu tun ist, dann widerspricht das radikal einem Leben im christlichen „Geist der Wahrheit“. In einem System, in dem „persönliche Beziehungen zu den Klienten etwas Verbotenes darstellen – etwas, das man verbirgt, unterdrückt, worüber man am liebsten nicht spricht -, werden verbotene Dienstleistungen außerhalb der bezahlten Arbeitszeit zu einer Art Protesthandlung“ – zu einer Protesthandlung aus dem „Geist der Wahrheit“.
3
Natürlich kann man in unserer Welt den Glauben an die Wirkmächtigkeit dieses Geistes verlieren. Die Kraft, daran festzuhalten, kann einem entschwinden. Kaum jemand, der bewusst wahrnimmt, was um uns herum geschieht, dürfte unberührt bleiben von öffentlich ausgestellter blanker Tötungslust und von Krieg und Terror als Mittel politischer Auseinandersetzung auf Kosten Unschuldiger. Und der Blick auf undurchschaubare wirtschaftliche Geflechte, die soziale Verwerfungen weiter vertiefen anstatt nach Ausgleich zu streben, kann einen in ein Gefühl der Ohnmacht stürzen.
Auch die Gemeinden, für die Johannes sein Evangelium schrieb, lebten im Gefühl des Ausgeliefertseins und eigener Machtlosigkeit. Was unsere Gemeinden von den Gemeinden damals allerdings grundlegend unterscheidet ist, dass wir heute – anders als Christinnen und Christen in manchen Regionen des Nahen Ostens und Afrikas - nicht wegen unseres Bekenntnisses zu Jesus verfolgt und getötet werden. Wir müssen nicht wegen unseres Glaubens unter Einsatz unseres Lebens mit Hilfe krimineller Schlepperbanden auf seeuntauglichen Booten aus unserer Heimat fliehen. Und schon gar nicht werden wir von der „Synagoge“, sprich von jüdischen Geistlichkeiten und Obrigkeiten bedroht, wie es im Johannesevangelium beklagt wird. Bereits wenige Jahrzehnte nach der Abfassung dieses Evangeliums hatte sich das Verhältnis zwischen Christen und Juden diametral verkehrt. Wobei gerade die Erinnerung an die Shoah, diesen finstersten Abgrund von menschlichem Handeln an Menschen und kalkulierter unterlassener Hilfe an ihnen, einem beim Blick auf die heutige Welt den Glauben rauben kann. Wenn die Menschheit nicht einmal daraus gelernt hat.
4
Manchmal, wenn ein Mensch tot ist, scheint wenigstens noch so etwas wie sein „Geist“ in der Gegend herumzuschwirren, meint die eingangs zitierte Bühnenfigur aus Tracy Letts Theaterstück. Tatsächlich weht der „Geist Jesu“, der Geist des Gekreuzigten (und Auferstandenen!) noch immer durch unsere Welt. Trotz aller Verwerfungen, inmitten aller Resignation, Verzweiflung und Wut ist er da als „Tröster“ inmitten von Trostlosigkeiten. Er ist da als „Beistand“ und „Geist der Wahrheit“. Er legt Zeugnis von ihm ab und hält das, was Jesus bewegte, wofür er arbeitete und litt, weiter im Gang und im Schwange. So vorläufig, so schwach oft und fragmentarisch wir das auch sehen, wahrnehmen und - wenn wir uns von diesem Geist bewegen lassen - leben können: Das Wunder war Jesu zärtliche Zuwendung zum Menschen, zum verletzlichen und verletzten Menschen, zum Individuum in seiner jeweils ganz persönlichen Situation – ohne Rücksicht auf seinen sozialen oder nationalen Status oder seine wie auch immer geartete personale Identität. Jesus handelt dabei ohne Rücksicht auf sich selbst. In seiner vorbehaltlosen Zuwendung inszeniert er eine „andere“ Welt, eine Gegenwelt, eine „wahre“ und gerechte Welt, in der der Geist Gottes wenigstens für Augenblicke die Herrschaft übernimmt und die Mächte des Todes nicht das letzte Wort haben.
Wir könnten die Augen schließen und uns auf uns selbst konzentrieren. Wir könnten uns aber auch berühren und anregen lassen, nicht nur zum Handeln, sondern auch zum Nachdenken und Träumen. Wie wollen wir leben? Wie wollen wir sterben? In was für einer Welt wollen wir unsere Enkel und Urenkel aufwachsen sehen? Der Blick auf Jesu Wirken, Reden und Handeln, der Blick auf Jesu Zärtlichkeit, gibt uns Anregungen genug für die Rückgewinnung scheinbar verloren gegangener Utopien über ein anderes Leben in einer anderen Welt als der unseren. Das könnte uns helfen, nach einer Gesellschaft zu suchen, die nicht auf allen Ebenen zur wirtschaftlichen Rentabilität versozialisiert ist. Das wäre eine Gesellschaft, in der man offen die Frage diskutiert, was das Leben eigentlich sein kann außer Arbeit und Konsum und wo und wie man neue Formen gesellschaftlichen Handelns entwickeln kann. Wie wäre es mit ein bisschen weniger Sicherheit und ein wenig mehr Spontaneität? Wie wäre es, mehr ungeprobte Ideen auszuprobieren – die Möglichkeit des Scheiterns inbegriffen?
Der Geist weht noch. Gott sei Dank. Er findet noch Zeuginnen und Zeugen. Er ist stark genug und manchmal ist er gerade „in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12, 19).
„Dass sich der (christlich fundierte!) Humanismus trotz mächtiger intellektueller und gesellschaftlicher Widerstände jahrhundertelang halten konnte, hat damit zu tun, dass er ein wahrhafter Ausdruck unserer höchst unterschiedlich fühlenden Herzen ist, mit der Anleitung, die er mit seinen vielfältigen und widerstreitenden Versionen für eine erfüllte empfindende Existenz geben konnte. Die Suche nach einem sinnvollen Leben hat nichts Weiches an sich. In einer Gesellschaft, die überquillt von Theorien, die den Menschen verflachen, verkleinern und entmutigen, ist der Humanist (ist die Christin/der Christ) ein Dissident.“ (Leon Wieseltier)
Der „Beistand“, der „Geist der Wahrheit“ kann uns an der Utopie, die wir „Reich Gottes“ nennen, festhalten lassen – ohne dass wir unsere Resignation, Verzweiflung oder Wut in der Gegenwart ignorieren, aber auch ohne darin stecken zu bleiben. Er gibt uns den Mut zum Sein, wie es uns von Gott zugesagt ist. Und er erfüllt uns mit der Kraft, unsere Resignation, unsere Verzweiflung oder unsere Wut in unseren Mut hineinzunehmen. Der Geist gibt uns die Kraft und den Mut, die Zärtlichkeit Jesu, die die Zärtlichkeit Gottes ist, weiterzuleben und weiterzutragen. Soweit wir das eben können mit unseren beschränkten Mitteln und Kräften. Vielleicht manchmal auch nur zitternd und zögernd einfach weiter in der Hoffnung, dass nichts so bleiben muss, wie es ist.
Literatur:
„August: Osage County. Eine Familie“ von Tracy Letts, Programmheft Nr. 15, Spielzeit 2014/15, Schauspiel Stuttgart
Göran Rosenberg, Gefühl und Kalkül. Warum wir tun, was wir tun – Zuwendung zwischen Gewinnstreben und Moral, in: Lettre International Nr. 70, 3/2005, S. 112ff.
Leon Wieseltier, Bei den Verstörten. Alles messbar und profitabel, Information und Wissen, Mensch und Maschine werden eins. Gegen diese Horrorvision hilft nur Widerstand – im Namen des Humanismus, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.01.2015, S. 12
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Der Schrei gegen die Angst - Predigt zu Johannes 16,23b-33 von Matthias Riemenschneider
Der Schrei gegen die Angst
Predigttext: Joh 16, 23b -33 (nach Luther):
23bWahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.
24Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.
25Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.
26An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will;
27denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
28Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
29Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht mehr in Bildern.
30Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.
31Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr?
32Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.
33Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
I. Der Schrei der Angst
Liebe Gemeinde,
„In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
‚In der Welt habt ihr Angst…‘ – „Der Schrei“ ist das wohl bekannteste Bild des norwegischen Malers Edvard Munch. Unter einem dunklen, unheilschwangeren Himmel – mit schweren unruhigen Strichen gemalt – sehen wir ein mumienhaftes Gesicht: ganz Schrei – ganz Angst. Ein großer existentieller Angstschrei – auch in Vorahnung des kommenden Ersten Weltkrieges. Das Bild „Der Schrei“ zählt zu den Vorläufern der entstehenden Kunstgattung des Expressionismus.
Es ist wie Munch sagte, ein ‚abstraktes Selbstbildnis‘. Die Hände halten den Kopf, und sie verstärken so noch den lautlosen Schrei. Niemand hört ihn. Niemand nimmt die Angst wahr. Ein gutbürgerliches Paar schlendert ungerührt weiter, ein normaler Abendspaziergang auf einer Brücke. Die Masten der Schiffe im Fjord gleichen Kreuzen auf Gräbern.
Munchs Bilder lösten um die Jahrhundertwende bei einer Ausstellung in Berlin einen Skandal aus. Denn seine Gemälde entlarvten den Geist einer ganzen Epoche, sie entblößten, was hinter der militaristischen Fassade, jener Allianz von Thron und Altar, hinter Großmannssucht und Fortschrittsgläubigkeit steckte: die pure Angst, die mit diesem lautlosen Schrei offenbar wird.
Die wilhelminisch geprägte Gesellschaft zu Beginn des letzten Jahrhunderts ertrug es nicht, dass ihr in diesen Bildern ein Spiegel ihrer eigenen Zerrissenheit, der greifbaren Lebensangst vorgehalten wurde, die sich hinter der Großmachtpolitik und der riesigen militärischen Aufrüstung verbarg. Paul Tillich nannte das beginnende 20. Jahrhundert zu Recht das „Jahrhundert der Angst“.
II. Das Kriegsende vor 70 Jahren
Am Freitag jährte sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Diesen 8. Mai 1945 als einen Gedenktag der Befreiung zu deuten hat sich in unserem Land erst in den vergangenen Jahren durchgesetzt. Dies liegt sicher auch mit daran, dass nur noch wenige eine eigene Erinnerung an die letzten und besonders schrecklichen Monate und Wochen dieses Krieges haben. Wer die Angst in den Bombennächten, den unglaublichen Terror der SS-Rollkommandos gegen die eigene Bevölkerung und dann die Wirren der Nachkriegszeit erlebt hat – das Leben in den zerstörten Städten mit dem Hunger, den Entbehrungen und der Sorge, was die Zukunft bringen wird, für den war es sicher schwer, das Ende des Krieges als eine Befreiung wahrzunehmen. Eher werden diese Menschen sich in der Erinnerung an das Kriegsende in der Figur des Bildes von Edvard Munch wiederfinden: ein lautloser Angstschrei in einen dunkel unheilschwanger sich verfinsternden Himmel.
Mit dem großen zeitlichen Abstand, den wir heute haben, lässt sich dieses Datum leichter mit den Erfahrungen der Befreiung verbinden: alle Ereignisse in diesen schrecklichen Monaten des Jahres 1945 sind in der Folge eines sinnlos von Deutschland losgetretenen Krieges passiert, der unendliches Leid über viele Menschen brachte. Und so bedeutet auch für viele Menschen in Deutschland das Ende des Krieges eine Befreiung von einem Terrorregime, das letztlich auch der eigenen Bevölkerung das Lebensrecht absprach. Eine Befreiung, die es Deutschland und Europa ermöglichte, einen Neuanfang zu wagen, in dem das Leben jedes Einzelnen geschützt und seine Freiheit geachtet wird. Auch wenn der 8. Mai kein Feiertag mit großen Jubelfeiern ist, so ist er doch ein Datum der Befreiung, das wir dankbar in Erinnerung behalten sollten.
III. Sonntag Rogate:
„33Dies alles habe ich euch gesagt“ – lässt der Evangelist Johannes Jesus sagen – „damit ihr in meinem Frieden geborgen seid. In der Welt wird man euch hart zusetzen, aber verliert nicht den Mut: Ich habe die Welt besiegt!“ (So die Gute Nachricht) Oder wie es in der vertrauten Übersetzung bei Martin Luther heißt: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Johannes lässt in diesen Worten den Auferstandenen Jesu reden, aber so, dass er Jesus in eine Gesprächssituation des Abschieds mit seinen Jüngern stellt, die noch vor Ostern spielt. So beleuchtet unser Predigttext eine doppelte Perspektive: Nach Ostern ist gleichzeitig vor Ostern.
Und dies ist doch auch unser Blick auf Ostern. Wir blicken zurück auf die große Befreiungstat Gottes an Ostern – und gleichzeitig warten wir noch auf die vollständige Erfüllung seiner Verheißungen.
Der heutige 5. Sonntag nach Ostern mit dem schönen Namen Rogate ist dem Gebet gewidmet. Der Wochenspruch aus Psalm 66, der das Leitmotiv für unseren Gottesdienst vorgibt, spricht von der Güte Gottes, die er nicht von dem Beter abwendet. Auch Jesus spricht in unserem Bibeltext nicht nur von der Angst, sondern von der Freude: „24Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.“
In diesen Worten drückt sich eine Freude zum Leben aus, mit der wir beschenkt werden. Diese Lebensfreude ist auch eine Frucht des Gebetes. Die Angst, die ebenso ein Begleiter unseres Lebens ist, soll uns nicht den Blick auf Gottes Güte verstellen, der uns zu einem umfassenden Leben in dieser Welt ermutigt. In den Worten Jesu an seine Jünger ist eine Ermutigung enthalten, eine Ermutigung gegen die Angst und eine Hilfe zur Lebensfreude, eine Ermutigung zum Gebet.
In dieser Ermutigung steckt gleichzeitig auch eine Befähigung. Jesus fordert die Jünger auf, sich mit ihrem Gebet direkt an Gott zu wenden. Er selber will nicht als Mittler auftreten, der sich fürbittend zwischen Gott und seine Gemeinde stellt. Im Osterereignis hat die Gemeinde die Kraft von Gottes Liebe erkannt. Ein Band, das nun so fest ist, dass das Gebet unmittelbar werden darf. „23bAmen“ sagt Jesus, „ich versichere euch: Der Vater wird euch dann alles geben, worum ihr ihn bittet, weil ihr es in meinem Namen tut und euch auf mich beruft.“ (nach Gute Nachricht)
Eine eindrückliche Anweisung, wie wir beten können und dies mit dem abschließenden Amen bekräftigen können, stammt von Martin Luther. In seiner 1535 verfassten Schrift „Eine schlichte Weise zu beten, für einen guten Freund“ schreibt er: „Zuletzt bedenke, dass du das Amen jederzeit stark machen und nicht zweifeln sollst, dass Gott dir gewiss mit aller Gnade zuhört und Ja sagt zu deinem Gebet; und bedenke ja auch, dass du nicht alleine da kniest oder stehst, sondern die ganze Christenheit, alle frommen Christen bei dir und du unter ihnen in einmütigem, einträchtigen Gebet, welches Gott nicht verachten kann. Und lass nicht ab vom Gebet, bis du gesagt oder gedacht hast: Wohlan, dies Gebet ist bei Gott erhört, das weiß ich gewiss und fürwahr. Das heißt: Amen.“
IV. La vie en rose:
„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Amen – sagt Jesus.
Diese Bestärkung gilt dem Trost, der Lebensfreude, die uns geschenkt ist in der Güte, die Gott nicht von uns abwendet. Die Sorgen und Ängste, die unser Leben auch begleiten, sind dadurch nicht beseitigt. Mit Gottes „Amen“ gelingt es uns vielleicht etwas besser, sie nicht übermächtig werden zu lassen, sondern ihnen einen realistischen Platz in unserem Alltag einzuräumen – in unserem Alltag, der umgriffen ist von Gottes Güte.
Manchmal begegnet uns die stärkende Kraft dieser Güte eher zufällig in unscheinbaren Situationen, die wir vordergründig gar nicht mit unserem Glauben in Verbindung bringen.
Ich erinnere gut einen Aufenthalt in Paris vor einigen Jahren. Zu jedem Aufenthalt in Paris gehört auch eine Besichtigung des Eifelturms. Von dort leiten traditionelle Reiseführer den Besucher über das Marsfeld zum Invalidendom mit dem benachbarten Museum der Militärgeschichte. Hier kann man sich ausführlich dem Studium von Gerätschaften und Maschinen widmen, die allein dazu konstruiert wurden, um den menschlichen Körper zu verstümmeln oder gar zu töten und Angst und Schrecken zu verbreiten. Auf den Kanonenrohren, die im Hof des Musee De L‘Armee ausgestellt sind, kann man so schizophrene Namen wie „Pilger“ oder „Lumpensammler“ lesen.
Auch ein sich umarmendes Liebespaar ist auf einem der Kanonenrohre zu sehen. Diese Figur brachte meine Frau und mich auf die Idee, das Eintrittsgeld für diese Sammlung menschlichen Vernichtungswahns zu sparen und stattdessen lieber einen Straus Rosen zu kaufen, den wir am Grab von Edith Piaf ablegten, einem Menschen, der für Millionen anderer Menschen nicht Angst und Schrecken, sondern Lebensfreude und Lebendigkeit bedeutete.
Edith Piaf ist auf dem Friedhof Père Lachaise im 20. Arrondissement bestattet. Einer ihrer bekanntesten Chansons „La Vie en rose“ besingt das Glück der Liebe. „Wenn er mich in den Arm nimmt - Wenn er leise mit mir spricht - Sehe ich das Leben in der Rose. - Er sagt mir Wörter der Liebe - Wörter vom Alltag, Und das bedeutet mir was.“
Am Grab von Edith Piaf liegen fast immer frische Blumen; ein Zeichen dafür, dass sie die Herzen der Menschen bis heute berührt.
Nur wenige Meter vom Grabmal Edith Piafs entfernt sind eine Reihe von Stelen, die an die Opfer des letzten Krieges und besonders an die von den Nazis in den Konzentrationslagern ermordeten Menschen erinnern.
Mit dem Chanson von Edith Piaf im Ohr sah ich in den dürren Gestalten, die auf dem Denkmal für die Opfer von Auschwitz abgebildet sind, nicht nur die angsterfüllten und verzweifelten Menschen, sondern spürte auch etwas von der Lebenskraft, die durch diesen unbeschreiblichen Vernichtungswahn der Nazis nicht zerstört werden kann.
„Er sagt mir Wörter der Liebe – Wörter vom Alltag“ – und dann sehe ich das Leben in einer Rose.
Amen.
Verwendete Literatur:
Ulrich Wildermuth, „Amen, das ist: es werde wahr“. In: Für Arbeit und Besinnung 7/2015 (1. April 2015), S. 3 ff.
Martin Luther, Deutsch-deutsche Studienausgabe, Band 1, Leipzig 2012, S. 611.
Hans-Jörg Sing, Paris in seinen 20 Arrondissements, Seefeld 2004, S. 236f.
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Predigt zu Johannes 16,23b-28.33 von Detlef Klahr
(Predigt im Eröffnungsgottesdienst der IV. Tagung der 25. Landessynode am 6. Mai 2015 in der Kirche der Henriettenstiftung)
Liebe Synodengemeinde!
„Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt“, so sagt die jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs.
Nur ein Gebet weit von uns entfernt. Wenn wir beten, ist Gott da. Gegenwärtig, mitten unter uns.
Um das Beten geht es auch in dem Predigttext für den Sonntag Rogate. Kunststück, denn Rogate ist ja gerade die Aufforderung „Betet!“ oder „Bittet!“
Aber wie immer, wenn es um Imperative geht, schotten wir ab.
Ach du meine Güte, nun werde ich zum Beten aufgefordert. „Nun betet man schön!“ Das erinnert doch sehr an das Kind, dass die leckeren Nudeln schon mampft, während die Mutter noch sagt: „Erst beten!“
Es gibt für mich keinen Ort, an dem ich das Tischgebet noch so praktiziert erlebe, wie im Landeskirchenamt. Viele Kolleginnen und Kollegen falten die Hände, halten kurz inne.
Na gut, bei den Mahlzeiten der Synode natürlich auch.
Und wieder: Kunststück. Da erwartet man es ja auch vielleicht. Oder, wenn nicht hier, wo denn dann.
Natürlich ist es schön, bei Tisch zu beten. Ein Dank an Gott, ein Innehalten: „Danke, dass Du uns das täglich Brot schenkst.“
Wir wissen, dass das Tischgebet alles andere als selbstverständlich ist. Auch unter Christen. Wir starten hier ja keine Umfrage, aber interessant wäre es sicher!
Ich muss immer an die kleine Geschichte denken: Besuch ist im Hause und das Essen wird aufgetragen. Und dann sagt der fromme Gastgeber zu allen am Tisch: „So, bevor wir essen, lasst uns noch beten!“ Daraufhin fragt einer der Gäste ganz erschreckt: „Wieso, ist was mit dem Essen nicht in Ordnung?“
Das kommt mir vor wie, ja, wir beten auch vor dem Essen, aber nur wenn es Pilze gibt.
Rogate – Betet!
Es geht nicht um Anstand und Sitte, nicht um ein Tischgebet alla „piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb“ – auch wenn das immer mal wieder gesagt werden muss – , sondern es geht um die Beziehung zu Gott.
Um bleibende Beziehung, um das Gebet als Atem der Seele, die ohne das Gespräch mit Gott verdorren würde, weil der Mensch, weil wir, eben nicht vom Brot alleine leben.
Jesus weiß das, wenn er in den so genannten Abschiedreden des Johannesevangeliums das Beten hervorhebt, als die Möglichkeit mit Gott in Beziehung zu bleiben.
Um weniger geht es bei dem Gebet nicht.
Angst habt ihr – Jesus bescheinigt das den Seinen. In der Welt habt ihr Angst. Wohl wahr und zu Recht, weil es oft genug zum Fürchten ist.
Weil Angst immer auch Resultat unserer eigenen Bilder ist, die wir von der Gegenwart und von der Zukunft entwerfen. Mit dieser Angst umzugehen, fällt anders aus für uns, wenn wir hören, dass Jesus sagt: „Ich habe die Welt überwunden.“
Es ist etwas anderes, über Angst im Gebet in der Not so zu reden, wenn man in Freiheit lebt.
Wie anders hören das unsere Schwestern und Brüder in Syrien und all den anderen Ländern, wo sie um ihres Glaubens willen verfolgt werden und in körperlicher Not und Gefahr schweben. Ja, wir haben Angst, ja, und Not lehrt beten. Wie denn auch nicht? Was denn sonst?
Man muss doch nur eine einzige Situation des eigenen Lebens erinnern, wo man aus wirklicher Not heraus, aus Verzweiflung und manchmal aus panischer Angst zu Gott gebetet hat.
Dadurch werden Betende nicht zu Helden, aber sie werden zu Menschen, die sich auf Gott einlassen und sich damit an dessen Seite stellen, der die Welt überwunden hat.
Es gehört zu den wunderbaren Erfahrungen meines Dienstes als Pastor, zu erleben, dass das Gebet diese Kraft hat, Menschen in existenzieller Angst zu trösten, mit Hoffnung zu erfüllen.
Und dass es dann nicht die „ach so schönen Formulierungen des Herrn Pastors“ sind, der ja professionell beten kann, sondern die wunderbar bewährten Bete-Worte der Bibel, die einen Menschen trösten, wenn die schwachen Lippen am Ende des Lebens noch versuchen etwa den Psalm 23 mitzusprechen: „Mein Hirte – grüne Aue – nichts mangeln – bleiben immerdar.“
Wenn die Seele und der zerbrechliche Mensch sich einhüllt, in dieses alte Gebet eines Menschen, der Gott vertraut hat, sich einhüllt wie in einen wärmenden und schützenden Mantel: Du erquickst meine Seele. Genau darum geht es im Gebet, um den Atem der Seele.
Jesus bereitet seine Jüngerinnen und Jünger darauf vor, dass die Zeit kommt, da sie ohne ihn leben müssen. Ohne seine Nähe und seine Worte, die er direkt zu ihnen spricht.
Wenn nichts mehr bleibt, wie es war, wenn ich nicht mehr bei euch sein werde, dann könnt ihr immer noch und immer wieder in meinem Namen zu Gott beten, er wird euch geben, was ihr braucht.
Jesus ist hier einmal mehr der Seelsorger für die Seinen: Wenn nichts mehr so ist, wie es war, dann könnt ihr in meinem Namen beten.
Wenn ihr Angst habt in der Welt, sagt Jesus, dann kann euch das Gebet helfen.
Es kann euch stärken und trösten. In der Krankheit, der Trauer, der Angst, des Krieges, der Armut, der Hilflosigkeit, der Einsamkeit.
Wie gut ist es, wenn man dann beten und sein armes zerbrechliches Leben Gott anbefehlen kann.
Aber nicht nur die Not lehrt beten. Jesus ermutigt die Seinen, auch um das zu bitten, was sie brauchen.
Die Psychotherapeutin Hanna Wolf schrieb am Ende Ihres Lebens in dem Büchlein „Der eigene Weg“ von einer Begebenheit des Bittens aus ihrem Leben:
In großer Hungersnot im Krieg, fragt sie ihre Mutter einmal bei einem Spaziergang: „Kann der liebe Gott Brot backen?“
„Ja“, sagt die Mutter etwas betreten. „Er kann, aber er hat jetzt im Krieg Wichtigeres zu tun, als Brot zu backen.“
Aber die Kleine hört nicht auf zu drängeln, weil sie Hunger hat, was kann wichtiger sein als Brot? Sie sagt: „Ich glaube der liebe Gott wird uns Brot backen“. Und schließlich: „Mutter, schnell, wir müssen sofort nach Hause, der liebe Gott hat uns bestimmt Brot gebacken.“
Sie stürzt die Treppe zu der kleinen Wohnung hoch und findet oben vor der Tür ein Brot.
„Mutter, Mutter, der liebe Gott hat Brot gebacken.“
Zeitlebens blieb ihr klar: Wenn ich ihn bitte, dann hilft Gott. Gott hört mein Gebet.
Natürlich auch dann, wenn man weiß, dass das Brot von einem Nachbarn war, der zwei Lebensmittelmarken bekommen hatte und ein Brot für die Frau mit Kind abgegeben hatte.
Auch dann, wenn wir wissen, dass wir wohl alle, Gott schon ganz konkret eine oder mehrere Bitten vorgelegt haben, die so nicht erfüllt wurden – wohl wahr.
Bittet Gott um alles, was ihr braucht.
Bittet Gott in meinem Namen. In Jesu Namen beten, dass heißt auch, dass die Gebete, die wir beten, die Bitten, die wir ihm vorlegen, im Geist Jesu sein sollen. In seinem Namen beten heißt, aus dem Evangelium heraus beten. Also beten auf Grund dessen, was Gott in Jesus Christus für uns getan hat.
In Jesu Namen beten verbietet es Einzelnen oder Gruppen, um ihre nationalen, kulturellen, ökonomischen oder gar konfessionellen Vorteile zu beten. Beten im Namen Jesu ist immer offen für die weltweite Ökumene, ihre Hoffnungen und Ängste!
Beten in seinem Namen ist frei von Egoismus in welcher Form auch immer und lebt auch immer aus dem Vertrauen, dass Gott die Seinen liebt und aus Angst und Enge erlöst.
Im Gottesdienst erleben wir immer wieder, dass wir in seinem Namen beten. Heute werden wir das auch tun.
Manchmal wird dann etwas umständlich eingeleitet: „Wir beten nun so, wie Jesus Christus es uns gelehrt hat“, oder: „Jesus hat uns erlaubt, zu Gott wie zu einem Vater zu sprechen.“
Beten wir doch einfach in Jesu Namen: „Vater unser, der du bist im Himmel ...“
„Vater unser“ und die Distanz zwischen Gott und Mensch ist aufgehoben. Nur ein Gebet weit von uns entfernt …
Und sein Gebet zeigt uns, das Beten uns mit Gott und untereinander verbindet.
Ihr habt Angst in der Welt, Ihr könnt in meinem Namen beten, Ihr könnt euch an Gott wenden, ihr könnt gemeinsam gegen eure Angst anbeten und mit diesem Gebet die Erfahrung teilen, dass Gott euch gibt, worum ihr ihn bittet.
Was für eine Macht des Gebetes in aller Ohnmacht!
Wir tun das, liebe Schwestern und Brüder, in jedem Gottesdienst. Miteinander beten.
Zu mir sagte mal jemand, „diese ganzen Gebete, nützen die denn überhaupt?“
„Gott braucht unsere Gebete nicht“, hat Martin Luther einmal gesagt. Wir aber brauchen diese Gebete als den Atem unserer Seele. Und Gott braucht nur eins, dass wir uns ihm zuwenden.
Ich sagte dem Mann: „Vor allem brauchen wir selbst diese Gebete! Wir brauchen es, uns an Gottes Seite zu stellen im Gebet. Seine Nähe im Gebet zu spüren, von ihm im Gebet die Gewissheit zu erhalten, dass er bei uns ist, dass er um die Angst meiner Seele weiß und auch weiß, was ich brauche.“
Und ich sagte: „Ich kann Ihnen leider nicht beweisen, was die Gebete bewirken bzw. dass sie etwas bewirken. Aber sie könne mir auch nicht beweisen, dass sie nichts bewirken.
Niemand von uns kann sagen, wie es in dieser Welt, in unsere Kirche, in meinem Leben aussehen würde, ohne das Gebet.
Auch kann niemand sagen, wieviele Menschen in Treue und aller Stille für uns als Kirchenleitende beten, kaum ein Kind weiß, wie oft Vater und Mutter zu Gott für die Kinder beten. Nur Gott selbst weiß um die Beter, um unsere Gebete, die stammelnden, die seltenen die bittenden und zagenden, die schweigenden Gebete unserer Seele. Gott sie Dank – er weiß es.
Mich berührt es immer sehr, wenn jemand zu mir sagt: Bitte, beten sie für mich. Dieser Bitte möchte ich mich nicht entziehen und gut ist es, wenn man sie auch an andere richten kann.
Gebete wirken! Das wussten offenbar auch zwei die sich heftig gestritten hatten:
„Ich bete für sie, dass sie das endlich einsehen!“
Und der andere sagt: „Ich verbitte mir das. Lassen Sie das! Ich bin nämlich davon überzeugt, dass das wirkt!“
Beten wirkt, darum mag ich die Unterbrechungen hier bei der Synode, die uns durch das Gebet am Mittag geschenkt wird.
Egal, was ist, wie in der klösterlichen Tradition, nichts ist dem Gebet vorzuziehen.
Diese Unterbrechung tut gut als Atemholen für die Seele.
Ich gestehe Ihnen gerne, dass ich das längst übernommen habe. Wer bei mir zu einer Sitzung kommt, kann damit rechnen, dass beim Läuten der Mittag- oder Abendglocke ich die Sitzung für einen Moment Stille und ein Gebet unterbreche. Beschwert hat sich deswegen noch keiner. Und mir hat es jedes Mal gut getan.
Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt!
Wenn Jesus auch die Seinen in seiner Sichtbarkeit verlässt. Er sagt ihnen zugleich, im Gebet sind und bleiben wir Gott nah.
Mag die Distanz zwischen Gott und Menschen auch manchmal im Leben als unüberwindbar empfunden werden, als Gottesferne, oder im schlimmsten Fall als Gottes Abwesenheit.
Das Gebet bleibt dann manchmal ein Sehnen, ein schwaches Klopfen und Suchen nach Gottes Nähe – und das ist sehr, sehr viel:
Mir gefällt, wie Rainer Maria Rilke das in seinem Stundenbuch formuliert:
„Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manches Mal
in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, –
so ist´s, weil ich dich selten atmen höre
und weiß: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.
Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,
durch Zufall; denn es könnte sein:
ein Rufen deines oder meines Munds -
und sie bricht ein
ganz ohne Lärm und Laut.“
Ich wollte nicht den Imperativ an Euch richten, liebe Schwestern und Brüder! Nicht sagen: „Betet!“, oder gar: „Betet mehr.“ Denn ihr könnt gar nicht anders. Das Gebet ist der Atem der Seele. So wie ihr Luft atmet zum Leben, so braucht ja Eure Seele das Gebet, um nicht zu verdorren. Wir können gar nicht anders, als immer wieder neu uns Gott zuzuwenden und dabei erfahren: „Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt!“
Amen
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Predigt zu Johannes 16,23b-28(29-32)33 von Markus Kreis
Die Lichtschranke, die das Gute im Einbrecher erfasst - oder – eine fragliche Geheimtür: Einfach mal die Klappe halten! Raus mit der Sprache!
Liebe Gemeinde,
der Mensch vor Gottes Reich ist wie ein Straffälliger, der nächtens den Plattenweg zu einem dunklen, stillen Haus betritt. Und der in der Klarheit des bei Besuch per Lichtschranke erhellten Eingangsvorraums erkennt, dass er leicht einbrechen kann: denn die Tür ist zwar zugezogen und versperrt worden, der ausgefahrene Riegel gelangte aber nicht in die für ihn vorgesehene Aussparung der Zarge, sondern befindet sich knapp daneben im Freien.
Es gibt immer noch Menschen, die da hinein gehen, ihrer Wohlanständigkeit oder Straffälligkeit oder ihrem Sünderleben zum Trotz. Weil sie glauben und darauf vertrauen, dass es sich hier um eine von den vielen Wohnungen des Vaters handelt. Weil sie glauben und darauf vertrauen, dass Jesus ihnen als Lichtquelle Gottvater erkennbar macht. Und dass Jesus als verborgen offene Tür ihnen Gottvater zugänglich macht.
Weil sie darauf vertrauen, dass bei diesem Einbruch weniger sie bei Gott als umso mehr Gott bei Ihnen ins Lebensgehäuse einbricht - wie ein Dieb in der Nacht, der ihnen wegnimmt, was sie belastet und sie so zu neuer Freiheit und neuem Handeln führt. Diese Menschen, denen mit und trotz dem Einbruch Vergebung geschenkt wird, die heißen Kirchenzugehörige.
Der Mensch vor Gottes Reich ist wie ein Straffälliger, der nächtens den Plattenweg zu einem dunklen, stillen Haus betritt. Und der in der Klarheit des bei Besuch per Lichtschranke erhellten Eingangsvorraums erkennt, dass er leicht einbrechen kann: denn die Tür ist zwar zugezogen und versperrt worden, der ausgefahrene Riegel gelangte aber nicht in die für ihn vorgesehene Aussparung der Zarge, sondern befindet sich knapp daneben im Freien.
Und es gibt Menschen die dann da nicht hinein gehen. Vielleicht sehen sie sich nicht als Straffällige oder Sünder, sondern sie sehen sich als redliche und anständig Leute. Oder eventuell schöpfen sie Verdacht, einer Falle aufzusitzen, in die Hände des Gesetzes zu geraten. Es gibt welche, die abgeschreckt sind vom Licht. Menschen, welche diese überraschend offene Tür für eine geheime Falltür halten, die sie in lauter Unbill und Zwangslagen führt.
Was erzeugt dieses Misstrauen? Vor was schrecken solche Menschen zurück? Ist es die aufscheinende Lichtquelle? Zucken sie angesichts der verborgen offenen Tür zurück?
Unter uns Menschen wird gläubiges Vertrauen vermittelt durch Kommunikation. Dabei kommt es natürlich nicht nur auf die Gesprächsinhalte an, sondern auch auf die Art und Weise, wie Kirchenzugehörige mit der Welt reden, und wie sie untereinander reden, und ob sie dementsprechend miteinander umgehen.
Bezüglich der aufscheinenden Türvorraumbeleuchtung heißt das: Sind es die christlichen Behauptungen, Aussagen und Ansprüche, die vom Einbruch Gottes abschrecken - eventuell weil sie unbekannt sind? Oder weil sie unverständlich sind? Oder zwar verständlich, aber inhaltlich komplett inkompatibel mit den durchschnittlichen gesunden Menschenverstand?
Ist es der kognitive Gehalt, der christliche Sätze bei solchen Menschen im Status beliebiger Meinungen belässt. Meinungen, welche kaum eine Chance haben, zu einer Überzeugung zu werden?
Oder spielt die nur scheinbar geschlossene, in Wahrheit verborgen offene Tür eine Rolle? Zucken die verhinderten Gotteseinbrecher zurück vor den Empfindungen, Motivationen und Leidenschaften, die im gegenseitigen Reden und Hören der Kirchenzugehörigen aufleuchten?
Sind die Gefühlsäußerungen an sich nicht nachvollziehbar für einen heutigen Menschen? Oder stehen die ausgedrückten Gefühle in einem Missverhältnis zu den geäußerten Ansichten? Leuchtet bei einer Vergebungszusage noch Rachgier auf? Oder Schwäche, die sich als Stärke zu decken versucht?
Eine Entschuldigung anzunehmen ist ein gesellschaftlich erforderliches Ritual geworden - so sehr dass Missetäter oft gar nicht mehr ihre Opfer darum bitten, sondern den kompletten Entschuldigungsakt verbal gleich selbst und allein vollziehen: Ich entschuldige mich!
Ohne Rücksicht darauf - Ich entschuldige mich! - dass ihr Gegenüber vielleicht noch etwas Zeit benötigt, um wahrhaft vergeben zu können. Zeit, die der Leidtragende braucht, damit er den erlittenen Verlust tatsächlich verschmerzen und quasi mit allen Sinnen ausgleichen kann.
Wie dem auch sei – ob nun die aufscheinende Lichtquelle oder die verborgen offene Tür abschreckt und zurück zucken lässt - da hilft nur das Gebet und die Bitte, dass potentielle Einbrecher bei Gott die gute Gelegenheit nutzen, ihr Misstrauen verlieren und keine Angst mehr davor haben, in lauter Unbill, Zwangslagen oder gar Fallen zu geraten.
Da hilft nur Bitte und Gebet. Das gilt auch für uns Kirchenzugehörige, vor allen Dingen, wenn unser Bitten und Beten für die potentiellen Einbrecher auf seine Wirkung warten lässt. Wenn die Kirche vielen Weltmenschen weiterhin uninteressant oder gar abstoßend erscheint.
Dann mag es zugehen, dass wir darüber in Angst und Zweifel tauchen, dass unsere Zuversicht auf die vergebende Macht Gottes zu schrumpfen beginnt wie Luftblasen im Wasser. Wenn die fragliche, verborgen offene Tür sich für uns in eine irreführende Geheimtür zu verwandeln scheint, in eine Illusion, in eine Täuschung. Dann hilft nur das Bitten und Beten für einen selbst, um Gottvertrauen und Selbstvertrauen, um Glaube und Gewissheit.
Beten für einen selbst, das heißt: Raus mit der Sprache! - Oder einfach mal die Klappe halten! Ja, was jetzt? Was steht an? Reden oder Schweigen? Silber oder Gold? Klappe halten oder Raus mit der Sprache?
Vielleicht ist das die falsche Alternative. Vielleicht geht es gar nicht um eine Alternative. Vielleicht geht es um eine Entscheidung ohne die Möglichkeit zu wählen. Vielleicht geht es um Einfach mal die Klappe halten! und Raus mit der Sprache!
Raus mit der Sprache – das kann zum zweiten bedeuten: hinweg mit der Sprache, hinaus mit ihr: kein Geständnisse, kein Geschwätz, keine Verlautbarungen, keine Sonntagsreden, kein Salbadern - Verstummen, Schweigen, Stille, nicht einmal Säuseln von Atem und Atmosphäre, lautlose Leere...
Und wer meint das so? Sagen kann er es ja schlecht, jedenfalls nur um den Preis, dass er sich selbst widerspräche. Wessen Wille ist das? Einfach mal die Klappe halten! und Raus mit der Sprache!
Gottes Wille und Schweigen ist es. Er meint es so und will das so haben und richtet sich selbst danach: Einfach mal die Klappe halten! und Raus mit der Sprache!
Gott wäre nicht Gott, wenn das zuvorderst nicht für ihn selbst gälte, wenn das zuallererst nicht für sein Leben zuträfe: Einfach mal die Klappe halten! und Raus mit der Sprache! Am Kreuz verstummte Gottvater und im Grab Jesu unterbrach er mit keinem Laut dessen Stille. Und in unserem Predigttext erwähnt Jesus sein Ende und andauerndes Fortgehen mit keinem Wort gegenüber seinen Jüngern. Zu unaussprechlich ist das alles, bevor es sich zuträgt, selbst in Gott.
Und was für Gott selbst gilt und zutrifft, das trifft und gilt uns Menschen, seinen Geschöpfen. Und als seine Geschöpfe genügen wir schließlich seinem Willen und kommen ihm nach, halten einfach mal die Klappe! und Raus mit der Sprache! Zuweilen überkommt das uns - sogar ohne lautlose Leere mit Labern zu überlagern.
Raus mit der Sprache! – Diesem Befehl wissen wir uns schwer zu entziehen, wenn uns Verstummen, Schweigen, Stille, wenn uns nicht einmal das Säuseln von Atem und Atmosphäre, sondern lautlose Leere widerfährt...
Raus mit der Sprache! – Diesem Befehl wissen wir uns schwer zu entziehen, wenn uns aus unserer eigenen Innenwelt Verstummen, Schweigen, Stille erheischt, wenn uns nicht einmal das Säuseln von Atem und Atmosphäre, sondern lautlose Leere anschleicht...
Raus mit der Sprache! – Diesem Befehl wissen wir uns schwer zu entziehen, wenn uns von Seiten unserer Mitmenschen Verstummen, Schweigen, Stille, wenn uns von ihnen nicht einmal das Säuseln von Atem und Atmosphäre, sondern lautlose Leere widerfährt.
Raus mit der Sprache! Klappe zu! Gott tot! Raus mit der Sprache! Sie haben recht gehört, Gott unterstellt sich dem Befehl, dem wir uns so schwer entziehen können. Gott rückt raus mit der Sprache.
Es mag so sein, dass Gott und die Farbe des Papiers sich nicht beschreiben lassen, dass das Höchste und das Tiefste also die Unbeschreiblichkeit teilen, wie Ortega y Gasset sagt. Und doch gilt gleichfalls: Gott beschreibt sich selbst. Gott rückt mit der Sprache raus.
Raus mit der Sprache! – Dank Gottes allmächtiger und herrlicher Liebe kann dieser Satz zweierlei zugleich bedeuten: Verzicht auf Sprache und Hervorbringen von Sprache. Gott kann und will dank seiner beziehungsreichen Allmächtigkeit und Herrlichkeit gut mit diesem Gegensatz leben.
Gott beschreibt sich selbst. Gott rückt mit der Sprache raus. Und wenn er als der Herr der Heerscharen ausrückt mit der Sprache, dann ergeht sein Wort mit Macht. Es erfüllt lautlose Leere, es überlagert und durchtönt alles leutselige Labern und Verlautbaren.
Es wirkt, unabhängig vom selektiven Empfang kirchlicher Hörer. Gottes Wort bricht erneut gewiss bei uns ein - trotz der durch Studien erforschten Tatsache, dass Christen, wie andere Menschen auch, beim Zuhören nur das behalten, was sie in ihren erlernten Auffassungen bestätigt.
Beten wir in unserer Sprache, dass Gottes Sprechen Hören und Reden erneuere. In Jesus hat der Mensch schließlich Gott die Urheberrechte und das Copyright abgenommen. Der Mensch hat also Gott als Urheber akzeptiert und ist selber Urheber, in dem er Gottes Urheberschaft unter den Menschen verbreitet.
Amen.
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Das eine Wort und das Bleiben in ihm - Predigt zu Johannes 15,1-8 von Ralf Hoburg
Das eine Wort und das Bleiben in ihm
Liebe Gemeinde,
„Ich bin drin…“ So lautete vor über 20 Jahren ein Werbeslogan für einen großen Internetanbieter. Wer „drin“ ist, der ist dabei. Wer „draußen“ ist, gehört nicht mehr dazu. Innen und außen bilden nicht selten Unterscheidungskriterien. Beliebt ist diese Unterscheidung, die geradezu eine Trennungslinie markiert, seit langem im Bereich der Mode. Wer eine bestimmte Marke trägt, ist im Kreis derjenigen, die „up to date“ sind und die Marke fordert von ihren Mitgliedern auch eine gewisse Markentreue. „Bleibt bei mir“… so werben inzwischen Firmen von der Autobranche bis zum Telefonmarkt. In ungleich größerem Masse als im harmlosen Bereich der Mode oder Werbung ist dieses Unterscheidungskriterium von „drinnen“ und „draußen“ derzeit in der Asyl- und Flüchtlingsfrage, wo es dramatische Formen angenommen hat. Was sich in den vergangenen Tagen auf hoher See zum wiederholten Male im Mittelmeer an der Grenze zu Europa abgespielt hat, tangiert die Menschenrechte. Europa ist eine Festung geworden, die ihr „Inneres“ gegen ein „Außen“ abschottet. Wer drinnen ist, ist sicher und wer draußen steht, steht „draußen vor der Tür“, so der Titel des bekannten Buches von Wolfgang Borchert. Borchert verstand sein Buch in den späten 40er Jahren nach dem 2. Weltkrieg als einen mahnenden Appell an die Gesellschaft, die „draußen“ Stehenden nicht zu vergessen. Draußen zu sein – so Borcherts Erfahrung – „tötet“.
Dieses Bild von dem außen und dem Innen drängte sich mir im ersten Moment auf, als ich wieder den Text aus dem Johannesevangelium las. Es geht um das Bleiben im Inneren bzw. den Folgen, wenn man nicht mehr im Innenkreis steht. Vielleicht erstaunt es, dass dieses Prinzip in gewisser Weise auch für Religionen – nicht nur dem Christentum, sondern auch dem Islam – gilt. In der Antike und auch im Mittelalter sprach mal von der sog. „Arkandisziplin“, d.h. einem Wissen, das nur Eingeweihten zugänglich ist. Denke ich im gegenwärtigen Zeitkontext über den Text aus dem Johannesevangelium nach, gilt es, sich dabei eben auch mit dem Unterscheidungskriterium von „dabei sein“ und „nicht dabei sein“ auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung kann vielfältige Bezüge haben, wie bereits angedeutet. Auch für die Institution Kirche ist das Thema von „innen“ und „außen“ hoch aktuell und noch mehr muss sich die Kirche heute auch mit dem Phänomen des „Bleibens in ihr“ auseinander setzen.
Es ist nicht zu leugnen: Viele Menschen haben sich inzwischen von der Kirche abgewendet. Zeitungs- und Medienberichten zu Folge haben sich im Jahr 2014 mehr Menschen als in den Jahren zuvor wieder von der Institution Kirche getrennt. Als Grund hierfür wurde die Erhebung von Kirchensteuern auf die Kapitalertragssteuer genannt. Manche Kritiker sprechen hier bereits von einem „Eigentor“. Die Süddeutsche kommentierte in einem Bericht vom 15.8.2014, dass nach Auffassung der Kirche der „Reiche sich nicht mehr so leicht davor drücken können“ sollte, „das angemessene Scherflein der Kirche zukommen zu lassen.“ Wie realitätsfern! Statt indes den Fehler zu korrigieren, der rechtlich zwar korrekt, aber moralisch Abgründe aufzeigt, spricht man in der Kirche von offizieller Seite des Kirchenamtes der EKD selbstgefällig davon, man habe das Ganze eher ungeschickt kommuniziert. Die, die „drinnen“ stehen haben offensichtlich nicht verstanden, dass sie inzwischen diejenigen sind, die eigentlich „draußen vor der Tür“ stehen; vor einer Tür der Gesellschaft, die weitgehend religiös indifferent geworden ist. Weniger der Verlust an Religion, sondern vielmehr der Glaubwürdigkeitsverlust der Institution treibt die Menschen aus der verwalteten Kirche. Es scheint so, als würde in unserer Gesellschaft ein neuer Typ von Organisation entstehen, der einerseits immer weniger Mitglieder aufweist und andererseits über immer mehr Geld verfügt.
Wer steht drinnen und wer steht draußen? Bei dieser Grundsatzfrage kommt es entscheidend auf die Sichtweise an und drehen sich langsam aber allmählich die Verhältnisse um. Vor vielen Jahren erschien von einem bekannten Theologen ein Buch mit dem Titel: „Es bröckelt an den Rändern“. Gemeint war mit der Metapher der Ränder die als sog. „kirchlich Distanzierte“ bezeichnete Gruppe von Menschen, die sich von der Volkskirche abgewendet hatten. Seit dem geht es kirchlichen Reformbemühungen darum, diejenigen „an den Rändern“ wieder zu gewinnen. Aber inzwischen steht die Kirche selbst eher am Rand der Gesellschaft. Ist sie noch „drin“ oder steht sie schon „draußen“?
In dieser Situation stellt der Predigttext aus dem Johannesevangelium eine geradezu prophetische Mahnung dar, wenn es dort warnend in V. 4 heißt: „Bleibt in mir und ich in Euch“. Hier gibt es mehrere Möglichkeiten, die Analyse der Zeit mit Hilfe des Predigttextes zu verstehen. „Bleibt in mir und ich in Euch“ (Joh 15,4) könnte bedeuten, dass sich die Kirche zu einer Wagenburg formiert und in einem trotzigen „Wir sind drin“ sich gegen eine heidnischer werdende Umwelt abzuschotten versucht. Diesen Weg könnte der Predigttext sogar legitimieren, indem dann „die da draußen“ mit Vernichtung bedroht werden, wie Joh 15,6 nahe legen könnte: „Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt…“ Oder heißt das „bleibt in mir“ eher die Konzentration auf die Theologie und das Bleiben im Wort der Offenbarung? Das würde die Frage nach den Kriterien stellen, an die sich die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen jetzt und in Zukunft hält. Liest man Joh. 15 weiter über V. 8 hinaus heißt es mit einem beschwörenden Appell in V. 9: „Bleibt in meiner Liebe!“ Hier ist der Weg zu suchen und das Unterscheidungskriterium ist gegeben. Die Zukunft der Kirche entscheidet sich im Bleiben der Liebe.
I)
Der Grund der Gemeinschaft
Mehr als die synoptischen Evangelien lebt das Johannesevangelium aus der Wahrung der Tradition und der Herstellung der Gemeinschaft. Im Zentrum der johanneischen Ekklesiologie steht die Abendmahlsgemeinschaft, die mit Kap. 15 im Mittelpunkt steht. So sind die Verse des Predigttextes aus Joh. 15,1-8 für den Sonntag Jubilate im Kontext des gesamten Kapitels zu lesen und erst ab V. 9 wird das Materialprinzip genannt, das als Kriterium für das Bleiben in Gott gilt. Woher aber kommt die Gemeinschaft und wir wird sie im Johannesevangelium begründet? Wenn man so will lebt das Johannesevangelium intensiv von dem trinitarischen Gedanken, in dessen Mitte die Beziehung zwischen Vater und Sohn steht. Dieses Verhältnis, das im Innenverhältnis als Beziehung zwischen Vater und Sohn selbst auf Liebe beruht, bildet die theologische Achse des Johannesevangeliums. Das Kapitel 15 nutzt hierfür die Metapher vom Weingärtner, dem Weinstock und den Reben. Mit diesem Bild verwendet das Evangelium die Alltagssprache der Menschen der Antike, für die der Wein ein bekanntes und dennoch besonderes Getränk darstellt. Bekanntlich gilt der Weinbau als eine Art der Landwirtschaft, die sehr viel Mühe kostet und es bedarf der Zeit, bis Weintrauben als Früchte an den Reben wachsen und geerntet werden können. Bereits im Alten Testament wird das Bild des Weinbergs bei den Psalmen und Propheten eingeführt; dabei wird es auf das Volk Israel bezogen, das JHWH aus Ägypten holt. (Ps. 80,9-18) Gott selbst wird aber dort nicht als Weingärtner dargestellt. Das Johannesevangelium nimmt diese Metapher auf und führt sie im Sinne der Offenbarungstheologie weiter.
In der Theologie des Evangeliums nach Johannes wird Gott als Schöpfer der Welt und Jesus Christus als der Sohn in Eins gesetzt. Gott der Vater und der Sohn sind eines Wesens. Zentral für diesen Gedanken, von dem aus sich die Denkweise des gesamten Evangeliums entschlüsselt, ist der Prolog des Evangeliums im 1. Kapitel, in dem es heißt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns…“ (Joh. 1,14) Schlagartig wird beim Lesen dieser Worte klar: hier geht es um das Ganze, denn die Offenbarung birgt eine gewisse Totalität in sich. Diese Worte dringen durch und enthalten einen tiefen Sinn. So stellt sich Ehrfurcht und eine gewisse Scheu ein. Das meint Offenbarung, dass Gottes Sein in Jesus Christus anwesend ist, sich Gott also geradezu körperlich geworden und sich in einem Menschen dingfest gemacht hat.
Die Offenbarung Gottes in seinem Sohn Jesus Christus stellt die Gemeinschaft der Gläubigen zu Gott auf andere Füße. Die Gemeinschaft zu Gott erhält nun einen neuen Grund. Deutlicher als die anderen Evangelien stellt das Johannesevangelium die Menschwerdung Gottes in den Mittelpunkt. Gott offenbart sich und wird Mensch. Durch diesen Schritt der Selbstmitteilung erhält der Mensch nun einen anderen Zugang zu Gott als bisher. Auch seinem erwählten Volk Israel teilte sich Gott auf verschiedene Weisen mit. In der Tora ist die Verbindung zwischen Gott und Mensch auf Glaubensregeln aufgebaut. Moses war hierzu der Mittler, der die Gebote empfing. Aber immer verbarg Gott sein Antlitz. In der Offenbarung bleibt Gott der Aktive. Er allein hat entschieden zu zeigen wer er ist. Mit der Offenbarung legt sich Gott fest. Der Predigttext definiert dieses Verhältnis geradezu als das zwischen Vater und Sohn, wenn es in Joh 15,1 heißt: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner“. Das traditionelle Bild des Weinstockes und der Weinreben, wie es aus dem Alten Testament bekannt ist, wird hier neu und anders gewendet. Der „Freund“, von dem in Jes. 5,1-7 in der Erzählung vom unfruchtbaren Weinberg die Rede war, ist der Weingärtner selbst. Auf diese Weise korrespondieren beide Erzählungen miteinander und interpretieren sich. Wie der Prophet Jesaja erkennt auch der Evangelist Johannes die Gefahr, dass der Weinberg und seine Reben, die Gaben Gottes und Ergebnis seiner Liebe darstellen, vergehen. Sie bringen keine Frucht mehr. Dieser Gefahr will das Johannesevangelium wehren.
II)
Die Mitte der Gemeinschaft
Der Sohn ist identisch mit dem Vater. Jesus Christus bildet die Mitte, von der aus sich nun die neue Gemeinschaft gründet. Der Apostel Paulus schreibt an einer Stelle im Korintherbrief in einer ganz ähnlichen Weise: „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1. Kor. 3) Im Johannesevangelium wird dieser Grund nun mit den sog. „Ich bin…“ – Worten beschrieben: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Diese neue Mitte bildet den Orientierungspunkt der Gläubigen. Von hier aus wird Gemeinschaft konstituiert. Die christliche Kirche versteht sich als eine Gemeinschaft, für die die Erinnerung an das sog. „letzte Abendmahl“, d.h. dem Beisammensein Jesu mit seinen Jüngern vor der Hinrichtung am Kreuz, den Mittelpunkt bildet. Als die Gemeinschaft des Wortes feiert die sich versammelnde Gemeinde auch das Abendmahl. In der jüngeren Geschichte der evangelischen Kirche hat sich an dieser Stelle durchaus ein Richtungsstreit entzündet, der sich um die Frage der Abendmahlspraxis rankte. Während eher die eine Richtung die Exklusivität und Besonderheit des Abendmahles betonte, plädierte eine andere Fraktion eher in die Richtung, jeden Gottesdienst mit dem Abendmahl zu beenden. Die Abendmahlsgemeinschaft gehört zur alltäglichen Gottesdienst- und Gemeindepraxis. Hier wird das „in ihm bleiben“ als Form der ästhetisch-sinnlichen Verkörperlichung rituell praktiziert und gelebt. Der „Tröster“ bzw. Paraklet übernimmt hierzu im Johannesevangelium die Funktion der Vermittlung zwischen Vater, Sohn und der Gemeinde.
In dieser Exklusivität der Abendmahlsgemeinschaft findet sich dann auch letzten Endes das inkludierende oder exkludierende Element dieses Textes wieder. Die Orientierung an der Mitte legt im Sinne des Johannesevangeliums offen, wer dazu gehört und wer „draussen vor der Tür“ steht. Für heutige Ohren klingt dieses Kriterium in einer Gesellschaft, die sich um Integration und Inklusion bemüht, recht barsch und hart. Gleichzeitig stimmt diese Exklusivitätsregel noch nachdenklicher, wenn man überlegt, dass sich in der modernen Welt viele Menschen freiwillig dafür entscheiden, „draußen vor der Tür“ der Kirche zu stehen und sie leben ihr Leben gut und vermissen nichts. Die Drohgebärde eines möglichen Verdorrens trifft die heutige Gesellschaft nicht mehr.
III)
Das Bleiben in der Gemeinschaft
Die zentrale Botschaft des Textes, geradezu der von dieser Passage ausgehende Mahnruf besteht in der Beschwörung, in Jesus Christus zu bleiben und am Glauben festzuhalten. Nach Auffassung des Johannesevangeliums besteht das Ziel des christlichen Glaubens darin, in der Welt wirksam zu sein. Dem Erweis dieser Wirksamkeit dient das metaphorische Bild von den Früchten der Reben. Traditioneller Weise wird diese Passage des Textes gerne in Predigten dazu verwendet, die Gläubigen sanft zu ermahnen, „viel Frucht“ zu bringen. Aber was heißt das? Ist damit der in der Geschichte der Kirche in der Diakonie zum Tragen kommende Liebesdienst gemeint? Deutlich wird aus dem Kontext des Textes zumindest eines: Im Sinne der Metapher vom Weinstock ist die Frucht nur möglich durch das Bleiben im Weinstock. Wie sich dieses konkretisieren kann, zeigt V. 7: Es geht um das Bleiben im Wort. In einer Predigt zum Text hebt der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, hervor, dass das Bleiben in der Beziehung das Entscheidende ist. Damit ist die Beziehung zu Jesus Christus gemeint. Mit keiner Silbe erwähnen die Predigten die Folgen der Abwendung von Jesus Christus. So hat der Text im negativen Sinne eine harte Seite. Die Konzentration auf das „Bleiben“ verwischt mithin auch den Bezugspunkt, nämlich das „Wort“.
Das Wort steht im Mittelpunkt der Gemeinschaft, die sich um das Abendmahl herum bildet. Für Luther macht diese Fixierung auf das Wort geradezu die Theologie des Abendmahles aus. Nur das Wort macht das Zeichen zu einem Sakrament. Diese Zentrierung auf das Wort relativiert in gewisser Weise die durch den Text so oft verkündigte Metapher der Frucht. Der Frucht-Appell: „Seid aktive Gemeindeglieder“, d.h. gestaltet das Gemeindeleben mit lebendiger Gruppenarbeit und typisch evangelischer Klebe- und Bastelpädagogik und seid „drin“, indem ihr eine „gestaltete“ Mitte habt, tritt zurück hinter den Gedanken, dass alle Aktivität vom Wort selber ausgeht. Dem Johannesevangelium geht es darum, dass das Wort die Priorität erhält und in euch bleibt. Das „Im Wort-Sein“ ist das Entscheidende. Erst nachgeordnet geht es dann auch um das Bleiben in der Liebe.
Das Wort zu verlieren ist dann die Gefahr an der Grenze und entscheidet zwischen „drinnen sein“ und „draußen sein“. Jetzt erhält der Text eine ziemlich aktuelle Note, wenn man ihn als eine Mahnung an die christliche Gemeinschaft versteht. In der Zeit als das Johannesevangelium historisch entstand, gab es diese Gefahr, dass die Gemeinschaft der Kirche auseinander zu brechen drohte. Der Schwung des Anfangs sank und die Euphorie auf das Reich Gottes verschwand allmählich. Die Wiederkehr des Auferstanden ließ auf sich warten. In dieser Situation mahnt das Evangelium das Erbe des Anfangs an. Der Text erinnert an den Ursprung der Gemeinschaft.
Also zu guter Letzt noch einmal gewendet: Wer ist „drinnen“ und wer ist „draußen“? Was heißt das: „Bleibt in mir“? im heutigen Gesellschaftskontext? Für mich heißt das, dass die Kirche zwar drinnen in der Gesellschaft als eine Institution existiert, aber ihre Position hat sich verändert. Sie ist ein kleiner werdender Teil am Rand einer vielstimmigen Religionslandschaft in einer offenen Zivilgesellschaft. Der Predigttext ruft danach, dass die Kirche „in ihm bleibt“, d.h. sich auf die Verkündigung des Evangeliums und auf das Wort der Offenbarung konzentriert und vor allem in den eigenen Reihen der Gemeinde in der Liebe bleibt (Joh 15,9). Mit dem Hören auf das Wort entspricht sie dem Sein des Weingärtners. Diese Konzentration auf das geoffenbarte Wort war die Mitte, aus der die Reformation ihre Kraft und Energie bezog. Das Hören auf dieses Wort Gottes zog im 16. Jahrhundert den Umbau und die Umgestaltung der Kirche nach sich. Und heute?
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Predigt zu Johannes 15,1-8 von Bert Hitzegrad
Der wahre Weinstock
15 1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner.
2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe.
3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.
4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.
5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie müssen brennen.
7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.
8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
Gott segne dieses, sein Wort, an uns und lass es auch durch uns zu einem Segen werden. Amen.
Liebe Gemeinde! Die Bibel kennt starke Bilder. Es sind Bilder voller Leben und Fülle. Voller Kraft und Dynamik. Sie lassen ganze Landschaften, alltägliche Szenen, blühende Wüsten im Kopf entstehen. Sie sprechen für sich ohne viele Worte. Der gute Hirte, das frische Wasser, der Weizen, der Frucht bringt, die Lilien, die schöner gekleidet sind als der König Salomo. Jedes Bild gefüllt mit Hoffnungen und Sehnsüchten, gefüllt mit Erinnerungen und Begegnungen. Auch die Bilder, die uns im heutigen Predigttext begegnen, sind Lebens-Bilder: Weinstock und Reben – da blitzt die Herbstsonne durch die reifen Trauben kurz vor der Ernte. Man möchte förmlich nach ihnen greifen und probieren, ob sie denn schon die saftige Süße erreicht haben. Die belebende Frische des Weines an einem Sommerabend lässt sich förmlich am Gaumen erahnen. Zurücklehnen und genießen.
Doch der gute Tropfen von den edlen Reben bekommt einen faden Beigeschmack. Es geht nicht um die sorglose Freude, die Jesus mit dem kostbaren Wein dem Brautpaar und seinen Gästen auf der Hochzeit zu Kana geschenkt hat. Es wird auch nicht dem Gott des Rausches und der Ekstase gehuldigt, wie die Griechen es mit ihrem Dionysos taten. Nein, Jesus nutzt die einleuchtenden Bilder, um die enge Verbindung von Weinstock und Reben, von Frucht und Lebensströmen deutlich zu machen. „Ohne mich könnt ihr nichts tun“: Wie die Reben auf den Weinstock angewiesen sind, so bekommen seine Jünger, so bekommt seine Gemeinde die Lebenskraft von ihm. Nur aus dieser Verbindung heraus wachsen und reifen Früchte. Vorausgesetzt, sie „bleiben“. Sie bleiben in ihm, sie bleiben an ihm – und Jesus an ihnen, so eng verbunden wie Frucht und Rebe, wie der Weinstock und jeder einzelne Trieb, der aus ihm wächst. Wenn nicht – dann wird der süße Rebensaft, den wir auf der Zunge schmecken, sogar bitter. Jesus erinnert an die Abläufe im Weinbau – und wird zum Mahner und Warner für seine Gefährten: Im Frühjahr muss der Winzer die Reben ausschneiden und reinigen, um die Pflanzen zu optimieren. Alles, was nichts bringt, was verdorrt, vertrocknet, leblos ist, nimmt dem Weinstock Kraft für die guten Reben. Also wird die Schere angesetzt und weg … Reicher Ertrag entsteht nur durch aufwendige Pflege. Christliche Existenz ist nur durch die enge Verbindung zu Jesus möglich. Lebenskraft einer Gemeinde kann nur durch die vitale Beziehung zu dem „Baum des Lebens“ kommen. Der tägliche Lebensstrom des Glaubens fließt nur wenn „wir in ihm bleiben und er in uns“. Da kann nicht alles bleiben wie es ist …
Die Bibel kennt starke Bilder. Bilder, die uns Farben in den Kopf, Gerüche in die Nase und sogar den Geschmack von wohlschmeckendem Wein auf die Zunge malen. Aber „Halt!“ und „Stop!“. Es sind nicht die kitschigen Bilder einer heilen Welt, sondern Bilder, die helfen, die Welt heil zu machen und uns Heilung zu schenken. Deshalb ist der so gern gewählte Konfirmationsspruch „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ nicht nur freundliche Beschreibung für einen fröhlichen Konfirmationstag, an dem auch mal ein Gläschen Wein probiert wird. Nein, es ist klare Aufgabe und Wegbestimmung. Es bedeutet für den jungen Konfirmanden, die Konfirmandin, dran zu bleiben am Glauben, den Fragen des Lebens weiterhin nachzugehen und immer wieder diesen Kontakt zu suchen, zu dem der gesagt hat „ohne mich könnt ihr nichts tun!“.
Jesus hat die starken Bilder seiner Predigten im Alltag gefunden – beim Beobachten einer Schafherde, beim Gang über ein Weizenfeld oder beim Pflücken einer reifen Traube im Weinberg. Mit welchen Bildern aus dem Alltag würde er heute predigen? Wie würde er den jungen Konfirmanden, wie würde er uns allen die tiefe und segensreichen Verbindung mit ihm heute deutlich machen – „ohne die wir nichts tun können!“ Luther hat „dem Volk auf’s Maul geschaut“ und daraus Lieder und Predigten gemacht. Er tat es, weil Jesus es tat. Was würde Jesus Menschen sagen, die weit weg von Weinbergen leben und die aus der 10. Etage ihres Wohnhausblockes keinen „guten Hirten“ beobachten können.
Ich denke an eine Situation, die ich mit unserer Tochter erlebt habe. Sie ist mit dem Zug von ihrem Studienort aufgebrochen und wollte nach Hause kommen. Sie hatte Bescheid gegeben, dass sie kommen würde, aber nicht wann. „Ich melde mich von unterwegs per Handy!“ Nun war sie unterwegs, aber sie hatte vergessen, ihr Handy aufzuladen. Der Ladezustand sank auf 1% und schon schaltete sich das kleine elektronische Gerät von selbst ab. Kein Lebenszeichen mehr. Und auch kein Lebenszeichen von unserer Tochter. Sie stand am Bahnhof und niemand erwartete sie, niemand lud ihre Koffer ins Auto, niemand nahm sie herzlich in den Arm. Keine Sorge – sie ist dann doch noch abgeholt worden, hat sich ein Handy geliehen und uns erreicht. Aber sie hatte sich das alles einfacher vorgestellt.
Keine Energie mehr, kein Strom – kein Lebensstrom, um die Verbindung zu halten. Getrennt wie die abgeschnittene Reben vom Weinstock. Das Handy, das nicht rechtzeitig aufgeladen wurde und so wertlos wurde – die Kommunikation am Ende. Mir ist klar, dass die Bilder, die Jesus nutzt, voller Leben und Dynamik sind und dass der Lebensstrom eines Handys kaum an die Fülle des Saftes heranreicht, der durch den Weinstocks fließt, um dann Reben und Früchte wachsen und reifen lässt. Aber: Dieses Bild ist dicht dran an uns, am Leben, aber auch an der Kraftlosigkeit vieler Menschen.
Denn ich beobachte: Wir machen alle viel zu viel und verzehren uns dabei selbst. Bei vielen sind die Akkus wie ausgelaugt, ausgelutscht. Nicht nur die Kommunikation ist am Ende, der ganze Körper reagiert. Viele haben Depressionen. Sie müssen etwas bringen, sie müssen Leistung, Ertrag, Frucht bringen, denn wer nichts bringt, ist auch nichts. Aber sie haben das Gefühl, sich abzuarbeiten, ohne dass es eine Frucht hervorbringt. Sie fühlen sich wertlos, ausgebrannt und verdorrt, wie eine tote Rebe, saft- und kraftlos.
Liegt es am Druck von außen, an den Erwartungen anderer – oder auch an dem Maßstab, den sie selbst an sich anlegen? Noch einmal meine Tochter, die eigentlich darauf achtet, dass der Akku ihres Handys immer aufgeladen ist. Denn sonst könnte sie etwas verpassen in der digitalen Welt zwischen Facebook und WhatsApp, zwischen Twitter und einer Eilmeldung unter Tagesschau.de. Immer mit der Welt verbunden, immer online, immer „unter Strom“. Manchmal habe ich das Gefühl, wenn sie da ist, ist sie gar nicht da und anwesend, sondern schwirrt, wenn das Handy vibriert, durch die digitalen Welten mit der Angst, etwas verpassen zu können. Und in der unendlichen Fülle der News und der Mails verpasst sie garantiert etwas. Bis die Erschöpfung da ist. Ob es dann mit einer neuen Akku-Ladung getan ist?
Das starke Bild vom Weinstock lädt ja fast zum Nichtstun ein. Die Rebe, die Frucht muss den Lebensstrom nur fließen lassen und schon ist alles am Wachsen und Reifen. Also nur die Poren öffnen und die Herzen nicht verschließen, dann keimt, was keimen soll, dann wächst, was Kraft bekommt zum Wachsen. Dann nehmen wir uns selbst den Druck, gute Früchte zu bringen, um den Erwartungen zu genügen oder der falschen Einschätzung, möglichst alles selbst machen zu müssen. Lassen wir doch den Winzer an uns heran, um den Druck, den wir aufbauen, zurückzuschneiden. Wehren wir uns nicht, wenn falsche Erwartungen, wenn Resignation und das Gefühl, fruchtlos zu sein, gekappt werden, damit wir wieder aufatmen können, damit der Strom des Lebens wieder fließen kann. Damit Zeiten des Gebetes wieder möglich sind, weil nicht dieses oder jenes noch zu erledigen sind, weil noch 148 Mails zu checken sind und wir eben noch die Welt retten müssen … Und wir schaffen es doch nicht. Wir schaffen es vor allem nicht, wenn wir es mit eigener Kraft versuchen und nicht mit dem, der die Welt schon längst gerettet hat. „Viel Frucht“ – das klingt nach Massenware und nach menschlichen Maßstäben immer nach „zu viel Frucht“. Die verdirbt den Preis und auch die Qualität. Denn nicht nur für den Winzer, sondern auch für Jesus kommt es auf den guten Wein an. Nicht nur auf der Hochzeit in Kana, sondern auch beim Abendbrot mit dem verachteten Zachäus. Jesus hat sich Zeit genommen, Zachäus hat einen guten Tropfen aus dem Weinkeller geholt und die beiden haben ein intensives Gespräch geführt, das damit endet, dass der Zöllner sein Leben ändert hat und nach den vielen faulen Früchten nun gute Frucht unter die Menschen bringen will. Jesus hat an diesem Abend nicht die Welt gerettet, aber einen Menschen wieder in den Lebensstrom Gottes zurückgeholt.
„Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ Das ist ein Stück Befreiung und zugleich eine Einladung, den falschen Leistungsdruck abzulegen. Es geht nicht darum, dass wir literweise dünne Brause mit einem Schuss Traubensaft der Werkgerechtigkeit produzieren, sondern darum, dass unsere Trauben den köstlichen Wein hervorbringen, der etwas von Gottes Ewigkeit widerspiegelt und Herz und Lippen hoch erfreut. Diese Qualität braucht die tiefe Verbindung mit dem, der uns den Kelch gefüllt hat und ihn uns reicht mit den Worten „Für dich vergossen“. Aus seiner Liebe können wir leben. Sie ist der Saft, die Kraft, die reifen und wachsen lässt. Sie durchströmt uns und lässt die Früchte reifen. Hoffen wir auf einen guten Wein, vollmundig, mit tiefem, reinen Geschmack, vom felsigen Boden die Schwere, von der Sonne am Himmel mit leichter Süße verwöhnt.
Können Sie ihn schon schmecken? Starke Bilder, ein wohlschmeckender Tropfen. Geeignet für ein großes Fest. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben.
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Predigt zu Johannes 15,1-8 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
(1) Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner.
(2) Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt er weg; und jede, die Frucht bringt, die reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe.
(3) Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.
(4) Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe nicht von sich selbst Frucht bringen kann, sie bleibe denn am Weinstock, so auch ihr nicht, ihr bleibt denn in mir.
(5) Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun.
(6) Wenn jemand nicht in mir bleibt, so wird er hinausgeworfen wie die Rebe und verdorrt; und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen.
(7) Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch geschehen.
(8) Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und meine Jünger werdet.
Liebe goldene und diamantene Konfirmanden, liebe Gemeinde,
ein Pfarrer hat eine Mäuseplage in seiner Kirche. Er klagt es seinem Kollegen. Ach, sagt dieser, das hatte ich auch einmal. Und was hast du da gemacht? Nun, ich habe die Mäuse einfach alle konfirmiert. Danach sind sie meiner Kirche ferngeblieben. Und ich habe sie nie wieder gesehen.
Ich weiß nicht wie es bei ihnen, liebe Jubilare, damals war vor 50 und vor 60 Jahren. Sind Sie auch aus ihrer Kirche heraus konfirmiert worden? Sind sie ihrer Kirchengemeinde nach der Konfirmation auch ferngeblieben? Oder sind Sie Ihrer Kirche treu geblieben?
Es geht um das Bleiben. Bleibt in mir, sagt Jesus hier im Johannesevangelium. Und er sagt dies zu seinen Freunden, als er Abschied von ihnen nimmt. Es war ein entscheidender Einschnitt im Leben der kleinen Gemeinschaft um Jesus, von dem das Johannesevangelium hier berichtet. Vom Schauen mussten die Jünger zum Glauben kommen. Von der selbstverständlichen Gegenwart Jesu Christi zum Vertrauen auf seine Nähe. Ihr Glaube musste sich nun bewähren im Alltag. Einfach und unmittelbar war er nicht mehr, der Glaube an Gott, jetzt da Jesus nicht mehr so ganz einfach da war. Auf eigenen Füßen mussten die Jünger nun stehen. Mussten selber groß sein, mussten selber glauben.
Es macht einen guten Sinn, dass die Konfirmation an der Schwelle zum Erwachsenwerden steht. Mit 14,15 Jahren ist man kein Kind mehr. Das ändert sich viel. Da ändert sich auch der einfache, anschauliche Kinderglaube. Da beginnt man sich so seine eigenen Gedanken zu machen. Über die Welt, über Gott, über das Leben. Und da steht dann die Konfirmation an, mit der Aufforderung, „Ja“ zum Glauben, „Ja“ zu Jesus Christus zu sagen.
Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen damals vor 50 und 60 Jahren war. War es bei Ihrer Konfirmation ein „Ja“ aus voller Überzeugung heraus? Oder eines, weil es sich eben so gehörte? Weil es einfach dazu gehörte? Vielleicht war es sogar ein „Ja“ gegen die eigene Familie, die von Kirche und Glauben nicht so viel hielt? Und vielleicht ist dieses „Ja“, das Sie damals gesagt haben, erst später in Ihrem Leben Ihnen so richtig bewusst und wichtig geworden. Da gäbe es, glaube ich, viel zu erzählen. Davon, wie es damals war, an Ihrer Konfirmation, als Sie „Ja“ zu Jesus gesagt haben. Das können wir nachher ja beim Gespräch beim Mittagessen nachholen.
Sie haben viel erlebt, gelebt und geglaubt seit Ihrer Konfirmation damals; oder wenig. Wo ist nur die Zeit geblieben?
Es geht ums Bleiben. „Bleibt in mir und ich in euch“, sagt Jesus zu uns. Und um das zu verdeutlichen, verwendet er das Bild vom Weinstock und den Reben. Ein ganz einfaches und einleuchtendes Bild. Kraft und Lebenssaft erhalten die Reben vom Weinstock. Ohne Weinstock gäbe es keine Reben und damit auch keine Früchte, keine Weintrauben. Eine Weinrebe, abgeschnitten, abgerissen, abgetrennt vom Weinstock verdorrt und taugt nur noch als Brennholz. Und ein Weingärtner pflegt seine Rebstöcke, damit sie viele Trauben bringen. Da muss machen Rebe weg, damit an den starken Reben später viele Trauben hängen. Und saftige, pralle und süße Weintrauben sind ein Genuss für andere und der Stolz des Weingärtners.
„Ich bin der Weinstock“, sagt Jesus, und ihr, liebe Jubiläumskonfirmanden, liebe Gemeinde, „ihr seid die Reben.“ Ein schönes, einfaches und anschauliches Bild für ein Leben aus dem Glauben. In Jesus bleiben, an ihm hängen, wie eine Rebe am Weinstock bringt Lebenskraft und Glaubensfrüchte. Und im Verlauf unseres Kapitels aus dem Johannesevangelium wird als Glaubensfrucht die Liebe untereinander, die Nächstenliebe genannt werden. Dazu könnten nun viele Beispiele genannt werden. Beispiele dafür, wie Menschen aus dem Glauben heraus für ihre Nächsten tätig werden und Gutes tun und Gutes Bewirken. Glaube, Hoffnung, Liebe, mit diesem Dreiklang beschreibt der Apostel Paulus diesen Lebensfluss, diesen Kraftstrom vom Weinstock über die Rebe hin zur Frucht. Ein schönes Bild: „ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben; wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ Ein schönes, einfaches Bild und Beispiel aus der Natur für das Leben als Christ.
Aber so einfach, wie das Bild vom Weinstock und den Reben es uns hier vor Augen malt, ist es in einem Christenleben nicht. In Christus bleiben: ein ganzes Leben; oder eben: seit der Konfirmation? Gibt es nicht auch Zweifel: das Gefühl, vom Glauben, von Jesus Christus abgeschnitten, getrennt zu sein; und Momente ohne Lebenssaft und - kraft? Augenblicke ohne Glaube, Hoffnung und Liebe. Und: aus dem Glauben heraus viel Frucht bringen: gelingt das immer wieder in tätiger Nächstenliebe? Ach, wenn es so einfach und natürlich wäre, wie im Bild beschrieben, wäre es wunderbar. Manchmal fühlen wir uns doch eher wie so eine nutzlose, verdorrte Rebe die der Weingärtner abgeschnitten hat, weil von ihr nichts zu erwarten ist, weil wir nicht gut genug sind, nicht kräftig genug glauben können.
Was hier in dem Bild aus der Natur vom Weinstock und den Reben so natürlich und selbverständlich uns vor Augen gemalt und in Worte gefasst wird, das scheint zu vollkommen zu sein. Da passen wir nicht in das Bild. Und das Bild scheint nicht zu passen. Da sprengt das Bild, der Bildinhalt den Rahmen. Manchmal lässt sich das, was man sagen will, nicht so ganz in ein Bild fassen. Und, haben Sie es bemerkt?, das ist auch bei unserem Bildwort vom Weinstock und den Reben so.
„Bleibt in mir und ich in euch. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun“, sagt unser Bildwort. Aber welche Rebe kann von sich aus entscheiden, am Weinstock zu bleiben; so, als hätte sie eine Wahl? Hier passen Bild und Inhalt nicht so ganz zusammen. Die Weinrebe kann schließlich nicht von sich aus wählen, ob sie am Weinstock bleibt oder nicht. Aber wir können wählen, ob wir zum wahren Weinstock Jesus Christus gehören wollen oder nicht.
Aber nein, so stimmt das auch nicht. Erinnern sie sich an Ihre Konfirmation? Bevor Sie Ihr „Ja“ zum christlichen Glauben sagten, hatte Gott schon längst sein „Ja“ zu Ihnen gesagt. Bevor wir uns entscheiden, hat Gott sich schon für uns entschieden. „Ihr seid die Reben“, sagt Jesus. Wir dürfen Reben am Weinstock Gottes sein. Können aus Jesus Christus Glaube, Liebe und Hoffnung als Kraft für unser Leben bekommen und weiter geben, wenn die Worte Jesu in uns bleiben. Dann ist es möglich, und noch viel mehr.
Es geht um das Bleiben. „Bleibt in mir und ich in euch.“ Darauf kommt es an. Und das kann im Laufe eines Lebens sehr unterschiedlich aussehen.
Ich kenne nicht wenige Christenmenschen, die würden nie von sich aus wagen zu behaupten, besonders gute Christen zu sein; besonders kräftige, eng verbundene Reben am Weinstock. Und sie gehen auch nicht davon aus, dass sie irgendwelche prachtvollen Früchte ihres Glaubens herzeigen können. Und doch sind sie ein wunderbarer Segen für ihre Mitmenschen und ihre Gemeinde, oft ohne dass sie es wissen oder wahrhaben wollen. Sie leben einfach ihren Glauben. Eine ganz natürliche Sache, so vermittelt uns es das Bildwort vom Weinstock und den Reben.
Dass es doch nicht so ganz einfach und natürlich ist, das merken wir in unserem Leben. Da geht viel Wind und Sturm, viel Kälte, Frost und Hitze über einen hinweg im Leben, auch im Glaubensleben. Ich möchte das Bildwort vom Weinstock hier nicht überstrapazieren. Aber an einem Tag wie heute gehen aber auch die Erinnerungen zurück an all das, was Sie in den vergangenen 50 oder 60 Jahren seit Ihrer Konfirmation erlebt haben. Es geht um das Bleiben. „Bleibt in mir und ich in euch.“ Bei allen Veränderungen im Leben.
Von Martin Luther stammen die schönen Sätze: „Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang. Es ist nicht das Ende, aber es ist der Weg. Es glüht und glänzt noch nicht alles, es reinigt sich aber alles.“
Amen
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Predigt zu Johannes 15,1-8 von Antje Marklein
Jesus Christus spricht: ‘ Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben; wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht‘ -
Ein Weinstock ohne Reben ist tot, und Reben wachsen und tragen Früchte nur am Weinstock. Auch wenn wir nicht in einer Weingegend leben, hat doch jede/r einen Weinberg vor Augen, wenn er/sie diese Worte hört. Ein grüner Südhang, die Weinstöcke in Reih und Glied, ein harmonischer Wechsel von Regen und Sonne macht den Weinberg zu einer Augenweide.
Nun gibt es unterschiedliche Einfälle zu diesem Bild vom Weinstock. Ich stelle mir den süßen Geschmack von rotem Traubensaft auf der Zunge vor. Er gibt mir Lebenskraft, ja Lebensfreude, die ich mit einer vollen Traube in mich aufnehme. Sonnengereift, geschmackvoll, ein Genuss.
Aber auch das gehört zum Weinberg: Abgehackte Reben, am Wachsen gehindert, ins Feuer geworfen. Damit andere mehr Frucht bringen. Der Rebstock wird beschnitten, damit der Ertrag gesteigert wird. So ist es in der Weinernte.
Und hier im Predigttext? ICH bin der Weinstock, bleibt in MIR – sagt Jesus. Die sogenannten ‚Ich bin-Worte Jesu im Johannesevangelium kennen viele von uns: Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus; ich bin die Tür, ich bin das Brot, ich bin der gute Hirte, die Auferstehung, der Weg. Die ‚Ich bin-Worte‘ verbinden zentrale Symbole – Licht, Tür, Weg, Brot als Bilder für die Nähe Jesu – diese Symbole werden verbunden mit dem Anspruch an uns, uns hier anzuschließen, dabei zu sein, dazu zu gehören. Die ‚Ich-bin-Worte‘ Jesu fordern Menschen heraus, ihm, der sich als Heilsbringer darstellt, zu folgen, um selbst Teil dieser Heilsgemeinschaft zu werden.
Hier also: ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.
Bleibt bei der Sache, bleibt bei mir und ich bleibe bei euch, zusammen bringen wir viel Frucht, Lebenskraft, Lebensfreude – so könnte die Aufforderung Jesu heute Morgen verstanden werden. Ich stelle mir vor, zu wem diese Worte gesagt werden könnten. Zu der Zeit, in der der Schreiber Johannes lebt, geraten Menschen unter Druck, die sich zu Jesus bekennen. Benachteiligungen von Christen gehören zum Alltag, ja Christen werden verfolgt, für uns hier kaum vorstellbar, aber doch auch heutzutage weltweit wieder ein großes Thema, ich denke an Boko Haram, an Isis, an Christenverfolgungen in Indien und anderswo.
Bleibt bei der Sache, bleibt bei mir und ich bleibe bei euch, zusammen tragen wir viel Frucht, wir erleben Lebenskraft, Lebensfreude.
Bleiben – oder gehen? Die Frage ‚bleibe ich oder gehe ich‘ stößt bei mir noch andere Gedanken an: Bleiben oder gehen – die Frage stellen wir uns an beruflichen Stationen im Leben; bleiben oder gehen, die Frage stellen sich Paare in einer krisengeplagten Ehe; bleibe ich oder gehe ich fragen sich junge Menschen nach Abschluss der Schulzeit; bleibe ich zuhause oder gehe ich ins Heim - müssen sich manche ältere Menschen fragen. Meist ist es ein Abwägen zwischen Bequemlichkeit, Gewohnheit und dem Reiz des Neuen. Oft bedeutet gehen auch der Ausweg aus unerträglichen Zuständen.
Das Bild des Weinstocks stellt sich anders da:
Bleibt bei mir, sagt Jesus, bleibt im Glauben, bleibt in der Gemeinschaft der Christen. Übertragen auf unser Jahr 2015 heißt das für mich: Bleiben wir zusammen als Christen und Christinnen inmitten unserer multireligiösen und nicht-religiösen Welt.
Und was ist mit denen, die nicht bleiben? Die gehen? Für mich sind sie nicht im Feuer. Ich vermisse sie.
Ich vermisse sie. Sie ist ausgetreten, als sie ihren ersten Lohn erhalten hat. Kirchensteuer, nein, wozu soll sie die zahlen? Ja, damals, in der evangelischen Jugend, da hat sie mitgemacht, gern sogar. Die Gemeinschaft, die Fahrten, Nächte durch diskutiert und die Welt verändert. Aber jetzt. Das erste selbstverdiente Geld braucht sie für die Wohnung, das Auto, die Freizeit. Vielleicht ist das ja später anders. Wenn sie eine Familie hat oder so.
Ich vermisse ihn. Er ist ausgetreten, als die Sparkasse zum zweiten Mal auf diese komische Steuer hingewiesen hat. Kapitalsteuer. Die Kirche bekam doch schon so viel Geld von ihm. Sicher, in seiner Gemeinde verfolgt er schon genau, was der Pastor macht und sagt. Und dass sich die Kirche so für Flüchtlinge stark macht, findet er wirklich gut. Aber hier hört es auf, jetzt will er ein Zeichen setzen. Sein Steuerberater hat auch gesagt: Das können Sie sparen.
Ich vermisse sie. Sie hat sich engagiert, jahrelang. Bei den Festen mit aufgebaut, Gemeindebriefe ausgeteilt. Sie war gern dabei. Alle Feste ihrer Familie hat der Pastor begleitet, die Taufen, die Konfirmationen. Ausgerechnet bei der Beerdigung der Mutter hatte er keine Zeit. Das geht doch nicht. Sie war doch auch immer da. Jetzt ist sie ausgetreten. Ihren Glauben hat sie behalten, dafür braucht sie ja die Kirche nicht.
Liebe Gemeinde, ich vermisse sie, die, die nicht geblieben sind: die Engagierte, den Mitdenkenden, die Kritische, ich vermisse sie, die ausgetreten sind aus unserer Kirche. Ich vermisse ihr Engagement, ihr Mitdenken, ihre Kritik. Ich muss sie ziehen lassen, aber ich vermisse sie und die vielen anderen, die noch austreten werden, werde ich auch vermissen.
Sie alle, die ich vermisse, würde ich so gern direkt ansprechen: Ich würde ihnen erzählen, warum es sich lohnt zu bleiben. Um im Bild zu bleiben: Ich würde erzählen, dass der Weinstock ohne Reben tot ist. Den Jungen würde ich sagen dass die evangelische Jugend auch die jungen Erwachsenen in ihren Reihen braucht. Sie haben die Sprache der Jugend nicht verlernt und sind doch in der Welt der Erwachsenen zuhause, die jungen Erwachsenen mit ihren Visionen und Hoffnungen und Träumen, die die Jugendlichen mit auf den Weg nehmen können. Denen, die sich an der Steuer stören, würde ich sagen dass ihr Blick auf die Schwächsten in der Gesellschaft, ihr Blick auf die Flüchtlinge mit Geld nicht zu bezahlen ist, und dass die Kirche sie unbedingt braucht, um sinnvolle Arbeit fortführen zu können. Den engagiert kritischen würde ich sagen dass ihr kritisches Wort innerhalb und nicht außerhalb der Kirche sinnvoll Gehör findet, wenn sich etwas ändern soll. Und ich würde nicht müde werden zu wiederholen, welch wichtigen Anteil sie alle haben können an der Lebenskraft und Lebensfreude, die aus der Gemeinschaft der Christen und Christinnen erwächst.
All das würde ich sagen, nicht weil ich Angst davor habe, dass unsere Kirche immer kleiner wird, nein, ich würde es sagen weil ICH aus dieser Lebenskraft und Lebensfreude das bekomme, was ich zum Leben brauche.
Stattdessen spreche ich Sie an, die Sie hier sind heute Morgen, weil Sie geblieben sind. Weil Sie und ich glauben – oder wissen, dass das Bleiben sich lohnt. Ja, Jesus Christus, strahlt mit seinem Leben, Reden, Handeln und Sterben tatsächlich wie ein Weinstock Lebenskraft aus. Er hilft seinen Reben – mir – beim Wachsen, hilft uns, uns zu entfalten mit unseren Talenten und Gaben, mit Schwächen und Stärken uns einzubringen in unserer Welt. Das Bleiben, aneinander und miteinander verbunden bleiben, stärkt jeden und jede Einzelne in ihren eigenen Lebensbezügen, weil sie sich als Teil eines Ganzen verstehen kann. Wenn sonst Vereinzelung groß geschrieben ist in unserem Umfeld, merken wir doch, wie kostbar diese Gemeinschaft ist. Mir hilft keine virtuelle Community im Netz. Ich ziehe es vor, Menschen in die Augen zu schauen. Ich werde gestärkt von denen, die mit mir auf dem Weg sind. Wenn wir zusammen beim Osterfrühstück nach der Osternacht sitzen und neue Lebenskraft in uns wächst. Wenn ich in einem Gottesdienst sitze und die kräftigen Singstimmen um mich herum höre. Wenn ich im Arbeitskreis Willkommen mit Gleichgesinnten die Flüchtlingsarbeit plane. Und auch, wenn mir meine Visionen und Hoffnungen abhanden kommen, wenn ich Gleichgesinnte brauche die meinen Schmerz teilen, dann ist es gut, mit Ihnen und den vielen, die IN der Kirche auf dem Weg sind, zu reden, sich auszutauschen, sich gegenseitig zu stützen und zu ermutigen.
Vielleicht können wir alle, wenn wir davon überzeugt sind, diese Überzeugung weitersagen, in diesen Wochen weitersagen an die Jugendlichen, die in unseren Gemeinden konfirmiert werden. Bleibt dabei, wir brauchen euch und vielleicht braucht ihr auch uns. Sicher können wir diese Überzeugung auch weitersagen an Menschen in unserem Umfeld, mit denen wir unterwegs sind, auf der Arbeit, im Freundes- und Bekanntenkreis: Bleibt dabei, wir brauchen euch und vielleicht braucht ihr auch uns.
Jesus Christus spricht: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.
Verwendete Literatur: Predigtstudien I 2014/2015
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Johannes 10,11-16 von Gerlinde Feine
Liebe Gemeinde –
Einen Hirtenstab haben sicher viele von uns schon einmal gesehen. Der Schäfer braucht ihn, um die Tiere zu lenken; deshalb ist er am einen Ende gebogen. Man kann auch eine Hirtenschaufel daran befestigen, eine kleine Schippe, um Dreckbollen zu werfen und in besonders trockenen Zeiten das Erdreich bis zum Grundwasser aufzugraben. Ein Hirtenmantel im Katalog wird als besonders wetterfest und widerstandsfähig angepriesen, die Hirtentasche dazu geräumig und leicht. Was aber, um Himmels willen, kann ein Hirtenbarometer?
Seit kurzem wird für dieses Instrument Werbung gemacht, aber mit der Wetterprognose hat es rein gar nichts zu tun. Es gehört auch nicht zur Ausrüstung der Hirten, es ist eher etwas für die Schafe. Die sollen damit die Qualität ihrer Hirten messen und beurteilen können, natürlich im Internet, dort, wo schon Lehrer-Rankings und Atteste über Ärzte lanciert wurden. „Bewerte die Arbeit Deines Pfarrers und starte einen Dialog auf Augenhöhe. Christlich, evangelisch, katholisch - immer getreu dem Motto: Auch Gott braucht Feedback!“, schreiben die Erfinder. Auf www.hirtenbarometer.de kann man also denen, die Gottes Herde hüten, Rückmeldung geben, sagen, was sie besser machen könnten – oder virtuell Beifall spenden, wenn man einfach „Danke!“ sagen möchte :“Gut gemacht!“ oder „schön, daß Sie für uns da sind!“ Noch sind nicht viele „Hirten“ registriert, aber das kann sich ja ändern. Wäre doch eigentlich eine prima Sache: Vor dem Gottesdienst erst mal im Internet schauen, welche Noten die Pfarrerin hat, die heute predigt. Hinterher einen Kommentar einstellen oder eine Nachricht senden. Nachsehen, ob die betreffende Person auch bei der Jugend gut ankommt und die Alten nicht vergisst. Noch ist das Zukunftsmusik. Aber immerhin: Ein paar prominente Namen gibt es schon, vor allem Bischöfe, also die, die den ganzen Laden lenken und außer den Schafen noch einem Team von Hirten versorgen müssen. Die meisten kommen ganz gut weg. Trotzdem stellt sich die Frage, woran man das eigentlich messen kann, ob ein Hirte gut ist und seiner Herde gut tut? Woran kann man einen guten Hirten / eine gute Hirtin erkennen?
In der Bibel gibt es dafür viele Bilder und Beispiele, denn sie ist dort entstanden, wo die Hirten zuhause waren, zeitlich wie räumlich. Und dort wusste jedes Kind, was einen guten Hirten ausmacht: Er (oder sie) muß das Wohl der ganzen Herde im Blick haben und nach dem Einzelnen und seinen Bedürfnissen fragen. Er muß darauf achten, daß Schwache gestärkt und Starke geschätzt werden. Hirten kennen die besten Weideplätze und führen an frisches, gesundes Wasser, sie heilen, was krank ist, sie versorgen Verletzungen, suchen die Verlorenen und holen zurück, was sich verirrt und verlaufen hat. Hohe Anforderungen! – Große Verantwortung…
- Eigentlich sah es doch ganz idyllisch aus, neulich, als ein Schäfer seine Herde unten an der Auffahrt vom Hagellocher Weg zur Ebenhalde weidete. Die Tiere grasten zufrieden, ein mobiler Weidezaun schützte sie davor, mit den Autos in Konflikt zu geraten; der Hund des Schäfers lag dösend neben seinem Herrn. Ein paar Tage später habe ich sie wiedergesehen. Da war Weidewechsel – und von Idylle keine Spur mehr, als der Schäfer unterstützt von seinem Hund die Herde durchs Wohngebiet trieb, vorbei an Blumenrabatten, an denen sie nicht knabbern sollte, zwischen parkenden Autos hindurch und über die Kreuzung zum nächsten Rastplatz. Statt Romantik harte Arbeit, statt Beschaulichkeit eine Menge Stress: Hirten brauchen Leitungskompetenz!
In Israel mit seiner nomadischen Tradition wurde das Bild vom Hirten, der für seine Herde sorgt, zum Symbol für den König und sein Tun, wohl auch, weil die ersten Könige, Saul und David, beide selbst diesen Beruf gehabt hatten. Vor allem David hatte für das ihm anvertraute Volk wunderbar gesorgt. Doch nicht alle seine Nachfolger taugten für ihr Amt. musste erfahren, daß der König versagt, daß er die Herde nicht nähren und sie nicht vor den „wilden Tieren“ schützen, ja, nicht einmal untereinander für Ordnung und Frieden sorgen kann.
Schließlich greift Gott ein. Die Hirten, denen er Herde anvertraut hatte, haben versagt. Nun tut er selbst, was nötig ist, damit sich ihr Leben entfalten kann. „Habt keine Angst“, sagt er, der eigentliche König Israels. Und die Herde weiß: Nun wird es gut. Der eigentliche Hirte sorgt gut für jede und jeden einzelnen, selbstlos und hingebungsvoll. Er gibt niemanden verloren. Er opfert sein eigenes Leben für die Herde.
In der bäuerlichen Welt der Bibel haben die Menschen das gleich verstanden, und als Jesus sich selbst „den guten Hirten“ nennt, da hören sie die Bildworte des Alten Testaments mit. Nach den Ereignissen um seinen Tod und seine Auferstehung sehen sie in ihm den wahren König Israels; das Gotteslamm (Jes 53 / Joh 1,26) wird selbst zum Guten Hirten. In der Urgemeinde setzte sich die Wirkungsgeschichte fort: Das „Hirtenamt“ war geboren, und ausgehend von Jesu Worten (auch dem zu Petrus, dem er nach Ostern aufträgt „Weide meine Schafe“) werden von da an auch die Hirtenworte auf die Kirche und ihre Verantwortlichen übertragen, die sich doch ursprünglich an den König richteten und die, die unter ihm zu leben hatten. Pfarrer wurden zu „pastores“ (= Hirten), die anderen Getauften dagegen „Schafe“, und es hat der Kirche nicht immer gut getan, daß da die einen, die mit bestimmten Leitungsaufgaben betraut waren, meinten, über die ganze Herde verfügen zu können, sich an ihr bereichert und sogar versündigt haben oder sie im Stich ließen, wenn es darauf ankam. Doch zum Segen für Gottes Herde treten gerade in Zeiten der Not auch ausgezeichnete Hirtinnen und Hirten auf, die in der Gefahr den Überblick behalten, heilende Worte finden, verletzte Seelen stärken, neues Weideland erkunden und die Herde zusammenhalten. Und Gott Lob kann man von den meisten anderen behaupten, daß sie sich Mühe geben und ihr Hirten-Handwerk verstehen: „Predigen heißt: Die Herde weiden“, hat Martin Luther einmal gesagt. Doch sollte man die Schafe nicht unterschätzen! Sie sind nicht blöd, und sie reden mit, auch ohne „Hirtenbarometer“.
In meiner letzten Gemeinde gab es, wie früher auch in Böblingen, alljährlich eine Veranstaltung, die nannte sich: „Urlaub ohne Koffer“. Viele ehrenamtliche Mitarbeitende ermöglichen es da alten und kranken Gemeindegliedern, ein paar unbeschwerte Tage zu verbringen, doch auch die Begleitpersonen, gewinnen dieser Zeit viel Erholsames ab, nicht zuletzt wegen der herrlichen Landschaft rund um das Quartier auf der Schwäbischen Alb. Da saßen also eines Mittags ein paar Frauen aus dem Leitungsteam auf der Terrasse und schauten einer Schafherde auf dem „Gegenhang“ beim Weiden zu, als plötzlich eine von ihnen sagte: „Schaf sein wollte ich nicht.“ Wir schmunzelten – und dann dachte ich: Recht hat sie! Ich möchte auch kein Schaf sein in meiner Kirche, das immer nur hinterher trottet, und von dem man erwartet, daß es nach Anweisung handelt. Und ich möchte nicht umgeben sein von lauter Schafen, die zufrieden sind mit allem, was man ihnen so vorsetzt, Hauptsache, es macht satt oder stillt den Durst. Kluge Hirten wissen, was in einem Schaf steckt und welche Qualitäten es entwickeln kann, wenn man ihm Freiraum läßt und Entfaltungsmöglichkeiten gibt. Schäfchen heute können in vielerlei Hinsicht gut für sich selbst sorgen und Verantwortung für die Herde übernehmen (nicht nur „Shaun das Schaf“); und sie folgen nicht jedem. Achtsame Hirten schätzen ihr Urteil und werben um ihr Vertrauen. Am Ende jedoch wissen alle: Der eigentliche Hirte sorgt gut für die Seinen, wenn schon Schaf, dann unter seinem Schutz. Er bringt uns zusammen, er be-hütet uns, - wenn es sein muß auch vor schlechten Schäfern.
Verlassen wir uns lieber auf Gott und sein lebensschaffendes Wort. Darin lesen wir, wie der eigentliche Hirte der Völker für seine Herde sorgt und für die, die sich um sie kümmern. Verlassen wir uns auf Jesus Christus, der sich selbst als guten Hirten vorstellt und als Gotteslamm, das sich für die Herde hingibt. Verlassen wir uns auf den Auferstandenen, der als König der neuen Welt auch in dieser herrscht. „Es wird regiert“: Gott selbst sorgt für seine Herde. Sie ist sein Eigentum. Der gute Hirte rennt nicht weg, wenn es gefährlich wird. Er lässt die Seinen nicht im Stich. Er gibt sein Leben für das ihre. …Ihm folgen wir nach. - Amen.