KONFI-IMPULS zu Johannes 14,23-27 von Christina Hirt

KONFI-IMPULS zu Johannes 14,23-27 von Christina Hirt
14,23-27

Gottes Geist – unsichtbar aber wirkungsvoll

Der Heilige Geist taucht thematisch im Konfirmandenunterricht oft nur am Rand auf. Vielleicht auch, weil die Konfirmationen vor Pfingsten abgeschlossen sind und die neuen Jahrgänge erst danach starten. Dabei könnte man einige Verbindungen im Jahresprogramm schaffen, beispielsweise bei den Themen „Unsere Gemeinde“, „Sterben und Auferstehung“, „Schuld und Vergebung“. Sie alle gehören ja zum dritten Glaubensartikel.

Einstiegsfrage: Es gibt Dinge, die können wir mit unseren Augen nicht sehen, aber wir können ihre Auswirkungen erkennen. Was fällt euch dazu ein?
Ergebnisse: Elektrizität, magnetische Felder, Wind, Sauerstoff, Gefühle (Angst und Liebe), Schall (wir können Worte nicht sehen – wohl aber hören), Wärme, Gravitation, Kraft. Von dieser ersten Sammlung lassen sich schon sehr viele Verbindungslinien zu biblischen Beschreibungen des Heiligen Geistes ziehen.

Bibel-teilen in der Gruppe
Nachdem wir in der Gruppe den Abschnitt aus dem Johannesevangelium gemeinsam gelesen haben, haben die Jugendlichen Worte oder Satzteile wiederholt, die sie besonders ansprechend fanden.
Interessant war für mich, dass sich die Mehrfachnennungen auf wenige Sätze, bzw. Satzteile konzentrierten:
„der Geist der Wahrheit“ (14,17)
„Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein;“ (14,18)
„Wer meine Gebote annimmt und sie befolgt, der liebt mich wirklich.“ (14,21)
„… und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.“

und wir werden bei ihm wohnen…
Was bedeutet das für dich? Hier die Antworten der Konfirmanden:
Dass ich einen inneren Frieden habe,
dass ich mich selbst lieben kann und weiß, dass ich wertvoll bin,
dass ich nie allein bin,
dass ich einen direkten Zugang zu Gott habe,
dass mir Vertrauen geschenkt wird.

Ich hatte den Eindruck, dass für die Jugendlichen der Aspekt der Nähe, der Würdigung und auch der Verbindung zu Gottes Kraft sehr ansprechend ist.
 

Perikope
24.05.2015
14,23-27

Kirche-sein, Christ-sein zwischen gestern und morgen! - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Jens Junginger

Kirche-sein, Christ-sein zwischen gestern und morgen! - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Jens Junginger
15,26-16,4

Kirche-sein, Christ-sein zwischen gestern und morgen!

Zwischenzeit, zwischen den Zeiten,
das ist die Zeit,
zwischen Totensonntag und 1. Advent
zwischen Weihnachten und dem Jahreswechsel
das ist die heikle, zerbrechliche und spannungsreiche Zeit
zwischen dem Erfahren der Todesnachricht und der Bestattung
zwischen der Mitteilung: wir haben bei ihnen ein Geschwür diagnostiziert und dem Zeitpunkt des operativen Eingriffs,
zwischen dem Ende der Weltkriege und dem politischen Neubeginn,
zwischen Weggehen, Heimat verlassen und dem Neustart in einem fremden Land.

Zwischenzeit, zwischen den Zeiten,
das ist die Zeit der Freunde Jesu,
zwischen Himmelfahrt und Pfingsten
zwischen dem endgültigen Wegsein Jesu
dem verunsicherten bedauerndem Blick zurück
und der Zögerlichkeit vor einer offenen ungewissen Zukunft,
zwischen dem Leben einer vielfältigen Glaubensgemeinschaft und
der Abgrenzung und Trennung in zwei eigene Richtungen.
 
Zwischen den Zeiten,
das kennzeichnet auch unsere heutige Situation als Christengemeinden,
als Kirche, als christliche Religion:
Zwischen einem verunsichert, zaghaften Dasein Hier und Jetzt und
einer neuen nach-, postchristlichen Zeit.
In einer solchen Zwischenzeit
neigen wir mehr zum seufzenden Klagen über den Verlust des Vergangenen und über die befremdlichen neuen Umstände als zur zuversichtlichen Hoffnung.

Der Evangelist Johannes schreibt sein Evangelium in eine solche Zwischenzeit hinein:

Im römisch besetzten Palästina haben die Römer 70 n. Chr. also etwa 40 Jahre nach Jesu Tod zum wiederholten Mal den Jerusalemer Tempel zerstört, den Sammel- und Identifikationsort des gesamten jüdischen Volkes – auch der Jesusanhänger.
Die Tempelzerstörung, das ist wie wenn man hier unsere Stadtkirche und alle anderen Kirchen auf einmal zerstören würde.
Stellen wir uns vor, wenn diese religiösen Identifikationsgebäude, diese „Glaubensgasthäuser“ [Fulbert Steffensky] und Zufluchtsorte für die dramatischen Stunden des Lebens,
für die Veröffentlichung der Sperrigkeit der biblischen Botschaft, 
für das Trösten und Trost empfangen der Glaubens-Geschwister
und für das Skizzieren der schönen Bilder, die das Gelingen des Lebens träumen,
wenn die auf einen Schlag weg wären.

Die erneute Zerstörung des Tempels – nach 70 n Chr rüttelte die gesamte jüdische Bevölkerung gewaltig durcheinander, verstörte und verunsichert sie.

Auch die religiösen Autoritäten suchten eine klaren Linie – so wie heute die politischen Autoritäten Europas eine klare Linie suchen, im Blick auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik: Reinlassen oder Abschotten.
Diese ganz eigenwillige prekäre Zwischenzeit fließt beim Evangelisten Johannes in Jesu Abschiedsrede ein, in der er  die Zwischenzeit  seiner Freude in den Blick nimmt – wenn er weg sein wird.
Johannes schreibt:

Wenn ich beim Vater bin,
werde ich euch den
Beistand schicken.
Das ist der
Geist der Wahrheit,
der vom Vater kommt.
Wenn er kommt,
wird er als Zeuge für mich auftreten.
Auch ihr werdet als Zeugen für mich auftreten,
denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
Das habe ich euch gesagt,
damit euch niemand von mir abbringen kann.
Sie werden euch aus der
jüdischen Gemeinde ausschließen.
Ja, es kommt die Stunde:
Dann wird jeder, der euch tötet,
meinen,
dass er Gott damit einen Dienst erweist.
Das werden sie tun,
weil sie weder den Vater
noch mich erkannt haben.
Ich habe euch das alles nicht von Anfang an gesagt,
weil ich ja bei euch war.

[Übersetzung Basisbibel]

Sind wir nicht weit weg, wovon hier die Rede ist,
auch von der Wahl der Worte, Sprachbildern
vom Synagogenausschluss/
vom Ausschluss aus der jüdischen Gemeinde ? 
Das sind wir – in der Tat. Und dennoch brauchen wir die Fremdheit mancher Texte um uns darin zu lesen, um etwas über uns selbst zu erfahren.

Ich will versuchen den Text in unsere Lage hinein zu übersetzen,
in der Erwartung und mit der Absicht
tatsächlich auch etwas über uns selbst zu erfahren
und für uns zu begreifen.
So kann der Text zu einem tröstlichen Beistand werden sein und vielleicht behilflich sein beim Aufspüren wo und wohin uns der Geist der Wahrheit weht.

Ich greife zu allererst das Phänomen des Ausschluss aus der jüdischen Gemeinde auf.
Es ist ein ganz spezifisches Kennzeichen für diese Zwischenzeit, nach 70.n.Chr.
Nämlich die Frage des Beibehalts einer Vielfalt von innerjüdischen Glaubensausprägungen und die der Abgrenzung.
Die kennen wir sowohl aus der Geschichte des Christentums selbst, der allgemeinen Religionsgeschichte und aus gegenwärtigen Entwicklungen:
 
Religionen bilden sich, formieren sich, verselbständigen sich, religiöse Strömungen entstehen, Richtungen und Konfessionen.
Die christliche geht aus der jüdischen hervor. Die evangelsiche Kirche bildet sich aus der katholischen Kirche heraus.
Auch gegenwärtig gründen sich fortwährend neue eigene freie christliche Gemeinschaften mit einer befremdlich eigentümlichen fundamentalistischen Bibelauslegung. 
Und wir beobachten neu was innerhalb des Islams an Unterscheiden  und Konflikten ausbricht ist, gerade unter Gruppen die sich bis aufs Messer abgrenzen (Bsp. Jemen)
Der Gemeindeausschluss besagte damals, in dieser prekären politisch und religiös verunsicherten Zwischenzeit,
dass die Juden, die an Jesus als den Messias glaubten nicht mehr in der Synagoge beim Gottesdienst dabei sein sollten.
Es wurden klare, eben auch ausschließende Glaubens-Richtlinien festgelegt.

Liebe Gemeinde,
dieser Textabschnitt aus dem Johannes Evangelium liest uns:

Nun ist die besondere Situation der Zwischenzeit
davon gekennzeichnet, dass sich etwas ändert.
Es bleibt zurück, was war.
Gegenwart und Zukunft trennen sich von der Vergangenheit. Erlebtes bleibt zurück, bekanntes, vertrautes, verklärtes vielleicht auch.
Es fehlt jemand.
Jesus blickt in seiner Abschiedsrede in diese Zwischenzeit seiner Freunde hinein und auf die Zeit nach ihm. Der Evangelist sieht zugleich die Zwischenzeit als Ende und Neubeginn für die Jesusgläubigen Juden.

Verlassen, unsicher, niedergeschlagen bleiben die Freunde zurück. Er ist tatsächlich weg,
aufgefahren in den Himmel.
Er ist und bleibt unerreichbar im Sinne von nicht greifbar.
Das ist auch unsere Situation als Christen.

Allein die inspirierende Botschaft von Jesus von Nazareth ist geblieben.
Sie hat zweifelsohne in den letzten Jahrzehnten innerhalb der nördlich-westlichen Hemisphäre an ihrer wegweisenden, begeisternden Wirkung deutlich eingebüßt.
In anderen Teilen der Welt ist das nicht so.
Auch wir sind unsicher:
Wir wissen oft nicht, wie wir sie rüberbringen können, in unsere Zeit hinein, dass der Inhalt verstanden und beachtet wird und relevant bleibt. 
Ein neues Bibliorama in Stuttgart ist ein attraktiv klingender Versuch die biblische Botschaft ins Heute zu übersetzen. In der Mitmachausstellung können die Besucher 14 biblischen Personen und Martin Luther begegnen.

Wir sind scheu und zurückhaltend darin geworden die Geschichten von der Rettung des Lebens, von der Befreiung aus Sklaverei, von der von Gott geschenkten Würde des  Menschen, von der Vergebung, vom Frieden laut und deutlich zu erzählen.

Wir sind nicht mehr wirklich stolz
auf die frohe Botschaft für die Armen
und darauf, dass man bei dem,
der viel hat auch viel holen soll,
und dass genug für alle da ist.

Wir sind ängstlich geworden,
für diese christliche/biblische Botschaften einzutreten und sie öffentlich und untereinander einzuklagen. Wir sind pragmatischer, angepasster und bescheidener geworden.

Ich kann mich in meiner beruflichen und gesellschaftlichen Position nicht outen, mit dem was ich glaube und dass ich glaube, sagte jemand, der nicht in dem Tuttlinger Kirchentagsbüchlein „Was glaubst du denn“ mit einem eigenen Text erscheinen wollte.

Wir sind deutlich unsicherer geworden:
Zuversicht, Hoffnung - gegen allen Augenschein- auszustrahlen,
das ist das Kennzeichen der Zwischenzeit, die wir erleben.
Wir haben das Bezeugen unseres Christlichen Glaubens und Haltungen ziemlich runtergefahren, obwohl wir keinerlei Nachteile befürchten müssen.
Der tröstliche Beistand, der Geist der Wahrheit, inspiriert uns allenfalls noch von Zeit zu Zeit.

Die Ankündigung eines tröstlichen Beistands in Jesu Abschiedsrede leistet uns aber heute Beistand, unser Dasein, unsere Lage als Christengemeinden/ Kirche zwischen den mitunter so wunderbar empfundenen guten alten christlichen Zeiten und dem nachchristlichen säkularen Zeitalter zu erkennen.

Gerade in dieser Zwischenzeit, zwischen den Zeiten – gilt es – so verstehe ich Jesu Abschiedsrede - nicht zu warten auf den für immer verreisten aufgefahrenen Hausherrn – sondern den Geist des Hausherrn wehen zu lassen, uns auszustrecken nach dem was vor uns liegt (Phil 3,3).
Denn diesen „Christus werden wir nicht loskriegen“[Peter Bichsel].
Dieser Geist der Wahrheit, dieser  Geist Gottes, der Geist dieses Jesus von Nazareth will uns Christenmenschen für Wahrheiten begeistern, auf die Menschen warten und angewiesen sind: Auf Wahrheiten,
die beherzt ausgesprochen, bezeugt sein und weitergeben werden wollen und eingeklagt werden sollen.
dass Gott uns trägt, bis ins Alter und wir grau und dement und sterblich werden
dass es verwerflich ist das Menschenleben unter dem gesellschaftlichen Kosten-Nutzen Faktor zu beurteilen – weder die Alten, Kranken noch die Flüchtlinge
dass Sorge und Fürsorge- Pflege- und Erziehungsarbeit gesellschaftlich wertgeschätzt und deutlich höher honoriert werden müssen
dass Respekt vor Rendite gehen muss
dass Kinder ein Recht auf religiöse Erziehung haben, mehr noch, dass sie darauf angewiesen sind zu Gast sein zu können in Geschichten die vom Leid und vom Gelingen erzählen, die beides, das traurige Elend und die Sehnsucht nach dem Land ohne Elend ausmalen
Der Geist  der Wahrheit will uns für die biblisch-christlichen Wahrheiten begeistern,
dass diese Erde ein Geschenk ist, kein Privatbesitz von Konzernen, sondern eine Leihgabe
dass Gott die Quelle allen Lebens ist und nicht wir Menschen,
dass Gott vor uns da war und nach uns sein wird
dass die Liebe zur Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung stets neu aufflammen möge und - dem Freihandelsabkommen zum Trotz  -   nicht verlöschen darf
dass wir begeistert, fröhlich taufen und als Eltern Paten Gemeinde unsere Gesichtszüge, unseren Glauben und unsere Optionen und den Schatz der Religion zeigen, so dass sie ihren eigenen Lebensglauben bilden können, auf ihrem Weg in das Land der Verheißung.

Zwischen den Zeiten,
zwischen Tradition, schamhafter Zurückhaltung und der Sehnsucht derer, die nach uns das Licht der Welt erblickt haben und erblicken werden,
der Sehnsucht nach tragfähigen Wahrheiten und zukunftsfähigen Überlieferungen,
zwischen den Zeiten, zwischen Himmelfahrt und Pfingsten,
da hören wir die unmissverständliche Ansage Jesu an uns:
„Ihr werdet als Zeugen für mich auftreten“.
Amen



 

Perikope
17.05.2015
15,26-16,4

Predigt zu Johannes 14,23-27 von Rudolf Rengstorf

Predigt zu Johannes 14,23-27 von Rudolf Rengstorf
14,23-27

(Judas, nicht der Ischarioth, fragte Jesus: Herr, was ist’s, dass du dich uns willst offenbaren und nicht der Welt?)

Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.  Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.(Johannes 14,23-27)

Liebe Leserin, lieber Leser!

Ganz unterschiedlich sind die beiden Lesungen, die wir im, Gottesdienst am Pfingstsonntag hören. Bei der ersten aus der Apostelgeschichte  geht ja regelrecht die Post ab. Wenn der Heilige Geist das kleine Häuflein der Jünger einem Sturme gleich so packt, dass sie mit Feuer und Flamme von Jesus erzählen und deshalb sofort verstanden werden, auch von denen, die aus Ländern mit schier unaussprechlichen Namen kommen. Eine story voller action, die sich sofort einprägt, weil man sie förmlich vor Augen hat.

Davon hat die zweite Lesung aus dem Johannesevangelium nichts. Die Begriffe wie Liebe, Wort Jesu, Tröster und Friede bleiben blass. Sie malen keine Bilder, geschweige dass sie die Hörer in eine Geschichte hineinziehen. Und ausgerechnet über diese zweite Lesung soll nun gepredigt werden. Und das - so mag man und frau befürchten - verheißt nichts Gutes.

Doch. Denn was hilft es, wenn wir hier ganz gegen unsere norddeutsche Art in Begeisterung machten über eine Kirche, die im Anfang vom Brausen des Geistes erfüllt und Feuer und Flamme war für den Glauben an Jesus und damit einen unglaublichen Erfolg hatte - nur um dann am Ende ernüchtert festzustellen. So ist das bei uns nicht. Macht nichts. Muss auch nicht. Weil das eine Sonntags- oder Kalenderblattgeschichte ist. Nicht dass es so was nicht gäbe - solche Festtage des Glaubens. Auf dem Kirchentag in Stuttgart werden das Zehntausende in wenigen Tagen wieder erleben.  Tage voller Schwung und geistlicher Hochstimmung; Tage, an denen es eine Freude ist, Christ zu sein und zu erleben, wie der Glaube spielend die Grenzen von Konfessionen und auch Parteien überspringt und einen nicht nur innerlich in Fahrt bringt. Doch die Regel ist das nicht. War es auch damals in den Anfängen der Kirche nicht.

Das zeigt die Frage eines Jüngers, die der zweiten Lesung unmittelbar vorausgeht: "Herr, was bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt?" Da können wir direkt anknüpfen: Was bedeutet es, dass alle Welt sich "schöne Pfingsten" wünscht, aber kaum jemand damit etwas zu verbinden weiß? Was bedeutet es, dass wir mit unserem Glauben nicht unser Umfeld auf unserer Seite haben, sondern eher von Gleichgültigkeit umgeben sind

oder sogar - wie weithin in den Medien - von arroganter Blasiertheit, die die christlichen Hinterweltler mitleidig belächelt? Solange die Christen am Gekreuzigten festhalten, war das nicht anders und wird es nie anders sein. Es wird nie und nimmer zum Volkssport, nie und nimmer zum massenattraktiven event werden, einen Gott zu verehren, der sich auf die

Seite der Opfer und der Verlierer stellt. Und da müssen wir gar nicht auf die da draußen sehen. Da brauchen wir nur ins eigene Herz zu schauen. Das hätte doch auch lieber einen Gott, der uns vor Unangenehmem bewahrt und sich nach unseren Wünschen und Sehnsüchten richtet. Das steckt in uns drin von Natur aus und ist ja auch sympathisch.

Doch Gottes Sympathie geht weiter bis zu denen, die ganz unten sind und bis hin in die Dunkelheiten und Abgründe unseres Herzens. Wie diese tiefgründige Liebe nach uns greift, davon handelt das Pfingstevangelium. Hören wir noch einmal hin:: 

"Wer mich liebt, sagt Jesus, der wird mein Wort halten."

Jesus lieben – irgendwie ist mir das zu intim, zu unmittelbar. Ihm gehört  meine Sympathie und mein Respekt, ja. Aber zur Liebe gehört  der direkte Austausch, und der fehlt bei Jesus.

Deshalb ist mir auch unwohl, wenn fromme Menschen von ihrer Liebe zu Jesus schwärmen und das auch von mir erwarten.  Aber es geht hier auch gar nicht um Gefühle sehr privater Art, sondern in der Beziehung zu Jesus geht es um Handfestes, es geht ums Halten, Festhalten seiner Worte, seiner Geschichten, in denen er sich uns in unverwechselbarer Weise begegnet und in die Pflicht nimmt. Uns dran zu halten, dass wir als Gotteskinder nicht nur ein Ego haben, sondern Nächste sind und so auch leben. Dass wir bereit sind, uns  Jesu Worten und Zumutungen  immer von neuem auszusetzen, darum geht es.

Und weiter: "Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen."

Was für eine Perspektive, die uns zu Pfingsten eröffnet wird! Wir werden zu Gott kommen, statt im Tode zu enden. Und mehr noch, viel mehr Wenn wir kommen, werden wir nicht kritisch beäugt, ob wir da auch wirklich hinpassen, ob wir das verdient haben, von ihm angesehen und empfangen zu werden. Nein, alle Türen stehen offen, so weit offen, dass

wir ihn nicht nur besuchen, sondern mit Sack uind Pack dort einziehen dürfen. Gottes Welt ist nicht zu heilig für das, was wir unter einem behaglichen Leben verstehen. Er braucht nicht nur Halleluja-Sänger um sich herum. Er will Hausgenossen, die mitbringen, was sie hier im

irdischen Leben schätzen und lieben gelernt haben. Nichts davon brauchen wir hinter uns lassen, nichts davon müssen wir uns möglichst schon im vorhinein abtrainieren. Alles kommt mit und ist willkommen.

Und wer soll das glauben, dass der unfassbare Gott uns, Ihnen und mir, so nahe kommt aus Interesse, ja aus Liebe zu dem bisschen Leben, das wir darstellen und mitbringen? Weil solche Fragen und Zweifel nicht abzuschütteln sind, haben wir seit Pfingsten einen Helfer.

"Der Tröster, der heilige Geist, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe."

Das Wort Tröster lässt sich ebenso mit dem Wort "Beistand" wiedergeben. Und beides ist gemeint. Beides brauchen und bekommen wir mit dem heiligen Geist.  Trost, wenn wir am Boden liegen, wenn der Glaube erstickt wird von allem, was gegen ihn spricht: Was für ein Segen, Worte. Bilder, Musik zu haben, die zu Herzen gehen, uns zu Tränen rühren und

uns zu verstehen geben: Da ist in allem Unheil noch eine ganz andere, eine heile Welt, und du gehörst dazu.

Und genauso brauchen wir den Beistand, der dafür sorgt, dass wir uns nicht verlieren in dem, was das Leben leicht und bequem macht. Denn Jesus ist beileibe ja nicht nur der Tröstende, sondern auch der uns in die Quere Kommende, auf unbequeme Wege Rufende, gegen den Strom Schwimmende. Gott sei Dank haben seine Worte immer von neuem eine so aufrüttelnde Kraft, dass sie uns ins Gewissen gehen und uns verändern.

"Den Frieden lasse ich euch. Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht."

In der Welt, wie Jesus und Johannes sie kannten, gab es den Frieden der Pax Romana - die Weltherrschaft der Römer. Da wurde alles Aufbegehren alles Freiheitsstreben mit eiserner Faust unterdrückt. Christen haben dagegen aufgemuckt. Und sie werden aufmucken, wo immer irdische Machthaber für ihre Politik göttliche oder totale Geltung beanspruchen. Der Friede Christi verklärt keine menschliche Herrschaft und lebt nicht auf Kosten von Unterworfenen. Er stellt sich Konflikten und arbeitet an ihnen. Das Heil aber erwartet er allein von Gott. Dieser Friede richtet verunsicherte Herzen auf und belebt die Furchtsamen. Deshalb: Frohe Pfingsten! Amen.

 

Perikope
24.05.2015
14,23-27

Predigt zu Johannes 14 von Tobias Götting

Predigt zu Johannes 14 von Tobias Götting
14

Pfingsten hat es schwer. Der Heilige Geist hat unter uns wahrlich ein Vermittlungsproblem. Oder wir mit ihm. Alles pfingstlich Begeisternde findet kaum Gehör bei meinen skeptischen Nachbarinnen und Nachbarn. Und die letzte Welle der theologischen Literatur zum Thema „Heiliger Geist" liegt nun auch schon wieder leicht angestaubt auf meinem Bücherregal, ohne dass entscheidende Inhalte daraus in mein Innerstes eingeträufelt wären oder ich einen tiefen Schluck davon gekostet und an andere hätte weitergeben können.

Wie sag' ich's also Ihnen oder meinem Kinde? Mit christlicher Mathematik: Dass bei uns Christen nämlich 1+1+1=1 ist. Weil Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist aus demselben Holz geschnitzt sind. Weil wir einen Gott kennen, der sich auf drei verschiedene Arten und Weisen zeigt, vielleicht sogar spürbar wird?

Manchmal versuche ich es mit Bildern. Gott ist wie der Wind, mein Kind. Das nennt man dann Heiligen Geist. Er ist nicht zu sehen, aber er flirrt um uns herum. Er ist wie die Luft, die wir zum Atmen brauchen und die uns umgibt. Geist - so verstanden ein anderes Wort für „Atem" oder „Wind". Vielleicht wie in der „Elia-Erzählung" aus dem 1. Könige-Buch, eher ein stilles, sanftes Säuseln, in dem Gott anwesend ist. Sanft, aber immer in Bewegung, belebend und erhaltend. Niemand kann ihn herbeizwingen, er weht, wo er will, und, ja auch das, er fehlt, wo er will.

Wie sag' ich's sonst noch der Gemeinde? Den leicht zynischen Versuch eines lieben Freundes von mir, der vor ein paar Jahren seine Pfingstpredigt mit dem Satz begann: „Sie fragen, was Pfingsten ist? Nun, das ist ganz einfach: Pfingsten ist das Fest der leeren Garagen!" finde ich zwar pointiert formuliert, aber auch er führt nicht direkt in pfingstlichen Freudentaumel...

Vielleicht ist der Heilige Geist so etwas wie ein Souffleur, der unsichtbar für die Zuschauenden irgendwo in der Theaterbühne versenkt ist. So wie dieser Textflüsterer einen Schauspieler über einen „Hänger" hinüberrettet, so haucht uns der Heilige Geist den für uns und andere richtigen Text ein. Wenn wir dabei sind, uns in Vorwürfen oder Missverständnissen zu verzetteln, pustet er unsere Ohren durch und überrascht uns mit immer neuen Einladungen und Versuchen, aufeinander zu hören.

Vielleicht ist er es auch, der uns begeistert und mit allen möglichen Gaben inspiriert, was ja auch nur ein anderes Wort für „begeistert" ist. Vielleicht fällt wirklich alle Inspiration vom Himmel, ist unverfügbares Gottesgeschenk, Werk oder Frucht des Heiligen Geistes.

Vielleicht ist er die Kraft, die in unser Leben hineinwirkt. Die uns daran erinnert, dass es mehr gibt als die Gleichförmigkeit vieler unserer Tage. Der Heilige Geist als Erinnerungs-Hilfe, als Gedächtnis-Stütze, dass uns viele Möglichkeiten offen stehen, den Tagen mehr Leben zu geben. Der Heilige Geist als Weck-Dienst unseres Bedürfnisses nach dem Höchsten - im Gegensatz zu mancher Trivialität des Alltags.

 Als Mutmacher, dieses schöne schwere Leben zu wagen, trotz allem. Der Heilige Geist als Aktions-Künstler, der die lähmenden Trägheiten überwinden hilft, anspornt zum Verlassen der ausgetretenen Pfade. Oder auch die Kraft, die manche Ruhelosigkeit in Erfülltheit und unsere Traurigkeiten in Freude umschmelzen will und kann.

Und sicher ist er es auch, der Heilige Geist, der uns zum Gebet verlockt. Wenn uns die Worte fehlen, ist er es, der in uns und durch uns spricht. Denn wir wissen nicht, wie wir beten könnten, der Geist aber verhilft uns zu unserer Stimme. Er fragt, klagt, stöhnt in uns mit unaussprechlichem Seufzen. Und lässt uns - manchmal - so viel mehr sagen, als was wir selber herstellen, garantieren und verantworten könnten. Und lässt uns „loben, ohne zu lügen" (Dorothee Sölle). Wir können das, wir haben guten Grund dafür, denn wir sind nicht von allen guten Geistern verlassen.

Vielleicht ist der Heilige Geist auch der, als der der Abschnitt aus dem Johannes Evangelium ihn uns vor allem ans Herz legt: der Tröster, der uns an alles erinnert, was Jesus getan und gesagt hat. Vielleicht ist das das Größte, was der Geist in uns bewirkt. Trost, auf pfingstliche Art: dass wir uns Gottes erinnern. Endlich.

Jesus spricht in den Versen unseres Predigttextes so etwas wie sein mündliches Testament an seine Freunde. Er verknüpft die Botschaft von der Tröstekraft, die kommen wird, wenn sein irdischer Lebensweg vollendet sein wird, mit einem weiteren, besonderen Geschenk:

 „Den Frieden lasse ich euch. Meinen Friede gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht."

Gott sei Dank. Kein billiger Trost, Kein vorschnelles Vertrösten. Kein Zukleben von Ängsten und Sorgen und Nöten mit einem kleinen pfingstlichen

Trostpflästerchen.

Jesus erkennt an, was der Fall ist. Wir haben Angst. Ja, es gibt Grund, zu erschrecken. Man kann zusammenzucken bei Nachrichten, die aus der großen weiten Welt via Bildschirm in die Wohnzimmer gespült werden. Man kann zittern, wenn die Angst um einen geliebten Menschen oder eine Liebe zum bestimmenden Inhalt nicht enden wollender Tage und quälender Nächte wird. Nichts schlimmer, als einfach darüber „hinwegzupfingstlern", hinwegzuhuschen.

Angst benennen, aussprechen lassen, aushalten. Das wäre der Anfang eines neuen pfingstlichen Weges. In der Erinnerung an Jesus, der auch nicht gewichen ist, der ausgehalten hat. Und dessen Vertrauen auf den Gott, der inneren und äußeren Frieden stiften will, dennoch nicht klein und schon gar nicht totzukriegen war.

Sich Gottes und seines Wirkens zu erinnern - da steckt Trostkraft drin, die ein Stück „Pfingsten in meinem Leben" wäre.

Wir haben es erlebt, in ganz verschiedenen Momenten und Orten und Situationen. Sich an Jesu Wirken zu erinnern, an seine Worte - das ist wie ein Beherbergtwerden in einem schützenden Zelt, das ist wie ein Unterschlüpfen unter ein sicheres Dach. So will ich immer wieder einziehen in seine Wortwohnungen. Zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen … Selbst wenn ich nur auf Probe darin wohne, in seinen Sätzen, will ich doch für wahr halten, was er sagt. Wenn er die, denen viel zugemutet wird, glücklich preist. Wenn er diejenigen, die sich für Frieden einsetzen, ganz in die Nähe zu Gott hin denkt und seine Kinder nennt.

Diejenige Kraft, die uns an all diese Worte Jesu erinnert - die nennt er selber den Tröster, den Heiligen Geist.

Den Trost, der aus dem Wehen des Heiligen Geistes sich speist - nie habe ich ihn so eindrücklich erlebt wie bei einem Geburtstagsbesuch im Altenheim. Die alte Dame, seit einigen Jahren demenzkrank, sitzt im großen Ohrensessel. Mühsam war es für die Pflegenden und sie, dass sie überhaupt noch einmal aufgesetzt wurde. Um sie herum haben sich die engsten Verwandten versammelt. Alle ahnen, dass es wohl der letzte Geburtstag ist, der hier gefeiert wird. In den letzten Wochen hat die alte Dame mehr und mehr das Sprechen eingestellt, oft sind die Augen geschlossen. Alle geben sich Mühe, mit ihr in Kontakt zu kommen, aber sie antwortet nicht, und nur selten schaut sie aus den müden Augen in die traurig-fröhliche Runde. Ich versuche es mit einem Gespräch über ihren Lebensweg, zusammen mit den anderen zeichne ich Stationen nach. Wir sprechen aus, was uns mit ihr verbunden hat, heute verbindet und auch in Zukunft verbinden wird. Noch einmal würdigen, was war. Noch einmal sich - in diesem Augenblick vielleicht sogar stellvertretend - erinnern. Vielleicht in ihr doch manche Bilder und Situationen einmal noch emporangeln aus dem Meer des ins Vergessen gesunkenen Lebens. Irgendwann muss ich weiter. Zum Abschied gehe ich noch einmal ganz nah an das Ohr der alten Dame, halte ihr einen mitgebrachten kleinen Bronze-Engel vor die Augen und sage: „Erika, Gott hat dich so lieb, dass er dir einen Engel schickt. Der passt auf dich auf. Auf allen deinen Wegen." Sofort öffnet sie die Augen. Sie sieht den Engel, dann mich an - und sie spricht an diesem Nachmittag die ersten und die letzten Worte, nein, mehr noch, einen ganzen Satz: „Dass er so an mich denkt …"

Sich Gottes zu erinnern, dass sie sich in diesem Augenblick so staunend erinnert, an eine vielleicht längst ins Vergessen gerutschte Gewissheit - ich kann nicht anders, als diesen einen heiligen Moment auf den Tröster, den Heiligen Geist zurückzuführen. Selten habe ich ihn unmittelbarer wirken sehen. Es war schön, dass dieses kleine Pfingstfest sich ereignen konnte. Zwei Tage später ist die alte Dame verstorben.

Dass wir uns Gottes erinnern, dass wir nicht in der Gottvergessenheit bleiben - daran arbeitet die Heilige Geist-Kraft, der Tröste-Geist. Und ich glaube, er hilft uns auch, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Er will uns zu Virtuosen des Erzählens unserer Erfahrungen mit ihm werden lassen. Damit könnten wir zu Pfingsten neu anfangen: uns ge-genseitig an Gott zu erinnern. An seine Spuren, die in unseren Lebensläufen sichtbar geworden sind. Wir könnten lernen, in den Biografien anderer zu lesen, wie Gott dort gewirkt hat. Wie in ihrem Leben sein Geist am Werk war.

Tröstend. Heilend. Befreiend. Belebend. Inspirierend!

Amen.

Gebet des Tages:

 Komm, Gott, Heiliger Geist, hauch uns an, weh' durch uns durch, nimm uns mit, mach uns neu, gib uns Mut, steck uns an - dass wir Gott nicht vergessen und uns und die Menschen neben uns auch nicht. Das bitten wir dich, der du lebst und wirkst in der Einheit mit dem Vater und dem Sohn.

Bausteine für ein Fürbittengebet:

 Gott, heiliger Geist, du bist wie der Wind, der uns von Gott erzählt. Hilf uns, dein Wehen zu hören und zu verstehen. Lass uns deine Stimme nicht überhören und lass uns das weitersagen: Du wirkst hinein in unser Leben. Gott, heiliger Geist, du bist wie eine alte Lehrerin, die uns an Gott erinnern will. Hilf uns, dass wir das nie vergessen. Lass uns deine Stimme sein, wo Gottvergessenheit sich breit macht, und lass uns das weitersagen: Du lebst mitten in unserem Leben.

 

Perikope

Trost und Feindschaft – wie geht das zusammen? - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Christoph Schweizer

Trost und Feindschaft – wie geht das zusammen? - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Christoph Schweizer
15,26-16,4

Trost und Feindschaft – wie geht das zusammen?

Ein Foto. Darauf ist eine Dose zu sehen mit einem Kreuz drauf.

Eine katholische Bekannte hat das Foto gemacht und im Internet veröffentlicht, auf Facebook.
Dazu schrieb sie: „Es ist schön, dem Muttertag mit diesem ‚Geschenk‘ Ausdruck zu geben.“
Dann hat jemand nachgefragt, was das für eine Dose ist.
Und sie erklärt: „Meinen Eltern geht es beiden nicht so gut und ich habe ihnen die Kommunion nach Hause gebracht, in einem Minigottesdienst mit ihnen. Ist sehr berührend.“

Das fand ich dann auch berührend.
Die Tochter, die ihren kranken Eltern den Gottesdienst nach Hause bringt, mit den Oblaten von der Kommunion.
Was für eine schöne Geste. Liebe. Trost. Geist.

Ich werde später auf diese kleine Geschichte zurückkommen.
Doch nun lassen Sie uns zuerst den Predigttext hören.
Er steht im Johannesevangelium Kap 15,26 bis 16,4.
Dort sagt Jesus:

26 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht – der wird Zeugnis geben von mir.
27 Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
16,1 Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt.
2 Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. 3 Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen.
4 Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.

Zwei Tonlagen in einem Text.
Der Abschnitt beginnt mit ganz positiven Formulierungen und Wörtern, die schmeicheln oder auch unsere Neugier wecken:
Wenn „der Tröster kommen wird“ – ja, Trost ist gut.
Bei Trost sein.
Getröstet – nicht vertröstet.

Wahrheit, Geist. „Geist der Wahrheit.“

Ich und der Vater – und ihr. Wir gehören zusammen.
Wir reden, einer im Namen des andern. Denn wir gehören zusammen, wir tragen Gottes Botschaft in die Welt.
Der Geist redet von mir – „gibt Zeugnis von mir“.
Und auch ihr seid meine Zeugen.
Wenn ihr da seid, ist etwas von mir da. Und von dem Vater. Und von dem Geist.

Es geht um Beziehung.
Jesus, und Gott – und wir. Wir haben es miteinander zu tun.
Schön!

Aber der Text hat zwei Seiten.
Beziehung ist die eine. Abgrenzung die andere.

Denn da sind andere. Feinde. Die wollen uns an den Kragen.
Jesus macht die Jünger mit dem, was er da sagt, zu Mitstreitern in einem Kampf.
„Wir müssen zusammenhalten. Ihr dürft nicht abfallen. Sie wollen euch töten.“

Von was für einem Kampf redet er?
Na, zum einen macht der Zusammenhang deutlich:
Unser heutiger Abschnitt gehört zu den Abschiedsreden Jesu.
Kurz darauf wird Jesus tatsächlich verraten und hingerichtet.

Und wir, die wir das lesen, wir, die wir ihm nachfolgen…
uns bereitet er darauf vor, dass es uns nicht besser geht.
Dass wir in einer feindlichen Welt leben. Dass man uns an den Kragen will.

Aber was sind das für Feinde?
In der Dramaturgie des Johannesevangeliums sind es zunächst die Juden. Das ist kein Zufall. Es hat historische Gründe.
Die Erinnerung an die Rivalität und Feindschaft zwischen Juden und Christen ist noch frisch.
Beide rangen miteinander um das richtige Verständnis der Schrift.
Juden werfen Christen vor, dass Jesus mit seinem Anspruch, Gottes Sohn zu sein, Gott gelästert hat.
Christen werfen Juden vor, es nicht begreifen zu wollen, dass Jesus der lang ersehnte Messias ist.
Ein tiefes Unverständnis, Rivalität, Feindschaft. Feindschaft – unter Verwandten. Das ist ja oft die bitterste Feindschaft.
Nämlich die unter Leuten, die sich eigentlich nahe sind, und die gerade deshalb besonders bitter voneinander enttäuscht sind.

Durchs ganze Johannesevangelium zieht sich dieses Motiv:
Hier sind wir, auf der einen Seite, in einem engen und immer enger und vertrauter werdenden Vertrauensverhältnis: Jesus, der Vater, der Tröster-Geist – und die Gemeinde, die Menschen, die zu Jesus, zu dieser guten, innigen Beziehung halten.

Und dort: Die andern. Die feindliche Welt. Die ihn nicht aufnimmt. Die ihn ausstößt. Angreift. Tötet.
Die Juden zuerst. Aber eigentlich stehen sie im Johannesevangelium ganz allgemein für die feindliche Welt.

Und was ich mich dabei die ganze Zeit frage, ist dies:
Hat der Text – hat Jesus, oder genauer: hat der Jesus des Johannesevangeliums eigentlich recht mit dieser harschen Gegenüberstellung?
Hier wir, die Gemeinde, und Jesus und Gott und der Geist, die wir uns liebevoll zugetan sind –
und dort die Feinde, die Welt, die, die falsch glauben und uns ans Leben wollen?

Das ist die Frage, an der ich herumkaue, so lange ich mich mit diesem Text beschäftige. Ich kämpfe dabei mit  zwei ganz widersprüchlichen Impulsen:

Der eine Impuls: Der Predigttext hat nicht recht. Das geht doch nicht so! Das ist doch Fundamentalismus oder Sekte pur, wenn ich dauernd durch die Welt laufe mit dem Gefühl: Das sind alles meine Feinde. Nur wir in der Gemeinde sind die Guten.

Und der andere Impuls:
 Ich kann doch Jesus nicht so harsch widersprechen.
Wer bin ich denn?
Und Fakt ist doch: Er wird tatsächlich hingerichtet, auf übelste Weise. Sein Weg der Liebe führte ihn tatsächlich bis in den Tod – den Tod für uns.
Es gab Feinde. Und vielerorts gibt es sie noch – gibt es die Situation, dass Menschen sich wegen ihrer Religion umbringen.
Es gibt die Gräuel des IS – gegen alle andersgläubigen, seien es Muslime oder Leute mit anderer Religion.
Es gab und gibt auch Gräuel im Namen des Christentums, leider.
In Nordirland und anderswo gingen Christen im Namen ihrer Konfession aufeinander los.
Auch die Konflikte im untergehenden Ex-Jugoslawien waren oft religiös und konfessionell geprägt.
Und Gewalt im Namen der Religion ist universell.
Wir lesen in der Zeitung von Anschlägen radikaler Hindus, von fanatischen ultraorthodoxen Siedlern in Israel. Die Liste der religiös motivierten oder zumindest religiös gefärbten Gewalt ist lang.

Es scheint also Fakt zu sein: Religion redet von Verständnis, und Liebe, Solidarität und Gemeinschaft. Religion hat es aber ganz oft mit Konflikt, Auseinandersetzung und Feindschaft zu tun.

Entweder, weil Religion missbraucht wird, um Konflikte zu legitimieren. Oder aber, weil es wirklich um Religion geht, um das intensive Ringen darum, wer nun wirklich recht hat.

Jesus bereitet die seinen darauf vor, dass dieses Ringen durchaus gewaltsam und leidvoll sein kann.
Er schwört sie darauf ein, bloß nicht abzufallen.
Bei ihm zu bleiben. In Beziehung. Mit ihm, dem Vater, dem Geist.

Was für zwei unterschiedliche Welten sich öffnen in den beiden Teilen! Bei den einen Worten gehen das Herz und der Himmel auf.
Bei den anderen schnürt sich alles zu, wird es angstvoll und eng. Da klingt es nach Durchhalteparolen.

Gehört beides zusammen? Ist das zwingend so?

Oder kann es sein, dass beides richtig ist?
Liebe, Verständnis, Gemeinschaft, Trost – diesen Zusammenhalt gibt es nur, wenn wir gleichzeitig auch die andere Seite sehen: Die feindliche Welt, die genau diese Liebe, dieses Verständnis, die Gemeinschaft und den Trost rauben will und gegen die wir bestehen müssen.

Und gleichzeitig: Liebe, wahre Liebe und damit auch echten Glauben gibt es nur da, wo wir die Rüstungen ablegen. Wo wir uns ins Auge schauen, uns nicht mehr misstrauen.
Wahre Liebe und wahren Glauben kann es gerade nicht um den Preis geben, dass wir uns abschotten und irgendwelchen möglichen Feinden misstrauen.

Für das Johannesevangelium lag ja die Abgrenzung, das Rechnen mit Anfeindungen von denen da draußen nahe. Da ist ja nicht nur die Erinnerung an die alte Familienfeindschaft zwischen Christen und Juden. Sondern da ist auch die tägliche Erfahrung, dass die noch kleine Gruppe der Christen im römischen Reich in einem Umfeld sich behaupten muss, in dem religiös zwar ganz vieles möglich ist. Es gibt viele verschiedene Kulte im römischen Reich, in den verschiedenen Regionen.  

Aber eines müssen alle: Den Kaiser wie einen Gott verehren.
Da machen die Christen nicht mit (die Juden übrigens auch nicht).
Und darum sind sie Außenseiter in der römischen Gesellschaft.
Die Welt ist tatsächlich feindlich ihnen gegenüber, auf vielerlei Weise.
Von vielen kleinen alltäglichen Benachteiligungen und Ausgrenzungen bis hin zu offener Feindschaft, vieles war möglich. Feindseligkeit ist ja äußerst erfinderisch und nimmt viele Formen an.

Und hier kommt der Knackpunkt:
Die Situation der ersten Christengemeinden ist nämlich mit unserer Situation überhaupt nicht zu vergleichen. Und darum können wir Texte wie den Predigttext nicht eins zu eins auf uns übertragen!
Dass die Welt gegenüber Gott und der Gemeinde feindselig eingestellt ist – vielleicht ist was dran, das müssen wir uns noch genauer anschauen.
Aber sicher ist diese Feindseligkeit nicht vergleichbar mit der Situation vor 2.000 Jahren.

Seit 1.700 Jahren hat die Kirche großen Anteil am öffentlichen Leben.
Und darum kann bei uns keiner mehr so tun, als könne man sich zurückziehen in eine weltfreie Kirche.
Die gibt es nicht. Kirche und Welt sind bei uns eng aufeinander bezogen, miteinander verschränkt.
Das Christentum hat unsere westliche Welt entscheidend mitgeprägt.
Sie auseinanderzuhalten ist vielleicht unmöglich, auf alle Fälle aber sehr kompliziert.

Uff, das war schwere Kost bisher.
Der Versuch, argumentativ mit dem Text klarzukommen.
Mit der Gegenüberstellung von Liebe und Gemeinschaft und Verständnis auf der einen Seite, in der Gemeinde, und dem Thema Feindschaft und Ablehnung auf der anderen Seite, die wir wahrnehmen und beim Namen nennen und mit denen wir rechnen müssen.

Mit beidem zu rechnen, ist richtig. Einerseits.
Es nicht zu tun, wäre eine anbiedernde Kuscheltheologie, über die viele lästern, oft zu Recht.
Es wäre eine Theologie, die so tut, als wäre alles gut und alles irgendwie eins und alles voller Verständnis und klar.
Nein, ist es nicht!
Unser Leben ist nicht gut und eins und klar, und unser Glaube und unsere Kirche sind es auch nicht.

Mit beidem zu rechnen, mit Liebe und Verständnis und mit Feindschaft, ist also wichtig.
Es kann aber auch sehr falsch sein.
Wenn es nämlich dazu führt, dass wir Rüstungen anziehen, Mauern hochziehen, vor lauter uns-einstellen-auf Feindschaft selber feindselig werden.
Und so tun, als wäre unsere Situation so ähnlich wie die in der frühen Christenheit, als Kirche und Welt sich tatsächlich fremd und feindlich gegenüberstanden.

Es ist ja viel vertrackter.
Wir sind nämlich zugleich Kirche – und Teil der Welt. Jede und jeder von uns.
Wir nehmen Teil in der Sphäre von Liebe und Verständnis, wir erleben tiefe Gemeinschaft und Sinn.
Und zugleich sind wir selbst, jede und jeder von uns, Teil der feindlichen, der feindseligen Welt.
Die Spaltung geht doch mitten durch uns durch.

Manchmal sehen wir sie.
Manchmal leiden wir darunter, dass wir das Böse wahrnehmen – und doch selbst auch Dinge tun, von denen wir wissen oder ahnen, dass sie nicht gut sind.
Manchmal leiden wir darunter, dass wir es einfach nicht besser hinkriegen.

Und manchmal freuen wir uns, weil dann doch, inmitten der oft undurchsichtigen Welt, unserer Welt, etwas aufblitzt von Gottes Welt.

Sie erinnern sich an die Szene vom Anfang.
An dieses besondere Muttertagsgeschenk:
An die Bekannte, die ihren kranken Eltern die Kommunion nach Hause gebracht hat.

Was für eine schöne Geste. Liebe. Trost. Geist.
So kann sie aussehen, die Gemeinschaft, von der unser Predigttext spricht. In der Vater und Sohn und Geist und wir alle zusammengehören, alle Familie sind, einander trösten und beistehen und Freude und Hoffnung machen.

Doch der Riss von Gottes Heil und feindseliger Welt geht mitten durch unser Leben hindurch. Da gibt es diese Szene von der Tochter, die sich um ihre alten Eltern sorgt.
Aber wir erfahren nichts darüber, was zwischen Tochter und Eltern an den anderen Tagen passiert.
Ich weiß nur: die Tochter hat einen verantwortungsvollen Job.
Gut denkbar, dass sie das Gefühl hat, viel zu selten zu ihren Eltern zu kommen. Gut möglich, dass sie oft ein schlechtes Gewissen hat.
Und dass die Dankbarkeit der Eltern, wenn sie sich mal sehen lässt, ihr schlechtes Gewissen noch vergrößert.

Und wie sieht die Geschichte aus der Perspektive der Eltern aus?
Die sich heute freuen über die rührende Geste der Tochter und den Hausgottesdienst – und denen es morgen wieder nicht so gut geht?
Die Schmerzen haben und Angst?

Es geht ein Riss durch unsere Welt.
Und wir können nicht so tun, als würden wir nur auf der einen, auf der heilen, göttlichen Seite existieren.

Aber wir können uns Geschichten der Hoffnung erzählen und Bilder des Trostes zeigen.
Bilder und Geschichten, die aufblitzen lassen, wie Gott es meint mit uns. Und das inmitten unseres oft heillosen Durcheinanders.

Diese Geschichten sind manchmal ganz unspektakulär.
Eine kleine Dose mit einem Kreuz darauf.
So geht Kirche. So geht Glaube. So geht Trost.
Und dann aber auch: Hinschauen, wo das Leben nicht gut ist, wo wir ratlos sind, wo wir widersprechen sollen. Beides gehört zusammen.
Amen.

 

Perikope
17.05.2015
15,26-16,4

Mut zum Sein! - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Klaus Pantle

Mut zum Sein! - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Klaus Pantle
15,26-16,4

Mut zum Sein!

Jesus spricht: Wenn aber der Beistand kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird über mich Zeugnis ablegen.
Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht strauchelt.
Man wird euch aus der Synagoge ausstoßen.
Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, Gott damit einen Dienst zu leisten. Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen.
Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr euch daran erinnert, dass ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.


1
„Wir wissen, dass jeder von uns für sich krepiert, und wir gehen davon aus, dass die Welt sich auch ohne uns dreht. Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Wenn jemand stirbt … vielleicht stirbt ja dann alles, jeder und alles und nur ein Nichts bleibt übrig, ein Hohlraum. (Oder Geister, Geister wären ein Trost).“ Das sagt die Bühnenfigur Barbara Fordham in Tracy Letts Theaterstück „August: Osage County. Eine Familie“. Der soeben beerdigte Vater war das geheime Zentrum der Familie und hatte sie zusammengehalten. Auf der Bühne wird nun vorgeführt, wie ein Sozialgefüge durch einen Tod buchstäblich auseinanderfliegen kann. Am Ende fragen sich die Hinterbliebenen: Was bleibt? Und was wird?

Genau dies hat der Verfasser des Johannesevangeliums im Blick: die Gefahr, dass nach Jesu Tod die noch junge Lebensgemeinschaft der ihm Nachfolgenden zerfallen könnte.  So lässt er Jesus wie eine Bühnenfigur vor seinem angekündigten Tod einen großen dramatischen Monolog halten, seine „Abschiedsrede“: „Wenn ich nicht mehr bei euch bin, bleibt ihr nicht allein. Ein anderer wird an meine Stelle treten: ‚der Beistand’, der zugleich ‚Tröster’ ist und ‚Geist der Wahrheit’. Der wird unter euch gegenwärtig sein, uns in Verbindung und euch in Bewegung und die Gemeinde am Leben halten.“

Aber die Fragen: Was bleibt? Und was wird? - die bleiben. Sie stellten und stellen sich nach Jesu Tod bis heute immer wieder neu. Wie zeigt er sich, dieser „Beistand“? Wie wirkt er, dieser „Tröster“? Wie kann es aussehen, ein Leben im „Geist der Wahrheit“?

2
Vielleicht kann uns der Autor Göran Rosenberg auf eine Spur bringen. Er erzählt folgende Begebenheit:
„Als wir an einem frühen Abend Anfang Mai das kahle Zimmer in jenem staatlich finanzierten, privat betriebenen und mit Gewinn arbeitenden Pflegeheim betreten, in dem mein Schwiegervater im Sterben liegt, sitzt dort ein junger Mann und hält ihm die Hand. Es handelt sich um ein provisorisches Pflegeheim für sehr alte und sehr hilflose Menschen, die alle nicht mehr lange zu leben haben… Jetzt dauert es nicht mehr lang, sagt er, sieht auf und lächelt zärtlich, er lächelt weniger uns an als vielmehr den sterbenden Mann im Bett. Erst als Schwiegermutter sie ihm vorsichtig abnimmt, läßt er die Hand los. …
Als alles vorüber ist und wir in den provisorischen Korridorverstecken eine Kerze gefunden und für ein wenig Andacht um das ruhige Bett gesorgt haben, als dann ein Arzt erscheint, um den Todesfall zu bestätigen, fällt mir der junge Mann ein, der Schwiegervater die Hand gehalten hat. Warum hat er das getan?“


Warum hat er das getan? Der junge Mann war dort Aushilfspfleger, von einer Leiharbeiterfirma für kurze Zeit und wenig Geld „ausgeliehen“ für bestimmte Handlangerdienste. Rosenberg erfuhr, dass der junge Mann sich mit seinem Schwiegervater zu dessen Lebzeiten öfter unterhalten hatte. Das war nicht einfach, da dieser schwerhörig und langsam im Begreifen war und nur Schwedisch sprach, was die wenigsten Aushilfskräfte dort gut konnten. Der Hilfspfleger, der aus Griechenland stammte, sprach gut Schwedisch. Er pflegte sich mit dem alten Mann zu unterhalten – er „kannte“ ihn also -, obwohl das nicht zu seinen Aufgaben zählte, obwohl er dafür nicht angestellt war und dafür auch nicht bezahlt wurde. Das löste in Rosenberg ein Nachdenken aus über die Frage, was Menschen zum Guten, was sie, selbst unter prekären Arbeits- und Lebensbedingungen, zum Menschlichsein antreibt - welcher „Geist“ das ist.

Das ist eine elementare Frage im Blick auf unser Zusammenleben in der Gegenwart: Wie können wir „menschlich“ miteinander umgehen und zusammen leben in einer Gesellschaft und in einer Welt, wo vor allem zählt, was wettbewerbsfähig ist, was sich rechnet und Profit abwirft? Dem nicht nur Stand zu halten, sondern dagegen zu halten und dabei weder in Resignation noch in hilflose Wut zu verfallen, ist nicht einfach.

Der „Geist der Wahrheit“ treibt uns zuerst zur Erkenntnis der Wahrheit über uns selbst. „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, sagt der Psalmist (Psalm 90,12). Ein Intellektueller wie Rosenberg denkt bei diesem Thema an Aristoteles. Der sagt, dass sich ein gutes Leben für den Menschen nur verwirklichen lässt, wenn er über sich nachdenkt, z.B. darüber, wie er lebt, und wenn er begreift, dass sich ein gutes Leben nur in guter Gemeinschaft mit anderen Menschen führen lässt. Das setzt voraus, dass man sich selbst mit seinen Trieben und Bedürfnissen beschränken und zurücknehmen kann. Der zweite, der Rosenberg in den Sinn kommt, ist der Philosoph David Hume. Der schreibt 2000 Jahre nach Aristoteles, dass das Erkennen unserer menschlichen Einsamkeit und Zerbrechlichkeit wie unserer menschlichen Zusammengehörigkeit bei uns Menschen eine „milde Gefühlsregung gegenüber anderen und eine großzügige Fürsorge für unsere Art und Gattung“ bewirken kann. Das sei letztlich die Quelle dessen, was Hume unter „Moral“ verstand und Aristoteles unter „Tugend“.
„Wissen um unsere menschliche Situation“, schreibt Rosenberg, „nennen wir mit einem gebräuchlichen Wort ‚Gewissen’.“ Gewissen – das ist das Wissen, das uns mit anderen Menschen verbindet und uns dazu bringt, Dinge zu tun, die wir nicht für uns selbst als Individuen tun, sondern für uns selbst als Mitglieder einer Generationen und Individuen überschreitenden Gemeinschaft.
Das setzt voraus, dass wir uns von einem Geist bewegen lassen, der in uns nicht nur Selbsterkenntnis, sondern auch Einfühlungsvermögen weckt, der unsere Fähigkeit und unsere Lust zur Kommunikation anregt, der uns teilhaben lässt an einem kollektiven Gedächtnis und der für die Übernahme langfristiger Verantwortung und Verpflichtungen mobilisiert. Das sind die Voraussetzungen dafür, dass diese Fähigkeiten entstehen, dass sie sich entwickeln und von uns an unsere Kinder und Kindeskinder weitergegeben werden können.

Beim Umgang mit Alten, Kranken und Schwachen jeglicher Couleur lässt sich wie unter einem Brennglas erkennen, wo die Konfliktpunkte zwischen einem von einem „weltlichen“ und von einem „christlichen“ Geist gesteuerten Verhalten liegen. Wenn Krankenhäuser und Pflegeheime primär dazu dienen, Profit zu erwirtschaften, wenn Versicherungen Pflegende dazu zwingen, nur die vertraglich festgelegten Handreichungen zu erledigen und nicht das, was notwendig und aus menschlichen Gründen naheliegend zu tun ist, dann widerspricht das radikal einem Leben im christlichen „Geist der Wahrheit“. In einem System, in dem „persönliche Beziehungen zu den Klienten etwas Verbotenes darstellen – etwas, das man verbirgt, unterdrückt, worüber man am liebsten nicht spricht -, werden verbotene Dienstleistungen außerhalb der bezahlten Arbeitszeit zu einer Art Protesthandlung“ – zu einer Protesthandlung aus dem „Geist der Wahrheit“.

3
Natürlich kann man in unserer Welt den Glauben an die Wirkmächtigkeit dieses Geistes verlieren. Die Kraft, daran festzuhalten, kann einem entschwinden. Kaum jemand, der bewusst wahrnimmt, was um uns herum geschieht, dürfte unberührt bleiben von öffentlich ausgestellter blanker Tötungslust und von Krieg und Terror als Mittel politischer Auseinandersetzung auf Kosten Unschuldiger. Und der Blick auf undurchschaubare wirtschaftliche Geflechte, die soziale Verwerfungen weiter vertiefen anstatt nach Ausgleich zu streben, kann einen in ein Gefühl der Ohnmacht stürzen.

Auch die Gemeinden, für die Johannes sein Evangelium schrieb, lebten im Gefühl des Ausgeliefertseins und eigener Machtlosigkeit. Was unsere Gemeinden von den Gemeinden damals allerdings grundlegend unterscheidet ist, dass wir heute – anders als Christinnen und Christen in manchen Regionen des Nahen Ostens und Afrikas - nicht wegen unseres Bekenntnisses zu Jesus verfolgt und getötet werden. Wir müssen nicht wegen unseres Glaubens unter Einsatz unseres Lebens mit Hilfe krimineller Schlepperbanden auf seeuntauglichen Booten aus unserer Heimat fliehen. Und schon gar nicht werden wir von der „Synagoge“, sprich von jüdischen Geistlichkeiten und Obrigkeiten bedroht, wie es im Johannesevangelium beklagt wird. Bereits wenige Jahrzehnte nach der Abfassung dieses Evangeliums hatte sich das Verhältnis zwischen Christen und Juden diametral verkehrt. Wobei gerade die Erinnerung an die Shoah, diesen finstersten Abgrund von menschlichem Handeln an Menschen und kalkulierter unterlassener Hilfe an ihnen, einem beim Blick auf die heutige Welt den Glauben rauben kann. Wenn die Menschheit nicht einmal daraus gelernt hat.

4
Manchmal, wenn ein Mensch tot ist, scheint wenigstens noch so etwas wie sein „Geist“ in der Gegend herumzuschwirren, meint die eingangs zitierte Bühnenfigur aus Tracy Letts Theaterstück. Tatsächlich weht der „Geist Jesu“, der Geist des Gekreuzigten (und Auferstandenen!) noch immer durch unsere Welt. Trotz aller Verwerfungen, inmitten aller Resignation, Verzweiflung und Wut ist er da als „Tröster“ inmitten von Trostlosigkeiten. Er ist da als „Beistand“ und „Geist der Wahrheit“. Er legt Zeugnis von ihm ab und hält das, was Jesus bewegte, wofür er arbeitete und litt, weiter im Gang und im Schwange. So vorläufig, so schwach oft und fragmentarisch wir das auch sehen, wahrnehmen und - wenn wir uns von diesem Geist bewegen lassen - leben können: Das Wunder war Jesu zärtliche Zuwendung zum Menschen, zum verletzlichen und verletzten Menschen, zum Individuum in seiner jeweils ganz persönlichen Situation – ohne Rücksicht auf seinen sozialen oder nationalen Status oder seine wie auch immer geartete personale Identität. Jesus handelt dabei ohne Rücksicht auf sich selbst. In seiner vorbehaltlosen Zuwendung inszeniert er eine „andere“ Welt, eine Gegenwelt, eine „wahre“ und gerechte Welt, in der der Geist Gottes wenigstens für Augenblicke die Herrschaft übernimmt und die Mächte des Todes nicht das letzte Wort haben.

Wir könnten die Augen schließen und uns auf uns selbst konzentrieren. Wir könnten uns aber auch berühren und anregen lassen, nicht nur zum Handeln, sondern auch zum Nachdenken und Träumen. Wie wollen wir leben? Wie wollen wir sterben? In was für einer Welt wollen wir unsere Enkel und Urenkel aufwachsen sehen? Der Blick auf Jesu Wirken, Reden und Handeln, der Blick auf Jesu Zärtlichkeit, gibt uns Anregungen genug für die Rückgewinnung scheinbar verloren gegangener Utopien über ein anderes Leben in einer anderen Welt als der unseren. Das könnte uns helfen, nach einer Gesellschaft zu suchen, die nicht auf allen Ebenen zur wirtschaftlichen Rentabilität versozialisiert ist. Das wäre eine Gesellschaft, in der man offen die Frage diskutiert, was das Leben eigentlich sein kann außer Arbeit und Konsum und wo und wie man neue Formen gesellschaftlichen Handelns entwickeln kann. Wie wäre es mit ein bisschen weniger Sicherheit und ein wenig mehr Spontaneität? Wie wäre es, mehr ungeprobte Ideen auszuprobieren – die Möglichkeit des Scheiterns inbegriffen?

Der Geist weht noch. Gott sei Dank. Er findet noch Zeuginnen und Zeugen. Er ist stark genug und manchmal ist er gerade „in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12, 19).
„Dass sich der (christlich fundierte!) Humanismus trotz mächtiger intellektueller und gesellschaftlicher Widerstände jahrhundertelang halten konnte, hat damit zu tun, dass er ein wahrhafter Ausdruck unserer höchst unterschiedlich fühlenden Herzen ist, mit der Anleitung, die er mit seinen vielfältigen und widerstreitenden Versionen für eine erfüllte empfindende Existenz geben konnte. Die Suche nach einem sinnvollen Leben hat nichts Weiches an sich. In einer Gesellschaft, die überquillt von Theorien, die den Menschen verflachen, verkleinern und entmutigen, ist der Humanist (ist die Christin/der Christ) ein Dissident.“ (Leon Wieseltier)

Der „Beistand“, der „Geist der Wahrheit“ kann uns an der Utopie, die wir „Reich Gottes“ nennen, festhalten lassen – ohne dass wir unsere Resignation, Verzweiflung oder Wut  in der Gegenwart ignorieren, aber auch ohne darin stecken zu bleiben. Er gibt uns den Mut zum Sein, wie es uns von Gott zugesagt ist. Und er erfüllt uns mit der Kraft, unsere Resignation, unsere Verzweiflung oder unsere Wut in unseren Mut hineinzunehmen. Der Geist gibt uns die Kraft und den Mut, die Zärtlichkeit Jesu, die die Zärtlichkeit Gottes ist, weiterzuleben und weiterzutragen. Soweit wir das eben können mit unseren beschränkten Mitteln und Kräften. Vielleicht manchmal auch nur zitternd und zögernd einfach weiter in der Hoffnung, dass nichts so bleiben muss, wie es ist.


Literatur:
„August: Osage County. Eine Familie“ von Tracy Letts, Programmheft Nr. 15, Spielzeit 2014/15, Schauspiel Stuttgart
Göran Rosenberg, Gefühl und Kalkül. Warum wir tun, was wir tun – Zuwendung zwischen Gewinnstreben und Moral, in: Lettre International Nr. 70, 3/2005, S. 112ff.
Leon Wieseltier, Bei den Verstörten. Alles messbar und profitabel, Information und Wissen, Mensch und Maschine werden eins. Gegen diese Horrorvision hilft nur Widerstand – im Namen des Humanismus, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.01.2015, S. 12

 

Perikope
17.05.2015
15,26-16,4

Der Schrei gegen die Angst - Predigt zu Johannes 16,23b-33 von Matthias Riemenschneider

Der Schrei gegen die Angst - Predigt zu Johannes 16,23b-33 von Matthias Riemenschneider
16,23-33

Der Schrei gegen die Angst

Predigttext: Joh 16, 23b -33 (nach Luther):

23bWahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.
24Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.
25Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.
26An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will;
27denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
28Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
29Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht mehr in Bildern.
30Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.
31Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr?
32Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.
33Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

I. Der Schrei der Angst

Liebe Gemeinde,

„In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
‚In der Welt habt ihr Angst…‘ – „Der Schrei“ ist das wohl bekannteste Bild des norwegischen Malers Edvard Munch. Unter einem dunklen, unheilschwangeren Himmel – mit schweren unruhigen Strichen gemalt – sehen wir ein mumienhaftes Gesicht: ganz Schrei – ganz Angst. Ein großer  existentieller Angstschrei – auch in Vorahnung des kommenden Ersten Weltkrieges. Das Bild „Der Schrei“ zählt zu den Vorläufern der entstehenden Kunstgattung des Expressionismus.

Es ist wie Munch sagte, ein ‚abstraktes Selbstbildnis‘. Die Hände halten den Kopf, und sie verstärken so noch den lautlosen Schrei. Niemand hört ihn. Niemand nimmt die Angst wahr. Ein gutbürgerliches Paar schlendert ungerührt weiter, ein normaler Abendspaziergang auf einer Brücke. Die Masten der Schiffe im Fjord gleichen Kreuzen auf Gräbern.

Munchs Bilder lösten um die Jahrhundertwende bei einer Ausstellung in Berlin einen Skandal aus. Denn seine Gemälde entlarvten den Geist einer ganzen Epoche, sie entblößten, was hinter der militaristischen Fassade, jener Allianz von Thron und Altar, hinter Großmannssucht und Fortschrittsgläubigkeit steckte: die pure Angst, die mit diesem lautlosen Schrei offenbar wird.

Die wilhelminisch geprägte Gesellschaft zu Beginn des letzten Jahrhunderts ertrug es nicht, dass ihr in diesen Bildern ein Spiegel ihrer eigenen Zerrissenheit, der greifbaren Lebensangst vorgehalten wurde, die sich hinter der Großmachtpolitik und der riesigen militärischen Aufrüstung verbarg. Paul Tillich nannte das beginnende 20. Jahrhundert zu Recht das „Jahrhundert der Angst“.

II. Das Kriegsende vor 70 Jahren

Am Freitag jährte sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Diesen 8. Mai 1945 als einen Gedenktag der Befreiung zu deuten hat sich in unserem Land erst in den vergangenen Jahren durchgesetzt. Dies liegt sicher auch mit daran, dass nur noch wenige eine eigene Erinnerung an die letzten und besonders schrecklichen Monate und Wochen dieses Krieges haben. Wer die Angst in den Bombennächten, den unglaublichen Terror der SS-Rollkommandos gegen die eigene Bevölkerung und dann die Wirren der Nachkriegszeit erlebt hat – das Leben in den zerstörten Städten mit dem Hunger, den Entbehrungen und der Sorge, was die Zukunft bringen wird, für den war es sicher schwer, das Ende des Krieges als eine Befreiung wahrzunehmen. Eher werden diese Menschen sich in der Erinnerung an das Kriegsende in der Figur des Bildes von Edvard Munch wiederfinden: ein lautloser Angstschrei in einen dunkel unheilschwanger sich verfinsternden Himmel.

Mit dem großen zeitlichen Abstand, den wir heute haben, lässt sich dieses Datum leichter mit den Erfahrungen der Befreiung verbinden: alle Ereignisse in diesen schrecklichen Monaten des Jahres 1945 sind in der Folge eines sinnlos von Deutschland losgetretenen Krieges passiert, der unendliches Leid über viele Menschen brachte. Und so bedeutet auch für viele Menschen in Deutschland das Ende des Krieges eine Befreiung von einem Terrorregime, das letztlich auch der eigenen Bevölkerung das Lebensrecht absprach. Eine Befreiung, die es Deutschland und Europa ermöglichte, einen Neuanfang zu wagen, in dem das Leben jedes Einzelnen geschützt und seine Freiheit geachtet wird. Auch wenn der 8. Mai kein Feiertag mit großen Jubelfeiern ist, so ist er doch ein Datum der Befreiung, das wir dankbar in Erinnerung behalten sollten.

III. Sonntag Rogate:

„33Dies alles habe ich euch gesagt“ – lässt der Evangelist Johannes Jesus sagen – „damit ihr in meinem Frieden geborgen seid. In der Welt wird man euch hart zusetzen, aber verliert nicht den Mut: Ich habe die Welt besiegt!“ (So die Gute Nachricht) Oder wie es in der vertrauten Übersetzung bei Martin Luther heißt: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Johannes lässt in diesen Worten den Auferstandenen Jesu reden, aber so, dass er Jesus in eine Gesprächssituation des Abschieds mit seinen Jüngern stellt, die noch vor Ostern spielt. So beleuchtet unser Predigttext eine doppelte Perspektive: Nach Ostern ist gleichzeitig vor Ostern.

Und dies ist doch auch unser Blick auf Ostern. Wir blicken zurück auf die große Befreiungstat Gottes an Ostern – und gleichzeitig warten wir noch auf die vollständige Erfüllung seiner Verheißungen.

Der heutige 5. Sonntag nach Ostern mit dem schönen Namen Rogate ist dem Gebet gewidmet. Der Wochenspruch aus Psalm 66, der das Leitmotiv für unseren Gottesdienst vorgibt, spricht von der Güte Gottes, die er nicht von dem Beter abwendet. Auch Jesus spricht in unserem Bibeltext nicht nur von der Angst, sondern von der Freude: „24Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.“

In diesen Worten drückt sich eine Freude zum Leben aus, mit der wir beschenkt werden. Diese Lebensfreude ist auch eine Frucht des Gebetes. Die Angst, die ebenso ein Begleiter unseres Lebens ist, soll uns nicht den Blick auf Gottes Güte verstellen, der uns zu einem umfassenden Leben in dieser Welt ermutigt. In den Worten Jesu an seine Jünger ist eine Ermutigung enthalten, eine Ermutigung gegen die Angst und eine Hilfe zur Lebensfreude, eine Ermutigung zum Gebet.

In dieser Ermutigung steckt gleichzeitig auch eine Befähigung. Jesus fordert die Jünger auf, sich mit ihrem Gebet direkt an Gott zu wenden. Er selber will nicht als Mittler auftreten, der sich fürbittend zwischen Gott und seine Gemeinde stellt. Im Osterereignis hat die Gemeinde die Kraft von Gottes Liebe erkannt. Ein Band, das nun so fest ist, dass das Gebet unmittelbar werden darf. „23bAmen“ sagt Jesus, „ich versichere euch: Der Vater wird euch dann alles geben, worum ihr ihn bittet, weil ihr es in meinem Namen tut und euch auf mich beruft.“ (nach Gute Nachricht)

Eine eindrückliche Anweisung, wie wir beten können und dies mit dem abschließenden Amen bekräftigen können, stammt von Martin Luther. In seiner 1535 verfassten Schrift „Eine schlichte Weise zu beten, für einen guten Freund“ schreibt er: „Zuletzt bedenke, dass du das Amen jederzeit stark machen und nicht zweifeln sollst, dass Gott dir gewiss mit aller Gnade zuhört und Ja sagt zu deinem Gebet; und bedenke ja auch, dass du nicht alleine da kniest oder stehst, sondern die ganze Christenheit, alle frommen Christen bei dir und du unter ihnen in einmütigem, einträchtigen Gebet, welches Gott nicht verachten kann. Und lass nicht ab vom Gebet, bis du gesagt oder gedacht hast: Wohlan, dies Gebet ist bei Gott erhört, das weiß ich gewiss und fürwahr. Das heißt: Amen.“

IV. La vie en rose:

„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Amen – sagt Jesus.
Diese Bestärkung gilt dem Trost, der Lebensfreude, die uns geschenkt ist in der Güte, die Gott nicht von uns abwendet. Die Sorgen und Ängste, die unser Leben auch begleiten, sind dadurch nicht beseitigt. Mit Gottes „Amen“ gelingt es uns vielleicht etwas besser, sie nicht übermächtig werden zu lassen, sondern ihnen einen realistischen Platz in unserem Alltag einzuräumen – in unserem Alltag, der umgriffen ist von Gottes Güte.

Manchmal begegnet uns die stärkende Kraft dieser Güte eher zufällig in unscheinbaren Situationen, die wir vordergründig gar nicht mit unserem Glauben in Verbindung bringen.
Ich erinnere gut einen Aufenthalt in Paris vor einigen Jahren. Zu jedem Aufenthalt in Paris gehört auch eine Besichtigung des Eifelturms. Von dort leiten traditionelle Reiseführer den Besucher über das Marsfeld zum Invalidendom mit dem benachbarten Museum der Militärgeschichte. Hier kann man sich ausführlich dem Studium von Gerätschaften und Maschinen widmen, die allein dazu konstruiert wurden, um den menschlichen Körper zu verstümmeln oder gar zu töten und Angst und Schrecken zu verbreiten. Auf den Kanonenrohren, die im Hof des Musee De L‘Armee ausgestellt sind, kann man so schizophrene Namen wie „Pilger“ oder „Lumpensammler“ lesen.

Auch ein sich umarmendes Liebespaar ist auf einem der Kanonenrohre zu sehen. Diese Figur brachte meine Frau und mich auf die Idee, das Eintrittsgeld für diese Sammlung menschlichen Vernichtungswahns zu sparen und stattdessen lieber einen Straus Rosen zu kaufen, den wir am Grab von Edith Piaf ablegten, einem Menschen, der für Millionen anderer Menschen nicht Angst und Schrecken, sondern Lebensfreude und Lebendigkeit bedeutete.

Edith Piaf ist auf dem Friedhof Père Lachaise im 20. Arrondissement bestattet. Einer ihrer bekanntesten Chansons „La Vie en rose“ besingt das Glück der Liebe. „Wenn er mich in den Arm nimmt - Wenn er leise mit mir spricht - Sehe ich das Leben in der Rose. - Er sagt mir Wörter der Liebe - Wörter vom Alltag, Und das bedeutet mir was.“

Am Grab von Edith Piaf liegen fast immer frische Blumen; ein Zeichen dafür, dass sie die Herzen der Menschen bis heute berührt.

Nur wenige Meter vom Grabmal Edith Piafs entfernt sind eine Reihe von Stelen, die an die Opfer des letzten Krieges und besonders an die von den Nazis in den Konzentrationslagern ermordeten Menschen erinnern.

Mit dem Chanson von Edith Piaf im Ohr sah ich in den dürren Gestalten, die auf dem Denkmal für die Opfer von Auschwitz abgebildet sind, nicht nur die angsterfüllten und verzweifelten Menschen, sondern spürte auch etwas von der Lebenskraft, die durch diesen unbeschreiblichen Vernichtungswahn der Nazis nicht zerstört werden kann.

„Er sagt mir Wörter der Liebe – Wörter vom Alltag“ – und dann sehe ich das Leben in einer Rose.

Amen.

Verwendete Literatur:

Ulrich Wildermuth, „Amen, das ist: es werde wahr“. In: Für Arbeit und Besinnung 7/2015 (1. April 2015), S. 3 ff.

Martin Luther, Deutsch-deutsche Studienausgabe, Band 1, Leipzig 2012, S. 611.

Hans-Jörg Sing, Paris in seinen 20 Arrondissements, Seefeld 2004, S. 236f.

 

Perikope
10.05.2015
16,23-33

Predigt zu Johannes 16,23b-28.33 von Detlef Klahr

Predigt zu Johannes 16,23b-28.33 von Detlef Klahr
16,23-33

(Predigt im Eröffnungsgottesdienst der IV. Tagung der 25. Landessynode am 6. Mai 2015 in der Kirche der Henriettenstiftung)

Liebe Synodengemeinde!

„Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt“, so sagt die jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs.
Nur ein Gebet weit von uns entfernt. Wenn wir beten, ist Gott da. Gegenwärtig, mitten unter uns.
Um das Beten geht es auch in dem Predigttext für den Sonntag Rogate. Kunststück, denn Rogate ist ja gerade die Aufforderung „Betet!“ oder „Bittet!“
Aber wie immer, wenn es um Imperative geht, schotten wir ab.
Ach du meine Güte, nun werde ich zum Beten aufgefordert. „Nun betet man schön!“ Das erinnert doch sehr an das Kind, dass die leckeren Nudeln schon mampft, während die Mutter noch sagt: „Erst beten!“
Es gibt für mich keinen Ort, an dem ich das Tischgebet noch so praktiziert erlebe, wie im Landeskirchenamt. Viele Kolleginnen und Kollegen falten die Hände, halten kurz inne.
Na gut, bei den Mahlzeiten der Synode natürlich auch.
Und wieder: Kunststück. Da erwartet man es ja auch vielleicht. Oder, wenn nicht hier, wo denn dann.
Natürlich ist es schön, bei Tisch zu beten. Ein Dank an Gott, ein Innehalten: „Danke, dass Du uns das täglich Brot schenkst.“
Wir wissen, dass das Tischgebet alles andere als selbstverständlich ist. Auch unter Christen. Wir starten hier ja keine Umfrage, aber interessant wäre es sicher!

Ich muss immer an die kleine Geschichte denken: Besuch ist im Hause und das Essen wird aufgetragen. Und dann sagt der fromme Gastgeber zu allen am Tisch: „So, bevor wir essen, lasst uns noch beten!“ Daraufhin fragt einer der Gäste ganz erschreckt: „Wieso, ist was mit dem Essen nicht in Ordnung?“
Das kommt mir vor wie, ja, wir beten auch vor dem Essen, aber nur wenn es Pilze gibt.

Rogate – Betet!
Es geht nicht um Anstand und Sitte, nicht um ein Tischgebet alla „piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb“ – auch wenn das immer mal wieder gesagt werden muss – , sondern es geht um die Beziehung zu Gott.
Um bleibende Beziehung, um das Gebet als Atem der Seele, die ohne das Gespräch mit Gott verdorren würde, weil der Mensch, weil wir, eben nicht vom Brot alleine leben.

Jesus weiß das, wenn er in den so genannten Abschiedreden des Johannesevangeliums das Beten hervorhebt,  als die Möglichkeit mit Gott in Beziehung zu bleiben.
Um weniger  geht es bei dem Gebet nicht.

Angst habt ihr – Jesus bescheinigt das den Seinen. In der Welt habt ihr Angst. Wohl wahr und zu Recht, weil es oft genug zum Fürchten ist.
Weil Angst immer auch Resultat unserer eigenen Bilder ist, die wir von der Gegenwart und von der Zukunft entwerfen. Mit dieser Angst umzugehen, fällt anders aus für uns, wenn wir hören, dass Jesus sagt: „Ich habe die Welt überwunden.“

Es ist etwas anderes, über Angst im Gebet in der Not so zu reden, wenn man in Freiheit lebt.
Wie anders hören das unsere Schwestern und Brüder in Syrien und all den anderen Ländern, wo sie um ihres Glaubens willen verfolgt werden und in körperlicher Not und Gefahr schweben. Ja, wir haben Angst, ja, und Not lehrt beten. Wie denn auch nicht? Was denn sonst?
Man muss doch nur eine einzige Situation des eigenen Lebens erinnern, wo man aus wirklicher Not heraus, aus Verzweiflung und manchmal aus panischer Angst zu Gott gebetet hat.
Dadurch werden Betende nicht zu Helden, aber sie werden zu Menschen, die sich auf Gott einlassen und sich damit an dessen Seite stellen, der die Welt überwunden hat.

Es gehört zu den wunderbaren Erfahrungen meines Dienstes als Pastor, zu erleben, dass das Gebet diese Kraft hat, Menschen in existenzieller Angst zu trösten, mit Hoffnung zu erfüllen.
Und dass es dann nicht die „ach so schönen Formulierungen des Herrn Pastors“ sind, der ja professionell beten kann, sondern die wunderbar bewährten Bete-Worte der Bibel, die einen Menschen trösten, wenn die schwachen Lippen am Ende des Lebens noch versuchen etwa den Psalm 23 mitzusprechen: „Mein Hirte – grüne Aue – nichts mangeln – bleiben immerdar.“

Wenn die Seele und der zerbrechliche Mensch sich einhüllt, in dieses alte Gebet eines Menschen, der Gott vertraut hat, sich einhüllt wie in einen wärmenden und schützenden Mantel: Du erquickst meine Seele. Genau darum geht es im Gebet, um den Atem der Seele.

Jesus bereitet seine Jüngerinnen und Jünger darauf vor, dass die Zeit kommt, da sie ohne ihn leben müssen. Ohne seine Nähe und seine Worte, die er direkt zu ihnen spricht.
Wenn nichts mehr bleibt, wie es war, wenn ich nicht mehr bei euch sein werde, dann könnt ihr immer noch und immer wieder in meinem Namen zu Gott beten, er wird euch geben, was ihr braucht.
Jesus ist hier einmal mehr der Seelsorger für die Seinen: Wenn nichts mehr so ist, wie es war, dann könnt ihr in meinem Namen beten.
Wenn ihr Angst habt in der Welt, sagt Jesus, dann kann euch das Gebet helfen.

Es kann euch stärken und trösten. In der Krankheit, der Trauer, der Angst, des Krieges, der Armut, der Hilflosigkeit, der Einsamkeit.
Wie gut ist es, wenn man dann beten und sein armes zerbrechliches Leben Gott anbefehlen kann.
Aber nicht nur die Not lehrt beten. Jesus ermutigt die Seinen, auch um das zu bitten, was sie brauchen.

Die Psychotherapeutin Hanna Wolf  schrieb am Ende Ihres Lebens in dem Büchlein „Der eigene Weg“ von einer Begebenheit des Bittens aus ihrem Leben:
In großer Hungersnot im Krieg, fragt sie ihre Mutter einmal bei einem Spaziergang: „Kann der liebe Gott Brot backen?“
„Ja“, sagt die Mutter etwas betreten. „Er kann, aber er hat jetzt im Krieg Wichtigeres zu tun, als Brot zu backen.“
Aber die Kleine hört nicht auf zu drängeln, weil sie Hunger hat, was kann wichtiger sein als Brot? Sie sagt: „Ich glaube der liebe Gott wird uns Brot backen“. Und schließlich: „Mutter, schnell, wir müssen sofort nach Hause, der liebe Gott hat uns bestimmt Brot gebacken.“
Sie stürzt die Treppe zu der kleinen Wohnung hoch und findet oben vor der Tür ein Brot.
„Mutter, Mutter, der liebe Gott hat Brot gebacken.“
Zeitlebens blieb ihr klar: Wenn ich ihn bitte, dann hilft Gott. Gott hört mein Gebet.

Natürlich auch dann, wenn man weiß, dass das Brot von einem Nachbarn war, der zwei Lebensmittelmarken bekommen hatte und ein Brot für die Frau mit Kind abgegeben hatte.
Auch dann, wenn wir wissen, dass wir wohl alle, Gott schon ganz konkret eine oder mehrere Bitten vorgelegt haben, die so nicht erfüllt wurden – wohl wahr.
Bittet Gott um alles, was ihr braucht.
Bittet Gott in meinem Namen. In Jesu Namen beten, dass heißt auch, dass die Gebete, die wir beten, die Bitten, die wir ihm vorlegen, im Geist Jesu sein sollen. In seinem Namen beten heißt, aus dem Evangelium heraus beten. Also beten auf Grund dessen, was Gott in Jesus Christus für uns getan hat.
In Jesu Namen beten verbietet es Einzelnen oder Gruppen, um ihre nationalen, kulturellen, ökonomischen oder gar konfessionellen Vorteile zu beten. Beten im Namen Jesu ist immer offen für die weltweite Ökumene, ihre Hoffnungen und Ängste!
Beten in seinem Namen ist frei von Egoismus in welcher Form auch immer und lebt auch immer aus dem Vertrauen, dass Gott die Seinen liebt und aus Angst und Enge erlöst.

Im Gottesdienst erleben wir immer wieder, dass wir in seinem Namen beten. Heute werden wir das auch tun.
Manchmal wird dann etwas umständlich eingeleitet: „Wir beten nun so, wie Jesus Christus es uns gelehrt hat“, oder: „Jesus hat uns erlaubt, zu Gott wie zu einem Vater zu sprechen.“
Beten wir doch einfach in Jesu Namen: „Vater unser, der du bist im Himmel ...“
„Vater unser“ und die Distanz zwischen Gott und Mensch ist aufgehoben. Nur ein Gebet weit von uns entfernt …
Und sein Gebet zeigt uns, das Beten uns mit Gott und untereinander verbindet.
Ihr habt Angst in der Welt, Ihr könnt in meinem Namen beten, Ihr könnt euch an Gott wenden, ihr könnt gemeinsam gegen eure Angst anbeten und mit diesem Gebet die Erfahrung teilen, dass Gott euch gibt, worum ihr ihn bittet.
Was für eine Macht des Gebetes in aller Ohnmacht!

Wir tun das, liebe Schwestern und Brüder, in jedem Gottesdienst. Miteinander beten.
Zu mir sagte mal jemand, „diese ganzen Gebete, nützen die denn überhaupt?“
„Gott braucht unsere Gebete nicht“, hat Martin Luther einmal gesagt. Wir aber brauchen diese Gebete als den Atem unserer Seele. Und Gott braucht nur eins, dass wir uns ihm zuwenden.
Ich sagte dem Mann: „Vor allem brauchen wir selbst diese Gebete! Wir brauchen es, uns an Gottes Seite zu stellen im Gebet. Seine Nähe im Gebet zu spüren, von ihm im Gebet die Gewissheit zu erhalten, dass er bei uns ist, dass er um die Angst meiner Seele weiß und auch weiß, was ich brauche.“
Und ich sagte: „Ich kann Ihnen leider nicht beweisen, was die Gebete bewirken bzw. dass sie etwas bewirken. Aber sie könne mir auch nicht beweisen, dass sie nichts bewirken.
Niemand von uns kann sagen, wie es in dieser Welt, in unsere Kirche, in meinem Leben  aussehen würde, ohne das Gebet.

Auch kann niemand sagen, wieviele Menschen in Treue und aller Stille für uns als Kirchenleitende beten, kaum ein Kind weiß, wie oft Vater und Mutter zu Gott für die Kinder beten. Nur Gott selbst weiß um die Beter, um unsere Gebete, die stammelnden, die seltenen  die bittenden und zagenden, die schweigenden Gebete unserer Seele. Gott sie Dank – er weiß es.
Mich berührt es immer sehr, wenn jemand zu mir sagt: Bitte, beten sie für mich. Dieser Bitte möchte ich mich nicht entziehen und gut ist es, wenn man sie auch an andere richten kann.

Gebete wirken! Das wussten offenbar auch zwei die sich heftig gestritten hatten:
„Ich bete für sie, dass sie das endlich einsehen!“
Und der andere sagt: „Ich verbitte mir das. Lassen Sie das! Ich bin nämlich davon überzeugt, dass das wirkt!“

Beten wirkt, darum mag ich die Unterbrechungen hier bei der Synode, die uns durch das Gebet am Mittag geschenkt wird.
Egal, was ist, wie in der klösterlichen Tradition, nichts ist dem Gebet vorzuziehen.
Diese Unterbrechung tut gut als Atemholen für die Seele.
Ich gestehe Ihnen gerne, dass ich das längst übernommen habe. Wer bei mir zu einer Sitzung kommt, kann damit rechnen, dass beim Läuten der Mittag- oder Abendglocke ich die Sitzung für einen Moment Stille und ein Gebet unterbreche. Beschwert hat sich deswegen noch keiner. Und mir hat es jedes Mal gut getan.


Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt!
Wenn Jesus auch die Seinen in seiner Sichtbarkeit verlässt. Er sagt ihnen zugleich, im Gebet sind und bleiben wir Gott nah.
Mag die Distanz zwischen Gott und Menschen auch manchmal im Leben als unüberwindbar empfunden werden, als Gottesferne, oder im schlimmsten Fall als Gottes Abwesenheit.
Das Gebet bleibt dann manchmal ein Sehnen, ein schwaches Klopfen und Suchen nach Gottes Nähe  –  und das ist sehr, sehr viel:

Mir gefällt, wie Rainer Maria Rilke das in seinem Stundenbuch formuliert:
 „Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manches Mal
in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, –
so ist´s, weil ich dich selten atmen höre
und weiß: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.
Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,
durch Zufall; denn es könnte sein:
ein Rufen deines oder meines Munds -
und sie bricht ein
ganz ohne Lärm und Laut.“

Ich wollte nicht den Imperativ an Euch richten, liebe Schwestern und Brüder! Nicht sagen: „Betet!“, oder gar: „Betet mehr.“ Denn ihr könnt gar nicht anders. Das Gebet ist der Atem der Seele. So wie ihr Luft atmet zum Leben, so braucht ja Eure Seele das Gebet, um nicht zu verdorren. Wir können gar nicht anders, als immer wieder neu uns Gott zuzuwenden und dabei erfahren: „Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt!“

Amen

Perikope
10.05.2015
16,23-33

Predigt zu Johannes 16,23b-28(29-32)33 von Markus Kreis

Predigt zu Johannes 16,23b-28(29-32)33 von Markus Kreis
16,23-33

Die Lichtschranke, die das Gute im Einbrecher erfasst - oder – eine fragliche Geheimtür: Einfach mal die Klappe halten! Raus mit der Sprache!

Liebe Gemeinde,

der Mensch vor Gottes Reich ist wie ein Straffälliger, der nächtens den Plattenweg zu einem dunklen, stillen Haus betritt. Und der in der Klarheit des bei Besuch per Lichtschranke erhellten Eingangsvorraums erkennt, dass er leicht einbrechen kann: denn die Tür ist zwar zugezogen und versperrt worden, der ausgefahrene Riegel gelangte aber nicht in die für ihn vorgesehene Aussparung der Zarge, sondern befindet sich knapp daneben im Freien. 

Es gibt immer noch Menschen, die da hinein gehen, ihrer Wohlanständigkeit oder Straffälligkeit oder ihrem Sünderleben zum Trotz. Weil sie glauben und darauf vertrauen, dass es sich hier um eine von den vielen Wohnungen des Vaters handelt. Weil sie glauben und darauf vertrauen, dass Jesus ihnen als Lichtquelle Gottvater erkennbar macht. Und dass Jesus als verborgen offene Tür ihnen Gottvater zugänglich macht.

Weil sie darauf vertrauen, dass bei diesem Einbruch weniger sie bei Gott als umso mehr Gott bei Ihnen ins Lebensgehäuse einbricht - wie ein Dieb in der Nacht, der ihnen wegnimmt, was sie belastet und sie so zu neuer Freiheit und neuem Handeln führt. Diese Menschen, denen mit und trotz dem Einbruch Vergebung geschenkt wird, die heißen Kirchenzugehörige.

Der Mensch vor Gottes Reich ist wie ein Straffälliger, der nächtens den Plattenweg zu einem dunklen, stillen Haus betritt. Und der in der Klarheit des bei Besuch per Lichtschranke erhellten Eingangsvorraums erkennt, dass er leicht einbrechen kann: denn die Tür ist zwar zugezogen und versperrt worden, der ausgefahrene Riegel gelangte aber nicht in die für ihn vorgesehene Aussparung der Zarge, sondern  befindet sich knapp daneben im Freien. 

Und es gibt Menschen die dann da nicht hinein gehen. Vielleicht sehen sie sich nicht als Straffällige oder Sünder, sondern sie sehen sich als redliche und anständig Leute. Oder eventuell schöpfen sie Verdacht, einer Falle aufzusitzen, in die Hände des Gesetzes zu geraten. Es gibt welche, die abgeschreckt sind vom Licht. Menschen, welche diese überraschend offene Tür für eine geheime Falltür halten, die sie in lauter Unbill und Zwangslagen führt.

Was erzeugt dieses Misstrauen? Vor was schrecken solche Menschen zurück? Ist es die aufscheinende Lichtquelle? Zucken sie angesichts der verborgen offenen Tür zurück?

Unter uns Menschen wird gläubiges Vertrauen vermittelt durch Kommunikation. Dabei kommt es natürlich nicht nur auf die Gesprächsinhalte an, sondern auch auf die Art und Weise, wie Kirchenzugehörige mit der Welt reden, und wie sie untereinander reden, und ob sie dementsprechend miteinander umgehen.

Bezüglich der aufscheinenden Türvorraumbeleuchtung heißt das: Sind es die christlichen Behauptungen, Aussagen und Ansprüche, die vom Einbruch Gottes abschrecken - eventuell weil sie unbekannt sind? Oder weil sie unverständlich sind? Oder zwar verständlich, aber inhaltlich komplett inkompatibel mit den durchschnittlichen gesunden Menschenverstand?

Ist es der kognitive Gehalt, der christliche Sätze bei solchen Menschen im Status beliebiger Meinungen belässt. Meinungen, welche kaum eine Chance haben, zu einer Überzeugung zu werden?

Oder spielt die nur scheinbar geschlossene, in Wahrheit verborgen offene Tür eine Rolle? Zucken die verhinderten Gotteseinbrecher zurück vor den Empfindungen, Motivationen und Leidenschaften, die im gegenseitigen Reden und Hören der Kirchenzugehörigen aufleuchten?

Sind die Gefühlsäußerungen an sich nicht nachvollziehbar für einen heutigen Menschen? Oder stehen die ausgedrückten Gefühle in einem Missverhältnis zu den geäußerten Ansichten? Leuchtet bei einer Vergebungszusage noch Rachgier auf? Oder Schwäche, die sich als Stärke zu decken versucht?

Eine Entschuldigung anzunehmen ist ein gesellschaftlich erforderliches Ritual geworden - so sehr dass Missetäter oft gar nicht mehr ihre Opfer darum bitten, sondern den kompletten Entschuldigungsakt verbal gleich selbst und allein vollziehen: Ich entschuldige mich!

Ohne Rücksicht darauf - Ich entschuldige mich! - dass ihr Gegenüber vielleicht noch etwas Zeit benötigt, um wahrhaft vergeben zu können. Zeit, die der Leidtragende braucht, damit er den erlittenen Verlust tatsächlich verschmerzen und quasi mit allen Sinnen ausgleichen kann.

Wie dem auch sei – ob nun die aufscheinende Lichtquelle oder die verborgen offene Tür abschreckt und zurück zucken lässt - da hilft nur das Gebet und die Bitte, dass potentielle Einbrecher bei Gott die gute Gelegenheit nutzen, ihr Misstrauen verlieren und keine Angst mehr davor haben, in lauter Unbill, Zwangslagen oder gar Fallen zu geraten.

Da hilft nur Bitte und Gebet. Das gilt auch für uns Kirchenzugehörige, vor allen Dingen, wenn unser Bitten und Beten für die potentiellen Einbrecher auf seine Wirkung warten lässt. Wenn die Kirche vielen Weltmenschen weiterhin uninteressant oder gar abstoßend erscheint.

Dann mag es zugehen, dass wir darüber in Angst und Zweifel tauchen, dass unsere Zuversicht auf die vergebende Macht Gottes zu schrumpfen beginnt wie Luftblasen im Wasser. Wenn die fragliche, verborgen offene Tür sich für uns in eine irreführende Geheimtür zu verwandeln scheint, in eine Illusion, in eine Täuschung. Dann hilft nur das Bitten und Beten für einen selbst, um Gottvertrauen und Selbstvertrauen, um Glaube und Gewissheit.              

Beten für einen selbst, das heißt: Raus mit der Sprache!  - Oder einfach mal die Klappe halten! Ja, was jetzt? Was steht an? Reden oder Schweigen? Silber oder Gold? Klappe halten oder Raus mit der Sprache?

Vielleicht ist das die falsche Alternative. Vielleicht geht es gar nicht um eine Alternative. Vielleicht geht es um eine Entscheidung ohne die Möglichkeit zu wählen. Vielleicht geht es um Einfach mal die Klappe halten! und Raus mit der Sprache!

Raus mit der Sprache – das kann zum zweiten bedeuten: hinweg mit der Sprache, hinaus mit ihr: kein Geständnisse, kein Geschwätz, keine Verlautbarungen, keine Sonntagsreden, kein Salbadern - Verstummen, Schweigen, Stille, nicht einmal Säuseln von Atem und Atmosphäre, lautlose Leere...

Und wer meint das so? Sagen kann er es ja schlecht, jedenfalls nur um den Preis, dass er sich selbst widerspräche. Wessen Wille ist das? Einfach mal die Klappe halten! und Raus mit der Sprache!

Gottes Wille und Schweigen ist es. Er meint es so und will das so haben und richtet sich selbst danach: Einfach mal die Klappe halten! und Raus mit der Sprache!

Gott wäre nicht Gott, wenn das zuvorderst nicht für ihn selbst gälte, wenn das zuallererst nicht für sein Leben zuträfe: Einfach mal die Klappe halten! und Raus mit der Sprache! Am Kreuz verstummte Gottvater und im Grab Jesu unterbrach er mit keinem Laut dessen Stille. Und in unserem Predigttext erwähnt Jesus sein Ende und andauerndes Fortgehen mit keinem Wort gegenüber seinen Jüngern. Zu unaussprechlich ist das alles, bevor es sich zuträgt, selbst in Gott.

Und was für Gott selbst gilt und zutrifft, das trifft und gilt uns Menschen, seinen Geschöpfen. Und als seine Geschöpfe genügen wir schließlich seinem Willen und kommen ihm nach, halten einfach mal die Klappe! und Raus mit der Sprache! Zuweilen überkommt das uns - sogar ohne lautlose Leere mit Labern zu überlagern.

Raus mit der Sprache! – Diesem Befehl wissen wir uns schwer zu entziehen, wenn uns Verstummen, Schweigen, Stille, wenn uns nicht einmal das Säuseln von Atem und Atmosphäre, sondern lautlose Leere widerfährt...

Raus mit der Sprache! – Diesem Befehl wissen wir uns schwer zu entziehen, wenn uns aus unserer eigenen Innenwelt Verstummen, Schweigen, Stille erheischt, wenn uns nicht einmal das Säuseln von Atem und Atmosphäre, sondern lautlose Leere anschleicht...

Raus mit der Sprache! – Diesem Befehl wissen wir uns schwer zu entziehen, wenn uns von Seiten unserer Mitmenschen Verstummen, Schweigen, Stille, wenn uns von ihnen nicht einmal das Säuseln von Atem und Atmosphäre, sondern lautlose Leere widerfährt.

Raus mit der Sprache! Klappe zu! Gott tot! Raus mit der Sprache! Sie haben recht gehört, Gott unterstellt sich dem Befehl, dem wir uns so schwer entziehen können. Gott rückt raus mit der Sprache.

Es mag so sein, dass Gott und die Farbe des Papiers sich nicht beschreiben lassen, dass das Höchste und das Tiefste also die Unbeschreiblichkeit teilen, wie Ortega y Gasset sagt. Und doch gilt gleichfalls: Gott beschreibt sich selbst. Gott rückt mit der Sprache raus.

Raus mit der Sprache! – Dank Gottes allmächtiger und herrlicher Liebe kann dieser Satz zweierlei zugleich bedeuten: Verzicht auf Sprache und Hervorbringen von Sprache. Gott kann und will dank seiner beziehungsreichen Allmächtigkeit und Herrlichkeit gut mit diesem Gegensatz leben.

Gott beschreibt sich selbst. Gott rückt mit der Sprache raus. Und wenn er als der Herr der Heerscharen ausrückt mit der Sprache, dann ergeht sein Wort mit Macht. Es erfüllt lautlose Leere, es überlagert und durchtönt alles leutselige Labern und Verlautbaren.

Es wirkt, unabhängig vom selektiven Empfang kirchlicher Hörer. Gottes Wort bricht erneut gewiss bei uns ein - trotz der durch Studien erforschten Tatsache, dass Christen, wie andere Menschen auch, beim Zuhören nur das behalten, was sie in ihren erlernten Auffassungen bestätigt.

Beten wir in unserer Sprache, dass Gottes Sprechen Hören und Reden erneuere. In Jesus hat der Mensch schließlich Gott die Urheberrechte und das Copyright abgenommen. Der Mensch hat also Gott als Urheber akzeptiert und ist selber Urheber, in dem er Gottes Urheberschaft unter den Menschen verbreitet.

Amen.

Perikope
10.05.2015
16,23-33

Das eine Wort und das Bleiben in ihm - Predigt zu Johannes 15,1-8 von Ralf Hoburg

Das eine Wort und das Bleiben in ihm - Predigt zu Johannes 15,1-8 von Ralf Hoburg
15,1-8

Das eine Wort und das Bleiben in ihm

Liebe Gemeinde,

„Ich bin drin…“ So lautete vor über 20 Jahren ein Werbeslogan für einen großen Internetanbieter. Wer „drin“ ist, der ist dabei. Wer „draußen“ ist, gehört nicht mehr dazu. Innen und außen bilden nicht selten Unterscheidungskriterien. Beliebt ist diese Unterscheidung, die geradezu eine Trennungslinie markiert, seit langem  im Bereich der Mode. Wer eine bestimmte Marke trägt, ist im Kreis derjenigen, die „up to date“ sind und die Marke fordert von ihren Mitgliedern auch eine gewisse Markentreue.  „Bleibt bei mir“… so werben inzwischen Firmen von der Autobranche bis zum Telefonmarkt. In ungleich größerem Masse als im harmlosen Bereich der Mode oder Werbung ist dieses Unterscheidungskriterium von „drinnen“ und „draußen“ derzeit in der Asyl- und Flüchtlingsfrage, wo es dramatische Formen angenommen hat. Was sich in den vergangenen Tagen auf hoher See zum wiederholten Male im Mittelmeer an der Grenze zu Europa abgespielt hat, tangiert die Menschenrechte. Europa ist eine Festung geworden, die ihr „Inneres“ gegen ein „Außen“ abschottet. Wer drinnen ist, ist sicher und wer draußen steht, steht „draußen vor der Tür“, so der Titel des bekannten Buches von Wolfgang Borchert. Borchert verstand sein Buch in den späten 40er Jahren nach dem 2. Weltkrieg als einen mahnenden Appell an die Gesellschaft, die „draußen“ Stehenden nicht zu vergessen. Draußen zu sein – so Borcherts Erfahrung – „tötet“.

Dieses Bild von dem außen und dem Innen drängte sich mir im ersten Moment auf, als ich wieder den Text aus dem Johannesevangelium las. Es geht um das Bleiben im Inneren bzw. den Folgen, wenn man nicht mehr im Innenkreis steht. Vielleicht erstaunt es, dass dieses Prinzip in gewisser Weise auch für Religionen – nicht nur dem Christentum, sondern auch dem Islam – gilt. In der Antike und auch im Mittelalter sprach mal von der sog. „Arkandisziplin“, d.h. einem Wissen, das nur Eingeweihten zugänglich ist. Denke ich im gegenwärtigen Zeitkontext über den Text aus dem Johannesevangelium nach, gilt es, sich dabei eben auch mit dem Unterscheidungskriterium von „dabei sein“ und „nicht dabei sein“ auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung kann vielfältige Bezüge haben, wie bereits angedeutet. Auch für die Institution Kirche ist das Thema von „innen“ und „außen“ hoch aktuell und noch mehr muss sich die Kirche heute auch mit dem Phänomen des „Bleibens in ihr“ auseinander setzen.

Es ist nicht zu leugnen: Viele Menschen haben sich inzwischen von der Kirche abgewendet. Zeitungs- und Medienberichten zu Folge haben sich im Jahr 2014 mehr Menschen als in den Jahren zuvor wieder von der Institution Kirche getrennt. Als Grund hierfür wurde die Erhebung von Kirchensteuern auf die Kapitalertragssteuer genannt. Manche Kritiker sprechen hier bereits von einem „Eigentor“. Die Süddeutsche kommentierte in einem Bericht vom 15.8.2014, dass nach Auffassung der Kirche der „Reiche sich nicht mehr so leicht davor drücken können“ sollte, „das angemessene Scherflein der Kirche zukommen zu lassen.“ Wie realitätsfern! Statt indes den Fehler zu korrigieren, der rechtlich zwar korrekt, aber moralisch Abgründe aufzeigt, spricht man in der Kirche von offizieller Seite des Kirchenamtes der EKD selbstgefällig davon, man habe das Ganze eher ungeschickt kommuniziert.  Die, die „drinnen“ stehen haben offensichtlich nicht verstanden, dass sie inzwischen diejenigen sind, die eigentlich „draußen vor der Tür“ stehen; vor einer Tür der Gesellschaft, die weitgehend religiös indifferent geworden ist. Weniger der Verlust an Religion, sondern vielmehr der Glaubwürdigkeitsverlust der Institution treibt die Menschen aus der verwalteten Kirche. Es scheint so, als würde in unserer Gesellschaft ein neuer Typ von Organisation entstehen, der einerseits immer weniger Mitglieder aufweist und andererseits über immer mehr Geld verfügt.    

Wer steht drinnen und wer steht draußen? Bei dieser Grundsatzfrage kommt es entscheidend auf die Sichtweise an und drehen sich langsam aber allmählich die Verhältnisse um. Vor vielen Jahren erschien von einem bekannten Theologen ein Buch mit dem Titel: „Es bröckelt an den Rändern“. Gemeint war mit der Metapher der Ränder die als sog. „kirchlich Distanzierte“ bezeichnete Gruppe von Menschen, die sich von der Volkskirche abgewendet hatten. Seit dem geht es kirchlichen Reformbemühungen darum, diejenigen „an den Rändern“ wieder zu gewinnen. Aber inzwischen steht die Kirche selbst eher am Rand der Gesellschaft. Ist sie noch „drin“ oder steht sie schon „draußen“?

In dieser Situation stellt der Predigttext aus dem Johannesevangelium eine geradezu prophetische Mahnung dar, wenn es dort  warnend in V. 4 heißt: „Bleibt in mir und ich in Euch“.  Hier gibt es mehrere Möglichkeiten, die Analyse der Zeit mit Hilfe des Predigttextes zu verstehen. „Bleibt in mir und ich in Euch“ (Joh 15,4) könnte bedeuten, dass sich die Kirche zu einer Wagenburg formiert und in einem trotzigen „Wir sind drin“ sich gegen eine heidnischer werdende Umwelt abzuschotten versucht. Diesen Weg könnte der Predigttext sogar legitimieren, indem dann „die da draußen“ mit Vernichtung bedroht werden, wie Joh 15,6 nahe legen könnte: „Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt…“ Oder heißt das „bleibt in mir“ eher die Konzentration auf die Theologie und das Bleiben im Wort der Offenbarung? Das würde die Frage nach den Kriterien stellen, an die sich die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen jetzt und in Zukunft hält. Liest man Joh. 15 weiter über V. 8 hinaus heißt es mit einem beschwörenden Appell in V. 9: „Bleibt in meiner Liebe!“  Hier ist der Weg zu suchen und das Unterscheidungskriterium ist gegeben. Die Zukunft der Kirche entscheidet sich im Bleiben der Liebe.  

I)                     

Der Grund der Gemeinschaft

Mehr als die synoptischen Evangelien lebt das Johannesevangelium aus der Wahrung der Tradition und der Herstellung der Gemeinschaft. Im Zentrum der johanneischen Ekklesiologie steht die Abendmahlsgemeinschaft, die mit Kap. 15 im Mittelpunkt steht. So sind die Verse des Predigttextes aus Joh. 15,1-8 für den Sonntag Jubilate im Kontext des gesamten Kapitels zu lesen und erst ab V. 9 wird das Materialprinzip genannt, das als Kriterium für das Bleiben in Gott gilt. Woher aber kommt die Gemeinschaft und wir wird sie im Johannesevangelium begründet? Wenn man so will lebt das Johannesevangelium intensiv von dem trinitarischen Gedanken, in dessen Mitte die Beziehung zwischen Vater und Sohn steht. Dieses Verhältnis, das im Innenverhältnis als Beziehung zwischen Vater und Sohn selbst auf Liebe beruht,  bildet die theologische Achse des Johannesevangeliums. Das Kapitel 15 nutzt hierfür die Metapher vom Weingärtner, dem Weinstock und den Reben. Mit diesem Bild verwendet das Evangelium die Alltagssprache der Menschen der Antike, für die der Wein ein bekanntes und dennoch besonderes Getränk darstellt. Bekanntlich gilt der Weinbau als eine Art der Landwirtschaft, die sehr viel Mühe kostet und es bedarf der Zeit, bis Weintrauben als Früchte an den Reben wachsen und geerntet werden können. Bereits im Alten Testament wird das Bild des Weinbergs bei den Psalmen und Propheten eingeführt; dabei wird es auf das Volk Israel bezogen, das JHWH aus Ägypten holt. (Ps. 80,9-18) Gott selbst wird aber dort nicht als Weingärtner dargestellt. Das Johannesevangelium nimmt diese Metapher auf und führt sie im Sinne der Offenbarungstheologie weiter.

In der Theologie des Evangeliums nach Johannes wird Gott als Schöpfer der Welt und Jesus Christus als der Sohn in Eins gesetzt. Gott der Vater und der Sohn sind eines Wesens. Zentral für diesen Gedanken, von dem aus sich die Denkweise des gesamten Evangeliums entschlüsselt, ist der Prolog des Evangeliums im 1. Kapitel, in dem es heißt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns…“ (Joh. 1,14) Schlagartig wird beim Lesen dieser Worte klar: hier geht es um das Ganze, denn die Offenbarung birgt eine gewisse Totalität in sich. Diese Worte dringen durch und enthalten einen tiefen Sinn. So stellt sich Ehrfurcht und eine gewisse Scheu ein. Das meint Offenbarung, dass Gottes Sein in Jesus Christus anwesend ist, sich Gott also geradezu körperlich geworden und sich in einem Menschen dingfest gemacht hat.       

Die Offenbarung Gottes in seinem Sohn Jesus Christus stellt die Gemeinschaft der Gläubigen zu Gott auf andere Füße. Die Gemeinschaft zu Gott erhält nun einen neuen Grund. Deutlicher als die anderen Evangelien stellt das Johannesevangelium die Menschwerdung Gottes in den Mittelpunkt. Gott offenbart sich und wird Mensch. Durch diesen Schritt der Selbstmitteilung erhält der Mensch nun einen anderen Zugang zu Gott als bisher. Auch seinem erwählten Volk Israel teilte sich Gott auf verschiedene Weisen mit. In der Tora ist die Verbindung zwischen Gott und Mensch auf Glaubensregeln aufgebaut. Moses war hierzu der Mittler, der die Gebote empfing. Aber immer verbarg Gott sein Antlitz. In der Offenbarung bleibt Gott der Aktive. Er allein hat entschieden zu zeigen wer er ist. Mit der Offenbarung legt sich Gott fest. Der Predigttext definiert dieses Verhältnis geradezu als das zwischen Vater und Sohn, wenn es in Joh 15,1 heißt: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner“. Das traditionelle Bild des Weinstockes und der Weinreben, wie es aus dem Alten Testament bekannt ist, wird hier neu und anders gewendet. Der „Freund“, von dem in Jes. 5,1-7 in der Erzählung vom unfruchtbaren Weinberg die Rede war, ist der Weingärtner selbst. Auf diese Weise korrespondieren beide Erzählungen miteinander und interpretieren sich. Wie der Prophet Jesaja erkennt auch der Evangelist Johannes die Gefahr, dass der Weinberg und seine Reben, die Gaben Gottes und Ergebnis seiner Liebe darstellen, vergehen. Sie bringen keine Frucht mehr. Dieser Gefahr will das Johannesevangelium wehren.  

II)                   

Die Mitte der Gemeinschaft

Der Sohn ist identisch mit dem Vater. Jesus Christus bildet die Mitte, von der aus sich nun die neue Gemeinschaft gründet. Der Apostel Paulus schreibt an einer Stelle im Korintherbrief in einer ganz ähnlichen Weise: „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1. Kor. 3) Im Johannesevangelium wird dieser Grund nun mit den sog. „Ich bin…“ – Worten beschrieben: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Diese neue Mitte bildet den Orientierungspunkt der Gläubigen. Von hier aus wird Gemeinschaft konstituiert. Die christliche Kirche versteht sich als eine Gemeinschaft, für die die Erinnerung an das sog. „letzte Abendmahl“, d.h. dem Beisammensein Jesu mit seinen Jüngern vor der Hinrichtung am Kreuz, den Mittelpunkt bildet. Als die Gemeinschaft des Wortes feiert die sich versammelnde Gemeinde auch das Abendmahl. In der jüngeren Geschichte der evangelischen Kirche hat sich an dieser Stelle durchaus ein Richtungsstreit entzündet, der sich um die Frage der Abendmahlspraxis rankte. Während eher die eine Richtung die Exklusivität und Besonderheit des Abendmahles betonte, plädierte eine andere Fraktion eher in die Richtung, jeden Gottesdienst mit dem Abendmahl  zu beenden. Die Abendmahlsgemeinschaft gehört zur alltäglichen Gottesdienst- und Gemeindepraxis. Hier wird das „in ihm bleiben“ als Form der ästhetisch-sinnlichen Verkörperlichung rituell praktiziert und gelebt. Der „Tröster“ bzw. Paraklet übernimmt hierzu im Johannesevangelium die Funktion der Vermittlung zwischen Vater, Sohn und der Gemeinde. 

In dieser Exklusivität der Abendmahlsgemeinschaft findet sich dann auch letzten Endes das inkludierende oder exkludierende Element dieses Textes wieder. Die Orientierung an der Mitte legt im Sinne des Johannesevangeliums offen, wer dazu gehört und wer „draussen vor der Tür“ steht. Für heutige Ohren klingt dieses Kriterium in einer Gesellschaft, die sich um Integration und Inklusion bemüht, recht barsch und hart. Gleichzeitig stimmt diese Exklusivitätsregel noch nachdenklicher, wenn man überlegt, dass sich in der modernen Welt viele Menschen freiwillig dafür entscheiden, „draußen vor der Tür“ der Kirche zu stehen und sie leben ihr Leben gut und vermissen nichts. Die Drohgebärde eines möglichen Verdorrens trifft die heutige Gesellschaft nicht mehr.   

III)                 

Das Bleiben in der Gemeinschaft

Die zentrale Botschaft des Textes, geradezu der von dieser Passage ausgehende Mahnruf besteht in der Beschwörung, in Jesus Christus zu bleiben und am Glauben festzuhalten. Nach Auffassung des Johannesevangeliums besteht das Ziel des christlichen Glaubens darin, in der Welt wirksam zu sein. Dem Erweis dieser Wirksamkeit dient das metaphorische Bild von den Früchten der Reben. Traditioneller Weise wird diese Passage des Textes gerne in Predigten dazu verwendet, die Gläubigen sanft zu ermahnen, „viel Frucht“ zu bringen. Aber was heißt das? Ist damit der in der Geschichte der Kirche in der Diakonie zum Tragen kommende Liebesdienst gemeint? Deutlich wird aus dem Kontext des Textes zumindest eines: Im Sinne der Metapher vom Weinstock ist die Frucht nur möglich durch das Bleiben im Weinstock. Wie sich dieses konkretisieren kann, zeigt V. 7: Es geht um das Bleiben im Wort. In einer Predigt zum Text hebt der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, hervor, dass das Bleiben in der Beziehung das Entscheidende ist. Damit ist die Beziehung zu Jesus Christus gemeint. Mit keiner Silbe erwähnen die Predigten die Folgen der Abwendung von Jesus Christus. So hat der Text im negativen Sinne eine harte Seite. Die Konzentration auf das „Bleiben“ verwischt mithin auch den Bezugspunkt, nämlich das „Wort“.

Das Wort steht im Mittelpunkt der Gemeinschaft, die sich um das Abendmahl herum bildet. Für Luther macht diese Fixierung auf das Wort geradezu die Theologie des Abendmahles aus. Nur das Wort macht das Zeichen zu einem Sakrament. Diese Zentrierung auf das Wort relativiert in gewisser Weise die durch den Text so oft verkündigte Metapher der Frucht. Der Frucht-Appell: „Seid aktive Gemeindeglieder“, d.h. gestaltet das Gemeindeleben mit lebendiger Gruppenarbeit und typisch evangelischer Klebe- und Bastelpädagogik und seid „drin“, indem ihr eine „gestaltete“ Mitte habt, tritt zurück hinter den Gedanken, dass alle Aktivität vom Wort selber ausgeht. Dem Johannesevangelium geht es darum, dass das Wort die Priorität erhält und in euch bleibt. Das „Im Wort-Sein“ ist das Entscheidende.  Erst nachgeordnet geht es dann auch um das Bleiben in der Liebe.    

Das Wort zu verlieren ist dann die Gefahr an der Grenze und entscheidet zwischen „drinnen sein“ und „draußen sein“. Jetzt erhält der Text eine ziemlich aktuelle Note, wenn man ihn als eine Mahnung an die christliche Gemeinschaft versteht. In der Zeit als das Johannesevangelium historisch entstand, gab es diese Gefahr, dass die Gemeinschaft der Kirche auseinander zu brechen drohte. Der Schwung des Anfangs sank und die Euphorie auf das Reich Gottes verschwand allmählich. Die Wiederkehr des Auferstanden ließ auf sich warten. In dieser Situation mahnt das Evangelium das Erbe des Anfangs an. Der Text erinnert an den Ursprung der Gemeinschaft.

Also zu guter Letzt noch einmal gewendet: Wer ist „drinnen“ und wer ist „draußen“? Was heißt das: „Bleibt in mir“? im heutigen Gesellschaftskontext? Für mich heißt das, dass die Kirche zwar drinnen in der Gesellschaft als eine Institution existiert, aber ihre Position hat sich verändert. Sie ist ein kleiner werdender Teil am Rand einer vielstimmigen Religionslandschaft in einer offenen Zivilgesellschaft. Der Predigttext ruft danach, dass die Kirche „in ihm bleibt“, d.h. sich auf die Verkündigung des Evangeliums und auf das Wort der Offenbarung konzentriert und vor allem in den eigenen Reihen der Gemeinde in der Liebe bleibt (Joh 15,9).  Mit dem Hören auf das Wort entspricht sie dem Sein des Weingärtners. Diese Konzentration auf das geoffenbarte Wort war die Mitte, aus der die Reformation ihre Kraft und Energie bezog. Das Hören auf dieses Wort Gottes zog im 16. Jahrhundert den Umbau und die Umgestaltung der Kirche nach sich. Und heute?

Perikope
26.04.2015
15,1-8