Predigt zu Johannes 16,5-15 von Johannes Neukirch

Predigt zu Johannes 16,5-15 von Johannes Neukirch
16,5-15

(Hinweis: Johannes 16,5-15 ist der von der Perikopenrevision vorgeschlagene Predigttext)

Jesus bereitet seine Jünger auf seinen Abschied vor und sagt:

5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. 7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. 8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; 9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; 10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; 11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. 12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. 13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. 15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

Liebe Gemeinde,

wie soll das bloß weitergehen? Viele Menschen haben sich in den letzten Wochen und Monaten diese Frage gestellt oder besser: haben diese Worte geseufzt, geklagt, laut geschrien. In diesen Tagen sind es besonders die Menschen in der Provinz Alberta in Kanada, die vor dem riesigen Waldbrand fliehen und ihre Häuser, ihr Hab und Gut zurücklassen müssen. Die Bewohner von Aleppo in Syrien, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, viele Menschen in Äthiopien und Indien, die wegen einer Dürre nichts mehr zu essen haben und auf vertrocknete Felder schauen. Wie soll es bloß weitergehen? Wie sehen die nächsten Tage, Wochen, Jahre aus, was für eine Zukunft haben unsere Kinder?

Selbstverständlich gibt es diese Frage bei uns auch: Wie soll es weitergehen, wenn ich meine Arbeit verloren habe oder vielleicht unglücklich bin in meinem Beruf oder einfach das Geld nicht reicht? Wie überstehe ich die nächsten Jahre, wenn meine Partnerin oder mein Partner gestorben ist, wenn die Eltern pflegebedürftig geworden sind, wenn ich selbst krank geworden bin? Und für einen Schüler, der durch eine Prüfung gerasselt ist, kann diese Frage auch sehr bedrohlich sein. Ich denke, jede und jeder von uns hat solche Situationen schon selbst erlebt.

Diese Frage passt in die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, in der wir gerade sind. Jesus ist weg. Auf ihm lagen so viele Hoffnungen. Er war der Lehrer, er hat Wunder getan, Kranke geheilt, einige sogar von den Toten auferweckt.  Menschen sind ihm nachgefolgt und haben ihm vertraut. Er sollte ihnen ein besseres Leben ermöglichen, ihnen den Himmel nahe bringen, dafür sorgen, dass sie nach dem irdischen Leben ein ewiges Leben haben, dass das Paradies offen steht.

Nach dem Schock darüber, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, gab es ja erst einmal wieder Hoffnung. Er soll von den Toten auferstanden sein, erzählte man sich. Und der Auferstandene ist einer ganzen Reihe glaubwürdiger Menschen erschienen. Einer seiner Jünger, Thomas, durfte ihn sogar anfassen, weil er das nicht glauben konnte.

Dann aber ist er wieder gegangen, endgültig, „er fuhr auf gen Himmel“ heißt es bei Lukas, Himmelfahrt. Wie soll es nun ohne Jesus weitergehen, haben sich seine Anhängerinnen und Anhänger gefragt!

Jesus hat seine Jünger auf diesen Moment vorbereitet, davon erzählt unser Predigttext. Jesus redet mit ihnen über die Zeit, in der er nicht mehr da sein wird. Und er sagt dabei einen, wie ich finde, ganz erstaunlichen Satz: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe.“

„Es ist gut für euch, dass ich weggehe“ – ich kann mir vorstellen, dass die Jünger sehr irritiert und erstaunt waren, als sie das hörten. Was soll gut daran sein, wenn der große Lehrer, der Meister, der Retter weg ist? Und wie sollte es dann weitergehen – schließlich war kein Nachfolger von Jesus in Sicht! Er war in jeder Hinsicht einzigartig und unersetzbar. Auch wenn er immer wieder gesagt hatte, dass die Frauen und Männer um ihn herum auch große Dinge tun könnten, wenn sie glaubten. Aber in den Evangelien werden sie doch oft als ziemlich schwach im Glauben dargestellt.

Nun, es ist weitergegangen, liebe Gemeinde, sonst wären wir nicht hier in diesem Gottesdienst beieinander. Aber es ist nach wie vor, ganz nüchtern betrachtet, ein großes Wunder, dass sich aus dieser kleinen Schar, deren Anführer plötzlich weg war, die Christenheit von heute, also die mehr als zwei Milliarden Christinnen und Christen weltweit entwickelt hat.

Nächsten Sonntag feiern wir Pfingsten, da wird erklärt, wie dieser Übergang möglich wurde. Der Übergang von Anhängern des Jesus zur ersten Gemeinde, die Menschen getauft hat und zu einer Massenbewegung wurde.

Pfingsten erzählt, wie es weiterging, wie der Heilige Geist zu der Versammlung kam, wie sie alle begeistert waren und sich der Glaube an Jesus Christus ausgebreitet hat. Das geschah tatsächlich erst, als Jesus fort war, nach der Himmelfahrt. Und eben dieser Jesus hatte vorher gesagt: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn, so weiter, „wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster (also der Heilige Geist) nicht zu euch!“ Die große Gemeinschaft der Christen haben wir also dem Heiligen Geist zu verdanken.

Was ist das für ein Geist? Jesus sagte, dass der „Geist der Wahrheit“ kommen wird. Das meint: der Heilige Geist erfindet nichts Neues, sondern gibt die Wahrheit weiter. Jesus erklärt das so: Der Heilige Geist wird „nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen“. Und er fügt hinzu, dass der Geist der Wahrheit nur das verkündigen und weitergeben wird, was vom Vater kommt.

Jesus hatte immer schon gesagt, dass er genau das verkündigt, was er von seinem Vater hat. Das wird nun sozusagen vom Heiligen Geist übernommen. Wir können auch sagen: Der Heilige Geist vervielfältigt, was Jesus bzw. sein Vater sagt.  Er bringt das Wort des Vaters zu uns, macht es lebendig und kraftvoll in unseren Herzen und Seelen. Er bringt die Liebe des Vaters zu uns und lässt uns darauf vertrauen, dass wir Gottes geliebte Kinder sind. Paulus schreibt im Epheserbrief, wie wir vorhin in der Lesung gehört haben: Der himmlische Vater gibt uns Kraft, „stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.“

Der Heilige Geist, der Tröster, der uns Kraft bringt – der hält durch die Jahrtausende alles zusammen, der wirkt seit dem Pfingstwunder und bringt uns auch heute weiter. Er lässt uns wieder hoffen, Mut fassen und glauben. Lasst uns beten, dass er kräftig weht. Amen.

 

Perikope
08.05.2016
16,5-15

22.11.2015, Weimar: "Niemand soll allein sein"

22.11.2015, Weimar: "Niemand soll allein sein"
14,1-6

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

Es war vor vier Jahren als wir zum ersten Mal an das frische Grab unseres Freundes getreten sind. Wir haben geschwiegen.

Wir waren zu dritt. Ich war froh, dass ich nicht allein war.

Jeder suchte sich eine Aufgabe. Einer zupfte etwas Unkraut. Eine sorgte dafür, dass unser Blumenstrauß an der richtigen Stelle lag. Ich sagte: „Das hätte ihm gefallen. Das wir zusammen hier sind.“ Und dann begannen wir zu erzählen, über unsere gemeinsame Zeit, wie es war.

Heute erinnern wir uns an Menschen, die uns auf unserem Weg vorausgegangen sind. Das  ist oft schwer. Deswegen tun  wir es gemeinsam.

Die Bibel sagt: Keiner ist allein unterwegs. Gott ist mit auf dem Weg. Wie ein Hirte. Der Herr ist mein Hirte. Ich sehe: Der Weg öffnet sich. Es geht leicht. Mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Vieles ist gelungen. Meine Erinnerung verbindet sich mit meinem Dank für gute gemeinsame Zeit.

Manchmal ging die Kraft aus. Da waren Durststrecken. Aber dann war es ein gutes Gefühl: Es war neue Kraft da - für Leib und Seele, für - Körper und Geist. Stärkung. Da waren Zweifel. Bin ich auf rechter Straße, auf dem richtigen Weg?

Brauche ich eine Kurskorrektur oder gar einen Richtungswechsel?

Der  Weg wurde auch eng, zu eng und finster, zu finster. Das hat viele Gesichter. Einer sagt: „Meine Mutter ist schon lange für mich gestorben“.  Einer sagt: „Ich bin krank, unheilbar krank. Ich werde sterben. Lasst mich nicht allein.“ Angst kann sein wie ein Dickicht in dem man stecken bleibt. Eine sagt: „Im vergangenen Jahr ist mein Mann verstorben.“ Und sie fragt sich: Wie komme ich da durch?

Eng und ganz finster fühlt es sich an, wenn wir an den schrecklichen Terror denken, dem so viele Unschuldige zum Opfer gefallen sind. In Paris, in Beirut, in Bamako.

Oft gelangen wir an die Grenzen des Helfens, aber wir brauchen Hilfe an der Grenze.

Und wir können einander beistehen. „Wir sind eins!“ hieß es nach den Anschlägen von Paris.

Damit wir unseren Blick weit machen – Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal. Fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir dein Stecke und Stab trösten mich.

Dass das möglich ist, haben wir eben gehört: ob im Krankenhaus, im Hospiz. - Wie auf unserem Bild. Es wurde für ein totes Kind des Weimarer  Herzogpaares gemacht. Ein Engel und ein Kind unterwegs.

Scheinbar - wie an einer Grenze nimmt der Engel ein kleines Kind bei der Hand. Er legt ihm seinen Mantel um. Mantel heißt in der latainischen Sprache „pallium“. Nun sind beide geschützt. Keiner ist allein. Ob es den Eltern geholfen hat?  Ob Luise und Carl August - die Eltern - beides gespürt haben: die große  Traurigkeit und eine tiefe Geborgenheit?

Unser Bild zeigt: Einer hält die Hand, die ich loslassen muss. Einer hat einen schützenden Mantel, wenn ich nicht mehr kann. Einer legt den schützenden Mantel um, das pallium. Wenn es wenig Chance auf Heilung gibt, muss es doch eine große Bereitschaft zur Hilfe geben. Es ist wichtig, dass der Bundestag gerade mehr Geld für  Palliativmedizin zur Verfügung stellte. Palliativmedizin kann an der Grenze helfen. „Palliativ“ da steckt wieder das Wort „pallium“-Mantel drinnen. Genau übersetzt könnte  man sagen Schutzmantelmedizin -  Medizin an der Grenze. Menschen an der Grenze brauchen Schutz und Unterstützung. Hier sieht es aus als führt der Engel das Kind geborgen über die Grenze  auf eine andere Seite.

Über die Zeiten hinweg erklingen die Worte aus dem Johannesevangelium: „Christus spricht: Ich gehe hin, unter die Himmel, und sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause.“

Heute  am Totensonntag reden wir über menschliches Sterben, über Abschied und Tod.  Aber heute werden wir  nicht nur zurückschauen auf den Weg. Wir weiten den Blick nach vorn – Ewigkeitssonntag.

Also lesen wir weiter in unserem Psalm und schreiten über die Grenze in ein neues Land – ein Heimatland.  Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst meine trockene Haut mit Öl und wenn ich durstig bin schenkst du mir voll ein. Komm „Wir setzen uns an den Tisch der  Sehnsucht der nie leer wird“. Sagt einer.

Die Angst schwindet. Rilke schreibt:

„Wenn etwas uns fortgenommen wird, womit wir tief und wunderbar zusammenhängen, so ist viel von uns selber mit fortgenommen. Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz.“

Gott will, dass wir uns wieder finden. Wo? Wo ist diese andere Heimat dieses Zuhause?

Eine sagt: „Ich komme auch heute, nach fast zwei Jahren gern ins Hospiz. Es gehört nun zu unserem Leben, wie zum Beispiel der Kindergarten oder die Schule der Kinder. Die Zeit mit dem Hospiz hat mir persönlich die Angst vor dem Sterben genommen.“

Eine sagt:  „Es muss kein Haus sein. Es gibt ein Hospiz im Herzen, nicht in Mauern! Gesucht und gebraucht wird eine Haltung, die die sterbenden Menschen und ihre Angehörigen gleichermaßen anspricht. Ihnen Raum, Selbstverständlichkeit und Schutz anbietet.“

Und dann berichtet die Pastorin: „Ich konnte sie wenige Stunden vor ihrem Tod ein letztes Mal im Krankenhaus besuchen. Es war der Ostermorgen. So las ich ihr das Osterevangelium vor.
Zum Schluss heißt es da: „Fürchtet euch nicht.“

Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz.“ Wiederfinden. Unser Psalm spricht davon, dass Gutes und Barmherzigkeit doch kein Ende haben und wir bleiben können im Hause des Herrn. Jesus sagt: Ich sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause.

Ich denke gern an meinen Freund. Ich vermisse ihn auch. Ich denke an gemeinsame Zeit. Sie war zu kurz. Stimmt das: Gott aber will, dass wir uns wieder finden. Jesus sagt:  Ich sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

Perikope
22.11.2015
14,1-6

Predigt zu Johannes 5,24-29 von Heinz Behrends

Predigt zu Johannes 5,24-29 von Heinz Behrends
5,24-29

„Mach’s gut, Helmut, und grüß Loki“,  jemand hat seinen Abschiedsgruß für Helmut Schmidt auf einen Zettel geschrieben und den vielen Grüßen im Jägerzaun vor Schmidts Haus in Hamburg-Langenhorn hinzugefügt, dazu eine Menthol-Zigarette.
Mich bewegt die kleine Szene, nicht nur mich, die Presse hat mit Überschriften von diesem Gruß berichtet. Tröstlich heute an dem Sonntag, an dem wir unserer Toten gedenken. Was für eine erwärmende Jenseitsvorstellung vermittelt der Grüßende! Helmut wird auch in der anderen Welt leben, seine geliebte Menthol-Zigarette rauchen und vor allem, er wird seine Frau Loki wiedersehen, von der er sich nach ihrem Tod vor 5 Jahren so schmerzlich verabschieden musste. Helmut Schmidt lebt weiter bei Gott. Dieser Urtyp eines Protestanten, der als Politiker und Deuter der Weltpolitik vom Ethos Freiheit, Verantwortung und Schuld gelebt hat. Und der mit zunehmendem Alter immer mehr seine Zweifel an Gott ausgesprochen hat. Ein protestantischer Atheist, ein frommer Agnostiker, sagen einige über ihn, der sich nach 68 Ehejahren im Hamburger Michel wie ein gebrochener Mann von Loki verabschiedet und noch einmal eine neue Beziehung eingeht. Morgen wird er im Michel, dem berühmten Gotteshaus seiner Heimatstadt, auf einer großen Trauerfeier geehrt und verabschiedet. „Mach’s gut, Helmut, und grüß Loki“. Manche sagen mit humorvollem Augenzwinkern“ „Nun wird er da oben Gott die Welt erklären“.
Mich berührt das. Steckt doch hinter allem das Bild eines liebevollen Lebens bei Gott nach unserem Tod.
Wer wünscht sich das nicht heute, ewiges Leben und Wiedersehen unserer Liebsten.
Es ist ein Trost für alle, die heute unter uns im Gottesdienst sind, im letzten Jahr einen vertrauten Menschen verloren haben und Ihrer heute gedenken. Es gibt ein ewiges Leben, ja, ein Wiedersehen.
Viele sagen mir aber auch, es interessiere sie nicht, was nach dem Tode sei. Die Reaktion auf den Tod eines Menschen wie Helmut Schmidt oder eines Geliebten scheint das zu widerlegen.

Also ist es gut, unsere Glaubenszeugnisse in der Bibel zu befragen.
Die Bibel spricht von Tod und Ewigkeit in verschiedenen Texten und Bildern, die sich ergänzen, aber  auch miteinander streiten. So kann ich Sie heute als Prediger bis zum Tor eines Gartens führen, einen Blick hinein wagen, weiter nicht. Aber das ist schon viel.
Ich habe Paulus als Führer bis ans Tor. Die Toten werden auferstehen beim Klang der Posaune, dann werden die Lebenden dazu kommen, dann werden wir alle mit Christus entrückt werden in den Himmel (1.Thess 4). Später wagt er ein anderes Bild: „Es wird gesät ein natürlicher Leib und auferstehen ein geistlicher Leib“ (1. Kor 15). Wir werden also auferstehen, aber in einer Gestalt, die nicht vergleichbar ist mit unserem jetzigen menschlichen Körper. Wir sterben und dann wird Gott selber uns neu erschaffen.

Auch der Evangelist Johannes lässt sich nicht auf ein Bild festlegen. „Wer glaubt dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht“, sagt er. Also kein Gericht am Ende der Zeit, sondern heute entscheide ich selber darüber, indem ich an Christus glaube oder nicht. Das ist sehr sympathisch. Keine Jenseitsvorstellungen, kein Vertrösten auf Später. Nein, jetzt entscheide ich selber über mein Leben. Ich habe das selber in der Hand. Klingt gut für den modernen Menschen, der alles selbst bestimmen will. Allerdings bekomme ich ewiges Leben nur durch meine Beziehung zu Christus, wenn ich glaube, er ist der Gesandte Gottes. Was wird aus Helmut Schmidt, der gesagt hat, „Ich glaube nicht, dass Gott seinen Sohn geschickt hat“. Er verstehe das Reden der Kirche von Trinität und der Betonung von Christus nicht. Wird Gott in sein Herz schauen und würdigen, dass er beeindruckend Bach-Choräle auf der Orgel spielen konnte, dass er den frommen Dichter Matthias Claudius seinen Lebensbegleiter nennt? Der Weltpolitiker hält sich an den frommen Familienvater aus Wandsbek. Wird Gott ihn würdigen? Gott wird es wissen. Die Lebenden richten selber durch ihren Glauben über ihr Leben. Das gilt auch für die Toten. Sie werden die vertraute Stimme Christi wiedererkennen. Also, wir sind mit ihm bei Gott. Gut aufgehoben.
Das sehe ich, wenn ich in den Garten schaue.
Aber es hat schon damals den Lesern des Johannes-Evangeliums nicht genügt. Denn eine Frage hat sie gequält: Ist denn am Ende für alle alles gut? Und sie haben im Johannes-Evangelium hinzugefügt „ Es kommt die Stunde, es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes“.  Es gibt böse Menschen. Sie werden gerichtet werden. Beruhigt mich das heute nach den Anschlägen vom letzten Wochenende in Paris? Es muss doch eine Gerechtigkeit geben. Menschen rufen „Allah ist groß“ und erschießen Menschen, die den letzten warmen Novemberabend vor den Cafés genießen oder ihre Lieblingsmusik hören. Sie versuchen, ein Chaos anzurichten, wo Menschen sich am Fußball erfreuen. Anschließend sprengen sie sich in die Luft und meinen, etwas Gutes getan zu haben. Wir sind fassungslos, ratlos und ungläubig, wenn wir die ritualisierten Betroffenheitsformeln hören, die großen Worte der Politiker, alle ernst gemeint, aber am Ende hilflos. Gewalt ist ein Erfolgsmodell. Darum umso mehr: Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, werden die Mörder es einmal vor einem Gericht verantworten müssen. Wenn es kein Gericht gäbe, dann wäre doch alles egal auf dieser Welt. Dann könnte doch jeder ungestraft tun und lassen, was er will. Das mag ich nicht denken.
Jesus selbst bestätigt ja im Evangelium von heute aus Matth 25, dass in dem Garten ein Richtertisch aufgebaut ist. „Was Ihr nicht getan habt einem meiner geringsten Brüder! .. Sie werden hingehen zur ewigen Strafe“. Muss ich mein Bild von dem Blick durch die Gartenpforte aufgeben und von der Hölle reden? Nein, Hölle erleben wir schon auf Erden, in Syrien, in Afghanistan, im Jemen, auf den Fluchtwegen der Flüchtenden, in den Hirnen der Schlepper, in den Drogengeschäften in Mexiko.
Jetzt bin ich schnell bei den anderen, den offensichtlich bösen Menschen. Gott wird sie richten, ich muss Gott sei Dank nicht der Richter sein.
„ER wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten“. Das glaube ich.

Und ich? Gehöre ich zu den Guten? Ich sehe meinen Kleinglauben, der sich seines Glaubens an Christus nicht immer sicher ist.
Und erwarte ein Gericht. Und das ist gut so.
Denn wir haben ein Recht darauf –so mein theologischer Lehrer Fulbert Steffensky- einmal unverhüllt vor dem Antlitz Gottes zu stehen, wo und wie auch immer – das weiß nur Gott“, sagt er. Ich möchte am Ende erkennen, wer ich bin und was ich war. Ja, es ist eine Frage der Würde, dass ich vor Gott und mir selber nicht versteckt bleibe. Wir entgehen unserem Schmerz über uns selbst nicht, wenn wir unser Ungenügen, unsere eigene Bosheit erkennen, sagt er. Ich habe mein Leben gelebt mit Gelingen und mit Mühen und mit Versagen. Ich will, dass Gott das noch einmal anschaut, wenn ich nackt vor ihm stehe. Es kommt ja immer darauf an, vor wem ich nackt da stehe. „Er kennt unseres Herzens Grund“, so Psalm 44.

Ich schließe dieses schwere Kapitel, was nach meinem Tod ist und nach dem Tod meiner Liebsten und meiner Feinde:
Es gibt ein Leben bei Gott. Es gibt ein Gericht. Ich werde in einer anderen Gestalt bei Gott leben. Ich habe dafür heute Bilder, einen Blick durch das Gartentor. Wir werden nicht wieder geboren werden und auf die Erde zurückkehren. Wir  werden bei ihm sein und er bei uns.

Helmut Schmidt wusste sich durch Matthias Claudius getröstet. Ich auch. Darum am Ende mit einem seiner schönsten Gedichte ein letzter Blick durchs Gartentor:

Der Mensch

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar
Kömmt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
und bringt sein Tränlein dar;
verachtet und verehret,
hat Freude und Gefahr;
glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält nichts und alles wahr,;
erbauet und zerstöret;
und quält sich immerdar;
schläft, wachet, wächst und zehret;
trägt braun und graues Haar etc.
Und alles dieses währet,
wenn’s hoch kommt, achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Väter nieder,
und er kömmt nimmer wieder.
 

Perikope
22.11.2015
5,24-29

Predigt zu Johannes 5,24-29 von Jochen Arnold

Predigt zu Johannes 5,24-29 von Jochen Arnold
5,24-29

Predigt zu Joh 5,24-29

Liebe Gemeinde,

dem Philosophen Immanuel Kant werden vier große Fragen zugeschrieben, die er sich und der Menschheit gestellt hat: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was kann ich hoffen?  Was ist der Mensch?

Ich möchte heute „nur“ die dritte Frage bearbeiten, deren Antwort – wie der Philosoph meint – die Religion geben soll: Was kann ich hoffen? Worauf dürfen wir hoffen?

Viele von Ihnen wird diese Frage heute besonders umtreiben, weil Sie im letzten Jahr einen lieben Menschen verloren haben.  Wo ist er jetzt? Geht es ihm gut? Oder anders: Wird es ihm dereinst gut gehen!? Werden wir uns wiedersehen? Bei Gott?

Diese Fragen bekommen angesichts der schrecklichen Ereignisse in Paris letzten Freitag noch einmal eine ganz andere Dramatik. Viele haben zu mir gesagt: Uns alle hätte es treffen können. Der Terror ist mitten unter uns. Wir leben nicht auf „sicheren Seite“ des Erdballs… Nicht nur kranke und alte Menschen, wir alle sind mitten im Leben vom Tod „umfangen“. Martin Luther dichtet im Anschluss an einen mittelalterliche Antiphon:

Mitten wir im Leben sind / mit dem Tod umfangen.
Wer ist’s der uns Hilfe bringt, / dass wir Gnad erlangen?
Mitten in dem Tod anficht / uns der Hölle Rachen.
Wer will uns aus solcher Not/ frei und ledig machen?

Hören wir nun auf Worte aus dem Johannesevangelium im 5. Kapitel. Jesus sagt:

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.  25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. 26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; 27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. 28 Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden  29 und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

I Wer glaubt, ist „schon durch“

Ich bin froh, liebe Mitchristen, dass Jesus kein zweideutiger Orakelprophet ist.  Keiner, der mal so, dann wieder so redet, unberechenbar, wie ein Aal. Nein, gerade dann, wenn es ans Eingemachte – um Tod und Ewigkeit - geht, dann redet er nicht um den heißen Brei  herum, sondern macht klare Ansagen: Amen, ich sage euch. Das was jetzt kommt, ist bestimmt wahr, darauf könnt ihr euch verlassen. Manches lässt uns in dieser Rede Jesu zusammenzucken. Sie fordert uns heraus, lässt aber auch neue Hoffnung entstehen, ja vielleicht sogar süßen Trost aufleuchten.

Hören wir eine kurze Geschichte!

Ein Angeklagter, nennen wir ihn Rolf P, sitzt in Untersuchungshaft. Seit Wochen fiebert er dem Tag der Verhandlung entgegen. Es steht viel auf dem Spiel. Er weiß, er ist nicht unschuldig. Alkohol am Steuer, Fahrerflucht und sogar eine schwere Körperverletzung werden ihm zur Last gelegt… Die Nächte waren furchtbar. Die beklemmende Frage: Was tue ich, wenn ich verurteilt werde? Was ist dann mit meiner Ehe, mit meiner Familie? Suizidgedanken machen sich breit. (Sein Anwalt hatte zwar ein Gnadengesuch eingereicht, aber er wagt kaum, an einen Erfolg zu glauben.)  Am frühen Morgen des Verhandlungstages bekommt er jedoch eine Nachricht: Die Sitzung ist abgesetzt, das Verfahren ist beendet. Freispruch.  Rolf kann es kaum fassen vor Glück. Schuldig und doch frei.

Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der kommt nicht in das Gericht….

Ich meine, liebe Schwestern und Brüder, dass uns allen dieses Wort gesagt ist. Wer an Jesus glaubt, muss  sich vor nichts fürchten.  Er sagt:

Hab keine Angst! Ich bin die Auferstehung in Person, ich stehe auch für dich und dein Leben ein. Ich erhebe am letzten Tag meine Stimme für dich. Neues, ewiges Leben ist dir versprochen, du darfst direkt durchgehen zu Gott. Deine Schuld ist durchgestrichen, das Gericht ist „gecancelt“.

Gibt es etwas Größeres und Schöneres? Also eine erste kräftige Antwort auf Kants Frage: Christen glauben und hoffen, dass

alle, die an Christus glauben, geglaubt haben oder glauben werden, schon jetzt freigesprochen sind. Sie leben. Ihre Beziehung zu ihm trägt sie durch, wenn das große Buch aufgeschlagen wird… Sie bleiben lebendig in dieser Beziehung auch über den Tod hinaus. Ein großes Wort an alle, die auf den Namen des dreieinigen Gottes getauft sind.

Gemeinsames Lied: EG 66,4 und 8

Jesus ist kommen, der Fürste des Lebens, / sein Tod verschlinget den ewigen Tod. /Gibt uns ach höret’s doch ja nicht vergebens, /ewiges Leben, der freundliche Gott. /Glaubt ihm, so macht er ein Ende des Bebens. /Jesus ist kommen der Fürste des Lebens.

II Gericht der Werke

Ein Ende des Bebens – für die, die an ihn glauben… Welche eine Perspektive! Damit ist nun freilich nicht gesagt, dass es gar kein Gericht mehr geben wird.

Verstehe ich Johannes recht, dann gibt es ein letztes Forum. Im Gericht der Werke werden alle (Nichtglaubenden)  zur Rechenschaft gezogen.  Hier kommt die Wahrheit ans Licht. Alle,  die unterdrückt, ausgebeutet, vergewaltigt oder misshandelt worden sind, bekommen Recht, ihre Seelen werden heil.  Auch diejenigen, die Kranke besucht und Flüchtlingen geholfen haben, sei gesagt: Gott sieht es. Es ist nicht umsonst geschehen. Umgekehrt: Auch die Täter müssen sich verantworten. Die Greuel kommen ans Licht. Ohne diese Zurechtbringung wird es keinen Frieden, keine Ewigkeit geben.

Was ist dann mit den Tätern? Mit denen, die Millionen veruntreut oder gelogen und getötet haben? Die Kinder missbraucht oder Flugzeuge abgeschossen haben? Wo werden sie sein? Haben auch sie, wenn alles auf den Tisch kommt, eine Chance? Oder haben sie ein für allemal verspielt? Gibt es womöglich doch eine Versöhnung von Tätern und Opfern!?

Machen wir uns zunächst deutlich, was bei Johannes über sie gesagt und NICHT über sie gesagt wird.

Der Menschensohn Christus ruft in seiner schöpferischen Kraft alle Menschen aus dem Tod ins Leben, keiner bleibt seinem Machtwort, seiner Wirkung entzogen. Die Vorstellung, dass die Welt oder alle Menschen in ein Nichts gehen, ist damit ausgeschlossen. Wir erfahren auch nichts über einen Zwischenzustand, z.B. über ein reinigendes Fegefeuer, das davor gewesen wäre. Auch über zeitliche Strafen im Leben hier und jetzt erfahren wir nichts. Und zuletzt – dies mag überraschen – steht hier  nichts von einer ewigen Verdammnis (im Gegensatz zu Matthäus 25).

Ich denke: Was ein Mensch an Gutem und Bösem in seinem Leben getan hat, wird zur Sprache kommen. Nichts geht verloren. Keine gute Tat, die Menschen an anderen öffentlich oder im Verborgenen getan haben, wird bei Gott vergessen sein, auch nicht die guten Taten derer, die „Böses getan haben“. Ich frage uns überhaupt: Gibt es denn eine Trennlinie zwischen Menschen, die Gutes und Böses tun? Wer möchte sich anmaßen, diese Trennlinie zu ziehen!?  Ich bekenne klar: Diese Trennlinie kann nur Gott ziehen. Und selbst mit diesem Wissen fällt es mir schwer zu glauben, dass die Werke in diesem Gericht das einzige Kriterium sind, wonach das Urteil gefällt wird.

Worauf können wir hoffen, fragt uns Kant?

Liebe Gemeinde, ich setze meine Hoffnung auch für diese Situation nur auf einen, auf Christus selbst.

Der Richter – sagt Johannes - ist der Menschensohn,  der von sich sagt, dass er ein guter Hirte ist. Einer, der sein Leben für die Schafe gibt, für alle Schafe. Für alle Menschen gibt er sich dahin, nicht für einige wenige.  Und ist uns allen vorausgegangen. In seines Vaters Haus hält er viele Wohnungen bereit, ja auch für Schafe, die  zu einem „anderen“ Stall (Joh 10,17),also z.B. einer anderen Religion, gehören.

Ich gebe zu. Wir begeben uns damit in den Bereich der Spekulation. Was hier anklingt, ist in gewisser Weise „Zukunftsmusik“. Aber eben kein Angstszenario mit Drachen, Höllenrachen und Zähneklappen. Alle Menschen begegnen am Ende dem, der am Morgen der Schöpfung dabei war und der die Nacht des Kreuzes ausgehalten hat. Dem, der nicht im Grab geblieben ist, sondern unvergängliches Leben ans Licht gebracht hat. Das gibt uns Hoffnung auch für unsere Verstorbenen, von denen wir ja alle nicht genau wissen, was sie in ihrem Leben Gutes oder Böses getan und wie stark sie geglaubt haben. Hoffnung aber auch für die Menschen anderer Religionen, die zu Lebzeiten nicht an Jesus geglaubt haben oder glauben konnten und doch in ihrem Herzen „fromm“ waren.

Nochmals: Unsere Toten stehen im Gericht keiner grauen Eminenz oder einem grässlichen Sensenmann gegenüber.  Der Mensch gewordene Gott, dessen inneres Wesen Güte ist es. Auch den Kämpfern der IS, auch den Schergen der KZs, auch den Vergewaltigern . Alle hören sie seine Stimme. Werden sie ihm dann glauben? Dürfen dann auch sie mit ihm „durchgehen“?

Ich habe die Hoffnung, liebe Gemeinde, dass  dann auch harte Herzen durch sein wahrhaftiges und liebendes Wort überwältigt werden….

III.  Aufstehen jetzt

Doch lasst uns zuletzt der Gegenwart ins Auge sehen. Die Pointe der Verkündigung Jesu im Johannes-Evangelium besteht darin, dass das Leben hier und jetzt beginnt und dass die Macht des Todes schon jetzt ein Ende hat.

Menschen, die total isoliert waren,  bekommen durch den Glauben neue Perspektiven. Sie werden frei, wie Rolf in unserer Geschichte.  Wer diese Befreiung erfährt, entdeckt die Gesichter und Hände der Anderen: Denn Jesus ruft uns in eine Gemeinschaft. Christsein ist eben nicht Privatsache für ein paar fromme Eigenbrötler. Es wird zusammen gelebt und gegessen, gebetet und gesungen. Gemeinsam kommen wir ans Ziel.

Wo wir heute seine Stimme hören, bleiben wir nicht bei uns allein, auch nicht nur in einer frommen Gruppe, sondern treten heraus ins Licht seiner Welt: Jesus  ist nicht nur Weg und Tür zum Vater, sondern auch Licht und Leben für diese noch immer existierende Welt mit all ihren schönen und schrecklichen Seiten.

Mit ihm  können wir uns gemeinsam dem Leben in die Arme und dem Tod entgegen werfen. Darum lasst uns gegen  Gewalt und Terror eintreten in diesen Tagen.  Voller Hoffnung, dass über alle Grenzen menschlichen Lebens hinweg „sein“ Friede schon da ist.

In dieser Hoffnungskraft zerbrechen die  Ketten des Todes. Was im Angesicht des Grauens von Paris kaum vorstellbar scheint, ist wahr. Seit Ostern haben sich die Dinge gedreht. Der leibliche Tod – das ist kein Zynismus – kann uns nicht alles nehmen.

Lasst uns singend aufstehen und glaubend hoffen und alles auf eine Karte setzen: auf den, der  Tod und Hölle in Schach hält, bis Gott alles in allem sein wird.

Jörg Zink hat einmal gedichtet:
An Ostern, o Tod, war das Weltgericht
Wir lachen dir frei in dein Angstgesicht.
Wir lachen dich an, du bedrohst uns nicht.

Wir folgen dem Christus, der mit uns zieht.
Stehn auf, wo der Tod und sein Werk geschieht.
Im Aufstand erklingt unser Osterlied.

Gemeinsam singen (LebensWeisen 35,3-4)

 

Perikope
22.11.2015
5,24-29

„Ganz ungetröstet bin ich nicht“ - Predigt zu Johannes 5,24-29 von Ruth Conrad

„Ganz ungetröstet bin ich nicht“ - Predigt zu Johannes 5,24-29 von Ruth Conrad
5,24-29

„Ganz ungetröstet bin ich nicht“

In diesem Gottesdienst denken wir an unsere Toten, an die Menschen, die wir im letzten Jahr verloren haben. Ein Text aus dem Johannesevangelium will uns trösten in unserer Trauer. Ich lese Johannes 5, die Verse 24-29:

Jesus spricht: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. (25) Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. (26) Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; (27) und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. (28) Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden (29) und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

Der Tod,
liebe Gemeinde,
der Tod ist für uns, die wir zurückbleiben,
ein großes Erschrecken.
Eine tiefgehende Erschütterung.
Einem Erdbeben gleich fräst er sich durch unser Leben.
Ein naher Mensch geht weg und wir bleiben zurück.
Wir sehen ihn leiden,
sehen sein Ringen mit dem Tod,
erleben, wie er schwächer und schwächer wird,
wie er dem Leben entgleitet und wir müssen es zulassen.
Müssen ihn weggehen lassen.
Wir werden gezwungen, ihn loszulassen.
Ihn freizugeben.
Und wir werden nicht gefragt.
Manchmal dürfen wir nicht einmal Abschied nehmen.
Dann, wenn der Tod wie ein Wegelagerer ins Leben fällt.
Plötzlich, unerwartet, ohne Vorwarnung.
So wie letzte Woche in Paris.
Und wir – , wir bleiben zurück.
Allein.
Vertrieben aus unseren bisherigen Gewissheiten.
Unser Lebenshaus wirkt seltsam verwaist.
So viele Räume stehen leer.
So viel Vertrautes funktioniert nicht mehr.
Die zwei gleichen Tassen beim Frühstück, ja, die aus dem letzten Sommerurlaub, sie wirken so deplatziert.
Und wer macht jetzt morgens das Müsli?
Wer holt die Zeitung hoch?
Wer bringt den Müll runter und hängt die Wäsche auf?
Der gemeinsame Kleiderschrank ist plötzlich völlig überdimensioniert und die Ferienwohnung viel zu teuer für nur eine Person.
Der Tod vertreibt uns aus unseren Gewohnheiten, aus unserem Alltag.
Er zwingt uns in neue Rollen und neue Gewohnheiten.
Wir müssen uns neu finden: Wer sind wir? Wie wollen wir jetzt leben? Wie können wir jetzt leben? Halten unsere Freunde und Verwandte unsere Trauer und unseren Schmerz aus? Oder müssen wir weitere Verluste ertragen?
Manchmal tauchen auch dunkle Erinnerungen auf.
In die Trauer mischt sich Schmerz.
Wie gerne würden wir manch böses Wort zurückholen, abfällige Gesten rückgängig machen und gäben viel darum, wir hätten nicht so oft gestritten, nicht so viel gearbeitet, sondern mehr gefeiert, mehr gemeinsame Zeit verbracht.
Uns dämmert: Manchmal waren wir ungerecht. Hatten so wenig Verständnis und Zeit für unsere nächsten Menschen, für ihre Eigenheiten, ihre Geschichte.
Im Tod beginnt eine Frau zu verstehen, dass ihr Mann die vielen Stunden der Zurückgezogenheit im Hobbykeller, an denen sie immer rumgemäkelt hatte, dass er sie für seinen Seelenfrieden gebraucht hat. Dass er deshalb oft zwischen ihr und der Tochter oft ausgleichen konnte, wo sie eher in den Konflikt ging.
Im Tod beginnt der Sohn zu verstehen, warum der Vater ihn als Kind so unverhältnismäßig streng behandelt hat. Plötzlich vermag er die Seelengeister zu sehen, die den Vater gejagt haben. Er findet Behandlungsunterlagen einer schlimmen Depression. Die Strenge war eine Überlebensstrategie.  
Manchmal müssen wir im Tod die Weggegangen neu sehen lernen.
Wir erfahren Dinge, die wir nicht unbedingt wissen wollten und die unsere gemeinsame Geschichte umdeuten.

Ob wir uns neu sehen oder den anderen:
Im Tod erfahren wir neue Wahrheiten.
Verborgenes kann zu Tage treten.
Plötzlich spüren wir in uns eine Liebe, von der wir nicht wussten, dass sie noch so lebendig ist.
Plötzlich nehmen wir eine Fremde war, die uns erschrecken lässt.Ja,
liebe Gemeinde,
der Tod ist für uns, die wir zurückbleiben,
ein großes Erschrecken.
Eine tiefgehende Erschütterung.
Ein Erdbeben.
Jesus spricht davon, dass der Tod einem „Gericht“ gleicht.
Verborgenes, Unbekanntes wird offenbar und lässt sich nicht länger leugnen.
Wir können nicht entrinnen.
Wir werden nicht nach unserer Zustimmung gefragt.
Es hat etwas Endgültiges.
Ja, der Tod ist für uns, die wir zurückbleiben, ein Erschrecken.
Er gleicht einem Gericht.Gott sei Dank aber,
liebe Gemeinde,
Gott sei Dank,
ist das nicht das Einzige und vor allem nicht das Letzte, was Jesus über den Tod sagt.
Im Glauben, sagt Jesus, im Glauben ist der Tod immer auch ein Hindurchgehen durch das Gericht des Todes. Ein Hindurchgehen zum Leben. Zum ewigen Leben. Weil der Glaube um das Unverlierbare und um die Ewigkeit der Liebe weiß.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben.
Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben.

Jesus Worte – das sind Worte jener tiefen Wahrheit über uns Menschen, dass wir alle, Tote und Lebende, geborgen sind in der ewigen Gnade Gottes.
Jesus Worte – das sind Worte jener tiefen Liebe zu uns Menschen, die sich selbst in den Tod gegeben hat, um uns in eben dieser Erschütterung nahe zu sein und um uns zur Auferstehung zu begleiten.
Jesu Worte – das sind Worte jener tiefen Hoffnung für uns Menschen, dass am Ende der Tage Gott ein Taschentuch in die Hand nimmt und alle Tränen von unseren Augen abwischen wird, alle Traurigkeit und Schmerz aufheben wird, seine Hand auf unsere gebeugten Schultern legen wird und sagen: Siehe, ich mache alles neu. Es ist gut.
Jesu Worte – das sind Worte jenes tiefen Glaubens, dass das Leben nicht mit dem Tod und nicht mit dem Gericht endet, sondern am Ende eingeht zu Gott und darin neu wird – ewiges Leben.
Jesu Worte – sie verbinden uns mit Gott, mit der Ewigkeit seiner Liebe und so verbinden sie auch uns und unsere Verstorben miteinander.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben.
Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben.


Manchmal,
liebe Gemeinde,
manchmal beginnen wir zu spüren:
Nicht nur die Toten gehen hindurch zum Leben.
Auch wir, die wir zurückbleiben, fühlen uns in unserem Schmerz und mitten in aller Erschütterung mit dieser Ewigkeit des Lebens und der Unvergänglichkeit dieser Liebe verbunden.
In einer schlaflosen Nacht, in der die Erinnerung uns übermannt und der Schmerz uns aufzuzehren droht, da steigt in uns ein stummes Gebet auf. Wir spüren: Gerade jetzt sind wir „in Rufweite zu Gott“ (Norbert Hummelt).
In schweren Tagen, wenn die Einsamkeit in unser Leben einzuziehen droht, da machen wir die Erfahrung: Wir sind „von guten Mächten wunderbar geborgen“ (Dietrich Bonhoeffer).
Und die guten Mächte haben ein ganz menschliches Gesicht:
Die Nachbarin, die ein nettes Kaffeekränzchen ins Leben ruft. Jeden Mittwoch, gleicher Ort, gleiche Torte. Eine neue Gewohnheit. Sie tut gut. Sie lenkt ab. Sie heitert auf.
Der Kollege, der einem eine Dauerkarte fürs Stadion besorgt. Jeden Samstag, gleicher Ort, gleiches Leiden mit dem eigenen Verein. Eine neue Gewohnheit. Sie tut gut. Sie lenkt ab. Sie aktiviert.
Die Nichte, die zum Studium in eine ferne Stadt zieht, lädt ein: Komm doch her, mach‘ eine Reise. Hier gibt es viel zu sehen. Es tut gut. Es lenkt ab. Man kommt in Bewegung.
Und manchmal sind es auch die kleinen Dinge des Alltags, in denen uns der Trost der Ewigkeit, der Trost Gottes berührt:
Ein prächtiger Sonnenuntergang,
das Blühen des Rosenstrauches,
das stille Flackern einer Kerze,
der Duft von frischen Äpfeln.
So hat es der Dichter Johannes Kühn einmal formuliert:
„Totenlieder summend bin ich wach,
Äpfel duften im Zimmer.
Ganz ungetröstet bin ich nicht“.

Der Tod,
liebe Gemeinde,
der Tod ist ein großes Erschrecken.
Eine tiefgehende Erschütterung.
Einem Erdbeben gleich fräst er sich durch unser Leben.
Unser bisheriges Leben, seine Gewohnheiten und all das Vertraute – es gerät auf den Prüfstand. Gleich einem Gericht.
Doch das ist nicht das Letzte.
Denn wir und unsere Verstorbenen, wir gehen hindurch, durch den Tod, durch das große Erschrecken, durch das Gericht. Wir hören die Stimme Jesu, seine Worte und fühlen uns verbunden mit der Unvergänglichkeit der Liebe Gottes.
Wir spüren:
Hier ist der Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt.
Wenn wir zum Tode erschrecken – ganz ungetröstet sind wir nicht.
In dieser Zuversicht stärke uns Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Amen
 

Literatur:
Norbert Hummelt, Totentanz. Gedichte, Darmstadt: Luchterhand 2007, 9f. („Allerheiligen“).
Johannes Kühn, Ganz ungetröstet bin ich nicht. Gedichte. Hg. v. Irmgard und Benno Rech, München: Carl Hanser, 2007, 61 („Herbstbild“)

 

Perikope
22.11.2015
5,24-29

Leben aus dem Hören - Predigt zu Johannes 5,24-29 von Klaus Pantle

Leben aus dem Hören - Predigt zu Johannes 5,24-29 von Klaus Pantle
5,24-29

Leben aus dem Hören

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. 26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; 27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.

28 Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden 29 und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

„Möge uns der Tod lebendig finden und das Leben uns nicht tot.“ Dieser Graffiti-Slogan bringt auf den Punkt, wovon Jesus hier redet: 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Es geht nicht um mein Weiterleben nach dem Tod. Es geht um mein Leben hier und jetzt. Lebe ich hier und jetzt ein lebendiges oder ein totes Leben? Was Jesus hier pointiert zum Ausdruck bringt, das führt er der Geschichte, die er unmittelbar davor erzählt, aus (5, 1-18). Zu dem Gelähmten, der schon 38 Jahre lang am Teich Bethesda lebendig tot herumliegt und alle Hoffnung hat fahren lassen, weil er es nie ohne Hilfe zu rettenden Wasser schaffen würde, sagt Jesus einfach: „Steh auf und nimm dein Bett und geh!“ (5, 8). Diese Geschichte erzählt von einer Auferweckung mitten im Leben aus einer selbstzerstörerischen Situation, in der der Leidende nur um sich selbst und sein Leiden kreist. Und sie erzählt zugleich von einer Befreiung aus der tödlichen Macht eines Konkurrenzsystems, das den Hilflosen keine Chance lässt. „Es ist eine Auferweckung gegen alle Wahrscheinlichkeit, die Eröffnung einer Beziehung, die das Leben zum Leben macht“ (Hans-Martin Gutmann).

An einem Tag, an dem wir unserer Verstorbenen gedenken, ist das nicht schwer zu begreifen. Denn wenn wir auf das Leben derjenigen, die von uns gegangen sind blicken und auf unser Leben mit ihnen, dann sehen wir das Schöne und das Gelungene und das Erfüllte darin. Aber eben auch das Misslungene und das Vergebliche und das Verpasste. An dem Vergangenen können wir nichts mehr ändern. Aber für die Gegenwart und für die Zeit, die uns bleibt, können wir aus Jesu Worten lernen. Sie können uns helfen, unseren Blick dafür zu schärfen, wie wir hier und jetzt und in den Tagen, die kommen sinnvoll leben und miteinander gut umgehen können.

In einer neulich veröffentlichten Untersuchung wurde festgestellt, dass die Hälfte aller alten Menschen den Zeithorizont der ihnen noch verbleibenden Jahre falsch einschätzt. Ein Drittel der Betagten unterschätzen die Zeit, die ihnen noch bleibt. Das verleitet sie dazu, dass sie sich in der Konsequenz selbst von manchen noch offenen Lebensmöglichkeiten abschneiden. Andere, Jüngere, tun das im Umgang mit ihnen auch, wenn sie zu viel über deren Ende und das danach sinnieren, anstatt mit ihnen geistesgegenwärtig zu leben.

Auf die ihm eigene sarkastische Art thematisiert der serbisch-jüdische Schriftsteller David Albahari, der selbst schon lange mit einer schweren Krankheit lebt, diesen Zusammenhang immer wieder. In kurzen Miniaturen wie der folgenden hält er sich selbst und anderen einen Spiegel vor:

„Der Mann, der jahrelang Angst hatte, sein linker Arm würde gelähmt, und der eines Tages einen Schlaganfall bekam, wodurch er tatsächlich gelähmt blieb, kommt seitdem nicht von dem Gedanken los, dass ihm das nur deswegen zustieß, weil er sich jahrelang vorstellte, es würde ihm eines Tages zustoßen.“

„Nur wer nicht in der Zeit, sondern in der Gegenwart lebt, ist glücklich.“ (Ludwig Wittgenstein). Es geht um das Ewige im Jetzt. Die Toten sind wir selbst, wenn wir gefangen bleiben in unserer Lebens- oder Zukunftsangst. Tote sind wir, wenn wir uns fesseln lassen an das, was war, wenn wir zu sehr um uns selbst kreisen und die Zeit, die uns bleibt, nicht auskaufen. Das gilt für die Zeit, die uns für uns selbst bleibt genauso wie für die Zeit, die uns miteinander geschenkt ist. Unser Körper stirbt ab, wenn ihm belebende Beziehungen zu anderen Menschen fehlen. Unser Geist erlahmt und unsere Seele erkaltet, wenn unser Kontakt zur Quelle ewigen Lebens gestört ist.

Jesus sagt: 25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. 26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; 27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.

Entscheidend ist, was ich höre. Entscheidend ist, auf wen ich höre und worauf ich höre.

„Wörter können alles. Die können schikanieren und die können schonen und die können einen besetzen und die können einen leerräumen“ (Herta Müller).

Wir leben in einer Welt des andauernden öffentlichen Erregungszustandes und des permanenten Geplappers. Die Wirklichkeit wird zugetextet. Gefühle und Erfahrungen, Fragen und Ratlosigkeit, Trauer, Schmerz- und Glückserfahrungen werden überspült von seichtem, sinnfreiem oder unappetitlichen Geschwätz. Man muss nicht alles sagen, was man meint, „doch wohl noch sagen zu dürfen“. Man braucht sich das auch nicht anzuhören. Gelegentlich ist es besser, alle Kanäle abzustellen, in sich zu gehen und die Stille zu suchen. Aus der Stille heraus kann ich wieder neu hören. Entscheidend ist, dass ich gut höre und genau hinhöre: dass ich höre auf das, was Sinn gibt – Sinn für mich und Sinn für andere.

Ob ich scheitere in meinem Leben oder ob mir etwas gelingt, das habe ich nicht immer selbst in der Hand. Aber gelegentlich hängt es davon ab, worauf ich höre. „Tot oder lebendig“ – ich bin, worauf ich höre. „Ewiges Leben“, Sinn-erfülltes Leben wird finden, wer auf die Stimme des Sohnes Gottes hört, sagt Jesus. Denn: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben und alles in Fülle haben sollen“ (Johannes 10, 10). Die an mich glauben, sollen, „nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Johannes 3, 16), weil Gott sie und ihre Welt liebt, weil er sie vorbehaltlos und bedingungslos liebt. Deshalb können sie frei leben, hier und jetzt, in seiner ewigen Gegenwart. Im Hören auf seine Stimme lösen sich alle ichbezogenen Gefühle und Gedanken auf. Druck und Zwang verschwinden. Ich werde frei und leer -  um von ihm erfüllt zu werden, von seinem Geist, von seiner Energie, von seiner Fülle, von unerschöpflicher Lebenskraft. „Wer Ohren hat, der höre“ (Matthäus 11,15). Im Hören auf ihn öffnet sich eine andere Welt als unsere dauererregte Welt der Geschwätzigkeit und des Ressentiments, des Konkurrenzdrucks und des Leistungszwangs. Im Hören auf ihn öffnet sich die Welt der Freundlichkeit Gottes und der Zärtlichkeit Jesu. Im Hören auf ihn öffnet sich eine andere Welt als die der Gewalt und des Todes. Im Hören auf ihn öffnet sich die Welt des Unerhörten.

28 Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden 29 und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

Hinter den Tod kommen wir mit unserem Denken nicht. Dazu braucht es Bilder, unerhörte Sprachbilder, die unseren irdischen Horizont aufzureißen. Unser Verstand kann dieses Unerhörte nicht durchdringen. Wir können Jesu Sprachbilder nur hören und darüber staunen.

Was wir begreifen ist unsere böse und gewalttätige Lebenswirklichkeit. Das Morden in Paris, die Bürgerkriege im Nahen und Mittleren Osten und die dadurch ausgelösten Fluchtbewegungen sind erschütternd. All das wird hier nicht ausgeblendet. Was wir hören, ist, dass all das zu Gottes Wirklichkeit in eine Relation gestellt wird. Diejenigen, die über Leichen gehen, werden nicht das letzte Wort behalten, sagt diese Stimme: Gott wird das letzte Wort behalten.

Unerhörte Wörter, Worte der Hoffnung, nie gesehene Bilder der Rettung: Sie können wirken. Das weiß selbst ein Agnostiker wie Ludwig Wittgenstein: „Nehmen wir an, jemand machte das zu seiner Lebensregel: den Glauben an das Jüngste Gericht. Was immer er tut, es schwebt ihm dabei vor. Nun denn, wie können wir wissen, ob wir sagen sollen, er glaubt, dass das Jüngste Gericht stattfinden wird, oder er glaubt es nicht? Ihn zu fragen ist nicht genug. Er wird vermutlich sagen, dass er Beweise hat. Er hat jedoch vielmehr das, was man einen unerschütterlichen  Glauben nennt. Und der wird sich nicht beim Argumentieren oder beim Appell an die gewöhnliche Art von Gründen für den Glauben an die Richtigkeit von Annahmen zeigen sondern vielmehr dadurch, dass er sein ganzes Leben regelt.“

Darum geht es. Um nicht mehr und nicht weniger. Um die Haltung, die aus dem Hören solch unerhörter Worte folgt. Darum, dass sie unser Leben regeln. Es geht um die Gewissheit, die sich nicht aus Wissen und Erfahrung speist, sondern die aus diesem aus dem Hören geregelten Leben selbst Erfahrungen hervorbringt – Erfahrungen der Fülle.

Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, dessen Verdienste um die juristische Aufarbeitung der deutschen Verbrechen an den Juden jüngst in zwei Kinofilmen gewürdigt wurden, kämpfte in den 1950-iger und 60-iger Jahren um Aufklärung und Gerechtigkeit schon hier und jetzt. Er kämpfte darum, obwohl er isoliert war und bekämpft und bedroht wurde. Er, (gebürtiger Stuttgarter, Abiturient am hiesigen Eberhard-Ludwigs-Gymnasium), Rückkehrer aus der Emigration nach dem 2. Weltkrieg, deutscher Jude, Schwuler, Sozialdemokrat, bezahlte dafür einen hohen Preis: den nahezu totaler sozialer Isolation und persönlicher Einsamkeit. Aber sein Kampf war erfolgreich. Auf sein Betrieben hin wurde Adolf Eichmann gefangen und begann im Jahre 1963 in Frankfurt der Auschwitz-Prozess. Kurz vor seinem Tod im Jahre 1968 schrieb er: „Der praktisch tätige Mensch hält es mit dem Prinzip Hoffnung, mag er auch selbstkritisch sich mitunter des Gefühls nicht erwehren können, es könnte eine Lebenslüge sein.“ Und weiter: „Selbst wenn die Hoffnung tatsächlich eine Lebenslüge ist – ohne sie wäre die Unmenschlichkeit in der Welt nicht zu überwinden.“

Glaubende haben es hier vielleicht etwas leichter. Denn sie können sich im Vertrauen auf seine Stimme darauf verlassen, dass sie in einem überzeitlichen göttlichen Horizont existieren. Darin sind sie in allem Leben, Lieben, Leiden und Sterben aufgehoben. Gerade deshalb kann dieser Glaube, den Jesu Worte in uns auslöst, uns die Lebensenergie und die Lebenszuversicht geben, die wir brauchen, um ganz im Hier und Jetzt „ewig“ zu leben. Dieser Glaube gibt uns die Kraft, um in diesem Leben Haltung bewahren.

 

Perikope
22.11.2015
5,24-29

"Kein Goldenes Kalb hat je Sicherheit erzeugt" - Predigt zu Johannes 16,33 von Renke Brahms

"Kein Goldenes Kalb hat je Sicherheit erzeugt" - Predigt zu Johannes 16,33 von Renke Brahms
16,33

Liebe Gemeinde!

Die Welt scheint aus den Fugen geraten! So viele Meldungen und Bilder über Krieg und Gewalt, von vertriebenen und flüchtenden Menschen erreichen unsere Häuser und unsere Herzen. Die Sicherheiten scheinen zu zerbröckeln. Das Gefühl der Unsicherheit wächst

Ich stimme in das Gebet des Psalmbeters ein: "Herr, tu ein Zeichen, dass Du´s gut mit mir - mit uns - mit den Menschen - meinst." Ich stelle mir vor, wie viele Menschen auf ihre Weise so beten, so seufzen, so rufen und schreien. In verschiedenen Sprachen, ob zu Allah oder dem Gott der Bibel. Dieser Ruf, diese Sehnsucht nach Zeichen des Friedens eint sie alle.

Wie aber könnten sie aussehen - die Zeichen des Friedens - Zeichen einer gerechten Welt? Ich will jedenfalls nicht hereinfallen auf die Zeichen der Stärke, der Macht oder Gewalt. Kein Goldenes Kalb, keine Macht der Welt, keine Ideologie, keine Armee hat je Frieden gebracht. Und kein Zaun und keine Mauer haben je Sicherheit erzeugt.

Jesus wischt die Angst nicht weg

Ich bin froh und getröstet, dass ich dem glauben darf, der so kräftige Zeichen gesetzt hat für Gewaltlosigkeit und Versöhnung, für Nächstenliebe und Feindesliebe. Er nimmt mich mit, wenn ich zweifle, wenn ich ratlos bin oder mich ohnmächtig fühle.

Er gewinnt das Vertrauen der Skeptikerinnen und vermeintlichen Realisten  - so wie er Thomas gewonnen hat, der so oft fälschlicherweise der Ungläubige genannt wird.

Frieden ist das Ziel. Alles, was Jesus sagt und tut, hat das eine große Ziel des Friedens - des umfassenden Schalom Gottes. Der Mann aus Nazareth ist selbst das Zeichen des Friedens. Auf ihn zu hören, ihm zu folgen, an ihm sich zu orientieren, seinen Zeichen zu folgen, bringt uns dem Frieden näher.

Der erste Schritt auf dem Weg zum Frieden ist der realistische Blick auf die Welt, in der wir leben. "In der Welt habt ihr Angst." Ja, so ist es! Und Jesus wischt die Angst nicht weg.

Seid mutig, unverzagt, beherzt!

Allen Grund zur Angst haben die Menschen, die in diesen Tagen in Aleppo, Mossul, Donezk oder anderen Orten ausharren und nicht sicher sind, ob sie den nächsten Tag erleben. Allen Grund zur Angst haben die Frauen und Männer, die vor Gewalt fliehen, haben die Kinder, die nichts anderes erleben als Krieg. Angst haben die Menschen an den Küsten Libyens, wenn sie auf das nächste Boot warten, das sie nach Europa bringen soll.

Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Schriftfuehrer der Bremischen Evangelischen Kirche, Renke Brahms

 

Müssen wir Angst haben, wenn diese Menschen zu uns kommen? Unser Land hat in der Geschichte schon weit größere Zahlen von Flüchtenden aufgenommen. Aber natürlich gibt es auch unter uns, in unseren Gemeinden Menschen, die Angst oder zumindest Sorge haben. Darüber muss wieder und wieder gesprochen werden - dafür muss auch Raum sein. Denen aber, die mit der Angst der Anderen ihr eigenes Süppchen der Fremdenfeindlichkeit und eines Rechtsextremismus kochen wollen, müssen wir kräftig widerstehen!

In der Welt habt ihr Angst. Aber .... Ich ärgere mich in der Regel über ein "Aber". Oft genug kommt es von den Bedenkenträgern, die sich gegen Veränderungen sperren. Ein solches "Aber" will ich nicht hören.

Bei Jesus ist es der Einspruch gegen eine Angst, die lähmt. "Aber seid getrost...!" Dieses "Aber" höre ich gerne. Was Martin Luther mit dem schönen Wort "getrost" übersetzt, kann auch heißen: "Lasst euch nicht lähmen von Angst! Seid mutig, unverzagt, beherzt!"

Bonhoeffer: "Friede muss gewagt werden."

Man möchte es denen zurufen, die auf ihren Wegen nach Europa sind. Verliert nicht den Mut! Ihr habt schon so viel gewagt!

Und man möchte es den Vielen zurufen, die sich für die Flüchtenden engagieren, ihre Portmonaies und ihre Häuser öffnen, in den Unterkünften helfen und sich in Behörden und Institutionen mühen, damit die Menschen menschenwürdig unterkommen. Danke! Und hört nicht auf! Verliert nicht den Mut!

Und man möchte es denen zurufen, die sich für den Frieden einsetzen - überall dort, wo sie verantwortlich sind: in Politik, Kirche und Zivilgesellschaft. Hört nicht auf! Verliert nicht den Mut! Seid beherzt!

Dietrich Bonhoeffer hat gesagt: "Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden."

Es gibt keinen Frieden auf dem Weg einer Sicherheit, die meint, sich in Europa abschotten zu müssen. Wer nur die eigene Sicherheit meint und nicht auch die der Flüchtlinge, wer nur um den eigenen Wohlstand fürchtet - der tanzt schon wieder kräftig um das Goldene Kalb.

Pathetischer Schmus oder naiver Leichtsinn?

Wer meint, den Frieden sichern zu können mit immer mehr und ausgefeilten Waffen, lässt sich blenden vom brüchigem Zeichen der Stärke und der Macht. Wie aber kann Frieden gewagt werden? Vielleicht müssen wir, um eine Antwort darauf zu finden, noch tiefer in die Botschaft Jesu eintauchen.

 "...aber seid getrost - seid mutig, seid zuversichtlich, seid beherzt - denn ich habe die Welt überwunden." Jesus sagt nicht: "Ich werde die Welt überwinden, irgendwann, vielleicht mit meinem Tod oder der Auferstehung." Er sagt: "Ich habe die Welt überwunden." Mit jedem Zeichen, das er tut, mit jedem Menschen, den er heilt, mit jedem Kind, dem er Brot zu essen gibt, mit jedem, der zweifelt und doch neues Gottvertrauen gewinnt - mit jedem dieser Menschen überwindet er die Welt.

Mit jeder Geste der Versöhnung, mit jedem Streit, den wir schlichten, mit jedem Menschen, dem wir Zuflucht geben, mit jedem Menschen, den wir vor dem Hungertod bewahren und mit jedem Menschen, den wir trösten, setzen wir Zeichen des Friedens und  überwinden wir die Welt der Gewalt, der Ungerechtigkeit und des Todes.

Und wer nun meint, dies sei nur pathetischer Schmus oder naiver Leichtsinn, muss sich die Frage gefallen lassen, wo wir denn wären ohne diese kleinen die Welt verändernden Schritte. Wo wären wir denn, wenn nicht die wenigen Menschen vor 30 Jahren in Erfurt und Leipzig angefangen hätten, für den Frieden zu beten. Daraus wurde eine friedliche und gewaltlose Revolution und die Mauer fiel. Wo wären wir denn, wenn sich nicht ehemalige Feinde nach dem Zweiten Weltkrieg die Hände gereicht und sich Völker versöhnt hätten. Und wo wären wir in Südafrika, in Ruanda - wenn nicht Menschen Frieden und Versöhnung gewagt hätten.

So leicht, so offen, so tragfähig wünsche ich mir meine Kirche

Und wo kämen wir denn hin, wenn es keine Vereinten Nationen gäbe, wenn es nicht möglich wäre, über nachhaltige Entwicklung und die Rettung des Klimas zu verhandeln und damit an die Wurzeln der Konflikte zu gehen und endlich, endlich die Ursachen zu bekämpfen - zugegeben mühsam ist es und oft noch nicht ausreichend.

Wir dürfen die kleinen Schritte nicht schmähen und uns ihrer nicht schämen. Glauben wir doch unserem eigenen Glauben und dem, der uns zuruft: Seid getrost, mutig, unverzagt, beherzt und wagt den Frieden! So überwinden wir die Welt.

Ein schönes Zeichen, liebe Gemeinde! Gottes offene Gesellschaft - nicht verborgen oder versteckt und geschlossen, sondern zugänglich für alle. Und ein tragfähiger Grund: Gottes Gegenwart und Glanz mitten unter uns.

So leicht, so offen, so tragfähig wünsche ich mir meine Kirche. So wünsche ich mir eine offene Gesellschaft, in der die verschiedensten Menschen in Frieden zusammenleben. So wünsche ich mir eine Welt, in der Frieden gewagt und Gewalt überwunden wird. So wünsche ich mir eine Welt, in der auf gewaltfreie Konfliktlösung gesetzt wird.

"Barmherziger Gott: Tu ein Zeichen an uns, dass du' s gut mit uns meinst! So beten wir zu dir voller Sehnsucht mit den Vielen auf dieser Erde. Und wir erkennen Zeichen deiner Güte und deines Friedens. Lass uns darauf achten und daraus Kraft schöpfen. Amen."

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.

Perikope
08.11.2015
16,33

Predigt zu Johannes 5,24-30 von Jasper Burmester

Predigt zu Johannes 5,24-30 von Jasper Burmester
5,24-30

Liebe Gemeinde -

wo verläuft die Grenze unseres Lebens? Wo endet das Leben, wo beginnt der Tod? Viele unter uns haben das Erreichen und Überschreiten dieser Grenze erlebt, als ein Ihnen naher Mensch starb. Die Endlichkeit unseres Lebens, die Begrenztheit unserer Zeit und unserer Kräfte wurde Ihnen dabei erschreckend oder auch erlösend und befreiend deutlich.

In für uns vielleicht recht ungewohnter Weise spricht Jesus im Johannesevangelium über diese Grenze zwischen Leben und Tod, ja, er definiert sie in gewisser Weise neu und jedenfalls anders, als wir es in unserem eigenen Erleben wohl tun. Ich lese aus dem 5. Kapitel die Verse 24-30:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.

Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts. Ich kann nichts von mir aus tun. Wie ich höre, so richte ich und mein Gericht ist gerecht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.

Jesus zeigt eine ganz andere Grenze zwischen tot und lebendig auf: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und ist vom Tod zum Leben hindurch gedrungen.” Hier bestimmt nicht ein biologisches Verfallsgeschehen, hier bestimmt er, bestimmt sein Wort die Grenze zwischen Tod und Leben. Sein Wort hören und glauben bewirkt Leben, und dann gleich: ewiges Leben. Es nicht hören, überhören, weghören, nicht glauben bewirkt vielleicht nicht  den Tod, wohl aber das Gericht.

Liebe Gemeinde -

diese Worte können uns erschrecken. Sie passen so gar nicht zu dem Bruder Jesus, den wir gerne hören und an dessen heilende Wohltaten wir gerne denken. Ein Richter, der dereinst Rechenschaft von jedem von uns fordert, ist nicht die Botschaft, die wir gerne hören. Dabei sprechen wir es Sonntag für Sonntag im Glaubensbekenntnis aus: „von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten“. Es handelt sich also keineswegs um eine Randnotiz, sondern um einen der Kerngedanken unseres Glaubens.

Das Ende von Zeit und Welt und die Auferweckung der Toten zusammen mit dem Gericht, mit einer Scheidung von Gut und Böse zu denken ist im gegenwärtigen Protestantismus ein selten gehörter Gedanke. So gibt es zum Beispiel kaum Literatur zu dieser Textstelle und in den branchenüblichen Predigtvorbereitungsbüchern kommt dieser Abschnitt, obwohl regulärer Predigttext zum Totensonntag, nicht vor.

Hier spricht nicht Jesus, unser Menschenbruder, der zur allgemeinen Geschwisterlichkeit anstiftet, auf den wir den Gottessohn weitgehend reduziert haben, sondern der Christus „sitzend zur Rechten Gottes“, der unser Richter zu sein beansprucht. Ob er dabei auch unser Retter sein wird, bestimmt er allein, souverän und endgültig. Heil oder Unheil, Leben oder Gericht liegen so in seinem Richterspruch beschlossen.

Wir hören gerne, dass Gott sich in seinem Sohn uns gnädig und freundlich zuwendet. Dazu sagen wir herzlich „Ja“. Aber dass sich derselbe zugleich als unser Richter auch von uns abwenden könnte - da protestiert das religiöse Denken, das sich Gott und Jesus so zurecht gestutzt hat, wie man sie gerne haben möchte. Das „Ja“ wird gehört, das aber auch mögliche „Nein“ wird überhört, verdrängt.

Wenn wir aber diese Spannung zwischen Liebe und Gerechtigkeit aufheben, schaffen wir uns einen Abgott, der viel mit unseren Wünschen und begreiflichen Sehnsüchten zu tun hat, aber wenig mit der - eigentlich doch auch für uns noch verbindlichen - Überlieferung des Neuen Testaments. Das alles ist dann nicht heiß und nicht kalt, sondern lau. Wir nehmen den tröstenden Worten „Gnade“ und „Liebe“ ihre Kraft, wenn es nur das „Ja“ und nicht auch ein mögliches „Nein“ gibt.

Wenn es völlig gleichgültig wäre, ob wir Gutes oder Böses tun, weil am Ende sowieso nur ein „Ja“ herauskommen darf, so nähme das denen, die sich in ihrem Leben als Opfer erfahren und erlitten haben, jede Hoffnung auf so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit.

Dieses sind unbequeme, ungemütliche Gedanken: Dass das Leben nicht natürlicherweise, ja geradezu zwangsläufig gelingen muss, sondern auch verfehlt werden könnte. Oder dass es gelebte und dabei vergeudete Lebenszeit geben kann, wobei es nicht so sehr darum geht, etwas im Leben verpasst zu haben, sondern das Leben selbst versäumt, vertan zu haben. Und dass es nicht gleichgültig ist, wie wir uns verhalten in Worten und Taten, im Schweigen und Unterlassen, ob wir mit anderen oder auch uns selber gut oder böse umgehen.

Das aber geschieht – wir wissen es, wir erleiden es, wir dulden es, wir sehen dem ohnmächtig oder gleichgültig zu. Sollte es deshalb auch Gott, sollte es Christus gleichgültig sein?

Ich bin als Notfallseelsorger einer Frau begegnet, die das ganz offen für sich selbst so sagte: „Wissen Sie, ich habe mein Leben versoffen.“ Und sie erzählte mir auch von ihrem Vater, der seiner kleinen Tochter Zigaretten auf ihrer Brust ausgedrückt hat. Ich lese in der Zeitung vom Flüchtling aus Syrien, der erleben muss, dass auch sein Folterer in Assads Diensten und als Flüchtling Asyl beantragt hat. Wir alle sehen im Fernsehen die unerträglichen Provokationen der rechten verbalen und tätlich werdenden Brandstifter – 30 Schläger gegen 2 Flüchtlimge. Wie kommen wir darauf, dass es nicht darauf ankäme, was wir tun, was wir lassen?

Diese Gedanken, liebe Gemeinde, sind auch für mich selbst nicht angenehm und gemütlich, sondern erschreckend. Es kommt darauf an, was ich tue, wie ich rede, wo ich schweige, wo ich mich ängstlich oder gar feige oder auch nur bequem heraus halte. Ich werde, so sagt mir dieser Text, zu einer Zeit, die Gott allein bestimmt, wie jeder andere Mensch gefragt werden, gerichtet werden. Aber erst wenn ich mich auch in diesen unangenehmen Schattenseiten ernst nehme, gewinnen Worte wie „Gnade“, und „angenommen sein“ ihre tröstende und heilende Kraft zurück.

Wenn wir uns diesem Erschrecken stellen und es aushalten, dass es eben nicht egal ist, was wir in und mit unserem Leben machen, dann können wir auch das andere hören, was in diesen Worten Jesu steckt: Dass sie ein starker Ruf zum Leben sind!

Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

Es geht dabei nicht um die Erregung von Furcht, sondern um das Leben, das volle, gelebte, erfüllte Leben. Es werden nicht Leben und endgültiger Tod, sondern Leben und Gericht gegenüber gestellt.

Wer Gutes getan hat, wer Böses getan hat: die Worte, die Johannes verwendet, sind mit Überlegung gewählt – beim „Gutes tun” ist das Wort „tun” dasselbe, mit dem Gottes schöpferisches Handeln beschrieben wird und beim „Böses tun”, wird für „Tun” ein ganz anderes Wort gebraucht, eines, das man mit geschäftigem Treiben übersetzen könnte, und das niemals in Verbindung mit Gott gebraucht wird. Auch das Böse, das da so geschäftig betrieben wird, ist eher etwas, was mit Gott nichts im Sinn hat, im Sinne von nichtig, wertlos, untauglich, gewöhnlich. Da ist die Unterscheidung, die Krisis des Gerichts.

Mit Gericht ist in der Bibel aber nicht Abrechnung und Verhängung von Strafe gemeint, sondern die Schaffung von Recht, die Behebung von Schaden und die Wiederherstellung des Heiles und des Gottesfriedens, des Schalom.

Das Ziel des Gerichtes ist das Leben. Darum ist der Sohn, darum ist Christus der Richter, darum hat Gott ihm das Gericht übertragen, weil er die Sünde aller, das Nicht-in-Gott-Getane aller Menschen in seinem Tod getragen und in seiner Auferstehung verwandelt und ins Leben geführt hat.

Amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen. Das Leben haben - darum geht es. Ein Ruf zum lebendigen, unverstellten, intensiven Leben. Aus dem Tod zum Leben durch gedrungen, zum Leben auferstanden - welch ein Leben-Wollen wird da spürbar, eine Sehnsucht, ein Wunsch nicht erstickt und erdrückt, eingeengt zu sein. Vielleicht reicht es, das irgendwann einmal erlebt zu haben: Das Leben, das sich in einem erfüllten Augenblick überwältigend ereignet: Im Erleben einer grandiosen Landschaft, beim Betrachten eines Bildes, im Hören, in der liebenden Begegnung mit einem Menschen, um dem Tod gegenüber solch erfüllten Erleben sein Gewicht vielleicht nicht zu nehmen, aber doch zu mindern.

Ein starker Ruf ins Leben sind diese Worte Jesu aber auch darum, weil die Zeit der Entscheidung nicht der Sankt-Nimmerleins-Tag ist, sondern das hier und jetzt. Was dermaleinst sein wird, entscheidet sich im Leben, also jetzt und hier, in unserem Umgang mit diesem Geschenk, das manchmal ja auch Last sein kann.

Auf drei Dinge kommt es dabei an: Ob wir es leben oder versäumen, ob wir verantwortungsvoll mit anderen und uns umgehen und ob wir uns im Leben und Sterben dem anvertrauen, der uns das alles gab als Gabe und Aufgabe: Gott, der uns in Christus vor diese alles entscheidende Frage stellt: Vertrauen wir ihm und hören ihn?

Amen

Konsultierte Literatur:

- Siegfried Schulz, NTD 4

- Yorick Spiegel z.St. in Assoziationen Bd. 1

- Günter Brakelmann z.St. in Textspuren Bd. 1

- Welt am Sonntag vom 1.11.2015

 

Perikope
22.11.2015
5,24-30

Predigt zu Johannes 11, 1-4; 17-27; 40-45 von Reiner Kalmbach

Predigt zu Johannes 11, 1-4; 17-27; 40-45 von Reiner Kalmbach
11,1-4;17-27;40-45

Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

Wir stehen, wie man so schön sagt, „mitten im Leben“. Wir arbeiten, planen unsere Ferien, wir haben Freunde und eine Familie, wir bewegen uns, wie auf einer Strasse, auf beiden Seiten Leitplanken, in der Mitte die weisse Linie, immer nach vorne. Das alles gibt uns den Anschein einer gewissen Sicherheit. Dass uns ein Ereignis ganz plötzlich und „unverhofft“ aus der Bahn werfen könnte, wissen wir, aber wir verdrängen es nur zu gerne...

In Europa ist jetzt Erntezeit, Erntedank-Zeit, hier bei uns in Argentinien beginnt der Frühling, die ersten Tulpen und Narzissen blühen, die Obstbäume verbreiten den Duft nach Leben, nach Aufbruch. Wer mag da an den Erzfeind des Lebens denken...

An einem Sonntagnachmittag bin ich unterwegs zu einem Gottesdienst in einer entfernten Filialgemeinde mitten in den patagonischen Anden. Da meldet sich mein Handy, in einer Gegend in der es eigentlich gar keinen Empfang haben sollte. Mein ältester Sohn ist dran und teilt mir mit, dass vor wenigen Stunden mein Onkel, ebenfalls Pfarrer, bei einem Autounfall tödlich verunglückte. Da ich sehr früh meinen eigenen Vater verloren hatte, war dieser Onkel ein Leben lang eine Art Ersatzvater für mich. Es war, als stürzte ich in einen Abgrund. Eine tiefe Traurigkeit, ein unglaublicher Schmerz breitete sich in mir aus. Und in einer Stunde sollte ich von der Kanzel aus das Evangelium verkündigen. Ich konnte nicht einmal zur Beerdigung fahren, mein Onkel lebte 3500 km entfernt, weit im Norden Argentiniens. Ich wäre auf jeden Fall „zu spät“ gekommen. Am nächsten Tag rief ich meine Tante an, wollte ihr etwas tröstendes sagen, aber ich brachte kein Wort heraus, ich konnte nur noch weinen. Dann tröstete mich die Tante, sie erzählte mir von seinem unerschütterlichen Glauben an die Auferstehung, von einem Gefühl der Geborgenheit, wie er es immer wieder selbst formulierte, und ich spürte diesen Glauben auch in ihr, diese Gewissheit die ihren Grund nur in einem tiefen Gottvertrauen haben konnte.

Ja, darum soll es heute gehen, um das Leben und die vielen Tode, die fast nie, wie wir es uns wünschen, als ein guter Freund durch die offene Haustüre hereinkommen, sondern fast immer wie ein Einbrecher durch die verschlossene Hintertüre.

Ich habe diesen Abschnitt schon so oft gelesen, auch ein paar mal über ihn gepredigt, sicherlich gehört er zu den „populärsten“ Geschichten aus dem Neuen Testament. Und noch immer bin ich tief bewegt...

Textlesung: Johannes 11, 1 – 4; 17 – 27; 40 - 45


1. Mitten im Leben klopft es an die Tür.

Hier wird der Tod nicht beschönigt, hier wird er so dargestellt, wie er ist. Wie viele ähnliche Situationen gehen uns durch den Sinn! Diese einfachen Worte nehmen uns mithinein, „mitten im Leben“. Unser ältester Sohn, noch klein, ein Baby, der Pseudokrupp der ihn schon seit Monaten plagt (und die Eltern zur schieren Verzweiflung bringt) scheint diesmal so schlimm wie noch nie..., hinzu kommt noch eine Lungenentzündung..., mitten im Leben, mitten in der Nacht..., der Arzt kann nicht kommen, er ist bei einem anderen Notfall, also fahren wir ins Krankenhaus und – hätten keine Minute länger warten dürfen -.

Der Bruder ist schwer erkrankt, die beiden Frauen tun, was getan werden muss: sie rufen nach dem „Arzt“. Gleich soll er kommen, Eile tut Not! Der Freund ist schlimm dran... Wir predigen von der Kanzel die Auferstehung, gleichzeitig sterben unsere Lieben. Jesus könnte eingreifen, aufhalten, tut es aber nicht. Er lässt sich Zeit, kommt wann es ihm in den Kram passt. Sein bester Freund ist dem Tode nahe und er hat keine Eile. Das ist fast schon grausam. Er tut nicht das, was wir wollen..., wir wollen, ich will..., dass..., sofort! Der Arzt, wo bleibt er denn!?

Als Jesus schliesslich ankommt, liegt Lazarus schon vier Tage im Grab. Damit ist die Grenze überschritten, innerhalb derer nach damaliger Überlieferung der Vorgang des Sterbens noch umkehrbar wäre. Man glaubte, dass die Seele sich noch drei Tage lang in der Nähe aufhalte. Nun aber ist es zu spät. Modern gesprochen: nun kann es keine Zweifel mehr geben, es handelt sich nicht um einen klinischen Tod. Die Beschreibung ist so realistisch, dass man den Tod förmlich riechen kann.

Dann kommt es zur Begegnung zwischen Jesus und Martha. In ihren Worten liegen nicht nur Schmerz und Trauer. Ich höre da auch einen Vorwurf heraus. Wer könnte sie nicht verstehen!?

Aber da ist noch etwas, etwas das sie vielleicht selbst nicht verstehen kann: Martha traut Jesus mehr zu, als die heilenden Fähigkeiten eines aussergewöhnlichen Rabbis. Was viele seiner Wunderheilungen betrifft, stand Jesus in guter jüdischer Tradition. Nein, in Martha schwingt noch ein anderer Ton mit: über aller Trauer, all dem tiefen Schmerz, auch dem Vorwurf, steht ihr Glaube, sie glaubt, wo es nichts mehr zu glauben gibt: „Aber auch jetzt weiss ich: was du bittest von Gott, das wird Gott dir geben.“ „Es kostet dich nur ein Wort!“ Was geschieht da? Martha verlässt die Trauergemeinde, etwas das man nicht tut, und läuft jenem entgegen, der dem Tod die Macht aus den Händen reissen kann. Die Trauernden im Haus „verneigen“ sich vor dem Tod und seiner Macht. Es ist die Anerkennung seiner Herrschaft. Damit gibt sich diese Frau nicht zufrieden. „Was kann das schon für ein Trost sein, wenn man den nicht kennt, der dem Tod die Macht genommen hat...?“, hörte ich einmal auf einer Beerdigung, das ging mir durch Mark und Bein. „Dein Bruder wird auferstehen.“

Was ist damit gemeint?

 

2. Die Lehre und der lebendige Glaube

Ja, was ist damit gemeint? Auch Martha kommt etwas durcheinander, auch sie greift auf das zurück, was sie im Konfirmandenunterricht gelernt (haben könnte). „Natürlich glaube ich an die Auferstehung, wo denkst du hin!?“ Und das ist auch nicht falsch!, ganz im Gegenteil: Lehre und Tradition sind wichtig, sie helfen uns eine Verbindung herzustellen zwischen unserer Lebenswirklichkeit und unseren geistlichen Fragen und Zweifeln. Aber man kann die Konfistunden intus haben und trotzdem untröstlich sein.

Und so spitzt sich die Situation zu, Jesus bringt das Thema auf den Punkt. „Dein Bruder wird auferstehen“, ¿bezieht sich das auf die Rückkehr aus dem Tode ins alte, irdische Leben? Dann müsste man Lazarus eigentlich bedauern, denn ihm stünde ja das Leiden eines zweiten Sterbens bevor. Nein, was mit Lazarus geschieht, hat nichts mit dem Glauben an die Auferstehung zu tun. „Dein Bruder wird auferstehen.“, ist eine Feststellung, sie weißt weit über unsere irdische Wirklichkeit hinaus und doch gleichzeitig auf den der da zu spät zu kommen scheint. „Ich bin es!, ich bin die Auferstehung und das Leben...“ Und da ist es wieder, das zentrale Thema des Evangeliums, ja der ganzen Bibel: an IHM kommen wir nicht vorbei, an Jesus!

Die meisten Menschen glauben an ein „Leben“ danach. Jeder hat seine eigene Vorstellung vom „ewigen Leben“, die einen eingebettet in kirchliche Lehr-und Glaubenssätze, die anderen begeistern sich für fernöstliche Vorstellungen vom „danach“, oder „immer wieder“. Es gibt also so etwas wie eine allgemeine und globale Auferstehungssehnsucht.

Hier wird all das, was und woran wir glauben, an Jesus ausgerichtet. Er ist das Nadelöhr, in ihm wird alles aufgehoben, in ihm wird die Macht des Todes gebrochen.

Ich bin das, was ihr sucht, ersehnt, erhofft!, sucht es nicht woanders und sucht es nicht ohne mich, an mir vorbei! Indem ihr an mich glaubt, habt ihr es! Ein alter Mann aus unserer Gemeinde sagte mir einmal: „ein ewiges Leben ohne Christus wäre die Hölle, eine Auferstehung in eine Wirklichkeit ohne ihn..., dann würde ich lieber den ewigen Tod bevorzugen...“


3. „...nur über meine Leiche!“

Ja, genau das ist es: jenseits aller Zeichen die Jesus tut, die durch und in ihm geschehen, führt ihn sein Weg unaufhaltsam auf seinen eigenen Tod zu. Dort am Kreuz liefert sich Gott selbst jener Macht aus, die sogar die Zeit in ihren Händen zu halten scheint. Jesús, verlassen von den Menschen, Jesus verlassen von seinen Freunden, Jesus von sich selbst verlassen, Jesus, vollkommen (im wahrsten Sinne des Wortes!) ausgeliefert, ohne die geringste Verteidigung, die totale Resignation!

Und jetzt das Entscheidende: während Lazarus zum irdischen Leben wieder erwacht, also seinen letzten Tod noch vor sich hat, ist Jesus der Erste derer, die in die Ewigkeit, also absolute Zeitlosigkeit, auferstehen. Jesus kam nicht in die vergängliche, kränkelnde, chaotische Weltwirklichkeit zurück. Er ist die Tür durch die wir einst eintreten werden in jene Wirklichkeit nach der wir uns so sehr sehnen. Also: nur über „seine Leiche“, am Kreuz, d.h. an Jesus kommen wir nicht vorbei!

Warum ist das so wichtig?, weil das ewige Leben ein Leben in Gemeinschaft mit Gott ist. Und weil Jesus der menschgewordene Schöpfergott ist. In Christus sein heisst also, in  Gemeinschaft mit Gott, dem Schöpfer und Erhalter unseres Lebens. Wenn wir also in Christus sind, haben wir heute schon Anteil an jenem Leben das die Macht des Todes nicht mehr fürchten muss. Mein Grossvater lehrte mich: „...glauben ist nichts anderes, als wirklich alles, alle Sorgen und Zweifel, alle Fragen, alle Ängste und Hoffnungen, in Gottes gute Hände legen...“, also auch meine Hoffnung auf Auferstehung.

Jesu Machttat in Bethanien ist „Zeichen“, Botschaft: Christus lässt, die er liebt, nicht im Tode. Er selber ist die Auferstehung und das Leben.

„Glaubst du das?“, das ist das Kleingedruckte, das wir gerne übersehen. Aber darin steht immer das entscheidend Wichtige. Es geht darum, ob wir uns wirklich, von ganzem Herzen auf Jesus einlassen können und wollen. Bleibt es bei auswendig gelernten Glaubenssätzen, oder trifft mich deren Inhalt – und damit Jesu Worte -, in meiner Existenz?

Martha, die Frau, die schon längst, vielleicht ohne es zu begreifen, über die Tradition, Ritus und Lehre hinaus glaubt, jene Frau, die sich, wenn es darauf ankommt, nicht um Formen kümmert, sagt: „Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes...“

Der Christus, der Sohn Gottes, der vom Himmel in die Welt gekommene, steht vor Martha. Wer sonst könnte das Leben und die Auferstehung sein?

Amen

Perikope
20.09.2015
11,1-4;17-27;40-45

Predigt zu Johannes 11,1-4.17-27.40-45 von Angelika Volkmann

Predigt zu Johannes 11,1-4.17-27.40-45 von Angelika Volkmann
11,1-45

Marthas Initiation
Glaubst du das wirklich? Liebe Gemeinde, so bin ich zu dieser Geschichte schon oft gefragt worden. So etwas Spektakuläres! Ein Toter steht auf! Wo ist die Sensationspresse? - Unsere Toten bleiben in ihren Gräbern, so sehr wir auch manchmal wünschen, dass sie vor unseren Augen auferstehen, dass sie einfach wieder kommen – vor allem, wenn jemand jung sterben musste.
Ja, die Seele wünscht sich das in ihrem großen Schmerz. Die Seele möchte die Unerbittlichkeit der Trennung aufheben, ja!
Und doch: wenn jemand wirklich aus seinem Grab wieder lebendig heraus käme: wären wir nicht entsetzt? Wollten wir das wirklich?
Was uns der Evangelist Johannes hier erzählt, ist nicht harmlos.
Ich sehe es so: Martha wächst an diesem Ereignis über sich hinaus. Manche Glaubenserfahrungen werden aus extremen Situationen geboren. Es öffnet sich ihr eine tiefere Ebene des Glaubens, als sie bisher kannte. Und sie verschließt sich diesem Geschehen nicht, obwohl es sie alles kostet, ihm zu vertrauen. Jesus.
Es ist eine Initiation. Jesus führt sie über eine Grenze zu einer neuen, erschütternden und befreienden Erkenntnis. 
Sie ist voller Schmerz. Lazarus ist tot. Ihr geliebter Bruder! Seit vier Tagen schon. Nie mehr würde sie mit ihm sprechen können, ihn berühren können. Nie mehr würde sie seinem Blick begegnen. Wir können uns vorstellen, wie Martha mit Gott gerungen hat:
“Warum hast du ihn mir genommen! Warum? Er war doch noch so jung!“
Und jetzt kommt Jesus. Jetzt! Wo alles zu spät ist! Martha geht ihm entgegen, nicht ohne Vorwurf: „Jesus! Wenn du nur hier gewesen wärest! Alles hätte ich dir zugetraut, alles! Du hättest ihn retten können! Warum kommst du so spät! Ich habe mein Leben verloren!“
Jetzt kann Jesus nicht mehr helfen. Martha ist verzweifelt, doch sie ist eine starke Frau, auch stark im Glauben. Sie weiß dass Jesus Gott für sie bitten kann. Sie glaubt, dass Gott sie auch in ihrer Trauer festhalten wird.
Da sagt Jesus zu ihr: „Dein Bruder wird auferstehen.“  Ja, das weiß Martha, klug und theologisch gebildet, wie sie ist: „Ja, er wird auferstehen am jüngsten Tage“, so antwortet sie Jesus. Doch sie vermisst ihn jetzt!

Ich werde mich fügen müssen.
Ich weiß, dass ich kein Mirakel von Jesus erwarten kann.
Und das tue ich auch nicht.
Oft hatten sie theologische Gespräche geführt. Auch darüber, dass Gott nicht immer das Leid von den Menschen fernhält. Dass es kein leidfreies Leben gibt. Sie ist nicht vermessen. Sie ist realistisch und lebensklug. Sie weiß, dass die Verwesung schon eingesetzt hat.
Ihr starker Glaube ist im besten Sinne demütig.

Doch Jesus will sie weiter führen. Wenn Martha denkt, dass er sie darin bestätigt, dass sie sich zu fügen hat, dann hat sie sich getäuscht. Er sagt nicht: „Du musst Lazarus loslassen.“  Er schaut sie lange an. Und dann spricht er diese Worte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ Martha erfasst es noch nicht. Aber sie spürt diese besondere Atmosphäre, sie spürt, dass dieser Moment allergrößte Bedeutung hat für ihr Leben. Jesus enthüllt ihr ein Geheimnis. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“
Was heißt das??
Jesus sagt: „Es gibt neues Leben! Nicht erst am Ende der Tage. Nein, Hier und Heute. Jetzt. Glaubst du das?“

Diese Frage schlägt bei Martha ein. Sie ist wie vom Donner gerührt. Sollte es am Ende doch noch eine Chance geben für Lazarus, für sie?
Es ist, als ob sich zwei Stimmen in ihr streiten. Ihr bisheriger Glaube sagt: Martha, erwarte nicht zu viel! Bleibe realistisch! Du sollst Gott nicht versuchen! Du kannst doch nicht so etwas für dich beanspruchen!
Und auf eine bisher für sie noch unbekannte Weise hört sie die Stimme Jesu Christi: Martha, es geht nicht um Verschonung vor Leid! Es geht hier nicht um die Erfüllung deiner Wünsche! Es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass du erkennst, wer ich bin. Dass ich Gottes Sohn bin! In mir ist Gott gegenwärtig! Hier und heute wird dem, der an mich glaubt, ein von Gottes Nähe erfülltes und bleibendes Leben geschenkt. Der Tod stellt für mich keine Grenze dar!

Martha zittert innerlich. Es kommt ihr vor wie ein Sprung ins Wasser. Es kommt ihr vor, als ob sie eine unüberwindliche Schwelle überschreitet, ein Tabu bricht. Sie braucht äußersten Mut.
Jesus schaut sie an – und in seiner Frage: „Glaubst du das?“ schwingt mit, dass er es ihr zutraut, über diese Grenze hinauszuwachsen. Er hat sie in diese Situation geführt. Sie hört ihn sagen: „Du hast dein Leben nicht verloren.“

Und Martha vertraut und bekennt  mit dem Mut der Verzweiflung und zugleich in äußerstem Vertrauen: „Ja, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Sie ruft es in völligem Vertrauen, dass Jesus alles kann – und sie ruft diese Worte in großer Demut, die nicht berechnet, nichts fordert. Sie überlässt sich voll und ganz.

Liebe Gemeinde,
wir wissen wie diese Geschichte weitergeht. Wir wissen, dass das Ungeheuerliche geschieht. Martha erlebt an diesem Tag, dass Jesus ihren Toten Bruder Lazarus aus seinem Grab herausruft. Er ist wirklich Gottes Sohn! Gott ist es, der einen Menschen ins Leben ruft. Er vergisst niemanden, auch nicht, wenn jemand stirbt. Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da – so haben wir mit dem 139. Psalm gebetet. Die Toten leben in der Nähe Gottes!  Gott weiß um jede Einzelheit, jedes Wort auf jeder Zunge jedes Menschenlebens. Er liebt seine Geschöpfe.  Er kennt sie mit Namen.
„Lazarus, komm heraus!“  ruft Jesus.
Und zugleich ist er der, der Martha ruft. „Martha, komm heraus! Komm heraus aus deiner Verzweiflung! Aus der Höhle deines Kummers! Aus deinem Eindruck, du hättest dein Leben verloren. Das hast du nicht!“

Lazarus lässt sich rufen. Martha lässt sich rufen. Martha erlebt, dass ihr Bruder lebt. Sie hat ihr Leben nicht verloren. Sie erlebt Leben in Fülle.

Liebe Gemeinde, mit dieser Geschichte zeigt uns Johannes, wer Jesus ist. Jesus Christus spricht diese Worte auch zu uns: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Er fragt auch uns: „Glaubst du das?“ Und vielleicht geht es uns sogar ähnlich wie Martha, dass wir da eine Grenze in uns spüren, die wir nicht leicht überschreiten können.
Doch wir werden dazu ermutigt!

Seht die Welt mit den Augen Gottes! Der Tod ist nicht so mächtig, wie er sich gebärdet! Unsere Toten sind nicht tot: sie leben! Sie sind aufgehoben bei Gott, in seinem Licht. Sie sind uns doch nur vorausgegangen. Ja, das glaube ich. So antworte ich, wenn ich zu dieser Geschichte gefragt werde.
Liebe Gemeinde: nichts geht verloren.
„Das Jenseitige ist nicht das unendlich Ferne, sondern das Nächste“, schreibt Dietrich Bonhoeffer.1 Leben in Fülle ist wirklich unter uns. Und sei es unter Tränen. Wir bleiben mit unseren Lieben verbunden. Wir müssen die Hoffnung nicht aufgeben. Auch nicht all die Hoffnungen und Träume, die wir womöglich  schon begraben haben – sie haben ihren Platz bei Gott und eines Tages werden wir sie erleben: die Lösung von verfahrenen Situationen, das ersehnte gegenseitige Verständnis, das wir so entbehrt haben, Nähe anstelle von Beziehungsabbrüchen, Erfüllung all dessen, worauf wir aus Liebe verzichtet haben, Heilung aller Verletzungen, endlich anerkannt zu sein, gesehen zu werden, verstanden zu werden. Und wenn wir dann vom Glauben, dass es eines Tages so sein wird hinüberfinden zu dem Glauben, dass es in Gottes Reich bereits jetzt so ist , dann haben wir den Schritt getan, den Martha getan hat. Dann schauen wir anders auf alle Dinge. Liebevoller auf unsere Mitmenschen, gnädiger auf uns selbst, hoffnungsvoller auf das Elend in der Welt. Dann erleben wir eine Fülle, die unserer Seele gut tut und die uns niemand nehmen kann. Hier und Heute. Ist das nicht ungeheuerlich?
Amen.

1 Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, 1998, S. 551
 

Perikope
20.09.2015
11,1-45