Der Herr wird kommen – Predigt zu Lukas 12, 35-40 von Søren Schwesig
Liebe Brüder und Schwestern,
wie die Zeit verrinnt! Das merken wir besonders am Altjahrabend. Wir blicken zurück aufs alte Jahr und schauen voraus auf das neue, das kommt.
Die Zeit verrinnt wie bei einer Sanduhr. Die Sanduhr als Symbol für die verrinnende Lebenszeit. Sekunde für Sekunde rieselt ein Sandkorn nach dem andern von der oberen in die untere Hälfte der Sanduhr. Kindern mag es so vorkommen, als sei die obere Hälfte der Sanduhr gefüllt mit endlich viel Sandkörnern, und damit unendlich viel Zeit. Für uns Erwachsene dagegen scheinen, je älter wir werden, die Sandkörner immer schneller zu rinnen. Unsere Tage und Jahre scheinen zu verfliegen. Was, schon wieder Silvester? Schon wieder ein Jahr vergangen?
An diesem Abend wird uns das Vergehen der Zeit bewusst. Wir blicken aufs vergangene Jahr zurück. Fragen uns, ob es ein gutes, glückliches Jahr war? Weltpolitisch war 2017 ein unruhiges Jahr. So viele Konflikte, so viel Gewalt und Hass: im Irak und Syrien, im ukrainischen Donbas, in Israel und Palästina. Wir erinnern uns an die barbarische Verfolgung des Volkes der Rohingya in Burma, an das Sterben im Jemen und und und. Für 2018 wünschen wir uns, es möge ein friedlicheres Jahr werden. Dass es gute Erfahrungen und reiche Erlebnisse für uns bereithält. Möge es so werden.
Heute Abend lenkt unser Predigtwort unseren Blick auf eine andere Dimension von Zeit. Jesus redet davon, dass er eines Tages wiederkehren wird. So heißt es in Lukas 12:
Haltet euch bereit und sorgt dafür, dass eure Öllampen brennen! Seid wie Leute, die darauf warten, dass ihr Herr von einem Hochzeitsfest zurückkehrt. Wenn er dann kommt und anklopft, können sie ihm sofort aufmachen. Glückselig sind die Diener, die der Herr wach vorfindet, wenn er nach Hause kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich eine Schürze umbinden und sie zu Tisch bitten. Dann wird er hinzutreten und sie bewirten. Und wenn der Herr erst in der zweiten oder dritten Nachtwache kommt und seine Diener wach vorfindet gilt erst recht: Glückselig sind sie!
Macht euch bewusst: Wenn der Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt – er würde es nicht zulassen, dass in sein Haus eingebrochen wird. Und auch ihr sollt jederzeit bereit sein. Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.
Gleich nach Jesu Tod und Auferstehung rechnen die ersten Christen mit seinem baldigen Wiederkommen. Es wird nur Tage dauern, denken sie, höchstens Monate. Aber der Herr kommt nicht. Jahr für Jahr warten sie. Vergeblich, bis die Erwartung auf seine Wiederkehr immer schwächer wird.
Wir Heutige sind daran gewöhnt, dass unser Herr abwesend ist. Wir kennen es nicht anders. Wir erinnern uns in unseren Gottesdiensten an seine Worte und Taten, besingen ihn in unseren Liedern und feiern seine Gegenwart im Abendmahl. Aber der Herr ist nicht da. Das ist der Zustand, mit dem wir leben und an den wir gewöhnt sind. Dass der Herr eines Tages zurückkehren wird, ist irgendwie schwer vorstellbar. Wir haben uns an seine Abwesenheit gewöhnt.
Auch von Gott haben Menschen immer wieder das Gefühl, er sei in ihrem Leben abwesend. „Wo ist Gott?“ fragen Menschen, wenn das Leben Wunden schlägt. Da stirbt ein geliebter Mensch, und der Partner steht plötzlich leer und verloren da. „Es ist kalt geworden in meiner Wohnung“, sagt mir jemand, „kalt auch in meinem Leben“. Oder da bringt ein unvermuteter Unfall die gewohnten Abläufe durcheinander. Da wendet eine Krankheitsdiagnose alle Zuversicht und endet gemeinsam geschmiedete Pläne. Da schneidet der Tod hart und grausam ins Leben. „Wo ist Gott“, fragen Menschen dann.
Dieses Gefühl, dass Gott zu bestimmten Zeiten des Lebens abwesend ist, gehört zu den Grunderfahrungen des christlichen Glaubens. Jeder von uns macht diese Erfahrung in seinem Leben. Diese Erfahrung kennt auch die Bibel. Sie erzählt von Menschen, denen Gott begegnet, aber auch von denen, die zu bestimmten Zeiten das Gefühl haben, Gott sei abwesend, habe sich abgewandt, sei ferne.
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Unser heutiges Predigtwort erinnert uns daran, dass Christus seine Wiederkunft versprochen hat. Das ist für Christen ein wichtiges Versprechen. Denn die Aussicht, dass Jesus eines Tages wiederkehren wird, bedeutet, dass es in dieser Welt nicht immer so weitergehen wird wie bisher.
Würden wir nicht mit Jesu Wiederkehr rechnen, müssten wir einstimmen in den Chor derer, die sagen, dass es mit dieser Welt immer so weitergehen wird wie bisher. Dass es immer Kriege geben wird, weil Gewalt und Gegengewalt nun mal zur Natur des Menschen gehören. Dass es normal sei, wenn die Schere zwischen den Reichen und den Armen auch in unserer Gesellschaft immer weiter aufgeht – weil so eben der Lauf der Welt ist.
Christen aber, die wissen, dass Christus wiederkommt, rechnen mit dem Ende dieser Welt und erwarten das Aufscheinen einer neuen Welt. Eine Welt, in der die alten Spielregeln der Gewalt außer Kraft gesetzt sind. Diese alten Spielregeln, nach denen es immer Menschen geben wird, denen alles zufliegt, während die anderen auch noch das letzte verlieren können, was sie haben – „das sei halt so“. Diese Spielregeln werden außer Kraft gesetzt. Weil die kommende Welt so sein wird, wie sie von Gott von Anfang an ausersehen war: „Sehr gut“.
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Gebt den Traum auf die kommende Welt nicht auf! Haltet den Traum fest! Oder in den Worten Jesu: „Seid wachsam und rechnet mit der Wiederkunft des Herrn“. So fordert Jesus seine Jünger auf. Und erzählt dazu von einem Hausherrn, der nach Hause zurückkehrt. Wann er kommt, steht nicht fest. Vor Mitternacht? Danach? Aber wenn er kommt, müssen seine Knechte wach sein und ihm aufschließen, sonst muss er draußen in der Kälte bleiben. Wenn der Hausherr seine Knechte wach antrifft, wird er ihnen dankbar sein. So dankbar, dass er die Rollen vertauscht. Dann wird er sich die Schürze umbinden und die Knechte zu Tisch bitten und sie bedienen!
„Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein …“
Spätestens an dieser Stelle werden die antiken Hörer ungläubig geschaut haben. In ihrer Welt gibt es ganz selbstverständlich Herren und ihre Sklaven. Dass nun ein Herr den Knecht bedient, bedeutet die Umkehrung aller Verhältnisse. Ja, wenn Christus kommt, werden die Verhältnisse umgekehrt. Dann werden die Spielregeln der alten Welt außer Kraft gesetzt und die Spielregeln der neuen Welt gelten.
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Uns, die wir am Altjahrabend danach fragen, wie das neue Jahr werden und was zu tun sein wird - uns wird diese Geschichte erzählt. Damit wir die Ankunft des Herrn erwarten. Damit wir wachsam sind. Damit ist nicht gemeint, in einem ständigen Zustand der Erwartung zu leben. Wer stets wachsam ist, ist irgendwann nur noch müde. Aber bis der Herr wiederkommt, ist uns eine Aufgabe übertragen. Dass wir von unseren Träumen reden; dass wir von der neuen Welt erzählen; dass wir von den Spielregeln der neuen Welt erzählen, und dass deshalb die alten Spielregeln jetzt schon außer Kraft gesetzt sind. Für uns gelten die Spielregeln der neuen Welt.
Ist das nicht tröstlich? Mitten in einer Welt, die gezeichnet ist durch Katastrophen, überträgt Jesus uns die Aufgabe, acht zu haben auf diese Welt und die Menschen. In einer Menschengeschichte, die so viele Trümmer und Opfer kennt, sollen wir unsere Hoffnung weitergeben. Unsere Hoffnung auf eine Welt, in der Menschen aller Sprachen, Hautfarben und politischer Überzeugungen miteinander in Frieden leben. Eine Welt, in der Menschen trotz ihrer Unterschiede respektvoll und achtsam miteinander umgehen. In der kein Mensch wegen seiner Religion angefeindet wird. Eine Welt, in der jede Frau und jeder Mann, jedes Kind und jeder Jugendlicher den Respekt erfährt, der ihm zusteht. Eine Welt, in der Menschen, die es vergessen oder verlernt haben, auf das Gute zu vertrauen, wieder neu lernen, an das Gute zu glauben und sich für das Gute einzusetzen.
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Ich finde, das ist eine wunderbare Aussicht. Mit dem Kommen des Herrn wird die alte Welt an ihr Ende kommen und eine neue, seine Welt aufscheinen. Seine Welt, in der seine Spielregeln gelten.
Auf diese Welt warten wir. Mit Geduld. Aber nicht mit einer Geduld, die die Hände in den Schoß legt. Mit einer aktiven Geduld, die ändern will, was in unseren Kräften ist. Denn wir, die wir auf die neue Welt warten, finden uns nicht ab mit der Welt, die ist.
So feiern wir heute den Jahreswechsel. Dankbar, wie Gott uns im Ende zu Ende gehenden Jahr geführt hat. Hoffnungsvoll, dass auch das neue Jahr unter seiner Führung stehen wird. Ob wir im kommenden Jahr sein Kommen erleben werden?
Amen.
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Heute handeln – Predigt zu Lukas 12,42-48 von Tom Mindemann
Heute erinnern wir noch einmal an unsere Toten. Und es tut gut, dass wir dabei nicht allein sind. Wir trauern gemeinsam. Beziehungsweise wir sind in je unserer eigenen Trauer um je einen anderen Menschen untereinander solidarisch. Wir haben öffentlich die Namen unserer Verstorbenen genannt. Wir sind nicht allein dafür verantwortlich, ihre Erinnerung zu bewahren. Wir teilen diese Aufgabe und vertrauen diese Toten Gott an, dass er sie für sich behält.
Und der Herr sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht?Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, und hat nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden. Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
Jesus erzählt seinen Jüngern ein Gleichnis Er erzählt von einem Hausherrn, der, so lange er außer Haus ist, einen Verwalter einsetzt, um sein Haus zu bestellen. Nichts Außergewöhnliches verlangt er von ihm. Nur dass er jedem im Gesinde gibt, was ihm zusteht. Dass er den Mägden und Knechten ihren Lohn gibt, zu essen gibt – und zwar pünktlich.
Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht?
Alles gut, wenn alles klappt, wenn der Hausherr nach Hause kommt – unangemeldet – und alles so vorfindet wie er es erwartet hat. Schlimm wenn er den Verwalter erwischt, wie er sich in der Position des Chefs häuslich niedergelassen hat. Wie er nicht nur nicht tut, was ihm aufgetragen wurde, sondern sich im Fressen und Saufen ergibt, und schlägt, die ihm anvertraut sind.
Lukas erzählt die Geschichte in seinem Evangelium. Zuerst einmal meint er nicht uns, sondern seine Gemeinde, an die er schrieb. Man hat sich häuslich niedergelassen im römischen Reich. Versucht sich einigermaßen mit der Staatsmacht zu arrangieren, um nicht unangenehm aufzufallen; um die Gemeinde und den neuen Glauben nicht in Gefahr zu bringen. Fast 60 Jahre, nach dem Jesus gestorben und auferstanden war, ist der Blick darauf, dass Jesus bald kommen würde, ein wenig abgeschweift. Der Hausherr kommt wieder – sicher, lässt Lukas Jesus in dem Gleichnis sagen. Aber sicher nicht, wann ihr es erwartet.
In diesem Punkt sind wir gar nicht so weit weg von der Situation von Lukas und seiner Gemeinde. Immer noch steht aus, dass Jesus kommt. Aber die Frage hat sich geändert. Obwohl manche Prognose des Klimas, manche Entwicklung in Politik und Gesellschaft den Anschein erwecken, jetzt könnte es wirklich bald soweit sein – schauen wir nicht oft auf das Ende aller Zeiten. Was uns beschäftigt – vor allem heute – ist das Ende einer Zeit, je der Zeit eines unserer Menschen, um die wir trauern und an die wir denken.
Und der Herr sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht?Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht.
Schön ist es, bei aller Trauer, wenn das klappt. Wenn das Haus bestellt ist. Wenn Abschied möglich war. Fragen und Aussprache. Wenn nichts offen geblieben ist an Konflikten und Irritationen. Wenn wir einander loslassen konnten, und das Heft aus der Hand legen; dem Hausherrn das Haus und uns und die, die uns am Herzen liegen seiner Hausherrschaft übergeben konnten.
Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen
Schlimm, wenn das nicht klappt.
Ein Streit kann ganze Familien auseinander bringen. Eine Frau hatte einmal geheiratet. Und bei der Hochzeit muss irgendwas passiert sein. Der Bräutigam hatte sich dem Onkel der Frau gegenüber unangemessen verhalten. Es gab Streit zwischen ihrem Vater und eben seinem Schwager. Keiner redete mehr mit dem anderen. Und alle Familienmitglieder bis ins dritte oder vierte Glied wurden aufgeteilt, ob sie zu dem einen oder dem anderen stehen sollten. Die Ehe hielt nicht lange. Doch der Streit dauerte 20 Jahre. Inzwischen sind beide Schwager tot. Eine Aussprache war wohl nie möglich. Und es zerreißt die förmlich, die dazwischen geraten waren.
Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, und hat nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden. Wer den Willen des Herrn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden.
Man spricht oft von einem Schicksalsschlag, wenn ein Mensch stirbt. Und manch einer fragt sich: Hätte ich was anders gemacht, wenn ich nur gewusst hätte, dass es das letzte Mal sein würde, als wir uns sahen? Hätte ich liebevoller, verständnisvoller, klarer sein sollen. Hätten wir uns doch bloß noch mal ausgesprochen.
Ein Beerdigungsgespräch. Ein Mann, 82 Jahre alt, war im Seniorenheim verstorben. Früher saß er oft Zuhause in seinem Ohrensessel, wo man das Fußteil so herausklappen konnte. Er schaute aus dem Fenster und hörte dabei Radio.
Als Egon, so hieß er, wieder einmal ins Krankenhaus musste, hat die Familie Rat gehalten, wie es denn weitergehen sollte. Egons Frau konnte die Pflege allein nicht mehr stemmen. Ein Platz im Seniorenheim war wohl das Beste für alle Beteiligten. Der Ohrensesel sollte natürlich mit. Und eine Stehlampe, die immer in der Ecke stand. Das erste, was Egon sagte, als er sein neues Zimmer sah, war: „Wo ist das Radio?“ „Das bringe ich dir morgen mit“, versprach der Sohn. Am nächsten Tag musste der Sohn länger arbeiten. Und der Reifenwechsel war dringend dran, schließlich könnte es bald kälter werden. Außerdem war Mutter ja an diesem Tag bei Egon gewesen. „Dann fahr ich eben morgen hin.“ Am Abend kam der Anruf. Egon war tot. Eine Nacht hatte er im Seniorenheim geschlafen und einen Tag dort verbracht bis zum Abend. Das Radio aber stand noch immer in der alten Wohnung.
Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
Bei dem Verwalter hat der Hausherr nur die Erfüllung dieser einen Aufgabe gesucht, als er ihn über sein Gesinde setzte. Er sollte ihnen zur rechten Zeit geben, was ihnen an Getreide zustehe.
Uns hat Jesus die Hoffnung anvertraut.
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen.
Gott wird abwischen alle Tränen.
Der Tod wird nicht mehr sein.
Als wir Egon beerdigten, stellten wir die Urne mit seiner Asche in ein Columbarium, in ein Loch in eine Steinwand auf dem Friedhof, was danach mit einer Platte verschlossen wurde. Und Egons Sohn stellte ein kleines UKW-Radio dazu – ohne Batterien, wegen der Umwelt. Natürlich wird Egon niemals dieses Radio benutzen – ohne Batterien. Neben seiner Urne. Und doch: in diesem kleinen Teil Elektro-Schrott steckt Hoffnung. Hoffnung, dass verpasste Gelegenheiten nicht ewig verloren sein müssen. Hoffnung, dass die letzte Minute nicht über ein ganzes Leben entscheidet. Bei den Menschen ist’s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.
Amen.
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Wahrheit, Furcht und Liebe – Predigt zu Lukas 12, 40-48 von Anke Merscher-Schüler
Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.
Petrus aber sprach: Herr, sagst du dies Gleichnis zu uns oder auch zu allen? Und der Herr sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen. Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechts kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen. Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt und hat nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden.
Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. "Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch", sagte meine Großmutter. Gemeint war: Wenn keiner das Sagen hat, geht´s drunter und drüber.- So sind wir Menschen. Und mal ehrlich: Wer hat das noch nicht gemacht? Grenzen ausgetestet, in unterschiedlicher Weise und erlebt, dass die Übergänge von Übermut zu zerstörerischer Boshaftigkeit oft fließend sind.
Sturmfreie Bude, wenn man sechzehn ist. PC spielen bis zum Augenstillstand, Party machen, Weinkeller plündern, hinterher Wasser auffüllen, Korken wieder drauf, mal sehen, was passiert. Dass da was war, ist nur daran zu erkennen, dass so gründlich geputzt wurde. - und man will´s als Erziehungsberechtigte manchmal gar nicht so genau wissen...Doch um solche Kindereien und Kleinübertretungen geht es hier nicht. Nicht an einem Tag wie diesem, an dem wir unser endliches Leben Gott hinhalten mit all den Erinnerungen an Erlebtes und Erlittenes, mit den Bildern von Menschen im Herzen, die wir nicht haben halten können und lassen müssen. Vor diesem Hintergrund zeigt die Erzählung Jesu ganz anderes wie in einem Lebensspiegel. Und Gott weiß: nicht nur in einer Rolle kommen wir hier vor. Wenn die Katz aus dem Haus ist, dann tanzen die Mäuse... - solche Kindererinnerungen klingen vielleicht auch noch nach. Nichts Schlimmes. Eher das Austesten: Wer hat mir hier eigentlich etwas zu sagen?
Und zugleich birgt es die Erkenntnis: Wenn wir uns selbst überlassen sind, dann zeigt sich, wessen Geistes Kind wir sind. Gib Menschen Macht in die Hand, und Du siehst, wie sie in Wahrheit sind, ob sie sich selbst im Griff haben.
Es stimmt ja: Uns ist viel anvertraut. Das wird spürbar, wenn wir erwachsen werden. Je älter wir werden, desto mehr, in ganz unterschiedlichen Bereichen: mit Kindern, die noch nicht für sich selbst sorgen können. Verantwortung im Beruf, für Menschen um uns her und in allem zuerst für uns selbst: mit Gaben zum Entfalten. Gelegenheiten, sie zu ergreifen. Sackgassen, aus denen es umzukehren gilt, damit sich eben nicht irgendwann das Gefühl einstellt: "Ach, hätte ich mal...- damals...!" Aber: vorbei! Verpasst! Unwiderruflich. Und zurück bleibt vielleicht das Gefühl, bestohlen zu sein von jemandem oder etwas, das kommt wie ein "Dieb in der Nacht". Wer zu spät kommt, den bestraft.... - wer eigentlich? Das Leben? -
Ein Weiser hat mal gesagt: Die Furcht vor Strafe ist in Wahrheit schon die Strafe. Das reicht schon. Wie ein Leben unter dem Damoklesschwert. Schlimm, weil unser Leben endlich ist und unsere Kraft auch. Das anzuschauen, braucht Mut.
Denn es gibt diese tiefen Einbrüche im Leben, die so weh tun, weil sie unumkehrbar sind. Manchmal reicht ein altes Foto, ein Brief in der Hand, ein Geruch beim Ausräumen des Schrankes, und es ist schmerzlich da: Vergangenes, Verlorenes, Vergebliches. Und jede/r hier hat da eigene Erinnerungen.
In diesem alten Gleichnis, steckt der Ernst jener "letzten Dinge" an der Grenze, hinter die wir nicht sehen können, die uns widerfahren und so oft auch umtreiben. Denn solche Einbrüche sind ja nichts, was wir uns vorgenommen haben. Manchmal sehen wir sie kommen und erschrecken doch. Solche Gedanken macht man sich nicht. Sie stellen sich ein, drängen sich auf, und Gott weiß: zur Unzeit oft, wenn wir sie am wenigsten brauchen können; wenn wir nicht damit rechnen.
Dabei wollen die allermeisten doch leben! Und - mal ehrlich - wenn man uns ließe, manchmal sogar am liebsten "auf Teufel komm raus"; als gäbe es die andern nicht; und schon gar keinen obersten Chef. Einmal keine Rücksicht nehmen. Einmal nicht Verantwortung tragen. Was hindert uns eigentlich, solchen Impulsen zu folgen? Draufhauen, wenn es unerträglich wird. Weglaufen, sich betäuben, wenn es zu viel wird - wie einige der Verantwortlichen in dem alten Gleichnis. Einfach mal ausnutzen, wenn ich was zu sagen habe, in Grenzsituationen, wenn die Nerven blank liegen und alles zu viel ist. Was hindert uns dann eigentlich?
Wäre es ausschließlich die Furcht vor Strafe, es wäre schlimm um uns bestellt. Was für eine Haltung wäre das? Angst statt Einsicht? Zwang statt Zuneigung? Bedrängnis statt Besonnenheit? Lebensdienlich ist das nicht! Das muss um Gottes willen anders gehen. "Furcht ist nicht in der Liebe...". Im Gegenteil: Wahre Liebe vertreibt die Furcht! (1. Johannes 4,18) - Die Menschen der Bibel halten das hoch.
Im zurückliegenden Jahr haben mich einige Erlebnisse von Menschen sehr berührt, weil sie auf diese Weise zwischen Furcht und Liebe "auf der Kante balanciert sind". Manche ohnmächtig wütend, weil einer trotz aller Unterstützung sein Leben einfach weggeworfen hat. Manche an den Grenzen ihrer Belastbarkeit, weil sich mit der Demenz auch das Wesen des Liebsten verändert hat. Manche am Ende ihrer Kräfte, weil einer über Jahre nicht leben und nicht sterben konnte - ein langer Abschied. Der Impuls war da: dazwischenhauen, weglaufen, sich betäuben, weil es kaum zu ertragen war. Und dann sind sie doch geblieben: haben geholfen, gepflegt, besucht - es ausgehalten.
Ich habe sie nicht als Menschen kennengelernt, die aus Furcht dabei geblieben sind. Weil jederzeit einer kommen und (ver)urteilen könnte. Das hätte auch nur wenig mit dem zu tun, was Jesus im Gleichnis mit dem guten, treuen Verwalter meint.
Was Jesus fragt, ist ja etwas ganz anderes: "Wer (von euch) sind denn hier die guten Verwalter?"
Jene, die in der Verantwortung bleiben - auch wenn es scheint, als sei ich nicht da? Unsere Welt braucht sie doch so sehr - im Kleinen wie im Großen! Wer sind die mit dem inneren Kompass? Die Lebenssucher, wenn der Tod sich breit macht - auch die vielen kleinen Tode in Streit und Sprachlosigkeit? Wo sind die Sinnsucher, die nicht locker lassen? Die Zweifler, die sich mit Halbwahrheiten nicht zufrieden geben? Die Langmütigen, die sich nicht irre machen lassen?
Die Besonnenen, die lieber eine Nacht drüber schlafen, wenn alles hochkocht? Vor allem: die Demütigen, die ihre Grenzen kennen und loslassen können? Denn es gilt um Gottes willen nicht die Parole: "ein Christ ist immer im Dienst". Was zählt ist das Vertrauen: EIN Christ ist immer im Dienst - Es ist alles eine Frage der Betonung!
Wo sind diejenigen, die sich ehrlich anschauen - im Spiegel dieser alten Gleichniserzählung? Wer sind diese Aufrichtigen und Aufgerichteten, die wieder in die Verantwortung gehen, wenn die Kraft zurückkehrt oder zuwächst, wenn wir zur Ruhe kommen und - aufwachen! Wer sind diese guten Verwalter? Das ist die Frage, die Jesus stellt. Wer unter euch sind die Menschen mit diesen Gaben?! Denn wir haben doch nicht zuerst Auf-gaben, sondern bekommen - Gott sei Dank - zuerst solche Gaben für unser Gemüt: Kraft und Besonnenheit, Demut und Geduld, damit wir das überhaupt schaffen können.
Bevor Jesus dieses Gleichnis von der Verantwortung erzählt, redet er zuerst von diesen Gaben. Alle geschenkt! Wie den Raben unter dem Himmel, die nichts säen und doch ernährt werden. Wie den Lilien auf dem Feld, die Gott bekleidet wie Salomo in aller Pracht, obwohl sie nur einen Sommer blühen. Denn Gott weiß doch genau, dass wir dies alles brauchen. (Lukas 12,24ff)
Es ist wahr: Wir sind begrenzt und endlich wie unsere Kraft. Darum brauchen wir Schutz und einen Raum, in dem wir mit unseren oft so widersprüchlichen Seiten sein dürfen und wir sie ansehen können. Ungeschönt und wahrhaftig. Denn wir kommen in diesem Gleichnis nicht nur in einer Rolle vor.
Und ja: es gibt die Bösen, die Untreuen, die Gewalttätigen und Haltlosen. Solche, die kalt berechnen, dass da schon keiner kommt, der ihren Machenschaften Einhalt gebietet - zynisch und hämisch. Und wer unter ihnen leidet, sehnt sich danach, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden, damit sie nicht das letzte Wort behalten. Weil Gott doch gerecht ist und uns ins Herz sieht - und doch größer ist als unser Herz.
Nicht nur in einer Rolle kommen wir vor in diesem Gleichnis. Wir gehören auch zu jenen, die nicht so leben, als ob es Gott gibt. Ein Leben in "Habachtstellung" kann kein Mensch. Aber vielleicht ein Leben, das sich an Gott anlehnt, nur für heute... Es ist ein Gleichnis wie ein Lebensspiegel. Es braucht Mut, hineinzuschauen: Wohin gehöre ich gerade?
Von meiner Tochter habe ich mal eine wunderbare Postkarte geschenkt bekommen. Hinter den Spiegel zu stecken. Da steht: Lieber Gott, bis jetzt geht`s mir gut heute. Ich hab noch nicht getratscht, noch nicht die Beherrschung verloren, war noch nicht muffelig, gehässig, egoistisch oder zügellos. Ich hab noch nicht gejammert, geklagt, geflucht oder Schokolade gegessen. Die Kredit-Karte ist auch noch nicht belastet. Aber in etwa einer Minute werde ich aus dem Bett klettern und dann, dann brauch ich wirklich deine Hilfe.
So sind wir hier in diesem umfriedeten Raum, in dem wir Gott unser Leben hinhalten. Ja, uns ist viel anvertraut. Und wenn einer fragt: "Wer ist hier ein guter Verwalter?" - Ich glaube, im Himmel ist Freude, wenn wir ohne Furcht sagen: "Hier! Bei der Arbeit - So gut ich kann. Und was ich nicht kann, lieber Gott, übernimm Du."
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Verantwortungsvoll - Predigt zu Lukas 12,42-48 von Julia Neuschwander
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn jemand plötzlich völlig überraschend in sein angestammtes Haus zurück kehrt und alles ist ganz anders! Die Szene ist filmreif und ein Klassiker: Die Eltern sind nicht da und dann gibt es erstmal eine Party! Der Wohnzimmerteppich wird zusammen gerollt und an die Seite gelegt, vielleicht räumt man sogar noch gewissenhaft Zerbrechliches und Wertgegenstände beiseite. Es wird eingekauft, Getränke schwerpunktmäßig, und wenn Mann oder Frau es ganz gut meint, versucht er oder sie auch noch ein halbwegs essbares Buffet zu errichten. Und dann kommen sie, die Freunde und Bekannten! Und bringen noch den Einen oder die Andere mit. Es wird gefeiert!
War das eigentlich bei Ihnen und Euch früher auch so? Das, was sich dann bei solchen Partys ereignete, war meist legendär, hatte hohen Unterhaltungswert und wurde oft noch über Jahrzehnte mit vielen Lachern weiter erzählt….. Aber ganz klar: Bevor die Eltern zurück kommen, soll alles wieder aufgeräumt sein, das Haus halbwegs in den Zustand versetzt werden, wie es vorher war…..
Was aber, wenn die Eltern überraschend vorzeitig zurückkehren? Anders als geplant, einen Tag oder zwei Tage früher als angekündigt. Dann kann das – je nach Zeitpunkt – für beide Seiten ziemlich unangenehm sein. Für die, die richtig cool feiern, und für die, die von der Feier, geschweige denn von solchen Details der Feier, nicht vorinformiert waren. Manche Eltern sind dann sehr tapfer und versuchen mit einem Kratzen im Hals einigermaßen tolerant zu sein. Andere wiederum sind weniger beherrscht und sorgen erstmal für ein sofortiges Ende der Party…..
In den letzten Tagen, am Ende dieser Zeit…. Immer wieder spricht die Bibel davon, was dann sein wird. Dass dann endlich ein Friedensreich errichtet wird. Dass dann endlich Gerechtigkeit herrscht, ja, dass die, die von irdischen Gerichten nicht gerichtet wurden in ihren schlimmen und bösen Taten dann von Gott gerichtet werden und ihre gerechte Strafe für Ihre Vergehen erfahren. Das tröstet die, die auf Erden ohnmächtig Schlimmes erfahren haben und dann noch erleben mussten, dass die, die ihnen Unrecht getan haben, ungestraft bleiben. Gott richtet sie dann. Das, was sie auf Erden an Unrecht ungestraft tun konnten, das wird am Ende der Zeit zurecht gerückt. Das hört sich gut an und betrifft erstmal die, die unverantwortlich und Menschen verachtend gehandelt haben, wie der Hausverwalter in der Geschichte.
Was da vom Hausverwalter in unserem Bibeltext beschrieben wird, geht allerdings bei weitem über eine entgleiste Party von Jugendlichen hinaus: Der Hausverwalter ist der, der die jungen Knechte und Mägde willkürlich schlägt und ihnen nicht das Brot gibt, das ihnen zusteht. Die Geschichte vom untreuen Verwalter erzählt von jemanden, der sich so sicher wähnt in der Abwesenheit seiner Herrschaft, dass er im wahrsten Sinne des Wortes, ungestraft machen kann, was er will. Er kann seine Macht missbrauchen und sich selbst im Übermaß berauschen und voll essen und trinken, während er den Anderen, ihm Anvertrauten, nichts gibt. Am Schluss bleibt das aber nicht unentdeckt, denn der, dem alles gehört, kehrt unerwartet, ja, überraschend zurück, niemand hat mit seinem Kommen gerechnet, und er rückt alles wieder zurecht. Der Misshandler, der Ausbeuter wird schlimm bestraft und die anderen erhalten, was ihnen zusteht.
Die Geschichte können wir gern als Gleichnis auf unsere Welt lesen. Als ökologische Warnung, dass wir das uns Anvertraute, diese Welt, die Natur, ungestraft verseuchen, vergiften und ausbeuten. Weil uns niemand so richtig davon abhalten kann. Und dass wir uns ganz schleichend daran gewöhnt haben, dass wir nichts tun und auch nichts verhindern, das Artensterben, Insektensterben und die Meeresvermüllung. Hauptsache, es geht uns gut, gilt das aber auch noch für unsere Enkel und Urenkel?
Oder die Geschichte kann uns daran erinnern, dass wir mit Gott unmittelbar rechnen mit seiner Nähe, mit ihrer Präsenz. „What If God Was One of Us“. Ja, was wäre denn, wenn – wie es im Lied von Joan Osborne heißt, wenn Gott einer von uns wäre und sie sitzt plötzlich ganz unerwartet im Bus neben uns? Und wir überlegen, wie heißt der denn nochmal? Und wie sieht denn eigentlich nochmal ihr Gesicht genau aus? Und dann wird es plötzlich existentiell und wir beginnen, ihr zu erzählen, was wir eigentlich die ganze Zeit tun, und dass das, was wir eigentlich nicht tun, eigentlich ja genau das ist, was wir eigentlich schon die ganze Zeit tun wollten, aber leider nie dazu gekommen sind….
Wir könnten die Geschichte von dem unerwartet zurück kehrenden Hausherren oder der plötzlich auftauchenden Hausherrin aber auch als Geschichte deuten, die uns immer dann warnen will, wenn wir selbst uns als Handelnde allzu sicher, allzu unbeaufsichtigt und mächtig fühlen. Wenn wir drohen, unsere kleine Macht zu missbrauchen, weil es ja doch keiner merkt in ganz kleinen Grenzüberschreitungen, die anderen schaden…
Die Geschichte erzählt von einem Aufsichtsvakuum. Ein Auftrag wird erteilt und es gibt keine Aufsicht. Wir können aus der Geschichte im Umkehrschluss herauslesen, was ethisch das Richtige gewesen wäre, was zu tun ist:
Nicht schlagen, keine Gewalt anwenden, keine Ressourcen nur für sich selbst bunkern, aufmerksam sein für andere, die sozial niedriger stehen als man selbst, teilen und zuteilen, andere nicht hungern lassen, verantwortungsvoll mit dem Anvertrauten umgehen mit Blick aufs Ganze.
Das ist ziemlich klar und nicht gerade wenig, ein ganzes ethisches Fundament, auf das sich eigentlich jeder und jede gut stellen könnte, die Verantwortung trägt, egal, ob als Chefin, in der Partnerschaft, als Elternteil, in der Familie oder in der Weltgemeinschaft.
Wer wacht eigentlich noch über die Dinge, wenn es keine Aufsicht mehr gibt? Wer warnt uns, wenn wir es zu weit treiben, wenn wir die Verantwortung nicht mehr spüren, die uns übertragen wurde?
Die Scham wird oft als Hüterin der Moral bezeichnet. Sie lässt uns erspüren, was richtig oder falsch ist und bewahrt uns darin, unsere eigenen Grundsätze nicht zu verraten. Sich schämen ist unangenehm, aber es hat auch wieder etwas Gutes, denn es hat die Funktion, uns bei den eigenen Werten zu halten. Gerade dann, wenn es keine Herrschaft mehr gibt, die dies von außen tun könnte. Die Scham hütet den eigenen Ethos, die eigenen Werte und Überzeugungen.
Leider ist es nur manchmal so, dass Beschämung bei Kindern als Erziehungsmittel missbraucht wurde und wird. Auslachen, beschämt werden von anderen oder von den eigenen Eltern ist etwas so Schlimmes, das es bis ins Erwachsenenalter prägt. Sich schämen fühlt sich vielleicht deshalb auch manchmal wie dieses unangenehm vertraute, klein machende „Beschämt werden“ an. Ich glaube, es lohnt sich aber als Erwachsene, das eine vom anderen zu unterscheiden und aufmerksam bei sich selbst darauf zu achten, was es gerade ist, was ich spüre: Echte Scham im Hier und Jetzt oder die alte angelernte Beschämung? Wenn ich erwachsen bin und für meine Handlungen selbst verantwortlich bin, dann weist die Scham mir den richtigen Weg. Ich weiß dann, was für mich das Richtige ist. Mein Erwachsensein, meine eigene Identität, meine Werte und Überzeugungen bleiben geschützt.
Es geht aufs Ende zu, liebe Schwestern und Brüder, aufs Ende des Kirchenjahres. Wir schreiben die letzten Tage des Kirchenjahres 2016/2017.
In vielen Gemeinden wird am Sonntag der Verstorbenen des ganzen Jahres gedacht, ihre Namen werden verlesen und oft wird dann für jeden und jede eine Kerze angezündet. Ich finde, es ist in der Tat ein Trost, wenn wir sagen können, dass unsere Verstorbenen in Gottes Ewigkeit gut aufgehoben sind, dann, wenn ihre irdische Zeit ein Ende gefunden hat.
Als Jugendliche habe ich gerne Science-Fiction gelesen. Viele Science-Fiction Bücher und Filme erzählen, wie ich finde, sehr unterhaltsam von Zeitmaschinen und Zeitsprüngen. Sie erzählen von Menschen, die auf einmal in einer anderen Zeit aufwachen und sich dann erstmal nicht zurecht finden. Die verblüfft sind, was auf einmal wichtig ist, was früher absolut unwichtig war. Die erleben, wie relativ das alles ist, was wir erleben: Die Art der Ernährung, die Hygiene, die Möglichkeiten. Zeitsprünge ermöglichen ein unterschiedliches Erleben von Zeit, manches relativiert sich dabei, rückt sich zurecht. Beim Zeitspringen wird das, was wirklich wichtig ist, was menschlich ist, immer deutlicher: Friede, Gerechtigkeit, Verantwortung tragen für das große Ganze. Wir sind am Ende des Kirchenjahres. Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. In Ewigkeit. Amen.
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Man muss wissen, wo sein Platz ist – Predigt zu Lukas 16,1-9 von Barbara Eberhardt
Er saß an seinem Schreibtisch und sah auf die Linde vor dem Fenster. Als er vor über dreißig Jahren in der Firma begonnen hatte, war sie gerade gepflanzt worden. Nie hatte er jemanden gesehen, der sie goss. Trotzdem war sie jetzt ein stattlicher Baum mit vielen Zweigen. Sie gehörte hierher. Man muss wissen, wo sein Platz ist. Das hatte schon sein Vater immer gesagt. Und sein Platz war hier. In dieser Firma. Im Büro mit Blick auf die Linde. Zum Einkaufsleiter hatte er es gebracht. Und er liebte diesen Job. Reisen, Preise aushandeln, Geschäfte abschließen. Da ging er drin auf. Von allen Lieferanten kannte er die Vertriebsleute. Manche von ihnen waren ihm vertraut wie die Linde vor seinem Fenster. Sie waren zusammen an Besprechungstischen gesessen, vor ihnen die obligatorischen Mineralwasserfläschchen zu 0,2 Liter und den ebenso obligatorischen Kaffee. Sie hatten einander Kopien gereicht und Flipcharts vollgeschrieben. Sie waren gemeinsam Schweinebraten und Sushi essen. Und danach hatten sich immer ein paar gefunden, um einen Whisky in der Hotelbar zu trinken. Oder zwei. Manchmal wäre er am liebsten dort geblieben. Aber die Gemeinschaft löste sich am Frühstücksbuffet auf. Und er fuhr schicksalsergeben nach Hause. Man muss wissen, wo sein Platz ist.
Dann kam die Adventszeit, und sie schickten ihm Kisten mit Wein und Kugelschreiber mit Gravur und eingebauter LED-Leuchte. Manchmal dachte er, dass sie ihm die Familie ersetzten, die er nie hatte. Er wusste, dass manche der Zulieferfirmen in Schwierigkeiten steckten. Die Wirtschaftskrise, der ständig wachsende Wust an EU-Normen, deren Einhaltung oder Umgehung viel Kraft kostete. Er kam ihnen entgegen, soweit er konnte. Hielt an ihnen fest, auch wenn andere Lieferanten billiger gewesen wären. Überwies den Kaufpreis bereits nach der ersten Teillieferung. Verschönte die Bilanzen. Ein wenig. Dann etwas mehr. Es würde nicht auffallen.
Ein Stockwerk höher stand der Firmenchef in seinem Büro und sah aus dem Fenster. Da stand eine Linde. Den Baum hatte er noch nie bemerkt. Er hatte schon hundert Mal aus dem Fenster gesehen. Immer in Gedanken und am Planen, wie er diesen Betrieb wieder fit bekommen sollte. Der Absatz war im letzten Jahr schleppend gewesen. Man schrieb rote Zahlen. Dann hatte vor zwei Monaten er die Niederlassung übernommen. Mit dem klaren Auftrag, die Firma zu einem zeitgemäßen Unternehmen umzubauen. Er hatte von Anfang an gewusst: Das war der richtige Platz für ihn.
Er hatte von allen Abteilungen Jahresberichte angefordert. Heute Morgen lagen sie auf seinem Schreibtisch. Die Marketingabteilung machte gute Arbeit. Der Vertrieb ging so lala. Aber der Einkauf schien nicht zu funktionieren. Er vertiefte sich in die Zahlen. Rechnete nach und kam zu anderen Ergebnissen. Verglich Preise. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Er ließ den Einkaufsleiter kommen.
Jesus sprach zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln.
Er zitterte am ganzen Körper. Der junge Schnösel, gerade mal zwei Monate hier in der Firma, hatte ihn einfach abserviert. Dass die Zahlen in seinem Bericht falsch seien. Und auf dieser Basis sei keine gedeihliche Zusammenarbeit mehr möglich. Er solle bis morgen die Zahlen in dem Bericht korrigieren. Und sich dann aus dem Staub machen.
Er öffnete das Fenster und steckte sich eine Zigarette an. Durfte man eigentlich nicht. Nichtraucherschutz. Brandschutz. Völlig egal jetzt. Was sollte er tun? Das hier war sein Platz. Er hatte sonst nichts anderes.
Die Linde wiegte sich im Wind. Sie würde noch viele Jahre hier stehen. Er nicht. Er betrachtete den Baum. Die Äste, die aus einem Stamm wuchsen. Dann hatte er eine Idee. Er setzte sich ans Telefon und rief einen Lieferanten an. Eine freundliche Stimme. Erinnerungen an das letzte Treffen. Was haben wir gelacht an dem Abend. Habt Ihr immer noch Produktionsschwierigkeiten? Es reicht, wenn Du die Hälfte der vereinbarten Lieferung schickst. Klar. Haben wir je etwas anderes vereinbart? Du bist ein Pfundskerl. Wir müssen uns unbedingt mal wieder sehen. Versprochen.
Den ganzen Nachmittag saß er am Telefon. Dann setzte er sich an seinen Computer und löschte Dateien. Gut, dass er noch nicht am zentralen Netzwerk angeschlossen war! Eine Stunde lang dauerte es, bis die Akten der letzten Jahre im Reißwolf verschwunden waren.
Der Verwalter sprach: Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
Es war Abend geworden. Er nahm seine Aktentasche. An der Pforte gab er seine Schlüssel ab. Auch den für den Firmenwagen. Er ging zu Fuß nach Hause. Fast zehn Kilometer. An der Bundesstraße entlang, durch das Arbeiterviertel und den Stadtpark. Man muss wissen, wo sein Platz ist. Über all die Jahre hatte er gedacht, er wüsste dass sein Platz in der Firma war. Aber es stimmte nicht. Die Firma hatte er betrogen. Schon lange. Und heute. Weil ihm nichts an dem Unternehmen lag, für das er gearbeitet hatte. Er dachte an den Vertriebler mit den schwitzigen Händen, der ihn heute vor lauter Freude in sein Ferienhaus in der Provence eingeladen hatte. Und an den Betriebswirt, den es im Moment fürchterlich beutelte, weil er in Scheidung lebte. Sie waren ihm wichtig. Sie mit ihren Fassaden, die sie sich mühten aufrechtzuerhalten, und mit all dem, was dahintersteckte an Scheitern und Sehnsucht und Stolz.
Und plötzlich wusste er, wo sein Platz war, schon immer gewesen war. Bei den Menschen.
Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.
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Du hast die Wahl - Predigt zu Lukas 16,1-8 von Christiane Quincke
Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz.Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
I.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders. Der dumme Spruch in der Whatsapp-Gruppe war schnell geschrieben. Diese fette Kuh, wer will die schon anfassen? Eklig. Nadja hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Aber wenn ich nicht mitmache, bin ich draußen. Und bevor es noch mich erwischt? Am nächsten Tag konnte sie ihrer Tischnachbarin nicht in die Augen sehen. Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders. Der junge Soldat bekam die Waffe in die Hand gedrückt und schoss. Alte. Kinder. Frauen. Männer. Juden und Jüdinnen im tiefen Osten Europas. Und in der Nacht dann die Albträume. Das Gewissen plagte. Aber bloß nicht darüber reden. Am nächsten Tag ging es weiter. Schnell noch einen Brief an die Familie zuhause schreiben. Er vermisste seine kleine Tochter sehr.
II.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders. Eine 15jährige Dresdnerin sah das nicht so. Emilia heißt sie. Kind dieser Welt. Ich KANN anders. Und HABE die Wahl. Emilia ertrug es nicht mehr, dass ihre Klassenkameraden antisemitische Sprüche klopften. Über den Tod von Millionen ermordeten Juden machten sie sich lustig. Hört auf, schrieb sie in der Whatsapp-Gruppe. Aber keiner hörte auf. Und die Lehrer schritten nicht ein. Also nutzte sie ihre gesetzlichen Möglichkeiten. Sie zeigte ihre Mitschüler an. Ich KANN anders. Es ist noch nicht zu spät. Ich will mir noch in die Augen schauen können.
Doch sie zahlt ihren Preis. Der Shitstorm ist unbeschreiblich. Denunziantin! Petze! Das sind noch die harmlosesten Beschimpfungen. Und ich bin sicher, dass sie auch in der Klasse nun einen schlechten Stand hat. War es das wert? Haben sich ihr dennoch Häuser geöffnet? Und Herzen?
III.
Du HAST eine Wahl. Du KANNST anders. Und es gibt kein Zuspät. Jedenfalls nicht bei Jesus. Jesus sitzt im im Haus eines Pharisäers. Seine Freunde und Freundinnen sind bei ihm. Vom Verlorenen erzählt er, von einem entlaufenen Schaf; von einem Sohn, den es in die Ferne zog; von ein paar Groschen, die eine Witwe verlegt hatte. Ja, sie sind Kinder dieser Welt, machen Fehler und bauen Mist. Aber sie machen auch viel gut. Und das ist viel wichtiger. Und dann erzählt er von einem Verwalter, auch einem Kind dieser Welt. Auch er hat Mist gebaut und wird deswegen von seinem Chef einbestellt. Alles ist vorbei. Denkt er. Das weiß ich genau. Was mach’ ich denn jetzt?
IV.
Normalerweise würde ein Mann in seiner Lage die Fehler noch schnell ausmerzen. Bilanzen fälschen. Aus dem Minus ein Plus machen. Oder die Schuld auf andere schieben. Auf die Schuldner, die ihn übers Ohr gehauen haben. Oder die Untergebenen, die falsch rechneten. Oder die Regierung, die mit ihren hohen Steuern zum Betrug zwingt. Ja, normal ist es, am Ende doch noch gut da zu stehen. Ich konnte nicht anders. Die anderen sind schuld. Ich bin nur mitgelaufen. Diese Sätze kenne ich von mir nur zu gut. Und aus der Geschichte auch.
V.
Gott sei Dank hält sich Jesus nicht daran, was normal ist. Du kannst nicht anders, gibt es nicht bei ihm. Doch, du kannst. Und du darfst. Das Verlorene musst du nicht verloren geben. Du bist nicht festgelegt auf deine Vergangenheit. Und auf das, was die anderen von dir erwarten, auch nicht. Du kannst ausbrechen. Und wenn es erst im letzten Moment ist. Oder im vorletzten.
VI.
Soll ich weitermachen, fragte Rainer Moormann seine Frau. Vor 10 Jahren war das, da wies Moormann schon ein Jahr lang auf ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem im Forschungszentrum Jülich hin. Die Kugelhaufenreaktoren sind nicht sicher genug: Ein Leck im Reaktor würde ausreichen, damit der radioaktive Staub im Innenraum des Reaktors austritt. Moormanns Kollegen und Vorgesetzte hielten seine Warnungen für Quatsch. Doch er stocherte weiter und erneuerte seine Vorwürfe Dafür zahlte er einen hohen Preis: Kollegen bezeichneten Moormann als verrückt, seine Arbeitsgruppe wurde aufgelöst, im Büro saß er plötzlich allein. Der promovierte Chemiker wurde von einer Stelle auf die andere geschoben. Als sein Arbeitgeber ihn schließlich fallen ließ, informierte er die Öffentlichkeit. Drei Jahre später gab das Forschungszentrum Jülich schließlich bekannt, die Forschung an den Kugelhaufenreaktoren einzustellen. Zu dem Zeitpunkt arbeitete Moormann schon nicht mehr in Jülich, Er war im vorgezogenen Ruhestand. Durch den vorzeitigen Ruhestand habe er einige Hundert Euro weniger an Rente. "Aber das ist der Preis, den ich dafür zahlen muss", sagt Moormann. Er kann sich wieder in die Augen schauen.
VII.
Du KANNST auch anders. Du hast die Wahl. Du kannst deiner Tischnachbarin sagen, dass es dir Leid tut, was du geschrieben hast. Und in der Whatsappgruppe, dass es nicht in Ordnung ist, sowas zu schreiben. Es kostet Überwindung. Ja. Und wie. Vielleicht zahlst du auch den Preis wie Emilia. Aber du kannst dir wieder in die Augen schauen, wenn du in den Spiegel blickst. Und deiner Nachbarin auch. Und es GAB die Soldaten im 2.Weltkrieg, die nicht auf Zivilisten geschossen haben. Ja, es gab sie. Es gab die Befehlsverweigerer, die nicht alles mitgemacht haben. Sie haben alles riskiert und wurden beschimpft. Oder degradiert. Oder schlimmer. Und wenn heute immer noch behauptet wird, dass man ja nicht anders konnte, dann schlägt man gerade diesen Soldaten, die anders konnten, nochmal mitten ins Gesicht.
VIII.
Du KANNST auch anders. Du hast die Wahl. Du, Kind des Lichts. Lerne von den Kindern der Welt. Lerne vom klugen Verwalter. Den der macht im entscheidenden Moment nicht das, was man so normalerweise macht. Er tilgt nicht die eigenen Schuldscheine, sondern die der anderen. Er nutzt seine Möglichkeiten, um den Spieß umzudrehen. Er zahlt den Preis und trägt die Konsequenzen Seine Weste ist auf einmal nicht weiß geworden. Die Schmutzspuren sind noch da. Aber er ist ausgebrochen aus der Logik des „Ich kann nicht anders“. Er hält sich nicht an das „Normalerweise“. Das eine Schaf wird gesucht. Der verlorene Sohn wird mit offenen Armen empfangen. Und der skrupellose Verwalter halbiert die Schulden der anderen.
IX.
Du KANNST anders. Du Kind des Lichts. Denn Jesus ist anders. Er sucht mit dir das Verlorene. Er nimmt dich in den Arm, auch wenn du nach Schweinemist und Schweiß stinkst. Jesus wirft die Schuldscheine sogar weg Er öffnet die Tür für dich. Und du setzt dich mit ihm an den Tisch. Emilia und die Soldaten, die nicht geschossen haben, sitzen auch schon da. Die Kinder dieser Welt.
Und die, die nicht anders konnten Oder meinten, nicht anders zu können, die holt ihr dann noch an den Tisch. Du willst vielleicht nicht, dass sie auch da sind. Denn normalerweise gehören sie nicht mehr dazu. Aber Jesus ist anders. Jesus hält sich nicht an das Normale. Jesus nimmt sie in seine Arme. So wie dich.
Amen.
Liedvorschlag: Vorbei sind die Tränen (aus: freitöne 191)
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Ein schmieriges Vorbild – Predigt zu Lukas 16,1-8 von Dr. Olaf Waßmuth
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt!
Liebe Gemeinde,
in der vergangenen Woche fand ich einen Umschlag im Briefkasten, der vier ungebrauchte Servietten enthielt. Eine Dame aus dem Seniorenkreis hatte sie aus Versehen im Gemeindehaus eingepackt – und das Gewissen plagte sie so sehr, dass sie sie zurückschickte. Die Servietten gehörten schließlich der Kirche! Ich musste an meinen Großvater denken, der peinlich genau darauf achtete, mit dem dienstlichen Bleistift nichts Privates aufzuschreiben.
Ein kleiner Rest dieses preußischen Ethos hat sich auch bei mir erhalten. Ja, ich gebe zu: Tief in meinem Herzen halte ich Unbestechlichkeit und Korrektheit sogar für etwas unverzichtbar Evangelisches. Andere mögen kungeln und klüngeln; wir Protestanten aber nehmen es genau und machen keine krummen Sachen.
Wenn Sie so ähnlich denken, dann wird unser heutiger Predigttext Ihnen Bauchschmerzen bereiten. Es ist eine von den vielen wenig bekannten Geschichten im Neuen Testament, die man erst entdeckt, wenn man ein Evangelium mal von vorne bis hinten liest. Dabei steht die Geschichte an prominenter Stelle: gleich nach dem Gleichnis vom verlorenen Sohn nämlich. Hören wir aus Lukas 16 die Verse 1-8 (Luther 2017):
Jesus sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
Eigentlich ist das eine Geschichte, die man zweimal lesen muss – um sie richtig zu verstehen, aber auch um sich zu vergewissern, dass man sich wirklich nicht verhört hat. Also: Da geht es um eine Art Geschäftsführer, der im Dienst eines reichen Mannes erhebliche Summen zu verwalten hat. Es kommt heraus, dass er das Vermögen seines Chefs nicht mehrt, sondern mindert. Vielleicht ist er faul, vielleicht fährt er riskante Anlagestrategien – wir erfahren es nicht. Jedenfalls muss er gehen. So lange die Kündigungsfrist läuft, überlegt der Noch-Geschäftsführer, wie er seine Noch-Kompetenzen am geschicktesten nutzt für das Leben danach – damit er nicht auf der Straße steht, wenn er auf der Straße steht. Schließlich bestellt er die größten Kreditnehmer seines Chefs zu sich: keine kleinen Fische, sondern offenbar selbst mittelständische Unternehmer – man sieht es an ihren erheblichen Schulden. Der Noch-Geschäftsführer unterschreibt ihnen hinter den verschlossenen Türen seines Büros stark reduzierte Schuldscheine. So gewinnt er ihr Wohlwollen; so verpflichtet er sich diese Leute für später.
Die Geschichte, die Jesus erzählt, ist keineswegs unrealistisch. Wir erleben Ähnliches zum Beispiel, wenn irgendwo ein Regierungswechsel ansteht. Da werden eben noch schnell ein paar Beamte befördert und in höhere Gehaltsstufen eingruppiert. Da sichert sich der ein oder andere Politiker das Wohlwollen von Wirtschaftsunternehmen, die ihn anschließend in den Aufsichtsrat berufen. In den letzten Tagen einer Regierung werden schnell noch einige Gesetze verabschiedet und Verträge unterschrieben. Gelegentlich sollen sogar Akten verschwinden. Das alles sollte niemanden wundern.
Wundern muss man sich allerdings, dass Jesus eine solche Geschichte erzählt, ja viel mehr noch: dass er das Verhalten jenes trickreichen Geschäftsführers offenbar gutheißt und weiterempfiehlt. Wie soll man das nur verstehen?
Frühere Bibelausleger haben das Gleichnis gedreht und gewendet, um doch noch zu zeigen, dass der Geschäftsführer moralisch vorbildlich handelt. Man hat zum Beispiel vermutet, dass die Schulden, die er erlässt, sein persönlicher Anteil am Kreditgeschäft seines Chefs gewesen seien. Aber das steht nirgendwo. Im Gegenteil: Das Gleichnis nennt den Mann ganz ohne Umschweife „ungerecht“. An der moralischen Fragwürdigkeit gibt es nichts zu rütteln. Doch der Geschäftsführer erhält noch ein zweites Adjektiv: klug. Wegen seiner Klugheit wird er gelobt. Durch seine Klugheit wird er zum Vorbild.
Jesus sagt: Klugsein im Angesicht einer ungewissen Zukunft bedeutet Risikobereitschaft und Weitsicht. Es bedeutet, die Zukunft nicht zu verleugnen oder zu verdrängen. Es bedeutet, nicht alles fatalistisch auf sich zukommen zu lassen und die Hände in den Schoß zu legen, sondern die Initiative zu ergreifen und etwas zu wagen. Genau das tut dieser Verwalter. Er sieht seine Lage in aller gebotenen Nüchternheit. Er wagt etwas. Dabei kommt es durchaus darauf an, dass er nicht einfach Geld für sich selbst beiseiteschafft, sondern dass er sich das Wohlwollen und die Treue anderer Menschen erwirbt. Geld ist bei ihm Mittel, nicht Zweck. Beziehungen sind ihm wichtiger als Besitz.
Liebe Gemeinde,
was bedeutet das alles für uns, die wir ganz bestimmt ehrlicher durchs Leben gehen wollen als dieser zwielichtige Verwalter?
In mehreren Geschichten warnt Jesus davor, die Beurteilung durch Gott einfach auszusitzen; sich vor Fehlern zu schützen, indem man einfach gar nichts tut. Wer handelt, macht Fehler. Und Jesus versucht den Menschen immer wieder klar zu machen – auch mit einem drastischen Beispiel wie diesem betrügerischen Verwalter –, dass Gott für solche Fehler mehr Verständnis aufbringen wird, als wir denken. Vor allem hat er mehr Verständnis dafür als für ein Leben, das nie wirklich gewagt wurde – aus Angst, es zu verfehlen.
Wer die Pfunde, die ihm anvertraut sind, vergräbt, der lässt sich zwar nichts zuschulden kommen, der handelt wohl korrekt. Aber klug ist das nicht. Klug ist etwas anderes: ein aktiver, ein weitsichtiger und phantasievoller Umgang mit dem Leben, das uns geschenkt ist. Schließlich ist unsere Lebenszeit begrenzt. Unsere Möglichkeiten und Gaben sind begrenzt. Keiner weiß, wann sie uns wieder ganz genommen werden.
Die Botschaft des Gleichnisses höre ich vor diesem Hintergrund so:
Spare nicht mit deinem eigenen Leben. Sei klug mit deiner Zeit und mit deiner Kraft. Nutze sie gut aus. Investiere sie: am besten in Menschen, in Freundschaften und Beziehungen. Halte die Liebe nicht zurück. Teile reichlich Vergebung aus, damit dir eines Tages vergeben wird. Verkriech dich nicht in falscher Bescheidenheit, auch nicht in Selbstmitleid oder Fatalismus, sondern gehe beherzt und mutig an, was vor dir liegt. Am Ende wird es nicht darauf ankommen, dass du makellos und rein vor deinem Herrn stehst – sein Erbarmen ist ohnehin größer als du denkst. Am Ende kommt es darauf an, dass du im Angesicht Gottes dein Leben gewagt hast!
Liebe Gemeinde,
wir hören das Gleichnis heute am Volkstrauertag. Am Tag also, an dem wir der vielen Millionen Opfer der letzten Kriege und des nationalsozialistischen Unrechts gedenken. Wie viele von diesen Opfern hätten wohl vermieden werden können, wenn es in jenen Tagen mehr von der Klugheit gegeben hätte, die unser Gleichnis empfiehlt! Wenn wir Deutschen nicht so preußisch: so korrekt, so gründlich und so gehorsam gewesen wären, sondern: ein gutes Stück eigenverantwortlicher, gewitzter und mutiger.
Jedenfalls muss ich bei dem zwielichtigen Verwalter des Gleichnisses an eine historische Figur denken, die erst durch einen amerikanischen Kino-Film der Vergessenheit entrissen wurde: Oskar Schindler, der deutsche Unternehmer aus Zwittau, der am Ende des Krieges rund 1200 Krakauer Juden vor dem Konzentrationslager rettete. Dieser Schindler war allem Anschein nach ein schmieriger, opportunistischer Typ, viel unsympathischer als der Hollywoodfilm „Schindlers Liste“ ihn zeigt. Lange Zeit arbeitete er eng mit den Nazis zusammen; er profitierte wirtschaftlich vom Krieg. Doch dann tat er zur rechten Zeit das Richtige: Um seine jüdischen Arbeiter vor der Deportation und dem sicheren Tod zu bewahren, zog Schindler alle Register des Betrugs; er fälschte Dokumente und zahlte Schmiergelder. Ein Repräsentant typisch deutscher Tugenden war er wahrlich nicht – und dennoch oder gerade deswegen wurde er zum Vorbild jenseits der Norm. Ein kluger Verwalter der eigenen Möglichkeiten.
Der Verwalter aus der Geschichte Jesu ist ein schwieriges Vorbild. Sein Verhalten kann beim besten Willen nicht zur Nachahmung empfohlen werden – auch nicht aus christlicher Sicht. Doch er dient als drastische Erinnerung daran, dass wir vor Gott nicht nach hehren Tugenden und edlen Prinzipien gefragt werden. Wir werden gefragt, wie entschlossen, wie mutig und wie einfallsreich wir unser Leben gelebt haben. Ein gewagtes Leben gibt es nicht ohne Scheitern und Blessuren. Wir werden uns wundern, wieviel Verständnis unser Herr dafür hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
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Dämonendämmerung - Predigt zu Lukas 11,14-23 von Dr. Jürgen Kaiser
Und er trieb einen Dämon aus, der war stumm. Und es geschah, als der Dämon ausfuhr, da redete der Stumme, und die Menge verwunderte sich. Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Dämonen aus durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel. Er aber kannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre. Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die Dämonen aus durch Beelzebul. Wenn aber ich die Dämonen durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Wenn ein gewappneter Starker seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.
Starr saß er da. Der Blick bohrte sich in die Erde. Sie wollten, dass er etwas sagt. „Hör auf, hat doch keinen Zwecke!“, ging einer dazwischen. „Früher hat der geredet wie ein Wasserfall. Aber seit Monaten nichts mehr. Kein einziges Wort!“ Er hörte es, aber der Mund blieb zu. Die Erinnerungen trampelten auf die Synapsen. Es tat weh. Die Gedanken rasten in seinem Kopf. Aber er konnte sie nicht rauslassen. Sie stießen heftig von innen gegen den Mund. Die Lippen krampften sich zusammen. Wenn jetzt jemand mit Gewalt seinen Mund aufreißen würde, käme ein Schrei heraus, der würde die Schallmauer durchbrechen und den Himmel bersten lassen. Der Stumme würde nicht mehr aufhören zu schreien, nie mehr. Er würde bis in alle Ewigkeit schreien. Wenn Himmel und Erde vergangen sind, würde er immer noch dasitzen und schreien. Die Stimmbänder würden bluten und sein Schrei einen neuen Urknall auslösen. Gibt es neue Welten ohne die Erinnerung an das, was war? Aber er schrie nicht. Die Lippen blieben verschlossen. Der Blick erreichte Grabestiefe. Himmel und Erde wurden alt und älter. Die Erde verströmte den Duft des Moders. Den Himmel sah er schon lange nicht mehr.
***
Früher hießen die Dämonen Belzebub oder Legion. Heute heißen sie posttraumatische Belastungsstörung oder Psychose, Borderline oder Neurose. Vielen hockt ein kleiner Dämon im Nacken, einigen ein großer. Glücklich schätzen können sich die, bei denen er klein bleibt. Bei denen man die Ticks und die Macken nur hin und wieder merkt, die gut über die Runden kommen, im Alltag den Schein wahren und nur hinter verschlossenen Türen mit ihrem Dämon raufen. Der sie dann zu komischen Bewegungen stachelt oder zu krampfigen Zuckungen oder zu Schluchzen und zu Tränen. Es gibt Menschen, die lachen den ganzen Tag und wenn der Mensch neben ihnen im Bett sein Gute-Nacht-Gebet spricht, heulen sie heimlich das Kissen voll. Wir haben alle unsere kleinen Dämonen im Nacken. Manche aber haben mächtige Dämonen in der Seele, die ihnen den Mund verschließen oder die Psyche zerfetzen.
***
Am Ende klärt sich alles auf. Jesus kommt und die Dämonen trollen sich. Lahme gehen, Blinde sehen, Stumme reden. Menschen werden wieder Menschen. Was sie erstarren ließ, was sie wegsehen ließ, was sie verstummen ließ, wird verbannt. Jesus kommt und die Plagen gehen. Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. Was böse Macht über uns gewonnen hat, kann nur durch eine stärkere Macht gebannt werden. Mit Jesus kommt die stärkste Macht, die Macht Gottes. Sie vertreibt die Dämonen. Das Reich Satans ist in sich gespalten. Es ist geschwächt, es kollabiert. Dann ist das Reich Gottes nahe.
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So lässt sich die Wirklichkeit in der Sprache biblischer Mythologie beschreiben. Wir haben heute eine andere Sprache. Doch die Wirklichkeit hat immer noch ihre dunklen Seiten. So oder so - am Ende ist es immer noch eine Frage der Macht. Man kann die Dämonen durch Beelzebul austreiben. Der größere Dämon verjagt den kleineren. Konfrontation ist eine Therapiemethode. Die Patienten werden mit dem konfrontiert, was sie geschreckt hat. Wer Angst vor Spinnen hat, kann lernen, eine Vogelspinne zu streicheln, um die Angst zu verlieren. Wer Höhenangst hat, kann nach Paris ziehen und jeden Sonnabend auf den Eiffelturm klettern. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung konfrontiert der Therapeut den Patienten behutsam mit dem Ereignis, das das Trauma ausgelöst hat. Man sucht bewusst und kontrolliert die Begegnung mit dem größten Schrecken, damit sich die kleineren vertrollen. Den Dämon durch Beelzebul austreiben. Entscheidend ist die Kontrolle. Die Kunst des Therapeuten ist es, Beelzebul zu meistern. In der Hand des Therapeuten ist die unberechenbare Tyrannei des Traumas gebändigt. Der Patient muss dem Therapeuten vertrauen, er muss ihm zutrauen, Macht über den Schrecken zu haben. Es ist eine Frage der Macht, aber auch des Vertrauens.
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Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. In der Kirche haben wir die Machtfrage aus dem Blick verloren. Zu lange wurde die Kirche nur als Machtfaktor wahrgenommen. Das scheint uns immer noch peinlich zu sein. Also blicken wir lieber aufs Kreuz und reden von der Ohnmacht Gottes und davon, dass Gott sich mit der Erfahrung des Scheiterns solidarisiert. Das ist eine wichtige Einsicht. Aber das ist nicht das letzte Ende. Die Erfahrung unserer Ohnmacht soll nicht der Abschiedsgruß Gottes gewesen sein. Nach dem Kreuz kommt das leere Grab. Der Tod ist weg! Gott hat ihn besiegt. Die Machtfrage ist geklärt. Der Sohn Gottes lebt. Wir werden nicht vergeblich davon träumen, dass auch uns eines jüngsten Tages und durch den Tod hindurch ein Leben blüht, in dem alles geklärt sein wird.
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"Es war ein Kampf. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, sagt Karolina. Der Marienanhänger blitzt in der Sonne Krakaus. Ich zitterte. Am ganzen Körper. Ich konnte nicht mehr sprechen. Wenn ich was sagen wollte, fühlte es sich an, als ob ich ersticke." Karolina begab sich in die Behandlung eines Exorzisten. Es gibt in Polen etwa 130 Exorzisten. Priester, die mit bischöflicher Erlaubnis den Teufel austreiben dürfen. Und eine Plattform im Internet. Man kann den Exorzisten im Internet buchen. Exorzismus boomt in Polen. Natürlich ist das auch in Polen nicht unumstritten, selbst in der polnischen Kirche nicht.Der beliebteste Exorzist in Polen kommt aus Uganda. "Alles was nicht von Gott ist, verlässt uns jetzt. Auch Krebs. Jesus hat uns nicht mit Krebs oder Kreislaufschwierigkeiten geschaffen. Und in dieser göttlichen Freude werden die Krüppel wieder laufen, die Blinden sehen, die Knochen tanzen vor Freude!", ruft John Bashobora 20.000 Anhängern zu.1
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Jesus hat die Dämonen ausgetrieben. Im Anbruch des Reiches Gottes werden Menschen geheilt. Lahme gehen, Blinde sehen, Stumme reden. Davon erzählt die Bibel. Kann man sich diese Macht in Jesu Namen zueigen machen? Exorzisten versuchen es. Sie meinen, man könne sich die von Jesus ausgehende Macht durch den Vollzug bestimmter Rituale aneignen und sie handhaben. Aber das ist ein Irrtum. Die Dämonen werden nicht durch exorzistische Praktiken vertrieben, auch wenn der Priester 7, 12 oder 99-mal den Namen Jesu nennt. Sie werden vertrieben, weil ihre Macht in der Nähe des Reiches Gottes gebrochen ist. Menschen werden geheilt, weil die Macht des Todes vom Allmächtigen gebannt wurde. Die Urkraft Satans schwächelt. Denn der allmächtige Gott hat Jesus Christus von den Toten auferweckt. An Ostern fiel die Entscheidung zugunsten des Lebens. An Ostern hat die Aufklärung begonnen. Alles Zwielichtige kam ans helle Licht und wir erkannten: Es war ein Nichts.
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Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. Heute ist der Anfang vom Ende des Kirchenjahres. Am Ende des Kirchenjahres zieht Klarheit auf. Das Zwielicht der Welt klärt sich zur Eindeutigkeit des Reiches Gottes. Aufklärung. Dämonendämmerung. Gott klärt. In den letzten drei Sonntagen des Kirchenjahres geht es um die Macht Gottes. Es geht um das, was übrig geblieben ist aus dem Kirchenjahr, was außerhalb unserer Macht liegt, um das, was wir trotz aller Macht, die uns von Gott durch einen Berge versetzenden Glauben, durch eine die Zeiten überschreitende Hoffnung und durch eine alle Feindschaft überwindende Liebe gegeben ist, nicht vermögen. Glaube, Hoffnung, Liebe machen mutig, stark und fröhlich, aber nicht allmächtig. Es bleibt etwas übrig, das über unsere Macht geht. Das klärt Gott am Ende.
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Am Ende klärt sich alles auf. An Ostern hat die Aufklärung begonnen. Mit der Auferweckung Jesu von den Toten wurde der Macht des Todes der Todesstoß versetzt. Seither ist das Reich Gottes im Anbruch. Die Dämonen werden entmachtet. Ihre Fratzen schrecken nicht mehr. Sie ruhen in der Mottenkiste einer untergegangenen Welt. Von dort dürfen sie kommen, um an Halloween die Kinder zu bespaßen und im Nachtprogramm die Eltern am Fernseher zu gruseln. Luthers Glauben ist uns auch ohne die Angst vor dem Teufel tröstlich und nützlich, und wer besessen ist, geht zum Therapeuten.
Immer noch wirken Mächte, Gewalten und Energien, die schwer zu beherrschen sind, auf uns Menschen. Aber im Licht der seit Ostern initiierten Aufklärung ersetzen wir magische Methoden durch wissenschaftliche, unkontrollierbare durch immer besser kontrollierte und beherrschbare Methoden. Was Jesus damals konnte, das können heute auch wir: Heilen. Dass wir immer besser lernen, mit den destruktiven Kräften umzugehen, sie zu bannen oder in konstruktive Kräfte umzukehren und wunde Seelen zu heilen, das sind die Zeichen des Reiches Gottes, das im Anbruch ist. Auch wenn die Heilung nicht im Namen Jesu Christi geschieht, ist es eine Heilung durch Gott. Auch eine Therapie durch einen Therapeuten ohne Taufe und Bekenntnis ist eine Wirkung von Gottes kommendem Reich. Es ist schon lange im Anbruch. Und es ist noch lange nicht vollendet. Aber die Ängste kriegen wir immer besser in den Griff. Es ist am Ende eine Frage der Macht, aber auch eine Frage des Vertrauens. Luther ist mit seinen Teufelsängsten nicht zum Exorzisten gegangen, sondern hat sie durch seinen Glauben in den Griff gekriegt. Der Fürst dieser Welt ist schon gerichtet. Man muss sich das nur mit einem Wörtlein sagen und schon klärt sich alles Zwielichtige zur Herrlichkeit Gottes. „Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie sau’r er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht’: ein Wörtlein kann ihn fällen.“ (Luther , EG 362,3)
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
1 I Zu Exorzismus in Polen vgl. http://www.deutschlandfunkkultur.de/exorzismus-in-polen-auf-teufel-komm-raus.1076.de.html?dram:article_id=395511; von dort auch die Zitate.