Verantwortungsvoll - Predigt zu Lukas 12,42-48 von Julia Neuschwander

Verantwortungsvoll - Predigt zu Lukas 12,42-48 von Julia Neuschwander
12,42-48

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn jemand plötzlich völlig überraschend in sein angestammtes Haus zurück kehrt und alles ist  ganz anders! Die Szene ist filmreif und ein Klassiker: Die Eltern sind nicht da und dann gibt es erstmal eine Party! Der Wohnzimmerteppich wird zusammen gerollt und an die Seite gelegt, vielleicht räumt man sogar noch gewissenhaft Zerbrechliches und Wertgegenstände beiseite. Es wird eingekauft, Getränke schwerpunktmäßig, und wenn Mann oder Frau es ganz gut meint, versucht er oder sie auch noch ein halbwegs essbares Buffet zu errichten. Und dann kommen sie, die Freunde und Bekannten! Und bringen noch den Einen oder die Andere mit. Es wird gefeiert!

War das eigentlich bei Ihnen und Euch früher auch so? Das, was sich dann bei solchen Partys ereignete, war meist legendär, hatte hohen Unterhaltungswert und wurde oft noch über Jahrzehnte mit vielen Lachern weiter erzählt….. Aber ganz klar: Bevor die Eltern zurück kommen, soll alles wieder aufgeräumt sein, das Haus halbwegs in den Zustand versetzt werden, wie es vorher war…..

Was aber, wenn die Eltern überraschend vorzeitig zurückkehren? Anders als geplant, einen Tag oder zwei Tage früher als angekündigt. Dann kann das – je nach Zeitpunkt – für beide Seiten ziemlich unangenehm sein. Für die, die richtig cool feiern, und für die, die von der Feier, geschweige denn von solchen Details der Feier, nicht vorinformiert waren. Manche Eltern sind dann sehr tapfer und versuchen mit einem Kratzen im Hals einigermaßen tolerant zu sein. Andere wiederum sind weniger beherrscht und sorgen erstmal für ein sofortiges Ende der Party…..

In den letzten Tagen, am Ende dieser Zeit…. Immer wieder spricht die Bibel davon, was dann sein wird. Dass dann endlich ein Friedensreich errichtet wird. Dass dann endlich Gerechtigkeit herrscht, ja, dass die, die von irdischen Gerichten nicht gerichtet wurden in ihren schlimmen und bösen Taten dann von Gott gerichtet werden und ihre gerechte Strafe für Ihre Vergehen erfahren. Das tröstet die, die auf Erden ohnmächtig Schlimmes erfahren haben und dann noch erleben mussten, dass die, die ihnen Unrecht getan haben, ungestraft bleiben. Gott richtet sie dann. Das, was sie auf Erden an Unrecht ungestraft tun konnten, das wird am Ende der Zeit zurecht gerückt. Das hört sich gut an und betrifft erstmal die, die unverantwortlich und Menschen verachtend gehandelt haben, wie der Hausverwalter in der Geschichte.

Was da vom Hausverwalter in unserem Bibeltext beschrieben wird, geht allerdings bei weitem über eine entgleiste Party von Jugendlichen hinaus: Der Hausverwalter ist der, der die jungen Knechte und Mägde willkürlich schlägt und ihnen nicht das Brot gibt, das ihnen zusteht. Die Geschichte vom untreuen Verwalter erzählt von jemanden, der sich so sicher wähnt in der Abwesenheit seiner Herrschaft, dass er im wahrsten Sinne des Wortes, ungestraft machen kann, was er will. Er kann seine Macht missbrauchen und sich selbst im Übermaß berauschen und voll essen und trinken, während er den Anderen, ihm Anvertrauten, nichts gibt. Am Schluss bleibt das aber nicht unentdeckt, denn der, dem alles gehört, kehrt unerwartet, ja, überraschend zurück, niemand hat mit seinem Kommen gerechnet, und er rückt alles wieder zurecht. Der Misshandler, der Ausbeuter wird schlimm bestraft und die anderen erhalten, was ihnen zusteht.

Die Geschichte können wir gern als Gleichnis auf unsere Welt lesen. Als ökologische Warnung, dass wir das uns Anvertraute, diese Welt, die Natur, ungestraft verseuchen, vergiften und ausbeuten. Weil uns niemand so richtig davon abhalten kann. Und dass wir uns ganz schleichend daran gewöhnt haben, dass wir nichts tun und auch nichts verhindern, das Artensterben, Insektensterben und die Meeresvermüllung. Hauptsache, es geht uns gut, gilt das aber auch noch für unsere Enkel und Urenkel?

Oder die Geschichte kann uns daran erinnern, dass wir mit Gott unmittelbar rechnen mit seiner Nähe, mit ihrer Präsenz. „What If God Was One of Us“. Ja, was wäre denn, wenn – wie es im Lied von Joan Osborne heißt, wenn Gott einer von uns wäre und sie sitzt plötzlich ganz unerwartet im Bus neben uns? Und wir überlegen, wie heißt der denn nochmal? Und wie sieht denn eigentlich nochmal ihr Gesicht genau aus? Und dann wird es plötzlich existentiell und wir beginnen, ihr zu erzählen, was wir eigentlich die ganze Zeit tun, und dass das, was wir eigentlich nicht tun, eigentlich ja genau das ist, was wir eigentlich schon die ganze Zeit tun wollten, aber leider nie dazu gekommen sind….

Wir könnten die Geschichte von dem unerwartet zurück kehrenden Hausherren oder der plötzlich auftauchenden Hausherrin aber auch als Geschichte deuten, die uns immer dann warnen will, wenn wir selbst uns als Handelnde allzu sicher, allzu unbeaufsichtigt und mächtig fühlen. Wenn wir drohen, unsere kleine Macht zu missbrauchen, weil es ja doch keiner merkt in ganz kleinen Grenzüberschreitungen, die anderen schaden…

Die Geschichte erzählt von einem Aufsichtsvakuum. Ein Auftrag wird erteilt und es gibt keine Aufsicht. Wir können aus der Geschichte im Umkehrschluss  herauslesen, was ethisch das Richtige gewesen wäre, was zu tun ist:  

Nicht schlagen, keine Gewalt anwenden, keine Ressourcen nur für sich selbst bunkern, aufmerksam sein für andere, die sozial niedriger stehen als man selbst, teilen und zuteilen, andere nicht hungern lassen, verantwortungsvoll mit dem Anvertrauten umgehen mit Blick aufs Ganze.

Das ist ziemlich klar und nicht gerade wenig, ein ganzes ethisches Fundament, auf das sich eigentlich jeder und jede gut stellen könnte, die Verantwortung trägt, egal, ob als Chefin, in der Partnerschaft, als Elternteil, in der Familie oder in der Weltgemeinschaft.

Wer wacht eigentlich noch über die Dinge, wenn es keine Aufsicht mehr gibt? Wer warnt uns, wenn wir es zu weit treiben, wenn wir die Verantwortung nicht mehr spüren, die uns übertragen wurde?

Die Scham wird oft als Hüterin der Moral bezeichnet. Sie lässt uns erspüren, was richtig oder falsch ist und bewahrt uns darin, unsere eigenen Grundsätze nicht zu verraten. Sich schämen ist unangenehm, aber es hat auch wieder etwas Gutes, denn es hat die Funktion, uns bei den eigenen Werten zu halten. Gerade dann, wenn es keine Herrschaft mehr gibt, die dies von außen tun könnte. Die Scham hütet den eigenen Ethos, die eigenen Werte und Überzeugungen.

Leider ist es nur manchmal so, dass Beschämung bei Kindern als Erziehungsmittel missbraucht wurde und wird. Auslachen, beschämt werden von anderen oder von den eigenen Eltern ist etwas so Schlimmes, das es bis ins Erwachsenenalter prägt. Sich schämen fühlt sich vielleicht deshalb auch manchmal wie dieses unangenehm vertraute, klein machende „Beschämt werden“ an. Ich glaube, es lohnt sich aber als Erwachsene, das eine vom anderen zu unterscheiden und aufmerksam bei sich selbst darauf zu achten, was es gerade ist, was ich spüre: Echte Scham im Hier und Jetzt oder die alte angelernte Beschämung? Wenn ich erwachsen bin und für meine Handlungen selbst verantwortlich bin, dann weist die Scham mir den richtigen Weg. Ich weiß dann, was für mich das Richtige ist. Mein Erwachsensein, meine eigene Identität, meine Werte und Überzeugungen bleiben geschützt.

Es geht aufs Ende zu, liebe Schwestern und Brüder, aufs Ende des Kirchenjahres. Wir schreiben die letzten Tage des Kirchenjahres 2016/2017.

In vielen Gemeinden wird am Sonntag der Verstorbenen des ganzen Jahres gedacht, ihre Namen werden verlesen und oft wird dann für jeden und jede eine Kerze angezündet. Ich finde, es ist in der Tat ein Trost, wenn wir sagen können, dass unsere Verstorbenen in Gottes Ewigkeit gut aufgehoben sind, dann, wenn ihre irdische Zeit ein Ende gefunden hat.

Als Jugendliche habe ich gerne Science-Fiction gelesen. Viele Science-Fiction Bücher und Filme erzählen, wie ich finde, sehr unterhaltsam von Zeitmaschinen und Zeitsprüngen. Sie erzählen von Menschen, die auf einmal in einer anderen Zeit aufwachen und sich dann erstmal nicht zurecht finden. Die verblüfft sind, was auf einmal wichtig ist, was früher absolut unwichtig war. Die erleben, wie relativ das alles ist, was wir erleben: Die Art der Ernährung, die Hygiene, die Möglichkeiten. Zeitsprünge ermöglichen ein unterschiedliches Erleben von Zeit, manches relativiert sich dabei, rückt sich zurecht. Beim Zeitspringen wird das, was wirklich wichtig ist, was menschlich ist, immer deutlicher: Friede, Gerechtigkeit, Verantwortung tragen für das große Ganze. Wir sind am Ende des Kirchenjahres. Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. In Ewigkeit. Amen.

Perikope
26.11.2017
12,42-48

Man muss wissen, wo sein Platz ist – Predigt zu Lukas 16,1-9 von Barbara Eberhardt

Man muss wissen, wo sein Platz ist – Predigt zu Lukas 16,1-9 von Barbara Eberhardt
16,1-9

Er saß an seinem Schreibtisch und sah auf die Linde vor dem Fenster. Als er vor über dreißig Jahren in der Firma begonnen hatte, war sie gerade gepflanzt worden. Nie hatte er jemanden gesehen, der sie goss. Trotzdem war sie jetzt ein stattlicher Baum mit vielen Zweigen. Sie gehörte hierher. Man muss wissen, wo sein Platz ist. Das hatte schon sein Vater immer gesagt. Und sein Platz war hier. In dieser Firma. Im Büro mit Blick auf die Linde. Zum Einkaufsleiter hatte er es gebracht. Und er liebte diesen Job. Reisen, Preise aushandeln, Geschäfte abschließen. Da ging er drin auf. Von allen Lieferanten kannte er die Vertriebsleute. Manche von ihnen waren ihm vertraut wie die Linde vor seinem Fenster. Sie waren zusammen an Besprechungstischen gesessen, vor ihnen die obligatorischen Mineralwasserfläschchen zu 0,2 Liter und den ebenso obligatorischen Kaffee. Sie hatten einander Kopien gereicht und Flipcharts vollgeschrieben. Sie waren gemeinsam Schweinebraten und Sushi essen. Und danach hatten sich immer ein paar gefunden, um einen Whisky in der Hotelbar zu trinken. Oder zwei. Manchmal wäre er am liebsten dort geblieben. Aber die Gemeinschaft löste sich am Frühstücksbuffet auf. Und er fuhr schicksalsergeben nach Hause. Man muss wissen, wo sein Platz ist.

Dann kam die Adventszeit, und sie schickten ihm Kisten mit Wein und Kugelschreiber mit Gravur und eingebauter LED-Leuchte. Manchmal dachte er, dass sie ihm die Familie ersetzten, die er nie hatte. Er wusste, dass manche der Zulieferfirmen in Schwierigkeiten steckten. Die Wirtschaftskrise, der ständig wachsende Wust an EU-Normen, deren Einhaltung oder Umgehung viel Kraft kostete. Er kam ihnen entgegen, soweit er konnte. Hielt an ihnen fest, auch wenn andere Lieferanten billiger gewesen wären. Überwies den Kaufpreis bereits nach der ersten Teillieferung. Verschönte die Bilanzen. Ein wenig. Dann etwas mehr. Es würde nicht auffallen.

Ein Stockwerk höher stand der Firmenchef in seinem Büro und sah aus dem Fenster. Da stand eine Linde. Den Baum hatte er noch nie bemerkt. Er hatte schon hundert Mal aus dem Fenster gesehen. Immer in Gedanken und am Planen, wie er diesen Betrieb wieder fit bekommen sollte. Der Absatz war im letzten Jahr schleppend gewesen. Man schrieb rote Zahlen. Dann hatte vor zwei Monaten er die Niederlassung übernommen. Mit dem klaren Auftrag, die Firma zu einem zeitgemäßen Unternehmen umzubauen. Er hatte von Anfang an gewusst: Das war der richtige Platz für ihn.
Er hatte von allen Abteilungen Jahresberichte angefordert. Heute Morgen lagen sie auf seinem Schreibtisch. Die Marketingabteilung machte gute Arbeit. Der Vertrieb ging so lala. Aber der Einkauf schien nicht zu funktionieren. Er vertiefte sich in die Zahlen. Rechnete nach und kam zu anderen Ergebnissen. Verglich Preise. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Er ließ den Einkaufsleiter kommen.

Jesus sprach zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln.

Er zitterte am ganzen Körper. Der junge Schnösel, gerade mal zwei Monate hier in der Firma, hatte ihn einfach abserviert. Dass die Zahlen in seinem Bericht falsch seien. Und auf dieser Basis sei keine gedeihliche Zusammenarbeit mehr möglich. Er solle bis morgen die Zahlen in dem Bericht korrigieren. Und sich dann aus dem Staub machen.

Er öffnete das Fenster und steckte sich eine Zigarette an. Durfte man eigentlich nicht. Nichtraucherschutz. Brandschutz. Völlig egal jetzt. Was sollte er tun? Das hier war sein Platz. Er hatte sonst nichts anderes.
Die Linde wiegte sich im Wind. Sie würde noch viele Jahre hier stehen. Er nicht. Er betrachtete den Baum. Die Äste, die aus einem Stamm wuchsen. Dann hatte er eine Idee. Er setzte sich ans Telefon und rief einen Lieferanten an. Eine freundliche Stimme. Erinnerungen an das letzte Treffen. Was haben wir gelacht an dem Abend. Habt Ihr immer noch Produktionsschwierigkeiten? Es reicht, wenn Du die Hälfte der vereinbarten Lieferung schickst. Klar. Haben wir je etwas anderes vereinbart? Du bist ein Pfundskerl. Wir müssen uns unbedingt mal wieder sehen. Versprochen.   
Den ganzen Nachmittag saß er am Telefon. Dann setzte er sich an seinen Computer und löschte Dateien. Gut, dass er noch nicht am zentralen Netzwerk angeschlossen war! Eine Stunde lang dauerte es, bis die Akten der letzten Jahre im Reißwolf verschwunden waren. 

Der Verwalter sprach: Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.

Es war Abend geworden. Er nahm seine Aktentasche. An der Pforte gab er seine Schlüssel ab. Auch den für den Firmenwagen. Er ging zu Fuß nach Hause. Fast zehn Kilometer. An der Bundesstraße entlang, durch das Arbeiterviertel und den Stadtpark. Man muss wissen, wo sein Platz ist. Über all die Jahre hatte er gedacht, er wüsste dass sein Platz in der Firma war. Aber es stimmte nicht. Die Firma hatte er betrogen. Schon lange. Und heute. Weil ihm nichts an dem Unternehmen lag, für das er gearbeitet hatte. Er dachte an den Vertriebler mit den schwitzigen Händen, der ihn heute vor lauter Freude in sein Ferienhaus in der Provence eingeladen hatte. Und an den Betriebswirt, den es im Moment fürchterlich beutelte, weil er in Scheidung lebte. Sie waren ihm wichtig. Sie mit ihren Fassaden, die sie sich mühten aufrechtzuerhalten, und mit all dem, was dahintersteckte an Scheitern und Sehnsucht und Stolz.
Und plötzlich wusste er, wo sein Platz war, schon immer gewesen war. Bei den Menschen.

 

Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.

Perikope
19.11.2017
16,1-9

Du hast die Wahl - Predigt zu Lukas 16,1-8 von Christiane Quincke

Du hast die Wahl - Predigt zu Lukas 16,1-8 von Christiane Quincke
16,1-8

Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz.Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.

 

I.

Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders. Der dumme Spruch in der Whatsapp-Gruppe war schnell geschrieben. Diese fette Kuh, wer will die schon anfassen? Eklig. Nadja hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Aber wenn ich nicht mitmache, bin ich draußen. Und bevor es noch mich erwischt? Am nächsten Tag konnte sie ihrer Tischnachbarin nicht in die Augen sehen. Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders. Der junge Soldat bekam die Waffe in die Hand gedrückt und schoss. Alte. Kinder. Frauen. Männer. Juden und Jüdinnen im tiefen Osten Europas. Und in der Nacht dann die Albträume. Das Gewissen plagte. Aber bloß nicht darüber reden. Am nächsten Tag ging es weiter. Schnell noch einen Brief an die Familie zuhause schreiben. Er vermisste seine kleine Tochter sehr.

 

II.

Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders. Eine 15jährige Dresdnerin sah das nicht so. Emilia heißt sie. Kind dieser Welt. Ich KANN anders. Und HABE die Wahl. Emilia ertrug es nicht mehr, dass ihre Klassenkameraden antisemitische Sprüche klopften. Über den Tod von Millionen ermordeten Juden machten sie sich lustig. Hört auf, schrieb sie in der Whatsapp-Gruppe. Aber keiner hörte auf. Und die Lehrer schritten nicht ein. Also nutzte sie ihre gesetzlichen Möglichkeiten. Sie zeigte ihre Mitschüler an. Ich KANN anders. Es ist noch nicht zu spät. Ich will mir noch in die Augen schauen können.

Doch sie zahlt ihren Preis. Der Shitstorm ist unbeschreiblich. Denunziantin! Petze! Das sind noch die harmlosesten Beschimpfungen. Und ich bin sicher, dass sie auch in der Klasse nun einen schlechten Stand hat. War es das wert? Haben sich ihr dennoch Häuser geöffnet? Und Herzen?

 

III.

Du HAST eine Wahl. Du KANNST anders. Und es gibt kein Zuspät. Jedenfalls nicht bei Jesus. Jesus sitzt im im Haus eines Pharisäers.  Seine Freunde und Freundinnen sind bei ihm.  Vom Verlorenen erzählt er,  von einem entlaufenen Schaf;  von einem Sohn, den es in die Ferne zog; von ein paar Groschen, die eine Witwe verlegt hatte.  Ja, sie sind Kinder dieser Welt, machen Fehler und bauen Mist. Aber sie machen auch viel gut. Und das ist viel wichtiger. Und dann erzählt er von einem Verwalter, auch einem Kind dieser Welt. Auch er hat Mist gebaut und wird deswegen von seinem Chef einbestellt. Alles ist vorbei. Denkt er. Das weiß ich genau. Was mach’ ich denn jetzt?

 

IV.

Normalerweise würde ein Mann in seiner Lage die Fehler noch schnell ausmerzen. Bilanzen fälschen. Aus dem Minus ein Plus machen. Oder die Schuld auf andere schieben. Auf die Schuldner, die ihn übers Ohr gehauen haben. Oder die Untergebenen, die falsch rechneten. Oder die Regierung, die mit ihren hohen Steuern zum Betrug zwingt. Ja, normal ist es, am Ende doch noch gut da zu stehen. Ich konnte nicht anders. Die anderen sind schuld. Ich bin nur mitgelaufen. Diese Sätze kenne ich von mir nur zu gut. Und aus der Geschichte auch.

 

V.

Gott sei Dank hält sich Jesus nicht daran, was normal ist. Du kannst nicht anders, gibt es nicht bei ihm. Doch, du kannst. Und du darfst. Das Verlorene musst du nicht verloren geben. Du bist nicht festgelegt auf deine Vergangenheit. Und auf das, was die anderen von dir erwarten, auch nicht. Du kannst ausbrechen. Und wenn es erst im letzten Moment ist. Oder im vorletzten.

 

VI.

Soll ich weitermachen, fragte Rainer Moormann seine Frau. Vor 10 Jahren war das, da wies Moormann schon ein Jahr lang auf ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem im Forschungszentrum Jülich hin. Die Kugelhaufenreaktoren sind nicht sicher genug: Ein Leck im Reaktor würde ausreichen, damit der radioaktive Staub im Innenraum des Reaktors austritt. Moormanns Kollegen und Vorgesetzte hielten seine Warnungen für Quatsch. Doch er stocherte weiter und erneuerte seine Vorwürfe Dafür zahlte er einen hohen Preis: Kollegen bezeichneten Moormann als verrückt, seine Arbeitsgruppe wurde aufgelöst, im Büro saß er plötzlich allein. Der promovierte Chemiker wurde von einer Stelle auf die andere geschoben. Als sein Arbeitgeber ihn schließlich fallen ließ, informierte er die Öffentlichkeit. Drei Jahre später gab das Forschungszentrum Jülich schließlich bekannt, die Forschung an den Kugelhaufenreaktoren einzustellen. Zu dem Zeitpunkt arbeitete Moormann schon nicht mehr in Jülich, Er war im vorgezogenen Ruhestand. Durch den vorzeitigen Ruhestand habe er einige Hundert Euro weniger an Rente. "Aber das ist der Preis, den ich dafür zahlen muss", sagt Moormann. Er kann sich wieder in die Augen schauen.

 

VII.

Du KANNST auch anders. Du hast die Wahl. Du kannst deiner Tischnachbarin sagen, dass es dir Leid tut, was du geschrieben hast. Und in der Whatsappgruppe, dass es nicht in Ordnung ist, sowas zu schreiben. Es kostet Überwindung. Ja. Und wie. Vielleicht zahlst du auch den Preis wie Emilia. Aber du kannst dir wieder in die Augen schauen, wenn du in den Spiegel blickst. Und deiner Nachbarin auch. Und es GAB die Soldaten im 2.Weltkrieg, die nicht auf Zivilisten geschossen haben. Ja, es gab sie. Es gab die Befehlsverweigerer, die nicht alles mitgemacht haben. Sie haben alles riskiert und wurden beschimpft. Oder degradiert. Oder schlimmer. Und wenn heute immer noch behauptet wird, dass man ja nicht anders konnte, dann schlägt man gerade diesen Soldaten, die anders konnten, nochmal mitten ins Gesicht.

 

VIII.

Du KANNST auch anders. Du hast die Wahl. Du, Kind des Lichts. Lerne von den Kindern der Welt. Lerne vom klugen Verwalter. Den der macht im entscheidenden Moment nicht das,  was man so normalerweise macht. Er tilgt nicht die eigenen Schuldscheine, sondern die der anderen. Er nutzt seine Möglichkeiten, um den Spieß umzudrehen. Er zahlt den Preis und trägt die Konsequenzen Seine Weste ist auf einmal nicht weiß geworden.  Die Schmutzspuren sind noch da. Aber er ist ausgebrochen aus der Logik des „Ich kann nicht anders“. Er hält sich nicht an das „Normalerweise“. Das eine Schaf wird gesucht. Der verlorene Sohn wird mit offenen Armen empfangen. Und der skrupellose Verwalter halbiert die Schulden der anderen.

 

IX.

Du KANNST anders. Du Kind des Lichts. Denn Jesus ist anders. Er sucht mit dir das Verlorene. Er nimmt dich in den Arm, auch wenn du nach Schweinemist und Schweiß stinkst. Jesus wirft die Schuldscheine sogar weg Er öffnet die Tür für dich. Und du setzt dich mit ihm an den Tisch. Emilia und die Soldaten, die nicht geschossen haben, sitzen auch schon da. Die Kinder dieser Welt.

 

Und die, die nicht anders konnten Oder meinten, nicht anders zu können, die holt ihr dann noch an den Tisch. Du willst vielleicht nicht, dass sie auch da sind. Denn normalerweise gehören sie nicht mehr dazu.  Aber Jesus ist anders. Jesus hält sich nicht an das Normale. Jesus nimmt sie in seine Arme. So wie dich.

Amen.

 

Liedvorschlag: Vorbei sind die Tränen (aus: freitöne 191)

Perikope
19.11.2017
16,1-8

Ein schmieriges Vorbild – Predigt zu Lukas 16,1-8 von Dr. Olaf Waßmuth

Ein schmieriges Vorbild – Predigt zu Lukas 16,1-8 von Dr. Olaf Waßmuth
16,1-8

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt!

Liebe Gemeinde,

in der vergangenen Woche fand ich einen Umschlag im Briefkasten, der vier ungebrauchte Servietten enthielt. Eine Dame aus dem Seniorenkreis hatte sie aus Versehen im Gemeindehaus eingepackt – und das Gewissen plagte sie so sehr, dass sie sie zurückschickte. Die Servietten gehörten schließlich der Kirche! Ich musste an meinen Großvater denken, der peinlich genau darauf achtete, mit dem dienstlichen Bleistift nichts Privates aufzuschreiben.

Ein kleiner Rest dieses preußischen Ethos hat sich auch bei mir erhalten. Ja, ich gebe zu: Tief in meinem Herzen halte ich Unbestechlichkeit und Korrektheit sogar für etwas unverzichtbar Evangelisches. Andere mögen kungeln und klüngeln; wir Protestanten aber nehmen es genau und machen keine krummen Sachen.

Wenn Sie so ähnlich denken, dann wird unser heutiger Predigttext Ihnen Bauchschmerzen bereiten. Es ist eine von den vielen wenig bekannten Geschichten im Neuen Testament, die man erst entdeckt, wenn man ein Evangelium mal von vorne bis hinten liest. Dabei steht die Geschichte an prominenter Stelle: gleich nach dem Gleichnis vom verlorenen Sohn nämlich. Hören wir aus Lukas 16 die Verse 1-8 (Luther 2017):

Jesus sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.  Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?  Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.  Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.

Eigentlich ist das eine Geschichte, die man zweimal lesen muss – um sie richtig zu verstehen, aber auch um sich zu vergewissern, dass man sich wirklich nicht verhört hat. Also: Da geht es um eine Art Geschäftsführer, der im Dienst eines reichen Mannes erhebliche Summen zu verwalten hat. Es kommt heraus, dass er das Vermögen seines Chefs nicht mehrt, sondern mindert. Vielleicht ist er faul, vielleicht fährt er riskante Anlagestrategien – wir erfahren es nicht. Jedenfalls muss er gehen. So lange die Kündigungsfrist läuft, überlegt der Noch-Geschäftsführer, wie er seine Noch-Kompetenzen am geschicktesten nutzt für das Leben danach – damit er nicht auf der Straße steht, wenn er auf der Straße steht. Schließlich bestellt er die größten Kreditnehmer seines Chefs zu sich: keine kleinen Fische, sondern offenbar selbst mittelständische Unternehmer – man sieht es an ihren erheblichen Schulden. Der Noch-Geschäftsführer unterschreibt ihnen hinter den verschlossenen Türen seines Büros stark reduzierte Schuldscheine. So gewinnt er ihr Wohlwollen; so verpflichtet er sich diese Leute für später.

Die Geschichte, die Jesus erzählt, ist keineswegs unrealistisch. Wir erleben Ähnliches zum Beispiel, wenn irgendwo ein Regierungswechsel ansteht. Da werden eben noch schnell ein paar Beamte befördert und in höhere Gehaltsstufen eingruppiert. Da sichert sich der ein oder andere Politiker das Wohlwollen von Wirtschaftsunternehmen, die ihn anschließend in den Aufsichtsrat berufen. In den letzten Tagen einer Regierung werden schnell noch einige Gesetze verabschiedet und Verträge unterschrieben. Gelegentlich sollen sogar Akten verschwinden. Das alles sollte niemanden wundern.

Wundern muss man sich allerdings, dass Jesus eine solche Geschichte erzählt, ja viel mehr noch: dass er das Verhalten jenes trickreichen Geschäftsführers offenbar gutheißt und weiterempfiehlt. Wie soll man das nur verstehen?

Frühere Bibelausleger haben das Gleichnis gedreht und gewendet, um doch noch zu zeigen, dass der Geschäftsführer moralisch vorbildlich handelt. Man hat zum Beispiel vermutet, dass die Schulden, die er erlässt, sein persönlicher Anteil am Kreditgeschäft seines Chefs gewesen seien. Aber das steht nirgendwo. Im Gegenteil: Das Gleichnis nennt den Mann ganz ohne Umschweife „ungerecht“. An der moralischen Fragwürdigkeit gibt es nichts zu rütteln. Doch der Geschäftsführer erhält noch ein zweites Adjektiv: klug. Wegen seiner Klugheit wird er gelobt. Durch seine Klugheit wird er zum Vorbild.

Jesus sagt: Klugsein im Angesicht einer ungewissen Zukunft bedeutet Risikobereitschaft und Weitsicht. Es bedeutet, die Zukunft nicht zu verleugnen oder zu verdrängen. Es bedeutet, nicht alles fatalistisch auf sich zukommen zu lassen und die Hände in den Schoß zu legen, sondern die Initiative zu ergreifen und etwas zu wagen. Genau das tut dieser Verwalter. Er sieht seine Lage in aller gebotenen Nüchternheit. Er wagt etwas. Dabei kommt es durchaus darauf an, dass er nicht einfach Geld für sich selbst beiseiteschafft, sondern dass er sich das Wohlwollen und die Treue anderer Menschen erwirbt. Geld ist bei ihm Mittel, nicht Zweck. Beziehungen sind ihm wichtiger als Besitz.

Liebe Gemeinde,

was bedeutet das alles für uns, die wir ganz bestimmt ehrlicher durchs Leben gehen wollen als dieser zwielichtige Verwalter?

In mehreren Geschichten warnt Jesus davor, die Beurteilung durch Gott einfach auszusitzen; sich vor Fehlern zu schützen, indem man einfach gar nichts tut.  Wer handelt, macht Fehler. Und Jesus versucht den Menschen immer wieder klar zu machen – auch mit einem drastischen Beispiel wie diesem betrügerischen Verwalter –, dass Gott für solche Fehler mehr Verständnis aufbringen wird, als wir denken. Vor allem hat er mehr Verständnis dafür als für ein Leben, das nie wirklich gewagt wurde – aus Angst, es zu verfehlen.

Wer die Pfunde, die ihm anvertraut sind, vergräbt, der lässt sich zwar nichts zuschulden kommen, der handelt wohl korrekt. Aber klug ist das nicht. Klug ist etwas anderes: ein aktiver, ein weitsichtiger und phantasievoller Umgang mit dem Leben, das uns geschenkt ist. Schließlich ist unsere Lebenszeit begrenzt. Unsere Möglichkeiten und Gaben sind begrenzt. Keiner weiß, wann sie uns wieder ganz genommen werden.

Die Botschaft des Gleichnisses höre ich vor diesem Hintergrund so:

Spare nicht mit deinem eigenen Leben. Sei klug mit deiner Zeit und mit deiner Kraft. Nutze sie gut aus. Investiere sie: am besten in Menschen, in Freundschaften und Beziehungen. Halte die Liebe nicht zurück. Teile reichlich Vergebung aus, damit dir eines Tages vergeben wird. Verkriech dich nicht in falscher Bescheidenheit, auch nicht in Selbstmitleid oder Fatalismus, sondern gehe beherzt und mutig an, was vor dir liegt. Am Ende wird es nicht darauf ankommen, dass du makellos und rein vor deinem Herrn stehst – sein Erbarmen ist ohnehin größer als du denkst. Am Ende kommt es darauf an, dass du im Angesicht Gottes dein Leben gewagt hast!

Liebe Gemeinde,

wir hören das Gleichnis heute am Volkstrauertag. Am Tag also, an dem wir der vielen Millionen Opfer der letzten Kriege und des national­sozialistischen Unrechts gedenken. Wie viele von diesen Opfern hätten wohl vermieden werden können, wenn es in jenen Tagen mehr von der Klugheit gegeben hätte, die unser Gleichnis empfiehlt! Wenn wir Deutschen nicht so preußisch: so korrekt, so gründlich und so gehorsam gewesen wären, sondern: ein gutes Stück eigenverantwortlicher, gewitzter und mutiger.

Jedenfalls muss ich bei dem zwielichtigen Verwalter des Gleichnisses an eine historische Figur denken, die erst durch einen amerikanischen Kino-Film der Vergessenheit entrissen wurde: Oskar Schindler, der deutsche Unternehmer aus Zwittau, der am Ende des Krieges rund 1200 Krakauer Juden vor dem Konzentrationslager rettete. Dieser Schindler war allem Anschein nach ein schmieriger, opportunistischer Typ, viel unsympathischer als der Hollywoodfilm „Schindlers Liste“ ihn zeigt. Lange Zeit arbeitete er eng mit den Nazis zusammen; er profitierte wirtschaftlich vom Krieg. Doch dann tat er zur rechten Zeit das Richtige: Um seine jüdischen Arbeiter vor der Deportation und dem sicheren Tod zu bewahren, zog Schindler alle Register des Betrugs; er fälschte Dokumente und zahlte Schmiergelder. Ein Repräsentant typisch deutscher Tugenden war er wahrlich nicht – und dennoch oder gerade deswegen wurde er zum Vorbild jenseits der Norm. Ein kluger Verwalter der eigenen Möglichkeiten.

Der Verwalter aus der Geschichte Jesu ist ein schwieriges Vorbild. Sein Verhalten kann beim besten Willen nicht zur Nachahmung empfohlen werden – auch nicht aus christlicher Sicht. Doch er dient als drastische Erinnerung daran, dass wir vor Gott nicht nach hehren Tugenden und edlen Prinzipien gefragt werden. Wir werden gefragt, wie entschlossen, wie mutig und wie einfallsreich wir unser Leben gelebt haben. Ein gewagtes Leben gibt es nicht ohne Scheitern und Blessuren. Wir werden uns wundern, wieviel Verständnis unser Herr dafür hat.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Perikope
19.11.2017
16,1-8

Dämonendämmerung - Predigt zu Lukas 11,14-23 von Dr. Jürgen Kaiser

Dämonendämmerung - Predigt zu Lukas 11,14-23 von Dr. Jürgen Kaiser
11,14-23

Und er trieb einen Dämon aus, der war stumm. Und es geschah, als der Dämon ausfuhr, da redete der Stumme, und die Menge verwunderte sich. Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Dämonen aus durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel. Er aber kannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre. Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die Dämonen aus durch Beelzebul. Wenn aber ich die Dämonen durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Wenn ein gewappneter Starker seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.

 

Starr saß er da. Der Blick bohrte sich in die Erde. Sie wollten, dass er etwas sagt. „Hör auf, hat doch keinen Zwecke!“, ging einer dazwischen. „Früher hat der geredet wie ein Wasserfall. Aber seit Monaten nichts mehr. Kein einziges Wort!“ Er hörte es, aber der Mund blieb zu. Die Erinnerungen trampelten auf die Synapsen. Es tat weh. Die Gedanken rasten in seinem Kopf. Aber er konnte sie nicht rauslassen. Sie stießen heftig von innen gegen den Mund. Die Lippen krampften sich zusammen. Wenn jetzt jemand mit Gewalt seinen Mund aufreißen würde, käme ein Schrei heraus, der würde die Schallmauer durchbrechen und den Himmel bersten lassen. Der Stumme würde nicht mehr aufhören zu schreien, nie mehr. Er würde bis in alle Ewigkeit schreien. Wenn Himmel und Erde vergangen sind, würde er immer noch dasitzen und schreien. Die Stimmbänder würden bluten und sein Schrei einen neuen Urknall auslösen. Gibt es neue Welten ohne die Erinnerung an das, was war? Aber er schrie nicht. Die Lippen blieben verschlossen. Der Blick erreichte Grabestiefe. Himmel und Erde wurden alt und älter. Die Erde verströmte den Duft des Moders. Den Himmel sah er schon lange nicht mehr.

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Früher hießen die Dämonen Belzebub oder Legion. Heute heißen sie posttraumatische Belastungsstörung oder Psychose, Borderline oder Neurose. Vielen hockt ein kleiner Dämon im Nacken, einigen ein großer. Glücklich schätzen können sich die, bei denen er klein bleibt. Bei denen man die Ticks und die Macken nur hin und wieder merkt, die gut über die Runden kommen, im Alltag den Schein wahren und nur hinter verschlossenen Türen mit ihrem Dämon raufen. Der sie dann zu komischen Bewegungen stachelt oder zu krampfigen Zuckungen oder zu Schluchzen und zu Tränen. Es gibt Menschen, die lachen den ganzen Tag und wenn der Mensch neben ihnen im Bett sein Gute-Nacht-Gebet spricht, heulen sie heimlich das Kissen voll. Wir haben alle unsere kleinen Dämonen im Nacken. Manche aber haben mächtige Dämonen in der Seele, die ihnen den Mund verschließen oder die Psyche zerfetzen.

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Am Ende klärt sich alles auf. Jesus kommt und die Dämonen trollen sich. Lahme gehen, Blinde sehen, Stumme reden. Menschen werden wieder Menschen. Was sie erstarren ließ, was sie wegsehen ließ, was sie verstummen ließ, wird verbannt. Jesus kommt und die Plagen gehen. Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. Was böse Macht über uns gewonnen hat, kann nur durch eine stärkere Macht gebannt werden. Mit Jesus kommt die stärkste Macht, die Macht Gottes. Sie vertreibt die Dämonen. Das Reich Satans ist in sich gespalten. Es ist geschwächt, es kollabiert. Dann ist das Reich Gottes nahe.

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So lässt sich die Wirklichkeit in der Sprache biblischer Mythologie beschreiben. Wir haben heute eine andere Sprache. Doch die Wirklichkeit hat immer noch ihre dunklen Seiten. So oder so - am Ende ist es immer noch eine Frage der Macht. Man kann die Dämonen durch Beelzebul austreiben. Der größere Dämon verjagt den kleineren. Konfrontation ist eine Therapiemethode. Die Patienten werden mit dem konfrontiert, was sie geschreckt hat. Wer Angst vor Spinnen hat, kann lernen, eine Vogelspinne zu streicheln, um die Angst zu verlieren. Wer Höhenangst hat, kann nach Paris ziehen und jeden Sonnabend auf den Eiffelturm klettern. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung konfrontiert der Therapeut den Patienten behutsam mit dem Ereignis, das das Trauma ausgelöst hat. Man sucht bewusst und kontrolliert die Begegnung mit dem größten Schrecken, damit sich die kleineren vertrollen. Den Dämon durch Beelzebul austreiben. Entscheidend ist die Kontrolle. Die Kunst des Therapeuten ist es, Beelzebul zu meistern. In der Hand des Therapeuten ist die unberechenbare Tyrannei des Traumas gebändigt. Der Patient muss dem Therapeuten vertrauen, er muss ihm zutrauen, Macht über den Schrecken zu haben. Es ist eine Frage der Macht, aber auch des Vertrauens.

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Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. In der Kirche haben wir die Machtfrage aus dem Blick verloren. Zu lange wurde die Kirche nur als Machtfaktor wahrgenommen. Das scheint uns immer noch peinlich zu sein. Also blicken wir lieber aufs Kreuz und reden von der Ohnmacht Gottes und davon, dass Gott sich mit der Erfahrung des Scheiterns solidarisiert. Das ist eine wichtige Einsicht. Aber das ist nicht das letzte Ende. Die Erfahrung unserer Ohnmacht soll nicht der Abschiedsgruß Gottes gewesen sein. Nach dem Kreuz kommt das leere Grab. Der Tod ist weg! Gott hat ihn besiegt. Die Machtfrage ist geklärt. Der Sohn Gottes lebt. Wir werden nicht vergeblich davon träumen, dass auch uns eines jüngsten Tages und durch den Tod hindurch ein Leben blüht, in dem alles geklärt sein wird.

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"Es war ein Kampf. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, sagt Karolina. Der Marienanhänger blitzt in der Sonne Krakaus. Ich zitterte. Am ganzen Körper. Ich konnte nicht mehr sprechen. Wenn ich was sagen wollte, fühlte es sich an, als ob ich ersticke." Karolina begab sich in die Behandlung eines Exorzisten. Es gibt in Polen etwa 130 Exorzisten. Priester, die mit bischöflicher Erlaubnis den Teufel austreiben dürfen. Und eine Plattform im Internet. Man kann den Exorzisten im Internet buchen. Exorzismus boomt in Polen. Natürlich ist das auch in Polen nicht unumstritten, selbst in der polnischen Kirche nicht.Der beliebteste Exorzist in Polen kommt aus Uganda. "Alles was nicht von Gott ist, verlässt uns jetzt. Auch Krebs. Jesus hat uns nicht mit Krebs oder Kreislaufschwierigkeiten geschaffen. Und in dieser göttlichen Freude werden die Krüppel wieder laufen, die Blinden sehen, die Knochen tanzen vor Freude!", ruft John Bashobora 20.000 Anhängern zu.1

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Jesus hat die Dämonen ausgetrieben. Im Anbruch des Reiches Gottes werden Menschen geheilt. Lahme gehen, Blinde sehen, Stumme reden. Davon erzählt die Bibel. Kann man sich diese Macht in Jesu Namen zueigen machen? Exorzisten versuchen es. Sie meinen, man könne sich die von Jesus ausgehende Macht durch den Vollzug bestimmter Rituale aneignen und sie handhaben. Aber das ist ein Irrtum. Die Dämonen werden nicht durch exorzistische Praktiken vertrieben, auch wenn der Priester 7, 12 oder 99-mal den Namen Jesu nennt. Sie werden vertrieben, weil ihre Macht in der Nähe des Reiches Gottes gebrochen ist. Menschen werden geheilt, weil die Macht des Todes vom Allmächtigen gebannt wurde. Die Urkraft Satans schwächelt. Denn der allmächtige Gott hat Jesus Christus von den Toten auferweckt. An Ostern fiel die Entscheidung zugunsten des Lebens. An Ostern hat die Aufklärung begonnen. Alles Zwielichtige kam ans helle Licht und wir erkannten: Es war ein Nichts.

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Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. Heute ist der Anfang vom Ende des Kirchenjahres. Am Ende des Kirchenjahres zieht Klarheit auf. Das Zwielicht der Welt klärt sich zur Eindeutigkeit des Reiches Gottes. Aufklärung. Dämonendämmerung. Gott klärt. In den letzten drei Sonntagen des Kirchenjahres geht es um die Macht Gottes. Es geht um das, was übrig geblieben ist aus dem Kirchenjahr, was außerhalb unserer Macht liegt, um das, was wir trotz aller Macht, die uns von Gott durch einen Berge versetzenden Glauben, durch eine die Zeiten überschreitende Hoffnung und durch eine alle Feindschaft überwindende Liebe gegeben ist, nicht vermögen. Glaube, Hoffnung, Liebe machen mutig, stark und fröhlich, aber nicht allmächtig. Es bleibt etwas übrig, das über unsere Macht geht. Das klärt Gott am Ende.

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Am Ende klärt sich alles auf. An Ostern hat die Aufklärung begonnen. Mit der Auferweckung Jesu von den Toten wurde der Macht des Todes der Todesstoß versetzt. Seither ist das Reich Gottes im Anbruch. Die Dämonen werden entmachtet. Ihre Fratzen schrecken nicht mehr. Sie ruhen in der Mottenkiste einer untergegangenen Welt. Von dort dürfen sie kommen, um an Halloween die Kinder zu bespaßen und im Nachtprogramm die Eltern am Fernseher zu gruseln. Luthers Glauben ist uns auch ohne die Angst vor dem Teufel tröstlich und nützlich, und wer besessen ist, geht zum Therapeuten.

Immer noch wirken Mächte, Gewalten und Energien, die schwer zu beherrschen sind, auf uns Menschen. Aber im Licht der seit Ostern initiierten Aufklärung ersetzen wir magische Methoden durch wissenschaftliche, unkontrollierbare durch immer besser kontrollierte und beherrschbare Methoden. Was Jesus damals konnte, das können heute auch wir: Heilen. Dass wir immer besser lernen, mit den destruktiven Kräften umzugehen, sie zu bannen oder in konstruktive Kräfte umzukehren und wunde Seelen zu heilen, das sind die Zeichen des Reiches Gottes, das im Anbruch ist. Auch wenn die Heilung nicht im Namen Jesu Christi geschieht, ist es eine Heilung durch Gott. Auch eine Therapie durch einen Therapeuten ohne Taufe und Bekenntnis ist eine Wirkung von Gottes kommendem Reich. Es ist schon lange im Anbruch. Und es ist noch lange nicht vollendet. Aber die Ängste kriegen wir immer besser in den Griff. Es ist am Ende eine Frage der Macht, aber auch eine Frage des Vertrauens. Luther ist mit seinen Teufelsängsten nicht zum Exorzisten gegangen, sondern hat sie durch seinen Glauben in den Griff gekriegt. Der Fürst dieser Welt ist schon gerichtet. Man muss sich das nur mit einem Wörtlein sagen und schon klärt sich alles Zwielichtige zur Herrlichkeit Gottes. „Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie sau’r er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht’: ein Wörtlein kann ihn fällen.“ (Luther , EG 362,3)

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Perikope
12.11.2017
11,14-23

Heilig Abend - Predigt zu Lukas 2,1-19 von Dr. Jürgen Kaiser

Heilig Abend - Predigt zu Lukas 2,1-19 von Dr. Jürgen Kaiser
2,1-19

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.

 

Sie aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Es pochte heftig. Lange schon hatte es nicht mehr so heftig gepocht. Die Worte stießen an die Wände der Herzkammern. Sie kollidierten gegeneinander. Jedes Mal fühlte sie einen kleinen Schlag. Dieses Laufen der Worte in ihrem Herzen. „Freude“ rannte gegen „Heiland“, „Christus“ stieß mit „Furcht“ zusammen, „verkündigen“ krachte gegen „widerfahren“, die „Stadt Davids“ prallte gegen die „Höhe“ und der „Friede“ stürzte auf die „Erde“. Eine Unordnung, ein Chaos der Worte - sie konnte sich nicht beruhigen. Sie hörte noch „Wohlgefallen“ und wäre dann fast in Ohnmacht gefallen, hätte sie nicht in diesem Moment nach Josef gegriffen und tief durchgeatmet. Es was alles zu viel, die Reise nach Bethlehem in ihrem Zustand, die vergebliche Suche nach einer Bleibe, die Geburt im Stall und die Hirten mit ihren wirren Worten, die sie sich nun zu Herzen nahm. Sie hatte sich aufgerichtet als sie kamen. Sie hatte gehört, was sie sagten, es bewegte sie - verstanden hat sie es nicht. Jetzt waren die Worte in ihr gefangen. Sie konnten nicht raus. Gerne hätte sie das eine oder andere Wort freigelassen, es in Josefs Ohr geschickt und mit ihm darüber gesprochen. Sie blickte ihn an. Er saß da und stierte durch ein Loch im Dach. Er zählte Sterne. Als sie ihn am Rockzipfel griff, um nicht zu fallen, schreckte er kurz auf, blickte sie an und reiste dann wieder durch das Loch in seinen Himmel, ohne ein Wort zu hinterlassen oder eines von den Worte aus ihrem Herzen mitzunehmen.
Sie lauschte wieder auf das Lärmen dieser Worte in ihr. Noch andere drängten sich hinein, ältere, auch ganz alte und feierten in ihrem weiten Herzen eine wilde Party. Eines hieß Immanuel, ein anderes gab Zeichen, eines drang mit lautem Jubel und fetter Beute ein. Es kamen welche, die wollten ihre Stiefel nicht ausziehen und den Mantel anbehalten, an dem Blut hing. Rohe Eindringlinge aus alten Zeiten, als der Feind noch Assur hieß und Babylon. Kurz darauf machten es sich Wunder-Rat und Gott-Held, Ewig-Vater und Fried-Fürst gemütlich – die Kerle kannte sich - und führten sich in ihrem Herzen auf wie Könige. Einige brachten Tiere mit. Wölfe an der Leine und Lämmer auf der Schulter, Panther ohne Leine und ein Böcklein im Schlepptau. Eine trug ihren Säugling auf dem Arm. Er spielte mit einer Otter. Sie betrachtete die bunte Gesellschaft. Ein Zirkus machte bei ihr Station. Aber es war kein Zirkus, es war Zion. Es war nicht Zauber, es war Zebaoth. Das alles waren seine Scharen, seine Söhne, seine Töchter. Maria wurde neugierig. Sie richtete sich auf, fasste sich ein Herz und erhob die Stimme: „Meine lieben Gäste, seid mir willkommen! Von weit her seid ihr gereist, um mich heimzusuchen in meinem Herzen. Ich weiß noch nicht, wie mir geschieht, doch ich danke es euch. Euer Besuch bewegt mich sehr. Es ist nun meines Herzens Wunsch, dass ihr euch einander bekannt macht. Werdet miteinander vertraut, der Heiland mit dem Friedefürst, der Gott-Held mit dem Christus und Immanuel stelle sich dem Ewig-Vater vor. Sucht euch ein Plätzchen und redet miteinander, teilt mit, woher ihr kommt und wohin ihr zieht. Und mischt euch, die Jungen mit den Alten, der alte Isai mit den himmlischen Heerscharen und die alte Weisheit mit der jungen Erkenntnis. Dann will auch ich euch kennen lernen, will erfahren, was ihr zu sagen habt, ihr großen Worte und berühmten Namen. So werde ich eines Tages verstehen, was mich jetzt so bewegt.“ Josef blickte sie entgeistert an: „Was sagst du?“ Maria setzte sich. Sie schaute kurz zu Josef und wendete dann ihren Blick zur Krippe. Sie fing an, ein Lied zu summen. Ein Willkommenslied für ihre Gäste. Dieses Lied, liebe Gemeinde, wollen auch wir nun singen:

1. Tochter Zion, freue dich,
jauchze laut, Jerusalem!
Sieh, dein König kommt zu dir,
ja er kommt, der Friedefürst.
Tochter Zion, freue dich,
jauchze laut, Jerusalem!


2. Hosianna, Davids Sohn,
sei gesegnet deinem Volk!
Gründe nun dein ewig Reich,
Hosianna in der Höh!
Hosianna, Davids Sohn,
sei gesegnet deinem Volk!

3. Hosianna, Davids Sohn,
sei gegrüßet, König mild!
Ewig steht dein Friedensthron,
du, des ewgen Vaters Kind.
Hosianna, Davids Sohn,
sei gegrüßet, König mild!

In seinem Kopf jagten die Gedanken. Ungestüm galoppierten sie ihm durchs Hirn. Er versuchte, sie zu zügeln, forschte nach einem, der Gott im Sattel hätte. Aber er bekam keinen seiner schnaubenden Gedanken zu fassen. Sie bäumten sich auf und stieben davon, ehe sie ihren Reiter offenbaren konnten. Er hob den schweren Kopf und visierte das Loch im Dach. Die Pupillen verengten sich. Er drückte das rechte Auge zusammen und nahm mit dem linken einen Stern aufs Korn. Er sah einen zweiten Stern. Er stutzte und öffnete beide Augen. Er sah einen dritten Stern. Er sah viele Sterne. Sein Blick erreichte die Tiefe der Welten. Sein Auge stürmte in Lichteseile an andere Ende des Firmaments. Es war Nacht, er aber sah das Glühen der Sonnen, es war finster, er aber sah das Funkeln der Galaxien. Da klärten sich die Gedanken in seinem Kopf. Und diese Klärung empfing er wie eine Offenbarung.
Wie klein erschien ihm jetzt die Sonne, die er kannte, wie winzig die Erde. Wie unbedeutend dieser Stall, wie nichtig wurde er sich selbst samt seiner Frau und dem Kind, drei Staubkörner im Weltenall. Was bedeutete ihr Dasein, was bedeutete selbst die Geburt seines Sohnes angesichts dieses Universums mit seinen Millionen Welten? Wenn er denn sein Sohn war! Ein letzter Zweifel störte seine Melancholie und nährte sie zugleich. Was ist der Mensch?
Er sah so viele Sonnen, er sah ihre Planeten um sie kreisen, er sah Lebewesen, die keiner auf Erden je gesehen hatte, Geschöpfe eines Gottes, der nie auf Erden war. Es gab so viele Welten. Wieso sollte Gott sich um das kleine Israel scheren, wieso im kleinen Bethlehem sich in einem Kind wiederfinden? Keiner seiner Gedanken wollte der Fährte nachgehen, die die Hirten mit ihren Worten gelegt hatten. Behaglich dagegen war ihm die Unendlichkeit vor seinem Auge. Sie gefiel ihm. Freude, feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Seid umschlungen, Millionen! Mit diesem Kuss der ganzen Welt entkam Josef der Enge des Stalles, den Mauern des Landes, dem Gott seiner Väter und seinen Gesetzen. Er sprang auf seine fliehenden Gedanken, gab ihnen die Sporen, packte die Tochter aus Elysium an der Hand und sprang mit ihr über den Graben, sprang hinter die Welt, ließ Räume und Zeiten dahinten, brach durch Schallmauern und schoss durch die Lichtjahre.

Er war schon längst nicht mehr bei sich, als Maria wankte und nach ihm griff. Sie schnappte tief nach Luft und fasste sich ans Herz. Er senkte den Kopf. Ihre Blicke trafen sich und trennten sich wieder. Er suchte sein Loch und ordnete die Gedanken im Kopf. Er wollte auch Maria mitnehmen auf die Himmelsreise, wollte sie mit den Reimen seiner himmlischen Empfindung einladen. Doch als er reden wollte, sagte ihm das Schweigen mehr zu. Was gab es noch zu sagen? Alle Poesie entwich aus dem Loch im Stall. War nicht jeder Gedanke bloß eine Schaltung seiner Synapsen? Waren nicht alle Gefühle bloß Effekte seiner Moleküle? War nicht alles in uns ein Ebenbild der unendlichen Welten da draußen? Jedes Gen eine Galaxie aus Atomen? Der vollkommene Kosmos, unendlich da oben und unendlich da drinnen. Ja Ebenbilder sind wir, Ebenbilder des Kosmos. Das machte ihn sprachlos. Jedes Wort störte diese Harmonie. Warum sollte Gott das Wort ergreifen? War es nötig? Wieso sollte nicht auch er es vorziehen, schweigend seine Kreise zu ziehen? Wie die Sterne und die Atome, wie die Galaxien und die Moleküle je auf ihrer Bahn. Die Hirten glaubten an Engel. Er aber empfand die Sterne in seinem Kopf. Sie waren kühl.
Da fing es doch noch an, in ihm zu reden. Ein alter Psalm, seiner Väter Lied, wollte nicht schweigen:

Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? (Ps 8,4f)
Josef sah in den Himmel und zählte die Sterne. Da wusste er: Nichts ist der Mensch. Warum sollte je ein Gott seiner gedenken? Die Melodie dieses Liedes ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Auch wir, liebe Gemeinde, wollen dieses Lied nun singen:

3. Wenn ich den Blick zu deinen Sternen wende
und zu dem Mond, den Werken deiner Hände -
was ist der Mensch, dass du, Herr, sein gedenkst,
des Menschen Kind, dass du ihm Liebe schenkst?
4. Und doch hast du am höchsten ihn gestellet,
ganz nah ihn deiner Gottheit zugesellet,
hast ihn gekrönt mit Hoheit und mit Pracht,
dass er beherrsche, was du hast gemacht. [EG 271]

Josef hatte gar nicht bemerkt, dass Maria aufgestanden war. Sie murmelte etwas vor sich hin. Er blickte sie entgeistert an und fragte: „Was sagst du?“ Maria setzte sich. Ihre Blicken suchten sich, sein Blick aus dem Kopf und ihr Blick aus dem Herzen. Aber sie fanden sich nicht. Maria sang: „Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem.“ Leise sang sie es in sich hinein.

Josef sang in sich hinein: „Wenn ich den Blick zu deinen Serne wende…“ und schloss leise an: „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium!“ So besangen sie – leise zwar, doch nicht ohne Freude - ihre Töchter, Maria die Tochter aus Zion und Josef die Tochter aus Elysium. … Da schrie laut der Sohn aus der Krippe. Der Säugling tat, was Säuglinge tun, wenn sie Hunger haben. Maria vergaß die Worte in ihrem Herzen, Josef ließ ab von den Gedanken in seinem Kopf. Die Mutter musste zusehen, dass der Säugling das Trinken lernt und der Vater musste lernen, wie man die Windeln wickelt. Nachdem der Säugling gestillt und gewickelt wieder eingeschlafen war, trafen sich ihre Blicke. „Was hast du durch das Loch gesehen, Josef?“ – „Die Sterne.“ „Konnte Abraham die Sterne zählen, als der Herr ihn hieß, gen Himmel zu sehen und die Sterne zu zählen?“, fragte Maria. Und Josef wiederholte die Verheißung: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein! (Gen 15,35)
„Wir haben ein Kind bekommen“, sagte Maria. - „Gott hat Wort gehalten“, stellte Josef fest, und konnte gar nicht glauben, dass er das gesagt hatte, und fügt an, nun sehr bewegt: „Schwester, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“. Sie traten gemeinsam aus dem Stall, hoben ihre Köpfe und blickten in den Sternenhimmel.
„Wieso kümmert sich der Gott, der all dies geschaffen hat, um uns?“, fragte Josef. „Wieso kümmern wir uns um das Kind?“, fragte Maria. „Weil es schreit und es uns weh tut, wenn es schreit“, antwortete Josef. „Siehst du“, sagte Maria. „Weil wir schreien und zu ihm rufen und es ihm weh tut, wenn wir schreien, deshalb kümmert Gott sich um uns. Seine Ohren hören uns über Lichtjahre und durch Schallmauern. Von seinen Millionen Welten liegt ihm ausgerechnet unsere am Herzen.“ – „Woher weiß du das?“ wollte Josef wissen. „Die Worte in meinem Herzen haben begonnen, mir ihre alten Geschichten zu erzählen. Es war immer so, seit Anbeginn der Zeit: Wir riefen und Gott hörte. Erst, wenn wir nicht mehr rufen, erst, wenn auf dieser Erde keiner mehr schreit, wird er sich anderen Welten zuwenden.“ „Sollen wir uns das wünschen?“, fragte Josef. Das Kind wurde wach und fing wieder an zu schreien. Sie kehrten in den Stall zurück. Sie wussten, was zu tun war. Und sie freuten sich sehr.
Amen.

1. Wie herrlich gibst du, Herr, dich zu erkennen,
schufst alles, deinen Namen uns zu nennen:
Der Himmel ruft ihn aus mit hellem Schall,
das Erdenrund erklingt im Widerhall.
2. Verborgen hast du dich den klugen Weisen
und lässest die Unmündigen dich preisen.
Den Leugner widerlegt des Säuglings Mund;
der Kinder Lallen tut dich, Vater, kund. [271]

Perikope
24.12.2014
2,1-19

Eine bessere Welt muss man selber machen - Predigt zu Lukas 18,28-30 von Dr. Martina Janßen

Eine bessere Welt muss man selber machen - Predigt zu Lukas 18,28-30 von Dr. Martina Janßen
18,28-30

I. Heute findet die Bundestagswahl statt. In den Wochen zuvor prägte Wahlwerbung das Straßenbild -von hipp bis solide, zwischen psychedelischem Farbenspiel und smartem Schwarz-Weiß, überall vertraute Gesichter seriös-souverän in Szene gesetzt. Das gehört dazu. Ich lasse all die Slogans auf mich wirken.

„Zukunft kann man wollen. Oder machen" (Die Grünen)

„Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ (CDU)

„Sozial, gerecht, für alle“ (Die Linke)

„Für eine starke Wirtschaft und sichere Arbeit“ (CDU)

„Mit Mut für eine weltoffene Gesellschaft“ (Die Grünen)

„Denken wir neu“ (FDP)

„Zeit für mehr Gerechtigkeit (SPD)

„Zeig Stärke“ (Die Linke)

„Die Zukunft braucht Ideen und einen, der sie umsetzt“ (SPD)

„Ungeduld ist auch eine Tugend“ (FDP)

So in etwa klingt die Botschaft der Straße in diesen Tagen. Finde ich gut. Ja, da kann ich überall zustimmen. Zukunft, Sicherheit, Gerechtigkeit, Weltoffenheit. Das sind die Zutaten für ein Land, in dem ich gut und gerne leben will und kann. Und nicht nur ich, sondern alle. Auch der Weg dahin überzeugt mich: Mut, Stärke, Ideen und die nötige Portion Ungeduld, damit es auch bald so wird, wie es sein soll. Das klingt großartig – und alles, was ich dafür tun muss, ist heute zwei Kreuze zu machen. Das ist kein wirklich schlechter Deal, oder? Doch es bleiben ja Fragen: Halten die alle, was sie versprechen? Was versprechen die eigentlich genau? Beim ersten Lesen könnte ich bei vielem mein Kreuz machen, wenn es dann allerdings auf den zweiten Blick konkreter wird, scheiden sich die Geister. Und das ist gut so. Nur so funktioniert Demokratie.

II. Wem folge ich? Wem glaube ich? Das sind die Fragen der letzten Wochen. Ich stelle mir vor, auch Jesus stünde zur Wahl, wäre eines von den vielen Gesichtern, die mir von den Laternenmasten und Stellwänden entgegenlächeln. Wäre Jesus fotogen? Hätte er das Zeug zum smarten Posterboy? Wäre seine Partei reich genug Geld für große Wahlplakate? Gäbe es auch Kugelschreiber? Vor allem aber frage ich mich: Mit welchem Slogan würde Jesus werben? Ich blättere in der Bibel. Wie ist das, wenn man Jesus folgt? Da findet sich schon einiges, das nach Slogan klingt. „Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach“ (Lk 9, 23). „Verkauf alles, was du hast, verteil das Geld an die Armen (…); dann komm und folge mir nach“(Lk 18, 22)! „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein (Lk 14,26)“. „Lass die Toten ihre Toten begraben. Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes (Lk 9,60.62).“

Nein, Jesus! – ruft der Wahlkampfmanager in mir – so doch nicht! So wird das nichts! Die Leute geben dir ihr Kreuz, weil sie ihrs ja gerade loswerden wollen. Die wollen nicht Haus und Hof und Familie oder gar ihr eigenes Leben verlieren, sondern Gerechtigkeit, Wohlstand und Sicherheit gewinnen! Du darfst doch nichts fordern, du musst versprechen, verheißen, verführen, mit einer frohen Botschaft locken. Und wenn sie sich nachher als Fake News erweist: egal! Nichts verlangen, sondern versprechen, verheißen - und wenn es dann nach der Wahl doch anders kommt: vertrösten! Wer soll dich denn wählen, wenn du von ihm mehr als zwei Kreuze auf dem Wahlschein forderst? „Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich.“ Ach, Jesus, die wollen ihr Kreuz loswerden und loslegen mit der Selbstverwirklichung, nicht ihr Kreuz tragen und sich verleugnen! So wird das nichts. Ich geb’s zu. Mit der 5%-Hürde würde es bei Jesus schwierig werden. Nachfolge Jesu ist kein Zuckerschlecken. Damit nimmt man kaum einen für sich ein. Menschen ticken anders. Was springt für mich dabei raus? Geht die Rechnung auf? So zu denken, ist menschlich. Allzu menschlich. So menschlich dachten damals vielleicht auch die Jünger Jesu.

Predigttext Lk 18,28-30: Da sagte Petrus: Du weißt, wir haben unser Eigentum verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben.

III. Denken wir neu! Loslassen und abgeben kann reich machen. Sein Leben in Gottes Hand geben, sich ganz Gott überlassen und von sich selber ablassen – wie befreiend, wie bereichernd kann das sein! Das ist ja im Grunde auch der Kern von Martin Luthers reformatorischer Erkenntnis. Sich nicht auf seine Kraft, sein Geld, seine guten Werke, seine Leistung, sich nicht auf sich selbst verlassen, sondern Gott machen und sich von ihm beschenken lassen. Dann kommt es – das ewige Leben in der kommenden Welt. Ganz leicht und wie von selbst…

Loslassen und abgeben kann reich machen. Das ist nicht nur was fürs Himmelreich. Das ist was auch für hier und jetzt. Wenn ich etwas gebe von meiner Zeit, meiner Kraft, meinem Geld, werde ich nicht schwächer und ärmer. Im Gegenteil: Ich gewinne etwas. Das merk ich nicht erst im Himmel. „Jeder wird schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten.“ Der Volksmund kennt das: „Geteilte Freude ist doppelte Freude.“ Die Bibel auch: „Geben ist seliger denn nehmen.“ Es gibt eine erstaunliche Studie von Forschern an der Universität Zürich. Verhaltens- und Neuroökonomen haben herausgefunden: Menschen, die großzügig sind und sich um ihre Mitmenschen kümmern, sind glücklicher. Geben, loslassen, teilen erzeugt ein wohliges Gefühl, einen „warm glow“. Anders gesagt: Altruismus stimuliert das Gehirn und setzt Glückshormone frei. Und noch etwas haben die Forscher herausgefunden. Es muss nicht die große Selbstaufopferung und Selbstverleugnung sein, ein bisschen von sich einzubringen und zu geben, ist auch schon gut. Man muss es nicht machen wie Jesu Jünger, die alles verlassen, alles aufgeben, nicht zurückschauen. Nachfolge Jesu geht nicht nur radikal. Das geht auch als Bürger in der Welt. Aber ein bisschen darf man sich schon anstecken lassen von dem Feuer des Anfangs: Ein bisschen von meinem Besitz den anderen geben, sich ein bisschen für das einsetzen, was einem wichtig ist, ein bisschen das Kreuz auf sich nehmen, damit es für andere leichter wird. Einfach nicht immer auf die Habenseite der Kosten-Nutzen-Rechnung schauen, sondern leben, geben. Nicht fragen: „Was bringt mir das?“, sondern sich einbringen. Ich bin mir sicher: Eh man sich versieht kommt der „warm glow“. „Jeder wird schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten.“

Jetzt mag so mancher denken: Klingt wie Wahlwerbung. Hohe Worte. Aber was bedeutet das konkret? Das Große wächst im Kleinen. Wie das Samenkorn, das reiche Frucht bringt. Es müssen keine Heldentaten oder die totale Selbstaufgabe sein. Es reicht z.B. schon einfach beim Kirchenkaffee mitzuhelfen. Etwas Zeit und Energie abzugeben und damit Gemeinschaft für viele zu ermöglichen. Das Große wächst im Kleinen, liebevoll handgestrickt bahnt sich Zukunft ihren Weg. Für ein Land und eine Kirche, in der wir alle gut und gerne leben, braucht es nicht nur Leuchtfeuer, Hochglanzevents und Strategiepapiere, es braucht dich und mich hier und jetzt. Es braucht Ideen und uns alle, die sie umsetzen.

IV. Was das konkret bedeutet, wird auch heute klar. Man kann viel über das politische System schimpfen. „Ich geh doch eh leer aus. Bringt doch nichts. Die halten ja eh nicht, was sie versprechen.“ Tja, können sie vielleicht auch nicht immer. Es ist immer leicht, mit dem Finger auf die da oben zu zeigen und zu sagen: „Wir haben euch gewählt, damit ihr dieses Land stärker, sicherer, gerechter und zukunftsfähiger und mein Leben besser macht – und jetzt: Kommt alles anders, kommt nix voran. Ihr seid schuld!“ Das geht nicht auf. Um Deutschland stark, gerecht und weltoffen zu machen, reicht es nicht, alle vier Jahre zwei Kreuze zu machen und andere machen zu lassen. Da muss man schon mitmachen, etwas geben und ein Stück sich selbst hineingeben. Zeig Stärke für das, was dir wichtig ist! Eine bessere Welt kann man nicht delegieren. Die muss man selber machen. Das fängt übrigens mit dem Wählen heute an. Sie müssen weder ihre Familie verlassen noch ihrem Besitz anderen überlassen oder gar ihr Leben lassen, sondern einfach nur zwei Kreuze machen. Dafür bekommen Sie zwar nicht den Himmel auf Erden – und glauben Sie bloß keinem anderem als Jesus, der Ihnen das verspricht! -, aber Sie sorgen dafür, dass Demokratie eine Zukunft hat. Wählen darf man nicht nur wollen. Das muss man machen. Heute.

Amen

Perikope
24.09.2017
18,28-30