Ob etwas bleibt? - Predigt zu Matthäus 28,1-10 von Peter Michael Schmudde
Auf dem Tisch brennt eine Kerze. Die großen, wasserhellen Kinderaugen schauen in das Licht. Es ist wie Zauberei, dieses flackernde Etwas.
Und dann pustet einer. Und alles ist vorbei. Die blauen Augen wandern flink durch den Raum: Irgendwo muss die Flamme doch geblieben sein. Ist sie weg jetzt? Wohin denn nur?
Sie schaut mich an, schaut durch den Raum. Und ein bisschen muss sie weinen. Es war doch so schön – jetzt ist es weg.
In ihren Tränen spiegelt sich mein eigenes Fragen. Schon als das seltsame Kind, das ich war, habe ich mir seltsame Fragen gestellt. Und solche Fragen sind immer noch da.
Ob etwas bleibt?
Wohin geht die Flamme einer Kerze, wenn ich sie auspuste?
Was bleibt von den Büchern, die ich gelesen habe?
Geht es einfach weg, was ich erlebt habe?
Bin ich immer derselbe? Wird’s je wieder so schön?
Werde ich mein Paradies noch einmal finden, wenn ich an den Ort gehe, an dem es begraben liegt?
Ist alles noch wahr, was ich jetzt mache, wenn ich alt geworden sein werde?
Was wird aus dem Augenblick mit meinem Opa? Wo ist das, was zwischen uns war, jetzt, wo er tot ist? Bleibt etwas von der Liebe, die ich mal für jemanden hatte und die irgendwann ging? Und wohin ist sie gegangen?
Ob etwas bleibt?
Sie gehen durch den frühen Morgen. Dorthin, wo er liegt in dieser Höhle. Immer noch ist es nicht richtig wahr. Zittrig wie ein Vogel im Käfig flattern ihre Seelen. Irrsinnig quält sie jetzt wie in den beiden durchwachten Nächten der Wunsch, dass es doch nicht wahr sein möge: Wie sie seinen blutigen Körper vom Kreuz genommen haben, wie sie ihn in Tücher gewickelt und mit Kräutern bedeckt haben, wie die Männer den großen Stein vor die Öffnung gerollt haben… Die Bilder brennen in der Seele und in den tränenleeren Augen. Was suchen sie eigentlich hier? Was wollen sie finden? Erinnerungen?
Erinnerungen finden, ja, vielleicht. Aber geht das? Sich erinnern, wenn alles noch so lebendig ist? Und doch: Vorbei, vorbei…?
Ihre heimatlos gewordene Liebe irrt ziellos herum. Und sie braucht ein Asyl. Ja, erinnern wäre gut. Vielleicht kann sie sich da einnisten, ein wenig bleiben: In der Erinnerung. Wie er war, wie er ausgesehen hat, gesprochen, gelacht, geliebt und getanzt hat. Sich der Worte erinnern. Und immer wieder an sein Gesicht. Vielleicht findet die heimatlose Liebe dort mit der Trauer einen kühlen Platz. Vielleicht ist es gut, sich den schweren Stein noch einmal anzusehen. Vielleicht kommen auch die Tränen wieder über das, was sie einst hatten: Eine Liebe, die so stark war, dass sie Ewigkeit versprechen konnte. Einen Menschen zu lieben, heißt sagen, du wirst nicht sterben. Das geht nie vorbei. Aber: Wo ist es hin?
Fragen. Danach, ob wahr bleibt, was gewesen ist. Oder ob Ende wirklich Ende heißt. Der kühle Morgenwind des ersten Wochentages lässt sie frösteln, lässt sie spüren, wie leer, kalt und tot ihre Seelen sind, für jeden Wind ein leichtes Spiel.
Wohin ist das alles, was einmal Kraft, Energie, Licht, Luft, Segen und Leben war?
Ist es denn wirklich möglich, dass es einfach verschwindet, weg, als sei es nie da gewesen? Ist das Leben wirklich so, dass wir alle fortgesetzt und immerzu etwas zu Grabe tragen?
Manchmal gehe ich zu den Gräbern, in denen schon so viel von meinem bisherigen Leben liegt. Ich möchte es wiederfinden: Das was da war. Ich möchte sehen, ob da noch etwas ist. Wenigstens möchte ich es betrauern dürfen. Will ich das?
Und ich finde etwas. Es lebt wieder. Aber es ist nicht dasselbe, was es war. Es ist Erinnerung, aber auf einmal ist es wieder da. Es riecht und schmeckt und sieht aus wie früher. Aber ich bin nicht mehr derselbe. Ich bin anders. Und was ich treffe vom Vergangenen, hat sich nicht nur selbst verändert, sondern es hat sich auch verändert, dadurch, dass ich mich verändert habe. Nach manchen Träumen erwache ich und bin todtraurig, dass ich jetzt hier und jetzt bin und nicht da, wo ich mal war.
Manche Sachen werden nicht mehr gut. Ich hätte sie so gern wieder gut. Aber ein unsichtbarer Graben liegt dazwischen. Und auch das, was wieder gut wird, trägt doch die Spuren der Zeit auf sich, in denen es nicht gut war. Manchmal finde ich etwas, was mich überrascht.
Der kühle Morgenwind scheint plötzlich stillzustehen. Vor dem Stein liegen die Wächter wie tot. So, als sei die eben noch so schauerlich bewachte schreckliche Wirklichkeit nicht mehr wahr. Sie sehen etwas, wie einen Blitz. Und eine Stimme beantwortet ihnen die Frage, von der sie selbst gar nicht gewusst haben, wie sie wirklich heißt: „Ich weiß, dass Ihr Jesus, den Gekreuzigten sucht. Er ist nicht hier.“
Euer Leben liegt nicht in den Gräbern, die Ihr Euern Vergangenheiten gemacht habt. Es ist Leben. Es lebt.
Aber nicht dort, wo Ihr es hinlegen wolltet. Geht mit denen, die dazu gehören. Dorthin, wo es angefangen hat. Dort werdet Ihr es sehen.
Als sie die Füße umfangen und er ihnen sagt: Friede sei mit Euch!, da fühlt es sich vertraut an, aber es fühlt sich ganz anders an. Da sind die Wunden an seinem Körper und die Wunden auf ihrer Seele. Sie fühlen sie an ihm und an sich. Und doch: Es ist etwas da – hell und wie ein Blitz. Und was eben noch stimmte, stimmt nicht mehr. Und die Unabänderlichkeiten liegen am Boden, als seien sie tot.
Jetzt sollen sie nach Hause gehen. Dorthin, wo alles anfing. Sie sollen nicht in dem Garten der Toten bleiben, sie sollen los – neu, mit der Liebe im Herzen, die ihm versprochen hat, dass er nicht stirbt. Nicht geht. Nicht verlischt. Nichts ist aus. Aber nichts ist, wie es war. Und was kommt, wird etwas vertrautes Neues sein.
Mein Leben liegt nicht in Gräbern. Und das Erinnern ist wirklich nur ein Asyl, ein Zelt für meine schon so oft heimatlos gewordene Liebe und für die Trauer um das, was gewesen ist.
Das Leben lebt. Mit allem, was war in dem, was kommen wird. Es geht nichts verloren. Aber es wird anders sein.
Ich zünde die Kerze wieder an. Plötzlich ist sie wieder da, die Flamme. Sie sieht genauso aus wie vorher. Und doch ist sie eine andere. Die glücklichen Augen des kleinen Mädchens bestaunen das Auferstehungswunder.
Und ich möchte an Ostern glauben. An das Leben. An das, was kommt. Mit allen Narben dessen, was war. Denn das Leben ist auferstanden und hat den Tod besiegt. Amen.
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Der Friedhof der Lebenden – Predigt zu Matthäus 28,1-10 von Barbara Eberhardt
Die Frauen kommen, um nach dem Grab zu sehen.
Im Winter einmal in der Woche. Und im Sommer manchmal jeden Tag.
Füllen die großen grünen Gießkannen mit Wasser und schleppen sie an den anderen Gräbern vorbei. Gießen Tagetes, Begonien und Phlox. Und auch die kleinen Buchsbäume brauchen ordentlich Wasser.
Sie zupfen das Unkraut weg und im Herbst die Blätter, die der Wind her weht.
Ich habe einmal eine von ihnen gefragt, warum sie das macht.
Irgendjemand muss es doch machen, war die Antwort.
Aber Sie könnten doch eine Gärtnerei beauftragen, habe ich gesagt.
Ach, dass schaffe ich schon noch, hieß es da. Fränkischer Pragmatismus.
Aber vielleicht steckt auch das dahinter: Wenn der geliebte Mensch gestorben ist, tut sich ein riesiges Loch auf.
Leer sind Bett, Küchenstuhl und Fernsehsessel, leer sind die Stunden und Tage. Die Trauer ist schwer wie ein Stein und niemand rollt ihn weg. Aber da draußen ist das Grab, es ist Gedenkort und Ziel, eine Aufgabe in sinnlos gewordener Zeit.
Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. (Mt 23,1f)
Damit beginnt die Ostergeschichte.
Der Engel wälzt den Stein weg. Den Stein der Trauer. Den Trennstein zwischen Grab und Außenwelt, zwischen Tod und Leben.
Es ist ein schwerer Stein. Der Engel braucht viel Kraft, um ihn zu bewegen. Er muss mehrfach ansetzen. Pause machen. Durchschnaufen. Nochmal ran. Und dann gibt der Stein nach.
Frühlingsluft strömt in das Grab. Eine neugierige Hummel fliegt hinein. Stück für Stück bewegt sich der Stein. Und dann fällt er um.
Der Engel ist schweißgebadet. Er muss sich einen Moment ausruhen. Setzt sich auf den Stein. Setzt sich auf Trauer und Schwere und Grabeskühle. Und der Stein verwandelt sich, wird Sitzbank, Ruheplatz, Treffpunkt.
Der Friedhof der Toten wird zum Park der Lebenden.
Die Frauen kommen vorbei mit ihren grünen Gießkannen und man kommt ins Gespräch über den Verstorbenen. Die Leiden in den letzten Tagen. Sein Tod. Sein Leben. Seine Liebe und sein Humor. Dass es schwer ist ohne ihn.
Und die unausgesprochene Frage: Wo ist er jetzt?
Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. (Mt 23,5-7)
Jesus ist auferstanden. Er ist bei den Lebenden.
Und das ganze Steinwegwälzen hat der Engel nur zum Zeichen gemacht, extra für die Frauen, damit sie die Stätte sehen können, wo er gelegen hat.
Das Grab ist leer. Die Todesluft – sie ist nur kalter Hauch in der Felsenhöhle.
Der Lebende ist nicht bei den Toten.
Und sein Leben ist gewaltig. Es treibt ihn mit Macht aus dem Grab, wie die Blätter aus den Bäumen schießen in diesen Tagen.
Nichts kann ihn aufhalten. Kein Stein, keine Wachen. Pures Leben ist in ihm.
Er sieht die Hummel, die am Buchsbäumchen saugt und die Wolke, die wie eine Möwe aussieht.
Er hört die Amsel singen und wie der Mann im Nachbarhaus beim Rasieren vor sich hinsummt.
Er riecht die Narzissen und das Putensteak auf dem Grill nebenan.
Er spürt seine Schritte auf dem morgenkühlen Pflasterweg und die sonnenwarme Luft.
Es ist Leben in Fülle, Leben im Augenblick, Leben in Ewigkeit.
Und er geht voraus durch die Vororte, über Felder und durch Wälder, durch Städte, Dörfer und Marktflecken. Jerusalem, Emmaus und Frauenaurach.
Er geht dorthin, wo er zuhause ist, wo man ihn kennt und wiedererkennt, zu den Fischern am See Genezareth, zu den Landwirten in Hüttendorf, geht in jedes Haus, das ihn aufnimmt, teilt Brot und Wein und Freud und Leid.
Auch Maria Magdalena und der anderen Maria begegnet Jesus. Denn sie waren ja eilends weggegangen vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen. (Mt 28,8-10)
Sie kommen immer noch auf den Friedhof.
Im Winter einmal in der Woche. Und im Sommer manchmal jeden Tag.
Füllen die großen grünen Gießkannen mit Wasser und schleppen sie an den Gräbern vorbei.
Sie suchen nicht den Toten. Sie suchen die Lebenden.
Haben Bekanntschaften geschlossen zwischen Buchsbäumchen und fleißigen Lieschen.
Leihen sich gegenseitig Rechen und Heckenscheren aus.
Reden über das Wetter und über die Gesundheit, sorgen sich, wenn eine ein paar Tage nicht kommt.
Und der Verstorbene lebt in ihren Herzen. In Bildern und Erinnerungen. Er ist ihnen vorausgegangen. Nach Hause. Zu Gott.
Und der Engel sitzt auf dem Grabstein und sagt: Ihr werdet ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.
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Konfi-Impuls "Auferstanden" zu Matthäus 28,1-10
„Auferstanden“ - Konfi-Impuls zu Matthäus 28,1-10(15), Ostern 2017
Film:
Vor ungefähr einem Jahr ist der Film „Auferstanden“ in die Kinos gekommen. Er erzählt die Ostergeschichte aus der Perspektive des römischen Soldaten Clavius. Er soll den Leichnam des gekreuzigten Aufständischen Jeschua finden. Ein Wettlauf mit der Zeit und die Suche nach der Wahrheit beginnen.
Wer den Film mag (FSK 12 Jahre – manche Szenen sind ziemlich gewalttätig), kann ihn vor den Osterferien im Konfirmandenunterricht zeigen. Eventuell kann auch ein kurzer Ausschnitt im Ostergottesdienst vorkommen.
Evangelium:
Man kann im Unterricht aus dem Bibeltext Matthäus 28,1-15 eine Art Zeugenbefragung ableiten. Dazu beschäftigen sich die Konfirmanden in Kleingruppen mit einzelnen Personen aus der Geschichte: Ein Wachmann, Maria Magdalena, ein Hohepriester, ein Jünger.
Was haben sie gesehen und gehört?
Wie deuten sie das Erlebte?
Welche Fragen könnte ein römischer Sonderermittler ihnen stellen, der die Wahrheit über den Verbleib des Leichnams herausfinden möchte?
Welche Zweifel schwingen mit?
Welche Konsequenzen hat die jeweilige Deutung des Geschehens – für den Zeugen, für andere?
Vielleicht lässt sich daraus ein kurzes Anspiel für den Gottesdienst vorbereiten.
In der Predigt können die Zweifel und das „Wunderbare“ an der Geschichte aufgegriffen werden. Die Ostergeschichte war schon immer eine Zumutung. Erdbeben, Blitz-Helligkeit und Engel weisen darauf hin, dass hier Umwälzendes berichtet wird. Ostern führt an die Grenze und über die Grenze dessen, was mit historischen Fakten bewiesen werden könnte. Das Bekenntnis der Urgemeinde, später der gesamten Christenheit knüpft aber an das an, was diese Zeugen damals gesehen, gehört und erfahren haben.
Lied:
Christina Stürmer fragt in ihrem Lied „Weißt du wohin?“, ob nach dem Tod noch etwas kommt. Lied und Text können zur Einstimmung für Ostern verwendet werden, zumal die Sängerin in der letzten Strophe sehr hoffnungsvoll klingt. Das Lied ist leicht auf youtube zu finden.
Pfarrerin Christina Hirt, Mitglied im Beirat Konfirmandenarbeit, Aichtal-Grötzingen
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Der Weg des Glaubens - Predigt zu Matthäus 12,38-42 von Matthias Wolfes
Da antworteten etliche unter den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollten gern ein Zeichen von dir sehen. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen; und es wird ihr kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn gleichwie Jona war drei Tage und drei Nächte in des Walfisches Bauch, also wird des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr denn Jona. Die Königin von Mittag wird auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomons Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr denn Salomo. (Mt 12,38-42, Lutherbibel 1912)
Liebe Gemeinde,
Verfolgung und Unterdrückung sind Grundmotive der Geschichte des christlichen Glaubens. Von Beginn an bis heute werden Christen verfolgt, unterdrückt und ihrer Freiheit beraubt. Ihrer Freiheit werden sie vor allem darin beraubt, daß ihnen untersagt wird, als Christen zu leben. Bringen sie den Mut auf, es trotzdem zu tun, mußten und müssen sie mit den härtesten Konsequenzen rechnen.
Dieses Thema gehört zur Geschichte des Christentums und wir sollen uns dessen bewusst sein, auch wenn unsere eigene hiesige Realität weit davon entfernt ist. Der heutige Sonntag ist der Gedenk- und Gebetstag zu diesem Zweck. Es soll uns bewusst sein, dass diejenigen, die um ihres christlichen Glaubens willen Verfolgung und Unterdrückung erleiden, unsere Glaubensbrüder und Glaubensschwestern sind. Sie gehören zu uns und wir zu ihnen.
Die Liste von Ländern, in denen Christen unterdrückt werden, ist lang und sie wird leider immer länger. Viele Nachrichten erreichen uns aus dem Irak – ein Land, das soeben noch als „wichtiger Verbündeter“ im Kampf gegen des islamistischen Terror bezeichnet worden ist – , aus Syrien, Nordkorea und Nigeria. Dazu kommen zahlreiche weitere Staaten und Regionen und überall ist Zerstörung, Elend und Flucht die Folge. Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung sind gängige Praxis. Die Formen der Unterdrückung reichen von grausamen Gewalttaten, Hinrichtungen und Folter, über Inhaftierungen bis zu Benachteiligungen im Bildungsbereich oder auf dem Arbeitsmarkt. Was das für uns bedeutet, ist klar: Wir sind zur Solidarität mit diesen Verfolgten verpflichtet. Wir müssen aber auch das Unsere dazu tun, dass das Handeln terroristischer Regime und die Wirkungen toleranzunfähiger Weltanschauungen angeprangert werden, die die Ursache für das massenhafte Elend sind.
Nun ist eine solche Mahnung zur Solidarität und zum Gebet leicht gesprochen. Sie kann auch immer nur das Eine sein. Das Andere ist, was wir in unserem eigenen Leben daraus und damit tun. Jeder muss hier seinen eigenen Weg gehen und es ist schon sehr viel, wenn man weiß, welches dieser Weg ist. Es ist sehr viel, wenn überhaupt etwas geschieht. Was das ist, wie wir uns im Einzelnen verhalten, kann nur jeder für sich entscheiden.
Und da scheint mir die Geschichte vom Propheten Jona eine Hilfe sein zu können. Unser Predigttext bezieht sich auf diesen Mann, der in die Irre gegangen, dann aber doch auf die rechte Bahn gekommen ist. Lassen Sie mich kurz zusammenfassen, worum es geht.
Das alttestamentliche Buch Jona, eine Schrift aus den sogenannten „Zwölf kleinen Propheten“, schildert die Reaktion des Jona auf Gottes Auftrag, die Stadt Ninive vor ihrer Zerstörung zu warnen.
Jona erhält den Auftrag, nach Ninive im heutigen Irak zu reisen und die Einwohner dort vor dem Untergang zu warnen, der ihnen wegen ihrer zahlreichen Verfehlungen droht. Doch Jona sieht sich außerstande, das zu tun. Er widersetzt sich, flüchtet vor Gott und besteigt ein Schiff, das ihn in die genau entgegengesetzte Richtung bringt.
Die Reise aber wird durch einen schweren Sturm unterbrochen. In ihrer Not werfen die Matrosen die ganze Ladung über Bord und beten zu ihren Göttern. Weil das aber nichts hilft, entschließen sie sich zu einer sonderbaren Opferhandlung. Es soll das Los bestimmen, wer an dem Unglück Schuld sei. Nachdem das Los auf Jona gefallen ist, schildert dieser ihnen sein Vergehen gegen Gott. Er wird tatsächlich über Bord geworfen und im selben Augenblick hört der Sturm auf.
Hierauf folgt die bekannteste Passage: Der HERR verschaffte einen großen Fisch, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. (Jona 2, 1). Nun betet der Prophet zu Gott und verspricht, nach Ninive zu gehen und den Auftrag auszuführen, wenn Gott ihn errettet. Daraufhin befiehlt Gott dem Fisch, Jona auf das Land zu spucken. Nachdem der Auftrag ein zweites Mal ergangen ist, richtet Jona den Einwohnern der Stadt aus, dass Gott ihnen noch eine vierzigtägige Frist zur Umkehr einräumt, dann aber der Untergang unausweichlich erfolgen werde. Tatsächlich „bekehren“ sich sämtliche Menschen einschließlich des Königs und die Stadt wird verschont.
In der Auslegung dieser Geschichte durch den Evangelisten Matthäus lautet der entscheidende Satz: Die Leute von Ninive werden auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr denn Jona. (Mt 12,41) So spricht Jesus bei Matthäus in der Reaktion auf die vorangegangene Zeichenforderung der Pharisäer.
Ebenso werde die Königin von Mittag am Jüngsten Gericht auftreten. Sie kam vom Ende der Erde, um die Weisheit des Salomo zu hören und fand den rechten Weg, so wie es die Bewohner der Stadt Ninive getan haben. Hier aber heißt es, ist mehr denn Salomo. Hier, im Angesicht Jesu ist mehr als in allen früheren Bekehrungs- und Umkehrungssituationen. Wenn schon der Prophet Jona, die Einwohner von Ninive und die Königin von Mittag imstande gewesen sind, den rechten Weg zu finden, um so viel mehr muss es dann jetzt, im Angesicht Jesu, möglich sein. Wer sich aber hiergegen versperrt, dem ist nicht zu helfen, denn ein klareres Zeichen kann nicht gegeben werden.
Das ist der Sinn der Jona-Geschichte im Kontext des Matthäusevangeliums. Das Zeichen ist gegeben. Nun geht es um die Reaktion und die liegt in unserer Hand.
Es ist an uns, die rechten Konsequenzen zu ziehen. Das ist die Grundforderung des Evangeliums. Niemand kann vorschreiben, was der andere zu tun hat, wenn er den Weg des Glaubens geht. Man kann immer nur sagen und zeigen, wie der eigene Weg beschaffen ist. Das gilt in jeder Hinsicht und es gilt auch angesichts der Situation, die sich uns im Wissen um die Verfolgung und Unterdrückung von Christen und Christinnen in der Welt stellt. Der Handlungsspielraum der Einzelnen ist verschieden groß. Aber jeder kann doch wenigstens deutlich aussprechen, daß es unsere Glaubensgeschwister sind, denen hier schweres Unrecht angetan wird, die Verbrechen erleiden und deren Leben in unermesslichem Maße ein Leben unter dem Kreuz ist.
Amen.
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Zeichensprache – Predigt über Matthäus 12,38-42 von Wolfgang Vögele
Da antworteten [Jesus] einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin vom Süden wird auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo. (Mt 12,38-42)
Liebe Schwestern und Brüder,
ein Zeichen, das die Wahrheit bestätigt, fordern die Schriftgelehrten. In der Zeichenwelt der Gegenwart würde ihre Forderung belächelt. Ein Zeichen kann keine Wahrheit mehr verbürgen. Die Menschen haben ihre Gier nach Zeichen verloren, sind ihrer müde geworden. Weil die Zeichen überall warten und die Aufmerksamkeit der Passanten bombardieren, lösen sie keinen Reiz mehr aus. Niemand kann den ablenkenden, aufreizenden, aufregenden Zeichen entkommen: im Bahnhof, in der Straßenbahn und in der S-Bahn, in der Fußgängerzone und im Supermarkt. „Fahr mich, rase mit mir“, brüllt der coole Typ aus der Autowerbung alle Passanten an. „Riech mich und verschenke mich“, flüstert die nur halb bekleidete Dame aus der Parfümanzeige. „Iss mich“, quengelt der Hamburger aus der Werbung für die Schnellimbisskette. „Zieh mich an“, sagen der Anzug und das Kostüm aus dem Kaufhausschaufenster und die leblosen Puppen in der Dekoration machen dazu ein gleichgültiges Gesicht. „Besuche mich, ich gebe dir den Kick“, schreit das Plakat mit der Werbung für das Rockkonzert.
Alle gleichzeitig sagen diese verlockenden Werbezeichen: Kauf mich! Sei du selbst! Fühle dich gut! Wir helfen dir dabei, dich gut zu fühlen! Wenn du mich kaufst, findest du zu dir selbst. Anzeigen buhlen um Aufmerksamkeit, wollen den eiligen Passanten und die gelangweilte Betrachterin ablenken und umpolen. Am Anfang dieser besseren Welt steht ein Einkauf, aber das damit verbundene Glücksversprechen lösen die verkaufenden Konzerne häufig nicht ein. Fußgängerzonen halten auch andere, weniger aufdringliche Zeichen bereit: „Komm zu mir und bete“, läuten die Glocken des Kirchturms. „Diskutiere mit uns und beteilige dich“, sagt der Rathausturm. „Sei vorsichtig und beachte die Regeln, damit du im Verkehr nicht verletzt wirst“, sagen Tausende von Verkehrsschildern.
Die Menge der werbenden Zeichen in der symbolischen Welt von Straßenbahnfahrern, Shoppern und Reisenden ist so groß, dass viele am liebsten die Augen und Ohren verschließen würden, um sich den Verlockungen von Parfüm und PS nicht mehr auszuliefern. Viele Passanten sind längst betäubt und gesättigt, sodass die einfache Werbung „Anreiz – Reaktion – Kauf“ nicht mehr funktioniert.
Darum müssen die Reize, die mit den Zeichen verbunden sind, gesteigert werden. Besonders abgeklärt gehen dabei die Werbekampagnen des Modelabels Bennetton vor. Eines der harmloseren Werbeplakate zeigte einen schwarzen ölverschmierten Vogel in einer ebenso schwarzen, öligen Brühe. Nur die Augen des Vogels schimmerten in einem ungesunden, brennenden Rot. Das Bild des Vogels war mehr als eine Darstellung, es war ein Zeichen. Aber das Zeichen des armen Vogels zielte nicht auf Umweltkatastrophen und ökologisches Bewusstsein. Es zielte auf dem Umweg über Ablenkung und Entrüstung auf Kleidungsstücke und Mode. Denn auf dem Plakat prangte auch das bekannte grüne Logo des Modeherstellers. Wer für die Umwelt eintritt, der sollte Jacken und Socken von Bennetton kaufen.
Auch wenn es sich um einen psychologischen Trick handelt, das Zeichen des ölverschmierten Vogels kommt dem Zeichen des Jona schon näher als die chaotische Überfülle der Werbeplakate in einer Fußgängerzone.
Passanten, Schüler, Konfirmandinnen, Angestellte, Arbeiter – alle leben eingehüllt in einer symbolischen Zeichenwelt, der sie nicht entkommen können. Zeichen verweisen über sich selbst hinaus auf etwas Anderes, Unbekanntes, Geheimnisvolles. Die Realität von Dingen und Sachzwängen wird überschritten, hin auf das eigene Begehren. Das klingt schon nach Religion. Denn nicht nur die Werbeagenturen steuern mit Zeichen das Begehren der Menschen, auch die Religionen setzen Zeichen: hörbare Zeichen wie die Glocken des Kirchenturms und sichtbare Zeichen wie das Kreuz am Wegesrand oder die violette Fahne, die vor der evangelischen Kirche hängt.
Jede Stadt und jede Fußgängerzone ist ein Sammelsurium von Zeichen, das die meisten Passanten gar nicht mehr beachten. Das eine Zeichen der Werbung haben sie schon viel zu oft gesehen, das andere Zeichen der Religion interessiert sie erst gar nicht. Der Überfülle von Zeichen begegnen die Passanten mit Abstumpfung.
In Jesu Geschichte fordern die Gegner ein Zeichen. Doch sofort ist klar: Das ist nur ein Trick, mit dem sie den Prediger aus Nazareth überführen wollen. Sie wünschen ihre eigene Meinung bestätigt. Jesus durchschaut das. Und darum gibt er auch ein Zeichen, nicht nur den Pharisäern und Schriftgelehrten, auch seinen Jüngern, die ihn umgeben und dem Volk, das die Szene beobachtet. Das Zeichen antwortet auf die Aufmerksamkeit der neugierigen Menschen. Ein Zeichen braucht Aufmerksamkeit. Eine Werbung, die niemand beachtet, ist nichts wert.
Aber das Zeichen Jesu unterscheidet sich von den vielen Zeichen der Werbung, die Bedürfnisse wecken und Kauflust anregen sollen. Jesu Zeichen befriedigen weder Erwartungen noch Bedürfnisse, sondern sie überraschen die Zuhörer, weil sie sich so ungewöhnlich und verquer in ihr Bewusstsein einprägen. So auch in diesem Fall. Das Zeichen verrät ein Geheimnis, das die Menschen, die vor Jesus standen, so noch nicht kannten. Und trotzdem bleibt es rätselhaft.
Jesus spricht vom Zeichen des Jona. Die Menschen, die diesem Streitgespräch zuhörten, kannten die biblischen Hintergründe. Sie wussten um die Propheten, die nicht nur zu den Menschen gesprochen hatten, sondern ihre Botschaften von Gott auch in Zeichenhandlungen gekleidet hatten. Aber zu diesen Propheten, die mit Zeichenhandlungen arbeiteten, gehörte Jona gerade nicht. Es ist interessant, dass Jesus seine Gegner nicht direkt ansprach: Hört mal, ich weiß, dass ihr mich reinlegen wollt. Ich habe es gemerkt. Stattdessen gab er eine indirekte Antwort, die auf das erste und das zweite Hören geheimnisvoll blieb.
Der Prophet Jona, der vor seiner Prophetenaufgabe auf ein Schiff im Mittelmeer geflohen war, musste drei Tage lang im Bauch des Fisches ausharren. Dann spuckte der Fisch ihn wieder auf den Strand, damit er den Auftrag Gottes erfüllen konnte, so die märchenhaft schöne Geschichte.
Die Leser des Matthäusevangeliums hören diese Stelle vom Ende der Passionsgeschichte her. Drei Tage lag Jesus tot in der Grabeshöhle, bevor den Frauen, darunter Maria Magdalena der Auferstandene erschien. Konnten die Jünger diese Anspielung auf Kreuz, Tod und Auferstehung verstehen? Konnten die Pharisäer und Schriftgelehrten das begreifen? Das Zeichen des Jona bleibt im Kontext der Geschichte rätselhaft, und auch für die Leser, die das Ende des Evangeliums kennen, bleiben Zweifel. Denn die Wirklichkeit der Auferstehung überschreitet die Grenzen der Wirklichkeit, wie wir sie tagtäglich erleben.
Der Prophet Jona sollte den Menschen in Ninive im Auftrag Gottes den Untergang als Strafe für begangene Fehler verkünden. Aber Jonas Predigt zeigte Wirkung – und das überraschte niemanden mehr als den Propheten selbst. Zuerst war er vor seiner Aufgabe davongelaufen, dann löste er sie außerordentlich erfolgreich. Die angekündigte Katastrophe Gottes ging nicht über Ninive nieder, stattdessen sahen die Menschen ein, dass sie in der Vergangenheit falsch gehandelt hatten. Und sie taten Buße. Gott war von dieser Buße der Menschen in Ninive so beeindruckt, dass er seine Entscheidung revidierte und die Stadt samt den Menschen verschonte. Jesus führt die Stadtbürger Ninives als Beispiel an: Sie, die Gottes Namen vorher nicht kannten, ließen sich auf die Predigt seines Propheten ein und taten Buße. Wieviel mehr sollten sich diejenigen daran halten, die den Namen Gottes, seine Gebote und Verheißungen kennen!
Als dritte Person erwähnt Jesus die Königin „vom Süden“, die Königin von Saba. Die Königin besuchte Salomo, den königlichen Friedensstifter Israels, bewunderte seinen Tempel und ließ viele Geschenke überreichen (1Kön 10,1-13). Es ist nicht entscheidend, dass sie Salomo bewunderte, das könnte reine diplomatische Höflichkeit gewesen sein. Jesus nimmt diesen Besuch der Königin auf, weil sie in ihrer Dankesrede die Erfolge Salomos auf Gott zurückführte. Sie sagte: Es ist wahr, was ich in meinem Lande gehört habe von deinen Taten und von deiner Weisheit. Und ich hab's nicht glauben wollen, bis ich gekommen bin und es mit eigenen Augen gesehen habe. […] Gelobt sei der Herr, dein Gott, der an dir Wohlgefallen hat, sodass er dich auf den Thron Israels gesetzt hat! Weil der Herr Israel lieb hat ewiglich, hat er dich zum König gesetzt, dass du Recht und Gerechtigkeit übst. (1Kön 10,6-10*) Darin gleicht die Königin von Saba den Bürgern von Ninive: Sie spürt genau, wenn sie es zu tun hat mit Gottes Barmherzigkeit und der Weisheit der Menschen, die sich daraus ergibt.
Liebe Schwestern und Brüder, das merkwürdige Zeichen des Jona verweist auf zwei Geheimnisse. Das erste Geheimnis liegt in der Person Jesu. Am Anfang der Passionszeit kann das nicht deutlich genug betont werden: Er wird leiden. Ihm steht eine lange Zeit der Angst, der Schmerzen, des Verlustes von Freundschaft bevor. Am Ende wird er einen qualvollen Tod am Kreuz sterben, nachdem man ihn in einem römischen Schauprozess verurteilt hat. Und dennoch steckt in diesem langen Weg des Leidens eine Hoffnung, die über Jona hinausgeht: Gott wird sich mit dem Sterben und dem Tod Jesu nicht abfinden. Passion und Ostern sind aufeinander bezogen. Das eine ist das Geheimnis des anderen – und umgekehrt.
Das zweite Geheimnis steckt im Glauben derjenigen, die gar nicht mit den biblischen Geschichten aufgewachsen und groß geworden sind. Die Bürger Ninives und die Königin von Saba mit ihrem Gefolge erkennen die Weisheit, die Barmherzigkeit und die Gnade Gottes, obwohl ihnen dazu vermeintlich die Voraussetzungen fehlen.
Die beiden Geheimnisse lassen sich so auf den Punkt bringen: Manchmal verbirgt sich in unendlichem Leiden eine Barmherzigkeit, die kein Mensch für möglich gehalten und die sich dennoch Raum verschafft. Und – das andere Geheimnis – manchmal wächst Glauben in Menschen, bei denen das niemand (als letztes die Frommen) für möglich gehalten hätte.
Langsam wächst im staunenden Hörer und Leser das Gefühl dafür, dass das Zeichen des Jona in die Gegenwart hineinleuchtet. Glaubende und Gemeinde rechnen damit, dass ihr Leben und Zusammenleben von einem großen Geheimnis umgeben ist. Man kann dieses Geheimnis die Barmherzigkeit oder die Gnade Gottes nennen. Christen hoffen darauf. Sie hoffen darauf, dass sich in Zukunft erfüllt, was in der Auferstehung Jesu schon damals Gegenwart geworden ist.
In der Passionszeit denken wir darüber nach, dass im Leiden eine verwandelnde Kraft liegt, die viele auf den ersten Blick nicht wahrnehmen. Wer krank ist oder leidet, der kann die Erfahrung des Jona machen: Hoffnung in aller Hoffnungslosigkeit, Rettung unter Umständen, in denen die nüchternen Realisten schon längst aufgegeben haben, weil die mehrfache vernünftige Berechnung ihrer Zukunftsaussichten immer zu einem negativen Ergebnis führt.
Und zuletzt: Gottes Gegenwart im Leiden und im Geheimnis zeigt sich oft nicht in der Gemeinde selbst, sondern bei anderen, bei denen niemand damit gerechnet hat. Zum Heiligen Geist gehört ein Moment der Überraschung. Darum geht es: mit dem Pickel des Glaubens die dicke, längst geronnene Schicht aus schaler Vernunft, Sachzwängen und pragmatischer Einsicht zu durchbrechen und jenseits dieser Kruste Gottes Zeichen dort zu entdecken, wo kein Glaubender sie vermutet hat. Das ist das Zeichen des Jona: Gottes Heil ist dort zu finden, wo niemand es erwartet. Das ist das Geheimnis von Jonas Zeichen.
Glauben heißt: täglich mit dem Geheimnis Gottes zu leben. Amen.
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Spiel mir das Lied vom Tod in Henky-Town – Predigt zu Matthäus 12,38-42 von Thomas Thieme
Golden geht die Sonne auf über der Prärie und bescheint die Häuser von Henky-Town. Aus der Kirche am Ende der Straße dringt ein Choral aus vielen Kehlen. Der Ort ist versammelt zum Gottesdienst. Die Straßen sind leer. Ein Windzug wirbelt Staub auf aus der sandigen Straße. Vor dem Sheriffbüro, gegenüber des Saloons, schläft Buster, der treue Mischlingsrüde. Plötzlich hebt er den Kopf, ein Pferd nähert sich. Dort, wo die Straße in die weite Prärie entschwindet, von dort kommt ein einsamer Reiter, den Hut tief ins Gesicht gezogen. Ein Fremder. Sein Weg führt ihn nicht in die Kirche, er endet auf halbem Weg vor dem Saloon, den er mit klirrenden Sporen betritt.
Er wird sagen, er sei auf der Durchreise, er wolle weder Ärger noch Aufregung. Aber es wird Streit geben mit den Leuten vom Rinderbaron, die hier das Sagen haben und die das auch alle spüren lassen. Dem Pfarrer wird der Fremde in den Arm fallen, als der einen Jungen ohrfeigen will. Und Mary, die Tochter des Bürgermeisters, die wird sich in ihn verlieben, was den Sheriff wütend macht, der ein Auge auf Mary geworfen hat. Und so passiert, was immer passiert, wenn der Fremde nach Henky-Town kommt. Das zart ausbalancierte Gefüge der Gemeinschaft gerät durcheinander.
Sie waren so gut eingespielt. Jeder kannte jeden, jeder wusste, wer was zu sagen hat. Sie trugen gegenseitig ihre Schwächen und halfen einander mit ihren Stärken. Die Männer mit der größten Macht fühlten auch die größte Verantwortung und entschieden auch mal gegen einen. Aber wenn, dann zum größeren Wohl der Gemeinschaft. Wer Macht hat oder genügend Kraft und Gewalt, der kann auch mal für sich entscheiden, aber wenn, dann war auch das zum größeren Wohl der Gemeinschaft.
Kommt dann ein Fremder dahergeritten und tut nicht einfach, was man ihm sagt, sondern tut, was er für richtig hält, was er für gerecht hält und angemessen und gut, dann kommt es zu Ärger, dann kocht die Wut hoch, dann bricht die Gewalt durch: erst leidet der Fremde – dann nimmt er Rache. So war es im wilden Westen und so, stell ich mir vor, war es auch im wilden Osten, in Ninive, als Jona, einer von uns, in die ihm fremde Stadt kam und wie der „Machine Gun Preacher“ zu den Leuten von der Rache eines Gottes sprach, den dort keiner kannte und der dennoch verlangte, das jeder tut, was gut ist und gerecht. Und so ist es im wilden Süden, aus dem die fremde Königin kommt. Und verdammt nochmal, sie haben doch auch Recht, der Fremde, der Jona und die Königin.
Keine Angst, zu uns hier werden sie nicht kommen, in unsere gemütliche Runde – das heißt, darin liegt genau das Problem: Wir haben es so gemütlich. Ich fühl´ mich so gut bei Euch. Wir singen so tolle Lieder über das Leiden und hören ganz aufmerksam zu, wenn aus der Bibel vorgelesen wird, wie die Pächter die Knechte verprügeln und den Sohn ermorden und wie der Besitzer dann die Pächter umbringt. Und dann wird diese Geschichte vom Fremden gelesen, von Jona, der in der Fremde war und von der Königin, die aus der Fremde kommt und wie sie alle verdammen werden, alle die so gespannt zuhören, die zuhören und hoffen: Gleich macht er wieder einen seiner Tricks, über’s Wasser laufen oder Brot vermehren. Aber statt Wundertricks und Zauberzeichen gibt es diesmal nur Worte:
„Ihr wollt von mir ein Zeichen – aber ich werde Euch kein Zeichen mehr geben. Ich werde vielmehr Euch dazu bringen, dass Ihr mich zum Zeichen macht. Und viel muss ich dafür nicht tun und viel müsst Ihr nicht dafür tun. Ihr müsst nur tun, was Ihr immer getan habt mit den Fremden aus dem Westen und dem Osten und dem Süden. Ihr habt sie hingehangen oder ausgespuckt. Und ich, ich werde tun, was sie getan haben. Ich spiele Euch das Lied vom Tod. Drei Tage und drei Nächte sollt Ihr es hören. In dieser Zeit will ich sammeln, die Ihr verdammt habt, die Ihr ausgestoßen habt. Und ich will alle die sammeln, die sagen: Wir kennen Euren Gott nicht, aber wir haben erkannt, dass es besser ist, in diesem Leben gerecht zu sein und Gutes zu tun. So soll es sein: Ihr werdet mich zum Zeichen machen für die Wunder, die Ihr selber tun könnt und jeder, dem Ihr sie tun könntet, den will ich herzurufen, wenn für Euch das Lied vom Tod gespielt wird.“
Und so passierte, was eben passiert ist. Der Wundertäter wurde selbst zum Zeichen des Jona und wie einst Jona über Bord geworfen wurde, so verschlang ihn ein Meer aus Angst, Leid und Tot. Diesmal trug ihn das Wasser nicht, sondern die Fluten verschluckten ihn.Ihn, den sie beschwert hatten mit dem Holz auf der Schulter – mit dem verfluchten Holz. Und an das verfluchte Holz haben sie ihn gehangen mitten zwischen Himmel und Erde. Haben ihn gehangen über eine Erde, aus der das Blut unserer Brüder und Schwestern zu Gott schreit und uns anklagt. Unter einen weiten und endlosen Himmel haben sie ihn gehangen. Einem Himmel, aus dem beides kommen muss: das Gericht über unsere sündigen Taten und Gnade über unser Sünder-Sein.
Seitdem passierte, was eben passiert ist: knien Gläubige auf der geknechteten Erde, erheben ihre Stimmen zum Himmel und bitten um ein weiteres Zeichen, um ein letztes Wunder. Sie zweifeln nicht an Gott – sie glauben fest an ihn und dass er allein es ist, der dieses Wunder tun kann. Sie zweifeln an sich selbst und daran, ob er das Wunder an ihnen tun wird. Deshalb erheben sie ihre Stimmen und rufen: „Kyrie eleison – Herr erbarme Dich über uns! Gott, wir fordern keine weiteren Zeichen von Dir. Wir bitten Dich, Gott: Mach uns zum Zeichen, tu´ an uns jenes letzte Wunder: Ruf´ uns aus den Toten und lass uns auferstehen.“
So haben sie es gesungen in Henky-Town, in der Kirche am Ende der Straße und so singen wir es, in der Hoffnung, dass Gott auch über unser Leben spricht, was der Sohn allen Lebens zuletzt von sich sagte: „Es ist vollbracht.“
Und bis es soweit ist, möge der Friede Gottes, der tiefer reicht als der Abgrund aller Zweifel, möge er Eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus, unserem Kyrios und Lebensspender in diesem und im nächsten Leben.
Amen.
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Gott geht mit uns
Liebe Gemeinde, sie ist immer elegant. Die Krone sitzt niemals schief. Aber am liebsten trägt sie Hüte. Wer? Die Königin von England. Viele würden gern mal mit ihr einen Tee trinken.Andere dagegen finden, eine Königin ist so was von altmodisch. Vertreterin einer autoritären Staatsform, der Monarchie. Braucht kein Mensch mehr. Oder doch?
Zur Zeit Martin Luthers gab es viel mehr Könige, ja sogar Kaiser, Prinzessinnen und Fürsten mit dem ganzen Hofstaat drum herum. Aber Luther hat sich eine ganz eigene Königin gewählt.
Seine Königin kam mit auf die zur Zeit Luthers so beschwerlichen Reisen. Sie war sogar dabei, als er sich auf der Wartburg verstecken musste. Dort merkte er bald: Seine Königin, die Bibel, ist auch alltagstauglich und geht mit durch dick und dünn. Das hat Martin Luther erkannt, als er die Bibel lesen durfte, was damals nur ganz wenigen möglich war.
Er wollte seine Königin unters Volk bringen. Darum hat er die Bibel ins Deutsche übersetzt und sie von ihrem Los befreit, in Bibliotheken zu verstauben.
Die Bibel sollte ins Leben und darum forderte Luther: in allen Fragen, in der Politik und beim Regieren, im Petersdom und in der Dorfkirche, im Leben und im Sterben sollen wir ihre Stimme hören..
Typisch evangelisch sei das, haben die Menschen später gesagt und von Martin Luthers Haltung und Erwartung an die Bibel mit einer Parole gesprochen: Sola scriptura, allein die Schrift.
Allein die Schrift soll gelten.
Damit zettelt Martin Luther eine Menge Ärger an. Er fordert die ganze Kirchenlehre, die klugen Theologen seiner Zeit und den Papst obendrein heraus.
Was Glaube ist, das soll sich ganz allein an der Bibel ausrichten.
Die Kirchenfürsten waren empört, das Volk begeistert: Wenn Menschen im Jahr 1517 nur auf das Geschehen in ihrer Welt blickten, dann waren sie verunsichert, ängstlich und ausgeliefert. Doch als sie begannen, Gottes Wort selbst zu lesen, haben sie erfahren: Gott liebt die Menschen. Es ist ihm nicht gleichgütig, wie es ihnen ergeht und was aus seiner Erde wird.
Wenn wir uns im Jahr 2017 verunsichert und ängstlich fragen: was soll nur werden, mit uns, mit unserer Gesellschaft und mit dieser Erde dann hören wir genauso: Jeder Weg, den du gehst, den leichten, den schweren, ist ein Weg, den Gott mitgeht.
In der Bibel schlüpft Gottes Wort in Menschenworte. Menschen haben die Bibel geschrieben und was sie von Gott erfahren haben, in ihre Worte gefasst. So werden zerbrechliche Menschenworte zum Gefäß dessen, was Gott uns zu sagen hat. Dabei mischt in den Worten der Bibel auch immer wieder die Zeit mit, in der die Propheten, Apostel oder Psalmbeter gelebt haben, ihre Werte, Überzeugungen und auch ihre Irrtümer.
Darum diskutieren wir Protestanten wie auch andere Christinnen und Christen so leidenschaftlich über die Bibel und stellen sie nicht ins Museum. Denn die Menschenworte der Bibel werden immer wieder zu Gottes Worten, zu Trost, Wegweiser, Mahnung und zu Liebeserklärungen.
Manchmal bleiben Worte auch fern und fremd wie die Laute einer lang zu Ende erzählten Geschichte. Aber oft beginnen sie auch zu leuchten und treffen mitten ins Herz.
Und wenn wir zwischen manchen Widersprüchen nicht wissen, was davon genau Gottes Wort für uns ist, dann hilft uns einer das zu erkennen. Dann können wir auf Jesus schauen.
Er ist die Geschichte, die davon erzählt, wer Gott ist. Er ist das eine Wort, das Gott uns zu sagen hat. Wer Gott finden will, wird darum auf Jesus schauen. Seine Haltung der Barmherzigkeit zeigt, dass Gottes Wort keine Waffe ist, die sich gegen andere richtet. Es ist für mich ein Widerspruch, wenn ein Mensch auf die Bibel schwört und die Würde von Menschen missachtet, eine neue Mauer baut. An Jesus sehe ich, wie Gottes Wort tatsächlich wirkt: Es richtet auf und macht frei. Es öffnet Weg zueinander.
Ja, da erfüllt es sich, worauf Menschen so lange gewartet und gehofft haben voll Klarheit und Wärme:
Wenn ich traurig bin und mein Weg schwer geworden ist, wie gut tun da Worte, die mich trösten. Das kann der Gedanke einer Freundin sein, ein Liedvers oder ein Wort aus der Bibel, das vom Licht erzählt, wo ich nur noch Dunkel sehe.
Wenn ich zum Kreuz schaue, sehe ich Jesus, der fragt: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? ( Mt 27,46b) Und ich erfahre aus der Bibel, dass er die größte Verlassenheit ertragen hat, damit ich gewiss bin: Gott ist bei mir.
Wenn Menschen ihr Kind zur Taufe bringen, suchen sie ein Wort für ihr Kind. Sie danken Gott für das Wunder eines neuen Lebens und bitten um Gottes Nähe und Schutz.
„Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen Wegen“ (Ps 91,11) diesen oder einen anderen Taufspruch geben sie ihrem Kind mit.
Meine Bibel begleitet mich schon ganz lange. Sie sehen es vielleicht. Sie hat schon ganz schön was mit gemacht.
Da ist der Lack ab. Es gibt das eine oder andere Eselsohr.
Immer wieder neu entdecke ich Schätze in ihr. Auch jetzt am Jahresanfang, wo ich mich bang frage, was soll nur werden, was möchte Gott von mir, von uns als Kirche, für diese Welt?
Und dann lese ich noch einmal aus der Bergpredigt; :
„Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen“ (Mt 5,9)
heißt es da.
Ja, Friedensstifter braucht unsere Welt. Braucht mich und dich, dass wir fröhlich und zuversichtlich Gottes gute Botschaft weiter sagen.
So spricht keine autoritäre Macht, die keine andere Meinung neben sich duldetund auch keine entfernte Verwandte, die nur ab und zu mal vorbei schaut.
Die Bibel hält was aus, sie hält stand, auch wenn es schwierig wird.
Sie beschenkt uns und macht reich auf unserer Suche nach Weisung und Leben.
So wird sie zur Königin, die ausrichtet, was Gott heute zu sagen hat.
Mir und Ihnen auch.
So verleiht sie dem Leben ihren Glanz.
Amen.
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Jesus – eine echte Zumutung Matthäus 14,22-33 von Peer Schladebusch
Er macht es mir nicht immer ganz einfach – dieser Jesus – ihn in meinem Alltag zu verstehen. Wenn ich allein im Auto unterwegs bin, dann rede ich auch schon mal lauter mit ihm: Jesus, was soll das jetzt wieder:
Warum musste dieser Mensch jetzt ausgerechnet sterben? Warum hast Du dieses Gebet nicht erhört? Warum gibt es jetzt diesen Streit in der Gemeinde? Warum haben diese Kinder jetzt keine Eltern mehr? Warum müssen so viele Christen auf dieser Erde unter Verfolgung und Drangsalierung leiden? Warum siehst Du bei so vielem Unrecht und Leid tatenlos zu? Warum wirfst Du die Lebensplanungen der Menschen immer so durcheinander?
Jesus, Du bist eine echte Zumutung für mich!
Ob so auch seine Jünger damals gedacht haben? Wenn ich den Predigttext im Zusammenhang der vorherigen Geschehnisse lese, bin ich mir da ziemlich sicher:
Gerade eben haben die Jünger etwas so Großartiges erlebt: Das Volk ist Jesus nachgelaufen aus den Städten in eine sonst öde und einsame Gegend. Eine Massenbewegung ist entstanden. Menschen wollen in unmittelbarer Nähe von Jesus sein. Ihn hören, sehen, wahrscheinlich auch geheilt werden von Krankheiten. In seiner Nähe vergeht die Zeit wie im Fluge. Da bricht schon die Nacht herein. Es wäre unverantwortlich, den Leuten nun nicht die Chance zu geben, sich in den Dörfern um Essen zu kümmern. Aber Jesus bleibt ganz ruhig. Mit fünf Broten und zwei Fischen macht er 5.000 Menschen satt. Und da sind zur damaligen Zeit nur die Männer gezählt, nicht die Frauen und Kinder. Am Ende bleiben sogar 12 Körbe mit Brocken von Brot übrig.
OK, wäre das jetzt nicht der Moment, das zu feiern? Wenn nicht jetzt, wann dann? Wer das kann, was Jesus kann, den muss man doch zum Anführer, zum Brotkönig, zum Führer des durch die römische Besatzungsmacht geschundenen Volkes machen. Ist es nicht super, gerade jetzt zu seinem engsten Kreis zu gehören?
Aber nein, Jesus macht hier Schluss, bricht hier einfach ab.
Wir hören dazu den Predigttext aus Matthäus 14,22-33: (Textlesung)
Jesus – die nächste Zumutung:
Jesus schickt seine Jünger komplett weg: Was soll das denn? Vielleicht fragen sie sich: „Sind wir jetzt nicht mehr gut genug? Das ist ja wie bei kleinen Kindern am Abend, so wie: Ab, ab ins Bettchen, Ihr Kleinen.“
Er zwingt sie sogar: „Steigt in das Boot und fahrt weg über den See.“ Ja, Jesus übt Zwang aus. Ein schlicht autoritärer Führungsstil. Ist das nicht enttäuschend? Entspricht das meiner Vorstellung von Jesus?
Danach schickt er auch alle anderen Menschen weg. Was für ein Ende: Es hätte so gut weitergehen können. Jetzt ist finstere Nacht. Jesus zieht sich zurück, betet allein auf einem Berg. Die Jünger kämpfen im Boot in der Nacht gegen die Wellen. Der starke Wind macht ihnen zu schaffen.
Die dritte Zumutung:
Sie sind von Jesus verlassen und allein. Hat er sie nicht berufen? Haben sie seinetwegen nicht alles verlassen und sind ihm gefolgt? Jetzt sind sie weit weg von Familie, Beruf und Freunden. Es mag so zwischen 3 und 6 Uhr morgens sein. Aber Jesus ist nicht bei ihnen.
Vgl. Polarkreis 18 Allein Allein auf Vimeo Und schon die vierte Zumutung:
Jesus erschrickt seine Jünger zu Tode. Das ist kein Spaß. Das ist auch nicht einfach nur ein schlechter Film. Gemeinsam sehen sie, wie eine unheimliche Gestalt (griechisch: Phantasma) auf dem Wasser direkt auf sie zukommt. Die pure Angst ergreift sie. Das ist jetzt nicht Fantasy. Sie sind zwar müde und abgekämpft, aber immer noch Herr ihrer Sinne und auf dem Wasser mitten in der Realität.
Wir sind ja heutzutage schon einiges gewohnt. Technisch perfekt gemachte Filme in 3D-Technik und mit Surround-Klang nehmen uns hinein in Fantasy-Welten mit unvorstellbaren Lebewesen. Und doch wissen wir, wenn wir im Kino sitzen: Nachher komme ich hier wieder heile heraus. Ganz anders die Jünger: Sie sitzen im Boot auf dem See Genezareth. Mit Jesus rechnen sie jetzt nicht mehr.
Vor ein paar Stunden haben sie noch das Wunder der Brotvermehrung erlebt. Dass es Jesus sein könnte, der auf sie zukommt, haben sie jedoch nach diesen wenigen Stunden gar nicht mehr auf dem Radar.
Jetzt erschrecke ich auch über mich selbst. Wie schnell vergesse ich diesen Jesus, der mir ständig auch Gutes tut und mich am Leben erhält. Plötzlich habe ich ihn gar nicht mehr auf dem Schirm, wenn mir der Wind des Lebens entgegenweht: In ganz alltäglichen Dingen wie auch bei den schweren Einschlägen. Das ist wie eine totale Amnesie, ein totaler Gedächtnisverlust. Plötzlich lebe ich, als gäbe es Gott gar nicht, ohne Gott, Gott-los.
Bin ich nicht getauft auf seinen Namen? Habe ich nicht schon so viel Wunderbares mit ihm erlebt? Und plötzlich ist alles weg. Der Glaube hat sich in Nichts aufgelöst. Mein Vertrauen ist wie weggeblasen vom Wind. Ein Gefühl der totalen Verlorenheit und Hoffnungslosigkeit.
Es kommt mir vor wie in diesen Filmen, wo ein Ehepartner plötzlich total dement ist und den anderen per Sie anredet und fragt: „Wer sind Sie, was machen Sie hier?“ Und dann beginnt das vorsichtige Herantasten und das liebende Gewinnen des Gegenübers von Neuem. Und am nächsten Tag fängt wieder alles von vorne an. Ich finde es ganz stark, hier in der Bibel zu lesen, dass es sogar den Jüngern Jesu damals so ging wie mir auch immer wieder: Ein ständiges Zurückfallen in die geistliche Total-Demenz.
Und nun die fünfte Zumutung. Sie ist von einer ganz anderen, neuen Art:
Was Jesus jetzt ausspricht ist wie ein Code-Wort: „Seid getrost, ich bin´s; fürchtet euch nicht!“ Es ist wie das Umlegen eines Schalters: Vom Schrecken des Todes und der Gottvergessenheit zum vollen Vertrauen in Jesus. „Ich bin´s . . .“: Es erinnert an die Ich-bin-Worte aus dem Johannes-Evangelium, mit denen sich Jesus als Erretter und Messias offenbart.
Zu-Mutung heißt jetzt: Mehr Mut. Jesus schafft es, augenblicklich neuen Mut zu schenken, dort, wo vorher Furcht und Schrecken waren. Zu-Mutung: Sein Mut von außen wird der neue Mut der Jünger. Wenn er da ist, hat die Furcht ein Ende.
Diese Zu-Mutung wiederholt sich immer wieder seit Anbeginn der christlichen Kirche. Die Kirche, die totgesagt ist, sterbend, verfolgt, heruntergewirtschaftet, verlaust und verlottert, wird durch Jesus immer wieder erweckt und getröstet. Diese Totgesagte lebt länger, nämlich ewig.
Aber ich blicke auch in die Tageszeitung und lese die Todesanzeigen. Jeden Tag bin ich erschüttert von der Hoffnungslosigkeit, die sie oft ausdrücken. Selten finde ich ein biblisches Wort, das über den Horizont hinausweist wie: „Seid getrost, ich bin´s; fürchtet euch nicht!“ Ich merke, ich brauche dieses Code-Wort des Lebens und nicht ein Bild von einem Hobby, das der oder die Verstorbene ausgeübt hat und auch nicht diese Reime über das schwere Arbeitsleben und die sanfte Ruhe.
Ja und die sechste und letzte Zumutung unseres Predigttextes werden Sie vielleicht schon aus biblischen Geschichten der Kindertage kennen, aus einer Kinderbibel mit Bildern oder dem Kindergottesdienst. Sie ist so eindrücklich, dass auch Kinder sie staunend verfolgen:
Da traut sich dieser Jünger Petrus auf Jesu Wort hin etwas Unglaubliches zu: Er steigt einfach aus dem Boot und geht wie Jesus auf dem Wasser: Ihm entgegen. Es klappt auch erst. Doch dann verläßt ihn der Glaubensmut und er beginnt zu sinken.
„Du Kleingläubiger, warum hast Du gezweifelt“, spricht Jesus. Das ist wie bei mir. Viel zu wenig erwarte ich von diesem Jesus. Ich entdecke aber auch, dass die Zumutungen in meinem Leben, die Chancen für mich sind, mir seinen Mut zu meinem Mut werden zu lassen. Manchmal denke ich: Er ist damit beschäftigt, in meinem Leben Krisen zu erzeugen. Es ist wie ein Training, das er mir gibt auf seinem Weg mit ihm und zu ihm. Er ist Seelsorger, Pädagoge und Trainer zugleich. Und doch gibt es immer wieder Momente, in denen ich das nicht so sehe und am liebsten mit den Jüngern spräche: „Jesus – wir verstehen dich einfach nicht: Du bist eine echte Zumutung!“
Jesus enttäuscht die Jünger, er zwingt sie, ihn zu verlassen, er lässt sie allein, er erschrickt sie zu Tode. Eine lange Durststrecke und ein hartes Training.
Wenn wir jetzt in der dunklen Epiphanias-Zeit die Sichtbarwerdung Gottes feiern, dann gehört gerade dieses zum Leben hinzu. Das Kalenderjahr liegt vor uns. Da brauchen wir dieses Code-Wort des Lebens in unseren dunklen Zeiten, die Zu-Mutung Jesu: „Seid getrost, ich bin´s; fürchtet euch nicht!“
Amen.
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Ausgestreckte Hand - Matthäus 14,22-33 von Jens Junginger
Von der ausgestreckten Hand und der Schönheit der Jesusgeschichten
Jesus heilte Kranke, er half den Armen, er wurde gekreuzigt.
Jesus ging übers Wasser.
Das sind die markantesten Kennzeichen für Jesus, die Menschen spontan einfallen.,
Es sind Merkmale, die seine Außergewöhnlichkeit beschreiben.
Sein Gang übers Wasser ist ein beliebtes Motiv für Maler.
Es bietet ebenso Anlass zu ganz grundsätzlichen Diskussionen.
Der war halt was Besonderes und hatte übernatürliche Fähigkeiten, sagen die einen,
Das ist der beste Beweis, sagen die Anderen, dass da viel erdichtet und erfunden wurde.
Und die Dritten wählen den Kompromiss.
Er war wichtig mit seiner Nächstenliebe, aber dass er übers Wasser ging, das ist einfach unlogisch, Fantasy eben.
Hören wir uns an, was in der Geschichte erzählt wird:
Jesus drängte die Jünger,
in das Boot zu steigen.
Sie sollten an die andere Seite des Sees vorausfahren.
Er selbst wollte inzwischen die Volksmenge verabschieden….
Das Boot war schon weit vom Land entfernt.
Die Wellen machten ihm schwer zu schaffen,
denn der Wind blies direkt von vorn.
Um die vierte Nachtwache kam Jesus zu den Jüngern.
Er lief über den See.
Als die Jünger ihn über den See laufen sahen,
wurden sie von Furcht gepackt.
Sie riefen:
»Das ist ein Gespenst!«
Vor Angst schrien sie laut auf.
Aber sofort sagte Jesus zu ihnen:
»Erschreckt nicht!
Ich bin es.
Ihr braucht keine Angst zu haben.«
Petrus antwortete Jesus:
»Herr, wenn du es bist,
befiehl mir,
über das Wasser zu dir zu kommen.«
Jesus sagte:
»Komm!«
Da stieg Petrus aus dem Boot,
ging über das Wasser
und kam zu Jesus.
Aber auf einmal merkte er,
wie stark der Wind war
und bekam Angst.
Er begann zu sinken
und schrie:
»Herr, rette mich!«
Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen
und hielt ihn fest.
Er sagte zu Petrus:
»Du hast zu wenig Vertrauen.
Warum hast du gezweifelt?«
Dann stiegen sie ins Boot –
und der Wind legte sich.
Und die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder.
Sie sagten:
»Du bist wirklich der Sohn Gottes!«
Als der Maler Paul Klee1 vor etwa 100 Jahren nach Tunesien reiste, sagte er bei seiner Ankunft:
„Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer“. Er war ergriffen von dem was er sah. Der Nachwelt hat er eindrückliche Aquarelle hinterlassen, mit farbenfrohen Motiven aus dem Maghreb.
Er hat uns aber noch einen Satz hinterlassen über die Bedeutung von Bilder und die Kunst. Er sagte: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“
Mir gefallen Paul Klees Bilder. Und mir gefällt dieser Satz.
Mit gefällt der Satz hinsichtlich der Bilder, die die biblischen Geschichten zeigen.
In unserer Geschichte sehen vordergründig eine Art Superman: Jesus.
Einen Menschen mit übermenschlichen Fähigkeiten.
Einen Menschen, dem sich die Naturgewalten, Wasser und Wellen unterwerfen.
Wir sehen einen Menschen, der mit einer Macht ausgestattet ist, die in anderen Kulturen und Religionen der Antike nur Götter haben.
Diejenigen, die dieses Bild auf erzählerische Weise malen, machen diesen Jesus sichtbar, so wie sie ihn sehen.
Man merkt den Erzählern an, so wie man es dem Maler Paul Klee abspürt, dass sie ergriffen wurden, von dem was sie erlebten.
Paul Klee vermochte es mit seinen Farben und Konturen zu zeigen.
Die Erzähler, die von Jesu Gang über das Wasser erzählen, bündeln ihre Eindrücke von Jesus in eben dieser Erzählung. Sie tun das als diejenigen, die von ihm beeindruckt waren, mittelbar oder unmittelbar. Sie machen etwas von ihm in ihrer Erzählung sichtbar, Jahrzehnte nachdem Jesus gelebt, geheilt, geredet, agiert hat und gekreuzigt wurde.
Sie sind beeindruckt von ihm gewesen, weil er vielleicht der Einzige war, der die Angst der Leute wahrgenommen hatte, die am See, am See Genezareth, lebten. Die Angst der Fischer - vor den Naturgewalten, den Stürmen und Unwettern. Er war wohl der einzige, der auf sie eingegangen ist und sie beruhigt hat. Er ihre Angst ernst genommen.
Und er war der, der auch über dieser Angst stand, über dem, was ihnen Angst machte – das Wasser, die Wellen, die Unsicherheit in ihrer Existenz.
Ihrer Angst zum Trotz strahlte er Ruhe aus. Souveränität. Das beruhigte.
Was die Leute empfanden und was Jesus bei ihnen bewirkte, das machten die Erzähler sichtbar:
Das war der, der übers Wasser ging. Der über allem zu stehen schien. Und das hatte natürlich etwas faszinierendes, beeindruckendes und zugleich Gespenstisches.
Es hat ihnen die Angst genommen.
Unmögliches war ihm möglich!
Das sind die beiden Bildbotschaften der biblischen Wunder-Geschichten.
Beide Botschaften sind wichtig für unser Grundvertrauen, für unsere Haltung und wie wir dem Leben und den Unwettern im Leben begegnen, auch, wie wir in die Zukunft blicken.
Die Schönheit einer solchen Geschichte liegt gerade nicht in ihrer logischen rationalen Nachvollziehbarkeit
und schon gar in ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit und Verwertbarkeit, sondern in ihrem anarchischen unlogisch visionären Gehalt2.
Jesus unterfüttert die Vision von einem angstfreien Leben in dem er sie anreicherte, mit seiner unmissverständlichen Haltung, seinem parteilichen Auftreten und seinem entschiedenen Handeln.
Eine Orientierung an dieser jesuanischen Vision des menschlichen Miteinanders brauchen wir in einer beängstigenden, Angst machenden, vielfach entzweiten und entsolidarisierten Welt dringender denn je.
Eine andere Schönheit dieser Jesus Geschichte ist, dass sie die unumstößliche Gewissheit vermittelt:
Du brauchst dich nicht zu fürchten.
Diese Gewissheit braucht jedes Kind, jeder Mensch – eigentlich.
Wir leben in unruhigen Zeiten
Es gibt genug was wir aufzählen könnten, warum die Angst gute Gründe hat.
Angst um die Zukunft – auch der Kinder.
Angst davor, dass Ängste geschürt werden und dass mit der Angst – mit vermeintlicher Angst – Stimmung und Politik gemacht wird.
Umso wichtiger ist es da, dass gerade Kinder mit einem Grundvertrauen aufwachsen, in ihre Zukunft hinein.
Dieses Grundvertrauen bekommen sie aus verschiedenen Quellen, von den Eltern, Paten, Großeltern.
Und - aus den biblischen Geschichten.
Aus Quellen, die einen Jesus sichtbar machen, der ruhig und gelassen übers Wasser geht, auch wenn es dem aufgeklärten rational denkenden erwachsenen Menschenverstand als totaler Quatsch erscheint.
Der Entertainer Thomas Gottschalk hat es beim Neujahrsempfang recht eindrücklich geschildert, wie er selbst als Kind unmerklich, aber nachhaltig von christlicher Herzensbildung geprägt, gestärkt und stabilisiert wurde. Und das bewirken solche Bildergeschichten,
Und er hat bekannt, dass es ihm wiederum bei seinen Kindern nicht gelungen ist, ihnen diese Geschichten mitzugeben und dass da etwas fehlt.
Nun erzählt unsere Geschichte ja auch vom Scheitern, vom sinkenden Vertrauen, von der Angst, die einem gleichsam den Boden unter den Füssen wegzieht und einen verunsichert.
Petrus war sich zunächst sicher. Er stieg aus dem Boot und ging los.
Er hatte Vertrauen, ja, Gewissheit.
Doch dann verlor er den Boden unter den Füßen und sank ab.
Lebensläufe sollten heute solche Einbrüche gerade nicht aufweisen.
Denn da runzelt jeder Personaler die Stirn. Warum eigentlich?
Ein früherer Personalvorstand eines schwäbischen Familienunternehmens beklagte vor ein paar Jahren in einem Gespräch: Genau solche Erfahrungen des Einbrechens, der Verunsicherung, das fehlt den meisten Jungen von heute. Sie sind – sagte er aus eigener Erfahrung – lehrreich, Herzensbildend.
Vielleicht wird aber gerade das abtrainiert oder mit Medikamenten bekämpft?
Die glatte Laufbahn führt zu einer vermeintlich coolen und verklärenden Selbst-Gewissheit.
Neuerdings wird in der Hochschule hier das Fach Ingenieurs-Psychologie eingeführt. Es besteht – so wird erklärt - Bedarf an Menschlichkeit in der Arbeitswelt. Und! Es werden kirchlich-seelsorgerliche Angebote und Ansprechpersonen erbeten und erfragt, für die Studierenden.
Einbrüche, Verunsicherung, die Gefahr den Halt zu verlieren, das gibt’s, mehr als sichtbar wird. Wir sind keine Maschinen.
Das, was dieser Jesus von Nazareth verkörpert, gelebt und vertreten hat, womit er zutiefst beeindruckt hat, das ist uns – so ist mein Eindruck - verloren gegangen
Und wir merken: Wir vermissen es!
Dieses: „Jeder-ist-sich-selbst-der-Nächste“ tut uns nicht gut. Es entsteht Misstrauen, Skepsis, Abgrenzung, Ausgrenzung, Aggression, Rücksichtslosigkeit.
Wir sind in Zweifel geraten, ob die Ideologie: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ im wahrsten Sinne des Wortes tragfähig ist, oder ob wir damit nicht eher untergeh’n?
Petrus konnte sich auf Jesus verlassen.
Wir sagen heute: Er konnte sich auf seine Empathie, seine Solidarität, auf seine Achtsamkeit verlassen.
Und, dass er ihm Halt geben würde.
Petrus sinkt, weil er verunsichert wurde, weil er ins Zweifeln geraten ist.
Aber: Petrus geht nicht unter.
Weil er Jesus nicht egal ist. Weil einer die Hand austreckt.
Diese zunächst verrückt, unlogisch erscheinende Geschichte macht sichtbar:
Wir sind untereinander auf ausgestreckte Hände angewiesen, alle.
Nicht nur auf die ausgetreckten Hände von Profis.
Und: Wir sind auf solche Geschichten angewiesen. Ich meine sogar sehr. Wieder mehr. Geschichten, die uns sensibilisieren, die ermutigen, Verunsicherung und Angst gerade nicht zu kaschieren, sondern das Einsinken wahrzunehmen, gegenseitig Achtsamkeit einzuüben und Halt zu geben.
Solche Geschichten machen ein Vorbild sichtbar, erkennbar. Vorbilder geben Halt. Sie prägen die eigene Haltung und geben Orientierung, für das, was wichtig ist, für unser Zusammenleben – im Kleinen wie im Großen.
Die Geschichte macht sichtbar:
Du kannst den Boden unter den Füßen verlieren. Du kannst aber auch an einer ausgestreckten Hand Halt finden. Du kannst selbst deine Hand ausstrecken und Halt geben.
Geht hin, sagt Jesus, erzählt davon und tut desgleichen.
Gebet
Du Gott
dich sprechen wir an - direkt
einfach so,
denn
wir brauchen jemand
einen Ansprechpartner
außerhalb der Sphäre
unseres menschlichen Miteinanders
ein etwas anderes Gegenüber
das uns nicht gleich ins Wort fällt
auf Sachzwänge und Logik verweist
oder die Frage nach der Umsetzbarkeit stellt
oder den Sinn oder Unsinn beklagt
Du Gott des Erbarmens
Du Gott der Liebe
wir merken
wie gut es ist, wie wichtig
immer wieder sichtbar gemacht zu bekommen
worauf es ankommt
worauf es wirklich ankommt
was uns Orientierung gibt
was uns trägt
durch die Unwetter unseres Lebens
und dieser Welt hindurch
gerade, wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren
nämlich
das wirkliche Dasein füreinander
die ausgestreckte Hand
und dass wir sie annehmen, zugreifen
egal was passiert
Du Gott bist es letztlich
Du, Gott in uns
der du uns zugleich umgibst
du verleihst uns
den Blick, die Sensibilität
für Mitmenschen
so bitten wir dich
bleib bei uns
dass wir das nicht verlieren
sondern wachhalten
durch Geschichten
die auch von Jesus erzählen
hilf uns
sensibel zu sein und zu bleiben
und uns gegenseitig dazu zu ermuntern.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Klee
[2] Fulbert Steffensky (2002), Das Haus, das die Träume verwaltet, S.82
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In einem Boot Mt 4,22-27 von Barbara Eberhardt
In einem Boot
Und alsbald drängte Jesus die Jünger,
in das Boot zu steigen
und vor ihm ans andere Ufer zu fahren.
Wir sitzen in einem Boot.
Haben Ruder in der Hand.
Eine trägt den Gemeindebrief aus.
Einer spielt im Posaunenchor.
Eine schließt die Kirche morgens auf und abends wieder zu.
Einer besucht den Gottesdienst.
Eine betet mit ihrem Kind vor dem Schlafengehen.
Verschiedene Ruder.
Aber wir rudern gemeinsam.
Auch wenn der Wind uns hart entgegenbläst.
Über 200.000 Kirchenaustritte im Jahr.
Sparmaßnahmen der Landeskirche.
Zweifel.
Wir rudern weiter.
Gegen die Wellen.
Gegen den Sturm.
Wir sitzen in einem Boot.
Jesus hat uns dazu gebracht.
Er hat uns vorausgeschickt ans andere Ufer.
Noch eine kleine Weile,
bis wir ihn dort sehen werden.
Es kommt einem endlos vor,
wenn die müden Knochen schmerzen,
wenn die Tage werden wie Ruderschläge:
eins – zwei – drei – vier.
Hart gegen den Wind.
Das andere Ufer ist weit, so weit,
und wer weiß, ob wir nicht untergehen.
Ich stöhne.
Mach ein bisschen Pause,
sagt der neben mir.
Und die vor mir reicht mir ein Stück Brot.
Ich weiß nicht, wo die Reise hingeht
und wie fern das andere Ufer ist.
Aber das Brot gibt Kraft.
Die Pause macht Mut.
Und egal, was kommt:
Wir sind zusammen.
Wir sitzen in einem Boot.
Schaukelnd auf den Wellen.
Jesus hat uns geschickt.
Stürmische Zeit
Der Wind bläst stürmisch im Moment, finde ich. Was sich da an politischer Großwetterlage zusammenbraut, das verursacht ein mulmiges Gefühl in meinem Magen. Ich weiß nicht, wohin unser Boot steuert. Am anderen Ufer, auf der anderen Seite des Atlantiks ist ein neuer Präsident. Er macht die Gesundheitsreform seines Vorgängers rückgängig, lässt Öl-Pipelines durch das Gebiet der amerikanischen Ureinwohner bauen. Und wenn ihm die Zahlen der Zuschauerinnen und Zuschauer bei seiner Vereidigung zu niedrig scheinen, lässt er „alternative Fakten“ präsentieren. Ist er sich dessen bewusst, was er tut? Wohin steuert er?
Auch in Deutschland tost die Brandung. Viele Ängste kommen hoch. Angst vor Attentaten, Angst vor einem neuen Rechtsradikalismus, Angst vor digitaler Überwachung, Angst überhaupt vor der Zukunft, weil alles so unübersichtlich scheint. Wohin steuern wir?
Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt
und kam in Not durch die Wellen;
denn der Wind stand ihm entgegen.
Jesus kommt
Aber in der vierten Nachtwache
kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer.
Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen,
erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!,
und schrien vor Furcht.
Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach:
Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!
Jesus kommt.
Mitten im Sturm.
Über die aufschäumenden Wellen
von Donald Trump und Pegida
kommt er und spricht: Fürchtet euch nicht!
Seid getrost und unverzagt.
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber meine Gnade soll nicht von dir weichen.
In der Welt habt ihr Angst;
aber seid getrost,
ich habe die Welt überwunden.
Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.
Jesus kommt, mitten im Sturm,
und spricht zu uns.
Petrus stellt Jesus auf die Probe
Einer, Petrus, zweifelt.
Und er will es wissen
Er stellt Jesus auf die Probe.
Petrus aber antwortete ihm und sprach:
Herr, bist du es, so befiehl mir,
zu dir zu kommen auf dem Wasser.
Herr, bist du es,
bist du wirklich der Sohn Gottes,
so gib mir einen Beweis.
Herr, bist du es,
so gib mir Kraft, Berge zu versetzen.
Herr, bist du es,
so mache mich heute noch gesund.
Herr, bist du es,
so lass den Club am nächsten Wochenende gewinnen.
Herr, bist du es,
so lass mich diese Schulaufgabe mit einer Drei bestehen.
Herr, bist du es,
so lass mich auf dem Wasser gehen.
Warum auf dem Wasser gehen?
Es gibt eine Geschichte über einen, der auf dem Wasser geht. Sie kommt angeblich aus dem Zen-Buddhismus. Ein junger Mönch lebt in einem Kloster mit vielen anderen Mönchen zusammen. Aber das reicht ihm nicht. Er will mehr. So geht er weg aus dem Kloster, fährt mit der Fähre über den Fluss und zieht sich auf einen Berg zurück in die Einsamkeit. Dort lebt er 25 Jahre, versunken in Meditation. Schließlich steht er auf, streckt sich wie nach einem langen Schlaf und geht den Berg hinunter zum Fluss. Ohne zu zögern, setzt er dort seinen Fuß auf die Wasseroberfläche und schreitet über das Wasser auf das Kloster zu, das er vor 25 Jahren verlassen hat. Am anderen Ufer waschen zwei Mönche gerade ihre Wäsche. Sie sehen den alten Mann kommen. Der eine Mönch fragt den anderen: „Wer ist das?“ Der andere sagt: „Das muss der Mann sein, der 25 Jahre in einer Höhle meditiert hat. Nun schau ihn dir an! Jetzt kann er auf dem Wasser laufen!“ "Das hätte er sich sparen können!" sagt da der erste. "Die Fähre kostet doch nur 50 Cent."
Wozu will man eigentlich auf dem Wasser laufen?
Wozu will Petrus auf dem Wasser laufen?
Die Fähre kostet doch nur 50 Cent.
Jesus hat Petrus tatsächlich auf dem Wasser laufen lassen.
Ein paar Schritte.
Dann war es vorbei.
Jesus musste Petrus herausziehen,
wie einen schweren Fisch.
Jesus aber streckte sogleich die Hand aus
und ergriff ihn und sprach zu ihm:
Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Ich bin doch geradewegs auf dich zugekommen.
Ich hab dir doch gesagt, wer ich bin.
Wenn du nur noch eine Minute auf deinem Platz geblieben wärst,
dann wäre ich neben dir gesessen,
neben dir und den anderen
und diese ganze Sache da auf dem Wasser
hätten wir gar nicht gebraucht.
Wozu willst du auf dem Wasser gehen?
Alle in einem Boot
Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich.
Gemeinsam sitzen wir im Boot.
Jesus ist dabei.
Der Sturm geht vorüber.
Die Sonne geht auf
und wir hängen die nassen Kleider zum Trocknen
über die Bootswand,
legen die Ruder beiseite und lassen uns etwas treiben.
Wir genießen die Zeit zusammen.
Singen ein Lied
von einem Schiff, das sich Gemeinde nennt.
Wir packen Essen aus:
Bratwürste im Brotteig und Spinattaschen
und Schnittchen.
Danach nehmen wir die Ruder wieder zur Hand.
Die Gemeindebriefe.
Die Posaunen.
Die Kirchenschlüssel.
Die Gesangbücher.
Das Heft mit den Kindergebeten.
Es gibt viel zu tun.
Wir rudern weiter.
Gegen die Wellen.
Und wenn es sein muss gegen den Sturm.
Wir sitzen in einem Boot.
Jesus ist mit uns.
Hier ist unser Platz.
Amen.
Predigtlied: Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt (EG 589, Ausgabe für Bayern und Thüringen)
Die Predigt wurde inspiriert durch die Predigt „Why Did You Doubt?“ von Barbara Brown Taylor (in: dies., Bread of Angels, Cambridge / Boston, Massachusetts 1997, S. 119-122). Ihr ist auch die Geschichte über den Mönch, der über das Wasser läuft, entnommen.