Jesus – eine echte Zumutung Matthäus 14,22-33 von Peer Schladebusch

Jesus – eine echte Zumutung Matthäus 14,22-33 von Peer Schladebusch
14,22-33

Er macht es mir nicht immer ganz einfach – dieser Jesus – ihn in meinem Alltag zu verstehen. Wenn ich allein im Auto unterwegs bin, dann rede ich auch schon mal lauter mit ihm: Jesus, was soll das jetzt wieder:
Warum musste dieser Mensch jetzt ausgerechnet sterben? Warum hast Du dieses Gebet nicht erhört? Warum gibt es jetzt diesen Streit in der Gemeinde? Warum haben diese Kinder jetzt keine Eltern mehr? Warum müssen so viele Christen auf dieser Erde unter Verfolgung und Drangsalierung leiden? Warum siehst Du bei so vielem Unrecht und Leid tatenlos zu? Warum wirfst Du die Lebensplanungen der Menschen immer so durcheinander?
Jesus, Du bist eine echte Zumutung für mich!
Ob so auch seine Jünger damals gedacht haben? Wenn ich den Predigttext im Zusammenhang der vorherigen Geschehnisse lese, bin ich mir da ziemlich sicher:
Gerade eben haben die Jünger etwas so Großartiges erlebt: Das Volk ist Jesus nachgelaufen aus den Städten in eine sonst öde und einsame Gegend. Eine Massenbewegung ist entstanden. Menschen wollen in unmittelbarer Nähe von Jesus sein. Ihn hören, sehen, wahrscheinlich auch geheilt werden von Krankheiten. In seiner Nähe vergeht die Zeit wie im Fluge. Da bricht schon die Nacht herein. Es wäre unverantwortlich, den Leuten nun nicht die Chance zu geben, sich in den Dörfern um Essen zu kümmern. Aber Jesus bleibt ganz ruhig. Mit fünf Broten und zwei Fischen macht er 5.000 Menschen satt. Und da sind zur damaligen Zeit nur die Männer gezählt, nicht die Frauen und Kinder. Am Ende bleiben sogar 12 Körbe mit Brocken von Brot übrig.
OK, wäre das jetzt nicht der Moment, das zu feiern? Wenn nicht jetzt, wann dann? Wer das kann, was Jesus kann, den muss man doch zum Anführer, zum Brotkönig, zum Führer des durch die römische Besatzungsmacht geschundenen Volkes machen. Ist es nicht super, gerade jetzt zu seinem engsten Kreis zu gehören?
Aber nein, Jesus macht hier Schluss, bricht hier einfach ab.
Wir hören dazu den Predigttext aus Matthäus 14,22-33: (Textlesung)
Jesus – die nächste Zumutung:
Jesus schickt seine Jünger komplett weg: Was soll das denn? Vielleicht fragen sie sich: „Sind wir jetzt nicht mehr gut genug? Das ist ja wie bei kleinen Kindern am Abend, so wie: Ab, ab ins Bettchen, Ihr Kleinen.“
Er zwingt sie sogar: „Steigt in das Boot und fahrt weg über den See.“ Ja, Jesus übt Zwang aus. Ein schlicht autoritärer Führungsstil. Ist das nicht enttäuschend? Entspricht das meiner Vorstellung von Jesus?
Danach schickt er auch alle anderen Menschen weg. Was für ein Ende: Es hätte so gut weitergehen können. Jetzt ist finstere Nacht. Jesus zieht sich zurück, betet allein auf einem Berg. Die Jünger kämpfen im Boot in der Nacht gegen die Wellen. Der starke Wind macht ihnen zu schaffen.
Die dritte Zumutung:
Sie sind von Jesus verlassen und allein. Hat er sie nicht berufen? Haben sie seinetwegen nicht alles verlassen und sind ihm gefolgt? Jetzt sind sie weit weg von Familie, Beruf und Freunden. Es mag so zwischen 3 und 6 Uhr morgens sein. Aber Jesus ist nicht bei ihnen.
 Vgl. Polarkreis 18 Allein Allein auf Vimeo Und schon die vierte Zumutung:
Jesus erschrickt seine Jünger zu Tode. Das ist kein Spaß. Das ist auch nicht einfach nur ein schlechter Film. Gemeinsam sehen sie, wie eine unheimliche Gestalt (griechisch: Phantasma) auf dem Wasser direkt auf sie zukommt. Die pure Angst ergreift sie. Das ist jetzt nicht Fantasy. Sie sind zwar müde und abgekämpft, aber immer noch Herr ihrer Sinne und auf dem Wasser mitten in der Realität.
Wir sind ja heutzutage schon einiges gewohnt. Technisch perfekt gemachte Filme in 3D-Technik und mit Surround-Klang nehmen uns hinein in Fantasy-Welten mit unvorstellbaren Lebewesen. Und doch wissen wir, wenn wir im Kino sitzen: Nachher komme ich hier wieder heile heraus. Ganz anders die Jünger: Sie sitzen im Boot auf dem See Genezareth. Mit Jesus rechnen sie jetzt nicht mehr.
Vor ein paar Stunden haben sie noch das Wunder der Brotvermehrung erlebt. Dass es Jesus sein könnte, der auf sie zukommt, haben sie jedoch nach diesen wenigen Stunden gar nicht mehr auf dem Radar.
Jetzt erschrecke ich auch über mich selbst. Wie schnell vergesse ich diesen Jesus, der mir ständig auch Gutes tut und mich am Leben erhält. Plötzlich habe ich ihn gar nicht mehr auf dem Schirm, wenn mir der Wind des Lebens entgegenweht: In ganz alltäglichen Dingen wie auch bei den schweren Einschlägen. Das ist wie eine totale Amnesie, ein totaler Gedächtnisverlust. Plötzlich lebe ich, als gäbe es Gott gar nicht, ohne Gott, Gott-los.
Bin ich nicht getauft auf seinen Namen? Habe ich nicht schon so viel Wunderbares mit ihm erlebt? Und plötzlich ist alles weg. Der Glaube hat sich in Nichts aufgelöst. Mein Vertrauen ist wie weggeblasen vom Wind. Ein Gefühl der totalen Verlorenheit und Hoffnungslosigkeit.
Es kommt mir vor wie in diesen Filmen, wo ein Ehepartner plötzlich total dement ist und den anderen per Sie anredet und fragt: „Wer sind Sie, was machen Sie hier?“ Und dann beginnt das vorsichtige Herantasten und das liebende Gewinnen des Gegenübers von Neuem. Und am nächsten Tag fängt wieder alles von vorne an. Ich finde es ganz stark, hier in der Bibel zu lesen, dass es sogar den Jüngern Jesu damals so ging wie mir auch immer wieder: Ein ständiges Zurückfallen in die geistliche Total-Demenz.
Und nun die fünfte Zumutung. Sie ist von einer ganz anderen, neuen Art:
Was Jesus jetzt ausspricht ist wie ein Code-Wort: „Seid getrost, ich bin´s; fürchtet euch nicht!“ Es ist wie das Umlegen eines Schalters: Vom Schrecken des Todes und der Gottvergessenheit zum vollen Vertrauen in Jesus. „Ich bin´s . . .“: Es erinnert an die Ich-bin-Worte aus dem Johannes-Evangelium, mit denen sich Jesus als Erretter und Messias offenbart.
Zu-Mutung heißt jetzt: Mehr Mut. Jesus schafft es, augenblicklich neuen Mut zu schenken, dort, wo vorher Furcht und Schrecken waren. Zu-Mutung: Sein Mut von außen wird der neue Mut der Jünger. Wenn er da ist, hat die Furcht ein Ende.
Diese Zu-Mutung wiederholt sich immer wieder seit Anbeginn der christlichen Kirche. Die Kirche, die totgesagt ist, sterbend, verfolgt, heruntergewirtschaftet, verlaust und verlottert, wird durch Jesus immer wieder erweckt und getröstet. Diese Totgesagte lebt länger, nämlich ewig.
Aber ich blicke auch in die Tageszeitung und lese die Todesanzeigen. Jeden Tag bin ich erschüttert von der Hoffnungslosigkeit, die sie oft ausdrücken. Selten finde ich ein biblisches Wort, das über den Horizont hinausweist wie: „Seid getrost, ich bin´s; fürchtet euch nicht!“ Ich merke, ich brauche dieses Code-Wort des Lebens und nicht ein Bild von einem Hobby, das der oder die Verstorbene ausgeübt hat und auch nicht diese Reime über das schwere Arbeitsleben und die sanfte Ruhe.
Ja und die sechste und letzte Zumutung unseres Predigttextes werden Sie vielleicht schon aus biblischen Geschichten der Kindertage kennen, aus einer Kinderbibel mit Bildern oder dem Kindergottesdienst. Sie ist so eindrücklich, dass auch Kinder sie staunend verfolgen:
Da traut sich dieser Jünger Petrus auf Jesu Wort hin etwas Unglaubliches zu: Er steigt einfach aus dem Boot und geht wie Jesus auf dem Wasser: Ihm entgegen. Es klappt auch erst. Doch dann verläßt ihn der Glaubensmut und er beginnt zu sinken.
„Du Kleingläubiger, warum hast Du gezweifelt“, spricht Jesus. Das ist wie bei mir. Viel zu wenig erwarte ich von diesem Jesus. Ich entdecke aber auch, dass die Zumutungen in meinem Leben, die Chancen für mich sind, mir seinen Mut zu meinem Mut werden zu lassen. Manchmal denke ich: Er ist damit beschäftigt, in meinem Leben Krisen zu erzeugen. Es ist wie ein Training, das er mir gibt auf seinem Weg mit ihm und zu ihm. Er ist Seelsorger, Pädagoge und Trainer zugleich. Und doch gibt es immer wieder Momente, in denen ich das nicht so sehe und am liebsten mit den Jüngern spräche: „Jesus – wir verstehen dich einfach nicht: Du bist eine echte Zumutung!“
Jesus enttäuscht die Jünger, er zwingt sie, ihn zu verlassen, er lässt sie allein, er erschrickt sie zu Tode. Eine lange Durststrecke und ein hartes Training.
Wenn wir jetzt in der dunklen Epiphanias-Zeit die Sichtbarwerdung Gottes feiern, dann gehört gerade dieses zum Leben hinzu. Das Kalenderjahr liegt vor uns. Da brauchen wir dieses Code-Wort des Lebens in unseren dunklen Zeiten, die Zu-Mutung Jesu: „Seid getrost, ich bin´s; fürchtet euch nicht!“
Amen.

 

Perikope
29.01.2017
14,22-33

Ausgestreckte Hand - Matthäus 14,22-33 von Jens Junginger

Ausgestreckte Hand - Matthäus 14,22-33 von Jens Junginger
14,22-33

Von der ausgestreckten Hand und der Schönheit der Jesusgeschichten


Jesus heilte Kranke, er half den Armen, er wurde gekreuzigt.
Jesus ging übers Wasser.
Das sind die markantesten Kennzeichen für Jesus, die Menschen spontan einfallen.,
Es sind Merkmale, die seine Außergewöhnlichkeit beschreiben.
Sein Gang übers Wasser ist ein beliebtes Motiv für Maler.
Es bietet ebenso Anlass zu ganz grundsätzlichen Diskussionen.
Der war halt was Besonderes und hatte übernatürliche Fähigkeiten, sagen die einen,
Das ist der beste Beweis, sagen die Anderen, dass da viel erdichtet und erfunden wurde.
Und die Dritten wählen den Kompromiss.
Er war wichtig mit seiner Nächstenliebe, aber dass er übers Wasser ging, das ist einfach unlogisch, Fantasy eben.
Hören wir uns an, was in der Geschichte erzählt wird:
Jesus drängte die Jünger,
in das Boot zu steigen.
Sie sollten an die andere Seite des Sees vorausfahren.
Er selbst wollte inzwischen die Volksmenge verabschieden….
Das Boot war schon weit vom Land entfernt.
Die Wellen machten ihm schwer zu schaffen,
denn der Wind blies direkt von vorn.
Um die vierte Nachtwache kam Jesus zu den Jüngern.
Er lief über den See.
Als die Jünger ihn über den See laufen sahen,
wurden sie von Furcht gepackt.
Sie riefen:
»Das ist ein Gespenst!«
Vor Angst schrien sie laut auf.
Aber sofort sagte Jesus zu ihnen:
»Erschreckt nicht!
Ich bin es.
Ihr braucht keine Angst zu haben.«
Petrus antwortete Jesus:
»Herr, wenn du es bist,
befiehl mir,
über das Wasser zu dir zu kommen.«
Jesus sagte:
»Komm!«
Da stieg Petrus aus dem Boot,
ging über das Wasser
und kam zu Jesus.
Aber auf einmal merkte er,
wie stark der Wind war
und bekam Angst.
Er begann zu sinken
und schrie:
»Herr, rette mich!«
Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen
und hielt ihn fest.
Er sagte zu Petrus:
»Du hast zu wenig Vertrauen.
Warum hast du gezweifelt?«
Dann stiegen sie ins Boot –
und der Wind legte sich.
Und die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder.
Sie sagten:
»Du bist wirklich der Sohn Gottes!«

Als der Maler Paul Klee1  vor etwa 100 Jahren nach Tunesien reiste, sagte er bei seiner Ankunft:
„Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer“. Er war ergriffen von dem was er sah. Der Nachwelt hat er eindrückliche Aquarelle hinterlassen, mit farbenfrohen Motiven aus dem Maghreb.
Er hat uns aber noch einen Satz hinterlassen über die Bedeutung von Bilder und die Kunst. Er sagte: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“
Mir gefallen Paul Klees Bilder. Und mir gefällt dieser Satz.
Mit gefällt der Satz hinsichtlich der Bilder, die die biblischen Geschichten zeigen.
In unserer Geschichte sehen vordergründig eine Art Superman: Jesus.
Einen Menschen mit übermenschlichen Fähigkeiten.
Einen Menschen, dem sich die Naturgewalten, Wasser und Wellen unterwerfen.
Wir sehen einen Menschen, der mit einer Macht ausgestattet ist, die in anderen Kulturen und Religionen der Antike nur Götter haben.
Diejenigen, die dieses Bild auf erzählerische Weise malen, machen diesen Jesus sichtbar, so wie sie ihn sehen.
Man merkt den Erzählern an, so wie man es dem Maler Paul Klee abspürt, dass sie ergriffen wurden, von dem was sie erlebten.
Paul Klee vermochte es mit seinen Farben und Konturen zu zeigen.
Die Erzähler, die von Jesu Gang über das Wasser erzählen, bündeln ihre Eindrücke von Jesus in eben dieser Erzählung. Sie tun das als diejenigen, die von ihm beeindruckt waren, mittelbar oder unmittelbar. Sie machen etwas von ihm in ihrer Erzählung sichtbar, Jahrzehnte nachdem Jesus gelebt, geheilt, geredet, agiert hat und gekreuzigt wurde.
Sie sind beeindruckt von ihm gewesen, weil er vielleicht der Einzige war, der die Angst der Leute wahrgenommen hatte, die am See, am See Genezareth, lebten. Die Angst der Fischer - vor den Naturgewalten, den Stürmen und Unwettern. Er war wohl der einzige, der auf sie eingegangen ist und sie beruhigt hat. Er ihre Angst ernst genommen.
Und er war der, der auch über dieser Angst stand, über dem, was ihnen Angst machte – das Wasser, die Wellen, die Unsicherheit in ihrer Existenz.
Ihrer Angst zum Trotz strahlte er Ruhe aus. Souveränität. Das beruhigte.
Was die Leute empfanden und was Jesus bei ihnen bewirkte, das machten die Erzähler sichtbar:
Das war der, der übers Wasser ging. Der über allem zu stehen schien. Und das hatte natürlich etwas faszinierendes, beeindruckendes und zugleich Gespenstisches.
Es hat ihnen die Angst genommen.
Unmögliches war ihm möglich!
Das sind die beiden Bildbotschaften der biblischen Wunder-Geschichten.
Beide Botschaften sind wichtig für unser Grundvertrauen, für unsere Haltung und wie wir dem Leben und den Unwettern im Leben begegnen, auch, wie wir in die Zukunft blicken.
Die Schönheit einer solchen Geschichte liegt gerade nicht in ihrer logischen rationalen Nachvollziehbarkeit
und schon gar in ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit und Verwertbarkeit, sondern in ihrem anarchischen unlogisch visionären Gehalt2.
Jesus unterfüttert die Vision von einem angstfreien Leben in dem er sie anreicherte, mit seiner unmissverständlichen Haltung, seinem parteilichen Auftreten und seinem entschiedenen Handeln.
Eine Orientierung an dieser jesuanischen Vision des menschlichen Miteinanders brauchen wir in einer beängstigenden, Angst machenden, vielfach entzweiten und entsolidarisierten Welt dringender denn je.

Eine andere Schönheit dieser Jesus Geschichte ist, dass sie die unumstößliche Gewissheit vermittelt:
Du brauchst dich nicht zu fürchten.
Diese Gewissheit braucht jedes Kind, jeder Mensch – eigentlich.
Wir leben in unruhigen Zeiten
Es gibt genug was wir aufzählen könnten, warum die Angst gute Gründe hat.
Angst um die Zukunft – auch der Kinder.
Angst davor, dass Ängste geschürt werden und dass mit der Angst – mit vermeintlicher Angst – Stimmung und Politik gemacht wird.
Umso wichtiger ist es da, dass gerade Kinder mit einem Grundvertrauen aufwachsen, in ihre Zukunft hinein.
Dieses Grundvertrauen bekommen sie aus verschiedenen Quellen, von den Eltern, Paten, Großeltern.
Und - aus den biblischen Geschichten.
Aus Quellen, die einen Jesus sichtbar machen, der ruhig und gelassen übers Wasser geht, auch wenn es dem aufgeklärten rational denkenden erwachsenen Menschenverstand als totaler Quatsch erscheint.
Der Entertainer Thomas Gottschalk hat es beim Neujahrsempfang recht eindrücklich geschildert, wie er selbst als Kind unmerklich, aber nachhaltig von christlicher Herzensbildung geprägt, gestärkt und stabilisiert wurde. Und das bewirken solche Bildergeschichten,
Und er hat bekannt, dass es ihm wiederum bei seinen Kindern nicht gelungen ist, ihnen diese Geschichten mitzugeben und dass da etwas fehlt.
Nun erzählt unsere Geschichte ja auch vom Scheitern, vom sinkenden Vertrauen, von der Angst, die einem gleichsam den Boden unter den Füssen wegzieht und einen verunsichert.
Petrus war sich zunächst sicher. Er stieg aus dem Boot und ging los.
Er hatte Vertrauen, ja, Gewissheit.
Doch dann verlor er den Boden unter den Füßen und sank ab.
Lebensläufe sollten heute solche Einbrüche gerade nicht aufweisen.
Denn da runzelt jeder Personaler die Stirn. Warum eigentlich?
Ein früherer Personalvorstand eines schwäbischen Familienunternehmens beklagte vor ein paar Jahren in einem Gespräch: Genau solche Erfahrungen des Einbrechens, der Verunsicherung, das fehlt den meisten Jungen von heute. Sie sind – sagte er aus eigener Erfahrung – lehrreich, Herzensbildend.
Vielleicht wird aber gerade das abtrainiert oder mit Medikamenten bekämpft?
Die glatte Laufbahn führt zu einer vermeintlich coolen und verklärenden Selbst-Gewissheit.
Neuerdings wird in der Hochschule hier das Fach Ingenieurs-Psychologie eingeführt. Es besteht – so wird erklärt - Bedarf an Menschlichkeit in der Arbeitswelt. Und! Es werden kirchlich-seelsorgerliche Angebote und Ansprechpersonen erbeten und erfragt, für die Studierenden.
Einbrüche, Verunsicherung, die Gefahr den Halt zu verlieren, das gibt’s, mehr als sichtbar wird. Wir sind keine Maschinen.
Das, was dieser Jesus von Nazareth verkörpert, gelebt und vertreten hat, womit er zutiefst beeindruckt hat, das ist uns – so ist mein Eindruck - verloren gegangen
Und wir merken: Wir vermissen es!
Dieses: „Jeder-ist-sich-selbst-der-Nächste“ tut uns nicht gut. Es entsteht Misstrauen, Skepsis, Abgrenzung, Ausgrenzung, Aggression, Rücksichtslosigkeit.
Wir sind in Zweifel geraten, ob die Ideologie: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ im wahrsten Sinne des Wortes tragfähig ist, oder ob wir damit nicht eher untergeh’n?
Petrus konnte sich auf Jesus verlassen.
Wir sagen heute: Er konnte sich auf seine Empathie, seine Solidarität, auf seine Achtsamkeit verlassen.
Und, dass er ihm Halt geben würde.
Petrus sinkt, weil er verunsichert wurde, weil er ins Zweifeln geraten ist.
Aber: Petrus geht nicht unter.
Weil er Jesus nicht egal ist. Weil einer die Hand austreckt.
Diese zunächst verrückt, unlogisch erscheinende Geschichte macht sichtbar:
Wir sind untereinander auf ausgestreckte Hände angewiesen, alle.
Nicht nur auf die ausgetreckten Hände von Profis.
Und: Wir sind auf solche Geschichten angewiesen. Ich meine sogar sehr. Wieder mehr. Geschichten, die uns sensibilisieren, die ermutigen, Verunsicherung und Angst gerade nicht zu kaschieren, sondern das Einsinken wahrzunehmen, gegenseitig Achtsamkeit einzuüben und Halt zu geben.
Solche Geschichten machen ein Vorbild sichtbar, erkennbar. Vorbilder geben Halt. Sie prägen die eigene Haltung und geben Orientierung, für das, was wichtig ist, für unser Zusammenleben – im Kleinen wie im Großen.
Die Geschichte macht sichtbar:
Du kannst den Boden unter den Füßen verlieren. Du kannst aber auch an einer ausgestreckten Hand Halt finden. Du kannst selbst deine Hand ausstrecken und Halt geben.    
Geht hin, sagt Jesus, erzählt davon und tut desgleichen.

Gebet
Du Gott
dich sprechen wir an - direkt
einfach so,
denn
wir brauchen jemand
einen Ansprechpartner
außerhalb der Sphäre
unseres menschlichen Miteinanders
ein etwas anderes Gegenüber
das uns nicht gleich ins Wort fällt
auf Sachzwänge und Logik verweist
oder die Frage nach der Umsetzbarkeit stellt
oder den Sinn oder Unsinn beklagt

Du Gott des Erbarmens
Du Gott der Liebe
wir merken
wie gut es ist, wie wichtig
immer wieder sichtbar gemacht zu bekommen
worauf es ankommt
worauf es wirklich ankommt
was uns Orientierung gibt
was uns trägt
durch die Unwetter unseres Lebens
und dieser Welt hindurch
gerade, wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren
nämlich
das wirkliche Dasein füreinander
die ausgestreckte Hand
und dass wir sie annehmen, zugreifen
egal was passiert

Du Gott bist es letztlich
Du, Gott in uns
der du uns zugleich umgibst
du verleihst uns
den Blick, die Sensibilität
für Mitmenschen
so bitten wir dich
bleib bei uns
dass wir das nicht verlieren
sondern wachhalten
durch Geschichten
die auch von Jesus erzählen
hilf uns
sensibel zu sein und zu bleiben
und uns gegenseitig dazu zu ermuntern.

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Klee

[2] Fulbert Steffensky (2002), Das Haus, das die Träume verwaltet, S.82

 

Perikope
29.01.2017
14,22-33

In einem Boot Mt 4,22-27 von Barbara Eberhardt

In einem Boot Mt 4,22-27 von Barbara Eberhardt
4,22-27

In einem Boot

Und alsbald drängte Jesus die Jünger,
in das Boot zu steigen
und vor ihm ans andere Ufer zu fahren.

Wir sitzen in einem Boot.
Haben Ruder in der Hand.
Eine trägt den Gemeindebrief aus.
Einer spielt im Posaunenchor.
Eine schließt die Kirche morgens auf und abends wieder zu.
Einer besucht den Gottesdienst.
Eine betet mit ihrem Kind vor dem Schlafengehen.
Verschiedene Ruder.
Aber wir rudern gemeinsam.
Auch wenn der Wind uns hart entgegenbläst.
Über 200.000 Kirchenaustritte im Jahr.
Sparmaßnahmen der Landeskirche.
Zweifel.
Wir rudern weiter.
Gegen die Wellen.
Gegen den Sturm.
Wir sitzen in einem Boot.

Jesus hat uns dazu gebracht.
Er hat uns vorausgeschickt ans andere Ufer.
Noch eine kleine Weile,
bis wir ihn dort sehen werden.
Es kommt einem endlos vor,
wenn die müden Knochen schmerzen,
wenn die Tage werden wie Ruderschläge:
eins – zwei – drei – vier.
Hart gegen den Wind.
Das andere Ufer ist weit, so weit,
und wer weiß, ob wir nicht untergehen.

Ich stöhne.
Mach ein bisschen Pause,
sagt der neben mir.
Und die vor mir reicht mir ein Stück Brot.
Ich weiß nicht, wo die Reise hingeht
und wie fern das andere Ufer ist.
Aber das Brot gibt Kraft.
Die Pause macht Mut.
Und egal, was kommt:
Wir sind zusammen.
Wir sitzen in einem Boot.
Schaukelnd auf den Wellen.
Jesus hat uns geschickt.

Stürmische Zeit

Der Wind bläst stürmisch im Moment, finde ich. Was sich da an politischer Großwetterlage zusammenbraut, das verursacht ein mulmiges Gefühl in meinem Magen. Ich weiß nicht, wohin unser Boot steuert. Am anderen Ufer, auf der anderen Seite des Atlantiks ist ein neuer Präsident. Er macht die Gesundheitsreform seines Vorgängers rückgängig, lässt Öl-Pipelines durch das Gebiet der amerikanischen Ureinwohner bauen. Und wenn ihm die Zahlen der Zuschauerinnen und Zuschauer bei seiner Vereidigung zu niedrig scheinen, lässt er „alternative Fakten“ präsentieren. Ist er sich dessen bewusst, was er tut? Wohin steuert er?

Auch in Deutschland tost die Brandung. Viele Ängste kommen hoch. Angst vor Attentaten, Angst vor einem neuen Rechtsradikalismus, Angst vor digitaler Überwachung, Angst überhaupt vor der Zukunft, weil alles so unübersichtlich scheint. Wohin steuern wir?

Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt
und kam in Not durch die Wellen;
denn der Wind stand ihm entgegen.

Jesus kommt

Aber in der vierten Nachtwache
kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer.
Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen,
erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!,
und schrien vor Furcht.
Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach:
Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

Jesus kommt.
Mitten im Sturm.
Über die aufschäumenden Wellen
von Donald Trump und Pegida
kommt er und spricht: Fürchtet euch nicht!
Seid getrost und unverzagt.
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber meine Gnade soll nicht von dir weichen.
In der Welt habt ihr Angst;
aber seid getrost,
ich habe die Welt überwunden.
Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.
Jesus kommt, mitten im Sturm,
und spricht zu uns.

Petrus stellt Jesus auf die Probe

Einer, Petrus, zweifelt.
Und er will es wissen
Er stellt Jesus auf die Probe.
Petrus aber antwortete ihm und sprach:
Herr, bist du es, so befiehl mir,
zu dir zu kommen auf dem Wasser.
Herr, bist du es,
bist du wirklich der Sohn Gottes,
so gib mir einen Beweis.
Herr, bist du es,
so gib mir Kraft, Berge zu versetzen.
Herr, bist du es,
so mache mich heute noch gesund.
Herr, bist du es,
so lass den Club am nächsten Wochenende gewinnen.
Herr, bist du es,
so lass mich diese Schulaufgabe mit einer Drei bestehen.
Herr, bist du es,
so lass mich auf dem Wasser gehen.

Warum auf dem Wasser gehen?

Es gibt eine Geschichte über einen, der auf dem Wasser geht. Sie kommt angeblich aus dem Zen-Buddhismus. Ein junger Mönch lebt in einem Kloster mit vielen anderen Mönchen zusammen. Aber das reicht ihm nicht. Er will mehr. So geht er weg aus dem Kloster, fährt mit der Fähre über den Fluss und zieht sich auf einen Berg zurück in die Einsamkeit. Dort lebt er 25 Jahre, versunken in Meditation. Schließlich steht er auf, streckt sich wie nach einem langen Schlaf und geht den Berg hinunter zum Fluss. Ohne zu zögern, setzt er dort seinen Fuß auf die Wasseroberfläche und schreitet über das Wasser auf das Kloster zu, das er vor 25 Jahren verlassen hat. Am anderen Ufer waschen zwei Mönche gerade ihre Wäsche. Sie sehen den alten Mann kommen. Der eine Mönch fragt den anderen: „Wer ist das?“ Der andere sagt: „Das muss der Mann sein, der 25 Jahre in einer Höhle meditiert hat. Nun schau ihn dir an! Jetzt kann er auf dem Wasser laufen!“ "Das hätte er sich sparen können!" sagt da der erste. "Die Fähre kostet doch nur 50 Cent."

Wozu will man eigentlich auf dem Wasser laufen?
Wozu will Petrus auf dem Wasser laufen?
Die Fähre kostet doch nur 50 Cent.

Jesus hat Petrus tatsächlich auf dem Wasser laufen lassen.
Ein paar Schritte.
Dann war es vorbei.
Jesus musste Petrus herausziehen,
wie einen schweren Fisch.
Jesus aber streckte sogleich die Hand aus
und ergriff ihn und sprach zu ihm:
Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Ich bin doch geradewegs auf dich zugekommen.
Ich hab dir doch gesagt, wer ich bin.
Wenn du nur noch eine Minute auf deinem Platz geblieben wärst,
dann wäre ich neben dir gesessen,
neben dir und den anderen
und diese ganze Sache da auf dem Wasser
hätten wir gar nicht gebraucht.
Wozu willst du auf dem Wasser gehen?

Alle in einem Boot

Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich.
Gemeinsam sitzen wir im Boot.
Jesus ist dabei.
Der Sturm geht vorüber.
Die Sonne geht auf
und wir hängen die nassen Kleider zum Trocknen
über die Bootswand,
legen die Ruder beiseite und lassen uns etwas treiben.
Wir genießen die Zeit zusammen.
Singen ein Lied
von einem Schiff, das sich Gemeinde nennt.
Wir packen Essen aus:
Bratwürste im Brotteig und Spinattaschen
und Schnittchen.

Danach nehmen wir die Ruder wieder zur Hand.
Die Gemeindebriefe.
Die Posaunen.
Die Kirchenschlüssel.
Die Gesangbücher.
Das Heft mit den Kindergebeten.
Es gibt viel zu tun.
Wir rudern weiter.
Gegen die Wellen.
Und wenn es sein muss gegen den Sturm.
Wir sitzen in einem Boot.  
Jesus ist mit uns.
Hier ist unser Platz.

Amen.

Predigtlied: Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt (EG 589, Ausgabe für Bayern und Thüringen)


Die Predigt wurde inspiriert durch die Predigt „Why Did You Doubt?“ von Barbara Brown Taylor (in: dies., Bread of Angels, Cambridge / Boston, Massachusetts 1997, S. 119-122). Ihr ist auch die Geschichte über den Mönch, der über das Wasser läuft, entnommen.

 

Perikope
29.01.2017
4,22-27

Ein Stern für den Norden – Predigt zu Matthäus 4,12-17 von Nico Szameitat

Ein Stern für den Norden – Predigt zu Matthäus 4,12-17 von Nico Szameitat
4,12-17

Sie kann sich noch gut an damals erinnern. Was für ein Trubel da in Bethlehem. Und das auch noch kurz nach der Geburt. Am eindrücklichsten waren diese drei reichgekleideten Männer gewesen, die eines Tages kamen und wertvolle, aber doch seltsame Geschenke brachten. Maria hatte gar nicht gewusst, was sie ihnen anbieten sollte. Die Drei hatten von einem Stern gesprochen, dem sie gefolgt waren. Einem großen leuchtenden Stern.
Maria musste damals lächeln. Ihr Stern lag in ihrem Arm: Ihr Sohn, ihr Augenstern.
Doch das alles war schon lange her. Jesus war ein guter Junge. Eigentlich hatten Josef und sie gehofft, dass er den elterlichen Betrieb übernehmen würde. Dann wäre er Zimmermann geworden, hier in Nazareth. Oder irgendwo hier in der Gegend. Galiläa ist doch groß und schön.
Aber nein, eines Tages brach er auf. Er musste ja in das ach so schöne und feine Südreich mit der Hauptstadt Jerusalem. Maria hörte, dass er sich einem gewissen Johannes angeschlossen hatte. Der hatte ihn angeblich im Jordan untergetaucht und dann lief Jesus ihm hinterher. Und dann hatte sie gehört, dass dieser Johannes nun verhaftet worden war: wegen aufrührerischem Verhalten. Darauf stand die Todesstrafe.
Und dann stand er heute Morgen auf einmal wieder vor ihr: Ihr Sohn, ihr Augenstern.
„Ich hole nur meine Sachen“, sagte er.
Und dann war er wieder weg. Maria könnte heulen.

Da nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am Galiläischen Meer liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht: »Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das Galiläa der Heiden, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen im Land und Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.« Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!
(Mt 4,12-17, Lutherbibel 2017)

Jesus ist noch jung. Und er fängt gerade erst an, wie jeder junge Mensch.
Die erste Rebellion gegen die Eltern. Was ich beruflich mache – keine Ahnung! Bestimmt nicht, was ihr macht. Und ich bleibe bestimmt nicht in Nazareth oder Duisburg!
Und dann die Idole, die Vorbilder: Ich werde auch Model oder Sängerin, ich werde Täufer. Und dann kommt die erste Enttäuschung.
Sarah und Pietro trennen sich, das Supermodel hat Bulimie, und Johannes muss in den Knast.
Und dann heißt es, wirklich, endlich einen eigenen Weg zu finden.

Im Osten geht die Sonne auf, im Süden nimmt sie ihren Lauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen.
Alle Welt, alle Himmelsrichtungen stehen ihm offen, und er geht ausgerechnet nach Norden. Warum nur?
Habt Ihr schon gehört von Sebulon und Naphtali?
Sebulon und Naphtali: Zwei Söhne Israels. Zwei von Zwölfen.
Als in ferner Zeit die Zwölf in das Land Israel kamen, und jeder sein Gebiet erhielt, bekamen Sebulon und Naphtali ihr Land im Norden.
Schön gelegen, so zwischen Mittelmeer und See Genezareth, ein wenig im Gebirge.
Leider wohnten da schon Leute. Ärger, Streit, immer wieder.
Wer war hier zuhause und wer waren die Ausländer?
Und dann kam der Krieg. Kaum eine Gegend wurde so sehr gebeutelt wurde wie Sebulon und Naphtali. Unter fremder Besatzung. Rebellen gegen Regierungstruppen. Viele wurden vertrieben, andere flohen. Frauen wurden vergewaltigt, Männer ermordet.
Das war nun schon lange her. Doch der Ruf blieb. Irgendwie waren diese Gebiete die ungeliebten Stiefkinder Gottes. Der Norden, das friedlose, dunkle Land.

Jesus überschreitet die Grenze. Er zeigt in die Finsternis und macht sie hell. Weil er in die Finsternis, in den Norden geht. Bewusst oder unbewusst erfüllt er dabei die Prophezeiung Jesajas.
Und dann fängt er an und hält seine erste Predigt:
„Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“
Es sind wortwörtlich dieselben Worte wie bei Johannes. Jesus muss seinen Weg erst finden. Er muss seine Botschaft erst entdecken.
„Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“
„Kehrt um, denn Gottes Reich ist da.“
„Kommt raus aus euren Sackgassen, ich bin hier, das Licht der Welt.“
„Geht hin zu allen Völkern. Tauft sie und erzählt ihnen alles, was ich euch beigebracht habe.“
Das Licht, das er in den Norden gebracht hat, sollen die Jünger weitertragen in alle Welt.

Mitten in der Kathedrale von Canterbury sieht man auf dem Boden einen Stern, nicht weit vom Taufbecken entfernt. Es ist nicht irgendein Stern. Es ist eine Kompassrose, deren Strahlen in alle Himmelsrichtungen zeigen. Mit der Taufe fängt es an, wie bei Jesus.
Geht in alle Welt! Verlasst Eure Sackgassen und selbstgemauerten Kämmerlein. Oder zumindest: Schaut über den Tellerrand!
Schaut nach Sebulon, nach Naphtali und Aleppo, wo es dunkel ist!
Ihr müsst ja nicht persönlich dahin, aber vergesst die dunklen Orte nicht.
Haltet die Hoffnung wach auf den Frieden.
Erzählt von dem Licht.
Wer, wenn nicht wir Christen sollten von der Hoffnung erzählen?
Erzählt, was euch in dunklen Tagen trägt.
Er ist der Stern, wir sind (nur) die Strahlen.
Von ihm bekommen wir Licht und Kraft.
Amen.

 

Perikope
08.01.2017
4,12-17

Die Nacht ist schon im Schwinden - Predigt zu Matthäus 24,1-14 von Peter Haigis

Die Nacht ist schon im Schwinden - Predigt zu Matthäus 24,1-14 von Peter Haigis
24,1-14

Liebe Gemeinde,

das ist kein Besuch eines Baudenkmals, so wie wir es kennen. Stellen wir uns vor, wir besichtigten den Petersdom in Rom oder Notre Dame in Paris oder auch den Kölner Dom und der Reiseführer würde uns mit Schilderungen bedrängen, die die radikale Vernichtung dieser Bauwerke beschreiben. Sofort stehen da Bilder der Angst auf: Terror und Schrecken des sogenannten „Islamischen Staates“ ziehen die Spur seiner Verwüstung durch Europa.

Den Jüngern mag es ähnlich ergangen sein: Eben noch haben sie ihrer Bewunderung über die Tempelbauten in Jerusalem Raum gegeben, da bedrängt sie Jesus mit Zerstörungsphantasien und reißt damit auch die inneren Bilder ihrer Bewunderung, ja vielleicht sogar ihres Gottvertrauens nieder. Freilich, den Schrecken eines Terrorangriffs beschwört Jesus nicht. Damals waren es eher die brandschatzenden Truppen feindlicher Nationen, vor denen man sich fürchten musste: Kriege und Kriegsgeschrei, ein Königreich erhebt sich gegen das andere. Doch damit nicht genug. „Ihr werdet hören von Hungersnöten und Erdbeben. Falsche Propheten werden auftreten. Und ihr selbst werdet gefangen genommen und getötet werden.“ (Mt 24,7-9*)

Die Liste der Grausamkeiten, die Jesus aufzählt, nimmt kein Ende. Und das platzt hinein in die adventliche vorweihnachtliche Stimmung, die – bei allem süßlichen Kitsch, der sich da hinein mischt – doch Ausdruck einer tiefen inneren Sehnsucht in uns nach Frieden ist. Es wäre ein Leichtes, hier Parallelen in die Gegenwart auszuziehen. Jesu Schilderungen sozusagen nur zu verlängern um das, was uns die Nachrichten in den Medien täglich vor die Füße kippen. Doch das erscheint mir zu wenig und zu billig zu sein, an einem Sonntag im Advent. Wie die Jünger am Ölberg sitze ich zu Füßen Jesu, aber ich frage nicht: „Wann, Herr, wird das alles geschehen?“ Ich frage: „Und was willst du dem entgegensetzen? Du, der du doch unser aller Hoffnung bist – Gottes Sohn, sein Gesandter, der Christus, ein Helfer und ein Heiland. Wo ist deine Botschaft in alledem? Wo ist dein Evangelium?“

Ich kann es finden, dieses Evangelium, die gute Nachricht. Man muss lange lesen, doch am Ende scheint sie auf wie das Licht nach einer langen Nacht, wie die Morgensonne, die an Wintertagen sich besonders lange Zeit lässt, ihre Strahlen zu schicken. Am Ende eben doch: „Die Nacht ist schon im Schwinden“. (eg 16)

Es beginnt mit einem ersten Vorboten, ein schwacher Widerschein, nur am Horizont. Und doch eine Ahnung von Licht: In Vers 12 sagt Jesus: „Weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten“. Für mich ist das ein erster Schlüssel zum Verstehen all dessen, was hier geschieht und aus göttlicher Perspektive beschrieben wird. Es ist noch nicht die Heilsbotschaft selbst, aber ihre Ankündigung, ihre Vorbereitung: Die Ungerechtigkeit nimmt überhand und die Liebe erkaltet. Und beides steht in einem ursächlichen Zusammenhang. Vielleicht ist es eine Wechselbeziehung.
Vielleicht könnte man es auch umdrehen: Die Liebe erkaltet und die Ungerechtigkeit nimmt überhand. Spitzfindigkeiten! Entscheidend ist für mich, wie Jesus den Blick auf die Liebe richtet, die – eigentlich – zwischen Menschen regieren sollte. Und sie erkaltet.

Es ist kalt geworden zwischen den Menschen. Man begegnet sich mit Misstrauen und Missgunst. Statt der Liebe regieren die Emotionen der Wut und des Hasses. Ihnen freien Lauf zu lassen, ihnen eine Sprache zu geben, gilt als Meinungsäußerung. Aber dürfen freie Meinungsäußerungen andere verletzen und niedertreten? Egoismus und Selbstsucht machen sich breit – und das in einer Gesellschaft, die es sich immerhin leistet, verkaufsoffene Samstage und Sonntage vor Weihnachten zu etablieren, damit die Millionen, die sich der Handel erhofft, auch umgesetzt werden. Dies auch in einer Gesellschaft, in der die Arbeitslosenquote stetig abnimmt und das verfügbare Kapitaleigentum stetig wächst. Gewiss, es gibt sie die sogenannten Globalisierungsverlierer. In anderen Ländern zwar mehr als bei uns, aber es gibt sie auch hierzulande. Doch ich frage mich: Warum finden sie keine effektive Hilfe in diesem reichen Land? Warum regiert das Gesetz der Straße mit lautstarken Parolen des Hasses? „Weil die Ungerechtigkeit überhandnimmt, ist die Liebe in vielen erkaltet.“ (Mt 24,12)

Die Nacht ist schon im Schwinden, das Licht geht auf – auch in Jesu Rede über die sogenannte Endzeit. „Endzeit“ – das ist nicht das, was am Ende aller kosmischen oder auch nur menschheitlichen Tage geschieht. „Endzeit“ ist nach meinem Verständnis immer wieder dann, wenn es mit einem einfachen „Weiter so!“ eben nicht mehr weitergeht, wenn sich etwas ändern muss, wenn etwas endet, damit es sich wendet.

Gleich einen Vers später wird es noch eine Stufe heller an diesem winterlichen und kalten Morgen, in dem ich mich mit Jesu Worten und in meiner Weltzeit vorfinde. „Wer beharrt bis ans Ende, der wird selig werden“, sagt Jesus in Vers 13. Auf den ersten Blick irritiert mich dieser Satz. Also doch: Augen zu und durch! Es hört sich ja ganz so an, ganz und gar fatalistisch. Da fliegt euch die Welt um die Ohren, die Ungerechtigkeit nimmt überhand, die Liebe erkaltet, ihr aber haltet fein und still aus in euren Kämmerlein, auch in den Kämmerlein eurer Herzen! Haltet sie nur schön rein! Kann es das sein, sich den stillen inneren Seelenfrieden zu bewahren, wenn „draußen“ das Toben und Wüten kein Ende nehmen will?

Ich beziehe Jesu Wort aus Vers 13 nicht auf das Ausharren und Aushalten in einer Situation der Bedrängnis, wie er sie zuvor geschildert hat. Nicht auf das geduldige Ertragen des Martyriums. Ich beziehe es auf den unmittelbar vorangegangenen Vers: Die Ungerechtigkeit nimmt überhand, die Liebe erkaltet – wer aber in der Liebe beharrt, der wird selig werden. Das bedeutet: Haltet sie am Brennen, die Flamme der Liebe! Haltet sie am Brennen, diese schwach glimmenden Lämpchen, die gerade in diesen Morgenstunden so wichtig sind, die noch ein wenig ihren Schein verbreiten müssen, bis das Licht aufgeht.

Wer in der Liebe beharrt, der wird selig werden, denn selig sind die Sanftmütigen und die Friedfertigen, selig sind die Barmherzigen und die, die reinen Herzens sind. (Mt 5,5-9*) Jesu Auftakt zur Bergpredigt ist Zuspruch, aber er ist auch Zuweisung, eine Art Auftrag, seine Liebe zu üben.

Und nun das wirkliche Ende, die Wende, der Aufgang: „Siehe, ich mache alles neu!“ (Off 21,5) Die dürftigen Flämmchen unserer Liebe werden nicht ewig brennen und schon gar nicht werden sie die nötige Wärme bringen. Unsere Kraft ist zu schwach, unsere Reserven sind zu bald erschöpft. Wir vermögen das Reich Gottes nicht zu errichten. Ende, Wende und Neuanfang können nur geschehen, wenn sie aus Gottes Ursprung selbst hervorquellen, aus seiner Schöpfermacht. Doch genau mit diesem Ausblick schließt auch Jesus am Ende dieses Abschnitts: „Das Evangelium vom Reich wird gepredigt werden in der ganzen Welt“.(Mt 24,14) Das ist nur noch zu einem kleineren Teil unsere Sache. Verkündigen – das können wir. Bezeugen, aus welcher Kraft unsere Liebe auf kleinster Flamme brennt, weiterbrennt, wenn sie schon überall sonst erkaltet. Aber wirken können wir es nicht. Dass auch da steht, was gesprochen wird, dass das Reich des Evangeliums gebaut werde – das ist seine, Gottes, Christi Sache.

Uns bleibt an diesem Ende das Vertrauen. Und damit schließt sich der Kreis. Damit kehrt Jesus zum Anfang seiner Botschaft zurück: „Tut Buße, kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,14) Ohne Vertrauen auf Gottes Handeln in dieser Welt werden wir nichts ausrichten, sondern verzweifeln. Eine Welt, die dem Menschen und seiner Selbstsucht überlassen bleibt, ist vom Niedergang bedroht – das ist die ebenso bittere wie realistische Einsicht, die Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern gegenüber betont. Doch sie ist nicht das letzte Wort. Das letzte Wort hat Gott. Und er will unermüdlich, unbeirrbar die Heilung von Mensch und Erde. Er wird es auch tun – doch bis dahin halten wir unsere Lämpchen am Brennen und die kleine Flamme der Liebe am Glimmen.
Amen.

 

Perikope
04.12.2016
24,1-14

Noch nicht das Ende - Predigt zu Matthäus 24,1-14 von Christian Stasch

Noch nicht das Ende - Predigt zu Matthäus 24,1-14 von Christian Stasch
24,1-14

„Ich kann nicht mehr. Was, zwölf Kilometer noch? Ich bin am Ende“, seufzt Mike. Keucht er, ächzt er.
Das ist nun doch alles etwas hart für ihn. Sein erster und vielleicht auch letzter Marathon. Spaß in dem Sinne macht das überhaupt nicht. Ja, er hat sich vorbereitet, hat trainiert. Aber so schlimm, so brutal hat er sich nicht ausgemalt.
Die Beine sind ja seit Kilometer fünfzehn wie Blei. Er bekommt sie kaum noch hoch vom Asphalt.
„Wie lang ist es denn noch? Was, noch elf?“
Die Atmung flach, als wäre sein Brustkorb in ein Korsett eingespannt.
Der Bauch tut weh, dreht sich, „gleich übergebe ich mich, ich will nach Hause aufs Sofa.“
Eine andere Stimme in ihm: „Komm schon. Ausharren, Durchhalten, bis zum Ende!“
Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Wie lange noch? Ich bin jetzt schon am Ende.

„Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende“, sagt auch Sonja, seufzend.
Nach 22 Ehejahren. „Hätte nie gedacht, dass wir uns so auseinanderleben.“
Gespräche mit Freundinnen gab es viele. Paarberatung auch. Hat alles nichts gebracht.
Die Ehe ist ihr eigentlich ein hohes Gut. „Aber, Mensch, wie lange denn noch?“
Und wenn´s auf Trennung hinausläuft?
Das hat sie nie gewollt. Sie hat Angst davor, Angst was dann kommt: sich die Kinderzeiten aufteilen, den Frust und die Wut auf deren Rücken austragen?
Und wie wird es mit dem Alleinleben klappen?
Aber was soll´s, es ist einfach aussichtslos. Die Liebe, die einst so heiß war, ist in ihnen erkaltet, im Laufe der Jahre. Eisschrank statt Backofen.
War nicht ihr Traum. Aber um Träume geht es jetzt nicht. Sie muss den Tatsachen ins Auge schauen.
Eine innere Stimme sagt ihr: „Komm schon. Ausharren, Durchhalten, bis zum Ende.“
Aber: Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Ich bin jetzt schon am Ende.

Der Marathon von Mike läuft nicht wie erhofft.
Die Ehe von Sonja läuft nicht wie erhofft.
Das Leben läuft nicht wie erhofft. Auch nicht in der Adventszeit 2016.

Kein vernünftiger Mensch erhofft sich das Leid, das in unserem Predigttext Punkt für Punkt aufgezählt wird, als wäre es die Tagesschau: Krieg, Hungersnot, Erdbeben, Verfolgung.
Verknüpft mit Frage: „Seht ihr das alles nicht?“
Ja. Wir sehen. Sie passieren: Die Kriege in Syrien und im Irak, die Katastrophen in Haiti und Italien, die Niederlagen im politischen wie im persönlichen Leben, die Enttäuschungen.

Sie passieren. Und wir leiden darunter.
Auch wir gläubige Menschen leiden, denn wir haben kein dickeres Fell als andere, wir sind nicht abgebrüht und cool.
Wir Christen nicht, und Juden auch nicht, und Muslime auch nicht.

Und wie nun also umgehen mit den Erfahrungen und Zuständen, die zum Himmel schreien?
Man kann die Augen davor verschließen, man kann die Dinge schönreden, das hilft aber auf Dauer auch nicht.

Was hilft?
Könnte es vielleicht helfen, sich schon vorher die Dinge möglichst realistisch und vielleicht sogar auch durchaus negativ auszumalen?
Hätte es einem Läufer wie Mike geholfen, sich gar nicht so auf das Event zu freuen, also sich schon vorher klar zu machen, dass ein Marathon ungesund, knüppelhart und vielleicht auch zum Kotzen ist?
Hätte es einer Heiratswilligen wie Sonja geholfen, sich schon vor der Ehe auch über das mögliche Scheitern Gedanken zu machen, um dann nicht so negativ überrascht zu sein?
Ich bin skeptisch. Besonders sympathisch ist mir so ein Leben mit angezogener Handbremse nicht.

„Erschreckt nicht.“ So lautet ein Ratschlag in unserem Predigttext angesichts des Leids.
Und weiter wird dort argumentiert: Gewisse Dinge müssen geschehen. Es gibt eine Art festen Zeitplan. Da sind die negativen und bedrängenden Dinge mit enthalten, stehen aber nicht am Ende, haben nicht da letzte Wort. So wie die Wehen innerhalb der Schwangerschaft: Erst der Schmerz der Wehen und der Geburt, dann anschließend das Glück über das neugeborene Kind.
„Komm schon. Ausharren, Durchhalten, bis zum Ende.“ intoniert der Predigttext.
Kann das helfen? Trösten? Stabilisieren?

Mike – der vielleicht doch aufgeben musste.
Bei Kilometer 36 ausgestiegen ist. Eine Woche geknickt war. Jetzt hält er sich an die halbe Strecke: 21,1 statt 42,2 Kilometer – auch kein Pappenstiel. Aber er ist dankbar dafür, dass er die schafft.

Sonja – die sich vielleicht doch von ihrem Mann getrennt hat. Aber dankbar dafür ist, dass sie ziemlich guten Kontakt zueinander haben. Was die Kinder betrifft, aber auch sonst. Komischerweise ist es sogar besser geworden als vor der Trennung. Da war am Ende nur Schweigen, jetzt reden sie wieder miteinander.

Wir feiern Advent nicht als „fertige“ Menschen, sondern als ergänzungsbedürftige Menschen.
Trinken unseren Glühwein und essen den Stollen nicht als selbstzufriedene, sondern als sehnsüchtige Menschen.
Das, was uns zu schaffen macht an eigenem und fremdem Leid, das schieben wir nicht beiseite, sondern bringen es mit.
Anders sind wir nicht zu haben. Dem Slogan „Alles gut“ begegnen wir mit gesundem Misstrauen.

Ein beliebtes Argument gegen Gott lautet: „Wenn es ihn gäbe, dürfte es all das Leid in der Welt nicht geben.“ Ich würde mich verheben, wenn ich das Leid in der Welt erklären wollte, manches ist menschengemacht, anderes aber auch nicht.
Das Leiden an und in der Welt kann uns von Gott wegbringen, zugleich kann es uns aber auch zu Gott hinführen.
Ich bin froh darüber, eine Adresse für meinen Kummer und meine Klagen zu haben. Und ich bin froh darüber, einen ganzen Rucksack mit mir herumzutragen, voller Hoffnungsbilder und Hoffnungsgeschichten. Ich trage sie und ich werde getragen.
Dass Gott mir im Advent entgegenkommt, mein durchwachsenes Leben und meine Enttäuschungen teilt – das ist eines dieser Hoffnungsbilder.
Mit den Worten eines Adventsliedes:

Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her. (eg 16)

Jochen Klepper hat dieses Lied geschrieben. Er ist ein Meister darin, Hoffnungsbilder in Sprache zu fassen. 1903 wird er in Schlesien geboren, er studiert Theologie, aber nicht zu Ende. Er arbeitetet bei einer Zeitung. Er verliebt sich in Johanna, eine jüdische Frau, die 13 Jahre älter ist als er und schon zwei Kinder hat, Brigitte und Renate. Viele, auch in seiner eigenen Verwandtschaft, schütteln den Kopf darüber. Heirat, Umzug nach Berlin, beruflicher Erfolg. Aber immer wieder wird Klepper beim Hör-Funk und beim Verlag vorübergehend freigesetzt. Bemerkung: Frau ist Jüdin.
Sie halten sich durch zwei Bücher über Wasser, die sich hervorragend verkaufen: „Der Kahn der fröhlichen Leute“ – eine literarische Liebeserklärung an die Oder, die sich durch Schlesien und Pommern windet. Und dann das Buch „Der Vater“ – über den „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. Es wird 1937 zum Lehrstück für die aktuelle Zeit, denn es beschreibt den „Soldatenkönig“ als den, der den Krieg meidet. Und der als „Landesvater“ ein Beispiel für Recht und Gnade ist und in allem auch nach Gott fragt. Erster Diener des Staates und kein Führerkult. Klepper erhält Lob von vielen Seiten, gerade auch preußische Offiziere der Wehrmacht greifen zu diesem Lesestoff.
Aber das persönliche Leben der Kleppers wird immer schwieriger. Ihnen wird wegen ihrer „nicht-arischen“ Situation das Leben zunehmend zur Hölle gemacht. Die Töchter dürfen nicht mehr in die Schule. Es gelingt immerhin, dass die Tochter Brigitte noch nach England ausreisen kann.
10. Dezember 1942: Drei leblose Gestalten liegen auf dem Küchenboden. Johanna Klepper in der Mitte, ihre Tochter Renate rechts von ihr. Links Jochen Klepper. Und neben ihnen einige leere Schachteln Schlafmittel.
Ein paar Stunden zuvor hatte er die Mitteilung erhalten: Renate darf nicht ausreisen. Damit wurde die Bedrohung übermächtig. Denn vier Tage nach dem Tod wird der Berliner Osttransport Nr. 25 eingesetzt. Zielpunkt: Auschwitz. Kleppers letzter Tagebucheintrag: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott. Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“

Liebe Gemeinde, ein Glaubensmärtyrer des 20. Jahrhunderts. Ich lasse mir von ihm gern etwas ins Stammbuch schreiben und nehme es als Glaubensstärkung mit in diesen Advent, für mich, und für alle Mikes und alle Sonjas:

Beglänzt von Stern und Lichte,
hält uns kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte
kam (und kommt) uns die Rettung her. (eg 16)

Einen gesegneten 2. Advent!
Amen.

 

Perikope
04.12.2016
24,1-14

Wer aufbricht, kann hoffen

Wer aufbricht, kann hoffen
5,1-11

Die Predigt halten der sächsische  Landesbischof  Dr. Carsten Rentzing und sein katholischer Amtsbruder Heinrich Timmerevers, Bischof des Bistums Dresden-Meißen.

 

Bischof Heinrich Timmerevers:

Liebe Schwestern und Brüder!

Im Frühjahr 1986 stand ich, 200 Meter von hier entfernt, als junger Priester zusammen mit einigen Priesterkandidaten aus Münster auf meiner ersten Reise in die DDR vor den Ruinen der Frauenkirche und den Trümmerhaufen übriggebliebener Steine dieser Kirche, die gleichsam auf den Wiederaufbau warteten. Diese Bilder haben sich mir eingeprägt, ich habe sie lebendig vor Augen! Damals habe ich mich gefragt, wird sie je wieder aufgebaut, diese Frauenkirche? Wohl kaum, habe ich gedacht! Noch weniger habe ich mir vorstellen können, dass ich 30 Jahre später – heute – in der wiederaufgebauten Frauenkirche als Bischof des Bistums Dresden-Meißen hier stehen und zu Ihnen sprechen würde!

Liebe Festgemeinde!

Vor 26 Jahren durfte Deutschland im Nachgang der Friedlichen Revolution die Wiedervereinigung nach der leidvollen Teilung vollziehen und feiern. Bis heute bleibt das ein atemberaubendes Ereignis und ein großes Geschenk! Wenn es das nicht gegeben hätte, könnten wir heute diesen Gottesdienst hier nicht feiern!

Das Leben in Freiheit ist ein großes Geschenk! An diesem Tag kann uns das neu bewusst werden. 70% aller Menschen leben heute in Staaten, in denen Religionsfreiheit großen Beschränkungen unterworfen ist. Vielleicht suchen auch deswegen so viele Menschen Schutz und Geborgenheit in Europa. Wir sind dankbar, dass wir unsere Religion, unser Christsein, in diesem Land hier so selbstverständlich leben können. Viele erahnen schon gar nicht mehr, dass dies im weltweiten Maßstab gerade nicht selbstverständlich ist!

Geschenkte Freiheit! Einem Menschen wird etwas geschenkt, was er im Tiefsten seines Herzens erhofft. Er konnte es selbst nicht machen und es fällt ihm überraschend zu! Wer sich unverhofft beschenkt weiß, der wird in seinem Herzen dankbar!

Vor wenigen Tagen bin ich dem Kaplan der Hofkirche begegnet, der am 8. Oktober 1989 an der Demonstration auf der Prager Straße in Dresden teilgenommen hat. Die Volkspolizei hatte am Abend hunderte Menschen eingekesselt, die auf die durchrollenden Züge der Prager Botschaftsflüchtlinge aufspringen wollten. Er hat mir die Situation geschildert. Zusammen mit einem anderen Kaplan gelang es ihm, aus der Menschenmenge herauszutreten und mit einem Volkspolizisten zu sprechen, der wider alle Erwartung offen war für das Anliegen der Demonstranten. Dieser mutige Schritt der beiden gläubigen Christen mit dem Vertrauen auf die Mitwirkung Gottes hat das Tor geöffnet für eine friedliche Revolution. Dass die Sehnsucht nach Freiheit sich ohne Blutvergießen eine Bahn brechen konnte, ist ein solches Geschenk, das wir als gläubige Menschen bei all unserem Mühen als Gabe Gottes sehen dürfen.

Beim Wiederaufbau der Frauenkirche wurde unter den Trümmern auch das Kuppel-Kreuz gefunden, das nun hier in der Kirche seinen Platz gefunden hat. Dieses Kreuz ist gezeichnet von der Wucht der Zerstörung, und doch ist es nicht untergegangen! Was für ein Zeichen!

Mit Jesus Christus, der am Kreuz gestorben durch Gottes Macht vom Tode auferstanden ist, wird das Kreuz zu dem christlichen Hoffnungszeichen.

Beim Wiederaufbau der Frauenkirche wurde unter den Trümmern auch das Kuppel-Kreuz gefunden, das nun hier in der Kirche seinen Platz gefunden hat. Dieses Kreuz ist gezeichnet von der Wucht der Zerstörung, und doch ist es nicht untergegangen! Was für ein Zeichen!

Mit Jesus Christus, der am Kreuz gestorben durch Gottes Macht vom Tode auferstanden ist, wird das Kreuz zu dem christlichen Hoffnungszeichen. - Unter dem Kreuz wurden und werden Menschen aufgerichtet und wagen ihren Weg in eine unbekannte Zukunft.

Wenn der Christ auf das Kreuz schaut, kann er nie bei sich selbst stehen bleiben. Er ist herausgefordert, helfend und heilend sich dem Menschen zuzuwenden, der in Not ist! Jesus Christus ruft uns, in jedem Notleidenden ihn selbst zu sehen und dem Nächsten konkret zu helfen. Der Dienst der Nächstenliebe von Mensch zu Mensch ist für die Gesellschaft, ist für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums von entscheidender Bedeutung. Überall da, wo der Mensch, der Christ diesem Dienst am Mitmenschen nachkommt, gewinnen wir als Christen Glaubwürdigkeit. Nicht zuletzt deswegen rief Papst Franziskus das Jahr der Barmherzigkeit aus und unterstreicht so die Notwendigkeit der „horizontalen Dimension“ des Kreuzes.

Barmherzigkeit im Zeichen des Kreuzes gehört zum Fundament des Christentums. Ohne Barmherzigkeit kann es keine wirkliche humane Gesellschaft und keine menschenfreundliche Religion geben.

Was kann uns beständig daran erinnern? Dazu ein Wort in ökumenischer Verbundenheit mit der „Sprachmusik“ aus Martin Luthers Morgensegen. Vor dem eigentlichen Morgen- und auch Abendsegen gibt uns der Erfurter Mönch und Wittenberger Theologe einen einfachen und dennoch immer wieder vergessenen Hinweis: „Des Morgens, wenn du aus dem Bette fährst, sollst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes.“

Liebe Schwestern und Brüder, ich lade Sie ein, sich täglich mit dem Zeichen des Kreuzes zu segnen, indem wir es unserem immer wieder ermüdeten und resignierten Dasein von der Stirn bis zur Brust, von einer Schulter zur anderen tatsächlich einzeichnen. Mit der Hoffnung auf Gottes Beistand geben wir unseren Beitrag zu einer menschenfreundlicheren Welt.

Landesbischof Dr. Carsten Rentzing, Predigt II

"Seid freundlich und herzlich untereinander". Oft ist das leichter gesagt als getan.

Immerhin leben wir in unruhigen Zeiten. Diese Unruhe greift nach uns, privat und gesellschaftlich. Unruhe kann auch produktiv sein. Gerade darin lag ja das Wunder der friedlichen Revolution. Heute sind wir bedroht von Zerwürfnissen, die in Unfrieden zu münden drohen. Unsere Gesellschaften, sogar unser ganzer Kontinent zerspalten sich an den Fragen der Gegenwart und Zukunft. Die Länder Europas streiten sich. Flüchtlinge irren umher. Terroristen säen mit ihren Morden Angst und Misstrauen. Hass erfüllt die sozialen Netzwerke.

In dieser angespannten Situation appelliert die Bibel: „Strebt voll Eifer nach Frieden mit allen“. (Hebräer 12,11) Das klingt weltfremd und vollmundig: Frieden mit allen! Aber Frieden ist eben nicht irgendeine zusätzliche Gabe. Friede ist vielmehr der Grund, auf dem ein segensreiches Leben überhaupt nur möglich ist. Die Erfahrung der zwei Weltkriege hat diese Erkenntnis tief in die Herzen der europäischen Völker eingebrannt. Und die kriegerischen Auseinandersetzungen der Gegenwart sollten uns eigentlich neuerlich daran erinnern, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit darstellt.

Das Nagelkreuz der zerstörten Kathedrale von Coventry mahnt uns auch in dieser Kirche daran, dies niemals zu vergessen.

In der rauchenden Ruine der Kathedrale von Coventry wurden nach der Zerstörung durch deutsche Bomben im 2. Weltkrieg aus dem Gebälk des Deckengewölbes einige mittelalterliche Zimmermannsnägel geborgen. Drei dieser Nägel sind später zu einem Kreuz zusammengefügt worden. Aus Teilen der Zerstörung entstand somit ein neuer Hinweis auf die christliche Hoffnung.

In den Schriften der Bibel meint das Wort Frieden allerdings noch mehr als die Abwesenheit von Waffengewalt. Frieden bedeutet dort eine umfassende Ordnung, die den einzelnen Menschen und die Völker geborgen sein lässt. Frieden umfasst deshalb auch Gerechtigkeit und Freiheit. Allen Menschen sollen wir solchen Frieden gewähren. Es ist gut für ein Volk an seinem Nationalfeiertag ein solches Wort zu hören. Es ist gut, an einem solchen Tag selbstkritisch zu fragen: Wie kann ich zum Freiden beitragen, wenn Menschen beleidigt und ausgegrenzt werden – in der Schule, in der U-Bahn, im Parlament, in den Kirchengemeinden?

Wir Christen distanzieren uns entschieden vom Geist des Unfriedens und der Gewalt, denn dieser Geist zerstört und  setzt die Grundlagen für ein gesegnetes Leben aufs Spiel. Dieses Land braucht den Geist des Friedens. Es braucht Menschen, die mit Eifer nach diesem Geist des Friedens streben.

Wie in der Zeit der friedlichen Revolution. So wie damals sollen wir auch heute ein Segen sein. Für unsere Familien. Für unsere Nachbarn. Für unsere Städte. Für unser Land. Darum lasst uns mit Eifer nach Frieden suchen – zusammen mit allen Menschen guten Willens.

Wir haben in diesem Gottesdienst schon vom Zeichen der Christen, dem Kreuz, gehört. Dieses Kreuz wird durch zwei Balken gebildet. Der horizontale Balken des Glaubens öffnet den Blick und die Arme nach links und nach rechts in die Welt hinein, die uns umgibt.

Christinnen und Christen sind dabei erfüllt vom Geist der Barmherzigkeit, der durch sie in unsere Welt fließen soll. Und sie vereinen sich darin mit all jenen, die ebenfalls barmherzig handeln. Es ist diese Barmherzigkeit, die unser Land so lebenswert macht, dass es zum Hoffnungspunkt für viele in dieser Welt wird. Freilich kann der horizontale Balken schnell zur Überforderung führen, wenn er nicht verbunden wird mit dem vertikalen Balken. Dieser vertikale Balken lenkt unsere Blicke empor. Er richtet sie aus auf Gott. Und dieser Blick ist heilsam. Frieden ist nicht allein das Werk der Menschen. Friede ist vielmehr Ziel des göttlichen Handelns. Friede ist göttlichen Ursprungs. Das gibt der Aufforderung, dem Frieden nachzujagen eine besondere Würde und damit eine besondere Dringlichkeit. Aber es entlastet uns Menschen zugleich auch.

Wir stehen in allem, was wir tun und lassen in Verantwortung vor Gott. So wie es auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes formuliert haben. Aber wir dürfen uns gerade auch deshalb im Gebet an ihn wenden. - Er lässt uns in unserem Eifer für den Frieden nicht allein.

Das ist die Zuversicht des Glaubens, mit der dieses Gotteshaus einst errichtet wurde. Lasst uns mit dieser Zuversicht aufbrechen. Lasst uns den Herrn bitten für unser Land. Möge sein Frieden dieses Land und alle Menschen, die darin leben, erfüllen und uns eine gesegnete Gegenwart und Zukunft schenken. Amen.

Perikope
02.10.2016
5,1-11

Ansprache zur Trauerfeier im Münchner Dom am 31.7.16

Ansprache zur Trauerfeier im Münchner Dom am 31.7.16
Mt 11,28-29

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ (Mt 11,28-29).

Ja, mühselig und beladen sind wir. Und wir bringen heute unsere Trauer, unser Erschrecken unsere Sorge um die Zukunft vor Gott. Hier im Münchner Dom und zusammen mit allen anderen, die jetzt über das Fernsehen dabei sind, teilen wir unsere Mühsal miteinander und mit Gott. Wir brauchen diese Gemeinschaft. Wir brauchen einander. Den Angehörigen der Toten kann niemand ihre Lieben wiedergeben. Aber wir können über alle religiösen und kulturellen Grenzen hinweg ihr Leid mittragen. Wir haben eben Worte des Gebets aus Judentum, Christentum und Islam gehört. Diese Worte haben Sprache gegeben für das Vertrauen, aus dem wir Gottsucherinnen und Gottsucher leben.

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. … so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ – für uns Christen sind diese Worte Jesu die große Hoffnung. Und diese große Hoffnung schafft uns – und vielleicht ja nicht nur uns – den Raum, um jetzt innezuhalten.

Nach dem Erschrecken der Tatnacht, dem Versuch zu verstehen, was da eigentlich passiert war, nach weiteren schlimmen Nachrichten von anderen Orten in und außerhalb Bayerns im Laufe dieser Woche und den politischen Diskussionen um die richtigen Reaktionen darauf, die nun längst entflammt sind, ist es heute Zeit, jenseits all dieser Diskussionen noch einmal innezuhalten. Denn uns alle bewegt die Frage, wie wir jetzt in die Zukunft gehen sollen, wie wir jetzt in die Zukunft gehen können.

Viele Menschen haben Sorge, manche haben Angst. Und keine noch so überzeugende Statistik über das unvergleichbar höhere Risiko, Opfer eines Autounfalls zu werden, kann die Bilder von der so plötzlich mitten in den unbefangenen Alltag einbrechenden Gewalt einfach löschen: Statistiken erreichen den Verstand. Bilder legen sich auf Herz und Seele.

In dieser Situation haben alle Verantwortung an ihrem jeweiligen Ort. Diejenigen, die politische Verantwortung tragen, müssen nach rechtsstaatlich tragfähigen Wegen suchen, um das Risiko weiterer Gewaltakte soweit wie möglich zu begrenzen. Alle, die medizinische und soziale Anzeichen für mögliche Gewalttaten erkennen können, müssen Frühwarnsysteme entwickeln, die entsprechende Planungen rechtzeitig stoppen helfen. Die Medien müssen ihre Berichterstattung reflektieren und für die Zukunft unterscheiden lernen, wo sie ihre Informationspflicht erfüllen und wo sie zu einer möglichen Hysterie beitragen, die niemandem hilft. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften müssen sich um die Seele der Menschen, die Seele der ganzen Gesellschaft sorgen und Quellen der Zuversicht erschließen.

Es gibt vielleicht nichts, was uns in dieser Situation mehr helfen kann als neues Gottvertrauen. Das Vertrauen, dass – wie der Apostel Paulus sagt – „weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes“. Ein Vertrauen, was uns von der Lähmung in eine neue Freiheit führt, die am Ende das schlimme Ereignis, das uns heute zusammenführt, zum Ausgangspunkt einer neuen Kraft werden lassen kann.

Alle miteinander haben wir die Endlichkeit des Lebens vor Augen geführt bekommen. Der Tod ist auch sonst da, aber wir meiden ihn. Wir schieben ihn zur Seite, wo immer wir können. Wir ertragen ihn nur im Spielfilm am abendlichen Fernsehbildschirm. Vielleicht ertragen wir ihn auch noch, wenn wir ihn in den Nachrichten sehen und er weit weg ist. Und jetzt ist er aus dem Nichts heraus so nahe gekommen. Viele von uns hier in München konnten die Häuser nicht mehr verlassen oder hingen irgendwo in der Stadt fest. Ich höre noch immer das Knattern der Hubschrauber direkt über meinem Büro und die Polizeisirenen ringsum.

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ – heißt es in der Bibel. Vielleicht können diese Tage des Erschreckens über die Endlichkeit des Lebens Ausgangspunkt für eine neue Klugheit im Umgang mit unserem Leben sein. Indem wir merken, wie wenig selbstverständlich das Leben ist. Indem wir wahrnehmen, wie kostbar das Leben ist. Wie kostbar die Zeit mit unseren Lieben ist. Aus der Trauer, die wir jetzt empfinden, aus dem Erschrecken über das jähe Ende des Lebens der Menschen, die wir heute betrauern, kann etwas Neues wachsen: eine neue Achtsamkeit für die Kostbarkeit des Lebens. Ein neues Bewusstsein für das wunderbare Geschenk des Lebens.

Nehmt das mit aus diesem Gottesdienst. Denkt daran, wenn ihr nach Hause geht, wenn die Worte hier zu Ende gesprochen und die Trauermusik verklungen ist: Es ist nicht selbstverständlich, dass wir leben, dass wir unsere Lieben bei uns haben. Unsere Zeit ist endlich. Deswegen, werft sie nicht weg. Nehmt die Zeit aus Gottes Hand und nutzt sie. Lebt bewusst und: vergesst nicht, zu danken!

Viele Menschen hier in München haben gezeigt, dass wir der Gewalt nicht hilflos ausgeliefert sind. Sie haben mitten in der Angst und in dem Erschrecken über die Gewalt Zeichen der Menschlichkeit gesetzt. Wir haben in diesen schweren Tagen erlebt, wie reich unser Leben wird, wenn wir aufeinander achten und zusammen stehen. Wenn wir einander nicht Konkurrenten sind, sondern Mitmenschen. Wenn wir unsere Häuser füreinander öffnen und Gemeinschaft erfahren. Wenn wir nicht nach Hautfarbe, Nationalität oder Religion fragen, sondern nur danach ob einer unsere Hilfe braucht. So wie es die äthiopische Gemeinde gezeigt hat, die die ganze Nacht über 60 Personen beherbergte, die sich dorthin geflüchtet hatten. Oder wie es der anonym gebliebene Mann aus Tunesien gezeigt hat. Er hat gestrandeten Menschen in der Münchner Amoknacht spontan angeboten, sie nach Hause zu fahren. Ein Ehepaar hat ihm mangels Namen und Adresse über einen Leserbrief in der Zeitung gedankt. Es war von ihm mitgenommen worden, als der Unbekannte bereits seine neunte Fuhre beförderte. Er hat den Segen eines Menschen erfahren, der einfach nur anderen helfen wollte.

Der anonyme Helfer ist damit zusammen mit vielen anderen zum Zeugen dessen geworden, was Dietrich Bonhoeffer in schwerer Zeit im Widerstand gegen den Nationalsozialismus so formuliert hat:

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

Aus diesem Vertrauen lasst uns leben. Hass und Gewalt werden keine Macht über unsere Herzen gewinnen. Die Liebe ist stärker.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN.

Ein mutiger Sklave unterwandert das Finanzsystem - Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Margot Runge

Ein mutiger Sklave unterwandert das Finanzsystem - Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Margot Runge
25,14-30

Einleitung zu Beginn der Predigt: "Besonders hohe Renditen erzielte in den vergangenen zwölf Monaten etwa der Aberdeen Global Indian Equity Fund. Vor allem ein Regierungswechsel katapultierte die Börse auf dem Subkontinent in neue Höhen und der Fonds legte um 51 Prozent zu. Auf Drei-Jahres-Sicht zählt der Franklin Biotechnology Fund mit durchschnittlich 46 Prozent Jahresplus zu den Besten. Besonders attraktiv für Sicherheitsorientierte war der Emerging-Markets-Bond-Fund von Aberdeen. Er erzielte auf Fünf-Jahres-Sicht elf Prozent Plus per annum. Alle drei wurden im Fondstacho der Ratingagentur Assekurata mit ‚sehr gut‘ bewertet." http://www.handelsblatt.com/finanzen/vorsorge/altersvorsorge-sparen/fondspolicen-im-vergleich-teil-vii-mehr-rente-mit-spezial-investments/11023456.html

Lesung Mt 25,14-30

In dieser Beispielgeschichte hören wir bei den "Talenten" im Hinterkopf vor allem „Fähigkeiten“. Du hast ein Talent. Wir verstehen es sofort im übertragenen Sinne. Doch die Leute, denen Jesus diese Geschichte ursprünglich erzählt hat, wussten, was ein Talent wirklich ist: ein riesiger Barren Silber, so viel, wie ein Mensch gerade noch tragen kann, 30 bis 40 Kilogramm. Ein Talent, das sind 17 Jahreseinkommen einer armen Familie (à 350 Denare). Und die 8 Talente eines Investors, die investiert werden, entsprechen 140 bis 160 Jahreseinkommen. Wenn eine Familie an der Armutsgrenze heute 20.000 Euro zur Verfügung hat, entspräche das 2,8 Millionen Euro.

Der Sklavenbesitzer verfügt über weit mehr. Denn er braucht diese 8 Talente nicht für den laufenden Betrieb, sondern hat sie zusätzlich zur freien Verfügung und kann sie investieren, ohne seine sonstigen Geschäfte zu beeinträchtigen. Solche Vermögen lassen sich nicht mit eigener Hände Arbeit aufbauen. Das ist auch heute so. Geld gebiert Geld. Der größte Gewinn wird heute nicht durch Produktion erwirtschaftet, sondern durch Kapital selbst. Geld wird angelegt und verzinst und wird als Aktien an den Börsen durch die Welt geschoben.

Die acht Talente in der Geschichte von Jesus bringen tatsächlich Traumrenditen von 100 Prozent, jedenfalls sieben der acht Talente. Das sind keine Peanuts – „du warst im Kleinen zuverlässig, ich beauftrage ich mit Größerem“ –, sondern riesige Kapitalmengen. Und sie verdoppeln sich. Aus fünf werden zehn, aus zwei vier. Kann das mit rechten Dingen zugehen? Können aus fünf Millionen unversehens zehn werden? Wo kommen solche gigantischen Gewinnspannen her? Spätestens seit der Finanzkrise 2008 wissen auch Wirtschaftsunkundige, dass sich eine solche Performance nicht mit ehrlichen Methoden erwirtschaften lässt, sondern nur in hoch spekulativen Bereichen, im Menschen- und Drogenhandel, durch Betrug und gnadenlose Ausbeutung. Solche Gewinne lassen sich nur durch Immobilienspekulationen erzielen, durch Heuschreckenmethoden, „land grabbing“. Hungerlöhne werden gezahlt, Umweltschutzauflagen umgangen, Arme enteignet. Es wird betrogen und erpresst. Hinterzimmer, Abzocker, Briefkastenfirmen lassen grüßen.

Die Beispielgeschichte führt uns in die Welt der Superreichen und ihrer Praktiken. Wer solchen Gewinn erwartet, weiß wahrscheinlich – oder hoffentlich –, dass das nicht mit legalen Mitteln möglich ist. Wer seine Mitarbeitenden dennoch beauftragt, dass sie das Geld so anlegen, fordert sie auf, sich skrupelloser Methoden zu bedienen.

Doch anders als die Broker an der Wallstreet sind die Fachleute in der Beispielgeschichte von Jesus keine freien Menschen. Sie sind Sklaven. Obwohl sie offensichtlich für ihre Aufgaben spezialisiert sind und weitreichende Handlungsvollmachten haben, sind sie Abhängige. Qualifizierte Sklaven in Führungspositionen oder auch Sklaven, die Abgaben eintreiben müssen, sind in der Antike durchaus üblich. Und sie können ohne weiteres ausgepeitscht oder eingesperrt werden, wenn sie ihrem Besitzer nicht willfährig sind oder wenn sie Fehler machen. Ihr Herr bindet sie also ein in seine schmutzige Geschäftspraxis. Er macht sie, die Abhängigen, zu Mittätern. Die Sklaven tragen dazu bei, dass andere Familien ihr Hab und Gut verlieren, in Sklaverei verkauft werden.

Aber einer macht nicht mehr mit. Er beteiligt sich nicht mehr daran, ein System am Laufen zu halten, das die einen bereichert auf Kosten der anderen. Er sagt seinem Besitzer die Wahrheit ins Gesicht: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du Deines.“ (Mt 25, 24 f.)

Wie viele Nächte wird dieser Sklave wachgelegen haben und sich mit seiner Entscheidung herumgeschlagen haben? Das, wozu er ausgebildet ist – Geld zu investieren – ist ihm immer fragwürdiger erschienen. Er hat seinem Herrn nichts entzogen, keinen einzigen Denar. Im Gegenteil. Er hat das Eigentum seines Herrn treu bewahrt. Er hat sich sogar an den rabbinischen Frömmigkeitsregeln orientiert, als er es in der Erde vergraben hat.

Sein Besitzer wertet sein Verhalten als einen Affront ohnegleichen. Zumal ein Sklave es wagt, dem Herrn den Spiegel vorzuhalten und ihn als Dieb bezeichnet. Der Besitzer streitet das Urteil mit keinem Wort ab. Aber er bestraft ihn und wirft ihn ins Gefängnis.

Der Sklave landet dort, wo auch die anderen Opfer sitzen. Im Gefängnis sitzen Arme, die in Schuldhaft geraten sind, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Im Gefängnis sitzt Johannes der Täufer. Im Gefängnis sitzt Jesus selbst mit seinen Freundinnen und Freunden. „Ich war gefangen und ihr habt mich besucht“, sagt er (Mt 25,36).

Auch heute sind Gefängnisse eher Orte der Armen, Abgehängten und Gescheiterten. Die Reichen können sich Anwälte leisten. Sie genießen Annehmlichkeiten, werden schneller zu Freigängern oder kommen auf Kaution frei. Für Peanuts halten sie die Summen, die sie in ihre Taschen gewirtschaftet haben. Selten, dass ein Josef Ackermann, Sepp Blatter oder Thomas Middelhoff verurteilt wird und seine Strafe auch voll absitzt. Doch andere wandern schon wegen Schwarzfahrens oder Ladendiebstahls hinter Gitter. In vielen Ländern sind die Zellen voller Leute, die ohne Verfahren eingesperrt und misshandelt werden. Gefängnisse dienen als Druckmittel gegen die lokale Bevölkerung. Hier landen kleine Bäuerinnen und Bauern, die sich gegen Enteignung wehren, Journalist*innen, die über Korruption recherchieren, Oppositionelle und Whistleblower wie Bradley Manning und (wenn es nach der Regierung ginge) Edward Snowden.

Der dritte Sklave kooperiert nicht mehr. Er lässt sich nicht mehr einspannen. Er folgt seinem Gewissen. Er sagt die Wahrheit. Er hält sich an die Regeln der Tora und beherzigt die Mahnung von Jesus: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld, dem Mammon (Mt 6,24).

Er zahlt einen hohen Preis. Aber die Bibel ist davon überzeugt: Willkür und Gefängnis haben nicht das letzte Wort. Denn Jesus erzählt die Geschichte weiter. Nach dem Unrechtsurteil – „Werft diesen nutzlosen Sklaven in den finstersten Kerker. Dort wird er schreien und vor Todesangst mit den Zähnen knirschen“ – wird noch einmal Gericht gehalten: „Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf seinen himmlischen Richterstuhl setzen. Und alle Völker werden sich versammeln. Er wird die Menschen voneinander scheiden, wie ein Hirte die Schafe von den Böckchen trennt. Er wird denen zur Rechten sagen: Kommt heran, ihr Gesegneten Gottes, erbt Gottes Reich. Ich war hungrig, ihr gabt mir zu essen; ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr habt mich besucht. Was ihr für eines dieser meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (aus Mt 25,30-36.40, Bibel in gerechter Sprache).

Der Sklave, der sich weigert, findet sich an der Seite von Jesus wieder. Die Welt bleibt am Ende nicht in den Händen der Gierigen und Gewalttätigen, sondern wird den Armen und Barmherzigen zufallen und denen, die für Gerechtigkeit eintreten.

Sklaverei gehörte im 1. Jahrhundert zum Alltag der Menschen um Jesus herum. Aus dem letzten Kapitel des Römerbriefes schließen wir, dass mindestens die Hälfte der Gemeindemitglieder in Rom Sklavinnen und Sklaven oder Freigelassene waren. In den Gemeinden, für die Matthäus um 80 n.Chr. herum sein Evangelium schrieb, wird es nicht anders gewesen sein. Viele haben also Unfreiheit am eigenen Leib erfahren. Ihnen erzählt Jesus diese Geschichte. Wie wird sie in ihren Ohren geklungen haben?

Wir leben in Mitteleuropa in einer freien Gesellschaft. „Ich kann ja nichts tun“, sagen trotzdem viele, „ich bin nur ein kleines Licht. Mir sind die Hände gebunden.“ Die Bibel glaubt nicht daran, dass Menschen nur willen- und wirkungslose Rädchen im Getriebe sind. Wir brauchen nicht mitzulaufen. Die Verhältnisse sind nicht alternativlos. Wir haben immer die Möglichkeit, uns Spielraum zu erobern, und sei er noch so klein. Selbst ein Sklave lässt sich seine Entscheidungsfreiheit und Autonomie nicht nehmen. Wir können und sollen für eine andere Welt einstehen. Jesus erzählt, wie jemand das selbst in extremsten Abhängigkeitsverhältnissen wagt. Eine Mutmachgeschichte. Auch für uns.

 

Literatur:
Schätzungen nach Marlene Crüsemann: Wahre Herrschaft: Das Gleichnis
von den Talenten und das Gericht Gottes über die Völker. In: Marlene
Crüsemann, Claudia Janssen, Ulrike Metternich (Hrsg): Gott ist anders.
Gleichnisse neu gelesen. Gütersloh 2014, 56 – 69 Die Predigt folgt der
Auslegung von Marlene Crüsemann sowie der Gleichnistheorie von Luise
Schottroff: Die Gleichnisse Jesu. Gütersloh 2007 (2. Auflage),
insbesondere S. 290-294
 

 

 

 

Perikope
24.07.2016
25,14-30

Bleiben wir wach! - Predigt zu Matthäus 25,1-13 von Mira Stare

Bleiben wir wach! - Predigt zu Matthäus 25,1-13 von Mira Stare
25,1-13

Bleiben wir wach!

Liebe Schwestern und Brüder,

wir feiern heute den letzten Sonntag im Kirchenjahr, der in der evangelischen Kirche auch als Ewigkeitssonntag bekannt ist. Dem Gedenken an die Verstorbenen ist dieser Sonntag gewidmet. Unsere Gedanken gehen dabei auf der einen Seite in die Vergangenheit, in welcher wir mit unseren Verstorbenen noch hier auf der Erde beisammen waren. Dabei können wir mit dem Blick auf unsere Verstorbenen Dankbarkeit erleben, manchmal aber auch Traurigkeit, weil sie nicht mehr hier sind, und weil wir sie nicht mehr von Angesicht zu Angesicht sehen können. Auf der anderen Seite lenkt das Evangelium vom heutigen Tag unseren Blick in die Zukunft, nämlich zum Kommen Jesu bei der Vollendung der Zeit, das sich auch sehr bald ereignen kann. Es erfüllt uns mit Hoffnung auf das, was kommt, und ruft uns zur Wachsamkeit auf.

Im Evangelium erzählt Jesus ein Gleichnis mit dem er das Geschehen betreffend das Himmelreich vergleicht. Den Hintergrund des Gleichnisses bildet ein besonderer Hochzeitsbrauch: Junge Frauen empfangen den Bräutigam mit einem Licht-Tanz. Im Gleichnis gibt es zehn Jungfrauen, die dem Bräutigam entgegen gehen, um ihn in das Haus der Braut zum Hochzeitsfest zu begleiten. Unter diesen jungen Frauen gibt es im Gleichnis zwei Gruppen: Die Hälfte von ihnen ist töricht, weil sie nur die Lampen, aber kein Öl zur Reserve mit sich haben. Die andere Hälfte ist klug, denn sie haben nicht nur die Lampen, aber auch Reserveöl in Krügen mit. Tatsächlich brauchen sie dann sowohl die Lampen als auch das Öl. Denn die Ankunft des Bräutigams verspätet sich. Er kommt erst in der Nacht. Den törichten Jungfrauen ist nun in der Dunkelheit bitter bewusst, dass sie kein Öl mithaben und sie ihre Lampen nicht länger verwenden können. Sie versuchen sich das Öl von den anderen Jungfrauen auszuleihen. Das gelingt ihnen jedoch nicht. Die klugen Jungfrauen haben ausgerechnet, dass ihnen das Öl dadurch auch ausgehen kann. Sie geben der ersten Gruppe nur den Rat, sich das Öl zu kaufen. Der Rat wird befolgt, aber der Bräutigam kommt ausgerechnet zur gleichen Zeit. Demzufolge gelingt es den mit Einkauf beschäftigen Jungfrauen nicht mehr, rechtzeitig beim Bräutigam zu sein und mit ihm in den Hochzeitssaal zu gehen. Sie bleiben vor der geschlossenen Tür. Jesus beendet das Gleichnis mit dem Aufruf zur Wachsamkeit: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde“ (Mt 25,13).  Es geht um den Tag und die Stunde des Wiederkommens des Menschensohnes bei der Vollendung der Zeit.

Liebe Schwestern und Brüder, wir sind jeden Tag und jede Stunde neu zur Wachsamkeit für das Kommen Jesu aufgefordert. Das Gleichnis zeigt uns, dass dieses schon bald geschehen kann. Dieses Kommen Jesu kann sich aber auch noch verzögern. Wir können jedoch daran glauben, dass wir am Ende unseres irdischen Lebens Jesus, dem Menschensohn, von Angesicht zu Angesicht begegnen werden. Wir vertrauen, dass für unsere Verstorbenen diese Begegnung mit dem auferstandenen und verherrlichten Jesus  bereits die Wirklichkeit geworden ist und dass sie mit ihm – mit dem Bild aus dem Gleichnis ausgedrückt – bereits am Tisch im Hochzeitssaal im Reich Gottes sind. Das Bild vom Hochzeitsmahl ist eines der schönsten Bilder sowohl für das Leben der Menschen auf der Erde als auch für das Leben im Reich Gottes. Dieses Bild bringt Hoffnung und Freude mit sich. Das Leben mit Jesus geht auch nach dem irdischen Tod weiter und dies mit seiner schönen und fruchtbaren Seite. Wir können uns darauf schon jetzt freuen. Wir brauchen keine Angst vor dem Leben nach dem Tod zu haben. Was wir aber brauchen, ist die Wachsamkeit und Aufmerksamkeit für Jesus und sein Kommen in unserem Leben sowohl jetzt als auch am Ende unseres irdischen Lebens. Bleiben wir wach und standhaft in Erwartung auf ihn, von dem wir zu seinem Mahl schon hier auf der Erde wie auch zum großen Festmahl im Reich Gottes eingeladen sind. Bleiben wir in Vorfreude wach – sowohl am Tag als auch in der Nacht.

Perikope
22.11.2015
25,1-13