Eine pubertierende Gemeinde - Predigt zu 1.Kor 2,1-10 von Winfried Klotz
1. Kor 2,1-10 Das Auftreten des Paulus (Züricher Bibel)
1 Liebe Brüder und Schwestern, auch ich bin, als ich zu euch kam, nicht mit grossartigen Worten und abgründiger Weisheit dahergekommen, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. 2 Denn ich hatte beschlossen, bei euch nichts anderes zu wissen ausser das eine: Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten. 3 Auch kam ich in Schwachheit und mit Furcht und Zittern zu euch, 4 und meine Rede und meine Verkündigung baute nicht auf kluge Überredungskunst, sondern auf den Erweis des Geistes und der Kraft, 5 damit euer Glaube nicht in der Weisheit der Menschen, sondern in der Kraft Gottes gründe.
Die Verkündigung der Weisheit Gottes
6 Von Weisheit aber reden wir im Kreis der Vollkommenen - jedoch nicht von der Weisheit dieser Weltzeit noch der Herrscher dieser Weltzeit, die zunichte werden. 7 Wir reden vielmehr von der Weisheit Gottes, der verborgenen, so wie man von einem Geheimnis redet; diese hat Gott vor aller Zeit zu unserer Verherrlichung bestimmt. 8 Sie hat keiner der Herrscher dieser Weltzeit je erkannt, denn hätten sie sie erkannt, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Vielmehr verkündigen wir, wie geschrieben steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz aufgestiegen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. 10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; der Geist nämlich ergründet alles, auch die Tiefen Gottes.
Liebe Gemeinde!
Als Paulus auf seiner 2. Missionsreise nach der Hafenstadt Korinth kam, traf er dort einen Juden mit Namen Aquila und seine Frau Priszilla, die vor kurzem aus Italien gekommen waren. Sie waren wie Paulus Zeltmacher und so arbeitete er mit ihnen. Zugleich suchte er Kontakte zur Synagogengemeinde; er trat dort als Lehrer auf, der die Lesungen aus der Thora und den Propheten auslegte und deutlich machte, dass sie auf Jesus als Messias hinwiesen. Manche Juden und einige gottesfürchtige Griechen ließen sich überzeugen, andere widersprachen Paulus. Es gab schwierige Diskussionen. Silas und Timotheus, die Mitarbeiter des Paulus, kamen einige Zeit nach ihm aus Beröa in Mazedonien zu ihm nach Korinth. Jetzt konzentrierte sich Paulus ganz darauf, die Botschaft von Jesus, dem von Gott gesandten Herrn und Retter, zu bezeugen. Es kam zu einem heftigen Streit in der Synagoge. Paulus war äußerst angespannt und verzagt. Stärkung empfing er durch Jesus selbst: „In der Nacht aber sprach der Herr in einer Vision zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, niemand wird dich antasten und dir Böses antun; ich habe nämlich viel Volk in dieser Stadt.“ (Apg 18,9-10) Paulus verlegte sein Wirken in das große Haus von Titius Justus, ein gottesfürchtiger Grieche, der zum Glauben an Jesus gekommen war. Sein Haus lag neben der Synagoge. Jetzt erfolgten die ersten Taufen, eine kleine Gemeinde entstand.
Soweit meine Nacherzählung dessen, was in der Apostelgeschichte berichtet wird. (Kap. 18, 1-18)
Paulus hat zusammen mit Apollos in der Hafenstadt Korinth gewirkt; er ist so etwas wie der Vater der Gemeinde. Anschaulich sagt er später: „in Christus Jesus habe ich euch gezeugt durch das Evangelium“. (1Kor 4,15)
Von außen betrachtet war Paulus in Korinth nicht übermäßig erfolgreich mit der Verkündigung der Botschaft von Jesus, durch den Gott rettet; nicht viele Weise, Mächtige und Angesehene ließen sich zum Glauben rufen. (1, 26) Sklaven, Ungebildete kamen zum Glauben. Korinth war als römische Wiedergründung eine Stadt mit einem bunten Völkergemisch; unterschiedlichste Menschen suchten hier ihren Anteil am Wohlstand: gegensätzlich, widersprüchlich, brodelnd, so stelle ich mir die Situation in der Stadt vor. Ähnlich war auch die kleine christliche Gemeinde: voller Leben, es brodelte nur so in den Gottesdiensten; ein Durcheinander mit Gesängen, Gebeten – auch in unverständlicher Sprache – Impulsbeiträgen von Frauen und Männern mit prophetischer Begabung. (Kap. 14) Und – man scheute die Auseinandersetzung nicht; es gab einige Meinungsführer, die sich Gefolgsleute sammelten, es gab so etwas wie Fanclubs für Paulus, Apollos, Kephas (Petrus), ja sogar für Christus!
Irgendwie hatten die Korinther etwas nicht richtig verstanden! Das machte Paulus große Sorgen, wenn er an diese Gemeinde aus der Ferne dachte und für sie betete. „Ist denn Christus zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt? Wurdet ihr auf den Namen des Paulus getauft?“ So fragt er in seinem besorgten Brief diese Leute. Paulus fragt sich, in welche Richtung bewegt sich der Glaube der christlichen Gemeinde in Korinth? Wer ist Jesus Christus für die Frauen und Männer in Korinth?
Und so erinnert Paulus an seinen Dienst als Bote Christi bei den Korinthern: „Auch ich bin, als ich zu euch kam, nicht mit großartigen Worten und abgründiger Weisheit dahergekommen, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte beschlossen, bei euch nichts anderes zu wissen außer das eine: Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten.“ Paulus nennt das einen Beschluss, ein Urteil, dass im Zentrum seiner Verkündigung des Glaubens an den einen Gott Jesus Christus, der Gekreuzigte, steht.
Wir fragen uns vielleicht: Hätte ein breiterer Ansatz in der Verkündigung Paulus nicht mehr Erfolg gebracht? Es gab ein Gemisch von Religionen, Religiosität in Korinth, vom jüdischen Glauben an den einen Gott und sein gutes Gesetz, griechisch-römische Verehrung der Götter bis zu okkult-esoterischen Praktiken. Warum diese Verengung auf das eine: Jesus Christus, der Gekreuzigte? Während sonst ein glanzvoller Kult, das Leben begleitende und strukturierende Riten, Erkenntnis der hinter allem stehenden, tieferen Wirklichkeit die religiösen Bedürfnisse der Menschen anziehen und befriedigen sollte. Ist demgegenüber die Verkündigung des gekreuzigten Christus als gottgesandter Retter nicht anstößig und ärgerlich? Das kann doch niemanden beeindrucken, sondern nur Widerspruch hervorrufen!
Axel Kühner berichtet folgende Begegnung: „Nach einem Vortrag kommt eine Frau zu mir und sagt schnippisch: „An einen barmherzigen Gott im Himmel glaube ich auch, aber einen gekreuzigten Jesus brauche ich nicht. Ein leidender, blutender Christus am Kreuz ist mir zu unappetitlich und zuwider!” (Das große Axel Kühner Textarchiv Nr. 72)
Warum dieser Widerstand? Die Frau im Beispiel begründet ihn mit ihrem ästhetischen Empfinden; aber das dürfte nur die äußere Begründung der Ablehnung sein. Ich vermute: Ihr Bewusstsein von einem barmherzigen Gott kollidiert mit der im Evangelium bezeugten Barmherzigkeit Gottes, die sichtbar wurde im Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus. Wenn Gott sowieso die Menschen barmherzig aufnimmt, für was ist dann Jesus gekommen, hat in Wort und Tat Gottes Erbarmen mit den Menschen groß gemacht und hat sein Leben als Lösegeld für viele gegeben? (Mk 10,45b)
Brauchen Erlösung durch Jesus nur die großen Sünder, während die anderen Menschen durch ihre guten Taten und weil Gott doch barmherzig ist ans Ziel gelangen?
Seitdem Paulus vor Damaskus dem auferstanden Christus begegnet ist, weiß er, was Verlorenheit ist; er hatte trotz bester Absichten gegen Gottes Willen gelebt, nicht erkannt, was Gott durch Jesus getan hat. Gerade deshalb ist Jesus Christus, der Gekreuzigte, nun Dreh- und Angelpunkt seines Zeugnisses. Paulus predigt das Wort vom Kreuz: „Torheit für die, die verloren gehen, für die aber, die gerettet werden, für uns, ist es Gottes Kraft.“ Das hat Paulus, das haben die Korinther erlebt, dass ihr Leben versöhnt wurde mit Gott im Glauben an den gekreuzigten Christus Jesus. Das ist die Weisheit Gottes!
Weisheit, das Christentum der Korinther war so ähnlich wie ein überhitzter Suppentopf, der überzukochen drohte. Fortschritt, Steigerung wurde in jeder Beziehung erstrebt. Geistliche Gaben, Erkenntnisse, Weisheit (1. Kor. 12+14), immer im Vergleich mit anderen – wer kann mehr, wer ist fortgeschrittener in der Erkenntnis? – bewegte Herzen und Sinne. Es war – im Bild gesprochen – eine pubertierende Gemeinde! Nur nicht als unmündig gelten, sondern sich in der Gemeinde und vor der Welt behaupten. War da ein Gekreuzigter als Retter und Herr nicht schwierig zu vermitteln?
Damals wie heute gab es die Ansicht, dass der Mensch fähig sei, zu Gott aus eigener Kraft aufzusteigen. Verfehlung und Schuld sind da nur äußerliche Übel, die der Mensch durch Erkenntnis seines göttlichen Ursprungs abstreift. Wer diesen Weg geht, gelangt zur Vollkommenheit! Darauf bezieht sich Paulus, wenn er schreibt: „Von Weisheit aber reden wir im Kreis der Vollkommenen – jedoch nicht von der Weisheit dieser Weltzeit noch der Herrscher dieser Weltzeit, die zunichte werden.“ Zur Vollkommenheit wollten die Korinther gelangen; Paulus nimmt dieses Wort auf und bezieht es auf den Weg des Glaubens an den gekreuzigten Christus. Der Gekreuzigte ist der Weg zur Vollkommenheit! So hat Gott es in seiner Weisheit bestimmt, völlig im Gegensatz zur menschlichen Weltweisheit. Das ist Gottes Geheimnis, das die „Weltmächte“, gemeint sind nicht nur die sichtbaren, sondern auch die unsichtbaren Mächte, nicht durchschaut haben. Gott aber hat es durch seinen Geist denen offenbart, die er berufen und erwählt hat. (Kap. 1, 2.24.26. bes.28) An ihnen hat sich die Botschaft, dass Gott durch den Gekreuzigten rettet, als Wort voller Geist und Kraft erwiesen.
Noch einmal: „Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; der Geist nämlich ergründet alles, auch die Tiefen Gottes.“
Das ist paulinisches – nein! – christliches Selbstbewusstsein! Wir bewegen uns im Glauben an den für uns gekreuzigten Christus nicht im Ungefähren, sondern sind dessen gewiss. Gottes Geist hat uns darin gewiss gemacht. Dass unsere Gewissheit von Gott kommt, wird darin sichtbar, dass durch uns etwas spürbar wird von der Niedrigkeit, Demut, Liebe und Klarheit, die in Jesus Christus war. Das ist der Erweis des Geistes und der Kraft. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Situation? Ich werde die Predigt am 16.1. in Bad König halten, da ich gerade die Kollegen vertrete. Üblicherweise sitze ich zur Predigt vor dem Altar, was mit meinem Alter und dem kaputten Rücken zu tun hat und sich als eine sehr entspannte Predigthaltung erwiesen hat. Im Angesicht der Gemeinde wird manches wichtig, was ich vorher nicht gesehen habe und was nicht dasteht.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt? – Es war eher die Arbeit eines Steinmetzes, der mühsam die Figur aus dem Stein herauszuholen sucht.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich habe mein Ohr immer neu an den Text gelegt, aber noch nicht den Eindruck, dass ich sein Reden durchgehend verstanden hätte. Jesus Christus, der Gekreuzigte, ist ein Fundamentstein, den man nicht heben, auf den man sich aber stellen kann – und ER hält!
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe eine Predigt geschrieben, dann eine neue begonnen und schließlich beide zusammengearbeitet … Diesmal war es besonders mühsam.
1. Kor 2,1-10 Das Auftreten des Paulus (Züricher Bibel)
21 Liebe Brüder und Schwestern, auch ich bin, als ich zu euch kam, nicht mit grossartigen Worten und abgründiger Weisheit dahergekommen, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. A 2,13; 1,7 · 4,1 A) Andere Textüberlieferung: «..., euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen.»
2 Denn ich hatte beschlossen, bei euch nichts anderes zu wissen ausser das eine: Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten. 1,23
3 Auch kam ich in Schwachheit und mit Furcht und Zittern zu euch, V.3-4: 2Kor 10,10; 11,6.30; Gal 4,13 · 4,20; 1Thess 1,5
4 und meine Rede und meine Verkündigung baute nicht auf kluge Überredungskunst, A sondern auf den Erweis des Geistes und der Kraft, A) Andere Textüberlieferung: «... setzte nicht auf überredende Worte der Weisheit, ...»
5 damit euer Glaube nicht in der Weisheit der Menschen, sondern in der Kraft Gottes gründe. 1,18!
Die Verkündigung der Weisheit Gottes
6 Von Weisheit aber reden wir im Kreis der Vollkommenen - jedoch nicht von der Weisheit dieser Weltzeit noch der Herrscher dieser Weltzeit, die zunichte werden. 3,18-19 · 15,24
7 Wir reden vielmehr von der Weisheit Gottes, der verborgenen, so wie man von einem Geheimnis redet; diese hat Gott vor aller Zeit zu unserer Verherrlichung bestimmt.
8 Sie hat keiner der Herrscher dieser Weltzeit je erkannt, denn hätten sie sie erkannt, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 1,21
9 Vielmehr verkündigen wir, wie geschrieben steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat
und was in keines Menschen Herz aufgestiegen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Jes 64,3 · Röm 8,28
10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; der Geist nämlich ergründet alles, auch die Tiefen Gottes.
Liebe Gemeinde!
Als Paulus auf seiner 2. Missionsreise nach der Hafenstadt Korinth kam, traf er dort einen Juden mit Namen Aquila und seine Frau Priszilla, die vor kurzem aus Italien gekommen waren. Sie waren wie Paulus Zeltmacher und so arbeitete er mit ihnen. Zugleich suchte er Kontakte zur Synagogengemeinde; er trat dort als Lehrer auf, der die Lesungen aus der Thora und den Propheten auslegte und deutlich machte, dass sie auf Jesus als Messias hinwiesen. Manche Juden und einige gottesfürchtige Griechen ließen sich überzeugen, andere widersprachen Paulus. Es gab schwierige Diskussionen. Silas und Timotheus, die Mitarbeiter des Paulus kamen einige Zeit nach ihm aus Beröa in Mazedonien zu ihm nach Korinth. Jetzt konzentrierte sich Paulus ganz darauf, die Botschaft von Jesus, dem von Gott gesandten Herrn und Retter zu bezeugen. Es kam zu einem heftigen Streit in der Synagoge. Paulus war äußerst angespannt und verzagt. Stärkung empfing er durch Jesus selbst: „In der Nacht aber sprach der Herr in einer Vision zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, niemand wird dich antasten und dir Böses antun; ich habe nämlich viel Volk in dieser Stadt.“ (V. 9+10) Paulus verlegte sein Wirken in das große Haus von Titius Justus, ein gottesfürchtiger Grieche, der zum Glauben an Jesus gekommen war. Sein Haus lag neben der Synagoge. Jetzt erfolgten die ersten Taufen, eine kleine Gemeinde entstand.
Soweit meine Nacherzählung dessen, was in der Apostelgeschichte berichtet wird. (Kap. 18, 1-18)
Paulus hat zusammen mit Apollos in der Hafenstadt Korinth gewirkt; er ist so etwas wie der Vater der Gemeinde. Anschaulich sagt er später: „in Christus Jesus habe ich euch gezeugt durch das Evangelium“. (Kap. 4, 15)
Von außen betrachtet war Paulus in Korinth nicht übermäßig erfolgreich mit der Verkündigung der Botschaft von Jesus, durch den Gott rettet; nicht viele Weise, Mächtige und Angesehene ließen sich zum Glauben rufen. (1, 26) Sklaven, Ungebildete kamen zum Glauben. Korinth war als römische Wiedergründung eine Stadt mit einem bunten Völkergemisch, unterschiedlichste Menschen suchten hier ihren Anteil am Wohlstand; gegensätzlich, widersprüchlich, brodelnd, so stelle ich mir die Situation in der Stadt vor. Ähnlich war auch die kleine christliche Gemeinde: voller Leben, es brodelte nur so in den Gottesdiensten; ein Durcheinander mit Gesängen, Gebeten- auch in unverständlicher Sprache – Impulsbeiträgen von Frauen und Männern mit prophetischer Begabung. (Kap. 14) Und – man scheute die Auseinandersetzung nicht; es gab einige Meinungsführer, die sich Gefolgsleute sammelten, es gab so etwas wie Fanclubs für Paulus, Apollos, Kephas (Petrus), ja sogar für Christus!
Irgendwie hatten die Korinther etwas nicht richtig verstanden! Das machte Paulus große Sorgen, wenn er an diese Gemeinde aus der Ferne dachte und für sie betete. „Ist der Christus zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt? Wurdet ihr auf den Namen des Paulus getauft?“ so fragt er in seinem besorgten Brief diese Leute. Paulus fragt sich, in welche Richtung bewegt sich der Glaube der christlichen Gemeinde in Korinth? Wer ist Jesus Christus für die Frauen und Männer in Korinth?
Und so erinnert Paulus an seinen Dienst als Bote Christi bei den Korinthern: „Auch ich bin, als ich zu euch kam, nicht mit großartigen Worten und abgründiger Weisheit dahergekommen, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte beschlossen, bei euch nichts anderes zu wissen außer das eine: Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten.“ Paulus nennt das einen Beschluss, ein Urteil, dass im Zentrum seiner Verkündigung des Glaubens an den einen Gott Jesus Christus, der Gekreuzigten steht.
Wir fragen uns vielleicht: Hätte ein breiterer Ansatz in der Verkündigung Paulus nicht mehr Erfolg gebracht? Es gab ein Gemisch von Religionen, Religiosität in Korinth, vom jüdischen Glauben an den einen Gott und sein gutes Gesetz, griechisch-römische Verehrung der Götter bis zu okkult-esoterischen Praktiken. Warum diese Verengung auf das eine: Jesus Christus, der Gekreuzigte? Während sonst ein glanzvoller Kult, das Leben begleitende und strukturierende Riten, Erkenntnis der hinter allem stehenden, tieferen Wirklichkeit die religiösen Bedürfnisse der Menschen anziehen und befriedigen sollte. Ist demgegenüber die Verkündigung des gekreuzigten Christus als gottgesandten Retter nicht anstößig und ärgerlich? Das kann doch niemand beeindrucken, sondern nur Widerspruch hervorrufen!
Axel Kühner berichtet folgende Begegnung: „Nach einem Vortrag kommt eine Frau zu mir und sagt schnippisch: „An einen barmherzigen Gott im Himmel glaube ich auch, aber einen gekreuzigten Jesus brauche ich nicht. Ein leidender, blutender Christus am Kreuz ist mir zu unappetitlich und zuwider!” (Das große Axel Kühner Textarchiv Nr. 72)
Warum dieser Widerstand? Die Frau im Beispiel begründet ihn mit ihrem ästhetischen Empfinden; aber das dürfte nur die äußere Begründung der Ablehnung sein. Ich vermute: Ihr Bewusstsein von einem barmherzigen Gott kollidiert mit der im Evangelium bezeugten Barmherzigkeit Gottes, die sichtbar wurde im Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus. Wenn Gott sowieso die Menschen barmherzig aufnimmt, für was ist dann Jesus gekommen, hat in Wort und Tat Gottes Erbarmen mit den Menschen groß gemacht und hat sein Leben als Lösegeld für viele gegeben? (Mk. 10, 45b)
Brauchen Erlösung durch Jesus nur die großen Sünder, während die anderen Menschen durch ihre guten Taten und weil Gott doch barmherzig ist ans Ziel gelangen?
Seitdem Paulus vor Damaskus dem auferstanden Christus begegnet ist, weiß er was Verlorenheit ist; er hatte trotz bester Absichten gegen Gottes Willen gelebt, nicht erkannt, was Gott durch Jesus getan hat. Gerade deshalb ist Jesus Christus, der Gekreuzigte, nun Dreh und Angelpunkt seines Zeugnisses. Paulus predigt das Wort vom Kreuz, „Torheit für die, die verloren gehen, für die aber, die gerettet werden, für uns, ist es Gottes Kraft.“ Das hat Paulus, das haben die Korinther erlebt, dass ihr Leben versöhnt wurde mit Gott im Glauben an den gekreuzigten Christus Jesus. Das ist die Weisheit Gottes!
Weisheit, das Christentum der Korinther war so ähnlich wie ein überhitzter Suppentopf, der überzukochen drohte. Fortschritt, Steigerung wurde in jeder Beziehung erstrebt. Geistliche Gaben, Erkenntnisse, Weisheit (1. Kor. 12+14), immer im Vergleich mit anderen, - wer kann mehr, wer ist fortgeschrittener in der Erkenntnis? – bewegte Herzen und Sinne. Es war- im Bild gesprochen- eine pubertierende Gemeinde! Nur nicht als unmündig gelten, sondern sich in der Gemeinde und vor der Welt behaupten. War da ein Gekreuzigter als Retter und Herr nicht schwierig zu vermitteln?
Damals wie heute gab es die Ansicht, dass der Mensch fähig sei, zu Gott aus eigener Kraft aufzusteigen. Verfehlung und Schuld sind da nur äußerliche Übel, die der Mensch durch Erkenntnis seines göttlichen Ursprungs abstreift. Wer diesen Weg geht gelangt zur Vollkommenheit! Darauf bezieht sich Paulus, wenn er schreibt: „Von Weisheit aber reden wir im Kreis der Vollkommenen - jedoch nicht von der Weisheit dieser Weltzeit noch der Herrscher dieser Weltzeit, die zunichte werden.“ Zur Vollkommenheit wollten die Korinther gelangen; Paulus nimmt dieses Wort auf und bezieht es auf den Weg des Glaubens an den gekreuzigten Christus. Der Gekreuzigte ist der Weg zur Vollkommenheit! So hat Gott es in seiner Weisheit bestimmt, völlig im Gegensatz zur menschlichen Weltweisheit. Das ist Gottes Geheimnis, das die „Weltmächte“, gemeint sind nicht nur die sichtbaren, sondern auch die unsichtbaren Mächte, nicht durchschaut haben. Gott aber hat es durch seinen Geist denen offenbart, die er berufen und erwählt hat. (Kap. 1, 2. 24. 26. bes. 28) An ihnen hat sich die Botschaft, dass Gott durch den Gekreuzigten rettet, als Wort voller Geist und Kraft erwiesen.
Noch einmal: „Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; der Geist nämlich ergründet alles, auch die Tiefen Gottes.“
Das ist paulinisches- nein! – christliches Selbstbewusstsein! Wir bewegen uns im Glauben an den für uns gekreuzigten Christus nicht im Ungefähren, sondern sind dessen gewiss. Gottes Geist hat uns darin gewiss gemacht. Dass unsere Gewissheit von Gott kommt wird darin sichtbar, dass durch uns etwas spürbar wird von der Niedrigkeit, Demut, Liebe und Klarheit, die in Jesus Christus war. Das ist Erweis des Geistes und der Kraft. Amen.
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Gute Haushalter sein - Predigt zu 1Kor 4,1-5 von Karoline Läger-Reinbold
Mein Haushalt im Advent
Der Advent macht nostalgisch. Ich backe Stollen und Plätzchen nach Omas Rezepten, mit viel Butter und so. Zu keiner Jahreszeit sind die Regeln so klar: morgens das Türchen im Adventskalender, abends die Kerzen auf der Fensterbank. Die Kollegin mit dem Deko-Fimmel hat neue Sterne mitgebracht aus buntem Transparentpapier. Dass es die immer noch gibt! Vorsichtig hänge ich sie am Fenster auf, Tesafilm klebt auf Glas.
Jetzt, zum 3. Advent, wird es auch höchste Zeit für die Weihnachtspost. Einmal im Jahr, da werden Karten geschrieben. Von Hand und mit Tinte, der Füller liegt ansonsten nur herum. Die Motive der Karten kommen mir vor wie aus einer anderen Zeit: Tannenbäume mit Schnee, die Kinder auf Schlittschuhen, Weihnachtsmänner mit Rauschebart und ein Rentier mit roter Nase!
Einmal im Jahr! Da werde ich Hausfrau. Wahrscheinlich liegt es an der dunklen, kalten Jahreszeit. Da wird gekocht und gebacken, da wird gemacht und getan. Nicht, dass Sie jetzt denken: Die macht sonst wohl nichts. Keineswegs ist das so. Einkaufen, Kochen, Aufräumen, Staubsaugen, Wäsche waschen, Woche für Woche muss das sein. Da bleibe ich dran. Aber – meist ist das nur Pflicht, keine Leidenschaft. Es sei denn, es passiert was Besonderes. Geburtstag oder Besuch, endlich wieder mal die Bude voll. Oder so voll, wie es eben gerade geht im pandemischen Winter. Kaffee und Kekse, Glühwein und Tannenduft. Ein bisschen mehr Hausfrau, ein bisschen mehr Hausmann sein. So ist der Advent.
Gute Haushalter sein
In meiner Familie gab es nie eine Haushälterin. Keine große, energische Frau mit festem Händedruck und frisch gestärkter Schürze. Haben Sie eine kennengelernt? In Jugendherbergen, im Landschulheim, in größeren Einrichtungen habe ich welche getroffen. In ihrer klaren, gut sortierten und zupackenden Art haben sie mich stets beeindruckt. Die Haushälterin, das war die, die das Machtwort sprach, wenn wieder alles durcheinander ging, wenn das Besteck nicht sortiert war und die Schuhe im Flur lagen. Die Haushälterin, das war die, die immer wusste, wo die Dinge hingehören, und die auch am Wochenende oder späten Abend noch irgendwo einen heißen Tee oder ein frisches Brot hatte.
So einen Hausstand zu haben, das ist schon ein Projekt. Der erste eigene Haushalt, und sei er noch so klein, ist etwas Besonderes. Das eigene Reich, das eigene Geld. Ein Zimmer oder eine kleine Wohnung ganz für mich; irgendwann im Leben hat jede und jeder von uns diesen Schritt gemacht, ist zuhause ausgezogen oder woanders dazu und hat plötzlich gemerkt: Jetzt entscheide ich selbst. Wer kommen darf und wer gehen muss, wie lange das Licht brennt und ob diese Wand weiß bleibt oder ob sie bunt gestrichen wird.
Selbst entscheiden heißt: Ich übernehme Verantwortung. In meinem eigenen kleinen Bereich und vielleicht auch darüber hinaus. Ein guter Haushalter, eine gute Haushalterin zu sein bedeutet: Ich gebe Acht auf das, was mir anvertraut ist. Ich lege mir einen Vorrat an. Ich passe auf, dass immer genug da ist und dass nichts verloren geht. Das gilt für kleines Geld wie für große Vermögen. Aufmerksam, umsichtig, vorausschauend, das sind die Eigenschaften, die es braucht, wenn man ein guter Haushalter sein will. Redlichkeit. Treue. Und Großzügigkeit im rechten Moment. Wohl dem Land und wohl der Stadt, die solche Haushalter haben.
Zuverlässig und treu. Das gilt nicht nur im materiellen Sinn. Das gilt für die Liebe, für das Vertrauen und für die Geheimnisse, die wir bewahren. Als Kinder hatten wir viele davon. Kästchen oder Schachteln, unter dem Bett oder im Schrank versteckt. Ein Tagebuch mit kleinem Vorhängeschloss oder geheime Orte auf dem Dachboden, im Stadtpark, im Wald.
Gott teilt Geheimnisse
Geheimnisse sind wunderbar! Ich hoffe, Sie haben welche, jetzt im Advent. Eine kleine Überraschung für den Liebsten oder die Liebste. Ein besonderes Geschenk, mit dem nicht zu rechnen war. Eine Neuigkeit, die noch warten muss, bis sie geteilt werden darf. Manchmal kann es ziemlich anstrengend sein, nicht einfach damit herauszuplatzen im falschen Moment. Auch das ist eine Kunst, den rechten Zeitpunkt zu finden.
Auch bei Gott gibt es Geheimnisse. Und ich mag den Gedanken: Er teilt sie mit uns. Macht uns zu Komplizen. Davon schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth: Wir sind es, denen Gott seine Geheimnisse anvertraut. Damit wir sie hüten wie einen Schatz, und damit wir sie sorgsam weiterverbreiten. Im rechten Moment. Damit wir erzählen, da wo es nottut: Vom Geheimnis seiner Liebe. Von seiner Nähe zu den Menschen, die sich in Christus zeigt.
Vom Geheimnis einer Lebenskraft, die stärker ist als der Tod. Vom Geheimnis, dass wir Menschen miteinander verbunden sind, auch wenn wir verschieden sind. Dass wir als Kinder des himmlischen Vaters zusammengehören.
Ja, und auch davon dürfen wir erzählen: Von dem Geheimnis, dass wir stark sind, wenn wir vertrauen. Da ist das Geheimnis der Taufe, ein unsichtbares Band zwischen Gott und mir. Das Geheimnis von Brot und Wein, das uns zu einer großen Gemeinschaft macht. Das Geheimnis der göttlichen Geistkraft, die in uns wirksam ist. Es sind so große Dinge, die er uns anvertraut. Nicht leicht mit Worten zu beschreiben. Ein Schatz in irdenen Gefäßen, so schrieb es Paulus einmal. Wunderbar und zerbrechlich.
Das Licht in der Finsternis
Irgendwann ist der Moment, da kommt das Geheimnis ans Licht. Mit großer Freude und mit Staunen. Mit Überraschung und mit lautem Knall. Da wird der Haushalter gelobt: Das hast du gut gemacht:
Oft ist es aber auch nur ein kleiner, leiser Moment. Da blitzt etwas auf von der Schönheit und Wahrheit. Gott ist in der Welt. Ein kleines Kind in einem Stall in Bethlehem. Ein Bote des Höchsten, der bezeugt, was er glaubt. Einer, der den Menschen sagt: Komm mit, lass dich anstecken von meiner Liebe. Hör auf mein Wort und tu es mir gleich.
Wir Christinnen und Christen sind die, die diese gute Nachricht haben, damit es hell wird in finsterer Zeit. Gott liebt diese Welt und er gibt sie nicht verloren. Allen Dunkelheiten zum Trotz. Immanuel. Gott ist mit uns. Ein Schatz, den wir hüten, so wie alles, was uns wertvoll ist. Das Rezeptbuch der Oma. Die Weihnachtsdeko der Freundin. Die Liebeserklärung des Partners. Und allem voran: Das große Ja, das Gott zu mir sagt, und zu dir. Ein Schatz, den wir teilen, weil er die Welt heller macht.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der 3. Advent steht ganz im Zeichen des bevorstehenden Weihnachtsfestes und des Jahresendes. Auch im zweiten Pandemie-Winter herrschen Sorge und Unsicherheit. Viele Menschen leiden unter dem Verlust von Nähe, manche haben Angehörige verloren, andere ihren Arbeitsplatz. Wie steht es um unsere Gesundheit und um die unserer Lieben? Werden wir Weihnachten als Familienfest feiern können? Was sind vertraute Dinge und Rituale, die für Trost und Stabilisierung sorgen?
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Bild des „oikonomos“, des Haushalters oder der Haushalterin mit einer Vielzahl von Anknüpfungsmöglichkeiten im lebensweltlichen wie auch im theologischen Sinn.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Rede vom Geheimnis als eines Schlüsselbegriffs für Glaube und Theologie. Hier lohnt es sich, noch tiefer einzutauchen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Text löst eine Fülle von Bilder und Assoziationen aus. Es tut der Predigt gut, nicht allen zu folgen, sondern sich auf eine Herzensbotschaft zu beschränken: Du hast ein kostbares Geheimnis. Bewahre es gut und teile es so, dass diese Welt heller wird.
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14.04.2022 - Gründonnerstag
16.01.2022 - 2. Sonntag nach Epiphanias
12.12.2021 - 3. Sonntag im Advent
Achtet darauf, dass eure Verbindung mit Jesus Christus nicht gestört wird! - Predigt zu 1.Kor 6,9-20 von Winfried Klotz
9 Oder wißt ihr nicht, daß die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Laßt euch nicht irreführen! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder, 10 Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes ererben. 11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes. 12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangennehmen. 13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichte machen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. 14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. 15 Wißt ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne! 16 Oder wißt ihr nicht: wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: »Die zwei werden ein Fleisch sein« (1. Mose 2,24). 17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm. 18 Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe. 19 Oder wißt ihr nicht, daß a euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und daß ihr nicht euch selbst gehört? 20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.
Liebe Gemeinde!
„Viel mehr tut ihr Unrecht und übervorteilt“, schreibt Paulus im Vers vor unserem Abschnitt. Und dann: „Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?“ Das ist kein sanftes Säuseln, sondern konfrontative Kommunikation, oder einfacher: Zurechtweisung mit klaren Worten. Nicht jeder kann das, nicht jede darf sich das rausnehmen, aber Paulus als Gründer-Vater der Gemeinde erlaubt sich solche Worte. Ob sie angekommen sind, angenommen wurden? Die Briefe an die Christen in Korinth spiegeln uns, dass die Position des Paulus nicht unangefochten war. Wie so oft unter Menschen gab es Mitbewerber, Prediger, sogenannte Apostel, die mitreißend predigten; da erschien Paulus als lahme Ente, dem manchmal schwer zu folgen war.
„Viel mehr tut ihr Unrecht und übervorteilt“. „Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?“ Was Paulus damals der christlichen Gemeinde in Korinth geschrieben hat, gilt nicht automatisch auch uns. Aber weil die damals und wir heute Menschen sind, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch wir uns angesprochen fühlen könnten. Weil die damals und wir heute Christinnen und Christen sind, versuchen wir respektvoll auf Paulus zu hören. Was er beschreibt, ist uns nicht fremd: Wie schnell ignorieren wir Grenzen, wenn uns ein Vorteil winkt! Und beruhigen das schlechte Gewissen damit, dass Grenzüberschreitungen zum Menschsein gehören, andere dasselbe tun und wir doch letztlich aus Glauben gerechtfertigt sind. Dabei wissen wir doch, gerechtfertigt aus dem Glauben an Jesus Christus heißt zugleich, wir sind ausgerüstet und gesandt zu einem Leben, in dem „Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Römer 14, 17) sichtbar werden.
„Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?“ Ungerechtigkeit ist Grenzüberschreitung zu Lasten der Mitmenschen, Missachtung göttlicher Weisung, Minderung oder Zerstörung von Leben. „Der HERR hat dich wissen lassen, Mensch, was gut ist und was er von dir erwartet: Halte dich an das Recht, sei menschlich zu deinen Mitmenschen und lebe in steter Verbindung mit deinem Gott!“, so heißt es beim Propheten Micha. (6,8) Wer durch Jesus Christus mit Gott verbunden ist, weiß darum, was gut ist und das Leben fördert. Das eigene Leben ist doch in dieser Verbindung zu Gott zum Frieden gelangt, hat eine gute, bewahrende Ordnung bekommen. Im Vertrauen auf Jesus wissen wir: ER hat überbrückt, was von Gott trennt, so dass Gottes Segen nicht mehr verdirbt, sondern unser Leben grünen lässt wie einen Garten, der gute Erde, Wasser und eine pflegende Hand erfährt. Deshalb kann weder im Bereich der Sexualität noch des Umgangs mit Geld und Gut Gier und Selbstsucht das Verhalten bestimmen.
Ich nehme aus den von Paulus genannten Grenzüberschreitungen den Ehebruch heraus. In der griechischen Welt war die Ehe vor allem deshalb geschützt, weil die Legitimität des Nachwuchses wichtig war. Die Familie war entscheidender Pfeiler des Staatswesens. Ein Besuch im Bordell war für den verheirateten Mann kein Problem. Aber in die Ehe eines anderen Bürgers einzudringen war untersagt. Paulus dagegen denkt von der Bibel her. In eines anderen Ehe eindringen geht nicht; aber auch der Besuch im Bordell ist für Christen keine Möglichkeit. Paulus hat nicht nur Gottes Gebote (2.Mose 20, 14; 3. Mose 20, 10) vor Augen, sondern auch die Spruchweisheit Israels und die Lehre Jesu (vgl. Sprüche 6, 20-7, 27; Sirach 9, 1-13). In Sprüche 23, 26-28 heißt es: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen. Denn die Hure ist eine tiefe Grube, und die fremde Frau ist ein enger Brunnen. Auch lauert sie wie ein Räuber und mehrt die Treulosen unter den Menschen.“ Mann und Frau werden im Vollzug der Ehe eins mit Leib und Seele (1. Mose 2, 24; Mt. 19, 5-6). Ehe und Familie verleihen dem Leben Stabilität; vor allem die Familie war das soziale Netz. All das steht hinter dem Gebot „Du sollst nicht ehebrechen!“ Für Paulus und die ganze Bibel ist dieses Gebot nicht nur eine vernünftige, das Leben stabilisierende Regel, sondern ein Gebot Gottes. Und noch etwas: Die Übertretung dieses Gebotes bringt nicht nur Unsicherheit ins Leben, sondern sie macht treulos. „Und mehrt die Treulosen unter den Menschen“, sagt die Spruchweisheit. Treue hat mit Vertrauen zu tun; die Grenzüberschreitung im Ehebruch erschüttert das Vertrauen wie auch die Fähigkeit zu vertrauen.
In der Bergpredigt legt Jesus das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ so aus: „Ich aber sage euch: Wer eine (verheiratete) Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ (Mt. 5, 27-28). Aus unserer Sicht wirkt diese Auslegung des Gebots wie eine Anweisung zu einem verkrüppelten Leben! Wer kann schon verhindern, dass eine andere Frau, ein anderer Mann begehrenswert erscheint. Dass ein Kopfkino losgeht und vorspielt, wie spannend eine Begegnung mit der anderen Person sein würde. Muss man sich immer kontrollieren, immer auf die Bremse treten? Aber wer sich und das Leben ein bisschen kennt, weiß auch: Das Glücksversprechen, das eine andere Person darstellt, ist eine Projektion der eigenen Vorstellungskraft und hat mit der Wirklichkeit nur eine begrenzte Schnittmenge. Und: Hier auf der Erde gibt es nicht das ultimative Glück. Wir sind Menschen, jede und jeder hat seine Defizite, seinen Pferdefuß; keine Liebesbeziehung ohne Enttäuschung. Es muss gravierende Gründe geben, wenn ich mich aus meiner Ehe lösen und mit einer anderen Person neu anfangen will. Jesu Mahnung macht realistisch und das tut uns gut.
Auf Arte war am 4. 7. 21 eine Dokumentation zu sehen unter dem Titel „Wenn Liebe fremdgeht“. Sie kam sehr spät am Abend, ich habe nur einen Teil gesehen. Mir fiel auf: Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war Fremdgehen in manchen Staaten Europas verpönt, durchaus auch im ursprünglichen Sinn des Wortes – strafbewehrt. Heute wird es akzeptiert, es ist kein großes Ärgernis, kein Aufreger mehr. Sogenannte Stars machen es vor, Filme zeigen bildreich, wie spannend Sex neben der Normalspur der Ehe ist. Wer fremdgeht, hat vermutlich einen (guten?) Grund dafür. Umso mehr fällt auf, dass die Sprengwirkung eines Ehebruchs heftig sein kann. Nachdem der Ehemann den Ehebruch zugegeben hat, wirft ihn seine Frau sofort aus dem Haus. In den Schilderungen Betrogener fällt auf, wie tief die Verletzung durch das Fremdgehen des Partners empfunden wird; so tiefgehend, als wäre das Fundament des eigenen Lebens weggebrochen. Gesellschaftlich scheinbar kein Problem wird Fremdgehen im Persönlichen oft als Desaster empfunden. Im Anschluss an die biblische Spruchweisheit sage ich: Die Beheimatung im Leben ist gestört; die Erfahrung von Treulosigkeit raubt dem Leben Zuversicht und Stabilität.
Zurück zu unserem Bibelwort: Paulus stellt fest: Solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.“
Das ist unser Stand als Christinnen und Christen: Wir haben Vergebung unserer Schuld! Paulus erinnert an die Erfahrung der Taufe; durch den Namen Jesu - Gott hat ihn zum Herrn gemacht - und bestätigt durch den Geist Gottes seid ihr freigesprochen im Gericht Gottes. Das ist das Versprechen der guten Nachricht von Jesus. Deshalb gilt: Unsere Freiheit als Christen soll nicht die geistliche Gemeinschaft mit dem Herrn (zer-)stören.
„Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.“ Paulus zitiert vermutlich mit dem allerersten Teil des Satzes eine Meinung in der korinthischen Gemeinde. Die starke Betonung der christlichen Freiheit verweist auf eine Gemeinde, die sich geistlich noch in der „Pubertät“ befindet. Die noch lernen muss, dass bindungslose Freiheit zerstörerisch ist. Bindungslose Freiheit zerstört die Verbindung zu Jesus, dem Herrn. Christinnen und Christen haben sich IHM anvertraut mit Leib, Seele und Geist. Deshalb sind sie nicht frei mit ihrem Leib, Unzucht zu treiben und z. B. ins Bordell zu gehen. Als ganze Menschen sind sie erlöst und das heißt, gehen sie zu auf die Auferweckung der Toten. Als ganze Menschen sind sie Tempel des Heiligen Geistes und damit geheiligt für Gott. Gott hat sie durch Jesus als ganze Menschen freigekauft, nicht nur ihre Seele erlöst. Paulus meint das Bild vom Leib als Tempel des Heiligen Geistes realistisch; für ihn ist der Heilige Geist und sein Wirken nicht nur eine Vorstellung, sondern konkrete Erfahrung. Gottes Geist schenkt wirkliche Gewissheit des Glaubens, Gottes Geist erfüllt wirklich mit Hoffnung, Gottes Geist macht wirklich frei von zerstörerischen Bindungen; ja Gottes Geist wirkt da und dort Einsicht in Kommendes und Heilung aus Krankheit. Vor allem erfüllt er mit tiefer Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Das alles nicht deshalb, weil jemand sich aufgeschwungen hat zu Gott, sondern weil Gott durch Jesus die Tür zu einem neuen Leben aufgestoßen hat! Die Verbindung zu Jesus ist der Schlüssel zu diesem neuen Leben. Gott sei dafür Dank und Anbetung. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe zwei Gruppen von Menschen vor Augen: Menschen meiner Odenwälder Kleinstadt Bad König, aber auch die Leser und Leserinnen der Predigt im Internet.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Erst einmal stand ich vor diesem Bibelwort wie vor einem schwer zu erklimmenden Gebirge! Mit dem zweiten Predigtentwurf haben sich die Themen konkretisiert. Beflügelt? Ich wollte verstehen, was Paulus' harsche Worte für uns bedeuten.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie wichtig die Christus-Verbindung für das Leben der Christinnen und Christen ist. Ein Geist mit dem Herrn sein, Tempel des Heiligen Geistes, Gott mit meinem ganzen Menschsein preisen, das sind riesige Themen, die sich in meinem Leben und Denken noch viel mehr verwirklichen müssen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Predigt ist nach und nach gewachsen; neue Teile kamen dazu. Das kann ich mir nur als Ruheständler leisten, im aktiven Dienst fehlt dafür meist die Zeit.
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Sein Leben in Gott und die Welt erforschen - Predigt zu 1. Kor 1,18-25 von Markus Kreis
18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. 19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben. 22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.
Liebe Gemeinde,
die dummen Torheiten und die weisen Weisheiten, die gibt es schon noch. Nicht jede Torheit ist eine verborgene göttliche Weisheit. Und nicht hinter jeder Weisheit steckt in Wahrheit eine höllische Torheit. Predigttext hin oder her. Das muss man mal festhalten zu diesen Zeiten. In denen während der Pandemie Wissenschaft vermehrt angegriffen wird.
Es gibt Gründe, Wissenschaft zu kritisieren. Forscher haben betrogen und betrügen immer noch, sei es an der Universität oder in der Abteilung Entwicklung der Industrie. Sie leugnen in Gutachten den Klimawandel, erschleichen falsche Kennwerte, indem sie Software manipulieren. Sie behaupten für Kurse an der Börse Erfolge. Die wiederum in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus, wenn sie näher geprüft werden.
Richtig verstanden und gemacht entspricht Wissenschaft göttlich weiser Weisheit. Sie kann dann zur Freiheit aus Not verhelfen. Ja, ja, der Turmbau zu Babel - aber erinnern sie sich, es gibt daneben den Bau der Arche Noah. Von Gott persönlich angewiesen.
Zunächst ist zu klären: Was hat es mit törichter Weisheit und weiser Torheit auf sich? Und mit machtloser Kraft und machtvoller Schwäche? Damals warfen laut Paulus Ungläubige den Christen zweierlei vor: Eure Lehrsätze über Gott sind töricht. Und: Das Wirken Eures Gottes in der Welt kommt doch recht ohnmächtig rüber.
Paulus dreht den Spieß um. Er entgegnet darauf: Alles nur Projektion, liebe Leute. Viele vertragen nicht den Gedanken, dass ihr Wissen größtenteils unabgeschlossen bleibt. Das macht sie extrem unsicher. Halbwissen, Falschwissen, Irrtum, Zweifel, das ist ihnen fern. Was natürlich falsch und reine Einbildung ist. Solche Besserwisser halten sich insgeheim für allwissend und unterstellen genauso heimlich anderen, dass deren Wissen voller Mängel ist. Nach dem Motto: Angriff ist die beste Abwehr.
Projektion auch beim Thema Macht und Ohnmacht. Viele leiden darunter, dass sie so wenig in der Welt ausrichten. Das frustriert sie. Insgeheim halten sie sich vielleicht sogar für Versager. Schwachheit des Körpers, Mangel an geistiger Disziplin, Denkfehler, dem unterliegen nur andere. Was sie natürlich blind für die eigene Lage macht. Solche Macher halten sich insgeheim für allmächtig und unterstellen genauso heimlich anderen, die sie echt nichts auf der Pfanne haben. Ganz nach dem Motto: Angriff ist die beste Abwehr.
Als Christ denkt man anders. Da weiß ich ganz gewiss: Gott begegnet jedem mit Liebe, auch wenn er diese Zuwendung nicht verdient hat. Laut Paulus haben viele Menschen das als Torheit empfunden. Um sich durchzusetzen, ist für sie vergelten statt vergeben angesagt. Gleiches mit Gleichem, im Guten oder im Bösen. Statt immer wieder nur reinbuttern. So die Weisheit der Welt.
Wie oft habe ich in meinem Leben unverdient profitiert, weil sich andere mir mit Liebe zugewendet haben. Sehr oft. Das ist schwer zuzugeben. Denn das schmälert die eigene Leistung erheblich, auch das Vertrauen in sich selbst. Das Zutun anderer verdränge ich statt es einzusehen. Stattdessen sehe ich mich gerne allein als den Bringer, der alles geregelt bekommt.
Als Christ weiß ich ganz gewiss: Gott begegnet mir mit Liebe, auch wenn ich diese Zuwendung alles andere als verdient habe. Das bedeutet zweierlei: Ich genieße in meinem Leben gerade diese Zuwendung und Liebe. Dann bin ich gut vor Gott. Oder dessen Liebe und Zuwendung stehen aus. Sie müssen mir neu zu Teil werden, weil mir Gott ferne liegt, mit oder ohne mein Wissen. Dann bin ich ein Sünder, gottlos.
Ob ich als gut oder schlecht vor Gott stehe, weiß nur ich allein. Jeder Wissensstand bringt seine eigene Gewissheit mit sich. Zu hoffen ist einem gewiss, zu verzweifeln ist einem gewiss. Gott wirkt auf mich über mein Wissen ein, nicht nur über meinen Körper. Viele Menschen empfinden es als wirkungslos, diesen Weg über Gewissheit zu wählen. Glaube ist schwer zu überprüfen. Was einer tut oder sagt aber schon. Weshalb sich leider viele gerne von Zeichen oder Wundertaten beeindrucken lassen.
Andererseits ist klar: Jemand kann viel Gutes tun und dabei Böses im Schilde führen. Nur weil sich jemand an Regeln hält, steht er noch längst nicht zu dem Geist, der hinter den Regeln steckt. Und vielleicht wendet hier ein anderer ein: Man kann sich auch selbst täuschen mit dem, was man im Inneren zu sich sagt oder denkt.
Egal, wie man es fasst: Früher oder später macht es sich bemerkbar, wenn es in einem Leben klafft zwischen dem, was man glaubt, und dem, was man tut. Die anderen werden es bemerken oder man selbst. Ja, und dann? Wenn man vor den Scherben seines Lebens steht? Da hilft nur noch Vergebung, ein Neubeginn. Angesichts des Verzweifelns, des Wissens ums eigene Versagen, die alte Gewissheit neu: Gott begegnet mir mit Liebe, auch wenn ich es nicht verdient habe.
Jeder Wissenstand bringt seine eigene Gewissheit mit sich. Das gleiche gilt auch für Gott. Ob Gott einen je in seiner Lage als gut oder gottlos sieht, weiß nur Gott allein. Was für mich schließlich heißt: Kein Zweifel, dass Gott wie beschrieben bei mir wirkt. Aber zu Lebzeiten auch Zweifel und Verzweiflung, zu welcher Zeit Gott denn so oder so an mir so wirkt.
Ich kann mich irren, mich in meinem Stand vor Gott täuschen. Ich kann mich gerade für gut halten, und vor Gott schon das Gegenteil sein. Also der Verzweiflung oder Reue anheimfallen. Oder ich halte mich gerade für schlecht und bin vor Gott schon gut. Neuer Freude und Hoffnung bahnt sich an. So arbeitet Gottes Vergebung in Christus. Im Leben keine Hoffnung ohne Verzweiflung. Die Übergänge zwischen den beiden können quälend langsam verlaufen. Der Wechsel kann sich plötzlich einstellen. Der Wechsel kommt, so oder so, denn gerade so wirkt Gottes Vergebung.
Dank der Vergebung in Christus, ist mir in meinem Leben Falsch- oder Halbwissen zur Kraft geworden. Ich vertraue, dass Gott sich mir in Liebe zuwendet. Egal, ob ich nun gerade mit oder gegen Gott lebe. Wenn ich mich von Gott entferne, lautet sein Urteil: Verzweiflung. Wenn sich Gott mir in Liebe zuwendet, lautet sein Urteil: feste Hoffnung.
Ebenso ist endgültiges Bescheidwissen eine Schwäche. So standhafte Gewissheit bedeutet nämlich, seinen Wissensstand einzufrieren. Auf neues Lebenswissen zu verzichten. In einer Welt, die sich fortwährend ändert.
Das Wissen bezieht sich längst nicht nur auf den eigenen Stand vor Gott. Das ist eigentlich altes wahres Wissen, gern vergessen oder nicht verstanden. Ähnlich dem, was man aus der Mathematik weiß. Es gibt auch Neues zu wissen. Das bezieht sich auf den eigenen Stand im Leben. Denn es ist bezogen auf die jeweils persönliche Lebenslage: also auf die Mitmenschen, mit denen ich Beziehungen führe, auf die Aufgaben, die mir obliegen. Da kann es heißen, sich neu Fehler einzugestehen. Eventuell auch vor anderen. Und es besser zu machen. Oder die Fehler anderer anzusprechen. Aber auch sich zu freuen, dass alles gut läuft. Und dafür stolz und dankbar sein. Oder sich für andere zu freuen, dass es bei ihnen gerade gut läuft.
Wissenschaft erforscht die Welt ähnlich wie Gläubige ihr Leben vor Gott. Forschern wird ihr Falsch- oder Halbwissen über die erforschte Wirklichkeit zur Kraft. Sie vertrauen, dass sie sich ihnen zuwendet, zeigt, wie sie wirklich ist. Auch wenn sie sich ihnen gerade noch verschließt. Ihr Zweifel und ihre Torheit führt sie dazu, neues Wissen und Gewissheit zu bekommen. Endgültiges Bescheidwissen kann dabei nur Schwäche sein. Da standhafte Gewissheit nämlich bedeutet, seinen Wissensstand einzufrieren. Auf neues Wissen zu verzichten. Das im Fluss der Wirklichkeit auftauchen wird.
Kommen wir zur göttlich weisen Wissenschaft. Sie liefert uns Modelle der Welt und Wirklichkeit. Das tut sie sehr erfolgreich, wie viele Techniken zeigen, die wir so nutzen. Wahrhaft weise Wissenschaft ist so erfolgreich, dass einige ihrer Ergebnisse sogar Teil der Sprache geworden sind. Dampf ablassen, zum Beispiel. Das heißt seinen Unmut äußern, etwas ändern wollen und das dann auch tun. Dampf ablassen, das passiert auch in der Dampfmaschine.
Der Mensch benutzt sein Wissen über Teilbereiche der Natur, um sich eine künstliche Natur zuzulegen. All die Labore und Fabriken, Straßen und Bahnen, Glasfasern und Leitungen gehören dazu. Die sollen ihm beim Leben in und mit der Natur helfen. Diese Entlastung bringt Menschen mehr Freiheit für Kultur, also freie Zeit zum Nachdenken und rein geistiger Beschäftigung überhaupt, zum Schaffen von Kunst und Wissenschaft usw.
Allerdings ist die Wissenschaft in der freien Natur draußen eben nicht ganz so erfolgreich wie im Labor. Die Wettervorhersage stimmt nicht immer, ein Impfstoff erweist krank machende Wirkungen erst im Gebrauch und eine genetisch neue Pflanze bringt mit ihrer grünen Power plötzlich ein Ökosystem ins Wanken. Die Dinge werden, wenn sie der Kontrolle des Versuchslabors entzogen sind, schnell sehr kompliziert. Die Wissenschaft kann sie dann viel weniger sicher beherrschen oder vorhersagen.
So schwindet das Vertrauen in die Wissenschaft. Denn sie schafft nicht nur Wissen, sondern auch Halbwissen, Fehler inklusive. Ja, sie schafft es nicht, Unwissen zu beseitigen. Und wenn sie Wissen schafft, dann handelt es sich oft genug nur um vorläufiges Wissen, um Das-ist-noch-nicht-alles-was-dazu-zu-sagen-ist-Wissen.
Was heißt das für die Wissenschaft? Sie genießt bei den Leuten sehr viel Respekt, weil ihre Entdeckungen und Erfindungen das Leben erleichtern. Dieser Respekt ist schnell verspielt, wenn man so tut, als könne sie mit Hilfe von Technik für jedes kommende Problem eine Lösung herstellen. Sprich, wenn man so tut, als wäre die natürliche Wirklichkeit nur ein übergroßes Werklabor. Und nicht die Umwelt eines Werklabors, die den Laden schwer in Bedrängnis bringen kann.
Weise Wissenschaft entsagt dem Nimbus der Allmacht und Allwissenheit von sich aus. Wenn nicht, wird ihr noch viel mehr entzogen. Pfarrer- und Ärzteschaft wissen bereits ein Lied davon zu singen. Ich lache inzwischen innerlich auf, wenn sich jemand als Experte für was auch immer vorstellt. Und als Einzelner unfehlbar Lösungen für sein Sachproblem anpreist.
Um den Respekt neu zu gewinnen, muss man so vorgehen, auch die Medien: Erkenntnis ist als vorläufiges Wissen statt als Dogma zu markieren, dessen Lücken sind zugleich mit zu erwähnen. Egal ob es sich um Lücken im Sachgebiet oder um Lücken in Verbindung zu anderen Gebieten dreht. Wahrscheinliches ist als vorläufige Einschätzung zu markieren und nicht als Naturgesetz.
Denn leider sind die Probleme, die uns heute besonders beschäftigen, offenbar viel schwieriger zu lösen als das Ereignis, ein Ding mit vier Rädern auf einer mehr oder weniger glatten Strecke problemlos eine Weile aus eigener Kraft vorwärts fahren zu lassen. Der Verbrennungsmotor und der Klimawandel zeigen das Problem auf: Die Wirkung der künstlichen Natur in einem Teil der natürlichen Wirklichkeit. Wobei letztere nur sehr vorläufig verstanden ist.
Wie gut etwa Klimamodelle tatsächlich das Klima vorhersagen, werden wir erst in einigen Jahrzehnten wissen. Genau genommen werden wir es nie erfahren, weil die Menschen in Zukunft ihr Verhalten ändern werden. Einerseits auf der Basis der heutigen Vorhersagen, aber auch weil es neue Technologien gibt, die wir heute noch nicht kennen. Die Vorgänge werden also nicht genau so verlaufen, wie es die Modelle heute vorhersagen, auch wenn verschiedene Szenarien berechnet werden.
Denn es werden sich Dinge ereignen, die die Entwicklung maßgeblich ändern. Dinge, von denen wir heute noch nichts wissen: Seien es Entdeckungen im Labor, Erfindungen in der Werkstatt, Vulkanausbrüche, Meeresströme ändern ihren Verlauf usw. Dinge, mit denen wir heute mangels Wissens schlicht noch nicht berechnen können.
Zu diesem Noch-nicht-alles-Wissen gehört vor allem das Verhalten der Menschen selbst. Wir reagieren auf die Nachrichten und den Stand der Dinge. Aber auch auf deren Auslegung durch Modelle und Vorhersagen. Auf welche Weise wir reagieren, das ist schwer vorhersagbar. Deshalb lässt sich unser neues Verhalten nur wenig sachgerecht in die Modelle und Formeln einbauen. Auch wenn es in Zukunft dann auch ein paar neue mathematische Modelle geben wird.
Das heute nur vorläufige Wissen mit Lücken bedeutet jedoch nicht, dass die Modelle und ihre Formeln nichts bringen. Auch wenn sie das Klima in seiner Vielfalt nicht erfassen können, helfen sie: Es gelingt wenigstens, bestimmte Fluchtpunkte in dieser Vielfalt zu verstehen. Außerdem ermöglichen sie etwas, was im echten Leben schwer nachzustellen ist: gedanklich auszuprobieren, zu experimentieren, virtuelle Welten durchzuspielen.
In diesem Zahlenspiel lässt sich jede Maßnahme einzeln ausprobieren oder kombiniert mit anderen. Kurz: das mathematische Modell ist das Versuchslabor der Forscher, egal, ob es um Klima oder Pandemie geht. So lernen die Wissenschaftler, die Zusammenhänge zu verstehen. Unmittelbarer, kurzfristiger Nutzen, der entsteht daraus nicht. Das mag die Leute enttäuschen und Vertrauen in den Job der Wissenschaften beeinträchtigen. Aus Modellen sind für die großen Aufgaben keine klaren Anweisungen zu gewinnen. Und schon gar keine Prophetie nach dem Prinzip: Tut das, dann wird jenes geschehen. Auch wenn man das gerne hätte. Zahlen und Formeln bieten Orientierung, mehr nicht.
Wissenschaft muss zugeben, dass sie nur Modelle hat, die ein schwaches Abbild der Wirklichkeit liefern. Rein Mathematisch gesehen. Und auch von dem her, was als Wirklichkeit im Modell dann veranschlagt wird. Zudem kommt: Auch Forscher machen Fehler, nicht nur fachliche. Obwohl sie so gut bezahlt werden. Andere würden in dem Job auch ihre Fehler machen, aber ich glaube, in ungleich größerer Anzahl.
Weise Wissenschaft orientiert. Ihr Wissen und ihre Gewissheit sind das Beste, was wir haben, um die natürliche Wirklichkeit zu erforschen. Allerdings können ihre Einsichten, gerade, wenn sie Antworten auf dringende Fragen geben sollen, unscharf sein. Manchmal widersprechen sie sich sogar. Sie können uns nie sagen, was wir im Einzelnen tun sollen. Das muss persönlich im Gewissen erforscht und entschieden und werden. Ganz wie im Glauben. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Als Adressaten in kritischer Hinsicht hatte ich in mir zugegen: Pandemie leugnende Gläubige - nicht nur freikirchliche - und nicht gläubige, aber studierte Freund*innen, sowie Christen oder Nichtchristen, die die Wissenschaft vergöttern. Christen, die zu Wissenschaft ein nüchternes Verhältnis haben, sollen sich mehr oder weniger tief bestätigt sehen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Einerseits hat sich der Text wegen einer Examensangelegenheit auf meiner Liste offener Posten befunden. Andererseits erfuhr ich von freikirchlicher Seite und von nichtgläubigen, aber studierten Freund*innen viel als Wissenschaft verbrämten Unsinn über die Pandemie und ihre Folgen, wozu ich theologisch und wissenschaftlich Kontrapunkte setzen will. Bei letzterem geholfen hat mir ein Text von Jörg Phil Friedrich in der ZEIT vom 25.05.2021, Wer glaubt schon Modellbauern?
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass der Korinthertext den Spieß umdreht und die Vorwürfe der Kritiker des christlichen Glaubens gegen sie selbst zu kehren weiß. Ebenso die vielen Parallele in der Mentalität der Forscher und der an den Gott des AT oder NT Glaubenden
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die sehr ausführliche Rückmeldung inklusive eines fernmündlichen Gesprächsangebots ließ mich von einer zuerst gewählten Wurzelmetapher zu Gott absehen und veranlasste mich, die dialektischen Paarungen (schwach-stark, weise-töricht, christgläubig-nicht christgläubig) des Korinthertextes zu vertiefen, um von dort her weise Wissenschaft zu erläutern.
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Auf dem Weg der Liebe - Predigt zu 1. Korinther 14,1-12 von Christiane Quincke
Predigttext 1. Korinther 14,1-12 - als Lesung vorab:
1Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist schenkt – vor allem aber danach, als Prophet zu reden. 2Wer in unbekannten Sprachen redet, spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott.Denn niemand versteht ihn.Was er unter dem Einfluss des Geistes sagt, bleibt vielmehr ein Geheimnis.3Wer dagegen als Prophet redet, spricht zu den Menschen. Er baut die Gemeinde auf, er ermutigt die Menschen und tröstet sie.4Wer in unbekannten Sprachen redet, baut damit nur sich selbst auf. Wer aber als Prophet redet, baut die Gemeinde auf. 5Ich wünschte mir, dass ihr alle in unbekannten Sprachen reden könntet. Noch lieber wäre es mir, wenn ihr als Propheten reden könntet. Wer als Prophet redet, ist bedeutender als derjenige, der in unbekannten Sprachen redet – es sei denn, er deutet seine Rede auch. Das hilft dann mit, die Gemeinde aufzubauen. 6Was wäre, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch komme und in unbekannten Sprachen rede. Was habt ihr davon, wenn ich euch nichts Verständliches vermittle? Das kann eine Vision sein oder eine Erkenntnis, eine prophetische Botschaft oder eine Lehre. 7So ist es ja auch bei den Musikinstrumenten, zum Beispiel bei einer Flöte oder Leier: Nur wenn sich die Töne unterscheiden, kann man die Melodie der Flöte oder Leier erkennen. 8Oder wenn die Trompete kein klares Signal gibt, wer rüstet sich dann zum Kampf? 9Genauso wirkt es, wenn ihr in unbekannten Sprachen redet. Wenn ihr keine verständlichen Worte gebraucht, wie soll man das Gesagte verstehen können? Ihr werdet in den Wind reden! 10Niemand weiß, wie viele Sprachen es auf der Welt gibt. Und kein Volk ist ohne Sprache. 11Wenn ich eine Sprache nicht verstehe, werde ich für den ein Fremder sein, der sie spricht. Und wer sie spricht, ist umgekehrt ein Fremder für mich. 12Das gilt auch für euch. Ihr strebt nach den Gaben des Heiligen Geistes. Dann strebt nach Gaben, die die Gemeinde aufbauen. Davon könnt ihr nicht genug haben.
1. Giftpfeilworte
„Mit dieser Hose kannst du doch nicht vor dem Altar stehen!“
„Eine Frau auf der Kanzel? Das geht nicht!“
„Du nimmst die Bibel nicht ernst, sonst würdest du keine Homosexuellen trauen.“
„Du glaubst nicht an Jesus, sonst könntest du nicht mit Muslimen zusammen beten.“
Worte, die ich so oft gehört habe, dass ich sie nicht zählen kann.
Wie Giftpfeile haben sie mich getroffen und treffen mich noch heute.
Und ihre Botschaft ist für mich eindeutig: ich gehöre nicht dazu.
Nicht zum Kreis der Rechtgläubigen. Nicht zu denen, die wissen, was sich gehört.
Und am Ende noch nicht mal zu Jesus.
Genau das soll nicht passieren, sagt Paulus.
In der Gemeinde sollen eure Worte Gemeinde aufbauen, trösten und ermutigen.
Nicht ausgrenzen. Sagt er.
„Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe!
2. Liebe ist der Maßstab
Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Die Liebe ist der Maßstab. Auch wenn es um Worte geht.
Auf dem Weg der Liebe wird kein Mensch ausgegrenzt.
Und das buchstabiert Paulus durch.
In Korinth gibt es Christen und Christinnen, die auf ihr inniges Verhältnis zu Gott besonders stolz sind. Sie haben dafür sogar eine eigene Sprache - eine, die nur sie selber und Gott verstehen. Mit Gott auf du und du.
Das ist okay, aber es hilft den anderen nicht, schreibt Paulus. Im Gegenteil: es schließt die anderen aus, weil sie nicht verstehen, worum es geht. Vielleicht bekommen sie sogar das Gefühl, dass sie noch nicht fest genug glauben oder dass an ihrer Beziehung zu Gott was nicht stimmt. Und das ist lieblos.
3. Verstehen
Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Worte sollen verbinden, nicht ausschließen.
Und doch tun sie es. Oft sogar unbeabsichtigt. Auch hier bei uns. Hier in der Kirche.
Bis zur Reformation haben die Pfarrer auf Latein gepredigt. Das Volk verstand sie nicht. Es nahm am Schauspiel der Kleriker teil, aber gehörte nicht wirklich dazu.
Auch die Bibel gab es noch nicht in Deutsch.
Das änderte sich dann. Plötzlich gab es die Muttersprache in der Bibel und auf der Kanzel.
Aber verstanden die Leute wirklich, was gesagt wurde?
Ich fasse mir an meine eigene Nase: Wie oft habe ich viel zu lange Sätze verwendet?
Und Worte, die nur die wirklich Eingeweihten verstehen?
Vor vielen Jahren habe ich ein Gemeindepraktikum in Argentinien gemacht und ich musste auf Spanisch predigen. Das war das Beste, was mir passieren konnte - die beste Übung, von der Gelehrten-Sprache wegzukommen. Denn da konnte ich nicht kompliziert sprechen.
Aber damit es nicht getan. Ich lebe ja auch in meiner Welt, die in vielem anders ist als die meiner Hörer und Hörerinnen. Meine Erfahrungen sind nicht ihre, nicht eure. Viel zu oft denke ich, dass wir dieselbe Sprache haben. Und viel zu oft benutze ich auch Worte, die ausgrenzen, und Sätze, die ihr nicht versteht.
4. Jede*r gehört dazu
Ich hoffe, dass ihr mich jetzt versteht.
Dass ich euch, die ihr mir zuhört, mitgenommen habe. Dass ihr noch dabei seid.
Denn jede und jeder von euch gehört dazu.
Mir liegt an einer Kirche, die niemanden ausgrenzt.
Ich will mit euch eine Kirche gestalten, die den Weg der Liebe geht.
Eine Kirche, die für euch alle ein guter, ein sicherer, ein liebevoller Ort ist.
Ich weiß, dass der Weg noch weit ist.
Immer noch denken viele, dass Kinder nicht zum Abendmahl dürfen, weil sie es angeblich nicht verstehen.
Immer noch gibt es evangelische Kirchen, die Frauen nicht auf die Kanzeln lassen. Ja, dazu hat auch Paulus beigetragen. Er hat seine eigenen Worte nicht ernstgenommen.
Immer noch hören viel zu viele Menschen, dass sie nicht willkommen sind, nur weil sie anders lieben, anders fühlen, anders sind, als die sogenannte Norm. Gerade erst wieder musste ich in einer kirchlichen Zeitschrift lesen, dass sie krank seien oder sündig und pervers leben - auch daran trägt Paulus seinen Anteil. Und ich schäme mich dafür, dass das immer noch passiert.
Ja, und immer noch lassen wir Menschen mit Behinderungen nicht wirklich zu Wort kommen.
5. Willkommen heißen
Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Jesus lebt sie, diese Liebe. Geht diesen Weg.
Vor 2000 Jahren hat er Kinder in den Arm genommen, Zachäus vom Baum geholt und sich vor die Frau gestellt, die vom Mob gelyncht werden soll.
Vor wen würde er sich heute stellen?
Vor die Synagoge, vor die Moschee, vor die Beratungsstelle für Abtreibungen vielleicht?
An seinem Tisch sitzen sie alle, die nirgendwo einen Platz bekommen.
Die immer weggejagt werden, die sind willkommen.
Und das gilt auch für mich. Und für euch.
Niemand wird weggeschickt. Jedes verwundete Herz wird umarmt.
6. Mit Worten verbinden
Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Geht ihn weiter, ihr Christen und Christinnen.
Mit euren vielen Stimmen und den vielen Weisen zu leben.
Geht den Weg nicht für euch allein, sondern zusammen mit allen, die lieben.
Geht ihn mit den Muslimen und den Jüdinnen, den Atheistinnen und den Frommen.
Die Liebe hört an den Kirchenmauern nicht auf.
Sie gehört hinein in die Welt.
In die Flüchtlingsheime und in das Rathaus.
Ans Krankenbett und ins Nagelstudio.
Sprecht Worte, die verbinden.
Öffnet euer Herz für die, die anders sind als ihr.
Denn das ist der Weg von Jesus. Kein anderer.
7. Willkommensworte
Lasst uns die Giftpfeilworte in Willkommensworte verwandeln:
Auch vor dem Altar darf jede sein, wie sie ist.
Jede soll viele Fragen stellen!
Eine Frau auf der Kanzel? Wunderbar!
Wir nehmen die Liebe Gottes ernst. Darum trauen wir Homosexuell Liebende.
Wir glauben an die Größe Gottes und darum beten wir mit Muslimen zusammen.
Könnten Willkommensworte so klingen?
Worte, die verwundete Herzen umarmen.
Die ermutigen und trösten.
Prophetische Worte der Liebe.
Worte, die ich noch mehr hören will und anderen sagen will.
Denn sie verbinden. Mit Jesus. Euch und mich und die ganze Welt.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Unsere analoge Gottesdienstsituation ist immer noch von vielen Barrieren (Abstand!) und kurzen Gottesdiensten geprägt. Das Ringen um Zugänglichkeit ist allgegenwärtig. Dies betrifft auch die digitalen Formen, die die Frage nach der Verständlichkeit unserer kirchlichen Sprache oft noch viel direkter aufwerfen. „Glossolalie“ wird in den landeskirchlichen Gemeinden ja nicht gepflegt. Aber das Thema „Verstehbarkeit“ ist geblieben.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Dass Sprache ausgrenzen oder verbinden kann, ist derzeit wieder sehr aktuell (z.B. Debatte um Gendergerechte Sprache). Auch in der evangelischen Kirche wird es debattiert. Mich hat insbesondere der Kontext des Predigttextes dazu motiviert, vom Aspekt der „Liebe“ auszugehen (siehe das 13. Kapitel) und die Ziel von Paulus aufzunehmen, eine inklusive Kirche zu bauen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Auch ich grenze aus - meistens unbewusst. Es ist herausfordernd, dass meine Welt und die meiner Hörer*innen nicht dieselbe ist. Wie können wir dennoch einander verstehen und dafür sorgen, dass wir - auch sprachlich! - niemanden ausgrenzen? Die Vielstimmigkeit, die Paulus neben dem Aspekt der Verständlichkeit ins Spiel bringt, könnte hier ein Wegweiser sein.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das sorgfältige Lesen und die behutsamen Hinweise meiner Coach Christine Schlund waren für mich sehr hilfreich. Sie ermutigte mich, konsequenter im Fokus zu sein und manche Klischees rauszuwerfen. Zwei weitere Kolleg*innen haben ebenfalls nochmal „drüber geschaut“ und hilfreiche Anregungen gegeben. Ich bin dankbar für diese Möglichkeiten des Predigtcoachings.
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Post zum Pfingstmontag - Predigt zu 1. Korinther 12, 4-8 von Jochen Riepe
( Der Predigttext ist als Epistellesung vorgetragen worden.)
I
‚Keiner weiß genau, wie es kam … Es brauchte Zeit, der Abstand tat weh, aber heute halten wir uns an den Händen‘. Heilung. Versöhnung. Wieder miteinander sprechen. ‚Es sind verschiedene Gaben, Ämter, Kräfte, Meinungen, Geschichten, Sprachen… und, und, und… es ist aber ein Geist‘, schreibt Paulus. Dieser Geist, der ‚Geist Christi‘, sei mit euch. Es ist Pfingstmontag.
II
Heilung … nicht wahr, so etwas vergißt man nicht: Der Junge war gefallen. Er weinte. Das Knie blutete. Die Mutter beruhigte, säuberte die Stelle und legte ein Pflaster auf. Und dann pustete sie und blies ganz sanft die Stelle an. ‚Und jetzt, was müssen wir jetzt tun?‘ fragte der Kleine. ‚Nun warten wir. Die Wunde muß jetzt schlafen. Das wird schon wieder!‘
‚Das wird schon wieder‘. Den Weg der Genesung darf man soz. sich selbst überlassen. Nach ersten Maßnahmen ist alles so ‚eingesetzt‘(12,10), daß eine Verletzung sich schließen kann. Manchmal hinterläßt sie eine Narbe. Und manchmal ist es so, als sei gar nicht gewesen. Der Schnitt, die Schramme oder die Schürfung sind schnell vergessen.
III
Paulus, der reisende und schreibende Apostel, ist in Sorge um die Gemeinde in Korinth, er, der sich als einer ihrer ‚Väter‘(4,13) bezeichnet und von Herzen mit diesem Teil des Leibes Christi verbunden ist. Was war geschehen? Korinth sei von ‚Spaltungen‘(1,10), von ‚Eifersucht und Streit‘(3,3) zerrissen. So wurde es dem Apostel berichtet, und dazu will er brieflich Stellung nehmen. ‚Es tut mir weh, was ich über euch höre‘. Jede Gemeinde kennt Gruppen, Kreise, ‚Parteien‘, und diesen damals fiel es schwer, miteinander zu sprechen – vielleicht wollten sie es auch gar nicht. Sie konkurrierten mit ihren Gaben und rieben sich aneinander. Ich weiß: ‚Wettkampf‘ kann uns motivieren, aber eben auch völlig verdrehen. Triumph den einen, Schmach den anderen: ‚Alles ist mir erlaubt‘(6,12), wenn es nur Aufmerksamkeit erregt. Heilungen, Zungenreden, Weissagungen…
‚Verschiedenheit ist gut‘, schallt es aus den Medien. Vorsicht! Die Frage: ‚Wer hat zu sagen? Wer hat die Lufthoheit?‘ lauert auch hier. Korinth war eine multikulturelle Stadt. Buntheit im Alltag will gelernt sein. Faires Streiten, ein fruchtbarer Wettstreit muß eingeübt werden. Sonst setzt sich der Laut-‚Starke‘ durch und bevormundet die ‚Schwachen‘ (Röm 14,1). Droht, so der Apostel, eine ungeregelte Vielfalt nicht den Leib Christi zu fragmentieren, zum Taumeln und zu Fall zu bringen? Wunder des Geistes – Wunden des Geistes. Gegeneinander erhebt sich, was zusammengehört.
IV
Es wird noch verwirrender. Paulus ist der Gründer der Gemeinde, er schreibt allerdings von außen, wohl aus Ephesus. Mir als ‚(Streit-) Schlichter-Gemüt‘ fällt dazu ein: Solche Einmischung kann hilfreich sein, aber auch Widerstand und Gereiztheit entfachen. Räumliche Distanz droht, die Dinge zu verzerren. Stimmt es denn wirklich, was ihm zugetragen wurde? Kannte er die Situation? ‚Väter‘, selbst liebebedürftig und schnell überfordert, sind nicht unbedingt die besten Berater. Zumal gegenüber Kindern, die sich renitent zeigen, dem Vernehmen nach hochgemut und trunken im Geist schweben und nur widerwillig zur Erde und in den Alltag zurückwollen. Eine explosive Lage!
Im Eingangsteil seines Briefes spürt man das: Paulus fühlt sich herausgefordert. ‚Vor-Münder‘, Kümmerer, neigen zu Machtworten oder vorwurfsvollen Vorhaltungen: ‚Ja, wißt ihr denn nicht?‘ Ja, damals in der guten, ersten Zeit, ‚als ich zu euch kam‘(2,1) … da waren sie noch klein und ‚unmündig‘, die Korinther. Sie bedurften der Milch, feste Speise konnten sie nicht vertragen. Aber sind sie es nicht immer noch und brauchen ein ‚Vorbild‘, um mit der Lage zu recht zu kommen? Einer, der die Wunden entschieden und resolut verbindet? ‚Die Zeiten haben sich geändert‘, höre ich die ebenso liebebedürftigen Kinder erwidern. ‚Auch ein Apostel muß lernen‘.
V
‚Es sind verschiedene Kräfte, Gaben, Aufgaben, Perspektiven … und, und, und… aber es ist ein Geist‘. Kann man denn die Gelassenheit der Mutter, die auf die Selbstheilung des Leibes vertraut, angesichts der Wunden des Geistes bewahren? Und würde Paulus, der Briefschreiber, meine Kindheitserinnerung zulassen und auf den angeschlagenen Leib Christi, die prekäre Gemengelage von Enthusiasmus, Konkurrenz, Neid und Hochmut, anwenden?
‚Ich weiß nicht wie, aber wir kamen wieder zusammen‘, zitierte ich zu Anfang eine Stimme voller Dankbarkeit und Erstaunen darüber, daß in unser zerrissenes Leben, ja, ‚eine es ’tragende‘ Geisteskraft eingewoben ist‘ (K.M. Kodalle). Eine ‚Integrationskraft‘, die über das Gegebene und unabänderlich Scheinende hinausragt und ‚ganz unerwartet und unverhofft‘ uns sich schenkt. In einer Gemeindechronik lesen wir von diesem Geheimnis eher zwischen den Zeilen: Wir haben Schmerzen, wir leiden aneinander, wir streiten und manchmal droht sich alles aufzulösen, und doch, die Sprache legt es in den (allzu?) schönen Satz: ‚und alles Getrennte findet sich wieder‘. Das Unumkehrbare und Unwiderrufliche ist offen für – Versöhnung.
‚Es ist ein Geist‘. Heute am Pfingstmontag werden wir dieser Vertrauen stiftenden, wahrlich entspannenden und entkrampfenden Gotteskraft inne. Nach dem heftigen ‚Sturmgebraus‘(eg 567) des Pfingsttages ist sie es, die durch unsere Zerrissenheit hindurch wirkt. Ja, sie nimmt diese in den Dienst, öffnet Herzen und Hände: ‚Komm, ich will dir zuhören‘.
VI
Also, auch ein ‚Vater‘ lernt. Gewiß, ‚die Zeit ist kurz‘(7,29) und das macht Druck. Aber gerade schreibend – ein Brief als Statthalter des Gesprächs!- können Eindrücke, Urteile, Gerüchte, auch der eigene Ärger, gegenläufig dazu – Zeit gewinnen! Luft. Atem. Abstand. Was ich geschrieben habe, das sieht mich an, und manchmal ziemlich schräg und kopfschüttelnd: ‚Denk noch einmal drüber nach‘. Besonders einen zornigen, streitbaren Brief oder eine mail werden wir erst einmal ruhen lassen und eine Nacht drüber schlafen, bevor wir sie absenden.
Ob sich eben in solch einer Ruhe-Pause dem Apostel jenes Wachstum, jenes ‚milde und heimliche‘(M. Claudius) Resonanzgeschehen erschloß, das wir mit dem ‚leisen Wehen‘ des Gottesgeistes verbinden? Und war nicht sein Schreiben, sein Weg zum Brief, dessen Zeuge? Vermuten darf ich es jedenfalls. Je ernster und erinnerungsstärker mir ein Anliegen ist, umso näher rückt mir auch das Herz dessen, den ich anschreibe. Seine Lage, seine Gedanken, seine Gefühle, und eben das, was uns gemeinsam ist. In Versuch und Irrtum entsteht ein Gewebe von Sätzen, ja, die – oft verborgen unter Strenge und Vorwürfen- nach Widerhall, Echo, verlangen und um die Leser schmerzlich liebend werben.
Was für ein Text – dieser ‚Erste Korinther‘! Und welche Geburtswehen hat er! Paulus hat sich als Vorbild angeboten. Er hat beraten, gelehrt, verworfen, gemahnt. Er forderte, sich von Gemeindegliedern zu trennen und sprach von Geld und Lohn und Verzicht. Er griff an und verteidigte… Aber in dem allem lag gleichsam etwas Anderes und ‚Besseres‘(12,31) schon in der Luft und wollte endlich zur Sprache kommen: Gottes Geist ruft die eine Gemeinde und erhält sie in ihren Unterschieden und ihrer spannenden Vielstimmigkeit. Wo Gnadengaben sich zeigen, wo wunderbar verkündigt, gelehrt, geweissagt und geheilt wird, ist Gott, der Geber, ‚mitten unter uns‘(Lk 17,21) an der Arbeit. Gewiß hat den Apostel – am anderen Morgen?- diese Einsicht vor Panik angesichts der korinthischen ‚Unordnung‘ (14,33) bewahrt. Er belehrt weniger, er macht aufmerksam, argumentiert und findet im mittleren Teil seines Briefes einen versöhnlichen Ton: Wir, Väter und Kinder, leben doch von Voraussetzungen, die wir selbst ‚nicht garantieren‘ können.
VII
Ja, meine Erinnerung, mein inneres Bild. Als das Pflaster abgenommen wurde, sagte die Mutter: ‚Guck mal, nur noch eine kleine Kruste… gut, daß wir gewartet haben‘. Das Genesen, die Normalisierung des verwundeten Leibes Christi ist ja durchaus vergleichbar.
Wie oft ging mir nach einem Konflikt der Gedanke durch den Kopf oder auch mitten durch’s Herz: Hätte ich mich bloß nicht eingemischt! Ich hätte es doch wissen können, daß wir als ‚Mitarbeiter‘(3,9) sanft, geduldig, im Heilschlaf (Ps 127,2) mit dem Gottesgeist zusammenwirken dürfen. Ohne Ziehen, Schieben, Zwingen. Und wo geschieht das besser als im Christus-Mahl und im freimütigen Gespräch? Aufbauender ‚Gottesdienst im Alltag der Welt‘(E. Käsemann). Das weiß jeder aus der Praxis unserer wahrlich bunten, oft taumelnden Gemeinden und ihrer Integrationsarbeit: Lebendige Ko-Existenz erfordert den Willen zur Verständigung und darin eine belastbare Konflikt- und auch Leidensbereitschaft. Im anderen, ja dem, dessen Worte mir ärgerlich sind, ist – ‚weiß nicht wie‘(Mk 4,27)- der Geist Gottes genauso lebendig wie in mir.
VIII
Wenig später wird der Apostel das ‚Hohe Lied der Liebe‘ anstimmen: ‚Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, hätte aber der Liebe nicht…‘ Ob er am Anfang seines Schreibens ahnte, daß er diesen Gipfel erklimmen würde? Aus dem Vater der Gemeinde wird ihr ‚Tröster‘(2.Kor.1,4), der die Korinther freigeben und dem Geist Christi überlassen kann. Daß das weitere Tränen auf allen Seiten nicht ausschließt, ist im zweiten Brief nach Korinth eindrücklich dokumentiert: Gemeinde unter den Kreuz.
Trösten können, die Seele des anderen anhauchen und verbinden, ist ja die vornehmste Gabe des Gottesgeistes. Getröstet kann der begabteste Mitarbeiter, der beste Redner, der größte Heiler, der scharfsinnigste Analytiker zu einer ‚besonnenen Selbsteinschätzung‘ (D. Kellner) kommen und in die verletzliche Normalität des miteinander Sprechens zurückkehren.
‚Er wird schon werden‘ – der Pfingstmontag. ‚Maranatha – Unser Herr komm(t)‘.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Pfingstmontag ist ein Feiertag, der bekanntlich nur wenige Gemeindeglieder versammelt. Es sind die sog. Treuen, ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Gemeindeleitung, Konfirmanden, die den Gottesdienst besuchen. Insofern versucht die Predigt eine Art ‚Mitarbeiterschulung‘, die helfen kann, eigene Konflikte, Kränkungen, Ansprüche zu benennen und zu klären.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich versuche, den leiblichen Heilungsprozeß soz. ‚geistlich‘ zu wenden und homiletisch fruchtbar zu machen. Der Alltag der christlichen Gemeinde ist begründet und getragen im Wirken des Geistes Gottes, der uns zur entspannten Mitarbeit einlädt und befähigt. Eine Formulierung von K. M. Kodalle brachte dies hilfreich auf den Punkt (Verzeihung denken, 2013, S. 10)
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die paulinische Korintherkorrespondenz ermöglicht eine Fülle von gemeindetheologischen und pastoraltheologischen Entdeckungen. Eindrücklich ist insbesondere, wie ‚Standpunkte‘ sich verflüssigen und verändern. Der Briefe schreibende Apostel ist ein lehrreiches Vorbild im Erlernen einer ‚besonnenen Selbsteinschätzung‘ (D. Kellner, Charisma als Grundbegriff der praktischen Theologie, 2011, S. 290).
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Predigtcoach hat mich ermutigt, den paulinischen geistlichen Wachstumprozeß genauer zu beschreiben und die eigene persönliche und pastorale Erfahrung näher an diesen heran zu rücken. Ich habe den Predigtentwurf entsprechend bearbeitet. Ich danke Herrn Dr. Meyer für den inspirierenden Austausch.
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Vielleicht ist es wie beim Weizenkorn … - Predigt zu 1. Korinther 15 35-38. 42-44a von Anita Christians-Albrecht
Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da sein wird. Amen.
Ich weiß nicht mal, wie er starb! - So heißt eine ARD-Doku1, die einen einfühlsamen Blick auf ein Pflegeheim in Wolfsburg wirft. Zu Beginn der Coronapandemie hatten sich hier innerhalb weniger Tage 112 der 160 Bewohner*innen mit dem tödlichen Virus angesteckt. 47 von ihnen starben.
Ich weiß nicht mal, wie er starb! – das sagt in dieser Reportage Sandra Höfert. Ihr Vater gehörte zu den Opfern. Wegen der Zugangsbeschränkungen in Heimen und Krankenhäusern konnte sie nicht Abschied nehmen. Geblieben sind tiefe Trauer und ein Gefühl der Unwirklichkeit.
Ich weiß nicht mal, wie er starb! – Die meisten von Ihnen und Euch wissen, wie und warum Ihre Angehörigen und Freunde gestorben sind. Aber schwer ist es trotzdem.
Tiefe Trauer und ein Gefühl der Unwirklichkeit – viele von uns können das nachempfinden. Wenn die Tür aufginge und sie würde hereinkommen, ich würde mich nicht wundern, sagt mir ein Mann nach dem Tod seiner Frau. Wenn ich durch die Stadt laufe, suche ich unbewusst immer nach seiner Gestalt, erzählt eine Nachbarin.
Ob der Tod in jungen Jahren kommt und völlig unerwartet oder nach einem erfüllten Leben und vorhersehbar – immer hinterlässt er einen tiefen Schmerz. Das wird uns besonders heute, am Totensonntag bewusst.
Und wenn dann Dinge, die helfen, auch noch nicht oder nur eingeschränkt stattfinden können – viele Begleiter*innen bei der Trauerfeier, Umarmungen, die symbolische Rückkehr ins Leben beim Beerdigungskaffee mit Verwandten und Freunden – dann ist es besonders schwer. Auch Trauer kann einsam sein in diesen Zeiten.
Wir werfen Erde auf den Sarg oder die Urne, geben der Erde zurück, was von ihr genommen ist. Erde zu Erde, Asche zu Asche … Immer wieder erleben wir das. Aber begreifen können wir es nicht. Was das bedeutet: Dass mit jedem Menschen eine ganze Welt verschwindet. Dass wir wieder zu Erde werden. Wo ist der Opa jetzt? So fragt Bruno, die Hauptfigur in dem Bilderbuch Hat Opa einen Anzug an? von Amelie Fried und Jacky Gleich2. Brunos Großvater ist gestorben, und er kann es nicht begreifen.
Wo ist der Opa jetzt? - 'Auf dem Friedhof', sagte Xaver. 'Im Himmel', sagte Papa. 'Ja, was denn jetzt?', fragte Bruno und schaute von einem zum andern. 'Beides stimmt', sagte Mama. Da lief Bruno aus dem Haus und versteckte sich in der Scheune. Er wusste genau, dass jemand nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte. Früher, wenn er etwas nicht verstanden hatte, war er zum Opa gelaufen und hatte ihn gefragt. Jetzt war der Opa weg, und keiner wollte ihn sagen, wo er war.
Wo sind unsere Toten? Hilft der Besuch am Grab, um ihnen besonders nahe zu sein? Oder eher ein Blick in die Weite des Himmels? Oder ist es nicht doch logischer, was viele sagen? Dass mit dem Tod einfach alles aus ist.
Nicht nur wir stellen solche Fragen. Auch die Menschen in der Gemeinde in Korinth können sich anscheinend nicht vorstellen, wie jemand, der tot ist, wieder lebendig werden kann. Davon und von dem, was Paulus ihnen antwortet, erzählt unser Predigttext.
Lesung des Textes (möglichst von Lektor*in)
Wie werden die Toten auferweckt? Und was für einen Leib werden sie haben?
Schaut euch doch mal um, sagt Paulus. Eigentlich ist es doch gar nicht so schwer.
Stellt euch ein Weizenkorn vor. Wenn wir es so anschauen, würden wir nie auf die Idee kommen, dass daraus einmal ein grüner Halm wird und später Ähren mit vielen Körnern daran wachsen. Aber wir wissen, dass es so ist. Wir haben es schon oft genug erlebt. Und deshalb können wir das ganz und gar Unwahrscheinliche schon in einem solchen leblosen Korn erkennen.
Voraussetzung ist: Das Korn wird in die Erde gelegt. Der Samen wird begraben. Am Tod vorbei gibt es kein neues Leben.
So, meint Paulus, kann man sich das mit der Auferstehung der Toten auch vorstellen. Wir sehen den Menschen, der vielleicht alt und krank gewesen ist, wir sehen den Körper, wir sehen den Verfall, wir haben die Vergänglichkeit vor Augen. Und mehr können wir erst einmal nicht sehen. Wir haben es noch nicht erlebt, dass ein Toter wieder aufersteht. Aber vielleicht ist es wie beim Weizenkorn.
Paulus verweist uns also auf Bekanntes und erklärt damit das Unbekannte.
Und er geht noch einen Schritt weiter: Die Auferstehung übertrifft all unsere Erwartungen, sagt er. Unser Leben auf dieser Erde ist wie das Weizenkorn, das ausgesät wird – die Auferstehung ist wie die Ähre, die im Sommerwind wogt.
Paulus erklärt das, was er meint, in vier kurzen Sätzen:
Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt in Unvergänglichkeit. Gesät wird in Erbärmlichkeit, auferweckt in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwäche, auferweckt in Kraft. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib.
Ja, so ist es wohl: Bei Lichte betrachtet ist unser Leben hier auf dieser Erde erbärmlich. Auch wenn wir noch so große Stücke halten auf das, was wir als Menschen sind und können, im Grunde ist doch nur ein Windhauch nötig, um uns außer Gefecht zu setzen. Manchmal genügen schon ein paar Viren oder Bakterien.
Unsere irdische Existenz ist bestimmt von Vergänglichkeit und Schwäche. Gerade die Corona-Krise hat uns das noch einmal deutlich von Augen geführt.
Aber – so sagt es Paulus - wir werden auferweckt in Unvergänglichkeit. Gott hält für uns ein Leben bereit, in dem es Zerfall, Schmerzen, Kummer und Krankheit nicht mehr geben wird. Darauf vertraut Paulus. Darauf hoffen wir.
Es geht nicht um ein einfaches Irgendwie geht es weiter! Im christlichen Glauben geht es um ein Es wird alles neu!
Hier das tote Korn, dort die wunderbare reife Frucht. Hier Vergänglichkeit, da Unvergänglichkeit. Hier Erbärmlichkeit, dort Freude und Fülle. Hier irdisch, dort geistlich.
Und trotzdem: Diese Verwandlung schließt die Kontinuität mit ein. Das Saatkorn verändert sich und ist nicht wiederzuerkennen. Aber aus einem Weizenkorn wird eben keine Tulpe und aus einem Kirschkern keine Sonnenblume. Die neue Person entsteht aus unserer individuellen Persönlichkeit.
Wir können das an dem erkennen, was seine Jünger mit Jesus erlebt haben. Nach seiner Auferstehung. Jesus ist nicht reanimiert worden. Er ist seinen Freundinnen und Freunden „in anderer Gestalt“ erschienen. Er konnte durch verschlossene Türen gehen, erzählt die Bibel. Und doch wussten alle: Er ist es.
Der irdische Leib vergeht, aber – so versteh ich das – der von Gott geliebte und gewollte Mensch in seiner Einmaligkeit vergeht nicht.
Was bedeutet diese Hoffnung nun für uns heute - am Totensonntag? Was bedeutet sie für unsere Trauer?
Mir fällt auf, dass Hoffnung und Trauer viel gemeinsam haben. Beide wollen etwas anderes als das, was die Augen sehen können. Beide sind mit dem, was ist, nicht glücklich. Aber es gibt auch einen Unterschied: Die Trauer richtet ihre Sehnsucht auf das, was vergangen ist. Die Hoffnung streckt ihre Fühler aus in die Zukunft.
Die Trauer gilt dem, was man verloren hat und will es zurück. Hoffnung richtet ihren Blick in die Zukunft. Aber sie spürt: Alles ist anders. Aber schon jetzt ist der Mensch, den ich verloren habe, auf eine ganz andere Weise bei mir.
Und es gibt viele Beispiele, dass Menschen durch diese Hoffnung auch im Angesicht des Todes gelernt haben, neu zu leben und das Leben neu zu schätzen.
Ob man das Leben mit oder ohne Hoffnung betrachtet, das macht den Unterschied.
Ich muss an die Erlebnisse älterer Menschen in der Nachkriegszeit denke. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg ging es den meisten sehr schlecht. Es gab mehr Trümmer als Häuser, und von guten Lebensbedingungen konnte keine Rede sein. Dennoch erschien es vielen wie ein Wunder, das ihnen überhaupt neues Leben zugedacht war. Leben war Hoffnung in dieser Zeit. Man fing an zu bauen und Gesetze zu beschließen. Und obwohl man gerade erlebt hatte, zu welcher Zerstörung und Grausamkeit Menschen fähig sind, glaubte man, dass nun Frieden bleiben könne für immer. Wenn private und politische Lebensumstände entscheidend wären, hätte damals niemand Grund zur Hoffnung gehabt.
Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt in Unvergänglichkeit. Gesät wird in Erbärmlichkeit, auferweckt in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwäche, auferweckt in Kraft. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib.
Es ist gut, dass wir diese Worte immer wieder hören, auf dem Friedhof, an den offenen Gräbern. Und heute.
Denn diese Hoffnung brauchen wir jetzt. Am Totensonntag. Mitten in der Corona-Zeit. Mitten in der Trauer um unsere Verstorbenen.
Am Anfang ging Bruno oft zum Friedhof, mit der Zeit dann immer seltener. Irgendwann sagte Papa: 'Heute vor einem Jahr ist Opa gestorben.' Bruno merkte, dass der Schmerz in seiner Brust weniger war. Er war auch nicht mehr wütend. Nur noch ein bisschen traurig. Wenn er an Opa dachte, sah der so aus wie auf dem Foto, lachend und glücklich. Bruno dachte, wenn Opa glücklich war dort, wo er jetzt war, dann durfte auch er, Bruno, wieder ein kleines bisschen glücklich sein.
Amen.
1 I https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/video…
2 I Fried, Amelie; Gleich, Jacky: Hat Opa einen Anzug an? Carl Hanser Verlag München. 17. Aufl. 1997.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Vor Augen habe ich Menschen, die – vielleicht sogar unter Corona-Bedingungen – Abschied neh-men mussten von Angehörigen oder Freund*innen und ganz gezielt zum Gottesdienst am Toten-sonntag kommen: Um gemeinsam mit anderen, die ähnliches erlebt haben, zu trauern und - ihre Hoffnung stärken zu lassen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich bin schon länger fasziniert von Kinderbüchern zum Thema Tod und Sterben, von den Fragen, die dort gestellt werden und von der Hoffnung, die darin deutlich wird. Im Bilderbuch ‚Hat Opa einen Anzug an?‘ von Amelie Fried und Jacky Gleich erlebt der kleine Bruno, wie Hoffnung – mitten in großer Trauer - sich anfühlt: ‚Wenn Opa glück-lich war dort, wo er jetzt war, dann durfte auch er, Bruno, wieder ein kleines bisschen glücklich sein.‘
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Durch die Beschäftigung mit dem Predigttext habe ich die Aufforderung des Paulus: ‚Schau Dich doch mal um. Hier - das Weizenkorn …‘ noch einmal neu gehört und - in einer Situation, in der Krankheit und Tod und Corona eher ein düsteres Bild malen – auch für meine eigene Hoffnung Stärkung erlebt.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das wertschätzende und gründliche Redigieren des Predigtentwurfs durch meinen Predigtcoach habe ich als sehr hilfreich empfunden. So habe ich in der abschließenden Bearbeitung auf ein illustrierendes Beispiel verzichtet und zudem erkannt, wie viel eine winzige Umformulierung austragen kann.