04.07.2021 - 5. So. n. Trinitatis
13.06.2021 - 2. So. n. Trinitatis
Nun aber Corana? – Corona – Nun Aber! - Predigt zu 1. Korinther 15,20 ff. von Axel Denecke
Der Predigtautor greift für seine Predigt zum Ostermontag auf die Perikope des vorangegangenen Ostersonntags zurück.
1.
Das ist ein Ostern in diesem Jahr! So war es noch nie! Corona beherrscht aller Orten die ganze Welt! Und unsere Kirchen sind zwangsweise leer! Zu unserem Glück! Ich hab heute gerade im ZDF einen katholischen Gottesdienst aus dem Stephansdom in Wien gesehen. Fünf Akteure insgesamt in dem riesengroßen Dom. Ein großartiger Gottesdienst, hab jede Einzelheit (die Musik, die Stimmen der zwei Sänger, die Kurzpredigt des Kardinals, der ganz sorgsame, übervorsichtige Umgang mit den liturgischen Gegenständen, die betonte Achtsamkeit auf zwei Meter Abstand zwischen allen Beteiligten und alles andere auch) ganz aufmerksam mit Bedacht wahrgenommen, habe auf jede Einzelheit genau geachtet. Alles stimmte, hatte seine Bedeutung. Obwohl keine Besucher da waren. „Palmsonntag“ und „Ostersonntag“ zusammengebunden in einem Gottesdienst. Großartig. Corona macht‘s unfreiwillig möglich.
Macht‘s Corona wirklich möglich? Wird das diesmal ein anderes Osterfest? Ganz gewiss.Daher. Ganz äußerlich gilt zwar: Nun aber (schon wieder) Corona? Doch innerlich gilt: Corona – Nun Aber!
2.
„Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden“ sagt Paulus am Ende endlich ganz befreit, nachdem er acht Verse lang (ab V. 12) vorher das Für und Wider der Auferstehung umständlich mit ganz viel Gedankenakrobatik hin und her gewendet hat, zu keinem rechten Schluss gekommen ist, mit dem „Beweis“ für Ostern sich mühevoll und ohne rechte Überzeugungskraft abquält, es gelingt ihm einfach nicht. Doch dann wirft er alle quälenden Argumentationsketten hinter sich, wirft den Griffel oder das Pergamentblatt einfach weg und ruft, nein seufzt, nein schreit befreit auf „Nun aber“. Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden.
Punktum. Da kann ich mich argumentativ drehen und wenden wie ich will, da kann ich alle möglichen Verstandesargumente hin und her wenden, hilft nichts, es klappt nicht, überzeugt mich selbst nicht Aber sei‘s drum „Nun aber...“ Wie ein Befreiungsschrei bricht es laut aus ihm raus. Das ist Ostern, ja das ist Ostern. – So wie wir in der Osternacht oder am Ostermorgen befreit in der Kirche singen „Christ ist erstanden… von der Marter alle… des sollen wir alle froh sein… Christ will unser Trost sein… Halleluja.“
Überall um uns herum lungert zwar der Tod. Corona an allen Ecken, Ansteckungsgefahren und Mundschutze und was weiß ich nicht noch. Die Totenzahlen gehen ins Fünfstellige, jeden Tag mehr, bald sechsstellig, man könnte verrückt werden. Und die Menschen all überall, diese Angst in diesen misstrauischen Gesichtern. Manchmal aber auch liebevoll-verständnisvolle. Corona aller Orten. Tod aller Orten. Die Welt bricht fast zusammen, fast zwar nur, aber immerhin fast.
Doch was soll‘s ? „Nun aber“ ist Ostern. Auferstehung! Leben! Neues Leben! Es gibt ein Leben vor dem Tod! Zukunft! Neuen Anfang! Trotz allem Karfreitags-Tod rings um uns her
Zugespitzt also noch einmal: Mag die Welt auch (ansatzweise) in Trümmern liegen, mag auch alles durcheinander geworfen sein, Ruinen überall, mag es so sein. „Nun aber“ ist Ostern. „Nun aber“ ist Christus von den Toten auferstanden. Da können wir nix gegen tun. Es ist einfach so. Das Leben, neues Leben, ja ewiges Leben hat das Sterben des Einzelnen und den Tod aller besiegt: „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle wo ist dein Sieg?“
Ach ja, dies alles ist nur ein verzweifeltes Pfeifen im Walde, sagen da einige. Mögen sie es sagen, wenn es ihnen hilft in ihre Gottesdunkelheit. Ich sage mit Paulus trotzig und erleichtert zugleich „Nun aber … ist Christus von den Toten auferstanden“.
3.
Trotzig und erleichtert?
Ich hatte als ganz kleines Kind, war grad in die Schule gekommen, fing an lesen zu lernen, anno 1945 in meiner völlig zerbombten Heimatstadt Leipzig ein Erlebnis, das sich bis heute in mich eingefressen hat. Wir fuhren mit der Straßenbahn zum noch leidlich intakten Hauptbahnhof. Ich konnte dabei vor einem großen städtischen völlig zerbombten Gebäude am Augustusplatz ein Transparent entziffern, das an den Ruinen befestigt war. Da stand rot auf gelben Untergrund (vielleicht auch umgedreht, auf jeden Fall gelb und rot, weiß ich noch heute) ein einziges Wort „Trotzalledem !“ Mit dicken Ausrufezeichen! Ich habe als Sechsjähriger sofort verstanden, was das bedeuten sollte. Brauchte keinen Erwachsenen zu fragen. Also: Trotz aller Ruinen, trotz aller Nachkriegsnot, trotz aller zerbombten Städte und zerfledderten Großreich-Illusionen: Trotzalledem! Wir fangen neu an! Trotzalledem! Leipzig wird wieder aufgebaut! Trotzalledem! Es geht weiter, das Leben siegt über den Tod! „Nun aber“
Das war auf dem Transparent natürlich nicht christlich gemeint, in Leipzig herrschten schon die Russen, daher wohl auch das Rot (denke ich heute). Aber was soll‘s? Ob christliches „Nun aber!“ oder sozialistisch-nationalistisches „Trotzalledem!“. Macht nichts, beides ein Bekenntnis zum Leben gegen alle Schatten und Gewaltorgien des Todes, weltpolitisch und ganz persönlich in jeder einzelnen Existenz. „Nun aber“ siegt „trotzalledem“ das Leben über den Tod, ein neues Leben über den alten Zerstörungsgeist. Wir gestalten voll Zuversicht neu unsere Zukunft, wie auch immer.
Ja, ja, ich weiß, von Ferne tönt schon das sozialistische Arbeiterlied. „Bau auf, bau auf, freie deutsche Jugend bau auf – für eine bessere Zukunft...“ usw., doch noch einmal: was soll‘s? Ob sozialistisch oder christlich: Nach Karfreitag, auch Karsamstag und dann folgt Ostern. Nach dem Sterben folgt das Leben „Nun aber...“
4.
Wirklich nun aber? Ich halte ein, um mir nicht selbst einen Ostersieg einzureden, den ich noch gar nicht habe. Mag ja sein, dass Ostern uns auch ganz grundsätzlich immer voraus ist, dass wir unser Leben zwischen Karfreitag und Ostersonntag fristen, das wir also immer im „Karsamstag“ leben. Karfreitag – na ja, in Ansätzen – hinter uns, Ostern aber – na ja, mehr als nur in Ansätzen – noch vor uns. Mag sein. Dennoch ist Ostern damals (bei Paulus) und heute (bei Corona) ganz real, auch wenn es noch vor uns liegt, so wie wir Karfreitag dabei hoffentlich hinter uns haben.
So ging es jedenfalls dem guten Paulus, der uns den heutigen Predigttext beschert hat. Ich wiederhole noch einmal: Acht Verse lang quält er sich ab mit einem „Beweis“ für die Auferstehung des Herrn. Der Beweis gelingt ihm nicht, wie sollte er auch. Paulus verheddert sich, sein Kopf dreht sich und schwillt rot an. Er wird ganz meschugge, fast wird der verrückt. Und dann wirft alle alle Pergamentfetzen und Griffelkästen einfach weg, fegt sie vom Tisch und ruft, nein schreit befreit auf. „Ach, was solls? Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden!“ Ja, er ist. Ich weiß es, denn ich habe es leibhaftig erfahren. Punktum! Es ist so. Was soll ich da noch alles argumentieren und hin und her lavieren. Nun aber ist es einfach so. Punktum.
Ich denke, viel anders als so können wir auch nicht von Ostern reden, von der „Auferstehung des Herrn“ in unser Leben hinein, also von einer Ostererfahrung in uns selbst. Viel anders können wir nicht reden. Wir können es anderen eben nicht an-demonstrieren. Wir können es nur mit unserem eigenen Leben bezeugen. Glaubwürdig vorleben können wir es nur, dass Ostern wahr und wahrhaftig ist. In uns, in unserer Welt. Trotz alledem was wir an Todesmächten (Corona hin und her, was ist schon Corona gegen 10 Millionen Tote im 2. Weltkrieg?) um uns herum sehen. Der Tod wütet, er sucht sich sein Opfer, auch in uns selbst. In uns, die wir noch leben, wenn Todesmächte sich in uns einnisten. Doch auch und gerade hier gilt: Trotz alledem! Nun aber.
Ich muss dabei am Ende auch an einen ganz und gar weltlichen Spott auf alle Todesmächte denken, an Goethes berühmten Osterspaziergang in seinem Faust-Drama. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche --- durch des Frühlings holden belebenden Blick --- im Tale grünet Hoffnungsglück --- usw.“ Hab ich in der Schule einst mit Begeisterung auswendig gelernt. Also: Ob nun mit Goethe Osterspaziergangs den Frühling (neues Leben nach einem harten und kalten Karfreitag-Winter) jubelnd begrüßen oder ob mit den Leipziger Sozialisten mit ihrem „Trotz alledem“ oder mit dem alten Juden Paulus „Nun aber“ sagen, macht keinen großen Unterschied. Es gibt viele Möglichkeiten: ganz säkular-sozialistisch – ganz dichterisch schwärmend naturverbunden – ganz christlich fromm – auch ganz unbedarft banal, das „neue Leben“ mit dem Sieg über den „Tod“ auszudrücken: Im Grunde ist „Auferstehung“ etwas für uns Menschen Unfassbares. Da versagt unsere Sprache einfach. Da muss die Sprache immer neue Ausdrucks-Möglichkeiten suchen, dieses „Trotzalledem“, das neue Leben, das „Nun aber“, zum mindesten zu umwandern, sich ihm anzunähern, vorsichtig und mutig zugleich. Und da macht‘s am Ende keinen Unterschied, ob der fromme Judenchrist Paulus oder der pantheistisch angehauchte Naturschwärmer Goethe oder der sozialistisch ankämpfende Leipziger Ratsherr (wenn er denn überhaupt sozialistisch war) sein „Nun aber“ und „Trotzalledem“ und „es grünet Hoffnungsglück“ (Goethe) sagt. Es meint am Ende – am Ende bitte! – dasselbe.
6.
Ach ja, wie geht unser Predigttext nach dem befreienden Aufschrei des „Nun aber“ gleich weiter? Paulus fällt leider zurück in die alte elendiglich langweilige Argumentiererei: „Denn da der Tod durch eine Menschen gekommen ist, kommt auch die Auferstehung der Toten durch einen Menschen“ (V.21). „Erstling Christus, hernach die, welche zu Christus gehören“ (V.23). „Denn gewisse Leute haben keine Erkenntnis Gottes. Euch zur Beschämung rede ich so“ (V.34). Nun ja. Das ändert aber alles nichts daran, dass der befreiende Aufschrei „Nun aber“ am Anfang erfolgt ist. Das ist das einzig Wesentliche und daran haben wir uns zu halten. Mehr als dieses „Nun aber“ als Erweis/Beweis für die Wahrheit oder besser Wahrhaftigkeit des Auferstandenen in unserem Leben ist nicht zu sagen. Und mehr kann, will und darf auch ich nicht sagen wollen.
7,
Daher zum wiederholten und nun letzten Mal.
„Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden“. Nun aber ist Ostern… „Nun aber… Trotz alledem … grünet Hoffnungsglück“. Kommt und lasst uns das Osterfest feiern, feiern wir einfach den neuen „jüngsten Tag Gottes“. Heute – jetzt!
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe ganz allgemein alle HörerInnen vor Augen, die Ostern (Trotz/wegen) Corona eine Gottesdienst besuchen würden – dem Thema „Corona“ ist einfach nicht auszuweichen – Aber es sollte sowohl negativ Kreuz/Karfreitag) als auch positiv (Ostern/Auferstehung) betrachtet werden – insofern der obige Titel der Predigt mit Schwerpunkt: „Corona? Nun Aber !"
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Fernsehgottesdienst aus dem Stephansdom Wien zu Palmarum – Natürlich die gegenwärtige aussergewöhnliche Corona-Situation – Ganz allgemein: Meine bleibende Freude am Predigen, wo mir immer wieder neue Gedanken und Einfälle zufallen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die alte Einsicht, dass besondere bisher unvertraute Ereignisse (Corona in diesem Fall) ganz neue Wahrnehmungen im Menschen frei setzen. Theoretisch wissen wir das, praktisch kann es ganz neu im Leben erprobt werden. Das Leben ist stets voller Überraschungen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die fre8undlich-kriische Rück-Fragen von Herrn Dr. Meyer haben mich in meinem Chandieren zwischen Kreuz und Auferstehung und dem neuen immer wieder Infrage-stellen des paulinischen „Nun aber“ bestätigt. Unsre leben ist halt so.
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Ostern – die Einladung zum Leben - Predigt zu 1. Korinther 15,3-11 von Angelika Volkmann
Liebe Gemeinde,
Ich erinnere euch aber, liebe Geschwister, an das Evangelium. In diesen Wochen brauchen wir diese Erinnerung ganz besonders! Der Tod ist sehr in unsere Nähe gerückt. Wir haben Angst uns anzustecken, vor allem die Älteren, aber auch Jüngere können schwer erkranken. Wir dürfen unsere Lieben nicht besuchen. Ärzte müssen schwerwiegende Entscheidungen treffen, wenn die Beatmungsgeräte nicht ausreichen. Atemmasken und Schutzkleidung fehlen weltweit. Und darüber hinaus müssen viele um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten, müssen Mitarbeiter entlassen, verlieren ihre Investitionen ohne Chance, sich jemals davon zu erholen. Da kann man Ostern schon einmal vergessen!
Ich erinnere euch gerade jetzt! würde Paulus heute sagen. Vergesst unsere Hoffnung nicht, denn Christus ist uns vorausgegangen, mitten in der Nacht, als vom Licht des Tages noch nichts zu sehen war. Ohne Aufsehen, ganz still. „Einsam mag er gewesen sein, als er den Schritt vom Tod zum Leben wagte, als er den Übergang riskierte, die Grenze überschritt.“ (Andrea Schwarz, Ostern ist doch ganz anders, Freiburg 2011², S. 96)
Alle, die in diesen Tagen sterben, oft einsam in dramatischen Situationen, befehlen wir in Gottes Arme. Christus geleitet sie über die Schwelle des Todes. Ja, daran wollen wir uns erinnern lassen! Der Tod ist nicht das Ende! Gott nimmt uns auf in sein Haus aus Licht.
Ich selber habe es empfangen, schreibt Paulus, was ich euch weitergebe. Und er gibt das älteste Bekenntnis weiter, das wir den ersten, die über den Tod Jesu zutiefst erschüttert waren, verdanken. Sie waren noch in der Dunkelheit, plötzlich ohne Zukunft. Warum ist Jesus gestorben? So erbärmlich, so schrecklich? Wie konnten sie zu ihrem Bekenntnis gelangen?
Sie sind zusammen und lesen in der Schrift, in der Hebräischen Bibel. Sie lesen die alten geheimnisvollen Worte des Propheten Jesaja. Manchmal ist etwas ganz anders, als es aussieht. Jesaja spricht davon, dass einer elendiglich stirbt: Der Gottesknecht. In Wahrheit nimmt er die Wunden der anderen auf sich. Und ihre Missetaten. Aus Liebe. Dabei stirbt er. Und wird begraben. Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Durch seine Wunden sind wir geheilt, schreibt Jesaja. Dann geschieht ein Wunder: Er wird das Licht schauen und die Fülle haben. Wir haben diese Worte vorhin in der Schriftlesung gehört. Schon in Jesajas Worten leuchtet das Licht von Ostern. Und einige hundert Jahre später finden die Frauen und Männer, die vom Tod Jesu erschüttert sind, Antwort beim gemeinsamen Nachsinnen über diese Worte. Auch in ihnen wird es Licht. Sie erkennen: Jesus ist der Messias, der Christus! Er trägt unsere Krankheit. Er ist uns nah, was auch immer uns an Schrecklichem geschieht. Und auch dann, wenn wir es selber zu verantworten haben. Er ist für unsere Sünden gestorben nach der Schrift. Er hat uns die Last abgenommen, an der wir zerbrechen. Dieser Tod schenkt Heil. Auch er wird das Licht schauen und die Fülle haben! So sehen sie das Licht von Ostern, so sehen sie den Auferstandenen.
Ostern bedeutet: Es gibt keine hoffnungslose Situation. Drei Tage war Jona – der auf der Flucht war vor seiner eigentlichen Lebensaufgabe - im Bauch des Fisches, am Grund des Meeres – fern jeder Rettung! Dann empfing er sein Leben neu. Die ersten, die um Jesu gewaltsamen Tod trauern, lesen die Geschichte von Jona. Und bei Hosea (6,3) lesen sie: Am dritten Tag richtet er uns wieder auf und wir leben vor seinem Angesicht. So bekennen sie: Christus ist am dritten Tag auferweckt worden gemäß der Schrift. Das ist das älteste Osterbekenntnis, das uns überliefert ist. Und Paulus schreibt: Er ist gesehen worden von Kephas, danach von den Zwölfen.
Wir fragen uns: Was war das für ein Sehen? Was war das für eine Erscheinung? Das Wort Epiphanie schwingt im griechischen Wort mit und weist auf ein inneres Sehen.
Für Ostern brauchen wir die Augen unseres Herzens, um nicht blind zu bleiben. Es gibt einen Weg durch den Tod hindurch! Durch die Katastrophe hindurch! Einen Weg zum Leben. Christus lebt! Umso wichtiger, dass Paulus alle die aufzählt, die ihn gesehen haben: Fünfhundert Geschwister zugleich, alle Apostel, die ganze Gemeinde und als allerletzten sich selbst. Denn er selbst war blind gewesen, bis Christus ihm begegnete.
Paulus war in einer ganz anderen Situation. Er war nicht erschüttert über den Tod Jesu, er kannte ihn gar nicht. Sein Ostererlebnis bedeutet für Paulus eine nicht für möglich gehaltene innere Kehrtwendung. Er war ein religiöser Eiferer, aus Ehrfurcht vor Gott. Für ihn sah es so aus, als ob seine Glaubensgeschwister die Tora außer Kraft setzten! Gemeinsam mit Menschen aus den Völkern bekannten sie in Jesus von Nazareth den Messias. Im Zusammenleben mit ihnen beachteten sie bestimmte Gebote nicht! Das ist gegen Gott! Er war sich seiner Sache so sicher.
Da begegnet ihm Christus vor Damaskus. Sein Licht vom Himmel trifft ihn plötzlich, er stürzt zu Boden. Er hört die Stimme, die ihn bei seinem hebräischen Namen ruft: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
Liebe Gemeinde, würden wir uns von einer solch radikalen Infragestellung erreichen lassen? Ohne zugleich aus der Wucht unserer Argumente eine Mauer um uns zu errichten?
Vielleicht haben wir ja so eine „Pauluserfahrung“ auch schon gemacht.
Plötzlich durchzuckt es mich wie ein Blitz! Ich erschrecke bis in mein Innerstes. Ich habe mich geirrt! Was ich bisher dachte, lässt sich auch ganz anders sehen. Es ist, als ob die Erde wankt. Mir wird schwindelig.
Ich begreife, dass die, die ich beschuldigte, doch Recht haben. Ich sehe, dass es mein Fehler ist. O Gott! Das Bild, das ich von mir hatte, löst sich auf. Ich ahne, dass es Christus ist, der zu mir spricht. Obwohl es mir alles abverlangt, will mich für seine Worte öffnen.
Liebe Gemeinde, wenn so etwas in uns geschieht, stirbt etwas in uns. Unser vordergründiges Ich. Das Bild, das wir von uns selbst haben. Sterben ist kein Kinderspiel. Sich in der Tiefe wandeln zu lassen geht mit Erschütterung einher, mit Tränen. Paulus hat es erlebt.
Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen! Der Gekreuzigte ist der Messias! Und er lebt! Das schockiert ihn so nachhaltig, dass er nun körperlich blind ist – für drei Tage. Er isst nichts und trinkt nichts. Eine tiefgehende spirituelle Erfahrung wird ihm zuteil. Er lässt sich taufen. Die Taufe führt uns symbolisch durch den Tod in das Leben.
Welche Umkehr brauchen wir? Wofür kann uns diese Krise die Augen öffnen? Papst Franziskus hat am Abend des 27. März auf dem Petersplatz in Rom in beeindruckender Weise für alle Welt zu Gott gebetet:
In unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen lassen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden.
Liebe Gemeinde, wir haben die Chance umzukehren. Wir haben die Chance, an diesem Ostern im Jahr 2020 zu begreifen, dass etwas in uns sterben sollte. Alles, was die Welt krank macht und das Leben zerstört. So manche Überzeugung und mancher Wunsch in uns sollte sterben. Christus ruft uns, unser Verhalten zu ändern, ruft uns auf den Weg zum Leben. Hören wir seinen Ruf?
Wenn wir ihn hören, wird es uns erschüttern.
Wir werden einen neuen Weg einschlagen.
Auf diesem Weg werden wir verwandelt, geben unser oberflächliches, egoistisches Ich immer mehr her, werden immer „gottformiger“.
So nennt es der Mystiker Johannes Tauler.
Auf diesem Weg werden wir nicht vollkommen sein. Aber entlastet und reich beschenkt.
Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, schreibt Paulus. Das ist Ostern.
Was auch immer uns geschieht, welche Todesmächte auch immer uns angreifen, von außen oder von innen: gegen dieses Geschenk von unantastbarem Leben kommen sie nicht an.
So können wir auferstehen. Den Übergang riskieren. Die Umkehr riskieren. Uns wandeln lassen. Und ankommen im Leben, in unserem wahren Selbst, in Gott.
Frohe Ostern!
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die weltweite Coronakrise braucht das Osterevangelium. Die Menschen brauchen Trost angesichts des Todes und Hilfe, die weltweite Krise zu deuten. Es ist mir wichtig, Ostern zu erzählen als Übergang vom Tod zum Leben, als tiefgreifendes Wandlungsgeschehen (Umkehr), auf das wir uns schon zu Lebzeiten einlassen können – wie Paulus.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Wir können wir über die Auferstehung reden? Nachdem ich eine Menge exegetischer Informationen gelesen habe, haben mich mystische Texte und Gedichte beflügelt: Ro-se Ausländer, Angelus Silesius (Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.), Nikolaus von der Flüe, Andrea Schwarz, Hilde Domin (Bitte – ein großartiges Gedicht!)
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Erschütterung darüber, dass wir Menschen oft so blind sind für das Wesentliche. Selbst Paulus! Der Zusammenhang zwischen Erscheinen, Epiphanie auf der einen Seite und Sehen bzw. blind Sein auf der anderen Seite. Es geht bei der Ostererfahrung nicht um das konkrete optische Sehen einer Gestalt, sondern um das innere Wahrnehmen einer Wirklichkeit, die uns übersteigt. Wenn wir uns der Christuswirklichkeit öffnen, sind wir zur Umkehr gerufen und werden das Leben finden.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Sie ist straffer und konkreter geworden, manches „Bonusmaterial“ wurde zur Seite gelegt, Gedanken wurden wirklich ausgestaltet. Die existentiellen Fragen, die durch die Coronakrise ausgelöst werden, wurden mit dem Text in Berührung gebracht und umgekehrt. Ich habe sehr vom Coaching profitiert! Und vom langen zeitlichen Vor-lauf.
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30.08.2020 - 12. So. nach Trinitatis
Passagen – Übergänge und Wandlungen eines Rituals - Predigt zu 1. Korinther 11,23-26 von Peter Haigis
„Passagen“, I:
„Amsterdam, 1646 (nach christlicher Zeitrechnung). ‘Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?’, fragt das Kind im Haus eines jüdischen Kaufmanns. Und der Vater antwortet: ‘Sklaven waren wir dem Pharao im Land Ägypten, aber der Ewige, unser Gott, führte uns heraus mit starker Hand und ausgestrecktem Arm.’ – Jedes Frühjahr wiederholt sich dieses rituelle Gespräch zwischen dem Familienvater und seinem jüngsten Sohn. Jedes Jahr dient es am Vorabend des Pesachfestes dazu, die Geschichte der Befreiung zu erinnern – der Befreiung des von Gott auserwählten jüdischen Volkes aus der Knechtschaft in Ägypten. Und was hier geschieht, geschieht zu allen Zeiten und an allen Orten, wo jüdische Familien wohnen. Der Hausvater erzählt von der Fron, unter der die Kinder Israels im fremden Land zu leiden hatten. Er deutet die Gaben der ‘Sedermahlzeit’, die auf dem Tisch zubereitet liegen: Da sind die dünnen Mazzen aus ungesäuertem Teig, denn der Aufbruch aus Ägypten geschah plötzlich und übereilt. Die Israeliten hatten nicht die Zeit, ihre Brote fertigzubacken. Die Mazzen sind das ‘Brot des Elends’. Da ist ferner das Bitterkraut ‘Moror’, das an die Bitternis erinnert, unter der die jüdischen Urahnen in Ägypten lebten. Und da ist ‘Charosset’, ein Mus aus Äpfeln und Nüssen, das den Mörtel symbolisiert, den die Juden bei ihrer Fronarbeit für den Pharao anrührten. Der Hausvater erzählt auch vom Ringen Moses und Aarons mit dem verstockten Pharao und davon, wie Gott androht, eine schwere Plage über Ägypten zu schicken, um die Freigabe Israels zu erzwingen. Das geschlachtete ‘Passahlamm’ erinnert an diese dunkle Nacht, in der der Würgeengel an den gekennzeichneten Häusern der Israeliten vorüberging ...“
Lesung: 2. Mose 12,1-14
„Passagen“, II:
„Jerusalem, 422 (vor unserer Zeitrechnung). ‘Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?’, fragt Levi, als er das vorbereitete Passahlamm dem Priester Esra bringt. Levi ist Kultdiener am Jerusalemer Tempel. Seine Aufgabe besteht darin, das vom Priester ausgewählte Lamm für das Pesachfest zuzubereiten. Dabei hat er sich streng an die Vorschriften zu halten, wie sie in den Heiligen Schriften dargelegt sind. Esra nimmt Levi die Schale mit dem gebratenen Lammfleisch aus den Händen und stellt sie auf den Altar. Er spricht zu Gott, dem Befreier Israels, ein Dankgebet. Dann erst wendet er sich der versammelten Gemeinde zu: ‘Adonaj, seinem Namen sei ewiglich Ehre und Ruhm und Herrlichkeit, hat sein Volk mehr als einmal gnädig angesehen. Unsere Vorväter hat er aus der Knechtschaft in Ägypten befreit. Uns aber ist er in Gnade erschienen, als wir an den Wassern Babylons saßen und klagten. Wir sind vor ihm schuldig geworden und haben seine Ordnungen vergessen. Darum hat er uns in die Gefangenschaft nach Babylon geführt. Doch als wir uns wieder zu ihm kehrten und ihm unsere Schuld bekannten, da wandte auch er sich uns zu und gedachte des Bundes, den er mit unseren Vätern geschlossen hatte. Wenn wir heute dieses Lamm essen, so bitten wir: ‘Sieh nicht auf unsere Schuld und unsere Verfehlungen, sondern geh in Gnade an unserem Haus vorüber und errette uns durch deine große Barmherzigkeit.’ Und Esra nahm von dem gebratenen Lamm und aß, und er reichte es weiter an Levi und die anderen Kultdiener. Und die gaben es weiter an die versammelte Gemeinde. Jeder aß davon, denn heute ging Gott gnädig vorüber an der Schuld eines jeden.“
Lesung: Markus 14,17-26
Passagen“, III:
„Jerusalem, 33 (nach christlicher Zeitrechnung). ‘Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?’, fragte Philippus seinen Rabbi Jesus, nachdem er sich mit ihm und den anderen Jüngern im Obergemach eines Jerusalemer Hauses niedergelassen hatte. Philippus erwartete, dass Jesus die Geschichte von der Befreiung Israels aus den Händen des Pharaos erzählen würde. Er erwartete, dass Jesus das Passahlamm als Opfer deuten würde, das sie vor Tod und Vernichtung bewahrt, dessen Blut – wie damals an den Türpfosten – sie vor dem Schlag Gottes rettet und sie stattdessen ins Leben führt. Und er erwartete, dass Jesus mit ihnen das ‘Hallel’, das freudige Danklied, anstimmen würde. Doch Jesus nahm einen Brotfladen in die Hand, der auf dem Tisch lag, und sagte: ‘Heute Abend sind wir zum letzten Mal so zusammen, denn in dieser Nacht werden einige mit Stangen und Schwertern kommen, um mich festzunehmen. Sie werden uns zerschlagen und auseinandertreiben.’ Er brach den Brotfladen auseinander und zerteilte ihn in kleine Stücke, dann sprach er weiter und dabei reichte er seinen Jüngern reihum ein Stück Brot: ‘Aber ihr braucht euch nicht zu ängstigen. Dieses Brot büßt nichts von seiner Lebenskraft ein, nur deshalb weil es in Stücke gebrochen ist. Im Gegenteil: nun erst vermag es alle zu nähren und zu stärken. Und nun esst, denn es kommt eine Zeit, da ihr viel Kraft braucht.’ Danach nahm Jesus einen Kelch mit Wein in die Hand und sagte: ‘Dieser Kelch ist der Becher der Freude. Trinkt ihn leer. Lasst nichts übrig.’ Philippus aber wurde stutzig und fragte Jesus: ‘Rabbi, wie können wir feiern und fröhlich sein, wenn wir doch wissen, dass wir noch in dieser Nacht auseinandergehen müssen?’ Und Jesus gab ihm zur Antwort: ‘Wenn ihr ohne Brot geht, so werdet ihr schwach sein und nicht standhalten. Wenn ihr aber ohne Wein geht, so werdet ihr bitter, und niemand wird euch glauben, dass ihr schon vom Reich Gottes gekostet habt. Ihr werdet mich aber wiedersehen, wenn ihr solches Brot esst und solchen Wein trinkt.’“
Lesung: 1. Korinther 11,23-26
„Passagen“, IV:
„Frankfurt, 1938 (nach Christus). ‘Warum ist diese Nacht so anders als andere Nächte?’, fragt die neunjährige Elisabeth Grubinger ihre Mutter. Beim schwachen Licht einer Petroleumlampe sitzen sie am Küchentisch. Zwischen den beiden starrt der kleine Jakob auf die Tischplatte. Elisabeths Mutter schneidet den Kindern Stücke von einem Laib Brot herunter. ‘Sie sind an uns vorbeigegangen und haben nichts bemerkt’, antwortet sie. Am Morgen dieses Tages stand Jakob vor der Tür. Er wohnte mit seinen Eltern und den älteren Geschwistern in der Nachbarschaft. Sie hatten ein Bekleidungsgeschäft. Doch seit einiger Zeit blieb die Kundschaft aus. Vergangene Woche waren die Schaufensterscheiben eingeschlagen und das Inventar verwüstet worden. Und nun waren Soldatengekommen und hatten die Eltern und Geschwister einfach in einem Wagen mitgenommen. Jakob konnte über den Hof fliehen. Er rannte so schnell er konnte, bis er an der Wohnungstür von Familie Grubinger ankam. Sie waren die einzigen, zu denen er noch Vertrauen hatte. Frau Grubinger versteckte Jakob in ihrer Speisekammer. Als Stunden später einige Uniformierte an ihrer Tür aufkreuzten, konnte sie sie abwimmeln. Nein, sie hätte den kleinen Buben schon lange nicht mehr gesehen. Er spiele ja auch nicht mehr draußen auf der Straße, schon seit Wochen nicht. Frau Grubinger wollte es erst selbst nicht glauben, doch nun waren sie weg. ‘Esst noch etwas von dem Brot. Wir müssen jetzt aufbrechen und Jakob zu seinen Verwandten nach Landau bringen. Schnell – ehe sie zurückkommen.’“
„Passagen“, V:
„Stetten im Remstal* (2019 nach Christus). ‘Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?’, werden Sie sich fragen. Sie ist anders, weil sie uns Gelegenheit gibt, auf unserem Lebensweg kurz stehenzubleiben. Den Rucksack gepackt, die Schuhe geschnürt, den Stab sozusagen schon in der Hand halten wir kurz inne an einem karg gedeckten Tisch. Da ist nicht mehr als Stückchen Brot für jede und jeden – und ein Schlückchen Wein. Und doch ist es genug. Wir sind Marathonläufer, ein jeder allein auf der Strecke seines Lebens. Hier aber sind wir zusammen – eine Gemeinschaft der Wandernden. Und den Tisch hier haben wir uns nicht selbst bereitet, sondern Gott hat ihn für uns gedeckt mit den Zeichen seiner Liebe. Das Brot lässt uns zurücksehen. Es hilft uns, uns an die Augenblicke auf unserem Lebensweg zu erinnern, da wir gestärkt wurden, obwohl wir fürchten mussten, dass uns die Kraft ausgeht. Der Wein lässt uns nach vorne schauen. Er gibt uns einen Vorgeschmack auf die Zeit, da wir wieder aufatmen und feiern können. Wir wissen, dass wir weiterziehen müssen, aufbrechen von diesem Tisch hier und heute. Bisweilen spüren wir den Druck solch erlebter Rastlosigkeit auf unseren Schultern lasten. Mitten hinein in diese Ahnung sagt uns dieses Mahl: ‘Ich stand dir bei mit meiner Kraft, und ich werde dir wieder Ruhe und Freude schenken.’“
* Anmerkung: Die Predigt ist für meinen Predigtort Stetten im Remstal formuliert; die Ortsangabe kann aber problemlos ersetzt werden. Die Predigt ist zudem Teil eines Abendmahlsgottesdienstes. Innerhalb eines reinen Predigtgottesdienstes müsste der Abendmahlsbezug im letzten Teil indirekt formuliert werden, nach dem Motto: „Wenn wir miteinander Abendmahl feiern, dann halten wir kurz inne, den Rucksack gepackt, die Schuhe geschnürt, den Stab sozusagen schon in der Hand, an einem karg gedeckten Tisch …“