Predigt zu 1. Korinther 11, 17-34 von Elke Markmann
Liebe Gemeinde,
beim letzten Abendmahl Jesu führte Jesus das Abendmahl als Erinnerungsmahl ein – so haben wir vorhin in der Lesung (Das Passamahl – ein letztes gemeinsames Abendmahl (Gütersloher Erzählbibel nach Lk 22, 7-34)) gehört. Aber schon sehr schnell kam es in manchen jungen christlichen Gemeinden zum Streit darüber, was Abendmahlsgemeinschaft heißt. Der Predigttext für den heutigen Gottesdienst erzählt anschaulich über die Streitigkeiten:
Ich lese aus dem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth aus der Gütersloher Erzählbibel:
Paulus schreibt: Beim gemeinsamen Essen sollt ihr euch daran erinnern, wie Jesus mit seinen Schülerinnen und Schülern Essen und Trinken geteilt und das letzte Passamahl gefeiert hat. Offenbar ist euch das nicht möglich: Jeder und jede isst und trinkt für sich, wer viel hat, überfrisst und betrinkt sich, wer wenig hat, steht hungrig von Tisch auf. Wenn die Armen unter euch endlich von der Arbeit kommen, sind die Reichen schon satt. Können denn diejenigen, die im Überfluss leben, nicht zu Hause essen oder wollt ihr die, die nur wenig haben, demütigen? Erwartet dafür keinen Beifall von mir! Ich erinnere euch noch einmal an das, was ich euch über das Erinnerungsmahl gesagt habe, so wie ich selbst es gelernt habe: In der Nacht, in der Jesus verraten wurde, feierte er mit seinen Schülerinnen und Schülern das Passamahl. Dabei nahm er das Brot, dankte dafür und sagte: Dieses Brot ist wie mein Leben. Immer, wenn ihr miteinander das Brot teilt, erinnert euch an mich und unser letztes gemeinsames Essen. Nach dem Essen nahm Jesus den Becher und sagte: Dieser Becher steht für den erneuerten Bund in meinem Blut. Wann immer ihr miteinander den Wein teilt, erinnert euch an mich und unsere Gemeinschaft. Denkt daran, wenn ihr bei euren Versammlungen zusammen esst!
Was war da eigentlich passiert?
In den frühen christlichen Gemeinden kamen Reiche und Arme zusammen, Hausbesitzer und Sklaven. Alle zusammen bildeten die neuen Gemeinden. Alle zusammen hörten auf das, was von Jesus erzählt wurde.
Aber es waren nicht immer alle zusammen. Da gab es immer noch soziale Unterschiede. Wer hart im Hafen arbeitete, konnte erst später zur Gemeinde kommen. Wer weniger zu tun hatte oder andere für sich arbeiten ließ, konnte schon früh zum Versammlungsort kommen. Wenn die einen schon da waren, fingen sie an zu essen und zu trinken. Sie feierten ihre Gemeinschaft. An sich ja nicht schlecht. Wenn aber dann für die schwer arbeitenden Armen nichts mehr da ist, wenn sie dazu kommen, ist das keine Gemeinschaft mehr, wie Jesus sie sich vorstellte oder lebte.
„Erinnert euch an unsere Gemeinschaft!“
Paulus ermahnt die Menschen in Korinth.
Gemeinschaft leben – dazu gehört auch das gemeinsame Essen. Das letzte Abendmahl war kein sparsames Essen von etwas Brot und einem Becher Saft für alle. Das letzte Abendmahl war ein Passamahl. Dabei gab es wie bei jedem Festessen gutes Essen. Neben einem guten Essen gehören bis heute bestimmte symbolische Speisen dazu.
Mit denen werden bestimmte Erinnerungen verbunden. Zu den einzelnen symbolischen Speisen werden bis heute Geschichten beim Passamahl erzählt.
Auf dem Tisch befinden sich verschiedene Speisen mit symbolischer Bedeutung:
- Ungesäuertes Brot (Matze/Mezzot) als Symbol der Eile, in der die Juden aus Ägypten geflohen sind, so dass sie nicht einmal den Brotteig säuern konnten und dieser konnte so nicht aufgehen.
- Salzwasser als Symbol des Weinens über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels, wo das Passalamm geopfert wurde
- Ein Sederteller (Ka’ara), auf dem sich die folgenden Speisen befinden. In der Anordnung der Speisen gibt es Varianten:
- Maror – ein Bitterkraut, meist Meerrettich, als Zeichen der Bitterkeit der Knechtschaft in Ägypten.
- Seroa – eine angebratene Lammkeule mit wenig Fleisch, die an die biblische Vorschrift der Opferung eines Passalamms im Jerusalemer Tempel erinnert.
- Charosset – eine Mischung aus Apfel- bzw. auch Feigenstückchen und Datteln, Nüssen oder Mandeln, mit etwas Rotwein zusammengeknetet, mit Zimt oder Ingwer bestreut, als Symbol für den Lehm, aus dem die Israeliten in den Zeiten der Knechtschaft Ziegel herstellen mussten.
- Chaseret – ein zweites Bitterkraut, es wird zusammen mit dem Charosset gegessen.
- Karpas – Sellerie, Radieschen, Petersilie oder Kartoffeln als Frucht der Erde, symbolisiert die „zermürbende Arbeit“ in Ägypten. Diese Erdfrucht wird während des Mahls in das Salzwasser getaucht und gegessen.
- Beitzah – ein gesottenes Ei, zum Zeichen der Gebrechlichkeit menschlicher Geschicke, aber auch der menschlichen Fruchtbarkeit und schließlich zum Zeichen der Trauer um den zerstörten Tempel in Jerusalem.
- Ein Becher Wein, der für den Propheten Elija bestimmt ist.
Nachdem diese Zeremonie gefeiert wurde, wurde gemeinsam ein Festessen geteilt.
Dies war auch der Ablauf des letzten Abendmahles Jesu mit seinen Schülerinnen und Schülern. Bei dem Brot, das er brach und über dem er den Segen sprach, handelt es sich höchstwahrscheinlich um das ungesäuerte Brot, das symbolisch für die Eile stand, mit dem die Jüdinnen und Juden Ägypten verlassen haben. Der Aufbruch und die Rettung waren Themen bei diesem Teil des Passamahles. Und von diesem Brot spricht Jesus nun als einem neuen Symbol:
Dieses Brot ist wie mein Leben. Immer, wenn ihr miteinander das Brot teilt, erinnert euch an mich und unser letztes gemeinsames Essen.
Damit wird es zu einem doppelten Symbol. Jesus knüpft an die Rettungsgeschichte seines Volkes an. So wie Gott das Volk rettete, rettet auch die Gemeinschaft, die die Menschen mit Jesus erlebt haben: hier gelten keine Grenzen oder Schranken mehr. In Jesu Gemeinschaft gibt es keine Ausgeschlossenen. Das war auch ein politisches Versprechen. Hier ist nicht wichtig, ob Ihr reich seid oder arm, ob Ihr Hausbesitzer oder Sklaven seid, ob ihr jüdisch oder griechisch seid. Hier zählt nur, dass Ihr zusammen kommt. Hier ist wichtig, dass Ihr Gott liebt – und Eure Nächsten wie euch selbst.
Der Becher, den Jesus nach dem Mahl nimmt, ist der letzte Becher, der zur Zeremonie gehört.
Jesus nimmt den Kelch nach dem Mahl – dankt und spricht den Segen, wie es beim Passamahl üblich war. Dann deutet er auch diesen Becher oder Kelch um.
In unserem Predigttext heißt es dazu: Dieser Becher steht für den erneuerten Bund in meinem Blut. Wann immer ihr miteinander den Wein teilt, erinnert euch an mich und unsere Gemeinschaft.
Auch hier wird wieder viel Wert auf die Gemeinschaft gelegt.
Wenn wir jetzt und hier miteinander essen und trinken, leben wir Gemeinschaft.
Zur Gemeinschaft bei Passamahl gehört die Erinnerung an die Rettung aus der Sklaverei.
Zu unserer Gemeinschaft heute gehört die Erinnerung an die Gemeinschaft, die Jesus wichtig war.
Eine Gemeinschaft, in der es keine Grenzen und Ausgrenzungen gab.
Eine Gemeinschaft, in der alle gleich viel bekommen – und nicht die einen schon besoffen und die anderen hungrig sind.
Und so wollen wir nun Abendmahl feiern.
Gott, nur ein Stück Brot in meiner Hand,
und doch ist es mehr:
Du schenkst mir das Leben
und stärkst mich
und machst mir Mut.
Gott, nur ein Kelch in unseren Händen,
doch in ihm schenkst Du Dich selbst.
Du schenkst uns die Fülle,
mehr als wir fassen können:
Deine Gegenwart.
Gott, wenn wir miteinander Brot und Kelch teilen,
dann sei uns nahe,
lass uns teilen,
was wir empfangen,
weitergeben:
Deine Liebe und Vergebung,
Deine Barmherzigkeit und Deinen Frieden.
Darum stimmen wir ein in das Loblied deines Volkes in aller Welt und singen:
Heilig, heilig, heilig...
Wir nehmen Brot und Traubensaft, Gaben der Schöpfung, von Menschen zubereitet, durch Jesus zum Zeichen der Liebe gemacht.
Wir erinnern uns: Als Jesus mit seinen Schülerinnen und Schülern das letzte Mal das Passamahl feierte, verband er sich und die Erinnerung an die Gemeinschaft mit dem Brot und dem Wein. Er lud ein, sich immer wieder mit Brot und Wein zu treffen und sich zu erinnern.
Jesus nahm das Brot, dankte für alle Gaben und sprach den Segen, wie es Tradition war. Er nahm das Brot, brach es und teilte es aus.
Wie das Brot aus Gottes Schöpfung, Arbeit und Liebe entstanden ist und euch stärkt, so wird es euch stärken und ermutigen, aus meiner Lebenskraft und Liebe zu schöpfen. Sie strömen euch zu, wenn ihr euch an mich erinnert.
Am Ende der Mahlzeit nahm er den Trinkbecher und sagte:
Mein Blut wird nicht umsonst vergossen sein. Aus Leben und Sterben wird Gott eine neue Hoffnung wachsen lassen. In diesem Kelch findet ihr den Geschmack der neuen Gemeinschaft mit Gott. Wenn ihr das tut, erinnert euch an mich und spürt unsere Verbundenheit.
Amen.
Vater unser …
228 Er ist das Brot, er ist der Wein
Und nun wollen wir essen und trinken.
Wir geben uns gegenseitig Brot und Saft. Wenn wir das Brot geben, sagen wir: Das Brot des Lebens! Wenn wir den Saft geben, sagen wir: Der Kelch des Heils.
Austeilung
Dann gemeinsam essen mit Gesprächsimpulsen:
- „Liebe wächst wie Weizen und ihr Halm ist grün.“
Sie haben auf den Tischen kleine Töpfchen mit Weizenkeimlingen.
Aus diesen kleinen Pflanzen wird das Korn, aus dem dann Mehl für Brot mahlen. Es beginnt mit einem kleinen Wunder. Aus Gottes Schöpfungswunder und unserer Hände Arbeit entsteht das, was uns lebendig erhält. Dabei steht das Brot für stellvertretend viele andere Lebensmittel. Alle wachsen wunderbarer Weise und werden mit unserer Hände Arbeit zu dem, was uns am Leben erhält.
Haben Sie schon einmal Lebensmittel selbst angebaut? Kartoffeln oder Gemüse? Weizen oder anderes Getreide? Wie fühlt es sich an, eigenes anzubauen und zu ernten?
- Brot teilen und in Gemeinschaft essen.
Welche Brotgeschichten kennen Sie? Geschichten, in denen Brot eine Rolle spielt.
Hier sind auch eigene Beispielgeschichten möglich. Z.B. „Brot in deiner Hand“ (Aus: Heinrich A. Mertens, Brot in deiner Hand, Geschichten für Kinder von der Bedeutung des heiligen Mahles, J. Pfeiffer Verlag, München, 6. Auflage 1982, 5–8.)
- Gäste bewirten
Wenn wir Gäste bekommen, legen wir oft Wert auf gutes Essen, auf eine angenehme Atmosphäre. Was machen wir, wenn wir Gäste erwarten? Wie leben wir Gemeinschaft mit Freundinnen und Freunden, mit Verwandten und Bekannten?
Am Ende der Mahlzeit, nahm er den Kelch und sprach: Nehmt und trinkt alle daraus!
Wenn ihr das tut, erinnert euch an mich und spürt unsere Verbundenheit.
Und der Friede Gottes, der größer ist als all unser Denken und Tun, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Lied: 336: Danket, danket dem Herrn
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Gottes-Ahnung – ein Weg aus dem Labyrinth? Predigt zu 1. Korinther 1,4-9 von Jens Junginger
Ich danke meinem Gott immer wieder für die Gnade, die er euch durch Christus Jesus geschenkt hat. Durch ihn hat Gott euch an allem reich gemacht: Reich an der Fähigkeit zu reden und reich an Erkenntnis. 6 In gleicher Weise hat Gott der Botschaft von Christus bei euch einen festen Grund bereitet. Deshalb fehlt euch keine der Gaben, die er in seiner Gnade schenkt. So vorbereitet, erwartet ihr das Erscheinen unseres Herrn Jesus Christus.1
Das sind wohlklingende Worte, voller Anerkennung, Lob und Wertschätzung.
Es ist eine Art zu schreiben und Briefempfänger anzusprechen wie es in der antiken Briefkultur üblich war. Vergleichbares kann einem heute – in akademisch universitären Kreisen oder in diplomatischen Zusammenhängen begegnen. Man startet sein Schreiben, eine Rede mit einer höflich freundlichen wertschätzenden Anerkennung, um die Angesprochenen anschließend dann seine Sicht der Dinge zu präsentieren.
Und so macht mich Paulus mit seiner Wortwahl neugierig. Was kommt da noch?
Mir fällt auf: Er dankt nicht den Angesprochenen direkt und persönlich, für ihre Gaben, Fähigkeiten und ihre Haltung.
Er dankt Gott.
Er dankt Gott für dessen Gnade und Zuwendung gegenüber den Angesprochenen,
er dankt Gott dafür, dass Gott bereichert und befähigt.
Er appelliert nicht an die Angesprochen im Blick darauf was zukünftig zu tun wäre.
Er unterstreicht Gottes Wirken auch im Blick auf das was noch kommt.
Gott wird euch helfen, bis zum Schluss fest auf diesem Grund zu stehen. Es kann keine Anklage gegen euch erhoben werden. Gott ist treu. Er selbst hat euch berufen zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn.
In Anlehnung an die Für-Bitte lesen bzw. hören wir hier einen Für-Dank.2
Obwohl es reichlich Zoff gibt, in Korinth. Konflikte, Streit, Diskussionen, innerhalb der Christengemeinde und einzelnen darunter und Paulus.
Und so frage ich mich, will Paulus mit seinem ausführlichen Für-Dank vielleicht - die ihm entfremdete Leserschaft – gewinnen? Ihnen ein wenig schmeicheln?
Bevor er darauf zu sprechen komm, dass es Starke und Schwache, Freie und Sklaven, Arme und Reiche, Enthusiasten und Ernüchterte, Gewissenhafte und Gewissenlose gibt, die nicht einmal beim gemeinsamem mahl in einer Gemeinschaft zusammenfinden?
Will er die gewinnen, die als Charismatiker mit ihm nicht klarkommen? Will Paulus gerade die gewinnen, zu denen er in Schwachheit und mit Furcht und Zittern kam?3
Je mehr ich mich in die Situation, in die Vielschichtigkeit der Beziehungen hineindenke, umso näher rückt sie mir. Umso bekannter wird sie mir. Und umso spannender empfinde ich die einleitenden theologischen Gedanken des Paulus und seine Haltung, die mich anfangs so irritiert hat.
Das meiste klicke ich einfach weg, erzählt ein Journalist unserer Tage. Aber eine Wirkung bleibt, fügt er hinzu. Was manche von ihm halten und was ihm wünscht, das bekommt er bisweilen aufs hässlichste mitgeteilt, aus allen Bevölkerungsschichten. Von Leuten mit und ohne Titel. Es ist wirklich krass, meint er.
Die Menge, die Dichte, die Brutalität und Hässlichkeit der Wutschreiber ist enorm gewachsen. Da ist irgendwann eine Hemmschwelle weggeschwemmt worden.
Verletzende, menschenfeindliche beleidigende Kommentare gelten als mutiger Tabu-Bruch, mit dem man Applaus erntet. Man kann wieder derb sein und ungeschönt reden. Und manche sind richtig stolz darauf. Sie sagen: Es gilt ja Meinungsfreiheit!4
Ein neuer Ton geht um. Eine – im wahrsten Sinne des Wortes - gnadenlose Art und Form des Redens und Schreibens. Eine bislang nicht gekannte oder nicht offen erkennbare, anstandslose, hässliche Streit-Unkultur kommt zum Vorschein. Keiner kennt das Rezept, meint der Dresdner Dichter Durs Grünbein5, wie aus diesem Labyrinth wieder herauszufinden sei. Es ist an der Zeit – auch in Theologie und Kirche -, über den Umgang mit starken Emotionen in Politik und Gesellschaft und Religion nachzudenken.6
Paulus macht einen ungewöhnlichen Anfang, so wie er an die schreibt, mit denen er im Streit liegt und die mit ihm und untereinander.
Ich danke meinem Gott immer wieder für die Gnade,
die er euch durch Christus Jesus geschenkt hat.
So seid ihr reich an der Fähigkeit zu reden
und reich an Erkenntnis.
Es fehlt euch keine der Gaben,
die er in seiner Gnade schenkt.
Ich verstehe es als einen Ansatz, um aus diesem Labyrinth wieder herauszufinden. Ich will zu erläutern versuchen warum. Die Haltung und die Botschaft des Paulus in diese unschöne, hässliche Tabu- und Gnadenlosigkeit hinein lautet:
Ihr, ihr Gekränkten, Beleidigten, Vergessenen ihr gereizte Wutschreiber, ihr Hassverliebte und recht-haben-wollende, auf eure Rechte beharrende, ihr Sündenbocksucher, ihr polternde und beachtet werden wollende, ich möchte, ich wünschte mir, dass ihr eine Gewissheit habt, aus der ihr leben könnt, nämlich,
dass ihr - und wir alle - den Weg zum Glück nicht als Suchende beginnen, sondern als schon gefundene7, als angenommene, als mit Gnade überschüttete, als wahrhaft Begnadete.
Und so würde ich euch schlicht einfach sagen, euch erinnern und vergewissern wollen: worin ihr stark seid welche Gaben euch ausmachen welche Fähigkeiten euch gegeben sind, geschenkt wurden - umsonst wie ihr bereichernd wirkt was in euch ist, ohne dass ihr selbst etwas dazutun konntet was euch gegeben ist
Und ich würde euch gerne daran erinnern: Das findet ihr vor, das ist das, wovon ihr lebt, vorrausetzungslos, was ihr nicht kaufen, nicht herstellen oder verdienen könnt. Es ist euch schon gegeben - als Geschenk.
Jesus vermochte es seine Gegenüber als ein Geschenk anzunehmen. Und darin war und ist er uns ein Geschenk.
Er hat damit die Umstehenden irritiert, aber auch fasziniert, verändert, bekehrt. Das hat Wunder gewirkt, Menschen aufgerichtet, motiviert, manchen enorme Kraft gegeben, sie gestärkt weiter zu leben, neu anzufangen, nicht zu verhärten oder zu versteinern.
Die dramatische Begegnung mit der sog. Ehebrecherin8 macht das auf eindrückliche Weise deutlich. Gerade weil es da so viele gejuckt hat diese Frau zu verdammen, sie zu verurteilen und ihr den Tod zu wünschen.
Mit dem Blick auf Jesu charmante Umgangsweise mit schimpfenden und niemals fehlerfreien Menschen, mit den großen wertschätzenden Worten im Gedächtnis, höre ich die gegenwärtige gnadenlos gewordenen Wut- und Gewaltsprache, mit zum Teil vernichtenden Aussprüchen. Und dann denke ich:
Bedürften wir es wieder mehr eine Ahnung von Gott zu bekommen, vielleicht auch nur den Hauch einer Ahnung von Gott? Weil die Tatsache, dass Menschen immer mehr nur in den Grenzen dessen fühlen und denken, was sie als Einzelne überschauen können und wollen, dabei aber die Frage nicht mehr stellen, auch nicht mehr stellen wollen, woher wir kommen, wohin wir gehen. Ist nicht das ein Ausdruck des Verlustes von Gott? (Vaclav Havel, 1997)9
Paulus inständige, wiederholte Erinnerung an Gott ist eine Aufforderung zu fragen:
Ich denke ein Anfang wäre gemacht uns bewusst zu machen wo mir Gutes getan wurde, wodurch ich im wahrsten Sinne des Wortes stark gemacht, wertgeschätzt, gekrönt und aufgebaut wurde – einfach so. Was ich vorgefunden und erlebt habe, und wie ich bereichert wurde, ohne etwas dafür getan zu haben.
Und vielleicht fällt einem beim Innehalten und Besinnen auf: Es gibt so manches, das verdanke ich nicht mir selbst, da ist ein unverfügbares gewährtes Geschenk. Manchmal muss man es sich sagen lassen, von anderen.
Paulus Für-Dank wirkt zunächst befremdlich, eben weil wir es nicht gewohnt sind so zu reden und angesprochen zu werden. Weil wir es für unangemessen halten für umsonst Geschenktes, für Begabungen und Fähigkeiten, womit wir andere bereichern, einfach zu danken. Zu danken, dass wir über das uns Geschenkte verfügen können. Im Grunde ticken wir nämlich nicht so, schon gar nicht wir Protestanten. Wir sind weit aus gnadenloser, kritischer, pessimistischer, hoffnungsarmer und unschöner mit uns selbst und mit anderen. Und da grätscht Paulus dazwischen. Vielleicht ist es ein Weg raus aus dem Labyrinth, der uns etwas dankbarer stimmt.
Deshalb danke ich meinem Gott für diese Art von aufrüttelnder Gnade.
Sie lässt mich aufhorchen und gibt Impulse.
Ich danke Jesus, diesem begnadeten Menschenfreund
Ich danke dem so irritierend nachdenklich stimmenden Schreiber, Paulus.
Er hat mich gewonnen.
Er vermag mir in seiner Sprache eine wahrlich anregende hoffnungsvolle Gewissheit zu vermitteln:
Gott wird euch helfen,
bis zum Schluss fest auf diesem Grund zu stehen.
So kann an dem Tag,
wenn unser Herr Jesus Christus kommt,
keine Anklage gegen euch erhoben werden.
Gott ist treu.
Er selbst hat euch berufen
zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus,
unserem Herrn.
Möge er auch auf Sie liebe Gemeinde und uns Christengemeinden immer wieder neu so wirken.
Amen
1 I Nach der Übersetzung der Basisbibel
2 I M.Frettlöh, GPM H.1/73.Jg, S.113ff
3 I Vgl. M. Frettlöh aaO.
4 I Vgl. Hasnain Kazim, Post von Karlheinz, Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte
5 I Wie aus Sprache Gewalt wird, ZEIT 10. Januar 2019, S.39
6 I Theologische Impulse 4 "Von blinder Wut, heiligem Zorn und politischer Empörung", von Dr. Thorsten Latzel, unter: https://www.evangelische-akademie.de/
7 I Dorothee Sölle, Vortag am Tag vor ihrem Tod, Bad Boll 2003, zit. In Gottfried Orth „Gnade“, in: Hübner/Orth, Wörter des Lebens, Stuttgart 2007
8 I Johannes 8,1-11, mein Vorschlag für die Schriftlesung
9 I Vaclav Havel, Moral in Zeiten der Globalisierung, 1998, S. 237
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18.04.2019 - Gründonnerstag
03.02.2019 - 5. So. vor der Passionszeit
Als ob - Predigt zu 1. Kor 7,29-31 von Martina Schwarz
«Als ob»
Predigt zu 1 Kor 7,29-31
Berner Münster, Vesper zum 20. Sonntag nach Trinitatis, 13.10.2018, Martina Schwarz
Doris Grozdanovic
In Terezin – Theresienstadt blühen die Kastanien.
Wir steigen aus dem Reisebus.
Eine kleine Frau winkt uns schon von Weitem. Sie trägt von Kopf bis Fuss lila. Ihre Haare hat sie rötlich getönt. Und ihre Haut geht gegen neunzig zu. Ihre Augen allerdings blitzen immer noch schelmisch und blau. Sie bedankt sich bei unserer Reisegruppe für jede einzelne Frage. Als sie von ihrer zurückgelassenen Katze in Brünn erzählt, mischen sich Tränen in ihre Worte. Ganz ohne Tränen erzählt sie von der Trennung der Familie im Lager, von der Krankheit der Mutter und von ihrem Tod. Und wie sie alleine übrig blieb damals mit sechzehn. Im kleinen Museum in Terezin hängt heute ein Bild von ihr als Schafhirtin. Doris hat überlebt.
Wir essen unser mitgebrachtes Picknick in der Frühlingssonne. Kinder spielen Fussball.
Am Himmel leuchten die Kastanienkerzen, ein Kreuz und ein Davidsstern.
Später führt uns Doris durchs Museum.
Im Lager lebte auch ein Dichter, Leo Straus. Die zarte Frau führt uns zu seinem Gedicht, das ihrer Meinung nach, das ganze Lager zusammenfasst. Falls man Schreckliches zusammenfassen kann.
Es heisst: „als ob“
Und die letzte Strophe geht so:
„Man trägt das schwere Schicksal,
als ob es nicht so schwer,
und spricht von schönrer Zukunft,
als obs schon morgen wär.“(Leo Straus, 1942)
«Als ob Musik»
Vor ein paar Jahren wurde in der französischen Kirche Musik aufgeführt, die in Theresienstadt komponiert und gespielt wurde. «Als ob» nannte sich das Konzert des Ensembles I Salonisti. Es waren leichtfüssige Stücke und schluchzende Töne dabei.
Die Musik riss einen Spalt durch die Mauern im Lager, und Schönheit blitzte rein. Eine Melodie, die weit machte, was eng und bedrängend. Wir weinten die Tränen, die all die Dichter, Komponisten und Schafhüterinnen abends im Kopfkissen erstickten.
«Als ob-Musik» des Paulus
Paulus hat auch «als ob-Musik» komponiert in seinen Briefzeilen an die Geschwister in Korinth.
Er weiss, dass ihre Zeit aus den Fugen geraten ist. Paulus schreibt: Die Zeit drängt. Und meint sie ist bedrängend. Neunzig Prozent der Menschen leben an der Armutsgrenze. Wie soll man da eine Frau heiraten, eine Familie gründen? Es reicht gerade mal für ein Ein-Mann-Leben mit von-der-Hand-in- den Mund. Eng ist`s in den Garküchen unten am Hafen.
Die Mietskasernen der armen Leute kennen keine Küchen. Überfüllte Kneipen. Stickige Luft.
Am Hafen werben Kinder für ihre Mütter, die sich prostituieren. Salz und Schmutz in den Haaren.
Weit weg liegt die Shopping-Meile mit Blick auf die Landenge von Isthmus.
Elegante Villen propagieren einen römischen Lebensstil, wie man ihn überall sieht, auf Gebäudefassaden und in Heldenstatuen hoch über dem Hafen. Einkaufsläden und Tempel gehen ineinander über. Daneben Bilder von Gewalt und pornographische Szenen auf harmlosen Öllämpchen. Ein Netz von Bordellen überzog die Stadt. Auch innerhalb der Wohnhäuser reicher Familien gabs oft noch einen kleinen «Club» für den gestressten Hausherrn. Pater familias.
Heilig sein heisst genügen
Paulus sieht sich die Welt an.
So wie Christus sie angesehen hätte. All die Entwurzelten in Korinth. Die von den Römern Angesiedelten. Die Heimatlosen, die sich am Hafen rumtreiben und am Sonntag in den Katakomben Lieder singen. Auch die vielen alleinstehenden Frauen. Für sie will er Würde und einen Schutzraum für Seele und Gebet. Kein Jagen zum «Gefallen».
Was eigentlich «genügen» heisst. Und heilig sein.
Er spricht viel von diesen Frauen. Dass sie wichtig seien für die «messianische Gemeinde».
Prophetinnen der Katakomben.
Heilige an Leib und Seele.
Als ob – das Lied der Freiheit
Frei statt Freiwild.
Wie sonst in der Gesellschaft.
Unverheiratete Frau.
Witwe und wie die Ausgrenzungen damals hiessen. Heute noch.
Queer zu jeder Norm.
Für sie singt Paulus sein Lied.
Und uns:
Den einen Körper Christi:
niederkommend
schwitzend
schön.
Als ob schon gälte:
Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus. (Gal 3,28)
Als gäbs keine Ausbeutung mehr an den Geschöpfen
Rückgang des Permafrost und schrumpfende Gletscher.
Keinen Billigflug mehr nach Mallorca
Bloss langsame Schritte im herbstlichen Gold
Als obs schon morgen wär
Amen
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„1000 Places To See Before You Die“ – Predigt zu 1. Korinther 7, 29-31 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz. Auch sollen die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht. Ich möchte aber, dass ihr ohne Sorge seid.
Liebe Gemeinde,
die Zeit ist kurz.
Waren Sie schon an allen Orten, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt? Vielleicht kennen Sie ja diesen Reiseführer mit dem Titel: „1000 Orte, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt“. Darin finden sich die Top-Destinationen in der Welt, die jeder im Leben angeblich einmal besucht haben sollte, bevor das Leben zu Ende geht. Das Buch gibt es jetzt sogar mit einer „neuen Lebensliste für den Weltreisenden“. 1000 Orte sind offensichtlich nicht genug. Na, hoffentlich reicht die Lebenszeit, um auch diese Lebens-Liste mit den Reisezielen, die man gesehen haben muss, abzuarbeiten.
Die Zeit ist kurz.Inzwischen gibt es auch Bücher wie: 100 Dinge, die man im Leben einmal getan haben sollte; 100 Dinge die Frau oder Mann einmal im Leben getan haben sollte; 100 Dinge, die jedes Paar einmal tun sollte. Nun: die Zeit ist kurz; und offensichtlich muss man unbedingt noch jede Menge unternehmen und tun und machen im Leben. Was ist aber, wenn man nicht überall war, wenn man nicht alles gemacht hat, wenn man nicht alles getan hat? Ist man dann zu kurz gekommen im Leben? Hat man etwas verpasst; nicht nur: etwas, sondern ganz viel: Interessantes, Tolles, Wichtiges?
„1000 Places To See Before You Die“, so lautet der englische Originaltitel dieses ganz besonderen Reiseführers.
Und das ist natürlich mit einem Schmunzeln und mit einem Augenzwinkern gemeint. So, als könnte man das überhaupt. 1000 Orte die du sehen musst, bevor du stirbst - der Titel spielt auf eine ganz fein ironische Art mit einem sehr aktuellen Lebensgefühl. Das Leben ist kurz, aber du musst ganz viel erleben; musst ganz viel hineinpacken in das Leben. 1000 Orte sollte man besuchen und noch die neue, zusätzliche Lebensliste abhaken. 100 Dinge sollten Mann und Frau und Paare einmal im Leben getan haben. Kinder sollten im Kindergarten spätestens mit einer Fremdsprache beginnen; und ab der Grundschule darf es dann ruhig auch Chinesisch lernen.
Selbstoptimierung nennt man dieses Lebensgefühl, diese Lebenseinstellung. Unser Drang zur Selbstoptimierung treibt manchmal seltsame Blüten. Und während man den Hund am Halsband durch die Gegend führt, ermahnt einen die App über das Fitnessarmband am Handgelenk, dass man sein eigenes Sportpensum heute noch lange nicht erledigt hat.
Selbstoptimierung. Gilt das auch für den Glauben? Würde der Apostel Paulus heute ein Buch schreiben mit dem Titel: 1000 Gottesdienste, die man im Leben einmal besucht haben sollte. Oder: 1000 Gebete, die man gesprochen haben sollte, bevor man stirbt? Wie meint er dieses: Die Zeit ist kurz? Und: Das Wesen der Welt vergeht? Meint er: Zeit ist Geld? Muss ich meine Zeit also perfekt ausnutzen? Oder meint er: alles vergeht. Deswegen lasse ich nichts zu sehr an mich heran. Oder: alles ist vergänglich. Deswegen genieße ich jeden schönen Augenblick. Da mag von allem etwas mitschwingen. Aber all das beschreibt nicht so ganz das, was Paulus meint. Paulus fasst das christliche Lebensgefühl in diese seltsamen „als-ob-nicht“ Sätze:
„Auch sollen die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht.“
Paulus macht deutlich: alles ist vergänglich in unserer Welt. Alles vergeht, aber es ist deswegen nicht wertlos.
An einfachsten verstehen wir Paulus vielleicht bei dem Satz: kaufen, als behielten wir es nicht. (Und das verbinde ich zur Verdeutlichung hier gleich mit dem Aufruf zum Bazar aus dem neuen Gemeindebrief. Dort heißt es: „Für unseren Kunst-und-Krempel-Markt bitten wir um ansehnliche „Antiquitäten“ aller Art.“) Eigentlich wissen wir, dass wir die Dinge, die wir kaufen, irgendwann nicht mehr in Händen halten. Schön, wenn manches Lieblingsstück in die Hände der Enkelkinder weiter wandert. Dass wir unser Herz nicht an Dinge hängen können, das wissen wir hoffentlich schon beim Bezahlen; und können uns trotzdem an einem schönen Kauf freuen.
Paulus selber lebte ja recht bescheiden. Er verdiente sich sein Geld als Zeltmacher. Verheiratet wollte er nicht sein. Das passt nicht zu mir, schreibt er an der gleichen Stelle, an der unser Predigttext steht. Die Zeit ist kurz, und ich muss von Jesus predigen und die frohe Botschaft verkündigen. Da bleibt keine Zeit für eine Ehe. Seine Lebensweise hält für die beste. Aber er möchte das niemandem vorschreiben. Für andere Christen sieht es anders aus, schreibt er. Wichtig ist für ihn die Verkündigung.
Das Lebensgefühl, dass Paulus hier vermitteln will, schließt nichts aus. Liebe, Trauer, Freude und Haben-Wollen: das gehört für Paulus zum Leben. Er sagt: Ja, so ist es. Ganz und gar so, wie du es erlebst; aber unter der Perspektive Gottes ist da noch mehr. Ja, wir freuen uns, wenn uns danach ist. Und gleichzeitig wissen wir um die Not. Ja, wir sind traurig und weinen, wenn uns danach ist. Und gleichzeitig wissen wir um das Kinderlachen in der Nachbarschaft. Alles hat sein Recht und seine Zeit und gehört gleichzeitig in Gottes großer Welt zusammen. Ja, wir sind glücklich in der Ehe. Und wissen doch um die Begrenztheit: bis der Tod uns scheidet.
Ich las kürzlich, dass manche jungen Menschen nicht heiraten, weil sie immer den noch perfekteren Partner suchen. Alles soll optimal sein und alles soll perfekt sein. Beruf, Partnerschaft und Familie. Vor lauter Selbstoptimierung verpasst man dann das Leben. Vor lauter Reisezielen verpasst man die Erholung. Vor lauter guten Ratgebern weiß man nicht mehr, was man selber will.
Vielleicht könnte uns da ja wirklich eine Buch helfen, wie: 1000 Gebete, die man gesprochen haben sollte, bevor man stirbt. Bei der Lektüre sollte es aber nicht darum gehen, ein Gebet nach dem anderen abzuhaken. Eigentlich reichte auch schon ein Gebet. Es sollte, wie bei jedem kurzen oder langen, vorformulierten oder frei von der Leber weg gesprochenen Gebet darum gehen, sich bei Gott geborgen zu wissen. Dass die Zeit kurz ist, wie Paulus schreibt, und dass das Wesen der Welt vergeht, das muss nicht unsere Sorge sein. Wir sind in seiner Hand und seiner Zeit geborgen.
Der Herbst ist ein Spiegelbild dafür. Die prächtig gefärbten Blätter zeigen das, was Paulus hier mit diesen „als-ob-nicht“ Sätzen ausdrückt: genießen, aber nicht festhalten.
Rainer Maria Rilke hat dies in seinem Herbstgedicht so ausgedrückt:
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Amen
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Zeit für Genügsamkeit – Predigt zu 1. Korinther 7,29-32 von Jens Junginger
Die Zeit drängt - morgens meistens. Die Zeit drängt. Weil der Kunde wartet, der Auftrag raus muss. Die Zeit drängt, ab zum nächsten Patienten. Die Zeit drängt. Und irgendwann geht einem die Puste aus.
Liebe Gemeinde,
auf Dauer tut das niemand gut. Andererseits: der Permafrostboden taut früher als erwartet. Hetze, Rassismus und Nationalismus, Demokratie Zweifel werden immer unbeschwerter hinausposaunt. Die Zeit der Fülle war gestern, das wissen wir. In der Kirche erleben wir‘s. Die Zeit drängt – Entscheidungen müssen gefällt werden, Handeln ist angesagt. Wie gehen wir um - mit diesem Zwiespalt, mit dieser Spannung?
In der Jesusbewegung, in der Urchristenheit, bei Paulus stoßen wir auf ein ähnliches Dilemma:
Paulus war damals unentwegt unterwegs und hoch engagiert, verhandelnd, schreibend, predigend, diskutierend und immer wieder selbst sehr bedrängt und manchmal auch am Ende. Das Herrschaftsgebaren des Imperium Romanum war bestimmend. Für die Masse der normalen und einfachen Leute, für christlich gesinnte war es eine Zeit der Bedrängnis, voll Härte, Gewalt, voll täglicher Existenzsorgen und Unrecht.1
Der reale Hunger und Durst waren groß. Die Sehnsucht nach einem Ende dieser Zeit war da, mal mehr, mal weniger. Auch in den Christengemeinden. Bei manchen aber hatte die Zeit Gottes schon etwas begonnen. Da wo bereits galt: hier ist weder Mann noch Frau, weder Sklave noch Freier ist (vgl. Gal 3,28) und: Einer des andern Last trägt. (vgl. Gal 6,2) Wir sorgen uns umeinander. (vgl. 1. Kor 12,25f)
Paulus war Protagonist einer unumstößlichen Glaubensgewissheit, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen, wenn wir an die Herrlichkeit denken, die Gott bald sichtbar macht und an der er uns teilhaben lassen wird. (Rö 8,18) .Zugleich war er beseelt von einer bisweilen ungeduldig, rastlos, eifernden Sehnsucht, die das Ende des von so vielen real erlebten Unheils herbeihoffte.
In Paulus begegnen uns diesen beiden widersprüchliche Haltungen. Im Grunde leben wir alle als Christenmenschen in dieser Spannung, und damit in einem Dilemma.
Im 7ten Kapitel seines Briefes an die Freundesschar in der quirlig, elenden Hafenmetropole Korinth zeigt Paulus, dass er um die Lage der Leute dort weiß, um ihr ge- und bedrückt sein, wie um ihre erwartungsvolle Sehnsucht. Ich lese den Text nach der Genfer Neuen Übersetzung (GNÜ) 7,29-32:
Eins ist sicher, Geschwister: Es geht immer schneller dem Ende zu. Deshalb darf es in der Zeit, die uns noch bleibt, beim Verheirateten nicht die Ehe sein, die sein Leben bestimmt; beim Traurigen darf es nicht die Traurigkeit sein und beim Fröhlichen nicht die Freude. Wer etwas kauft, soll damit so umgehen, als würde es ihm nicht gehören, und wer von den Dingen dieser Welt Gebrauch macht, darf sich nicht von ihnen gefangen nehmen lassen. Denn die Welt in ihrer jetzigen Gestalt ist dem Untergang geweiht. Ich möchte, dass ihr frei seid von ´unnötigen` Sorge
„in der Zeit, die uns noch bleibt, darf es beim Verheirateten nicht die Ehe sein, die sein Leben bestimmt“ Ein Satz, der für manche Ohren heraussticht und erst mal irritiert. Paulus spricht aber in diesem Zusammenhang noch von mehr: Vom Weinen, sich freuen, kaufen und die Welt gebrauchen. Er spricht ganz konkret die realen Sorgen, Themen, Fragen und Zwänge der Leute an, wie Jesus, wenn er in der Bergpredigt von der Sorge ums tägliche Brot, ums Trinken, und ums Kleiden spricht. (vgl. Matth 6,25)
Wie bekommt man die Dinge geregelt? Wie geht man emotional, seelisch und gedanklich mit diesen mehrfach bedrängenden Fragen um? Wie bleibt man seinem Selbstverständnis, seiner Überzeugung und seiner Haltung als Christenmensch treu, auch in ethischer Hinsicht. Bedrängt einerseits und zugleich überzeugt, dass eine neue Zeit nahe ist.
Eine Frage, die sich (nicht nur damals) stellte, wenn man davon umgeben war, was die antiken städtischen Shoppingmeilen so boten: Wohin man kommt, so beschreibt es ein römischer Autor, … da stehen Walker, Tuchsticker, Goldschmiede und Wollarbeiter, Händler mit Goldbordüren für Tunikas, Rot-, Violett- und Nussbaumfärber… Büstenhalter- und Korsettmacher und Gürtelmacher. Es scheint, als ob du es einfach mitnehmen kannst, als sei alles schon bezahlt. 2
In der Zeit, die noch bleibt, sah der unentwegte Apostel für sich selbst keine Zeit und keine Kraft für eine feste persönliche Bindung. Andere in seinem Team allerdings schon. In Korinth und anderen Orten konnten wiederum viele aus existentiellen Gründen gerade noch für ihr eigenes Überleben sorgen, jedoch nicht auch noch für eine Partnerin.
Paulus bewegte angesichts der spannungsvollen Dilemma-Situation offenkundig die Frage: Wovon lasse ich mich in meiner Haltung bestimmen, beherrschen, manipulieren? Woran binden wir uns? Woran orientieren wir uns? Was ist uns – Christenmenschen, als Kirche - wirklich wichtig? Wovon wollen und sollen wir als Christenmenschen frei sein, im Vertrauen auf Gottes neue Zeit und in die Gemeinschaft untereinander?
Wovon lassen wir uns leiten?
Die Diagnose hatte dem Mit-Fünfziger den Boden unter den Füßen weggezogen. Der chirurgische Eingriff war zwar eine Chance aber keine Garantie, dass dann alle Gefahren für immer gebannt wären. Dabei war er doch gerade in eine gute und aussichtsreiche Phase seines Schaffens und Wirkens gekommen. Die Diagnose setzte ihn seelisch und gedanklich schachmatt. Die Sorge um das Wohl der Familie hatte ihn ebenso im Griff. Wer ihn kannte, machte sich Sorgen, mit ihm und um ihn. Weißt du was, sagte er dann eines Tages: Ich weiß nicht wirklich wieviel Zeit ich tatsächlich noch haben werde. Das kann mir auch keiner sagen. Aber ich bin nicht bereit mich von dieser Ungewissheit und der Angst und den Sorgen gefangen nehmen und meine Motivation und Schaffenslust nehmen zu lassen. Soweit ich es kann möchte mich davon frei machen. Denn, sind wir doch ehrlich: Früher oder später beißen wir alle ins Gras.
Es ist eine Kunst, eine solche Haltung einzunehmen, einnehmen zu können. Mit einer bedrängenden Ungewissheit so umzugehen, dass sie einen nicht permanent beherrscht und lähmt. Sondern: Sehen, gestalten was möglich ist. Mehr noch: Schöpferische Schaffenskraft zur Entfaltung bringen, die auch die Mitwelt beglückt, aller Bedrängnis zum Trotz. Die Rahmenbedingungen gebrauchen, unbefangen, - in aller Freiheit und entspannten Gelassenheit – im Gottvertrauen.
Eine solche trotzig hoffnungsfrohe Lebenshaltung einnehmen zu können, erinnert daran, wie Gott, wie die Kraft Gottes in uns und durch uns zur Entfaltung kommen kann.
Könnte auch uns das befähigen in aller spannungsvollen Zerrissenheit in Balance zu kommen? Genügsamer zu leben und dies als etwas Schönes zu erleben, als befreiende Leichtigkeit? Achtsamkeit zu wahren für das, was über das materiell Begehrenswerte hinaus reicht und über dieses unerträgliche „me first“.
Paulus wirbt seiner eigenen unermüdlichen Umtriebigkeit zum Trotz für eine genügsame Glaubensgelassenheit, die befreit nach dem Willen Gottes das Leben entspannter, genügsamer zu gestalten.
Die Zeit drängt. Wir leben in bedrängenden Zeiten. Jetzt noch in der Zeit der Fülle und der Zeit der Maßlosigkeit, des zu viel – auch in der Kirche -. In einer Zeit, in der sich gleichzeitig der Planet und viele Menschen in höchst prekärer Lage befinden.
Und wir erahnen oder wissen es: Wir sind mitten drin, in einer Zeit des Übergangs. In einer Zeit angespannter Ungewissheit, in der du meinst, dass du alles einfach haben kannst und in einer Zeit, in der an vielen Orten Menschen vermeintlich einfache, entsetzlich einfache und menschenverachtende Lösungen anstreben und bereits umsetzen.
Füllen wir diese Zeit, als Christen, als Kirche. Lassen wir das Klagen, Beklagen und Jammern, übers eigene weniger werden, über die zu vielen Räume, die wir jetzt haben. Lassen wir hier in einem solchen ergreifenden Raum wie diesem hier Grundtöne der Schöpfung und des Willen Gottes erklingen. Der Liedtext lautet:
Wir gehen mit den Dingen so um, als würden sie nicht uns gehören, wir machen von den Dingen dieser Welt Gebrauch, aber lassen uns nicht von ihnen gefangen nehmen. Wir trachten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit (vgl. Mt 6,34)
Hören wir in einem Raum wie diesem auf die Resonanz, die ein solches Lied hier in Sindelfingern hervorbringt. Und lassen es immer wieder erklingen, in und vor der Kirche, im Stifts Hof und im Markus Zentrum, im kulturell-, musikalischen, wie im sozialen, pädagogischen und diakonischen Engagement, in und für Menschen in dieser Stadt.
Geben wir der Resonanz Raum und Zeit und unsere Aufmerksamkeit.3
Für die Kirche – und alle, die darin Verantwortung tragen – drängt die Zeit, sich von der Zeit der Fülle zu verabschieden, sich nicht länger von unnötigen Sorgenlasten um Besitzstände und vom Verwalten des Schrumpfens gefangen nehmen zu lassen.4
Die Botschaft von der Genügsamkeit klingt im Fortissimo aus der neuen Welt Gottes zu uns herüber. Öffnen wir auch unsere eigenen Resonanzräume für diese Botschaft. Öffnen wir uns als Christengemeinde. Damit die Kirche eine neue Gestalt annehme. Damit sie ihre Relevanz für die Menschen in dieser Welt und in dieser Stadt verstärke. 5
Amen
1 I Vgl. zur Auslegung des gesamten Abschnittes: L. Schrottroff, Der erste Brief an die Korinther, Stuttgart 2013, S. 136-141.
2 I Plautus, Aulularia III 5 (505-535), deutsche Übersetzung Ludwig 1973, 133, zit. In L. Schottroff, S. 140.
3 I Vgl zum Ganzen: Jörg Göpfert; Es reicht. Von der Last und Leichtigkeit der Suffizienz, S.178-189 in: Brigitte Bertelmann, Klaus Heidel (Hrsg.): Leben im Anthropozän. Christliche Perspektiven für eine Kultur der Nachhaltigkeit. München, 2018
4 I Vgl. zum Gedankengang: Anette Kick in: AuB, Zeitschrift für die Evangelische Landeskirche in Württemberg, S.21
5 I Göpfert, S.188
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Was da wirklich steht – Predigt zu 1. Korinther 7, 29-31 von Rudolf Rengstorf
Liebe Leserin, lieber Leser!
„Es sollen die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine.“ Wenn ich mich an diese Weisung des Apostels gehalten hätte, dann wäre ich mit Sicherheit nicht mehr verheiratet. Und ein solcher Text ausgereechnet an dem Sonntag, an dem es um die Gültigkeit des 6. Gebots geht und an dem Jesus im Evangelium sagt: „So sind Mann und Frau nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammen gefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ (Mk. 10,8f) Wie kann einer, der sogar Apostel ist, sagen: Lebe mit deinem Partner zusammen, alsob du nicht zu ihr oder ihm gehörst! Was ist hier bloß los mit Paulus? Weisungen zu erteilen, die sich auch in der damaligen Zeit – da bin ich ganz sicher – kein Ehepartner gefallen ließ. Ganz offensichtlich hatte Paulus von der Ehe keine Ahnung, und vor den Ratschlägen solcher Leute muss man auf der Hut sein. Aber es geht ja hier noch weiter: „Die, die weinen, sollen sein, als weinten sie nicht; und die sich freuen, sollen sein, als freuten sie sich nicht.“ Wer so etwas sagt, würde durch jede Seelsorger-Prüfung rasseln. Was für eine Herzlosigkeit, einem haltlos weinenden Menschen zu sagen: Nun tu mal so, alsob du nicht weinst. Hab dich nicht so, vergiss, was dich zum Weinen bringt. Und genauso herzlos ist es, jemandem, der sich nicht fassen kann vor Freude und Erleichterung, zu sagen: Komm runter und werd mal wieder cool!
Cool sein, cool bleiben, das gilt bei vielen heute ja als eine Art Lebensprinzip. Bloß nichts und niemanden zu nah an sich herankommen lassen, sich nicht dauerhaft binden, immer davon ausgehen, dass alles im Fluss ist und man sich bloß nicht festsetzt und dann auch sitzengelassen wird. Alles mitmachen und mitnehmen, klar, aber innerlich immer schön auf Abstand bleiben und sich nicht engagieren. Ein nicht zu fassender und letztlich charakterloser Mensch, dem es nur um sich selbst und sein Überleben geht: Das kann doch dem leidenschaftlichen Apostel nicht als Ideal vorschweben!
Wenn es dann weitergeht mit Die, die kaufen, sollen sein, als behielten sie die Sachen nicht und die, die Dinge dieser Welt gebrauchen, sollen sein, als brauchten sie sie nicht. Ja. damit kann ich mich anfreunden. Wie viele andere Männer auch, gehe ich nur ungern zum Einkaufen von Klamotten. Dabei cool zu bleiben, fällt mir zum Leidwesen meiner Frau überhaupt nicht schwer. Und an an den Umgang mit Sachen soll man natürlich das Herz nicht hängen, wobei die cooolen Typen im Umgang mit Klamotten und Konsumgütern am ehesten noch ihre coolness verlieren.
Aber noch mal: was ist los mit Paulus, dass er in alle nur denkbaren Lebenslagen dieses „Tut alsob nicht“ schiebt und rät, überall innerlich auf Abstand zu gehen?. Als Begründung gibt er an: „Denn das Wesen dieser Welt vergeht.“ Dass alles vergänglich ist, auch wir selbst, dass wir nichts festhalten können und wir auf Abruf leben, das verdrängen wir in der Tat nur zu leicht. Dass wir kein Recht haben auf „Weiter so“ und „Hauptsache gesund“ sollten wir allerdings beherzigen und auch aufhören, dies ständig als Geburtstagswunsch vor uns her zu tragen. Die Hauptsache ist vielmehr, dass wir lernen, mit unserer Vergänglichkeit, mit unserm Sterbenmüssen umzugehen, unser Haus zu bestellen und loszulassen, was sich nicht halten lässt. Aber das kriege ich doch nicht damit hin, dass ich überall ein „Alob nicht“ dazwischenschiebe! Ehepartner können sich doch nicht auf den unvermeidlich kommenden Abschied von einander dadurch vorbereiten, dass sie jetzt schon miteinander leben, als gäbe es den andern gar nicht mehr! Im Gegenteil: Gerade das Wissen um die Endlichkeit des Lebens wird, wenn es gut geht, die beiden noch enger zusammen führen und darauf achten lassen, einander in dieser Not beizustehen und einander gerade nicht allein zu lassen! Und der Tatsache, dass ich einmal nicht mehr dasein werde, der werde ich doch nicht damit gerecht, dass ich mir schon heute abtrainiere, was mich in Weinen und Lachen zu einer unverwechselbaren Person macht!
Was Pauls zu seinen merkwürdigen „Alsob nicht“- Weisungen veranlasst, bleibt leider in der deutschen Übersetzung des ersten Satzes dieses kurzen Abschnitts verborgen, wenn es heißt: „Die Zeit ist kurz.“ Damit ist nicht die Zeit bis zum Welt- oder Lebensende gemeint Nein, vom Kairos ist im griechischen Urtext die Rede Und das ist der Höhepunkt, auf den alle Zeit zuläuft, der Zeitpunkt nicht des Endes, sondern der Vollendung und Erfüllung. Das ist der Anfang des Lebens, in dem du ganz und gar der Mensch sein wirst, wie Gott dich immer schon haben wollte. Und dieser Anfang kommt damit, dass Christus kommt und die Herrschaft übernimmt. Dieser Kairos – sagt Paulus – ist uns auf den Leib gerückt, steht unmittelbar bevor.
Naja, kann man nun sagen: Diese Naherwartung hat doch getäuscht. Warten wir nicht bis heute auf die Wiederkunft Jesu, und ist das nicht so etwas wie ein St. Nimmerleinstag? Von wegen! Wit sitzen doch hier in einer Welt, in der – anders als draußen – Gott allein das Sagen hat. Wo wir dem begegnen auf Schritt und Tritt, der uns ins Leben gerufen hat. Was wir dort draußen erleben, was uns erfreut und bedrückt, was uns mit anderen Menschen verbindet, bringen wir hier im Singen und Beten vor sein Angesicht. Hier bekommen wir mit, dass Leben mehr ist als das, was sich zwischen Geburt und Tod abspielt, mehr als das, was mich selbst mit dem liebsten Menschen verbindet, mehr als das, was mich jubeln und weinen lässt. Hier geht es um den, der heil macht, was in meinem und deinem Leben zerbrochen ist, der zum Leuchten bringt, was am Verglimmen ist. Hier, wo Gottes Welt zum Vorschein kommt, rückt nun in der Tat alles andere in den Hintergrund. Damit ich mich hier wieder zurechtbringen, aufrichten und segnen lasse und zum Gottesdienst im Alltag der Welt zurückkehre..
Darum also geht es Paulus, dass wir den im Kommen begriffenen Gott nicht verpassen, dass wir ihm Raum geben neben und vor allem, was unser Leben ausfüllt. Achte darauf, dass die Verbindung zum Gottesdienst in der Kirche nicht abreißt. Sonst ist e wirklich so, dass das Kommen Christi zum St. Nimmerleinstag wird. Achte darauf, dass du Raum lässt für Christus. Er braucht ihn, um uns aufmerksam darauf zu machen, dass er gerade auch in der Gestalt von ungeliebten und übersehenen Mitmenschen auf uns zukommt. Wo denn sonst wird uns das auf die Seele gebunden, wenn nicht hier? Und er braucht den Raum, um dir mit seinem Kreuz das Leiden und Sterben der Welt vor Augen zu führen. Das Kreuz, in das du hineinsehen sollst das Leiden von Angehörigen, das Leiden von Gefolterten und Ermordeten, das Leid von hungernden Kindern und derer, die vor Europas Grenzen ums Leben kommen. Er braucht Raum, um dich gewiss zu machen: In diesem Leidenskreuz begegnet uns der auferstandene Christus, kommt er auf uns zu. Er ist der Wiederkommende, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden. Vom Ende der Welt her kommt er mit ausgebreiteten Armen auf uns zu und bringt Heil und Segen. Von hier aus bekommen die Sätze des Paulus Sinn. Ich möchte sie so wiedergeben:
Liebe Schwestern und Brüder: Christus kommt auf uns zu. Davon lasst eure Partnerschaft bestimmen. Ihm setzt aus, was euch traurig und fröhlich macht. Geht mit dem, was ihr verdient und besitzt so um, dass es ihm gefallen kann. Nichts davon vermag euch zu halten. Auf ihn allein kommt es an, Amen.
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Alles ist mir erlaubt - Predigt zu 1. Kor 6, 9-14 von Prof. Dr. Traugott Jähnichen und Nathalie Eleyth
Liebe Gemeinde,
„Alles ist mir erlaubt", radikaler kann man die Freiheitsbotschaft des Evangeliums nicht aussagen. „Alles ist mir erlaubt", dieser Satz klingt wie ein Paukenschlag, ungeahnte Freiheitsräume eröffnend und vielleicht auch ein wenig verstörend. Kaum jemand würde diesen Satz – etwa bei einer Umfrage im Kollegen- der Studierendenkreis – mit der Bibel oder gar mit dem Apostel Paulus in Verbindung bringen. Das Christentum und besonders die Kirchen stehen ja eher im Verdacht, eine Verbotsreligion zu sein. Offensichtlich ist da etwas schief gelaufen…, und natürlich, ich sehe es in manchen skeptischen, fragenden Blicken, der Satz geht ja noch weiter, es kommt ja noch ein großes „aber"?
Doch nicht so schnell: „Alles ist mir erlaubt!" Paulus schreibt diesen Satz zwei Mal in unserem Predigttext, im gesamten Korintherbrief sogar vier Mal, mit großem Nachdruck. Egal ob es sich um eine Parole der Korinther gehandelt oder ob Paulus einen solchen Satz in seinen dortigen Predigten gesagt hat – Paulus weist diesen Satz nicht zurück, er stellt ihn nicht in Frage, auch wenn er gewisse Missverständnisse in der Art, wie die Korinther diesen Satz verstehen und leben, anspricht. Aber der Satz bleibt stehen. Was ist damit gemeint?
Zunächst geht es um etwas ganz Konkretes, um die Speisen. „Alles ist mir erlaubt" bedeutet: Keine Verbote, keine Vorschriften, was ich wann und wie essen oder trinken darf. Keine unreinen Speisen, keine sonstigen Verbote, auch keine Fastenregeln – man kann das eine oder andere zwar tun oder lassen – aber hier gilt: „Alles ist mir erlaubt." Wir können uns wohl kaum vorstellen, welche Befreiung dies für viele Menschen in der Antike, insbesondere für Juden und für Menschen aus den Völkern, die sich an der Thora orientieren wollten, bedeutet hat: Alles ist erlaubt, man kann ohne Nachfragen und ohne Not mit anderen zusammen essen und trinken, neue Formen des gemeinschaftlichen Miteinanders sind eröffnet. Und auch heute gilt: Keine Verbote, was Speisen und Getränke angeht, auch der Genuss von Alkohol oder anderen Genuss- oder sogar Rauschmitteln steht unter dem Satz: „Alles ist mir erlaubt". Allerdings - und hier kommt das erste „aber" ins Spiel: … „aber nichts soll über mich Macht gewinnen." Demjenigen, den Alkohol oder andere Genussmittel beherrschen, geht ja die christliche Freiheit, der Grundton der Botschaft des Evangeliums, verloren. „Alles ist erlaubt", aber ich muss wissen, was ich bedenkenlos gebrauchen und genießen kann oder was andererseits über mich Macht gewinnt.
Aber auch hier gibt es nach Paulus keine festen Regeln - „alles ist erlaubt" - nur ich selbst muss mir Grenzen setzen und entscheiden, womit ich frei umgehen kann und wo wirkliche Gefahren meiner eigenen Freiheit liegen. Das ist sicherlich nicht einfach, es fordert viel von jedem, und deshalb meinten viele in der Christentumsgeschichte, doch besser entsprechende Verbote aufschreiben zu sollen. Aber Paulus ist hier durch und durch von der Freiheit des Evangeliums bestimmt, „Alles ist mir erlaubt, aber nichts darf Macht über mich gewinnen." Das ist eine anspruchsvolle, aber alle Christenmenschen in ihrer Freiheit Ernst nehmende Formulierung. Paulus stellt die christliche Freiheit in den Mittelpunkt, deshalb ist mir alles erlaubt und in meine Verantwortung gestellt.
Alles ist mir erlaubt…?! Von diesem liberalen Geist war die liturgische Konferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland seinerzeit offenbar nicht erfüllt. Bei der Erstellung der Ordnung gottesdienstlicher Texte hat sie den heutigen Predigttext aus dem Korintherbrief einfach zensiert. Die Verse 15 bis 17 wurden aus der Perikope schlicht ausgeklammert.
Und da Dinge, die verschwiegen werden, besonderen Reiz haben, sollen sie an dieser Stelle verlesen werden:
15 „Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne.
16 Oder wisst ihr nicht: wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: ‚Die zwei werden ein Fleisch sein.‘
17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm."
Und ich verlese auch nochmal die folgenden Verse bis Vers 19a:
18 „Meidet verantwortungslose Sexualität. Jede Sünde, die ein Mensch tut, ist außerhalb seines Leibes. Wer aber verantwortungslose Sexualität praktiziert, der sündigt gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist…"
Was die EKD bewog die Verse auszulassen, kann nur vermutet werden. Wesentlicher ist nun, der Frage nachzugehen, was Paulus den Korinthern hier so eindringlich mitteilen möchte.
In seiner Erörterung, was christliche Freiheit bedeutet, zeigt Paulus einen Grenzbereich auf: der sexuelle Umgang mit Prostituierten gefährdet die Identität als Christ. Die semantische Opposition zwischen Gliedern Christi und Gliedern
der Hure tritt deutlich hervor: Prostituierte sind keine legitimen Sexualpartnerinnen für die christusgläubigen Korinther.
Sexualität ist für Paulus nicht einfach ein rein physiologischer Akt, das wäre eine Fehlbewertung menschlicher Sexualität. Leiblichkeit darf nicht auf die Sphäre der Triebabläufe reduziert werden wie das Speisen. Sexuelle Kommunikation schafft eine neue Identität. Die durch den Verkehr mit Prostituierten gestiftete Identität ist mit der christlichen inkompatibel, denn durch den Umgang mit einer Prostituierten wird der Mann zu einem Sünder. Durch Sex wird der Mann mit der Frau ein Fleisch, aber eine Vereinigung mit einer pornä zieht den Menschen in den Herrschaftsbereich verantwortungsloser Sexualität.
Im Hintergrund steht hier ein bestimmtes Menschenbild: Für Paulus hat der Mensch nicht einen Leib, er ist Leib. Dieser Leib ist die kommunizierende Existenz des Menschen, „Leib" steht für den ganzen Menschen als Kontaktwesen in Beziehung zu anderen. Der Leib und damit das Selbst des Menschen ist geprägt von der Art dieser Beziehungen, das gilt für den alten, von der Sünde geprägten ebenso wie für den durch die Taufe erneuerten Menschen. Durch die Taufe steht ein Christ mit seinem Leib in Verbindung zu seinem Herrn. Der Leib ist gleich dem Tempel – daher diese Metaphorik – heiliger Bezirk Gottes, der alte Mensch ist durch den Loskauf Christi gerecht geworden, von der Knechtschaft der Sünde befreit.
Soma, also Leib, gehört dem Kyrios, weil ihm seit seiner Auferweckung bis zur künftigen Auferweckung der Leiber durch Gottes Macht der ganze Mensch gehört mitsamt seiner irdischen Realität. Soma ist für Paulus der Ort, der dem Herrschaftsbereich des gekreuzigten und auferstandenen Herrn zugeordnet ist. Christus will nicht nur die Gedanken der Menschen erfüllen; weil Gott die Leiber auferwecken wird und in das eschatologische Heil einbeziehen wird, beansprucht Gott diesen Ort – soma/Leib – jetzt schon für sich als Ort, wo sich seine Kraft, sein Geist entfaltet und Wirklichkeit wird. Paulus versucht den Korinthern verständlich zu machen, dass ihre Leiber in den Heils- und Herrschaftsbereich Christi eingegliedert sind. Daher gefährdet man seine neue Identität als Christ, die von der Sünde der Ungerechtigkeit befreit ist, wenn man sich leiblich auf die Sünde mit einer Prostituierten einlässt.
Auf eine Weise kann ich die paulinische Argumentation nachvollziehen, auf andere Weise stößt mir sauer auf, dass Paulus, der in seinen Briefen für unterschiedlichste Parteien Empathie zeigen kann, sich hier als ein Ignorant
erweist. Er schreibt an die von ihm selbst gegründete Gemeinde in Korinth, einer Hafenstadt, in der Prostitution eine sichtbare und akzeptierte Realität war.
Daher meine Anfragen an Paulus:
1.) Konntest du dir nicht vorstellen, dass auch Prostituierte Teil in der korinthischen Gemeinde waren? Ein Großteil der Gemeindemitglieder entstammte der gesellschaftlichen Unterschicht. Frauen waren durch schlechte Löhne häufig gezwungen, sich Geld hinzuzuverdienen und Prostitution war eine Option.
Haben christusgläubige Prostituierte nicht den Geist Christi in sich? Was ich als gnadenlos empfinde, ist allerdings die Tatsache, dass nicht nur ökonomischer Druck Frauen sich prostituieren ließ, sondern Sklavinnen häufig sexuell ausgebeutet und zur Prostitution gezwungen wurden. Ich versuche mich, in so eine Frau hinein zu versetzen, die der korinthischen Gemeinde angehört und sich im Kreis der Christusgläubigen vielleicht Worte des Verständnisses für ihre Lebenssituation, Angenommen sein und Seelsorge erhofft hatte und die dann bei der Verlesung des paulinischen Briefs hören muss, dass ihr Hurenleib mit christlicher Identität nicht vereinbar ist. Ein trauriges Gedankenszenario, eine Möglichkeit, die Paulus aus seiner androzentrischen Perspektive nicht bedacht hat.
2.) Ich frage mich, Paulus, ob du beim Verfassen dieser brieflichen Zeilen überhaupt den Geist Jesu hattest, der einen respektvollen Umgang mit Prostituierten pflegte, in dessen Stammbaum sie namentlich erwähnt werden, der sich von ihnen berühren ließ und für den eine Prostituierte Paradigma des Glaubens sein konnte, der das Himmelreich offensteht.
3.) Wenn du über die Würde des menschlichen Leibes sinnierst, dann darfst du nicht vergessen: auch der Leib einer Prostituierten ist von Gott geschaffen. Warum erkenne ich in diesen Zeilen bei dir nicht die biblische Linie der Parteilichkeit Gottes für die Unteren?
Paulus irritiert und orientiert zugleich. Er äußert in seinem Brief an die Korinther auch eine erstaunliche moderne Ansicht, die es lohnt zu bedenken: Sexualität ist nicht einfach das Abreagieren von Bedürfnissen, Sexualität und Identität bilden einen festen Verweisungszusammenhang. Sexualität lässt einen nicht „kalt", sondern wie der Mensch Sexualität erfährt und lebt, macht etwas mit ihm. Daher
soll sie verantwortungsvoll gestaltet werden und nicht als bloßes physiologisches Bedürfnis mit Essen und Trinken auf einer Stufe stehen.
Christliche Freiheit darf nicht unbestimmt sein, darin hat Paulus sicher Recht. Das schrankenlose Sich-Ausleben schlägt rasch in Knechtschaft um. Das droht fatalerweise dann, wenn man sich seiner eigenen Vollmacht zu sicher zu sein wähnt und meint über sich frei verfügen zu können. Gegen Paulus ist wiederum festzuhalten: Jeder Mensch und damit konkret jeder Leib besitzt Würde. Und diese Würde bleibt gewahrt, egal was andere Menschen dem Leib antun. Leibliche Würde ist unantastbar und kann nicht verloren gehen.
Leiblichkeit hat bei Paulus schließlich immer auch einen Bezug zur christlichen Gemeinde. Bei seiner Aussage: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten", hat Paulus nicht nur das Individuum, sondern die Gemeinde mit im Blick. Der entscheidende Horizont der Freiheit bei allen Fragen der Lebensführung, bei der Sexualität ebenso wie beim Umgang mit Geld und Gut, ist nicht nur die nach dem individuell Verantwortbaren und privat Erlaubten, sondern zugleich die nach dem für alle Glieder des Leibes Christi Nützlichen. Die Gemeinde soll sich durch ihr Verhalten im zwischenmenschlichen und sozialen Bereich deutlich von der paganen Umwelt unterscheiden.
Christenmenschen sind, so schreibt es Paulus am Ende des Predigttextes, von Gott teuer erkauft. Wir sind frei gekauft, in Freiheit versetzt – „Alles ist mir erlaubt.." – und gleichzeitig in eine Bindung an unseren Herrn und an die Mitchristen gesetzt, Glieder des Leibes Christi. Diese Bindung bestimmt unsere Identität, Paulus nennt es: unseren Leib. Wie können wir heute mit unserem Leib als Glieder des Leibes Christi ausdrücken, dass wir befreit sind? Es kann vielleicht so geschehen, dass wir in einem befreiten Miteinander alle diejenigen, die zu uns als Gemeinde kommen, ohne Vorbehalt annehmen, niemanden ausschließen und mit ihnen zusammen eine Gemeinde der Verschiedenen bilden. In Freiheit und Würde zusammen leben, den Anderen respektieren, auch in dem, was uns fremd ist. Von einer solchen Gemeinschaft kann man sich nur selbst ausschließen, wohl durch extreme Gewinnsucht, Diskriminierung von Schwachen oder auch durch verantwortungslose Sexualität. Aber als Gemeinde wollen wir allen mit Respekt begegnen, gerade denen, die auf den ersten Blick nicht zu uns zu passen scheinen, deren Lebensform gegen sie zu sprechen scheint und gerade ihnen zeigen, dass im Bereich des Leibes Christi ein solidarisches, geschwisterliches Leben Realität ist und ihnen auf diese Weise die Erfahrung der Freiheit der Kinder Gottes
vermitteln. „Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr" (Mth. 21,31), sagt Jesus provokativ zu den Priestern und Ältesten in Jerusalem. Können wir uns vorstellen, dass – sagen wir einmal – Investmentbanker, Hedge-Fonds-Manager und Escort-Begleiterinnen oder kleine Gauner und Straßenprostituierte ins Reich Gottes kommen oder gar – noch unwahrscheinlicher – in unseren Gemeinden freundliche Aufnahme finden? Welche Herausforderung bedeutet dies für uns? Jesu Praxis der Gemeinschaft mit diesen und anderen scheinbar so schwierigen Menschen ist von einer grenzenlosen Weite, und gerade so gewinnt er viele für das Reich Gottes und ermöglicht Neuanfänge, wo wir dies für undenkbar halten. Auch für Paulus könnte diese Praxis wohl eher irritierend gewesen sein.
Liebe Gemeinde, der heutige Predigttext ist sicherlich herausfordernd, anstößig und orientierend zugleich. Wir können von Paulus lernen und empfinden manches von dem, was er aus seiner androzentrischen Perspektive heraus schreibt, als wenig respektvoll. Nichtsdestotrotz: Sein Grundton ist die Botschaft der christlichen Freiheit, das Christentum ist keine Verbots- und Gehorsamsreligion. Man kann diese Freiheit willkürlich missverstehen und falsch gebrauchen, so dass sie in neue Abhängigkeiten führt. Man kann diese Freiheit aber nie übertreiben, man kann sie letztlich nur zu wenig radikal vertreten, d.h. zu wenig von ihrer Wurzel, von Christus her verstehen. In diesem Sinn können und sollen wir im Wissen um die damit gegebene Verantwortung mit Paulus sagen: „Alles ist mir erlaubt …". Amen.
Anmerkung:
Übersetzung der Perikope 1.Kor 6 9-14.18-20
Diese Übersetzung und zugleich Interpretation des paulinischen Textes wurde von Traugott Jähnichen erstellt. Dies erschien Prof. Dr. Traugott Jähnichen hilfreich, damit diejenigen, die sich den Text durchlesen, wissen, dass bestimmte Begriffe wie "Unzucht" und Co. mit modernen Begriffen wie "verantwortungslose Sexualität" wiedergegeben worden.
1. Kor. 6, 9-14, 18-20
Wisst ihr nicht, dass diejenigen, die ungerecht handeln, das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Alle, die mit Sexualität unverantwortlich umgehen, die Götzenbilder anbeten, diejenigen, die die Ehe brechen oder pädophile homosexuelle Neigungen ausleben, die Diebe, diejenigen, die süchtig nach immer mehr Gewinn sind oder sich dem Rausch ergeben, die, die Mobbing betreiben, die Räuber, sie alle werden das Reich Gottes nicht erben. Einige von euch waren so, aber nun seid ihr in der Taufe neu geworden, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht gemacht worden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber ich will mich von nichts beherrschen lassen. Die Speisen sind für den Bauch, und der Bauch für die Speise – und Gott wird das eine wie das andere außer Kraft setzen. Der Leib aber nicht für verantwortungslose Sexualität, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib. Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft.
Meidet verantwortungslose Sexualität. Jede Sünde, die ein Mensch tut, ist außerhalb seines Leibes. Wer aber verantwortungslose Sexualität praktiziert, der sündigt gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, den ihr von Gott empfangen habt, und dass ihr euch nicht selbst gehört? Ihr seid nämlich teuer erkauft, darum ehrt Gott mit eurem Leib.
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Was macht Vergebung - Predigt zu 1. Kor 6, 9-14 von Dr. Frank Hiddemann
Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
1. Ist Vergebung spürbar?
Liebe Gemeinde!
Woran merken Sie eigentlich, dass Ihnen die Sünden vergeben sind?
Können Sie das spüren? Oder kann ich es beobachten? Oder wissen Sie es nur, ohne dass es eine größere Auswirkung auf ihr Leben hat?
Ich vermute, die meisten von uns würden - wenn sie eine längere Zeit darüber nachgedacht hätten -, auf ein Gefühl stoßen. Vielleicht ein Gefühl wie nach einer langen Trauer, wenn einer plötzlich wieder lachen kann, ein Gefühl der Erleichterung. - Ich vermute, Sie würden nicht antworten: Es ist so, wie bei einer Magen- und Darmgrippe. Man muss sich übergeben, übergeben, übergeben - und irgendwann weiß man: Es ist alles raus! - Und ich vermute, es ist bei Ihnen auch nicht so wie bei unseren Freunden den Katholiken, die vielleicht sagen würden: Erst wenn ich die Sünde wieder gutgemacht habe, und im Fall, dass sie nicht anders wieder gut gemacht werden kann: wenn ich eine Reihe von Gebeten gesprochen habe, ist die Sünde vergeben.
2. Eine chassidische Geschichte
Wollen Sie wissen, wie ich auf diese nahe liegende, aber doch selten gestellte Frage stieß? Ich las eine Geschichte, die Martin Buber aus dem chassidischen Judentum erzählt. Vor mehr als 100 Jahren gab es in den Landschaften des heutigen Polens und der Ukraine eine blühende jüdische Religionskultur, in der es inspirierte Gemeinden und vor allem auch sehr weise, manchmal sogar wundertätige Rabbiner gab. Anfang des 19. Jahrhunderts lebte dort Rabbi Simcha Bunam von Pzysha, von dem folgende Geschichte erzählt wird.
Zweite Stimme
Das Zeichen der Vergebung
"Woran erkennen wir wohl", fragte Rabbi Bunam seine Schüler, "in diesem Zeitalter ohne Propheten, wann uns eine Sünde vergeben ist?" Die Schüler gaben mancherlei Antwort, aber keine gefiel dem Rabbi. "Wir erkennen es", sagte er, "daran, dass wir die Sünde nicht mehr tun.“[1]
Auch den Schülern des Rabbi Bunan fällt die Antwort auf diese Frage schwer. So wie den meisten von uns. Dass die Frage heikel ist, merken wir schon an der Art, wie Rabbi Bunam sie stellt: Sie gilt nur für die Zeit ohne Propheten. Hätten wir unter uns solche, wäre die Sache klar. Sie würden uns als Gottes Stimme unsere Sünden verkünden und was wir tun müssten, um diese hinter uns zu lassen. Nur ohne Propheten sind wir auf uns selbst verwiesen. Und da kommt die Antwort so, dass sie allen Propheten gefallen würde: Vergebung der Sünde heißt:
Die Sünde nicht mehr tun.
Vergebung heißt:
Die Sünde nicht mehr tun müssen.
3. ALLES IST ERLAUBT!
Sieht unser Predigttext das anders? Er sagt: "Alles ist erlaubt!" Aber was heißt das? Hören wir zunächst genau hin! N.N. liest uns aus dem 6. Kapitel des 1. Korintherbriefs:
Zweite Stimme
Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht ererben werden? Irret euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. Und das sind euer etliche gewesen. Aber ihr habt euch in der Taufe abwaschen lassen, ja, ihr seid geheiligt worden, ja, ihr seid gerecht gesprochen worden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unsres Gottes. Alles ist mir erlaubt; aber nicht alles ist heilsam. Alles ist mir erlaubt, aber ich darf mich von nichts beherrschen lassen. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst angehört? Denn ihr seid teuer erkauft worden; so verherrlichet nun Gott mit eurem Leibe![2]
4. Wir lästern nicht
Unser Text enthält zuerst einen so genannten Lasterkatalog. Unzüchtige, Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder, Diebe, Habsüchtige, Trunkenbolde, Lästerer, Räuber. - Katalog - das klingt ein bisschen nach Versandhaus, als ob man sich was aussuchen könnte. Und tatsächlich ist es wohl auch so gemeint. Irgendwo soll sich jeder von uns wiedererkennen. - Wo würden Sie sich selbst einordnen? Wenn Sie gar nichts finden, baue ich Ihnen eine Brücke. Neulich las ich im Internet:
Zweite Stimme
Wir lästern nicht. Wir beobachten, analysieren und bewerten.
Wir neigen in der Regel dazu, unser Verhalten eher in einem Tugendkatalog zu suchen als in einem Lasterkatalog. Paulus Aufzählung spekuliert damit, dass seine Zuhörer beginnen zu überlegen, was vielleicht auf sie selbst zutreffen könnte.
Zweite Stimme
Und das sind euer etliche gewesen.
Was übrigens alle diese Sünden gemein haben, in größerer oder kleinerer Ausprägung, ist dies: Es sind alles Taten von Menschen, die nicht bei sich selbst bleiben können und dabei andere entehren oder verletzen. Gier nach den Körpern anderer Menschen, Gier nach ihrem Hab und Gut, die Sucht, über sie herzuziehen, die Sucht sich selbst auszuschalten, im Alkohol oder sogar im Verkauf des eigenen Körpers. Sich berauben oder andere berauben. Was Paulus hier als die Sünden der Vergangenheit aufzählt, ist eigentlich nur eine einzige Sünde: Über die eigenen Grenzen gehen. Und dabei sich oder andere verletzen. Meistens passiert beides.
5. Wir sind Ausbalancierte
Und so ist Paulus' seelsorgerlicher Rat zu verstehen. Er versucht nicht die Laster seines Lasterkatalogs bei seiner Gemeinde auszumerzen, als sei das eine Sache des Willens oder der Anstrengung. Sie sind Getaufte. Sie sind Gekaufte. Sie sind solche, die Christus gehören, der teuer für sie bezahlt hat, nämlich mit seinem eigenen Leben. Anders gesagt: sie sind Zentrierte, Balancierte, Austarierte, solche, die bei sich bleiben können. Solche, die das große gierige Ausschwingen zu den Gütern und Körpern der anderen nicht mehr brauchen. Jedenfalls eigentlich nicht mehr brauchen. Wie schnell sich das vergisst, wissen wir ja wahrscheinlich alle. Aber wer sich erinnert, der weiß es wieder: Ich darf mich nicht beherrschen lassen!
Zweite Stimme
Alles ist mir erlaubt; aber nicht alles ist heilsam. Alles ist mir erlaubt, aber ich darf mich von nichts beherrschen lassen.
6. In der Mitte des Tempels wohnt Gott
Das Schlussbild vom Tempel unseres Leibes wiederholt diesen Gedanken nur mit einem anderen Bild. Tragischer Weise stellt man sich unter einem Tempel oder eine Kirche immer einen Ort vor, der sehr steif ist und in dem man sich benehmen muss. Wenn wir hier Kita-Gottesdienst haben, zischen die Erzieherinnen immer den Kindern Sätze zu wie: "Phil, nimm dein Basecap ab!" Und: "Hier gelten die Kirchen-Regeln! Das heißt: Mund zu!" Da kann der Gottesdienst noch so bunt und fröhlich sein, die Haupt-Botschaft sendet der Benimm-Code.
Und in südlichen Ländern erzählt man sich, müssen Frauen ihre nackten Armen bedecken, wenn sie in eine Kirche wollen. Kirchenwächter stehen am Portal und mustern jeden Besucher und vor allem die Besucherinnen. Sie suchen nackte Haut, die bedeckt werden soll. Unbefangenheit ist nicht erwünscht. Es gelten die Kirchen-Regeln!
Wenn wir uns solche Bilder aufrufen, wenn wir an eine Kirche oder einen Tempel denken, scheint der Körper als Tempel des Heiligen Geistes ein sehr unangenehmer und steifer Ort zu sein. Das antike Bild des Tempels meint aber nur: Es ist die Wohnung Gottes. Gott wohnt in der Mitte des Tempels. Und wenn Gott in unserer Mitte wohnt, erübrigt sich eben das Ausschwingen und Ausgreifen nach dem Leben anderer, die verzweifelten Versuche, unser Leben durch Raub und Selbstweggabe zu intensivieren.
In klassischen Zeiten baute man gern griechische Tempelchen nach. Sie standen in Parks, gerne auf leichten Anhöhen. Ein paar Säulen trugen ein Baldachin artiges Dach. Darin eine Figur oder auch manchmal Leere. Ein luftiges Haus, nach allen Seiten offen. So stelle ich mir auch gerne Menschen vor, in denen Gott wohnt. Eigentlich mehr ein Teil der Landschaft, als ein Bunker gegen das Außen. Vielleicht entsteht die Offenheit des Gebäudes sogar, indem Gott in seiner Mitte wohnt und Angst und Schutzbedürfnisse überflüssig macht. Ist es Zufall, dass gerade die luftige Variante Gottes, sein Geist, in unseren Körpertempeln wohnen soll?
7. Wann geht die Sünde
Woran merken Sie eigentlich, dass Ihnen die Sünden vergeben sind? Wenn Sie spüren, dass es in Ihrer Mitte ruhig ist und sie keinerlei Bedürfnis verspüren, auszuschweifen. Wenn Sie der Meinung sind, ich kann so bleiben, wie ich bin. Wenn Sie merken, Gott wohnt in mir - und das ist genug. Oder wie sagte es Rabbi Bunam?
Zweite Stimme
Woran erkennen wir wohl (...) wann uns eine Sünde vergeben ist?" "Wir erkennen es (...) daran, dass wir die Sünde nicht mehr tun.
Amen.
Und der Friede Gottes, der weiter ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus