Wo Gott seine Hand im Spiel hat - Predigt zu Apg 8,26-39 von Sup. i.R. Rudolf Rengstorf

Wo Gott seine Hand im Spiel hat - Predigt zu Apg 8,26-39 von Sup. i.R. Rudolf Rengstorf
8,26-39

Liebe Leserin, lieber Leser!

Wie  eine  Kalendergeschichte kommt sie daher, eine  Geschichte im Sonntagskleid, auf dem kein Stäubchen  liegt. Nichts ist dem Zufall überlassen - alles verläuft wie am  Schnürchen.  Gott  selbst  führt die Regie: bietet am Anfang gleich einen  Engel  auf,  um Philippus in Marsch zu setzen, später spricht er ihn  sogar  selber  an und sorgt dafür, dass er mitbekommt, als der Mann aus dem Morgenland bei seiner Lektüre der hebräischen Bibel  an einer Stelle angelangt ist, an die ein Christ sofort anknüpfen kann. Schließlich ist selbst in der Wüste  plötzlich  Wasser  da, als es für die Taufe benötigt wird. Und unmittelbar  nach  dem  erfolgreichen Einsatz wird Philippus aus dem Geschehen  herausgenommen und an eine andere Stelle gesetzt. Der richtige Mann zum richtigen Augenblick zur richtigen  Stelle.

 

Was sollen wir anfangen mit einer  so märchenhaften  Geschichte? Wir,  die Gott nicht mit Engeln und Erfolgen nach Philippus-Art verwöhnt. Das hat Gott damals auch nicht getan. Die Christen der Anfangszeit, die hier auf Goldgrund erscheinen, hatten ihre Tage nicht anders zu bestehen als  wir:   im Durcheinander des Lebens mit unzulänglichen Mitteln, die nie genau das zustandebringen, was man eigentlich will und mit denen man am Anfang auch nie so richtig weiß, was am Ende denn wohl herauskommt.  Aber  am  Ende hat sich dann ,manches eben doch so entwickelt,  dass  etwas  ganz Erstaunliches herausgekommen ist: Menschen, die  sich immer ängstlich aus dem Wege gegangen sind, kommen am Ende gut miteinander zurecht und können sogar lachen über das, was sie auf Abstand gehalten hat.; Arme Teufel, an denen Hopfen und Malz verloren schien,   kamen wieder auf die Beine und kriegten ihr Leben in den Griff. Geizhälse,  die  sich  bisher an Geld und Gut festgekrallt hatten,  erwiesen sich plötzlich als großherzige Spender. Ist da nicht wirklich Gottes Geist am Werk gewesen?

.

Ich will die Geschichte von Philippus und dem Kämmerer, dem Finanzminister aus  Äthiopien, so nacherzählen, dass erst im Nachhinein deutlich wird,  dass der Geist Gottes und Jesu Christi in ihr wirksam  war und sie auch mit uns  zu tun hat.

Philippus war einer der Diakone, die die Apostel eingesetzt und damit  beauftragt hatten,  sich um die Notleidenden in den jungen christlichen Gemeinden zu kümmern. Philippus hatte an der Küste in Gaza zu tun und war nun auf dem  Weg in die hochgelegene Stadt Jerusalem...  Da kam ihm eine prächtige Staatskarosse entgegen mit  einem ganzen Tross von Menschen und Tieren. Eine bedeutende Persönlichkeit  musste da unterwegs sein. Ehrerbietig trat Philippus zur Seite, wollte von der Vorhut des Zuges aber doch wissen, wer da kam und wohin die Reise ging. Der Herr Finanzminister ihrer Majestät der Königin von Äthiopien  -  so  wurde ihm gesagt - war zum Tempel in Jerusalem gekommen und befand sich jetzt auf der Heimreise. Himmel, anderthalb tausend Meilen lagen noch vor  ihm! Was mochte ihn bewogen haben, sich auf diese wochenlange Reise zu  machen? 

Aber  Moment mal, Finanzminister einer Königin? Dann musste das  doch ein Eunuch sein. Denn ein hohes Staatsamt durften bei ausländischen  Königinnen  nur  Männer  bekleiden, die sich ihre Männlichkeit hatten  wegoperieren  lassen, um mögliche Intimitäten und Kompromittierungen  von  vornherein auszuschließen. Was mag das für ein Mann sein, fragte sich Philippus, und ging ganz nah an den Wagen heran,.um sich den Mann näher anzusehen Und da saß  er, wie man sie sich vorstellte die Eunuchen: fettleibig, über und über mit Schmuck  behangen, und mit einer Fistelstimme. Mit der las  der Mann laut vor sich  hin.. Ihm war die Gebrochenheit seiner Person anzusehen und anzuhören. Auf der einen Seite eine glanzvolle Karriere: Bis ins Zentrum der  Macht hinein war er gelangt. Geld spielte keine Rolle, es gab keinen Luxus, den er sich nicht leisten konnte. Auf der anderen Seite verstümmelt  bis  in den Kern seiner Person hinein. Warum war dieser Mann zum Tempel  gekommen, was hatte er dort  erwartet? Vielleicht hatte er von der Barmherzigkeit des Gottes Israels gehört, der  ein Herz hat für gebrochene Menschen.  Doch  verschnittenen Männern war nach jüdischem Gesetz der Tempel verschlossen. Er war noch nicht einmal  in die für Heiden erlaubte Vorhöfe gelangt. Der  Mann  musste  wieder umkehren wie so viele Leidensgenossen  mit  sexuellen Abnormitäten. Priester und Schriftgelehrte hatten sie abgewiesen, wie sie es vielerorts auch heute noch tun. Und  selbst  die großen Apostel waren nicht frei davon.

Philippus  aber wendet sich nicht kopfschüttelnd oder achselzuckend ab, sondern  bleibt  ganz  nah dran an dem Mann, hört, was er liest, wie er sich abmüht mit einer Stelle aus dem Buch des Propheten Jesaja, von dem sich der Mann offenbar eine Buchrolle gekauft hatet, um nicht ganz mit leeren Händen  nach  Hause  zu  kommen.  Er liest über den geheimnisvollen Gottesknecht,  der sich wehr- und widerspruchslos seinen Mördern denen überlässt, die ihn  aller Ehre und Würde berauben. Wie sollte  der Mann in der Staatskarosse das verstehen?

Und  so spricht Philippus ihn an: „Brauchst du Hilfe, Herr?“ Der Mann ist daran gewöhnt, dass man ihm voller Scheu und Ehrerbietung begegnet. Hier aber läuft  ihm  einer über den Weg, der seine Ratlosigkeit und seine Suche nach  Gott wahrnimmt, der sich offenbar  auskennt mit dem Gott der Juden und ihn, den  heidnischen Verschnittenen dennoch nicht zurückweist.  „Ja komm, steig ein, setz dich zu  mir,  und  erkläre mir, von wem hier die Rede ist und was das soll.“

Für die Wächter geheiligter Ordnungen mag es  weiterhin  Schranken  und  Tabus geben. Dieser Bote Jesu Christi aber kennt  keine  Berührungsängste,  weil  sein Herr es ist, von dem da geschrieben  steht.  Sein Herr, der nicht nur aus der Distanz heraus verkündigt,  sondern  der  durch  Nähe und Zuwendung bezeugt werden will, Durch  Menschen,  die  eine Strecke mitfahren auf dem Wagen des Lebens, Bis  der  andere merkt: Ich bin miteinbezogen in die Geschichte des Gottes,  der  sich  klein  macht, so niedrig und gering, dass er in unseren

geheimsten  Schwächen  und  Ängsten bei uns ist und uns hinausführt ins Weite.

 In  der Taufe wird uns das auf den Leib geschrieben: Du gehörst zu  dem,  der  dem  Leid nicht aus dem Weg gegangen ist, und dir wird Leiden auch  nicht  erspart  bleiben. Aber ins Leben Gottes ist er gedrungen, und  dich nimmt er mit! Keine Frage, das will der Kämmerer sich zueigen machen. Zu diesem Herrn gehörig ist er nun kundig und  frei. Da braucht er keinen  Philippus  mehr,  und Gebrauchanweisungen, wie man denn nun mit der  Taufe  zu  leben hat, erst recht nicht. Bedenkenträger hätten hier viel  auszusetzen.: Man könne doch nicht nach so kurzer Zeit taufen. Und man könne  den Mann doch nicht in eine heidnische Umgebung entlassen, ohne ihm  die Adresse der nächsten christlichen Gemeinde mitzugeben oder ihm das Versprechen abzunehmen, regelmäßig zurückzukommen und sich fortbilden zu lassen.  Aber  Christus braucht Menschen wie Philippus, die dem, was siein Gottes Namen sagen und leben, auch etwas zutrauen.

 

Die beiden in der Kutsche – für mich sind sie ein Bild für die christliche Gemeinde. In Ihr treffen Schicksal und Auftrag aufeinander und zwar so, dass wir uns mal auf der einen und dann wieder auf der anderen Seite  befinden.  Wer dazu gehört, ist immer mal wieder darauf angewiesen, dass ein  anderer aufspringt, bis  Not beseitigt ist und Klarheit einzieht. Und wer dazu gehört, muss darauf gefasst sein, Vorbehalte  und Bedenken hintanzustellen, wo Menschen – aus welchen Gründen auch immer – auf Hilfe und Verständnis angewiesen sind. In beiden Fällen hat Gott seine Hand im Spiel.

Amen.

 

Ein ödes Leben wird fröhlich - Predigt zu Apg 8,26-39 von Michael Nitzke

Ein ödes Leben wird fröhlich - Predigt zu Apg 8,26-39 von Michael Nitzke
8,26-39

26 Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. 27 Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. 28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. 29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!

30 Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? 31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.

32 Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8): "Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. 33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen."

34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?

35 Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. 36 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse?

37 Vers 37 findet sich nur in einigen Handschriften: "Philippus aber sprach: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so kann es geschehen. Er aber antwortete und sprach: Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist."

38 Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. 39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.

 

Liebe Gemeinde,

manche biblischen Geschichten sind wie ein alter Film. Man hat ihn ‚gefühlt‘ schon hundertmal gesehen, aber wenn ich mitbekomme, dass er auf irgendeinem Sender spätabends nochmal läuft dann, versuche ich, wach zu bleiben, um mich in die schöne alte Geschichte zu versenken.

Ich freue mich an den alten Erinnerungen. Da ist Philippus, ein Missionar und Diakon. Er verkündigt das Wort Gottes und setzt sich ein für die Armen in der Gemeinde. Und er muss wohl ein Sonderbeauftragter Gottes gewesen sein, denn der schickt ihn spontan in Situationen, wo seine Hilfe gebraucht wird.

Auf diese Weise kommt er an die Straße von Jerusalem nach Gaza, dort soll ein Wagen vorbeikommen, an den soll er sich halten. Mehr sagt sein Auftrag nicht aus. Da ist also Eigeninitiative gefragt. Und Philippus hatte zuvor schon Mut bewiesen. Und den braucht er auch jetzt, denn es begegnet ihm eine hochgestellte Persönlichkeit. Ein enger Mitarbeiter der Königin von Äthiopien. Er war der Herr über ihren ganzen Schatz. Diese hochgestellte Persönlichkeit kam nach Jerusalem, um Gott anzubeten. Wörtlich heißt das: „um niederzuknien“. Ein Repräsentant eines fremden Landes, will sich dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs unterordnen.

Kein Grund für Verwunderung: Zwischen Äthiopien und Israel bestanden deutliche Verbindungslinien. Stammte die Königin, der der Kämmerer diente, wirklich von König David ab, der Jerusalem gründete? Oder sind auf andere Weise Menschen nach Äthiopien gekommen, die an den Gott der zehn Gebote glaubten? Bis in die heutige Zeit finden sich Spuren des Judentums in diesem alten, stolzen afrikanischen Land. Und in mehreren Wellen hat der Staat Israel die Äthiopier, die sich als Juden empfanden mit Flugzeugen heimgeholt.

Ob Philippus von solchen alten Verbindungen eine Ahnung hatte, wissen wir nicht. Jedenfalls war Philippus mit Hilfe des Heiligen Geistes zur rechten Zeit am rechten Ort. Und er stellt dort einem richtigen Menschen die richtige Frage:1 „Verstehst Du auch, was Du da liest?“

Was versteht der Kämmerer nicht an den Worten des Propheten Jesaja? Dass ein Schaf ruhig zur Schlachtbank geht, und sich schweigend das Fell über die Ohren ziehen lässt? Oder dass am Ende doch alles gut wird, und dieses Schaf, das sein irdisches Leben verliert, mit himmlischem Leben belohnt wird?

Nein, das erscheint dem Äthiopier gar nicht so unwahrscheinlich. Er will viel lieber wissen, wem diese Prophezeiung gilt. Deshalb ist er dankbar für die Frage des Philippus. Er sieht sie nicht als Anmaßung, sondern als Angebot.

Philippus deutet den von Jesaja beschriebenen Gottesknecht als den Sohn Gottes, also auf Jesus Christus. In Jesus Christus laufen alle Linien zusammen, er hat sich selbst als Lamm Gottes gesehen, das sein Leben geben muss für andere. Und er hat sich als guter Hirte empfunden, der sein eigenes Leben riskiert, um keines dieser Schafe zu verlieren, die ihm anvertraut wurden.

Der Äthiopier saugt die Worte auf wie ein Schwamm. Er ist begeistert von der Erzählkunst des Philippus und spontan will er die Taufe empfangen, von der ihm Philippus erzählt haben muss.

Reicht die Begeisterung aus, um dieses Sakrament zu empfangen? Oder muss nach einem Glaubensbekenntnis gefragt werden? Neure Forschung ist da sehr offen und stellt den Wunsch nach Gemeinschaft mit dem Stifter des Glaubens über die Übereinstimmung mit den Inhalten der Überlieferung.

Nein, es hindert nichts an seiner Taufe, und doch bin ich überzeugt, dass dieser Kämmerer aus Äthiopien diesen einen Satz sein Leben lang im Herzen getragen hat: „Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist.“

Nun versenke ich mich wieder in meinen alten Film am späten Abend und sehe förmlich vor dem inneren Auge, wie der hochgestellte Mann sich abermals erniedrigt, wie zuvor schon am Tempel in Jerusalem, nun aber an einem Tümpel auf dem Weg nach Gaza.

Er kniet nieder in der Wasserstelle, bis sich die Fluten über seinem Kopf schließen. Er wird untergetaucht, er wird getauft. Alles, was ihn belastet, wird von ihm abgewaschen. All der Schmutz, mit dem sich ein Mann in seiner Position befleckt haben wird, löst sich von seinem Körper, und damit wird auch seine Seele gereinigt. Und er kann gewiss sein: das, wovon der Kämmerer nun reingewaschen wurde, ist von Jesus Christus schon aufgenommen worden, als er sich bei seiner eigenen Taufe wieder aus den Fluten des Jordans erhob.

Und dann ging ihm wieder durch den Kopf, was er zuvor gelesen hatte, bevor Philippus in gefragt hatte. Und nun verstand er, was er da las: 4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 6 Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. 7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. (Jes 53)

Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? (Apg 8,34)

Die Frage des Kämmerers ist bis heute nicht geklärt. Aber wer glaubt, dass Jesus Christus sein Leben für uns gegeben hat, damit wir befreit leben können, der fühlt in seinem Herzen, dass die Vision des Jesaja durch Leben, Sterben und Auferstehung Jesu Christi Wirklichkeit geworden ist.

Der Betrachter des abendlichen Films sieht den nachdenkenden Kämmerer aus Äthiopien, mehr lässt die Szene nicht erkennen. Philippus ist nicht mehr zu sehen. Der Herr hat ihn an einen anderen Ort versetzt, dort erfüllt er nun die Aufgaben seines Herrn. Wenn so etwas in der Bibel steht, dann fragen sich alle: „Wie kann so was gehen?“ Wenn ich in einer alten Raumschiff-Enterprise-Folge sehe, wie Bord-Ingenieur Scotty den Vulkanier Mr. Spock auf einen neu entdeckten Planeten beamt, dann zweifle ich nicht, dass das bald möglich sein wird. Denn in Fragen der Kommunikation sind wir ja längs weiter als diese Raumschiff-Besatzung aus den 70er Jahren. Also wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis wir das blitzschnelle Transferieren eines Körpers beherrschen.

Aber was bringt uns das? Vielleicht hat sich Philippus einfach nur beeilt, um von der Straße nach Gaza zu seinem neuen Ziel in Aschdod zu kommen. Die 25 Kilometer Luftlinie könnte er mit seinem missionarischen Elan alsbald bewältigt haben.

Der aufmerksame Film-Betrachter erkennt nun, dass sich die Gesichtszüge des Kämmerers zusehends aufhellen. Ja, er wird fröhlich. Ganz anders als er losgefahren ist. Um das wirklich zu würdigen, reicht nicht der Blick auf den alten Film, der vor dem inneren Auge läuft, sondern es ist das Hören auf die alten Sprachen notwendig.

Der Geist spricht zu Philippus: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.

Zwei Dinge fallen auf. Erstens, die Straße ist öde. Da ist nichts los. In den alten Sprachen erinnert das Wort für öde an eine Wüste. Wüst und öde, war die Welt vor der Schöpfung. Also war da überhaupt nichts. Ziemlich traurig, also.

Zweitens das Ziel der Straße: Gaza. Heute ist so eine Reise kaum noch möglich. Eine bekannte Internet-Navigation sagt zu jeglicher Reise von Jerusalem nach Gaza: „Die Route von "Jerusalem, Israel" nach "Gaza" konnte nicht berechnet werden.“2 Die Grenzen sind zu allen Seiten dicht, und die politischen Gründe dafür sind offenkundig.

Damals hatte man beim Ortsnamen Gaza sicher andere Assoziationen. Beim Dienstauftrag an Philippus werden Jerusalem und Gaza in einem Atemzug genannt. Bei der Reise des Kämmerers ebenso. Das ist aber nur in der griechischen und der lateinischen Version erkennbar.

Bei Luther steht: „ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen,“

Statt des Wortes Schatzmeister steht im Lateinischen: „qui erat super omnes gazas eius“, „der war über allen ihren Schätzen“. Auch im Griechischen wird man in gleicher Weise an die Stadt Gaza erinnert, wenn es um einen Schatz geht. Das wäre heute so, als führe man auf der Straße von Leipzig nach Dresden, um in der Mitte des Weges, in der Stadt Oschatz, einen Schatz zu suchen. Heute mag das dort gelingen. Aber damals wurde die Straße von Jerusalem nach Gaza als öde beschrieben. Der Kämmerer musste diese Straße zurückfahren, und über Gaza hinaus zu seinen Schätzen, die er in Äthiopien hüten musste. Sicher erschien ihm diese Aufgabe nun genauso öde, wie die Straße, die durch die Wüste Judäas führt. In der Zusammenballung dieser Worte in der Ursprache wird das ganz deutlich. Die Schätze der Königin machen den Kämmerer nicht mehr glücklich, sie sind öde für ihn. Selbst wenn für ihn etwas abfällt, das bringt ihm nichts. Das ist einfach nur Wüste, als er nach Hause aufbricht.

Als er aber im Tümpel getauft wurde, und Philippus schon längst bei anderen Aufgaben war, da wird von diesem Kämmerer gesagt: „Er zog aber seine Straße fröhlich.“ (Apg 8,39) Es war dieselbe Straße: die Straße, die öde war. Die zog er nun weiter, und er war nun dabei fröhlich.

Seine Taufe hat ihn verwandelt. Dieses Bad im Wasser des Tümpels war für ihn viel mehr als das Niederknieen am Tempel. Er war gekommen, um den Gott anzubeten, den die Vorfahren seiner Königin kennen gelernt hatten. Doch nun hat er erfahren, dass der Sohn dieses Gottes sein Leben verwandelt.

Sein vermeintlich reiches Leben, das aber doch nur öde war, wie die Reise nach Hause, das hat sich nun verändert. Er ist fröhlich geworden.

Es ist fast so, als hätte jemand für den alten Film einen neuen Schluss geschrieben. Leider gibt es keinen zweiten Teil von diesem Film. Wir wissen nicht, wie der Kämmerer sein Leben verändert hat. Aber wir können uns von seiner Fröhlichkeit anstecken lassen.

Seine Beschäftigung mit den Fragen des Glaubens hat ihn dazu geführt einen Gast aufzunehmen, der sich nicht scheute zu fragen: „verstehst Du auch, was Du da liest?“. Und als er begann zu verstehen, da wollte er ganz in diese Welt des Glaubens eintauchen. Er tauchte unter im Wasser der Taufe und er tauchte wieder auf und war ein fröhlicher Mensch. Auf diesem Weg der Fröhlichkeit dürfen wir ihm folgen und uns anstecken lassen von seiner Begeisterung.

So wollen wir uns vom Geist führen lassen wie Philippus, dass dieser Geist uns fröhlich mache, wie den Kämmerer aus Äthiopien.  Amen.

Anmerkungen:

1: Elberfelder Bibel mit Erklärungen. 5. Aufl. 2013 zu Apg 8,34.

2: www.google.de/maps/dir/Jerusalem,+Israel/Gaza/ (22.6.2018)

Am Anfang war die Fülle – Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-13 von Claudia Jahnel

Am Anfang war die Fülle – Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-13 von Claudia Jahnel
2,1-13

Am Anfang war die Fülle!

Wie? – werden Sie jetzt vielleicht sagen – Am Anfang war das Wort! So heißt es doch richtig im Prolog des Johannes-Evangeliums: Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.

Am Anfang war die Fülle! sage ich und lade Sie ein, heute mit mir über das Thema Fülle und Vielfalt nachzudenken; aber keine Angst, ich will Sie nicht wie Mephisto in Goethes Faust verführen, der ja bekanntlich spricht: Am Anfang war die Tat! Das nämlich meine ich nicht – im Gegenteil: am Anfang war die Fülle und ohne sie können wir nichts tun. Fülle kommt vor der Tat. Fülle ist ein Geschenk. Und: Fülle ist Vielfalt.

 

Pfingsten als Metapher für Fülle und Vielfalt

Das anstehende Pfingstfest ist DIE Metapher für Fülle und Vielfalt. Das Fest ist fester Bestandteil der christlich-abendländischen Kultur, aber seine Bedeutung ist vielen nicht mehr vertraut. Die Bilder, mit denen die Apostelgeschichte das Pfingstereignis beschreibt, erscheinen dem einen oder der anderen eher als Fantasieromane denn als christliche Symbole: Von „Feuerzungen“ und „großem Sturm“, von einem „gewaltigen Brausen“ ist die Rede. Und auf einmal sind die Menschen vom Heiligen Geist erfüllt und sprechen in verschiedenen Sprachen und verstehen sich trotzdem. 50 Tage nach Ostern, so die Apostelgeschichte, versammeln sich die Menschen aus aller Herren Länder zum jüdischen Wochenfest, also zu einer Art Erntedankfest, einem Fest des Dankes für Gottes reiche Gaben, für Fülle und Vielfalt. Inmitten des Sprachengewirrs fangen die Jesusanhänger, die sich nach dem Tod Jesu ängstlich versteckt gehalten hatten, auf einmal an zu predigen. Dabei geschieht etwas Wundervolles: Jeder und jede versteht, was sie sagen, in seiner/ihrer Sprache. Diese Jesusanhänger sind nicht sonderlich gebildet. Sie sind keine Akademiker. Sie haben kein Graecum, Hebraicum, Latinum, Deutschexamen oder sonst einen Sprachabschluss. Sie sind vielmehr vom Geist Gottes ergriffen und das verleiht ihnen die Fähigkeit, über alle Sprachbarrieren hinweg Menschen aller Nationen und Kulturen zu erreichen.

 

Pfingsten, ein Fest der Fülle der Bilder und Geräusche, dass wir Augen und Ohren aufsperren für die Zeichen und das Wehen, nein Brausen Gottes in der Welt. Ein Fest der Düfte auf dem jüdischen Wochenfest, der Ernte, der Speisen, der Gewürze. Ein Festschmaus für die Sinne, ein Fest der Fülle. Besonders aber ein Fest der vollkommenen Kommunikation: Jeder versteht jeden, obwohl jeder/jede so redet, wie ihm/ihr der Schnabel gewachsen ist. Die Zuschauer machen sich über sie lustig und halten sie für betrunken. Aber nein. Es ist eine wunderbare Kraft, die in ihnen steckt und ihnen die Angst nimmt, sodass sie sich nicht mehr vor ihren Problemen verkriechen. Sie verkünden: eine neue Zukunft und ein Leben in Fülle ist angebrochen.

Wenige Zeilen nach unserem Predigttext lesen wir die allererste Pfingstpredigt, die Rede des Apostels Petrus. Petrus erklärt den verwirrten Zuhörern, was es mit den seltsamen Dingen auf sich hat, die hier gerade vor ihren Augen und Ohren geschehen; dass Gott seinen Geist ausgießt auf die Menschen, und was dann mit ihnen passiert: „Eure Söhne und Eure Töchter werden Propheten sein. Eure jungen Leute werden Visionen haben; und Eure Alten werden Träume träumen“. Der Heilige Geist bringt eine Kraft, die die Gegenwart und die Zukunft zu Orten eines Lebens in Fülle macht.

 

Fülle heißt Vielfalt

Fülle heißt Vielfalt. Immer, immer Vielfalt – und nie die Reduktion, Homogenisierung, das Einstampfen von Unterschieden! Keine Eintönigkeit. Kein identitärer Zusammenschluss der einen und Ausschluss der anderen. Fülle ist Vielfalt: Alle behalten ja ihre Sprachen, sprechen kein Esperanto, bleiben verschieden, auch kulturell.

Die Apostelgeschichte wiederholt und bekräftigt, was wir in so vielen Geschichten im Alten wie im Neuen Testament finden, die in Fülle und Vielfalt schwelgen. Die Bibel beginnt gar mit einer Liturgie der Fülle und Vielfalt. Die Schöpfungsgeschichte ist ein Lobpreis der göttlichen Großzügigkeit und des göttlichen Erfindungsreichtums: Licht, Dunkel, Pflanzen, Tiere, Fische, Vögel, Menschen, Mann und Frau. Schon hier bekommen wir die Kraft der Ruach, des Geistes und Atems Gottes zu spüren, zu sehen, zu hören. Das erste Kapitel der Bibel erzählt, wie gut diese Fülle und Vielfalt sind, und wiederholt in einem fort: „Es ist gut, es ist gut, es ist sehr gut.“ Gott „segnet“, d.h.: er stattet mit Leben und Vitalität, mit seinem Atem und Geist aus – die Pflanzen, die Tiere, Fische, Vögel und Menschen. Und Gott der Schöpfer spricht die Worte: „Seid fruchtbar und mehret euch“! Alle haben in einer wahren Orgie von Fruchtbarkeit die überfließende Güte zu mehren, die sich aus dem Schöpfergeist Gottes ausgießt.

Israel feiert die Fülle der Vielfalt des Geistes Gottes. Psalm 104, das längste Schöpfungsgedicht, ist ein Kommentar zur Schöpfungsgeschichte: Der Psalmist überschaut hier die Schöpfung und benennt alles: Himmel und Erde, Wasser, Quellen und Ströme, Bäume und Vögel und Ziegen und Wein und Öl und Brot und Menschen und Löwen. So geht es über 23 Verse und endet im 24. Vers mit einem Ausdruck von Ehrfurcht und Lob für Gott und seine Schöpfung. Die Verse 27 und 28 sind so etwas Ähnliches wie ein Tischgebet: „Du gibst ihnen allen Speise zur rechten Zeit, du nährst jeden.“ Der Psalm endet damit, Gott als großen Atemspender darzustellen: „Wenn du deinen Atem gibst, wird die Welt leben; wenn du aufhörst zu atmen, wird die Welt sterben.“ Aber der Psalm stellt klar, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Gott ist ganz und gar verlässlich. Die Fruchtbarkeit und die Vielfalt der Welt sind gewährleistet.

 

Der Anfang des Knappheitsdenkens und die Reduktion der Vielfalt

Das Bewusstsein der Fülle und der Vielfalt dominiert das erste Buch der Bibel bis in Kapitel 47 hinein. In diesem Kapitel träumt der Pharao, dass eine Hungersnot im Land aufkommen wird. Daher lässt er die Nahrungsversorgung verwalten, kontrollieren und monopolisieren. Der Pharao führt letztlich das Prinzip des Mangels und der Knappheit in die Weltwirtschaft ein. Zum ersten Mal sagt jemand in der Bibel: „Es ist nicht genug. Lass uns alles bekommen.“ Und auf einmal ist sie da: die Monopolisierung der Fülle, die Beherrschung der Vielfalt. Auf einmal gibt es ein „Wir“ – eine privilegierte Gruppe, die am Monopol partizipiert und davon profitiert. Sie wollen genug bekommen ­– und nicht die anderen.

Wie es weitergeht, wissen Sie: Joseph verwaltet im Auftrag des Pharao das Monopol Ägyptens. Als die Ernte ausfällt und die Bauern kein Essen mehr haben, kommen sie zu Joseph, der im Auftrag Pharaos sagt: „Welche Rückversicherungen könnt ihr uns geben?“ Und sie geben ihr Land auf für Nahrung, und dann im nächsten Jahr geben sie auch noch das Vieh weg. Im dritten Jahr haben sie nur noch sich selbst als Pfand. Und so sind die Kinder Israels zu Sklaven geworden – durch eine ökonomische Transaktion quasi. Und so herrscht eine Gruppe über viele andere. Gleichzeitig wird die Vielfalt zur Differenz, zum Unterschied, zur Spaltung. Was uns unterscheidet wird wichtig, der Unterschied wird zu dem, was zählt. Eine Hierarchie wird eingeführt zwischen denen, die Macht und Sagen haben, und jenen, die weniger an Entscheidungen partizipieren. Das Gegenteil von Fülle und Vielfalt ist die Rede von Knappheit und Spaltung.

 

Doch die Geschichte geht weiter. Der Pharao wird noch gemeiner, brutaler und böser – so wie der Mythos des Mangels, der Knappheit, der Spaltung. Die Tatsache, dass er das Volk Israel nicht unter Kontrolle bringen kann, macht ihn so zornig, dass er Mose und Aaron zu sich bestellt und ihnen mitteilt: „Nehmt euer Volk und geht. Nehmt eure Schafe und Rinder und verlasst diesen Ort!“ Dann bittet der große König Ägyptens, der das Monopol über die regionalen Ressourcen besitzt, dass Mose und Aaron ihn segnen. Die Mächte des Mangels und der Spaltung geben gegenüber einer kleinen Gemeinschaft der Fülle zu: „Es ist klar, dass ihr die Zukunft seid. Legt uns daher eure machtvollen Hände auf und gebt uns Energie, bevor ihr uns verlasst.“ Der Text zeigt, dass die Macht der Zukunft nicht in den Händen derer liegt, die an den Mangel glauben und die Menschheit spalten. Sie liegt vielmehr in den Händen derer, die Gottes Fülle vertrauen.

Das ist es schließlich, was die Israeliten sogar in der Wüste erfahren ­– die Fülle Gottes: Gottes Liebe tropft vom Himmel in Gestalt von Brot. Brot als Symbol für ein freies Geschenk für jeden. Ein Geschenk der Fülle, für das die Israeliten nicht gearbeitet haben, das sie aber auch nicht kontrollieren – horten – können. Denn man kann Gottes Freigiebigkeit, das Geschenk seiner Fülle und Vielfalt, nicht einlagern.

Viele Geschichten der Bibel, die unsere Tradition und Kultur, unser Zusammenleben geprägt haben und prägen wollen, sind Geschichten, die von Fülle und Vielfalt sprechen.

 

 

Pfingsten: Fülle, Vielfalt, Zukunft

Die Geschichte von Pfingsten wiederholt und verstärkt dies und weitet die Fülle und Vielfalt noch auf andere Kulturen aus. Denn der Heilige Geist ermöglicht Kommunikation über die Grenzen hinweg – die sprachlichen und kulturellen ebenso wie die heutigen konfessionellen und religiösen. Die Zukunft liegt nicht, so der Geist von Pfingsten, in Monokulturalität oder im Glaube an Knappheit, der die Angst, zu kurz zu kommen, schürt. Der Heilige Geist eröffnet eine Zukunft, die von Vielfalt und Verständigung geprägt ist. Pfingsten ist ein „Idealbild von Globalisierung“ (Heribert Prantl): „Alle behalten ihre Eigenheiten, alle bleiben verschieden; es gibt aber ein gemeinsames Verständnis, einen gemeinsamen Geist, aus dem ein Wir-Gefühl entsteht.“ Pfingsten als Geburtsstunde der Kirche propagiert nicht die Uniformierung von Kultur, Glauben oder Konfession, sondern Verständigung in der Verschiedenheit.

Auch wenn ich keine Vertreterin der dialektischen Theologie bin, muss ich feststellen: Diese Zukunftsvorstellung von Pfingsten hat einen gänzlich anderen Klang als jene in vielen Reden von Politikern und Wirtschaftsweisen oder in Stimmungsbarometern heute: dort sieht die Zukunft eher düster aus. Sie ist mehr eine Anti-Zukunft als eine Zukunft. Das Szenario der Katastrophen bricht kaum ab: Klima- und Umweltkatastrophe, Flüchtlingskatastrophe, Finanzkatastrophe durch Turbokapitalismus – auch auf dem Bildungsmarkt, denn ohne Drittmittel überleben wir nicht, daher auch Bildungskatastrophe, ganz zu schweigen von der religiös-fundamentalistischen Katastrophe.

Diese Dauerkatastrophe ist nicht gerade ermutigend. Sie nimmt den Glauben daran, etwas bewirken, etwas verändern zu können. Sie gibt den jungen Menschen, die laut Petrus zu Propheten und Visionären werden, und den Alten, die noch Träume haben, keinen Raum. Heutige Zukunftsszenarien rauben eher die Motivation, Zukunft – und vor allem Gegenwart – zu gestalten, denn wenn die Zukunft so negativ ist, ist sie auch nicht erstrebenswert. „Alternativlos“, so lautet das Attribut, mit dem manche Politiker heute die Strategien angesichts der bevorstehenden Katastrophen näher kennzeichnen: die Abschottung Europas vor zu vielen Flüchtlingen ist alternativlos. Die Bekämpfung des Islamismus ist alternativlos. Lediglich eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn hat m.W. noch keiner als „alternativlos“ bezeichnet.

Alternativlos – statt Umdenken. Alternativlos – statt neue Pfade entdecken, die zwar mit den Schlagworten „innovativ“ und „zukunftsfähig“ immer wieder heraufbeschworen werden. Aber mal ehrlich: so etwas Altbackenes, politisch wie wirtschaftlich Reguliertes und Floskelhaftes wie die Worte „innovativ“ oder „zukunftsfähig“ gibt es selten.

Das biblische Zeugnis zeigt, dass nicht Katastrophe, Knappheit, Alternativlosigkeit, Angst vor Anderem und Neuem unsere ersten Erfahrungen sind, sondern Fülle und Vielfalt. In philosophische Sprache und in ihre Philosophie der Natalität umgesetzt hat diesen Gedanken die jüdische Philosophin Hannah Arendt: Wir sind alle geboren und verdanken uns also nicht uns selbst, sondern einem unergründlichen Geheimnis. Die Tatsache der Natalität – des Geborenseins des Menschen ­– bedeutet, dass wir uns nicht uns selbst verdanken, sondern dass wir das Leben geschenkt bekommen haben. Und wie ich selbst geboren, also weder hergestellt noch bezahlt wurde, so kann ich auch nichts von dem, was mich umgibt und was ich zum Leben brauche, selbst machen. Die Fülle, aus der wir leben und wirtschaften, ist Geschenk. Ein einziger Spaziergang reicht aus, um zu erkennen, dass ich Teil einer großen Fülle und Vielfalt bin. Erfahrungen des Mangels und der Homogenisierung oder des Ausschlusses von Vielfalt kommen immer erst an zweiter Stelle.

Pfingsten erinnert und löckt zu so einer Spiritualität der Fülle, der Vielfalt, der Großzügigkeit, der grenzüberschreitenden Kommunikation, der Zukunftsoffenheit – und der Dankbarkeit gegenüber dem geschenkten Leben. Pfingsten bringt diese Fülle in einen nicht aufzulösenden Zusammenhang mit kultureller Vielfältigkeit. Die Gemeinschaft, die der Heilige Geist in dieser Geburtsstunde der Kirche schenkt, entsteht auf der Basis eines gemeinsamen Glaubens, jenseits von Nation, Familie, Ethnie, Klasse. Die Pfingstgeschichte, der Anfang der Kirche, verkündet letztlich eine Globalisierung, aber nicht eine Globalisierung, die die Welt uniformiert, gleichmacht, sondern eine Globalisierung der Verständigung in Vielfalt und Verschiedenheit.

Am Anfang waren Fülle und Vielfalt, und ohne sie können wir nichts tun. Amen

 

Mitverwendete Literatur:

Heribert Prantl, Zukunft muss menschenwert werden, nicht umgekehrt, http://www.sueddeutsche.de/politik/pfingsten-wunderwort-zukunft-1.24902…

Ders., In Europa ist Antipfingsten angebrochen,
http://www.sueddeutsche.de/politik/europa-anti-pfingsten-1.2992611

Perikope
20.05.2018
2,1-13

Vom Singen und vom Zagen - Predigt zu Apostelgeschichte 16,23-34 von Sören Schwesig

Vom Singen und vom Zagen - Predigt zu Apostelgeschichte 16,23-34 von Sören Schwesig
16,23-34

Liebe Brüder und Schwestern,

der Sonntag Kantate ist geprägt von Gotteslob und frohen Liedern. So haben wir heute Morgen schon miteinander gesungen: „Die beste Zeit im Jahr ist mein“ und „Lob Gott getrost mit Singen“. Es singt sich ja auch gut an so einem schönen frühsommerlichen Tag, in dieser hellen und freundlichen Kirche mit schöner Orgelbegleitung.

Ganz anders unsere heutige Predigtgeschichte. Sie erzählt von Paulus und Silas. Beide sind als Missionare für die Sache Gottes unterwegs. In unserer Geschichte singen auch die beiden. Aber sie sitzen dabei nicht auf bequemen Bänken, sondern im Gefängnis, in das man sie mit dem Vorwurf, sie würden Menschen aufwiegeln, geworfen hat. Alles andere als komfortabel damals in der Stadt Philippi. Ich lese Acta 16, 23-43:

Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Der (…) warf sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und sangen Gott Loblieder. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber kam ein großes Erdbeben. Die Grundmauern des Gefängnisses wankten, alle Türen öffneten sich und von allen fielen die Fesseln ab. Als der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Gefängnistüren offen, wollte er sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief: Tu dir nichts an; wir sind alle hier! Da forderte der Aufseher ein Licht, stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie erzählten ihm und seinem ganzen Haus von Jesus Christus. Da nahm er sie zu sich in sein Haus und wusch ihre Wunden. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, daß er zum Glauben an Gott gekommen war. Als es aber Tag geworden war, sandten die Stadtrichter die Amtsdiener und ließen sagen: Laß diese Männer frei!

Es fällt schwer von dieser Geschichte einen Bezug herzustellen zu unserer Situation und unserem Singen heute Morgen. Denn das, was in dieser Geschichte zunächst passiert, ist düster, lässt einen eher verstummen, schnürt einem eher die Kehle zu, als dass man singen möchte. Was ist passiert?

Paulus und Silas erzählen den Menschen von Jesus Christus. Sie kommen dabei in viele Städte, finden hier und dort Anhänger und erleben hier und dort Gastfreundschaft von wohlwollenden Menschen. Aber nicht nur. In Philippi etwa begegnet man ihnen feindlich. Nicht deshalb, weil sie das Evangelium von Jesus Christus öffentlich verkündigen, sondern weil sie einem Menschen sein Geschäft verhagelt haben. Und das kam so:

Eine Sklavin hatte die Gabe wahrzusagen. Sehr lukrativ für ihren Besitzer. Wer über seine Zukunft erfahren wollte, konnte das – aber nur gegen einen gesalzenen Geldbetrag. Die Sklavin musste jederzeit ihre Gabe einsetzen, ob sie wollte oder nicht. Ein lukratives Geschäft.Als sie aber Paulus und Silas begegnete, spürte sie wohl den Geist, der von beiden ausging und folgte ihnen. Wahrscheinlich wünschte sie sich nichts inständiger, als das Ende ihrer Versklavung. Sie heftete sich an die Fersen der beiden, bis es Paulus zu viel wurde. Er drehte sich um „und sprach zu dem Geist in ihr: Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, dass du von ihr ausfährst.“ Ab diesem Augenblick war ihre Gabe zu Weissagen verschüttet. Sie war frei. Befreit von ihrer menschenverachtenden Vermarktung. Aber damit war auch das einträgliche Geschäft ihres Herrn dahin.

Der war so empört über Paulus und Silas, dass er, um ihnen zu schaden, ein altes Klischee auspackte: „Diese bringen unsere Stadt in Aufruhr; und sie sind Juden.“ Ein interessantes Phänomen: Gibt es wirtschaftliche Einbußen, sucht man nach einem Schuldigen. Und da kommen einem die Juden als Sündenböcke gerade recht. Das Philippi des Jahres 50 nach Christus unterscheidet sich gar nicht so sehr vom Deutschland beispielsweise des Jahres 1938: „Die Juden sind unser Unglück.

Paulus und Silas werden misshandelt und ins Gefängnis geworfen, an Leib und Seele zutiefst verletzt, die Füße im Block. Sie haben keine Ahnung, ob sie je wieder diesem Kerker entkommen werden.

Ihre Situation erinnert mich an eine Geiselnahme von Europäern auf einer philippinischen Insel vor einigen Jahren. Ihre Lage war entsetzlich. Das Schlimmste, so berichtete nach der Befreiung eine Geisel – das schlimmste war zu erleben, wie allmählich Lebensmut und Lebenswillen schwinden.

In einem alttestamentlichen Psalm betet einer: „Gott, hilf mir, das Wasser geht mir bis zur Kehle. Ich habe mich müde geschrieen, mein Hals ist heiser. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du, Gott, legst mich in des Todes Staub.“ Vielleicht beten Paulus und Silas diese Worte um Mitternacht. Dann, wenn die Nacht am dunkelsten ist und der neue Tag noch in unendlicher Ferne liegt. Es ist eine Klage aus der Tiefe. Es spricht Verzweiflung aus diesem Singen, Schreien und Beten. Aber dieses Singen ist ein Beten. Da wendet sich jemand einer anderen Macht zu. Da klagt einer Gott an, der möge doch eingreifen.

Die Psalmen Israels bringen dieses Singen, Schreien, Beten auch aus tiefster Verzweiflung zum Ausdruck. Die Psalmen Israels haben Menschen durch die Jahrhunderte hindurch gebetet, weil die Angst ihnen nicht die Kehle zuschnüren und die Verzweiflung sie nicht zum Verstummen bringen sollte.Wenn ein Mensch aus der tiefsten Tiefe nach Gott ruft, ist das ein Aufbegehren gegen den Tod. Das Rufen nach Gott aus der Tiefe ist das „Dennoch“ des Glaubens. „Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“

Wer so klagt, spricht keinen Lobgesang. Das kann auch nicht sein. Es gibt eine Zeit der Klage und eine Zeit des Lobens. In unserer Erzählung aber wird aus dem Klagen sehr schnell ein Loben. Schauen wir den Ablauf der Ereignisse an: die Klage um Mitternacht, dann das plötzliche Erdbeben, die wundersame Befreiung aus dem Gefängnis und die Bekehrung des Gefängniswärters.

Auf engstem Raum beschreibt die Erzählung, wie das Singen und Beten in der Nacht der Verzweiflung eine Wende im Leben der beteiligten Menschen bewirkt hat. Durch das Singen haben Menschen Befreiung erfahren. Ganz unterschiedlich: Paulus und Silas werden ihre Ketten los und können das Gefängnis verlassen. Die anderen Gefangenen hören ihr Singen und schöpfen neuen Mut, der vielleicht schon erstorbene Lebenswille kam wieder.

Wie später bei Paul Schneider. Paul Schneider, der von den Nazis im KZ Buchenwald eingesperrte Pfarrer. Jede Nacht betete und sang er in seinem Bunker lauthals Lieder. Die anderen Mitgefangenen hörten das. Paul Schneider überlebte das KZ nicht. Aber viele der Mithäftlinge berichteten, das Schreien, Singen und Beten dieses mutigen Pfarrers habe sie damals am Leben erhalten. Auch das war ein Schreien, Singen und Beten gegen die Verzweiflung, ein Aufbegehren gegen den Tod.

Auch der Gefängniswärter in unserer Geschichte erlebt durch dieses Singen der Gefangenen um Mitternacht Befreiung - im übertragenen Sinne. Denn die singenden Gefangenen sind nicht geflohen, sondern blieben wo sie waren. „Tu dir nichts an“, sagt Paulus dem zu Tode erschrockenen Gefängnisaufseher. Bleib am Leben und komm zum Leben. Und Paulus erzählt ihm von Jesus Christus, der Menschen freimacht, so dass sich der Wärter taufen lässt.

Singen befreit – das ist die Botschaft dieser Geschichte von Paulus und Silas. Singen befreit, wenn es eine andere Macht ins Spiel bringt. Singen befreit, wenn es beides ist: Kyrie und Gloria, Ausdruck der Verzweiflung und Ausdruck der Errettung.

Keiner von uns hat wohl eine ähnliche Situation der Einkerkerung wie Paulus und Silas schon erlebt. Gott sei Dank sitzen wir auch nicht in einer Bambushütte im Urwald und sind einer Bande von Terroristen ausgeliefert. Aber jeder von uns kennt seine eigenen Gefängnisse und kann benennen, was uns manchmal die Kehle zuschnürt: Die Sorge um die Gesundheit und das Leben eines geliebten Menschen; die Trauer, die einfach nicht weichen mag; die Belastungen im Berufsleben, die nicht zu überblicken sind. Wir kennen unsere eigenen Gefängnisse: Angst, Sorge, Trauer.

Durch Paulus und Silas sollen wir heute zum Singen ermutigt werden. Mag es auch ein klagender Gesang sein. Wichtig ist: Gott hört uns. Das allein ist wichtig. Gott hört uns. Und was uns Christen versprochen ist, ist dieses: Dass unser Schreien, Singen und Beten aus der Verzweiflung heraus einmal aufgehoben sein wird in einem Lobgesang, der Gott besingt als den, der uns von allen Gefängnissen und Qualen befreit hat.

Möge Gott alle Klage dieser Welt hören. Und möge er unsere Klage in einen Lobgesang wandeln, vielleicht nicht heute und auch noch nicht morgen. Aber einmal wollen wir den Lobgesang anstimmen und unserem Gott danken dafür, dass er uns befreit hat. Dann wird es hoffentlich auch einmal von uns heißen: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihre Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.“

Amen.

Perikope

Sie lobten Gott um Mitternacht! - Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23-34 von Kirstin Müller

Sie lobten Gott um Mitternacht! - Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23-34 von Kirstin Müller
16,23-34

Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder! -  Kantate ist der lateinische Lobliedname (Psalm 98,1) dieses Sonntags. Singt der EW‘GEN ein neues Lied, denn sie tut Wunder! Wirkt der alte Lobgesang neu, wenn der Gottesname weit(er) gedacht und ausgesprochen wird? (Für alle, die keine Vorbehalte gegen „Gendersprech“ haben.) Ich nehme die Überschrift des Sonntags als Leitmotiv und frage: Wie lässt sich ein altes Lied, ein Psalmengesang neu singen? Braucht es immer einen veränderten Text? Eine andere Melodie? Oder hängt es auch davon ab, wann und wo es gesungen/angestimmt wird?  So schaue ich auch auf (Tages)zeiten in Apg 16,23-34 und erweitere den Perikopenblick auf das gesamte Kapitel 16.

Singet ein neues Lied. Was macht ein Lied neu? Ein Text, eine Melodie, ein Rhythmus? Oder kann auch ein altes Lied neu klingen und wirken, je nachdem, wann und wo es angestimmt wird?

Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Um Mitternacht stimmten die beiden Apostel Lobgesänge an. Um die Zeit, in der im Dunkel der Nacht ein neuer Tag anbricht. Sehr wahrscheinlich sind es vertraute Lieder, denn: Paulus und Silas sind eingesperrt, liegen nackt und geschlagen im dunkelsten Teil eines Gefängnisses. Die Füße in Ketten gelegt.

Gut, dann Lieder zu haben. Gemeinsam singen zu können. Auswendig. Wie sonst?! Sich ins Vertraute schmiegen zu können. Linderung in Zeiten der Not.

Stark, in solch einer Situation Gott loben zu können. Hymnen anzustimmen: Ich lobe meinen Gott, von ganzem Herzen (EG 272)

Lassen Sie das Bild einen Moment auf und in sich wirken: Im Dunkel der Nacht sitzen zwei Männer im fremden Land im Gefängnis, angekettet, wahrscheinlich vor Schmerz und Kälte zitternd und singen – so gut es in dieser Situation geht: Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen, erzählen will ich von all seinen Wundern und singen seinem Namen…... Ich freue mich und bin fröhlich, HERR in Dir, Halleluja!

Das Bild entfaltet Kraft, oder? Mitten in der Nacht, wenn alles finster ist, wenn Schmerz und Kälte besonders spürbar sind und ich nichts dagegen tun kann, wenn ich festsitze, wenn andere über mein Wohlergehen bestimmen, wenn mir um Trost bang ist und ich gar nicht weiß, was kommt, dann ein Halleluja anzustimmen, von der Freude an Gott zu singen…

Ich weiß gar nicht, ob mir das in den Sinn käme, ob ich das könnte. Mir wären wahrscheinlich Heulen, Zähneklappern und Klagen näher.

Paulus und Silas hingegen können das, Lobgesänge anstimmen. Und die Apostelgeschichte erzählt, dass das tatsächlich Kraft entfaltet.

Lassen Sie uns aber zunächst einmal schauen, wie und warum die beiden im Gefängnis gelandet sind.

Paulus und Silas, zwei, die losgezogen und ausgesandt sind, um neue Gemeinden im Glauben zu stärken. Sie haben große Teile von Syrien und der heutigen Türkei (damals hießen die Gegenden noch Zilicien, Galatien, Mysien) durchwandert, sind ans Mittelmeer gelangt, haben ein Boot bestiegen, um dann über Samothrake auf die andere Seite des Ägäischen Meeres zu fahren. So erreichen sie Philippi, damals eine römische Kolonie in Makedonien, Griechenland. Mit freudigen Ohren gehört, klingt das nach einer tollen Urlaubstour. Mit politisch wachen Ohren gehört nach einer gefährlichen Fluchtroute.

Tatsächlich betreten beide in Philippi Neuland. Hier im 16. Kapitel der Apostelgeschichte wird erzählt, wie das Evangelium nach Europa kommt. Es ist also eine Anfangsgeschichte.

Was tun Paulus und Silas im Neuland? Sie halten nach Vertrautem Ausschau.

Am Sabbat suchen und finden sie einen Gebetsplatz vor dem Stadttor am Fluss. Der neue Christusglaube breitet sich im Umfeld von Synagogen und jüdischen Glaubensgemeinschaften aus.  Sie treffen auf Frauen und finden Gehör, denn was sie ihnen sagen, tut ihre Herzen auf. Schon bei dieser ersten Begegnung begeistern Paulus und Silas die gottesfürchtige Lydia derart, dass sie sich taufen lässt, gemeinsam mit allen, die zu ihrem Haushalt gehörten. Paulus und Silas sind schnell angekommen, angenommen, aufgenommen. Sie erfahren von Lydia Anerkennung und Gastfreundschaft. Sie nötigt beide, bei ihr zu wohnen. Eigentlich ist alles gut, mehr als gut im Neuland.

Paulus und Silas erregen Aufsehen.

Während sie durch die Straßen der Stadt gehen, folgt ihnen eine Sklavin, die wahrsagen kann, einen Wahrsagegeist hat, wie es heißt. Sie schreit unablässig: Diese Menschen stehen im Dienst des HÖCHSTEN, sie verkündigen Euch den Weg des Heils.(16,17) Das stimmt. Diese Sklavin, deren Namen wir nicht erfahren, erkennt Paulus und Silas als Glaubensverkündiger. Sie macht das öffentlich bekannt. Mehr noch:  Sie schreit es ins Neuland hinein. Viele Tage lang geht das so. Immer rennt sie hinter ihnen her und schreit. Wie oft, wie lange, wie laut darf das, was stimmt, die Wahrheit also, ausgesprochen werden ohne zu verstören? Immer wieder: Diese Menschen stehen im Dienst des HÖCHSTEN, sie verkündigen Euch den Weg des Heils. Irgendwann hält Paulus es nicht mehr aus: Schluss jetzt! Sei bitte endlich still!

Wie es Jesus getan hat, wie es die Jünger taten, gebietet er dem Geist, aus ihr auszufahren.  Das wirkt. Der Geist fährt tatsächlich aus. So schafft Paulus sie sich und Silas vom Leibe. Aber nun kann sie gar nicht mehr wahrsagen, vielleicht gar nicht mehr reden. Plötzlich ist sie, die Unfreie, wert- und nutzlos. Denn ihr Wahrsagen hat ihren Herren Geld eingebracht. Diese sind (zu Recht) erbost. So geht das nicht, wenn hier welche vorbeikommen und derart in unser Leben eingreifen, so dass sich alles ändert. Das sind Juden, wir sind Römer. Unsere Sitten vertragen sich nicht. Da muss mal ordnend eingegriffen werden. Schon ist Volk auf dem Plan, dass die Herren kräftig unterstützt, schon finden sich Paulus und Silas vor dem Stadtrichter wieder. Der Weg des Heils braucht mehr, als nur in den Straßen ausgerufen zu werden. Braucht noch einen anderen Ort, eine andere Zeit, einen anderen Klang. So erzählt es die Apostelgeschichte jedenfalls.

 

Jetzt wird es sogar gefährlich. Gerade noch angenommen und gastfreundlich aufgenommen, wendet sich nun das Blatt: angeklagt und eingesperrt. Es ist, als würde die Unfreiheit übergehen, von ihr, der vom Wahrsagegeist befreiten, aber immer noch unfreien Sklavin, auf die Apostel selbst. Der Weg des Heils schafft Unruhe bei den Aposteln und auf den Straßen. Er stellt die Ordnung in Frage. Das bleibt selten ohne Folgen.Was tun?

Schafft uns diese Männer vom Leibe! Die Menge will das, die Herren wollen das . Und die Stadtrichter bestimmen: Nackt ausziehen, mit Stöcken schlagen, in Ketten legen, einsperren. Wächter, verwahr sie gut! Ganz schön drastisch, so für Ordnung zu sorgen. Aber wirksam. Ruhe kehrt ein in der Stadt. Erst einmal. Der Tag vergeht. Die Nacht kommt. Mitternacht wird. Silas, bist Du wach? Es ist Zeit zu beten.

In Ordnung. Lass uns singen. In Ordnung. Ich lobe meinen Gott… Sie singen. Und die Mitgefangenen hören sie.

Am unfreiesten Ort – in der dunkelsten Stunde des Tages, tief im innersten Teil eines Gefängnisses fangen daraufhin die Fundamente an zu wackeln. Türen gehen auf – Fesseln fallen ab. Großes tut sich hier. Merkt das denn niemand? Der Wächter der alten Ordnung schrickt aus dem Schlaf hoch. Springt aus dem Bett  und sieht: Die Gefängnistüren sind auf. Dann sind ja alle Gefangenen weg. Ich habe versagt. Hilfe! Er zückt sein Schwert, um sich das Leben zu nehmen. Was für eine heftige Reaktion! Wie soll das Schwert helfen? Hilfe kommt anders. Tu Dir nichts an, denn wir sind alle hier! So ruft ihn Paulus aus der Gefängnisdunkelheit.

Wie, die sind alle noch da? Der Wächter schnappt sich eine Fackel. Mit ihr bringt er erstes Licht in die neue Situation, den neuen Tag, die neue Ordnung. Er sieht, die sind tatsächlich noch da. Alle, die den mitternächtlichen Lobgesang gesungen und gehört haben. Das ist wirklich ein Wunder. Den wackelnden Fundamenten und geöffneten Türen ebenbürtig.

Was hält sie? Sie müssen offenbar nicht fort, weil der unfreie Ort ein freier geworden ist.

Und noch einmal geht etwas über: Wie die Unfreiheit der Sklavin auf Paulus und Silas übergegangen ist, geht nun die frisch gewonnene Freiheit auf den Wächter über. Bestürzt und zitternd zunächst, wird er immer mehr zum Akteur im Neuen. Er selbst führt die Gefangenen aus dem Gefängnis ins Freie! Von ihnen erbittet er Hilfe! Was muss ich tun, um gerettet zu werden? Glaube an Jesus, den Herrn, so wird dir geholfen und den Menschen in deinem Haus.

Und der Gefängniswächter wird zum Pfleger, der die Wunden der Gefangenen wäscht. Er wird zum Täufling, der begierig die neue Lehre aufsaugt. Er wird zum Gastgeber, der die fremden Exsträflinge zum Essen einlädt. Er sorgt am kommenden Tag dafür, dass sie freigelassen und rehabilitiert werden. Er sorgt dafür, dass Paulus und Silas am Ende in Frieden weiterziehen können. Viel passiert nach dem mitternächtlichen Lobgesang. Gewaltig ist seine Wirkung. Dinge ordnen sich neu. Menschen verändern sich. Freiheit entsteht. Gottvertrauen ist machtvoll, so erzählt es die Apostelgeschichte.

Es ist gut zu hören, was durch Gottvertrauen alles ging und geht, damals, als der Christusglaube mit Paulus und Silas nach Europa kam; heute, mit Blick auf meinen eigenen Lebensweg, bei gewöhnlichen Alltagsgängen, bei freudigen Reisetouren, auf gefährlichen Fluchtrouten. Gottvertrauen schadet nie.

Wie neu höre ich heute, dass Gottvertrauen nicht Antwort auf erfahrene Rettung ist, sondern der Anfang davon. Als Paulus und Silas elend gefangen um Mitternacht ihr Gotteslob anstimmen, da wissen sie noch nicht, was kommen wird. Auch der Wächter weiß noch nicht, was kommen wird, wie sein Leben (und das  derjenigen, die zu seinem Haus gehören) nun weitergeht. Und doch ist da Freude, im Gotteslob und in der Reaktion des Wächters:

Und der Wächter freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war. Ich lobe meinen Gott, ich freue mich und bin fröhlich, HERR in Dir, Halleluja.

Im Gotteslob teilt sich Freude mit. Eine Freude, die Kraft hat, Dinge zu verändern, neu zu machen. Eine Freude, die ich mir von alten Liedern „ausleihen“ kann, wenn in mir gerade gar nicht froh zumute ist. Eine Freude, die mich ermutigt einzustimmen, auch wenn ich unsicher und ängstlich bin. Eine Freude, die mich bestärkt, meine Hoffnung nicht zu klein werden zu lassen.

Das  Gotteslob, gesungen oder gesprochen, ist nicht Antwort auf erfahrene Rettung und Hilfe, sondern der Anfang davon. Sich das bewusst zu machen, kann Dinge neu ordnen, der Freude unverhofft Raum verschaffen und neue Sicht- und Lebensweisen eröffnen. So werden alte Lieder neu. Und wir.

Perikope

„Wir sind alle da!“ - Konfirmation Predigt zu Apostelgeschichte 16,23 von Martin Schewe

„Wir sind alle da!“ - Konfirmation Predigt zu Apostelgeschichte 16,23 von Martin Schewe
16,23-34
Konfirmationspredigt zu Apostelgeschichte 16,23-34

In der Apostelgeschichte im Neuen Testament wird erzählt, wie der Apostel Paulus und sein Reisegefährte Silas in Philippi verhaftet und eingesperrt werden.

„Nachdem man ihnen viele Schläge gegeben hatte, warf man sie ins Gefängnis und trug dem Gefängniswärter auf, sie in sicherem Gewahrsam zu halten. Auf diesen Befehl hin führte der sie in den innersten Teil des Gefängnisses und legte ihnen die Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas zu Gott und stimmten Lobgesänge an, und die anderen Gefangenen hörten zu. Da gab es auf einmal ein starkes Erdbeben, und die Grundmauern des Gefängnisses wankten; unversehens öffneten sich alle Türen, und allen Gefangenen fielen die Fesseln ab. Der Gefängniswärter fuhr aus dem Schlaf auf, und als er sah, dass die Türen des Gefängnisses offen standen, zog er sein Schwert und wollte sich das Leben nehmen, da er meinte, die Gefangenen seien entflohen. Paulus aber rief mit lauter Stimme: Tu dir nichts an, wir sind alle da! Jener verlangte nach Licht, stürzte sich ins Innere und warf sich, am ganzen Leib zitternd, Paulus und Silas zu Füßen. Er führte sie ins Freie und sagte: Große Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden? Sie sprachen: Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus. Und sie verkündigten ihm und allen, die zu seiner Familie gehörten, das Wort des Herrn. Und er nahm sie noch zur gleichen Nachtstunde bei sich auf und wusch ihre Wunden und ließ sich und alle seine Angehörigen unverzüglich taufen. Dann führte er sie in seine Wohnung, ließ den Tisch bereiten und freute sich mit seinem ganzen Haus, weil er zum Glauben an Gott gekommen war.“

(1) Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, die Geschichte des Gefängniswärters aus der Bibel ist eure Geschichte. Ihr seid natürlich keine Gefängniswärter, und ich habe keine Ahnung, ob gerade das euer Traumberuf ist. Es geht mich auch nichts an. Eure Berufswünsche sind eure Sache. Ich kann euch allenfalls raten, euch eine Tätigkeit zu suchen, die nicht nur krisenfest ist und regelmäßig bezahlt wird, sondern euch vor allem erfüllt. Aber das habt ihr vermutlich ohnehin vor. Zum Glück könnt ihr euch mit eurer Entscheidung noch ein bisschen Zeit lassen. Auf den Beruf des Gefängniswärters aus der Bibel kommt es also im Moment nicht an, sondern darauf, was euch jetzt schon mit ihm verbindet. Seine Geschichte handelt davon, warum ihr heute konfirmiert werdet und Max getauft. Um die Geschichte besser zu verstehen, werfen wir zunächst einen Blick auf die Vorgeschichte.

Paulus und Silas reisen als Missionare durch das Römische Reich. Sie wollen das Evangelium von Jesus Christus unter die Leute bringen und gelangen dabei in die Stadt Philippi in Makedonien. Dort entsteht die erste christliche Gemeinde Europas. In Philippi gibt es eine Frau, die von einem Geist besessen ist, einem Dämon, der wahrsagen kann. Die Frau ist Sklavin und bringt ihren Herren eine Menge Geld ein. Denn was sie wahrsagt, oder vielmehr der Dämon, der in ihr wohnt, stimmt tatsächlich – auch als sie hinter Paulus und Silas herläuft und immerfort schreit: „Diese Menschen sind Knechte des höchsten Gottes!“ So geht es vier Tage lang. Dann platzt Paulus der Kragen. Eine derartige Reklame ist ihm nicht recht. Er befiehlt dem Dämon, die Frau zu verlassen, und der Dämon gehorcht. Die Besitzer der Sklavin sehen sich um ihre Einkünfte gebracht. Sie zeigen Paulus und Silas bei den Behörden der Stadt an und beschuldigen die beiden, die öffentliche Ordnung zu stören und unrömische Sitten zu verbreiten. Paulus und Silas werden festgenommen, öffentlich verprügelt und ins Gefängnis geworfen.

Später werden sich die Richter bei ihnen entschuldigen müssen. Paulus und Silas besitzen das römische Bürgerrecht und hätten darum nicht geschlagen werden dürfen. Doch so weit ist es noch nicht. Einstweilen kommt der Gefängniswärter ins Spiel. Er sorgt dafür, dass die Häftlinge nicht entkommen können, lässt Paulus und Silas in den tiefsten Keller des Gefängnisses bringen und ihre Füße in den Block schließen. Dann legt sich der Gefängniswärter ins Bett. Dort verschläft er den ersten Höhepunkt seiner Geschichte. „Um Mitternacht aber“, geht die Erzählung nämlich weiter, „beteten Paulus und Silas zu Gott und stimmten Lobgesänge an, und die anderen Gefangenen hörten zu.“

(2) Wir wollten herausfinden, warum ihr getauft seid und heute konfirmiert werdet. Weil Paulus und Silas um Mitternacht singen, lautet die erste Antwort, die uns die Geschichte des Gefängniswärters gibt. Sie singen, obwohl sie verprügelt wurden und im Gefängnis sitzen. Ihre Wunden schmerzen; sie sind gefesselt; und was aus Paulus und Silas wird, ist völlig unklar. Dennoch loben sie Gott. Zu ihm gehören sie. Auf Gott können sie sich verlassen – sogar jetzt. Deshalb singen sie, dass es durchs ganze Gefängnis schallt. Nicht, dass man sich nicht beklagen darf, wenn es einem schlecht geht. Paulus und Silas hätten allen Grund, sich zu beklagen. Ich an ihrer Stelle würde den Mut verlieren. Paulus und Silas sind sich sicher: Gott lässt sie nicht im Stich. Darum geht es bei eurer Taufe und Konfirmation: dass Gott bei euch ist, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, was auch geschieht.

Diesen Teil der Erzählung verschläft der Gefängniswärter. Aber er schläft nicht mehr lange. Nachdem Paulus und Silas ihr Loblied angestimmt haben, passiert der nächste Höhepunkt der Geschichte. Ein Erdbeben erschüttert die Mauern des Gefängnisses. Die Türen öffnen sich. Den Häftlingen fallen die Fesseln ab. Ein Wunder. Wieder geht es um eure Taufe und Konfirmation. Gott schickt nicht bei jeder Taufe und jeder Konfirmation ein Erdbeben. Aber er tut jedes Mal ein Wunder. In der Erzählung aus der Bibel befreit er die Gefangenen. Das Wunder, das Gott für euch tut, ist genauso groß und fröhlich. Gott verspricht euch, dass er viel mit euch vorhat. Er wartet nicht, bis ihr etwas für ihn tut. Gottes Versprechen gilt immer schon. Das ist das Zweite, was wir aus der Geschichte des Gefängniswärters erfahren: dass ihr von Gott etwas zu erwarten habt.

Der Gefängniswärter selbst weiß noch nichts von seinem Glück. Im Gegenteil. Als ihn das Erdbeben weckt und die Gefängnistore offen stehen, erschrickt der Gefängniswärter zu Tode – im wahrsten Sinn des Wortes. Er nimmt an, die Häftlinge sind geflohen, und zieht sein Schwert, um sich das Leben zu nehmen. So gehört es sich für einen römischen Offizier. Wenn er seine Pflicht verletzt hat, muss er Selbstmord begehen. Bevor es dazu kommt, geschieht noch eine Überraschung, die dritte nach dem Loblied, das Paulus und Silas singen, und dem Erdbeben. Die dritte Überraschung steckt in den Worten, mit denen Paulus den Gefängniswärter daran hindert, sich umzubringen. „Tu dir nichts an“, ruft Paulus, „wir sind alle da!“

Er meint damit, der Gefängniswärter kann beruhigt sein, denn seine Gefangenen sind nicht fortgelaufen. Zugleich wendet sich Paulus an euch Konfirmandinnen und Konfirmanden und redet über die Kirche, zu der ihr seit eurer Taufe gehört und deren erwachsene Mitglieder ihr heute werdet. Der Satz „Wir sind alle da“ gilt auch für die Kirche, die „Gemeinschaft der Heiligen“, wie sie im Glaubensbekenntnis genannt wird, das wir gleich sprechen werden. Die Heiligen, von denen im Glaubensbekenntnis die Rede ist, sind wir – alle, die getauft sind. Jede und jeder von uns ist heilig, weil wir Gott am Herzen liegen, und gehört mit den anderen zusammen, die ihm genauso am Herzen liegen. Ihr müsst nicht für euch allein glauben und die Antworten auf eure Fragen und Zweifel nicht auf eigene Faust suchen. Die anderen können euch dabei helfen, und umgekehrt könnt ihr ihnen beim Glauben helfen. Zusammen glauben wir besser. Darum gibt es die Kirche, und darum ist es wichtig, dass Paulus in der Erzählung sagt: „Wir sind alle da.“

(3) Falls ihr bisher noch skeptisch seid, ob die Geschichte des Gefängniswärters eure Geschichte ist, obwohl ihr keine Gefängniswärter seid, und ob sie wirklich von eurer Taufe und Konfirmation handelt, wird euch der Schluss der Erzählung überzeugen. Zum Schluss wird auch der Gefängniswärter getauft. Außerdem erhält er Konfirmandenunterricht. Sein Konfirmandenunterricht ist zwar viel kürzer als bei euch. Er dauert nur eine einzige Nacht, aber eine besonders dramatische Nacht. Das genügt in diesem Fall.

Paulus hat den Gefängniswärter davon abgehalten, sich in sein Schwert zu stürzen, und gerufen: „Wir sind alle da!“ Darauf lässt sich der Gefängniswärter ein Licht bringen und vergewissert sich, dass Paulus und Silas tatsächlich noch da sind, wirft sich vor ihnen nieder und fragt: „Große Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ Was er eigentlich wissen möchte, ist: „Wie soll ich die ganze Sache bloß meinen Vorgesetzten erklären?“ Paulus und Silas jedoch verstehen die Frage anders, viel grundsätzlicher. Sie antworten: „Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus.“ Darin besteht der Konfirmandenunterricht, den der Gefängniswärter erhält. Paulus und Silas erzählen ihm seine eigene Geschichte, wer dahinter steckt und was sie zu bedeuten hat, also das, was wir schon gehört haben, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden: dass Gott bei euch ist, dass er viel mit euch vorhat und dass ihr damit nicht allein steht, sondern heute zu erwachsenen Mitgliedern der Kirche werdet.

„Glaube an Jesus, den Herrn“, sagen Paulus und Silas, denn so ist Gott für uns da. In dem Menschen Jesus Christus kommt er zu uns, stirbt als ein Mensch und ersteht wieder auf, damit wir mit ihm leben. Spätestens jetzt merkt ihr, dass es nicht darauf ankommt, welchen Beruf einer ausübt, damit die Geschichte aus der Bibel von ihm handelt, und dass Gott kein Erdbeben schicken muss, um etwas für euch zu tun. Ihr alle habt eure eigenen Pläne und Träume vom Leben. Jede und jeder von euch wird sie auf andere Weise verwirklichen als alle anderen, und ich wünsche euch dabei Erfolg und Glück. Dass Gottes Liebe euch begleitet, ist noch mehr; immer noch mehr, als wir planen, träumen und wünschen können. Lasst euch überraschen.

(4) Der Rest ist rasch erzählt. Der Gefängniswärter holt Paulus und Silas in sein Haus, versorgt ihre Wunden und lässt sich und seine Familie noch in derselben Nacht taufen. Dann lädt er Paulus und Silas zum Essen ein und feiert ein Fest. Das empfehle ich euch auch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Feiert ein Fest und freut euch.

Perikope

Singen gegen die Angst. Predigt zu Apostelgeschichte 16,23-34 von Margot Runge

Singen gegen die Angst. Predigt zu Apostelgeschichte 16,23-34 von Margot Runge
16, 23-24

Im Keller ist es duster, da wohnt ein alter Schuster, wurde bei uns früher gesungen. Vielleicht war es bei Ihnen etwas anderes. Jedenfalls: Singen vertreibt die Angst. Wenn die Kinder in den Keller gehen, singen sie.
Dunkle, unheimliche Keller gibt es bei uns kaum noch. Die Häuser heutzutage sind modern und aufgeräumt und sehen leider ziemlich gleich aus. Angst haben wir trotzdem. Und Angsträume gibt es genügend in der Welt: Gefängnisse und Folterkeller, in denen die Seelen der Menschen zerbrochen werden. Manchen Angsträumen sieht man nicht an, dass sie welche sind. Die Schule kann dazu werden, neuerdings auch das Internet. Auf manche Straßen trauen sich Frauen abends nicht. Ganze Stadtviertel können tabu sein für Leute mit einer Hautfarbe oder Gesinnung, die andere als unpassend betrachten. Selbst das Zuhause kann zerbrechen, bietet nicht Geborgenheit und Sicherheit, sondern ist ein Ort für Bedrohung und Streit. Die eigene Wohnung ist der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder.
Singen gegen die Angst. Hilft das?

In der Apostelgeschichte wird erzählt, wie Paulus und Silas, zusammengeschlagen, gefoltert, angekettet, Gott zu loben beginnen. In den römischen Gefängnissen ging es keineswegs lustig zu. Ohne Rechtsbeistand, waren sie schutzlos der Gewalt von Wärtern (und Mitgefangenen?) ausgeliefert. Als Spießgesellen eines hingerichteten Staatsfeindes, denn als solcher galt Jesus, hatten sie allen Grund zur Angst. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie, heißt es.
Zu Mitternacht, da ist die Dunkelheit am tiefsten, die Angst am ausweglosesten. Bis Mitternacht hat es vielleicht auch gedauert, dass sie die Augen aufschlagen und ihre blutigen Glieder überhaupt wieder rühren können.

Ein Lied hinter Gefängnismauern, das ist ein Hoffnungszeichen, ein Zeichen dafür, daß Menschen sich nicht brechen lassen. Es ist ein Hoffnungszeichen für alle anderen. Und die anderen in der Dunkelheit hören es. Tatsächlich geht ein Aufstand durch das Gefängnis, es wird bis in die Grundmauern erschüttert und erregt. Ein Erdbeben läßt die Mauern fallen, die Fesseln zerspringen, die Gefangenen sind frei, ein Wunder. Das ist im Grunde eine Ostergeschichte. Sie geht noch weiter. Die Gefangenen lassen den Wärter nicht im Stich und bewahren ihn vor Strafe. Der Wärter bekehrt sich, wechselt auf die Seite derer, die er bewachen soll, solidarisiert sich mit ihnen. Vor allem aber wagen Paulus und Silas es, den Stadtrichtern die Stirn zu bieten. Sie fordern trotzig und mutig Gerechtigkeit. Tatsächlich werden sie rehabilitiert und verlassen erhobenen Hauptes die Stadt.
Singen gegen die Angst zieht Kreise.

Gut, wer in solcher Situation ein Lied weiß. Es kann den Schreck in Worte fassen, kann Trübsal vertreiben und ein Schutzmantel sein vor Hoffnungslosigkeit und Resignation. Ein Lied kann mutig machen, widerspenstig, kann den Unterdrückern eine Nase drehen. Eine Melodie, frech dahingepfiffen, kann den Gleichschritt von marschierenden Stiefeln durcheinanderbringen und eine ganze Armee ins Stolpern bringen. Eine Strophe zur rechten Zeit kann die Massen aus Lethargie wecken, das Volk wie ein Sturmwind aufwirbeln, zum Signal für Veränderung werden.

„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder – böse Menschen haben keine Lieder“ heißt es, in Anlehnung an Johann Gottfried Seume (1804). Stimmt das wirklich? Auch die Nazis hatten Lieder und sie haben bewusst dafür gesorgt, dass sich mit den Melodien die Worte in den Köpfen festsetzten und bis zum Lebensende aufgerufen werden konnten. Diktatoren aller Zeiten haben Jubellieder und –sänger bestellt. Soldaten stürzten sich mit Marschgesängen ins Gemetzel. Und bis heute verbreiten Rapper Homophobie und Frauenfeindlichkeit, Fußballchöre machen die gegnerische Mannschaft nieder. Lieder sprechen unsere Gefühle an und rühren tiefere Schichten in uns an, deshalb sind sie so wirkungsvoll und auch gefährlich. Mit der Musik verbinden sich die Worte und ihre Botschaft.
Welche Lieder also stecken in uns? Was lehren wir unsere Kinder? An welche Lieder werden unsere Kinder oder Enkel sich einmal erinnern, welche Lieder werden sie später einmal singen?
Von Dietrich Bonhoeffer wird erzählt, wie er sich im Gefängnis unter den Nazis mit Gesangbuchliedern und Bibelversen beschäftigt hat. Er konnte sie auswendig – und jetzt waren sie sein Schatz. Die Bibel berichtet, womit Maria ihr ungeborenes Kind in den Schlaf wiegte, als sie schwanger war: ein aufrührerisches, trotziges Lied von ihrer Hoffnung, dass nichts bleiben muss, wie es ist. Maria singt davon, wie bei Gott die Mächtigen gestürzt und die Hungernden satt werden. Sie singt von einer neuen, anderen Welt, in der die Armen auf dem Thron sitzen und Gerechtigkeit regiert.

Ob Paulus und Silas im Gefängnis ein solches Lied angestimmt haben, als sie um Mitternacht mit zerschlagenen Gliedern langsam aus der Ohnmacht aufgewacht sind? Lobgesänge auf Wohlstand, Fortschritt und Erfolg, wie wir sie heute überall hören, wären ihnen wohl kaum in den Sinn gekommen und sie hätten die Mauern des Gefängnisses nicht zum Wanken gebracht.
Unsere Singegewohnheiten haben sich in den letzten 50 Jahren radikal geändert. Wir singen nicht mehr, wir lassen singen, auf CD und im Fernsehen. Doch die Kinder genießen es, wenn Eltern oder Großeltern abends am Bett sitzen. Oft singen sie mit Begeisterung. Sie freuen sich über Lieder voll Hoffnung, Witz und Lebensfreude. Und sie können Lieder gut gebrauchen, die die Angst vertreiben, wenn sie in den Keller müssen oder plötzlich vor Angsträumen stehen, den Angsträumen ihrer Seele oder den realen.
Mögen wir unseren Kindern Lieder mitgeben, die wie Brot sind, von denen sie zehren können und mit denen sie die Zukunft gestalten können. Mögen sie ihre eigene Melodie finden, einen neuen Rhythmus, in Gottes Namen.

 

Liedvorschlag:
Wir singen für den Frieden, wir singen für die Welt,
wir singen für die Müden, die keine Hoffnung hält.
Wir singen für die Leisen, für die kein Wort sich regt,
die Wahrheit wird erweisen, dass Gottes Hand sie trägt.

2. Wir hoffen für das Leben, wir hoffen für die Zeit,
für die, die nicht erleben, dass Menschlichkeit befreit.
Wir hoffen für die Zarten, für die mit dünner Haut,
dass sie mit uns erwarten, wie Gott sie unterbaut.

3. Wir singen für die Liebe, wir singen für den Mut,
damit auch wir uns üben und unsere Hand auch tut,
was das Gewissen spiegelt, was der Verstand uns sagt.
Hilf uns, die Welt zu bauen, wie Jesus es gewagt.
Text: nach Peter Spangenberg. Melodie: Befiehl du deine Wege

Perikope
29.04.2018
16, 23-24