Gott kommt nach Hause - Predigt zu Jesaja 52, 7-10 von Isolde Karle
Als Predigttext hören wir Worte aus Jesaja 52:
Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt, der da sagt zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und jubeln miteinander; denn sie werden’s mit ihren Augen sehen, wenn der Herr nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.
Drei Gedanken will ich im Folgenden nachgehen. Mein erster Gedanke: Gott kommt mit Jubel.
1. Gott kommt mit Jubel
Wie sind Sie heute hier in den Gottesdienst gekommen? Ich vermute eher nicht, dass Ihnen in diesen Pandemiezeiten zum Jubeln zumute ist. Auch dem jüdischen Volk, an das sich die Worte des Propheten richten, war nicht nach Freude und Jubel zumute. Die Deportierten, denen diese Worte gelten, lebten schon seit über 40 Jahren im Exil in Babylonien. Ihr Land, die stolze Stadt Jerusalem, der Tempel und damit alles, was ihnen heilig war, waren zerstört und sie der Heimat fern. Die Zerstörung des Tempels wog dabei besonders schwer. Sie bedeutete für die Exilierten: Gott hat uns verlassen. Unsere Religion, unser Volk, sie haben keine Zukunft mehr. Doch dann wendet sich das Blatt. Nebukadnezar wird entmachtet und der neue Herrscher, der Perserkönig Kyros, ist bereit, die Exilierten zurückkehren zu lassen nach Jerusalem. Doch vielen von den Exilierten scheint dafür der Mut zu fehlen. Sie sind müde und resigniert und können nicht mehr so recht an eine gute Zukunft glauben.
Da kommt der Prophet und verkündet mit großem Enthusiasmus einen neuen Aufbruch. Er will die müde und lethargisch gewordenen Exilierten aufrütteln. Gott kehrt heim nach Jerusalem, er hat sein Volk nicht vergessen, er tröstet sein Volk, er richtet euch wieder auf und rettet euch! Deshalb kommt und freut euch mit! Der Freudenbote bringt diese Botschaft leichtfüßig und schnell und läutet damit eine neue Epoche ein. Die Wächter in Jerusalem sind bereits voller Aufregung und Erwartung, von Haus zu Haus, von Tür zu Tür verbreitet es sich: Gutes, Heil und Frieden sind zum Greifen nah, denn Gott kommt!
Solche Freudenboten kennen wir auch aus der Weihnachtsgeschichte. Als das Jesuskind in Bethlehem geboren wird, da hält es die Engel nicht mehr im Himmel. Sie kommen auf die Erde herab und verkünden den Hirten auf dem Feld „große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, denn der Heiland ist heute geboren. Die Engel loben Gott und kündigen Heil und Frieden auf Erden an, ganz wie der Prophet Jesaja. Auch die Hirten, die die Botschaft der Engel hören, und sich sofort aufmachen, um das Kind zu besuchen, werden zu Freudenboten. Sie lassen sich anstecken und anrühren – vom Kind in der Krippe, vom Licht im Dunkel, von einer Zukunft, an die sie nicht mehr geglaubt hatten.
Gott kommt mit Jubel. Wo Gott kommt, hört die Resignation auf, da erschließen sich neue Perspektiven, da wird ein Neuanfang möglich, da gibt es Grund zum Jubel.
2. Gott kommt in die Trümmer
Mein zweiter Gedanke ist: Gott kommt in die Trümmer. Schon beim ersten Lesen fiel mir dieses ungewöhnliche Bild auf: „Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems!“ Was für eine paradoxe Metapher – selbst die Trümmer sollen in den Jubelchor einstimmen! Der Jubel geht nicht über den Schmerz der Trümmer hinweg, sondern nimmt sie mit hinein in seine Bewegung. Das heißt aber auch: Die Trümmer werden nicht missachtet oder ignoriert, sondern wahr- und ernstgenommen. Der Jubel deckt den Schmerz nicht zu, sondern lässt ihn zu.
Trümmer sind nicht unnütz, mit ihnen kann man eine Stadt wiederaufbauen. Nach dem zweiten Weltkrieg war das in Deutschland eine sehr prägende Erfahrung – die Trümmerstädte, die es galt aufzuräumen und aus den Trümmern wiederaufzubauen. In Dresden sorgten engagierte Bürger nach dem Krieg dafür, dass der Trümmerberg der Frauenkirche nicht entfernt wurde. Die Trümmer wurden zunächst zum Mahnmal und dann bewusst beim Wiederaufbau der Frauenkirche verwendet. Die dunklen Trümmersteine in der hellen Frauenkirche sind bis heute eine Mahnung, nicht mehr Krieg zu führen. Sie helfen uns, die Vergangenheit nicht zu vergessen und mit den dunklen, schmerzhaften Flecken der Vergangenheit zu leben und sie in unser Leben zu integrieren.
Gott geht nicht über die Trümmerfelder in unserem Leben hinweg. Gott erwartet keine heile Welt. Gott lässt aus den Trümmern vielmehr etwas Neues entstehen. Deshalb gilt es, die Schmerzen, die Enttäuschungen, das Abgebrochene in unserem Leben wahrzunehmen und es zu bejahen. Es gehört zu uns und ist ein Teil von uns.
In der Liebe zu den Trümmern zeigt sich Gottes große Treue zu uns, Gott will uns mitten in den Trümmern trösten und aufrichten, damit auch wir andere trösten und aufrichten können. Der Heiland, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern, heilt, was in uns zerbrochen ist.
3. Gott kommt nach Hause
Mein dritter Gedanke: Gott kommt nach Hause. Eine tollkühne Vision stellt uns der Prophet mit diesem Bild vor: Gott kündigt sein unmittelbar bevorstehendes Kommen zum Zionsberg an.
Ich habe mich gefragt, wie Israel das eigentlich verkraftet hat – diese großartigen Visionen und dann die Realität, die hinter der Vision doch immer wieder weit zurückblieb. Waren die Erwartungen nicht zu groß? Mussten sie nicht enttäuscht werden?
Die Antwort ist: Ja und nein. Israel hat seine Visionen – wie die von Jesaja 52 – weiterhin überliefert, weil es bei allem Unterschied zwischen vollmundiger Ankündigung und ernüchternder Realität eben auch Erfüllung erfahren hat. Die Deportierten kehren tatsächlich zurück, Stadt und Tempel werden tatsächlich aus den Trümmern wiederaufgebaut. Zur Realität gehört eben nicht nur das Misslingende, sondern auch das Gute, das Rettende, der Frieden, die Heimkehr, der Neubeginn.
Das Christentum hat an diese Tradition angeschlossen – mit Weihnachten zum Beispiel. Weihnachten erzählt eine sehr anrührende Geschichte – Heil und Frieden auf Erden für die ganze Welt verbinden sich mit einem kleinen verletzlichen Kind in der Krippe. Und selbst wenn viele Ereignisse der Weihnachtsverheißung seitdem widersprochen haben – wir erfahren zugleich immer wieder ihre Erfüllung: Den Trost, den Frieden, das Heilende, das Gottes Kommen in die Welt begleitet. Das Gute und Heilende bleibt gefährdet und fragil, aber es ist erkennbar da.
Und mehr noch: Gott wird seinen Heilswillen der Welt gegenüber durchsetzen. Das ist die Hoffnung und das Versprechen der Weihnachtsbotschaft. Christinnen und Christen leben mit diesem Überschuss an Hoffnung. Dorothee Sölle sprach von einem Extratopf Hoffnung. Wir brauchen diesen Extratopf in diesen Zeiten. Er hilft uns, die bösen Zeiten, die wir gerade durchleben, zu überstehen. Und er hilft uns, unser Augenmerk nicht nur auf die Probleme und das Dunkle zu richten, sondern offen zu werden für das, was gelingt, was möglich ist.
Gott kommt mit Jubel. Wo Gott kommt, hört die Resignation auf und werden wir angesteckt uns mitzufreuen. Gott kommt in unsere Trümmer, er weiß um unsere Verletzungen und Abbrüche – sie dürfen sein. Und Gott kommt nach Hause. Er öffnet uns die Augen für das Gute. Er treibt uns an mit seiner Hoffnung für diese Welt. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe Menschen vor Augen, die sich dieses Jahr an Weihnachten durch die Pandemiesituation in einer durchaus ambivalenten Situation befinden. In die Freude über Weihnachten mischt sich Sorge, vielleicht auch Trauer, in jedem Fall Unsicherheit. Inwiefern können wir Gutes von der Zu-kunft erwarten? Diese Frage sucht die Predigt zu beantworten – im Blick auf den Trost und die Hoffnung der Weihnachtsbotschaft.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat begeistert, dass in Jes 52 auch die Trümmer zum Jubel aufgefordert werden. Auch der Schmerz, der Abbruch, der Verlust darf sein. Er wird vom Jubel an Weihnachten nicht überdeckt, sondern wahr- und ernstgenommen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Siehe Nr. 2 – das empfand ich selbst als tröstlich. Und der Mut Israels, an seinen Visionen festzu-halten, auch wenn sie nie ganz in Erfüllung gingen.
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Menschenwürde und Ährensammeln - Predigt zu Jesaja 1,10-17 von Julia Neuschwander
Liebe Schwestern und Brüder,
es ist eine idyllische ländliche Szene: Die Männer haben das Kornfeld per Hand abgeerntet, die Garben gestapelt und fort getragen. Was verblüffend ist: So sorgfältig sie auch geerntet haben, so achtlos wirken sie, als sie die herunter gefallene Ähren und Halme einfach liegen lassen. Die Nachlässigkeit hat Methode. Kaum sind die Schnitter vom Feld, kommen Kinder, Jugendliche, Frauen auf den Plan. Auch ein paar Fremde sind da. Sie laufen das Feld ab und sammeln, ohne sich dabei allzu sehr ins Gehege zu kommen. Sie sammeln, was sie sammeln können. In aller Ruhe, vollkommen ungestört, denn mit Recht dürfen sie sammeln, nicht heimlich oder verboten. Es ist ihr Recht. Das Recht der Schwachen und Armen. Mit vollen Tüchern gehen sie wieder zurück in den Ort.
Was hier passiert, folgt einem alten Gesetz Israels: Du sollst keine Sorgfalt walten lassen, wenn Du Dein Feld aberntest, heißt es im Deuteronomium (Dtn 24,17-21), denn was liegen bleibt, sollst Du für die Fremden, die Witwen und Waisen liegen lassen.
Was genau passiert hier eigentlich? Ist es nicht verblüffend, dass in dieser Szene die Schnitter zwar anscheinend sehr fleißig und ordentlich als gute Schnitter routiniert das Feld abernten, aber andererseits lassen sie ganz bewusst herunter gefallene Ähren einfach liegen? Ja, sie lassen ganz bewusst einige Ähren mehr fallen, ernten scheinbar nachlässig das Feld ab, so dass es sich später für die, die die Nachlese betreiben, richtig lohnt. Ganz genau, genau so scheint es zu sein. Denn die am Rand geduldig gewartet haben, bis die Schnitter weg sind, haben noch richtig viel ein zu sammeln. Mit ihren Tüchern prall gefüllt mit Ähren werden sie später nach Hause gehen. Dort die Ähren mit der Hand auslesen, die gewonnenen Körner auf einem Mahlstein zerkleinern, mit Wasser einen Mehlbrei anrühren und in kleinen Öfen und über Feuern zu eine Art Brot backen. Nährendes Brot für alle, für sich und ihre Zugehörigen.
Hier wird so etwas wie ein Prinzip beschrieben, vielleicht kann man sogar sagen, dass dies so etwas wie das Gegenteil unseres gesellschaftlichen Leistungsprinzips ist: nämlich nicht alles bis aufs Letzte abzuernten, nicht das Allerletzte aus dem selbst besäten Feld für sich herausholen, sondern bewusst übrig zu lassen für bedürftige Andere, für hungernde Andere. Ein Minimum an Aufwand und ein Maximum an Effekt: die, die Hunger haben, werden selbst aktiv, laufen zum Feld, sammeln ihre Ähren, tragen sie nach Hause und versorgen sich selbst und ihre Familien. Ein schönes Prinzip. Im alten Israel scheint diese Prinzip sogar Gesetz gewesen zu sein, ja, sogar mehr: Gottes Gesetz.
Auch für uns Christinnen und Christen heute weltweit gehört so etwas wie „Schwache in der Gesellschaft achten und schützen“ zu unseren Grundprinzipien. Und auch unser Grundgesetz hat als ersten Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Darüber können wir immer wieder froh und dankbar sein. Denn wie wäre das in Deutschland, wenn sich plötzlich gar keine/r mehr für die Schwächsten interessiert? Wenn Kinder, Alte, Schwache, Flüchtlinge oder Menschen mit Beeinträchtigungen grundsätzlich keinen Schutz mehr erfahren sollen? Es ist ein hohes Gut, wenn der Mensch an sich geschützt ist ohne Ansehen der Person. Wir tun gut daran, dies nicht als Luxus zu empfinden, sondern als etwas, das wir in jeder Situation einfordern und verteidigen, der Schutz der Person an sich. Es ist notwendig. Notwendig für das Menschsein.
„Ethik ist wichtiger als Religion.“ So lautet der Titel eines kleinen Büchleins, in dem ein Interview von Franz Alt mit dem Dalai Lama abgedruckt ist, Friedensnobelpreisträger und als Religionsführer Tibets wohl einer der berühmtesten Flüchtlinge der Welt. 1989 erhielt er in Oslo den Friedensnobelpreis für seine Friedensphilosophie. Darin entwickelt er eine große Ehrfurcht vor allen Lebewesen und die Vorstellung einer universellen Verantwortung, die sowohl die Menschheit als auch die Natur umfasst.
Im Interview aus dem Jahr 2015 legt der Dalai Lama dar, warum er Ethik, also, was das Richtige zu tun ist, für die Zukunft unserer Gesellschaft als für noch wichtiger hält als Religion. Es ist zweitrangig für ihn, welcher Religion wir jeweils angehören, wie wir unsere Gottesbeziehung pflegen oder wie wir sonst geistlich-spirituell unterwegs sind. Stattdessen empfiehlt er als viel dringlicher für die Menschheit, dass wir entwickeln, was für uns jeweils das Richtige ist zu tun. Am besten entwickeln wir eine gemeinsame Ethik für alle Menschen dieser Erde, schlägt er vor. Ein wichtiges Argument wäre für ihn dabei, dass zum Überleben der Menschheit das Gemeinsame wichtiger sei als das Hervorheben des Trennenden.
Ethik ist wichtiger als Religion. Fast 3000 Jahre früher hat der Prophet Jesaja eine ähnliche Botschaft für die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Jerusalem. Gutes tun, den Schwachen zu ihrem Recht zu verhelfen, es vor Gericht fair und gerecht zugehen lassen – das alles ist auch für ihn nicht nebensächlich, sondern sogar die Voraussetzung für ein gutes Verhältnis mit Gott! Als Prophet verzweifelt er förmlich an den Bewohnerinnen und Bewohnern Jerusalems, wenn er ihnen gegenüber feststellen muss: Eure Verantwortung nehmt ihr nicht wahr! Wenn ihr weiter so vorgeht, dass gerade ihr Oberen die armen Landbewohner ausnutzt und ihre Klagen vor Gericht abweist! Dass gerade ihr euch im Gericht bestechen lasst durch Geschenke und der mittellosen Witwe nicht das zukommen laßt, was ihr zusteht! Dass gerade ihr in der von Gott besonders erwählten Stadt eure Macht als Führungselite missbraucht, um euch selbst zu bereichern! Dann bin nicht nur ich selbst fassungslos, verzweifelt und wütend, nein, dann wird es Gott einfach nur übel.
Der Prophet Jesaja stimmt die Totenklage an, eine Totenklage über eine noch höchst lebendige Stadt Jerusalem: „Ihr seid tot, während ihr noch lebt, weil ihr ethisch tot seid!“ Denn wo gibt es Schutz und Sicherheit, wenn selbst die Burg Jerusalem den Schwachen keine Zuflucht mehr bietet? Wenn selbst hier das Recht des Armen, der Schwächsten, der Witwe und der Waise mit Füßen getreten wird? Der Prophet hält sich jetzt nicht mehr zurück, er übergibt sich, er schmeißt den Führenden den ganzen Ekel Gottes förmlich vor die Füße, Gott selbst sagt: „ich ekel mich vor Euren ganzen Opfern, vor Euren ganzen Festen, vor all dem Blut……“.
Der Predigttext sagt uns damit ganz klar: Wenn die ethische Grundlage nicht stimmt, brauchen wir auch keinen Gottesdienst zu feiern. Der ganze Opferkult kommt an seine Grenzen, wenn sonst etwas faul ist im Staate Dänemark. Es gibt ein altes Gesetz in Israel, demnach der Schwache geschützt werden muss. Wenn dies nicht gewahrt wird, sieht Gott kein Opfer mehr als wohlgefällig an, sei es noch so stattlich. Ethik ist wichtiger als Religion, als Opfer und Kult. Es ist der Schutz der sozial Schwachen, Witwen und Waisen, es geht um Gerechtigkeit. Das ist das, was für Gott an erster Stelle kommt, erst dann kommt alles Weitere.
Jesaja ist verzweifelt und wütend. Gott wird übel und ekelt sich nur noch vor seinem eigenen Volk.
Der Text lässt an Jesu „Tempelreinigung“ denken, den berühmten Wutanfall des Sohnes Gottes in den Vorhöfen des Tempels in Jerusalem, gleicher Ort viele hunderte Jahre später. Jesus stiebt wütend und verzweifelt durch den ganzen Tempel und wirft Tische und Bänke. Er tobt in gerechtem Zorn gegen diesen ganzen Betrieb im Hause des Vaters, bei dem das eine, das Wesentliche, vergessen wird: die Zuwendung zum Nächsten, zu den Bedürftigen, zu den Schwächsten. Genau das wird verpasst. Jesus kann es nicht fassen. Das, was er Zeit seines ganzen Lebens den Menschen immer wieder vorgelebt hat.
Wascht Euch. Reinigt Euch. Lernt Gutes tun. Trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache. Gottes Wort, so führt es der Prophet Jesaja den Bewohnerinnen und Bewohnern vor Augen. So ist es Jesu Anliegen in seiner Aktion, seiner Zeichenhandlung, heute würde man vielleicht sagen, seiner „performance“ in den Tempelvorhöfen.
Was sollen wir also tun wir Christinnen und Christen am Buß- und Bettag? Wie entwickeln wir am besten, was jetzt für uns zu tun ist als Gesellschaft, als Kirche? Es liegt auf der ganzen Linie, dass Jesus sich denen zuwendet, die damals gesellschaftlich ausgegrenzt wurden: Aussätzigen, Frauen, Besessenen, Kindern…. , denen zuwendet, die „im Dunkeln sind“. Gerade da blitzt das Reich Gottes auf, erzählt die Bibel. Das sollten wir also auch tun wie Jesus, dahin schauen, wo andere nichts sehen.
Die im Dunkeln sieht man nicht – alleine und verzweifelt im Gefängnis.
Die im Dunkeln sieht man nicht – in Moria im Flüchtlingslager, wenn die Berichterstattung sich längst wieder anderen Themen zuwendet.
Die im Dunkeln sieht man nicht – zuhause allein gelassen, abgehängt in der Schule ohne Eltern, die in der Hausaufgabe betreuen könnten oder als Nachhilfe unterstützen.
Wie entwickeln wir am besten, was jetzt für uns zu tun ist als Gesellschaft, als Kirche? Indem wir bewusst gerade dorthin schauen, wo Dunkel herrscht, wie Jesus das getan hat. Da, wo niemand gerne hinschaut. Indem wir uns den Ausgegrenzten unserer Gesellschaft bewusst zuwenden und uns für gerechte, menschenwürdige Bedingungen einsetzen. Indem auch für uns und gerade in der Kirche für uns selbst gilt „Ethik ist wichtiger als Religion“ in all unseren Vollzügen, in unserem Umgang miteinander und indem wir uns aktiv dafür einsetzen. Indem wir überhaupt grundsätzlich bereit sind, uns weiter zu entwickeln und hinzu zu lernen. Indem wir gemeinsam lernen, Gutes zu tun und nach dem Recht zu trachten, Gottes Recht, das die Schnitter auf dem Feld bei der Ernte dazu bewegt, genügend Ähren für andere übrig zu lassen.
Wenn wir so aufbrechen, sind wir nach unserem Predigttext auf dem richtigen Weg.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Vor Augen habe ich Menschen,
- die sich wie ich mit dem Ausgang der Wahl in den USA beschäftigen und mit aktuellen allgemein gesellschaftlichen Fragestellungen und Phänomenen
- die sich als Christ*innen die Frage stellen – vielleicht auch nach der letzten EKD-Synode und der Veröffentlichung der Zwölf Leitsätzen des Zukunftsteams „Auf ins Freie – Kirche auf gutem Grund“ - wo es mit der Kirche in Zukunft hingehen soll.
Hilfreicher als Zahlen und Fakten zu Ihrer Gemeinde sind Hinweise dazu, welche Men-schen Sie beim Predigtschreiben vor Augen hatten. Notieren Sie bei Bedarf auch Beson-derheiten zu Anlass, Zeit oder Art des Gottesdienstes, die den Leser/innen den Zugang zu Ihrer Predigt erleichtern.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Entdeckung der Bibelstelle „Du sollst keine Sorgfalt walten lassen, wenn Du Dein Feld aberntest.“ Dtn 24,17-21 als Verdeutlichung von „Gottes Recht“, wie es sich in den Prophetentexten wiederspiegelt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie können wir das „Ährensammelprinzip“ in unserer Zeit effizient umsetzen? Also Gerechtigkeit zwischen den Generationen (Klimaschutz), Achten der Menschenwür-de, Schutz der Alten…..
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Einen klareren Gedankengang. Ich habe zusätzliche „Moves“ gestrichen.