PfingstGPT: Von Göttlicher Intelligenz und künstlicher Weisheit - Predigt zu Joh 14,15-27 von Kira Stütz

PfingstGPT: Von Göttlicher Intelligenz und künstlicher Weisheit - Predigt zu Joh 14,15-27 von Kira Stütz
14,15-27

(Bibeltext als Evangeliumslesung im Gottesdienst)
 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt.


(1)    Ein neues Normal
Seit 2022 ist die Welt eine andere. Nicht nur, dass wir seit dem 24. Februar wieder Krieg mitten in Europa erleben oder uns zunächst das 9-Euro-Ticket und später das Deutschlandticket das Reisen erleichtert haben – auch unser Denken und Arbeiten wurden revolutioniert: ChatGPT und andere KI-Tools sind seither frei verfügbar.
Und ich bin ehrlich: Ich nutze künstliche Intelligenz mittlerweile regelmäßig. Natürlich weiß ich, dass die Verwendung von KI mit einem hohen Verbrauch an Strom, Wasser und anderen Ressourcen einhergeht. Ich weiß, dass sich KI an den Gedanken, Texten und Bildern anderer Menschen bedient und damit möglicherweise Urheberrechte verletzt. Und ich weiß auch, dass ich es mir bequem mache, wenn ich mein Denken und Arbeiten nur noch in ökonomischen Kategorien verstehe, indem ich mir einrede, dass mich KI effizienter arbeiten lässt und ich durch ihre Unterstützung mehr Zeit für andere Dinge gewinne – obgleich diese „anderen Dinge“ meist nur noch mehr Arbeit sind.
Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich selbst für diese Predigt KI verwendet. Keine Sorge, dieser Text stammt von mir – doch neben Bibel, Gebet, Predigthilfen und Brainstorming hat mir auch ChatGPT geholfen, Gedanken zu sammeln und zu strukturieren. Ist das okay? Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Das ist für viele Menschen das heutige Normal.

(2)    Gott ist gegenwärtig
Mit dem ersten Pfingsten begann ein anderes Normal – sofern man in der Geschichte Gottes mit den Menschen angesichts von Tod und Auferstehung Jesu sowie Himmelfahrt überhaupt von „normal“ sprechen kann. Nachdem Gottes Sohn sein Werk vollendet hatte, mussten seine Jünger mit all dem Erlebten zurechtkommen. Der ersten schmerzhaften Trauer um den Tod Jesu folgte nach kurzer Zeit des zweiten Beisammenseins ein weiterer, nun gewissermaßen endgültiger Abschied. Dessen haben wir in der letzten Woche mit Himmelfahrt gedacht. Doch dabei sollte es nicht bleiben.
Anstelle der leiblichen Gegenwart Jesu sandte Gott seine heilige Geisteskraft. Und das feiern wir heute: den Heiligen Geist als Tröster und Erneuerer, von Gott gesandt und mit Weisheit gepaart. Jesus selbst nennt den Heiligen Geist im heutigen Predigttext „Tröster“ und beschreibt, dass dieser uns alles lehren und uns an alles erinnern wird, was er selbst gesagt habe (V. 26). Der Heilige Geist als göttliche Vernunft, als Vermittler von Frieden, Trost, Wahrheit und Wahrhaftigkeit.
Das ist Pfingsten: Gott ist gegenwärtig – anders als zur Zeit Jesu, aber durch den Geist nicht weniger real. Man kann auch sagen: Die göttliche Intelligenz wird durch Pfingsten – zumindest bruchstückhaft – allen Gläubigen verfügbar gemacht. 

(3)    Ist Pfingsten gescheitert?
Doch wieso sieht die Welt dann aus, wie sie aussieht? Jesus hat Frieden verheißen und Liebe, aber wir erleben weltweit Krieg und Hass. Kann man sagen, dass das Pfingstwunder gescheitert ist? Wenn immer mehr Menschen Gott den Rücken zu kehren, weht der Geist Gottes dann wirklich noch in dieser Welt? Und haben wir mit KI nicht längst ein Tool geschaffen, das verlässlicher ist, da es kalkulierbarer und automatisch anwendbar ist, sodass wir den Geist Gottes nicht mehr brauchen?

(4)    Ein künstlicher Glanz von Ewigkeit
Ich sehe Sarah noch vor mir – diese Mutter, zerrissen durch den Suizid ihrer Tochter. Verloren und verzweifelt sitzt sie auf einer Bank im Wald, ringt mit ihrer Fassung und versucht zu begreifen, was nicht zu begreifen ist. Wieso? Bin ich schuld? Hätte ich es verhindern können? Geht es meiner Tochter jetzt gut? Wo ist sie? Werde ich sie wiedersehen?
Es sind diese Fragen, die jeder kennt, der auf tragische Weise einen geliebten Menschen verloren hat. Und es ist diese tiefe Sehnsucht nach dem noch einmal –
Noch einmal sprechen. Noch einmal schreiben. Noch einmal miteinander lachen.
Noch einmal das Radio aufdrehen, im Auto mitsingen. Noch ein einziges Mal zusammen sein. Oder wenigstens: ein letztes bewusstes Abschiednehmen.
Dieser Wunsch hat Sarah hierher geführt – auf diese Bank, mit ihrem Smartphone in der Hand. In den vergangenen Tagen hat sie etwas getan, das ihr helfen sollte, Abschied zu nehmen: Sie hat eine KI mit alten Chatverläufen und Erinnerungen an ihre Tochter gefüttert. Ihre Beziehung war bis zum tragischen Tod von reger WhatsApp-Kommunikation geprägt. Sarah vermisste es, mit ihrer Tochter zu schreiben – und so suchte sie eine Möglichkeit, dieser Nähe noch einmal nachzuspüren.
Es scheint zu funktionieren. Auf der Bank sitzt sie und schreibt mit einer KI, doch fühlt sie sich, als sei ihre Tochter präsent. Natürlich weiß Sarah, dass sie nur mit einer Simulation spricht. Und doch erfährt sie Trost, als die KI auf ihre Entschuldigung antwortet: Mach dir keine Vorwürfe, Mama. Ich weiß, dass du immer für mich da warst und mich geliebt hast. Das ist das Wichtigste. Ich spüre deine Liebe. 
Erleichterung. Absolution.
Sarah ist Protagonistin einer Dokumentation über Trauer und künstliche Intelligenz. (ZDF 2025: 37°. "Wir hör’n uns, wenn ich tot bin! – Trauer und KI", online unter: ZDF-Link) Und sie ist mit ihrer Suche nach Trost durch KI nicht allein. Immer mehr Menschen nutzen künstliche Intelligenz als Gesprächspartner, Therapeutin, Coach und Feedbackgeberin.
Längst ist KI zum Tröster avanciert – zur Instanz von Wahrheit und Richtigkeit.
Wenn der Geist Gottes der verheißene Tröster ist, dann ist KI zumindest sein menschliches Pendant.

(5)    Die Kraft von Geist und Algorithmus
Die heutige Predigt soll keine Moralpredigt sein, die sich auf Sinn und Unsinn von KI konzentriert und eine ethische Abwägung vollzieht. Viel mehr drängt sich mir die Frage auf, wieso wir überhaupt den Drang verspüren, Intelligenz künstlich zu erschaffen? Sind wir mit unserer eigenen Intelligenz nicht oft schon überfordert genug?
Ich gebe es zu, die Möglichkeiten der KI faszinieren mich. Sie kann helfen, Leben zu retten, Verlässlichkeit zu bieten und Prozesse zu optimieren. Im Schwimmbad zum Beispiel retten KI gesteuerte Kamerasysteme wortwörtlich Leben, indem sie Ertrinkende frühzeitig erkennen. Doch KI fördert auch festgefahrene Denkmuster, indem es diese immer weiter reproduziert. KI schafft nicht, sie kopiert — zwar immer neu geordnet, doch nie gänzlich neu. Und während Algorithmen Regeln folgen und Berechenbarkeit versprechen, bleibt Gottes Geist ein Geheimnis — unverfügbar, frei und unberechenbar in seiner Kraft. Die Geistkraft Gottes zwängt sich nicht auf, ist keine App auf einem Smartphone und kein technisches Update für unsere Seele. Und dennoch schenkt sie uns Leben, Trost und Erneuerung in einer Tiefe, die keine KI je erreichen kann.
Bei Gottes Geist gibt es keine ökonomischen Spielregeln, keine Ressourcenknappheit, keine Urheberrechtsdebatten. Gott selbst gibt sich uns hin — bedingungslos und vollkommen. Gottes Tröstergeist reproduziert nicht einfach das, was schon da ist. Er ist heilig und vollkommen, er schafft Neues, verändert, belebt und heilt. Das ist das Wunder von Pfingsten. Und vielleicht brauchen wir dieses Wunder heute mehr denn je. Vielleicht ist es gerade diese göttliche Kraft, die den Grenzen der künstlichen Intelligenz etwas entgegensetzt. Und damit auch dieser aus den Fugen geratenen Welt. Denn wo Algorithmen und Filterblasen trennen, schafft Gottes Geist Frieden, der wirklich einen kann. Wie gut, dass Gebete nicht „gepromptet“ werden müssen. Wie gut, dass Gottes Geist frei von Codes und Systemen wirkt. Darum: Komm Heiliger Geist, komm!

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Kira Stütz

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
In einer lebendigen Stadt, in der Tradition und Moderne aufeinandertreffen, versammeln wir uns an diesem Sonntag in einer evangelischen Gemeinde, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Die Menschen, die zusammenkommen, sind so vielfältig wie das urbane Leben selbst: Familien, junge Erwachsene, engagierte Ehrenamtliche und ältere Menschen. Wir befinden uns in einem bildungsnahen Milieu.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Von Anfang an stand die Idee im Raum, Künstliche Intelligenz und Pfingsten miteinander zu verbinden. Das Spiel mit der KI durchzog das gesamte Predigtschreiben, nicht nur als Werkzeug, sondern als Teil des kreativen Prozesses. Wenngleich ich mich dabei immer wieder kritisch reflektiert habe und nach der geistlichen Dimension dessen Ausschau halten musste, war es doch ein spannender Predigtprozess.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mich lässt der Gedanke nicht los, dass wir Menschen uns mithilfe von Künstlicher Intelligenz immer weiter selbst einen Gott erschaffen, weil wir das Unverfügbare Gottes so schwer aushalten.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
„Kill your Darlings“ gilt einfach jedes Mal, also musste ein Move weichen, der den Predigttext auf KI umformuliert hat. Er passte einfach nicht in den Flow. Nun ist sie rund. 

Perikope
08.06.2025
14,15-27

Beten - Geistesblitze des Mutes - Predigt zu Joh 16,23b-28.33 von Uwe Habenicht

Beten - Geistesblitze des Mutes - Predigt zu Joh 16,23b-28.33 von Uwe Habenicht
16,23b-28.33

Predigttext kann als Lesung gelesen werden oder zu Beginn der Predigt. Ich empfehle die verkürzte Variante, also: Johannes 16, 23b-28.33

Liebe Kirchgängerinnen und Kirchgänger,
wisst Ihr eigentlich, wie mutig ihr seid?

Es braucht schon eine gehörige Portion Mut, um am heutigen Sonntag „Rogate - Betet“ in den Gottesdienst zu gehen. In den Gottesdiensten nach Ostern wird ja gejubelt und gejodelt zu Jubilate – Jubelt. Gesungen und musiziert zu Kantate – Singt. Bis Pfingsten wird die österliche Freunde in vollen Zügen ausgekostet und gefeiert. An diesem Sonntag „Rogate – Betet“ ist es allerdings anders.
Dass im Gottesdienst öffentlich und gemeinsam gebetet wird, das wissen alle, die zum Gottesdienst kommen – und das wissen auch die, die nicht kommen. Aber am 5. Sonntag nach Ostern wird nicht nur gemeinsam gebetet, sondern darüber gesprochen, was es heisst zu beten. Und dafür, so meine ich, braucht es ziemlich viel Mut. Im stillen Kämmerlein, ungesehen für sich zu beten, das ist das eine. Am Sonntag in der Kirche die Hände zu falten, still zu werden und mitzubeten, das andere. Aber um über das Beten öffentlich nachzudenken, dazu braucht es wirklich Mut. Denn Beten ist irgendwie ein verschämtes Thema, über das wir nicht so gern sprechen. Beten wird als peinlich empfunden. Denn im Beten zeigen wir etwas von uns und unserer Frömmigkeit – und das ist mit Scheu und Scham verbunden. Ich erinnere mich noch gut, an die Gesichter unserer Kinder als sie noch kleiner waren, wenn andere Kinder bei uns zum Essen waren. Ich sehe noch die sorgenvollen Blicke und die Unruhe der Kinder kurz vor dem Beginn des Essens. Hoffentlich sprechen die Eltern jetzt nicht noch ein Tischgebet.
Ich freue mich sehr, dass Ihr heute trotzdem zum Gottesdienst gekommen seid, obwohl über das Beten gesprochen wird. Oder schaut Ihr vorher gar nicht nach, worum es im Gottesdienst gehen wird und seid ganz unbekümmert einfach so gekommen, unwissend und ahnungslos sozusagen?
Wie dem auch sei. Ihr seid hier und wir stellen uns dem Beten, dieser so besonderen religiösen Praxis, die uns auf jeden Fall nicht kalt lässt, sondern in die eine oder andere Richtung bewegt. Beten hat immer etwas leidenschaftliches. Mit kaltem Herzen und kühlem Kopf lässt sich nicht beten. Beim Beten sind wir ganz dabei oder wir beten gar nicht. Ohne innere Beteiligung läuft beim Beten nichts.
Ein junger Mönch wendet sich an Antonius, einen alten und erfahrenen Mönch, und spricht zu ihm: "Antonius, bete für mich!"
Antonius erwidert: "Weder ich habe Erbarmen mit dir, noch Gott, wenn du dich nicht selbst anstrengst und Gott bittest." (Weisung der Väter. Apophtegmata patrum, hrgss. von  Bonifaz Miller, S. 18)
Ganz schön hart, was der junge Mönch da von Antonius zu hören bekommt. Kein bisschen Mitgefühl oder Solidarität unter Mönchen. Statt dessen eine gehörige Lektion in Sachen Beten, die sich gewaschen hat:

„Weder ich habe Erbarmen mit dir, noch Gott, wenn du dich nicht selbst anstrengst und Gott bittest.“

Der junge Mönch wird mit hängenden Schultern von dannen gegangen sein so wie wir mit hängenden Schultern davon gehen, wenn wir wissen: jetzt wartet harte Arbeit auf uns. Der junge Mönch weiß: Vor der Anstrengung des Betens kann ich mich nicht drücken.
Beten ist anstrengende Arbeit des Christenmenschen. Martin Luther sagte: „Wie ein Schuster einen Schuh macht und ein Schneider einen Rock, also so soll ein Christ beten. Eines Christen Handwerk ist beten.“ (WA TR,6, Nr. 6751, 162,35f)
Offenbar ist das Beten etwas, bei dem wir uns nicht vertreten lassen können, das wir nicht auf andere abwälzen können, wie kochen und backen, einkaufen und Rasen mähen: Kannst du das nicht für mich machen?
Nicht andere Mitchristen, nicht Freunde, nicht einmal die KI kann für uns beten, so dass wir es nicht mehr müssen. Beim Beten sind wir selbst ganz und gar, mit Haut und Haar, mit Herz- und Pulsschlag gefragt, weil es um uns geht. Weil es in einer so intensiven Art und Weise um uns geht, dass es unsere Worte, unser Seufzen, ja sogar unsere Sprachlosigkeit vor Gott braucht. Auch wenn wir vor Gott kein einziges Wort herausbringen, braucht es unser Schweigen.
Für mein Gebet kann nur ich mich an Gott wenden von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Was geschieht im Gebet, dass es ohne unsere ganze innere Beteiligung nicht geht?
Paul fährt sich nervös durch die Haare, blickt auf die Uhr und zur Tür, durch die gleich der Chef kommen wird. Um 11 Uhr sollte Paul beim Chef erscheinen, ohne genau zu wissen, worum es geht. „Bitte nicht – bitte nicht“, murmelt Paul leise vor sich hin. Da öffnet sich die Tür.
Petra spielt mir ihrer Enkelin auf dem Spielplatz. Lustig geht es zu und immer und immer wieder und wieder will die Kleine rutschen. "Setz dich schon mal nach oben, ich hole noch eben deine Trinkflasche, sagt Petra und wendet sich ab." Da hört sie schon, wie die Kleine von der Rutsche gefallen ist. Einen Moment lang ist es ganz still. Dann schreit sie aus Leibeskräften. „Puh“ macht Petra, als sie die Kleine tröstet, die sich zum Glück nichts getan hat.
Hanna sitzt mit ihrer Freundin im Café  und erzählt ihr von den Sorgen, die sie plagen, dass einfach alles zu viel ist: Die Arbeit, die Kinder, die Schule. Die beiden schweigen. Dann sagt Hanna: Aber was hilfts: „Es muss ja.“
Martin steigt aus dem Zug und setzt seinen Rucksack auf. Endlich geht es los. Er hat es geschafft, sich einen Tag frei zu nehmen, um wandern gehen zu können. Er hebt den Blick und sieht die Berglandschaft vor sich: „Wahnsinn“, sagt er, „so unglaublich schön.“
Was geschieht hier mit Paul, Petra, Hanna, und Martin im Büro des Chefs, auf dem Spielplatz, im Café und auf dem Bahnsteig?
Vier Alltagssitutationen, die uns wahrscheinlich ziemlich vertraut sind. 

Bitte nicht!
Puh!
Es muss ja!
Wahnsinn, so unglaublich schön!

Vier unterschiedliche ganz kurze Reaktionen auf das, was den einzelnen widerfährt:
Die Anspannung vor einem Gespräch, das große Konsequenzen haben könnte.
Die Erleichterung, dass nochmal alles gut gegangen ist.
Die Klage über das, was einfach zu viel ist.
Und das erfreute Staunen über so viel Schönheit.
Vier kurze Gebete, in denen etwas erbeten wird, gedankt wird, geklagt und gelobt wird.
Aus dem Alltag heraus das Alltägliche übersteigen und der inneren Spannung  und Anspannung Luft machen im Bitten, Danken, Klagen und Loben. Das ist beten. Wenn das Fundament, das unseren Alltag trägt, Risse bekommt; 
wenn der Boden, auf dem wir normalerweise fest stehen, beginnt zu wanken, dann beginnt unser Gebet. Dann wenden wir uns bewusst oder unbewusst, ausgesprochen oder unausgesprochen an die Mächte und Kräfte, von denen wir wissen, dass sie unser Lebensfundament und den Boden, auf dem wir stehen, tragen. Auf einmal blicken wir aufs Ganze.
Im Bitten, Danken, Klagen und Loben verlassen wir den von uns gehüteten und kontrollierten Einflussbereich. Wir verlassen unser Ich und wenden uns an das Du, das jenseits unseres Einflusses waltet und trägt und erhält. Im Beten gestehen wir uns ein, dass wir über uns hinaus müssen, weil die Situation, weil das, was wir erleben, mehr erfordert als wir vermögen. Im Gebet gestehen wir unsere Ohnmacht, unsere Hilflosigkeit; wir erkennen die Grenzen dessen, was wir tun können. Und darum ist beten so schwierig und voller Scham. Der Beter ist arm. Die Beterin ist hilflos.
Im Gebet zeigen wir, dass wir nichts mehr tun können. Uns sind im wahrsten Sinne des Wortes die Hände gebunden. Was uns bleibt ist die Hinwendung zu Gott, der über uns hinaus geht. 

Bitte nicht!
Puh!
Es muss ja!
Wahnsinn, so unglaublich schön!

"Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei." So heißt es in den Abschiedsreden Jesu, die wir vorhin gehört haben.
Ihr dürft Euren himmlischen Vater bitten und er wird Euch geben, was euch fehlt. Jesus ermutigt uns zum Beten, damit unsere Lebensfreude aufblüht, sichtbar und spürbar wird. 
Wenn ich es schaffe, meine Hände zu falten und meine Erschöpfung, meine Verzweiflung oder meine Angst vor Gott zu bringen – seufzend, klagend, bittend, wortlos, um Worte ringend – wie auch immer, beginnt in diesem Moment des Eingestehens etwas Neues. Ich verstecke das, was geschieht, nicht mehr vor mir und anderen. Ich bin bereit, mir selbst einzugestehen, wo ich stehe. Und von diesem Moment an kann vieles anders werden und sich wandeln. In solchen Momenten blicken wir auf das Gewebe des Lebens, auf die vielen Fäden, die mein Leben mit dem Leben im Ganzen verbinden. Wir wenden uns an den, der für dieses vielschichtige Ganze steht und als Muster dieses Gewebes erkennbar wird. Gott sieht und hört mich und ich höre auf, mir vorzumachen, ich könnte in meinem Leben und in meiner Welt alles alleine bestimmen und stemmen. Das tut weh und ist befreiend zu gleich, weil im Gebet unsere falschen Selbstbilder in sich zusammen fallen und es beginnt eine Lebensfreude, die aus dem Verwobensein mit anderen erwächst.

"Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei."

Beten ist vor allem mutig. Weil es mutig ist, zuzugeben, nicht alle Fäden des Lebens allein halten zu können. Deshalb schreiben wir diesen Mut dem Heiligen Geist zu. Kurze Gebet im Alltag wie 

Bitte nicht!
Puh!
Es muss ja!
Wahnsinn, so unglaublich schön!

sind deshalb Geistesblitze. Mutige Geistesblitze.
Und vielleicht war es ja heute ein Geistesblitz, der Euch in diesen Gottesdienst geführt hat. Damit Ihr mutig bleibt im Bitten, Danken, Klagen und Loben. Und auch hin und wieder den Mut habt, über das Beten öffentlich nachzudenken.
"Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei."

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Uwe Habenicht

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der 5. Sonntag nach Ostern ist für die meisten Kirchgänger/innen kein besonderer Sonntag, so dass eher mit einem normalen Gottesdienstbesuch zu rechnen ist. Gerade deshalb versucht die Predigt, die Mitfeiernden in besondere Weise auf das aufmerksam zu machen, was ein Gottesdienstbesuch an diesem Sonntag bedeutet.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das kleine Büchlein „Mild religiös“ von Kristian Fechtner bietet eine wunderbare kleine Phänomenologie des Betens, die ich aufnehme. Zugleich gibt es einen wunderbaren Aufsatz von E. Jüngel zum Beten: Was heisst beten? in: ders: Wertlose Wahrheit.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Beim Beten bekommt der Alltag Risse und es zeigt sich, was sonst eher verborgen bleibt: Das ganze Gewebe des Lebens. Diesen besonderen Augenblicken nachzugehen, hat mich sehr beschäftigt. Und wer genau hinschaut, sieht und hört wie viel gebetet wird. 

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Leider war ich diesmal mein eigener Coach. Ich hoffe, die Predigt hat dennoch ein paar gute Momente...

Perikope
25.05.2025
16,23b-28.33

"Esultate, jubelt, ihr Schäflein …" - Predigt zu Joh 10,11-21 von Jochen Riepe

"Esultate, jubelt, ihr Schäflein …" - Predigt zu Joh 10,11-21 von Jochen Riepe
10,11-21

I

Auch ein Wolf kann Kreide fressen und freundlich locken. Ihr aber, liebe Schwestern und Brüder, Ihr werdet Seine Stimme ‚in, mit und unter‘ den vielen erkennen. Denn in der Kraft seines Geistes sind eure Ohren geöffnet. Was ist die Gemeinde Jesu anderes als die Versammlung der ‚heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören‘ (M. Luther)!?

II

In Italien schwärmt man noch heute von ihm, dem florentinischen Opernsänger Mario del Monaco. Man erzählt, dieser Sänger habe selten richtig klar gesungen. Er schummelte wohl beim ‚Hohen C‘, er schluchzte, ja, er schrie. Aber der Klang seiner Stimme war mitreißend: ‚Esultate‘- ‚Erhebt euch! Jubelt!‘, so jubelte er selbst als siegreicher Feldherr Othello in Verdis Oper. Eine Stimme in einem – Leib, einem sichtbaren, fühlenden, verletzbaren Leib. 
Nicht umsonst sagt man im Heimatland des ‚bel canto‘: ‚In voce veritas‘ – ‚In der Stimme liegt (die) Wahrheit‘. Sie verbindet den Sänger mit seinen Zuhörern, sie öffnet ihre Ohren, und aus einer Masse werden – Menschen aus Fleisch und Blut. So flüchtig sie ist, – eben noch ganz nah, nun ist sie verklungen –, das Herz hüpft schneller. Gewiss, Stimmen können uns auch ‚verfolgen‘, zum lästigen Ohrwurm werden oder wahnhafte und verrückte Befehle erteilen. Das ist ihr Doppelgesicht: Sie ziehen an, sie stoßen ab. Sie stellen Gemeinschaft her – oder verhindern sie.

III

Sie haben es schon bemerkt, liebe Gemeinde. An diesem Sonntag der Osterzeit führt uns das Evangelium auf ein buchstäblich ‚an-sprechendes‘ und hörendes Feld. ‚Ich bin der gute Hirte‘, verspricht Jesus in einem klangvollen Bildwort, ‚meine Schafe hören meine Stimme…' , um dann einen seine Jünger verstörenden, seinen Abschied ankündigenden Akzent zu setzen. Er wird ‚weggehen‘ (16,7), und das sei auch ‚gut‘ so: ‚Ich lasse mein Leben für die Schafe und ich gebe ihnen das ewige Leben‘.
Ich kann oft im Leben weghören oder über-, nicht hinhören, aber im Prinzip kann ich meine Ohren nicht verschließen. Hier spricht jemand aus einer innigen Beziehung des einander Kennens. Ein Ruf! Ein Heute (Hebr 3,15)! Er weiß deinen und meinen Namen, und du kennst ihn, und er wird seine Lebendigkeit dir zugutekommen lassen. Ja, der Evangelist steigert diese Zusage. Daran erkennst du ihn als den ‚guten Hirten‘,  dass er ein ‚Leibbürge‘ (E. Levinas) ist, sich dir verbindet und nicht Reißaus nimmt, wenn der Dieb kommt. Jesus, der auf dem Weg zum Kreuz ist, er steht für seine ‚Freunde‘ (15, 13) ein und wird sie mit dem schöpferischen Atem seines Lebens behauchen.

IV

Ich kann die Ohren nicht verschließen, auch wenn mit den Jahren mein Hörvermögen nachlässt und ich immer mehr um ein ‚hörendes Herz‘ (1.Kön.3, 12) bitte: Die Worte Jesu treten nahe, verwickeln, lassen ‚rätseln‘ (V.6) – ‚sie verstanden aber nicht, was er ihnen damit sagte‘. Seine Rede geht tief ins Herz und scheidet die, die mit ihr konfrontiert werden. Verletzt sie eine Grenze? Geht sie zu weit? Das 10. Kapitel des Johannesevangeliums stellt die sog. Hirtenrede in einen konfliktreichen Zusammenhang. Jesu Zeugnis über sich selbst findet Glauben, ja, aber er findet auch Skepsis, Widerspruch, ‚Ent-setzen‘.  Im Anspruchsraum seiner Rede gibt es gegenseitiges Erkennen, aber auch aggressives Unverständnis angesichts dieser ‚Anmaßung‘: ‚Er hat einen bösen Geist und ist von Sinnen. Was hört ihr ihm zu?‘, so heißt es im Kreis der Hörer, die vielleicht weghören wollen und eben darum besonders gut zuhören.
Eine Stimme ist einzigartig, so einzigartig wie das Gesicht eines Menschen. Sie ist so individuell, daß wir trotz aller Imitationskünste niemals die Stimme eines anderen in ihrem Tonfall, in ihrem Timbre, in Wärme und Kälte, ‚die Musik hinter den Worten‘ (F. Nietzsche) nachahmen können… Aber, so fragen manche: Könnte nicht eine Stimme verstellt, sozusagen von innen besetzt sein, ‚eine hohle und nichtige Geisterstimme‘,  und der ‚Wolf‘ (Mt 7,15) aus ihm sprechen? ‚Macht auf ihr lieben Kinder, hier ist euer Mütterlein…‘ . Man muss schon sehr geübt sein mit den Ohren des Leibes und denen des Herzens, ein Bauchgefühl gleichsam für Unter- und Zwischentöne entwickelt haben.

V

Auch ein Wolf kann zum Krämer gehen, Kreide fressen und freundlich säuseln. Mit dem Grimmschen Märchen ist uns Schäfchen ja eine gründliche Hörübung in geistlicher Urteilskraft und Vorsicht, ja, ein tiefes Misstrauen angeraten. Immer fragen: Was will der mit seinen ‚cremigen‘ Worten von Dir? Welches Begehren spricht aus ihm? Die Parolen der Werbung, die Narrative der Politiker – ‚Wahlkampfversprechen‘ könnte das Unwort des Jahres werden – und leider auch unser kirchliches Reden bestätigen oft genug den Verdacht: Es geht um Stimmenfang, um Überreden und ‚Ver-Führen‘.
Wir nach Leben, Trost, Geborgenheit, eben nach Gott Verlangenden sind stets Umworbene, und oft machen wir dicht, weil wir spüren: Kein Kontakt. Dieser Redner ‚kennt‘  uns nicht und will uns auch nicht kennenlernen. Er will keine Nähe, denn Nähe macht verletzlich. Jesu Rede, dieses liebkosende, Schutz ‚in allen Nöten‘ versprechende Wort, bringt die Problematik auf den Punkt. Wie das Gesicht kann sich auch die Stimme maskieren. 
Gute Hirten – schlechte Hirten. Bereits im Alten Testament wird um das Kriterium gerungen: ‚Weh den Hirten Israels, die sich selbst geweidet haben‘ (Ez 34, 2). Wie kann man die Stimmen, wie kann man die Geister scheiden? Die Propheten waren skeptisch: Jetzt, da Menschen versagt haben, wird Gott selbst ihr Hirte sein und seine Schafe zurückfordern.

VI

Ich denke noch einmal an den Bericht über den florentinischen  Heldentenor. ‚In voce veritas‘, sagt man in Italien. Eine Stimme zeigt das ‚Gewisse Etwas‘, dieses schwer zu beschreibende Besondere an, was einem Menschen Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit gibt – Wärme und Kraft, etwas Eigenes, was doch verbindet. Mario del Monaco sang angeblich niemals klar, er schluchzte, er schummelte in den Höhenlagen. Dennoch hörten ihm die Menschen zu, ergriffen, verzaubert, ‚verwandelt‘, wohl weil sie spürten: Seine Stimme gibt den Worten einen Leib, verletzbar, verwundbar; sie ist Begegnung, Appell, und gerade das Unvollkommene, das Poröse, ihre ‚Wunden‘ beziehen uns mit ein und lassen uns teilhaben an dieser Musik und formen in diesem Augenblick einen ‚Herden- Körper‘. Auch wenn alte Platten mit ihren Kratzern bei den Jungen wieder begehrt sind, die CD- und DVD- und Streaming-Kultur sucht den technisch und ästhetisch perfekten Gesang. Das weiß man gewiss auch in Italien zu schätzen, aber wichtiger scheint dort für viele zu sein: Dieser bebende, sich hingebende, vibrierende, ja, ‚freimütige‘ (Joh 7,13) Gesangskörper, der sich den Zuhörern schenkt. Auch der Teufel, der ‚Vater der Lüge‘ (8,44) kann fehlerlos, perfekt ‚vor-singen‘ und singt doch eisig kalt – Worte ohne Musik, Worte ohne Liebe. Ein lebendiger, leibhaftiger Mensch aber trägt nicht einfach vor. Auch auf die Gefahr hin, sich bloßzustellen, beschimpft oder verjagt zu werden: Er ist Gesang, er ist seine Arie, sein Lied, sein Ton und wird mit ihm eins: ‚Esultate‘- ‚Jubelt‘. Bei einem ‚concerto all’aperto‘ auf den Plätzen oder in den Arenen Italiens kann man es immer wieder erleben.

VII

Meine Schafe hören meine Stimme‘ – ‚In der Stimme liegt Wahrheit‘. An diesem Sonntag der Osterzeit führt uns das Evangelium auf ein ‚an-sprechendes‘ Feld. Die Ohren sind geöffnet, und gerade, indem wir hinhören, uns ‚gehorsam‘ einüben in das sensible, die Unter- und Zwischentöne wahrnehmende Hören, treten wir in eine spannende, anspannende Situation: Beruhigung und Geborgenheit, Streit und ‚Wachheit‘, Entsetzen und Faszination umgeben uns gleichermaßen. Johannes wirbt um Glauben an Jesus, den Hirten, der die Seinen ruft und sich zugleich von ihnen verabschiedet. Der ‚nahe‘ ist und bleibt und doch auch ‚fern‘ (Jer 23,23).
Nicht so sehr, was Jesus gesagt hat, seine weisen und klugen Reden, sind für den Evangelisten wohl das Entscheidende, sondern dass er ruft, sich uns zuwendet, ja, aussetzt, seine Hörer ‚herzlich‘ einbezieht und bei Namen nennt, ohne sie zu beschlagnahmen: ‚Die Stimme gibt dem Namen Fleisch, befreit das Wort vom Tod‘ (M. Serres). ‚Maria‘, wird der Christus-Sieger am Ostermorgen rufen, und sie antwortet: ‚Rabbuni' (20, 16). Ja, die Musik hinter den Worten‘: Ob ein Ruf zum Leben führt, ob er ‚gut‘ für mich ist, ob ich ihm ‚gleichfalls mit freudigen Schritten‘ (J.S. Bach) folge, entscheidet sich daran, wie einer seine Rede ‚bricht‘, seine Wunden zeigt (20, 27) und mir Raum zu meiner Antwort lässt. Im ‚Königtum‘ (18, 37) des guten Hirten sind die Seinen nicht gefangen, sondern Freigelassene, Freigegebene im Geist in der Bindung  geschwisterlicher Liebe: ‚Geh hin zu meinen Brüdern…‘ (20, 17). ‚Ich gebe euch den Lebensatem. Ich nehme euch nicht in Haft.‘ 

VIII

Heute spricht man von ‚Schwarmintelligenz‘ – gemeinsam ist man schlauer. Es ist die Klugheit, besser die geistliche Urteilskraft derer, die auch ohne eine zentrale Befehlsinstanz spüren und wissen, was zu tun ist. Die Herde Gottes ist fähig, in geschwisterlicher Beratung im Hören auf sein Wort, ohne Schere im Kopf, ohne Angst vor einem ‚Wahrheitsministerium‘ oder einer ‚Meldestelle‘, mündig zu urteilen. Wir erfahren dieses Wunder in der Gemeinde vor Ort immer wieder: Ihr, wir ‚heiligen Gläubigen und Schäflein‘, wir werden Seine Stimme in, mit und unter den vielen heraushören. Denn er spricht ‚in der Wüste‘ (1,23) - menschlich, schutzlos, frei: Esultate – Erhebt euch, ihr Schäflein – ‚heute‘. 
Keiner kann Jesu Stimme ersetzen oder nachahmen. Jedes Schäflein darf seine je eigene Stimme erheben, schluchzend, jauchzend, lachend und weinend, in den Höhenlagen oder Tiefen auch `mal geschummelt, am besten mit einem fröhlichen Osterlied: ‚Auf, auf mein Herz, mit Freuden / nimm wahr, was heut‘ geschieht‘.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Jochen Riepe

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Sonntag Misericordias Domini gehört zur sog. österlichen Freudenzeit:  ‚Esultate, Jubelt‘ -‚Auf, auf, mein Herz mit Freuden‘ (eg 112 ).  Seine Lieder und Lesungen bezeugen die Auferstehung Jesu mit Hilfe des vertrauten Bild- bzw. Ich-bin-Wortes Jesu: ‚Ich bin der gute Hirte‘. Die Predigt möchte die nicht zuletzt musikalisch gehobene Stimmung im Durchschreiten einer im Johannesevangelium markanten Dissonanz bewähren. 

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die homiletische Herausforderung (und das Abenteuer) bestand für mich darum darin, zu versuchen, die beliebte, ‚bekannte-allzubekannte‘ Hirten-Metapher in den konflikthaften Kontext von Joh 10 zu stellen: Auf Jesu Stimme, auf seinen Anspruch als Person, reagieren die Jünger mit Unverständnis. Die Zuhörer sind gespalten, durch seine Gegner wird Jesus sogar dämonisiert. Ich versuche, diesen Kontext zu berücksichtigen mit dem (Märchen-) Motiv der verstellten Stimme.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Stimmen, oft medial verstärkt, dringen viele auf uns ein. Sie (ebenso wie die ‚Geister‘) unterscheiden zu können, bedarf es der viel beschworenen ‚geistlichen Urteilskraft‘. Ist es ‚eine hohle und nichtige Geisterstimme, die aus uns selber kommt‘ (Th. Mann), oder die ‚viva vox euangelii‘? Daß gerade die ‚gebrochene‘ Stimme eines Sängers helfen kann, hier ein Kriterium für den Prediger und die Gemeinde zumindest zu erahnen, gar zu finden, zeigt für mich das Beispiel Mario del Monacos.

Perikope
04.05.2025
10,11-21

Tiefer sehen - Predigt zu Joh 20,11-18 von Barbara Bockentin

Tiefer sehen - Predigt zu Joh 20,11-18 von Barbara Bockentin
20,11-18

(Der Predigttext geht als Evangeliumslesung der Predigt voraus.)
 

Ein anderer Blick
Die letzten Wochen gucke ich sehr regelmäßig die Serie „Madam Secretary“. In ihr geht es um eine amerikanische Außenministerin. Der rein politische Blick auf die Weltlage ist ihr fremd. Bevor sie in ihr Amt kam, war sie beim CIA – auch in Auslandseinsätzen, zum Beispiel im Irak. Im Grunde ist das Muster in jeder Folge sehr ähnlich. Wer auf Spannung und Action setzt, wird wahrscheinlich rasch gelangweilt sein.
Ich schalte immer wieder wegen der weiblichen Hauptfigur, Elisabeth McCord ein. Sie gibt nicht auf. Gönnt sich einen zweiten Blick. Auch dann, wenn die Zeit drängt. Sie will Hintergründe verstehen. Diskutiert mit ihrem Mitarbeiterstab. Setzt den einfachen Lösungsversuchen – selbst des Präsidenten – ihre Beharrlichkeit, ihr Vertrauen, dass es auch anders geht, entgegen. Dabei ist sie keine Heldin. Hat ihre dunklen Seiten. Versagt. Trotz allem hakt sie nach. Ist auch zu unkonventionellen Lösungen bereit.

Ein zweiter Blick mit der Hoffnung auf Antwort
Da steht Mariam. Sie weiß, dass ein zweiter Blick nötig ist. Deshalb gibt sie sich nicht mit dem ersten zufrieden. Sie geht dabei ins volle Risiko. Rechnet sogar mit einer Enttäuschung. Anders als die zwei Männer, die rasch umkehren, widersteht sie diesem Impuls.
Beim ersten Mal ist sie auch rasch umgekehrt. Hat den anderen von ihrer Entdeckung erzählt. Zwei von ihnen kommen mit ihr. Sie laufen, rennen zum Grab. Die Männer wenden sich um, als sie sehen, dass das Grab leer ist.
Mariam bleibt. Sie streckt den Kopf in die Grabeshöhle. Wird eins mit dem Dunkel. Tränen verschleiern ihren Blick. Kaum auszuhalten, was sie befürchtet, nun mit eigenen Augen zu sehen. Wenn der Leichnam nicht mehr da ist, kann sie ihn nicht ein letztes Mal berühren.
Dann ein zweiter Blick – mit ihm sieht sie mehr. Hört sogar. Zwei schemenhafte Wesen nimmt sie wahr. Lässt sich für einen kurzen Moment ein. Gibt sich ihrer Verzweiflung, ihrer Trauer hin. Erst als sie ausgesprochen hat, was sie befürchtet, dreht sie sich um. Lässt das Dunkel der Grabeshöhle hinter sich.

Doch die Frage bleibt: »Sie haben meinen Herrn weggenommen. Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!«  Bewegt sie weiter. Die Hoffnung auf eine Antwort ist nicht geschwunden. Sie bleibt groß. Eine unverhoffte Begegnung. Eine andere als eben noch in der Grabeshöhle. Wieder fragt sie: »Herr, wenn du ihn weggebracht hast, dann sage mir, wo du ihn hingelegt hast. Ich will ihn zurückholen!« Sie bleibt hartnäckig. Will sich nicht abspeisen lassen.
“Mariam“ – Der Klang seiner Stimme. Die sie so oft gehört hat. Die sich an viele andere wandte. Die sie meinte. Die Stimme, die Geschichten erzählte von Gott, von Liebe, von einer neuen Welt, von anderen Möglichkeiten. Die Stimme, die sanft sein konnte oder sehr energisch. Die Stimme, die ihr eine ganze Welt geöffnet hatte.
Sie erkennt ihn. „Rabbuni“ Wiedererkennen, Zärtlichkeit, Trauer, Unglauben, Freude – all das schwingt zwischen ihnen. Die Hartnäckigkeit Mariam, ihr Nicht-aufgeben-können – ist an ein Ziel gekommen. Sie ist belohnt worden.
Nur ein kurzer Moment, der jäh endet. Sie kann diesen Moment des Wiedererkennens, des Wiedersehens nicht auskosten. Merkt, dass sich etwas geändert hat. Sie findet eine andere Ausdrucksweise für die Freude, die sie festhalten will. Sie singt, hüpft. Redet vor sich hin. Um sich selbst immer wieder zu vergewissern. Um die Worte zu üben, die sie gleich den anderen sagen wird. Immer wieder dieselben Sätze, dieselbe Melodie.
Weil sie nicht aufgegeben hat. Weil sie einen zweiten, tieferen Blick riskiert hat, hat sie sehen und hören können, was den anderen verborgen geblieben ist. Ihre Trauer hat sich so in Freude verwandelt.

Ein zweiter Blick. Offen, bereit für Unerwartetes.
Deshalb schaue ich weiter „Madam Secretary“, weil ich hoffe, dass die weibliche Hauptfigur Elisabeth McCord daran festhält, Hintergründe verstehen zu wollen. Deshalb feiere ich Ostern, weil es ohne die Hartnäckigkeit für Mariam ganz anders geworden wäre. Mich ermutigt es.
Meine Aufgabe für die Osterzeit: Gib dich nicht mit dem ersten Blick zufrieden. Geh noch einmal zurück. Schaue genauer. Schaue tiefer. 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Barbara Bockentin

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich bemerke, dass viele Menschen dem Glauben schenken, was sie lesen, hören oder auf verschiedenen Kanälen sehen, ohne unbedingt zu recherchieren, ob denn alles stimmt, was da an Informationen mitgeliefert wird. Ich denke, dass es sich fast immer lohnt, tiefer zu bohren, am Ball zu bleiben.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat der Mut von Mariam (Maria von Magdala) beeindruckt. Ihrem Impuls, nicht aufzugeben, dem wollte ich nachgehen.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Es lohnt sich, genauer hinzusehen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Unterstützung, die ich bei meiner Coach durch ihre positive Resonanz fand, hat es mir leicht gemacht, zu verstehen, wo eine Überarbeitung für mein Anliegen hilfreich ist. Dafür bin ich sehr dankbar.

Perikope
20.04.2025
20,11-18

Christus stirbt und ist doch Sieger über den Tod - Predigt zu Joh 19,16b-30 von Andreas Schwarz

Christus stirbt und ist doch Sieger über den Tod - Predigt zu Joh 19,16b-30 von Andreas Schwarz
19,16b-30

(Lesung geht der Predigt voraus)

Immer wieder darf ich Gespräche mit Trauernden führen, um eine Beerdigung vorzubereiten. In einer Stunde wird ein Leben beschrieben, das gerade zu Ende gegangen ist. Schöne Erinnerungen kommen ans Tageslicht, aber eben auch der tiefe Schmerz, dass das alles nun vorbei ist. Oft genug wird die Frage nach dem Warum gestellt, warum jetzt schon, warum so früh? Der Verlust bestimmt die Gefühle. Viele Tränen fließen bei den Gesprächen.
Da fällt es mir auf, wenn es einmal ganz anders ist. Vor Kurzem war eine solche Situation gar nicht traurig. Ein Bild des gerade Verstorben stand auf dem Tisch, sodass wir beide, die Witwe und ich, es sehen konnten. 
Jetzt ist er bei uns und gar nicht gestorben, sagte sie.
Wir wissen doch, wie der Weg ist. Es überrascht uns nicht. Zu keiner Zeit haben wir eine Ahnung, wann und wie es zu Ende geht. Aber dass es kommt, wussten wir. Und glauben an die Zukunft, die Christus uns schenkt.
Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn.
So hat es Paulus einmal in einem Brief an die Gemeinde in Philippi geschrieben. Es geht gar nicht darum, jetzt gerne sterben zu wollen. Sondern um die ewige Zukunft als grundlegenden Inhalt unseres christlichen Glaubens. Das ist unsere Hoffnung in all dem Elend und Leid, in dem Sterben, das so oft unvermittelt und plötzlich Leben beendet. 

Worin wir uns sicher alle einig sind ist: Ich möchte leben.
Wenn ich krank werde, steht das auf einmal in Frage.
Und wenn ich sterbe, habe ich verloren.
Mein Leben hat verloren.
Der Tod hat gesiegt.
Er siegt so furchtbar oft.
Ihr erleidet das in euren Familien.
Wir erleben das in unserer Gemeinde.
Der Tod ist aktiv und offenbar gewinnt er immer wieder.
Ganz offenbar im sinnlosen Morden und Sterben.

Wenn einer mit seinem Auto in die Besucher eines Weihnachtsmarktes rast und Menschen in den Tod reißt, wie im Dezember in Magdeburg. 
Oder in eine Menschenmenge, die am Rosenmontag in Mannheim auf den Straßen unterwegs war.
Der Tod siegt in den Krankenhäusern und in Kriegsgebieten.
Er siegt in Massen, wenn die Erde bebt wie diese Tage in Südostasien – und Tausende sterben.
Ich gehe davon aus, dass alle Opfer gerne noch gelebt hätten.
Aber sie haben verloren.
Ihr Leben hat verloren.
Bei ihnen hat der Tod gewonnen.
Und er tut es, immer und immer wieder.
Auf unterschiedlichste Arten und Weisen.
Durch Mord, in Kriegen bewusst in Kauf genommen oder gewollt, durch Unfälle. Durch Krankheit.
Manchmal können wir ihn ein wenig hinauszögern, wenn er sich schon einmal angemeldet hat. Aber er wird wiederkommen und dann doch gewinnen.
Die Spannung zwischen dem Bibelvers, dass Sterben ein Gewinn sei, und unserem menschlichen Wunsch nach Leben bleibt bestehen.

Heute kommt sie an einen besonderen Tiefpunkt, an dem sie zu zerreißen droht.
Karfreitag.
Jesus stirbt.
Gottes Sohn verliert den Kampf gegen den Tod.
Seine Freundinnen trauern. Seine Freunde sicher auch, aber die haben sich fast alle zurückgezogen aus Angst, dass es ihnen gehen könnte wie ihrem Herrn und Meister.
Der Karfreitag ist ein Tag der Trauer, die liturgische Farbe ist schwarz, die Farbe des Todes. Aller Glanz und alles Licht des Lebens verlöschen.
Der, der sich so für das Leben anderer eingesetzt hatte, der Kranken und Ausgestoßenen neue Lebensperspektiven geschenkt hatte, der Tote wieder zum Leben erweckt hatte, der stirbt nun selbst.
Gewaltsam. Ausgestoßen. Erniedrigt.
Wie ein Verbrecher bestraft.
Dieser Tag ist im Kirchenjahr fest verankert, bekannt und vertraut. Es werden alle dieses Ereignis kennen.
Alle vier Evangelisten berichten auch ausführlich und sehr ähnlich davon.
Matthäus, Markus und Lukas erzählen so.
Bloß bei Johannes ist vieles anders.
Oft sind es Kleinigkeiten, die er abweichend berichtet.
Aber genau die machen deutlich, dass Johannes das Leiden und Sterben bis zu seinem Tod Jesu nicht nur erzählt. Er deutet es theologisch.
Sein Evangelium hat so etwas wie einen goldenen Faden, der immer wieder aufleuchtet. Jesus kommt auf diese Erde, in sein Eigentum, und er hat einen Weg vor sich. Er ist unterwegs, Menschen zu Kindern Gottes zu machen, zu Erben des Lebens, das nicht mehr bedroht und gefährdet ist, sondern in die ewige Zukunft reicht. Das ist das Ziel seines Weges, das ihn ans Kreuz bringt.
Da stirbt nicht nur ein besonderer Mensch einen grausamen Tod.
Er stirbt so, wie alle Menschen sterben.
Aber er stirbt anders.
Was Johannes erzählt, ist außergewöhnlich.

Sie nahmen Jesus aber, und er trug selber das Kreuz und ging. 
Die Frage, ob er nach den Schlägen und der Folter körperlich noch in der Lage war, sein Kreuz zu tragen, interessiert Johannes nicht.
Jesus trägt das Kreuz und geht.
Er ist aktiv, er handelt.
Mögen andere Menschen ihre Macht ausüben und öffentlich zeigen, er ist und bleibt der, der handelt.
Natürlich wird es überdeckt vom dem, was geschieht und für alle sichtbar ist. Da stirbt einer, der gescheitert ist. Da hat einer viel getan und geredet, aber nun hat er doch verloren. Ziemlich übel sogar.
Aber gegen all solchen Augenschein bleibt er souverän.
Er trägt sein Kreuz. Niemand muss es für ihn tun oder ihm dabei helfen.
Er geht. Er wird nicht getragen, gezogen oder geschoben.
Er geht selbständig zum Ort seines Todes.
Und dann wird er mit zwei anderen gekreuzigt, einer links von ihm, einer rechts, er in der Mitte. Wie bei einer Siegerehrung. In der Mitte ist der Gewinner, der die Goldmedaille erhält. Die mittlere Stufe ist höher als die anderen.
Ein solches Bild entsteht vor Augen, wenn Johannes erzählt.

Und dann diese Inschrift an seinem Kreuz in den drei wichtigen Sprachen, hebräisch, latein und griechisch, sodass es jeder lesen kann: Jesus von Nazareth, der König der Juden.
Da wird Pilatus zu einem ungewollten Zeugen der Herrschaft Jesu. Das ist ein echtes Bekenntnis.
Gegen alle Kritik, die natürlich kommt. ‚Du musst das ändern, Pilatus. Da darf nicht stehen, dass er der König der Juden ist, sondern dass er es von sich behauptet hat.‘ Aber Pilatus reagiert knapp und deutlich: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
So denken und reden Menschen ja immer wieder.
Ich habe mein Urteil über andere und das bleibt.
Ich lasse mich nicht bewegen.
Und dann sind Leute festgelegt und festgeschrieben.
Bürgergeldempfänger sind faul.
Muslime sind kriminell.
Flüchtlinge sind Schmarotzer.
Johannes erzählt auch von solchen Leuten, als eine Frau beim Ehebruch erwischt wird und gesteinigt werden soll.
Sie bringen sie zu Jesus und fragen nach seinem Urteil, das für sie aber ja klar ist. Die Frau ist festgelegt auf ihr gescheitertes Leben.
Jesus schreibt in den Sand.
Und auf einmal gehen alle Ankläger weg.
Menschliche Urteile und Festschreibungen enden bei ihm.
Die Frau ist frei und darf leben.
Wieder hat jemand etwas geschrieben.
Und welcher Einwand auch immer, welcher Protest sich da erhebt.
Jesus sagt: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
Wenn er deinen Namen ins Buch des Lebens geschrieben hat, dann steht der da.
Bis zum Schluss.
Bis zum bitteren Ende, bis zum Tod.
Für die Ewigkeit.
Niemand ändert das.
Niemand löscht den aus.
Was immer einer tut.
Wie wenig sich jemand wert fühlt,
was immer andere ihm vorwerfen.
Was immer dagegen spricht an eigenen Taten, an persönlichen Befürchtungen, an fremden Einwänden: Der Name steht im Buch des Lebens.
Und da bleibt er.
Denn was Jesus geschrieben hat, das hat er geschrieben.
Ein für allemal.

Die Zuwendung zu den Menschen und seine Fürsorge enden im brutalen Leiden am Kreuz nicht.
Sie sind und bleiben ihm wichtig, die Menschen, die an seiner Seite waren, denen er an der Seite war. Seine Familie, seine Freunde. Sie liegen ihm bis zuletzt am Herzen, und sogar darüber hinaus.
Ihr Wohlergehen hat er im Blick, sogar in den letzten Minuten seines Lebens.
"Frau, siehe, das ist dein Sohn", sagt er zu seiner Mutter.
"Siehe, das ist deine Mutter", sagt er zu dem Jünger, den er liebhatte.
Er ordnet ihr künftiges Leben, bindet sie aneinander und sorgt sich darum, dass es für sie gut weitergehen kann, wenn er nicht mehr da ist.

Das Gespräch mit der Witwe kommt mir wieder in den Sinn. Wie sie mir erzählt, ihr Mann habe alles vorbereitet.
Ein Brief für den Pfarrer zur Traueransprache.
Ein Brief für die Kantorin zur Musik für den Gottesdienst.
Und alle nötigen Informationen für sie, für die Finanzen, für die Wohnung.
Alles überlegt, geklärt, aufgeschrieben.
Damit es für sie gehen kann, wenn er nicht mehr da ist – wo er sich doch um all das immer gekümmert hatte.
Nicht immer geht es so hilfreich. Oft denken Menschen nicht frühzeitig daran, und auf dem Sterbebett ist es dann zu spät. Sie wollen gerne alles noch regeln, aber können nicht mehr. Da reichen die Kräfte nicht mehr. Die werden gebraucht für die letzten Momente auf dieser Erde.
Jesus bleibt souverän und handelt, als ältester Sohn seiner Mutter, als Meister seiner Jünger. Bis zum allerletzten Moment.
Und selbst der ist besonders.

Die letzten Worte, die Johannes aus dem Mund Jesu bezeugt sind: Es ist vollbracht.
Sein Weg ist zu Ende ist und er hat zum Ziel gebracht, worum es ging.  

Es klingt wie die Bestätigung seines Auftrages, wie die Bekräftigung seines Sieges, was Jesus in dem Moment ausspricht, als er sein Leben abgibt.
Das ist es dann auch, was Johannes mehr als die anderen Evangelisten ausdrückt: Hier beendet einer das Werk, zu dem er angetreten war, siegreich. 
Das wirkt unverständlich. Denn im Moment des Sterbens von einem Sieg zu reden, ist ja wohl abwegig. Wer stirbt, hat verloren.
So denken Menschen und so leben sie auch. Dass sie an den Tod nicht denken wollen, ihn so gut es geht, verdrängen und hinausschieben wollen. Mit Fitnessprogrammen und Schönheitsoperationen, mit Medikamenten und Crémes, bloß das Altern aufzuhalten und wegzuschieben.
Wofür?
Am Ende ist es nicht zu halten, der Tod ist nicht zu besiegen. Jedenfalls nicht von uns.

Aber Johannes sagt etwas anderes: der hier stirbt, hat gewonnen.
Der hat seinen Auftrag erfüllt, zu dem Gott ihn zu uns Menschen gesandt hat.
Nicht nur ist sein Leiden am Kreuz vorbei. Er hat es überstanden.
Sondern die Unausweichlichkeit und Endgültigkeit des Todes über das Leben sind gebrochen. 
Jesus erringt den ersten und grundsätzlichen Sieg des Lebens über den Tod.
Das neue, das ewige Leben der Auferstehung siegt.
Weil Jesus am Kreuz stirbt.
Nicht der Verbrecher erhält seine gerechte Strafe, sondern: Es ist vollbracht.
Jesus kann sterben. Mit dem Leben vor Augen.
Wer an ihn glaubt, kann sterben, mit Jesus Christus vor Augen. 
Was für eine Aussicht, wenn wir das könnten.
Unsere Zukunft ist das Leben.
Geschenkt, nicht erkauft oder erkämpft, was wir gerne so krampfhaft festhalten wollen und sichern. Dagegen öffnet uns Johannes den Blick, nicht festhalten wollen, was nicht festzuhalten ist. Aber das Geschenk annehmen, dass Jesus uns macht.
Es ist vollbracht. Für uns und unser Leben. Gott sei Dank. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
An Karfreitag ist der Gottesdienst gut besucht, sehr gemischt, weil viele Ältere da sein werden, aus gelebter Frömmigkeit und Tradition. Darunter Menschen, die sich mit dem eigenen Sterben auseinandersetzen oder in der Nähe Verluste erlitten haben. Dazu kommen die Konfirmanden, die liturgische Teile des Gottesdienstes übernehmen, auch sie kennen den Verlust von Verwandten, Großeltern z.B. Ich erwarte erfahrungsgemäß eine sehr offene und wache Gemeinde, die bewusst da ist und zuhört. Das erleichtert sowohl die Vorarbeit, als auch den Gottesdienst selbst.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mehrere Aspekte spielen eine Rolle; einmal der sehr besondere, prominente Kasus und die Tatsache, dass grundsätzlich alle in der Gemeinde einen Zugang dazu haben. Dann der musikalische Zugang über die Johannespassion von J. S. Bach, auch wenn ich die formulierten Hinweise und Bezüge in der Predigt auf Empfehlung des Coaches gestrichen habe. Aber beim Lesen des Bibeltextes habe ich immer wieder Melodien im Kopf gehabt.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Es ist eher die Herausforderung an eigene Lebensgestaltung im Glauben. Das bei allen Niederlagen, die Tod zufügt, von Johannes siegreich erzählt wird. Das führt nicht zur Bagatellisierung oder Verniedlichung, aber zu einer anderen Einordnung. Die Zukunft deutlicher als Hoffnung und Kraft für die Gegenwart zu entdecken und zu pflegen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Wie schon angesprochen unter dem Schlagwort: kill your darlings die Herausnahme aller Hinweise auf die Johannespassion von Bach, auch wenn sie mir persönlich wichtig und hilfreich war. Bilder, die mir etwas sagen, aber der Gemeinde evtl. weniger rausnehmen und aktueller am Leben dran sein. Das habe ich verstanden und zu beherzigen versucht.

Perikope
18.04.2025
19,16b-30