In Stein gemeißelt?! - Predigt zu Joh 8,3-11 von Luise Stribrny de Estrada

In Stein gemeißelt?! - Predigt zu Joh 8,3-11 von Luise Stribrny de Estrada
8,3-11

Kanzelgruß

„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Weg.“ (Ps 119,105)
Gott, segne unser Hören und unser Reden
und erleuchte uns mit deinem Licht. Amen.

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Annäherungen

Treue

„Wenn mein Mann mich jemals betrügt, werde ich ihn sofort verlassen“, vertraut mir eine Freundin an. „Ich könnte es nicht ertragen, wenn er etwas mit einer anderen Frau anfängt. Dann wäre für mich Schluss. Da bin ich altmodisch – oder eben treu. Und das erwarte ich auch von meinem Mann. Das habe ich ihm deutlich gesagt.“

Leidenschaft

Ich lese: Eine verheiratete Frau verlässt ihre Familie, als ihre Kinder drei und fünf Jahre alt sind. Sie verschwindet mit ihrem Geliebten. Endlich will sie die Liebe mit ihm leben, die so lange unerfüllt geblieben ist. Sie macht sich keine großen Sorgen um ihren Mann und auch nicht um ihre Kinder. Jetzt ist sie dran, nach all den Jahren, in denen sie um Mann und Kinder gekreist ist. Die leidenschaftliche Liebe ist ins Zentrum ihres Lebens gerückt (Elena Ferrante, Die Geschichte der getrennten Wege, Bd. 3 der Neapolitanischen Saga, Berlin 2017, 2. Auflage, S. 530ff).

Betrug

Meine Eltern sind mit einem Pfarrersehepaar befreundet. Sie werden eingeladen zu Gesprächen über Gott und die Welt in ihrem schönen Haus auf dem Land. Es sind erfüllte Nachmittage mit interessanten Menschen. Eines Tages höre ich, wie mein Vater meiner Mutter entsetzt erzählt: „Stell dir vor, Pfarrer P. betrügt seine Frau. Mit einer Studentin. Frau P. kann es nicht fassen. Sie hat mich gerade angerufen und es mir erzählt. Sie hofft, dass wir zu ihr halten. Das tun wir doch, oder?“ Meine Mutter antwortet: „Natürlich, die Arme. Wie kann Herr P. nur so etwas tun?“
Menschen, die ihre Ehepartner hintergehen. Sie verstoßen gegen das sechste Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen“. Wer nicht unmittelbar betroffen ist, weiß meistens wenig oder gar nichts über die Motive. Vielleicht können wir beide verstehen: den Ehepartner, der betrogen worden ist und den, der ein neues Leben mit einem anderen anfängt. Sehr oft ist unsere Sympathie bei dem, der verlassen worden ist.

In der Evangeliumslesung haben wir heute von Jesus und der Ehebrecherin gehört. Wie erlebte die Frau die Szene?

Mirjam

Simon und ich – das war etwas Besonderes! So eine leidenschaftliche Liebe hatte ich noch nie erlebt, und dabei so viel Übereinstimmung. Wir waren das ideale Paar. Wir sind uns in unserem Landhaus begegnet. Ich bin mit Nikodemus (vgl. Joh. 3,1; 7,50; 19,39) verheiratet, seit ich 15 Jahre alt bin, er ist 20 Jahre älter. Am Anfang unserer Ehe habe ich ihn bewundert für sein Wissen, seinen Großmut, dafür, dass er seinen Platz im Leben gefunden und es zu einem gewissen Reichtum gebracht hat. Aber mit der Zeit verebbte meine Bewunderung und ich fing an, mich mit ihm zu langweilen. Er wurde mir gleichgültig. Vielleicht lag das auch daran, dass wir keine Kinder hatten.

Aber zurück zu Simon: Sein Haus grenzt an unseres und wir konnten uns sehen, wenn einer von uns im Garten war. Ab und zu kam Simon vorbei und brachte ein kleines Geschenk für mich, einen Granatapfel oder einen Brief mit einem Gedicht. Wir verliebten uns ineinander und als mein Mann eines Tages nicht da war, kam Simon zu Besuch, da war es um uns geschehen. Seitdem suchten wir jede Gelegenheit, um zusammen zu sein; aber es war gefährlich, wir mussten aufpassen. Ich war verheiratet, er zwar nicht, aber auf Ehebruch stand laut dem Gesetz des Mose (Lev. 20,10 und Dtn. 22,22-24) die Todesstrafe, die allerdings oft nicht vollzogen wurde. Trotz der Gefahr trafen wir uns zwei, drei Mal auch in unserem Haus in Jerusalem. Beim letzten Mal entdeckte uns meine Magd. Sie rannte sofort zu Jakob, einem Freund meines Mannes, der auch Pharisäer ist. Er kam angelaufen und sah Simon noch von hinten, der gerade aus dem Fenster stieg. Jakob konnte ihn nicht mehr festhalten, aber mich ergriff er und ließ mich nicht los. Er schleppte mich in den Tempel. Unterwegs schlossen sich uns andere Pharisäer und Schriftgelehrte an. Es schien wie ein Lauffeuer herumzugehen, von überall hörte ich es flüstern: „Die Frau des Nikodemus hat ihren Mann betrogen. Elende Ehebrecherin! Das soll sie büßen.“

Dann kamen wir im Tempel an und sie brachten mich zu dem Rabbi aus Galiläa, von dem alle Welt sprach. Ich hatte Angst, panische Angst: Was würde jetzt passieren? Würden sie mich umbringen? Was würde der fremde Rabbi sagen? Jakob und die anderen stellten mich vor ihn hin: „Lehrer, diese Frau da wurde auf frischer Tat beim Ehebruch überrascht. Im Gesetz schreibt uns Mose vor, solche Frauen zu steinigen. Was sagst nun du dazu?“ Ich merkte, wie ich zitterte. Steinigen wollten sie mich, die Frau ihres Kollegen und Vertrauten Nikodemus, so sollte ich für meine Übertretung büßen. Die Ordnung sollte aufrecht erhalten werden: Die Ehefrau gehört ihrem Mann, sie selbst hat keine Gefühle und keine eigene Meinung zu haben, basta! - Sie hielten schon die Steine in der Hand, um sie nach mir zu werfen.

Aber sie mussten die Antwort des Rabbis abwarten, sie hatten ihn ja jetzt als Richter mit hineingezogen. Was tat er? Was machte er nur? Ich sah, dass er mit dem Finger auf die Erde schrieb. Was schrieb er? Ich konnte es nicht erkennen. Es wirkte so, als würde er sich aus der Situation herauslösen, als sei er ganz woanders mit seinen Gedanken. Ich war in Todesgefahr, hing ab von seinem Urteil, und er entzog sich einfach. Hätte ich nicht so viel Angst gehabt, wäre ich wütend geworden.

Dann sagte er plötzlich: “Wer von euch ohne Schuld ist, soll den ersten Stein auf sie werfen!“ Danach schrieb er weiter auf die Erde. Ich fragte mich, aus welcher Ecke der erste Stein auf mich fliegen würde. Ich überlegte, wie ich in Deckung gehen könnte - vergeblich. Da hörte ich ein trockenes Klacken. Jemand hatte seinen Stein weggeworfen und ging. Dann ein Poltern, und noch eines und noch eines. Einer nach dem anderen ging davon, als letzter Jakob, der mich entdeckt hatte. Ich konnte es kaum glauben: Sie waren wirklich alle weg. Der Satz des Lehrers hatte ihnen den Spiegel vorgehalten: Keiner war ohne Schuld. Das hatten sie selbst eingesehen und vor sich und den anderen Männern zugegeben.

Der Rabbi wandte sich jetzt an mich: „Wo sind sie? Hat dich niemand verurteilt?“ „Niemand, Herr“, antwortete ich. Er sagte: „Ich verurteile dich auch nicht. Geh, und lad von jetzt an keine Schuld mehr auf dich.“ Ich war so erleichtert, dass ich es kaum glauben konnte. Ich war gerettet! Er, dieser Jesus, hatte mein Leben gerettet. Und er verurteilte mich nicht, obwohl ich genau wusste, dass ich gegen das Gesetz verstoßen hatte. Ich war frei, ich war gerettet. Am liebsten hätte ich ihn umarmt. Aber das ging nicht, er war zu weit weg von mir, gehörte in eine andere Sphäre. Dann gab er mir einen schweren Satz mit auf den Weg: „Geh, und lad von jetzt an keine Schuld mehr auf dich.“ Wie sollte ich das verstehen? Ich sollte wohl zu meinem Mann zurückkehren und die Liebe mit Simon aufgeben. Wie gerne hätte ich es umgekehrt gemacht und mit Simon ein neues Leben angefangen. Aber vielleicht würde mein Mann mich aus der Ehe entlassen, nachdem ich ihn betrogen hatte. Dann wäre ich frei, neu zu heiraten. Vielleicht könnte ich Nikodemus dazu bringen, mir einen Scheidebrief zu schreiben oder, warum nicht, sogar selbst einen Scheidebrief aufsetzen. Wir müssten in Ruhe miteinander reden. Ob ich das hinkriegen würde nach allem, was geschehen war? Jedenfalls konnte es nicht einfach so weitergehen wie vorher, da hatte der Rabbi recht. Und ich wollte klare Verhältnisse schaffen, soweit es in meiner Macht lag: Mit einem Mann zusammenleben, nicht mit zweien. Ich suche mir meinen Weg, sagte ich leise vor mich hin, als ich nach Hause ging.

Heute

Mirjam hat vor 2.000 Jahren gelebt. Vieles hat sich seitdem im Verhältnis von Frauen und Männern geändert, viele Vorstellungen von der Ehe sind heute anders. Frauen sind selbstbewusster und unabhängiger geworden. Frauen und Männer sind gleichberechtigt, das Finanzielle ist geregelt, und es gilt nicht mehr das Schuldprinzip, sondern das Prinzip der Zerrüttung der Ehe.
Ehebruch kommt häufig vor, es ist kein Tabu mehr. Trotzdem verletzt er in den allermeisten Fällen den oder die, die betrogen wird, tief. Gefühle wie Wut, Kränkung, Enttäuschung, Verwünschungen und die Angst, verlassen zu werden, sind im Spiel. Manche Partner überstehen das und finden gemeinsam einen neuen Anfang, andere trennen sich.

Was wäre heute, unter unseren Bedingungen, aus Mirjam geworden? Ich möchte den Satz Jesu an sie „Geh und lad von jetzt an keine Schuld mehr auf dich“ anders interpretieren. Ich glaube, dass auch diejenige Schuld auf sich lädt oder sündigt, die gelingendes Leben verhindert (siehe dazu: Gottesdienst Praxis, IV. Perikopenreihe, Bd. 3, Gütersloh 2022, S.99). Wenn jemand in einer Ehe oder Beziehung unglücklich ist, darf sie kein Gesetz zwingen, weiter in dieser Beziehung zu bleiben. Im Gegenteil sollten wir sie als Christinnen und Christen ermutigen, sich zu trennen und noch einmal anders zu beginnen. Das muss nicht notwendig eine neue Beziehung sein, sondern kann eine Zeit sein, in der sie erst einmal zu sich selber kommt und das verarbeitet, was sie in ihrer Ehe erlebt hat.

Mirjam könnte sich heute von Nikodemus trennen und sich eine eigene Wohnung nehmen. Dann würde sie in Ruhe ihre Gefühle erforschen und darüber nachdenken, ob sie Simon wirklich liebt. Je nachdem würde sie die Beziehung mit ihm fortsetzen oder bliebe allein. Sie hätte die Chance auf ein gelingendes Leben, ein Leben, das nicht andere für sie bestimmt hätten, sondern das ihr entspräche. Sie würde nicht mehr sündigen, indem sie sich verleugnet oder sich und ihre Bedürfnisse übergeht.

Gott will, dass wir ein gelingendes, erfülltes Leben leben. Wir sind seine geliebten Kinder, er möchte, dass es uns gut geht. So gibt er uns durch seine Gebote die Freiheit, unser Leben zu gestalten.
Gott sei Dank.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastorin Luise Stribrny de Estrada

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die meisten Gottesdienstbesucher, gerade in der Ferienzeit, sind ältere Menschen und Konfirmand/innen. Das Thema Ehebruch wäre eher für die mittlere Generation aktuell, aber von ihnen wird kaum jemand in den Gottesdienst kommen. Andererseits begegnet auch den Anwesenden indirekt dieses Thema, bei Kindern oder Eltern. Spannend ist es, denke ich, für alle. Auch im Konfirmandenunterricht sind die Jugendlichen bei der Sache, wenn es um das sechste Gebot geht.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mir geht es darum, die Frau nicht zum Objekt zu machen, wie die ganze Szene in Johannes 8 (außer Jesus in seinem letzten Satz) es tut, sondern zum Subjekt. Ich möchte sie ins Licht holen und mögliche Beweggründe für ihren Ehebruch erkennen. Ich möchte Verständnis für ihr Handeln wecken, anstatt sie zu verurteilen.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich fand die Entdeckung hilfreich, dass Sünde die Verhinderung gelingenden Lebens ist. Das ist ein Sündenbegriff, mit dem ich etwas anfangen kann und der m.E. Gottes Blick auf uns entspricht.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich fand die Beobachtung hilfreich, dass wir alle beim Thema Ehebruch einbezogen sind und viele Assoziationen hochsteigen an Menschen, die ihre/n Ehepartner/in betrogen haben. Ein Ehebruch löst heftige Gefühle aus. Wir könnten alle noch viele weitere Geschichten erzählen wie bei den „Annäherungen“.

 

Perikope
10.07.2022
8,3-11

Der Hirte des Petrus - Predigt zu Joh 21,15-19 von Bernd Giehl

Der Hirte des Petrus - Predigt zu Joh 21,15-19 von Bernd Giehl
21,15-19

Liebe Gemeinde!

Als Franz Müntefering 2005 zum SPD-Vorsitzenden gewählt wurde, wurde er gefragt, wie er denn sein neues Amt bewerte. „Das schönste Amt nach Papst“, gab er zur Antwort. Da wusste er natürlich noch nicht, dass er nur ein Jahr später von ebendiesem Amt zurücktreten würde, ebenso wenig, wie viele Vorsitzende seine Partei in den kommenden Jahren verschleißen würde. Genauso wenig konnte er wissen, dass etwa zehn Jahre später ein Papst zurücktreten und als papa emeritus im Vatikan neben dem amtierenden Papst leben würde. Auch die Tatsache, dass beide unter schlimmem Beschuss stehen würden, konnte er unmöglich geahnt haben.
Aber selbst, wenn man ihm damals zugestimmt hätte, dass die schönste Aufgabe, die auf Erden zu vergeben ist, das Amt des Papstes ist, würde das heute vermutlich kein Mensch mehr sagen. Der eine – Benedikt XVI. – wird kritisiert, weil er in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising einem Priester, der des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde, erlaubte, weiterhin Priester in seiner Diözese zu sein. Der andere, Papst Franziskus, bekommt heftig Prügel, weil er die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und die Priesterweihe von Frauen ablehnt. Wenn er dagegen beides zuließe, würde es heftige Kritik von der anderen Seite geben.
Selten hat die katholische Kirche sich so zerrissen gezeigt wie heute. Vielleicht wäre es leichter, wenn die Macht und damit die Entscheidungskompetenz sich nicht in dem einen Mann an der Spitze bündeln würde. Fragt sich nur, mit wie vielen Stimmen Kirche dann sprechen würde und ob sie überhaupt noch Weltkirche sein könnte.

Aber gehen wir noch einmal zurück. Zu den Anfängen des Papsttums. So genau weiß man nicht, wann das angefangen hat. Im vierten oder fünften Jahrhundert vermutlich und dann auch im Schatten vieler dogmatischer Kämpfe, die auf Konzilien im Osten des Reiches ausgetragen wurden, an denen sich der Westen kaum beteiligte. Er hatte ja auch genug mit der eigenen Einigung zu tun. Dass es der Bischof von Rom war, der den Anspruch auf das höchste Herrscheramt in der Kirche erhob, war natürlich kein Zufall. Rom war die Hauptstadt des römischen Weltreichs und so sollte dann auch die Kirche organisiert sein. 
Hinzu kam aber noch etwas anderes. Petrus war so etwas wie der erste Bischof von Rom gewesen und er war in der Stadt den Märtyrertod gestorben. Was den Anspruch des Bischofs von Rom auf die Oberherrschaft der Kirche natürlich weit mehr legitimierte als es der Titel der Welthauptstadt tat. In den folgenden Jahrhunderten setzte sich das Papstamt zumindest im Westen des römischen Reiches denn auch ohne große Widerstände durch, während sich im Osten eine eigene Kirche mit eigenen Traditionen etablierte, nämlich die orthodoxe Kirche. Man mag es erstaunlich nennen, aber das Amt des Papstes als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche hat sich gehalten, trotz der Zeit der Gegenpäpste in Avignon im Mittelalter und trotz der Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert, als sich in Deutschland, der Schweiz und den skandinavischen Ländern die Reformation entwickelte. Aber die Sehnsucht nach einer Kirche, die mit einer Stimme sprach, war wohl groß genug.

Und doch: Von der Geschichte her lässt dich das Amt des Papstes wohl kaum rechtfertigen. Vielleicht sind ja auch unsere Erwartungen an dieses Amt zu hoch.
Fragen wir doch einmal nach. Der Text für heute scheint zumindest Bezug zu nehmen auf das Amt des Hirten, wie Jesus es nennt. Und damit kann nicht nur das Amt des Papstes gemeint sein.

Wie soll man dieses Gespräch benennen?
Da wird jemand ins Gebet genommen. Und zwar richtig. Und alle aus der Familie sind dabei.
Oder man könnte es ein Prüfungsgespräch nennen. Wobei es bei der Prüfung nicht um erworbenes Wissen geht. Sondern um Loyalität. Dreimal erklingt dieselbe Frage: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Wobei auch das immer noch nicht ganz richtig ist. Denn die erste Frage heißt ja: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber als die anderen mich haben?
Zumindest nach meinem Geschmack geht es hier hart an die Grenze. Wie soll Petrus denn in Gegenwart der Anderen darauf antworten? Wenn er „Ja“ sagt, werden sie ihn in der Luft zerreißen. Oder ihn zumindest eifersüchtig beobachten. Aber „nein“ kann er ja auch schlecht sagen, denn er hat Jesus ja wirklich lieb. Also sagt er, was aus tiefstem Herzen kommt: „Du weißt, dass ich dich liebhabe.“ Und Jesus erwidert etwas Seltsames: „Weide meine Lämmer.“
Damit könnte es nun zu Ende sein. Jesus weiß, dass Petrus ihn liebhat und er hat ihm einen Auftrag erteilt.  Aber merkwürdigerweise geht die Befragung weiter. Jesus fragt noch einmal und fast mit den gleichen Worten: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Was soll Petrus darauf antworten?  Im Grunde kann er nur das sagen, was er schon einmal gesagt hat: „Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe.“
Und dann kommt die Frage zum dritten Mal und man merkt, das ist kein normales Gespräch unter Freunden. Es ist irgendetwas zwischen einem Bewerbungsgespräch, einem Prüfungsgespräch und einer Therapie und ich kann beim besten Willen nicht sagen, was. Selten ist einer so in die Mangel genommen worden, der später ein so hohes Amt bekleiden wird. Denn dass Petrus die neu entstehende Kirche führen soll, daran lässt Jesus ja keinen Zweifel. „Weide meine Schafe“ trägt er ihm auf und fügt gleich hinzu, damit der Kandidat weiß, was Sache ist: „Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest, wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“

Eine seltsame Autorität, die Petrus da zugesprochen bekommt. Fast möchte man meinen, Jesus verleihe sie ihm und nehme sie im nächsten Augenblick wieder ab. Wer nur diese Geschichte kennt, der kann sie wohl nicht verstehen. Aber nun wissen wir ja auch um die Vorgeschichte. Am Anfang hat Petrus als erster das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias ausgesprochen und Jesus hat ihm dafür den Beinamen „Petrus“, der Fels gegeben und gesagt, auf diesem Felsen werde er seine Kirche bauen. Aber manchmal kommt es anders und so verleugnet ebendieser felsenstarke Petrus im Hof des Hohepriesters seinen Freund und das nicht nur einmal, sondern dreimal. „Ich kenne den Menschen nicht“, sagt er, als er gefragt wird, ob er nicht auch zu diesem Jesus gehöre. So schnell kann es gehen, wenn die Angst stärker ist als die Freundschaft. Wie oft mag Petrus hinterher diese Worte bereut haben. Allein, sie sind gesprochen und er kann sie nicht mehr einfangen. Aus diesem Grund fragt Jesus drei Mal, ob Petrus ihn liebhabe. Und aus ebendiesem Grund soll Petrus sich auch nicht auf die eigene Stärke verlassen, sondern es wird ihm gesagt, dass ein anderer ihn führen wird. Dieser andere kann kein anderer sein als Jesus selbst. Petrus soll die Kirche führen, aber dabei soll er sich unter die Autorität Jesu stellen.

Aber vielleicht kann ich das Ganze auch noch einmal von einer anderen Seite betrachten. Ich gebe zu, lange war ich irritiert von dieser Szene. Von der Unerbittlichkeit, mit der Jesus fragt: „Hast du mich lieber als alle anderen“ bzw. „Hast du mich lieb?“ Selbst wenn er die Frage drei Mal stellen wollte, musste er das in aller Öffentlichkeit tun?
Ich habe mir vorgestellt, wie peinlich das für Petrus gewesen sein muss, drei Mal so gefragt zu werden. Und zwar im Beisein all seiner Freunde. Aber dann habe ich mir sagen lassen, dass nur so Vergebung und Neuanfang möglich ist. Petrus hatte Jesus in der Öffentlichkeit verleugnet. Also muss er wohl auch in der Öffentlichkeit gefragt werden. Und dann vergibt der, den er verleugnet hat, ihm auch öffentlich. Petrus bekommt eine neue Chance. Er weiß, dass er fehlbar ist, aber er wird nicht aus dem Dienst entlassen. Er wird beauftragt, die neu entstehende Gemeinde zu führen. Und dazu wird ihm ausdrücklich das Vertrauen ausgesprochen.

Vielleicht kann ich nun doch die Antwort geben: Jesus wollte eine klare Führung für seine Kirche, aber er wollte sie anders, als sie sich dann entwickelt hat. Nicht mit einem Mann an der Spitze, der kraft seiner eigenen Autorität allein entscheidet. Er sollte – wie Martin Niemöller es einmal ausgedrückt hat – sich immer fragen: Was würde Jesus dazu sagen?

Wie gesagt: Es ist ein widersprüchliches Gespräch, das eigentlich in den Beichtstuhl gehört und dennoch öffentlich geführt wird, in dem einer zum Leiter ernannt und seine Autorität doch dabei so sehr in die Mangel genommen wird. Er bekommt eine hohe Autorität und doch wird sie rückgebunden an die Autorität eines anderen. Führen kann er nur, wenn er sich unter die Autorität eines anderen stellt. Von weltlicher Macht und weltlichem Glanz kann jedenfalls keine Rede sein.

Am Ende hat Franz Müntefering sich wohl getäuscht. Sowohl was das Amt des Papstes angeht, als auch was das eigene Amt betrifft. Vermutlich hat er sich die Autorität des Papstes für die eigene Funktion gewünscht. Dabei hätte er doch wissen können, wie die Menschen und vor allem die eigenen Untergebenen mit Autorität umgehen. Dass sie ziemlich schnell revoltieren, wenn ihnen wichtige Entscheidungen nicht passen. Aus der Geschichte der eigenen Partei hätte er es wissen können. Und auch in der Geschichte des Papstamtes hätte er Lehren ziehen können.
Ob er an die Unfehlbarkeit des Papstamtes glaubte? Ob er selbst sich eine solche Unfehlbarkeit wünschte? Vielleicht hätte er sich das Gespräch Jesu mit Petrus ansehen sollen. Hier wird Petrus ganz gewiss keine Unfehlbarkeit zugesprochen. Petrus wird gesagt: Du kannst schlimme Fehler machen, aber dennoch sollst du die anderen führen. Und der, der nach dir kommt, wird vielleicht auch schlimme Fehler machen, aber wenn er nach meinem Willen handelt, wird er der richtige sein. Wichtig ist, dass er im Gebet und im Hören auf mein Wort bleibt.

Perikope
01.05.2022
21,15-19

Von der Herrlichkeit des Palmsonntags und der Herrlichkeit der Auferstehung - Predigt zu Joh 17,1-8 von Andreas Pawlas

Von der Herrlichkeit des Palmsonntags und der Herrlichkeit der Auferstehung - Predigt zu Joh 17,1-8 von Andreas Pawlas
17,1-8

Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.

 

Liebe Gemeinde!

Wie wir vorhin im Evangelium gehört haben, ist das Thema des Palmsonntags der Einzug Jesu in Jerusalem. Und solche Einzüge kennen wir doch. Ja, wir wissen doch wie das ist, wenn große Stars, Helden, Politiker in eine Stadt einziehen! Da gibt es Trompeten- und Fanfarengeschmetter, mit Eskorte vorweg und hinterher. Dann folgt üblicherweise der Empfang beim Bürgermeister, mit Übergabe des Schlüssels der Stadt, mit Volkstanz und Besichtigung der wichtigsten Baudenkmäler und Fabriken. So etwas ist eben ein großes Fest, bei dem die Menge jubelt, hin und her wogt und der Hauptperson entgegen zieht. Ob sich Putin vorgestellt hat, so in Kiew empfangen zu werden?

Aber nun zurück von den aktuellen schlimmen, vom Krieg geprägten Ereignissen in das damalige Jerusalem, das in gewisser Weise ähnlich vom Krieg geprägt war. Wie wir im Evangelium gehört hatten, nimmt nun die Volksmenge, da sie keinen roten Teppich zum Ausrollen vorrätig hat, stattdessen Palmzweige, breitet ihre Kleider auf den Weg und ruft: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“ Ja, so lässt sie den großen Wundertäter hochleben, den viel gerühmten Wundertäter, der doch Lazarus von den Toten auferweckt hatte.

Jedem Politiker muss es jetzt sofort in die Augen springen, was dieser Einzug Jesu in Jerusalem für eine Chance ist, die Massen zu formen und zu beeinflussen. Und ich glaube, die Pharisäer und Führer des Alten Gottesvolkes, die sehen es genau so: Denn wenn Jesus jetzt in diesem so günstigen Augenblick das richtige zündende Wort sagen würde, wenn er jetzt die Zügel fest in die Hand nehmen würde, die Massen jetzt richtig lenken würde, dann hätte er alle Macht über sie! Dann müssten nicht mehr die Waffen sprechen. Und was für Hoffnungen und Sehnsüchte könnten so endlich erfüllt werden! Wieviel Gutes und Notwendiges, könnte so endlich erreicht werden! Gutes und Notwendiges, das diese gequälte und geschundene Welt mit einem Schlage verbessern würde. Und wer sonst, wenn nicht der Christus, der Gesalbte, der Messias, könnte und müßte doch hier endlich alles besser machen! Und außerdem wäre doch dabei von ihm als göttlichem Menschen kein Missbrauch zu befürchten. Ja, was für eine Chance!

Jedoch, ganz genau aus dieser turbulenten Palmsonntagsszene, wie sie nun einmal zum Sonntag vor Ostern damals wie heute gehört, zieht uns heute unser Predigttext sanft aber bestimmt heraus. Warum denn das? Doch, um uns um so konzentrierter auf das Osterfest vorzubereiten. Aus allem diesem Trubel nimmt er uns heute mit zu diesem besinnlichen Abschnitt aus dem Johannesevangelium, der traditionell als „Abschiedsreden“ Jesu bezeichnet wurde.
Was für ein Kontrast! Denn da schallt uns nicht lauthals die Verkündigung eines umwerfenden politischen Programms entgegen, wie es zu einem triumphal nach Jerusalem einziehenden Messias gehören würde, sondern wir dürfen jetzt Zeuge eines persönlichen Gebets werden, eines Gebets, in dem Jesus Zwiesprache hält mit seinem und unserem Vater im Himmel.

Und so merkwürdig das ist, trotzdem geht es dabei in Vorbereitung auf das Osterfest genau um das Thema des Einzugs in Jerusalem, nämlich um Verherrlichung und Macht. Aber das in einem Gebet? So macht man das doch nicht! Seit Urzeiten macht man das so nicht! Denn wir haben doch alle vor Augen, wie die Mächtigen der heutigen Zeit sich aus gutem Grund mit Paraden und Konfetti und am besten noch Freibier verherrlichen und ihre Macht feiern lassen.
Aber halt! Wenn es nun um eine solche menschliche Verherrlichung und Macht eben am Palmsonntag nicht gehen soll und es auch zu Ostern nicht gehen soll, worum es geht dann? Es geht um Verherrlichung und Macht von Gott und vor Gott! Es geht dabei um ewiges Leben! Ja, das ewige Leben!
Jedoch: Wie sollte so etwas Unbegreifliches wie ewiges Leben uns normalen Menschen verständlich sein und angehen? Wie sollten wir denn einen Sinn dafür haben, da doch einfach alles an uns vergänglich ist? Wie sollten wir als elend sterbliche Menschen so etwas Unsterbliches vernehmen und für uns annehmen können – zumal es offenbar nicht mit großem Getöse, sondern in der Stille des Gebetes zum Ausdruck kommt?

Aber ehe uns diese Unbegreiflichkeit des ewigen Lebens völlig sprachlos macht, lasst es uns mit einer negativen Abgrenzung versuchen: Sind wir uns nicht einig darüber, dass ewiges Leben auf keinen Fall das ausmachen dürfte, was in vielen Völkern von ihm geglaubt wird, nämlich dass es so eine Art Schlaraffenland sei oder eine Art Austobe-Wiese für Machos. Nein, wir hören in unserem Predigttext nichts davon, dass ewiges Leben etwa mit gebratenen Tauben zu tun hat, die einem in den Mund fliegen – aber doch mit wahrer Gotteserkenntnis. Denn so bekräftigt unser Predigttext: Der ist in das ewige Leben hineingenommen, wer den wahren Gott erkennt und den von ihm gesandten Jesus Christus.

Wohlgemerkt, nichts gegen große feierliche Prozessionen, aber heute ist der entscheidende Ort dieser Erkenntnis die Besinnung im Gebet, ist heute, sich dem Wort Gottes in der Stille zu öffnen, und sodann, die Liebe Gottes als Nächstenliebe weiterzugeben. Der entscheidende Ort dieser Erkenntnis ist heute die ganz persönliche Ergriffenheit von der Ewigkeit Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes, der dadurch verherrlicht wird.

Allerdings ist meist für uns normale Menschen und in unserem Alltag eine solche Berührung mit der Ewigkeit nur bestenfalls dunkel erahnbar. Jedoch, was ist es da für ein großes Geschenk, dass wir uns in jedem Osterfest wieder die Überwindung der Vergänglichkeit des Todes durch das ewige Leben, durch die Auferstehung Jesu Christi vergegenwärtigen dürfen. Was ist es da für ein großes Geschenk, dass wir uns in jedem Osterfest wieder einüben dürfen in diese unserem Alltag so fremde Dimension. Dass wir uns dadurch hineinnehmen lassen dürfen in die Gewissheit, dass die Macht und Herrlichkeit Gottes etwas ganz anderes ist als prachtvoll repräsentative Einmärsche mit Würstchen und Kartoffelsalat und Freibier.

Allerdings bringt Ewigkeit, wie sie zur Macht und Herrlichkeit Gottes gehört, noch eine ganz andere und einfach unfassbare Dimensionen mit sich: Denn Ewigkeit will sich nicht nur auf die beschränkten Ebenen unseres persönlichen Bewusstseins erstrecken, sondern existierte schon in aller Herrlichkeit, ehe die Welt war.
Ja, in der Berührung mit dem Ewigen wird alles Begrenzte dieser Welt durchbrochen, alle Einschränkungen gelöst, alle Verkürzungen werden ausgeglichen, alles Unerfüllte erfüllt. Und das wirklich Unfassbare dabei ist, dass wir als Glaubende uns in genau diese Ewigkeit eingezeichnet wissen dürfen. Unbegreiflich, aber doch wunderbar! Und wie kann das Paul Gerhardt in seinem anrührenden Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier“ so schön ausdrücken:

„Da ich noch nicht geboren war,
da bist du mir geboren
und hast mich dir zu eigen gar,
eh ich dich kannt, erkoren.
Eh ich durch deine Hand gemacht,
da hast du schon bei dir bedacht,
wie du mein wolltest werden.“

Ja, daran dürfen wir glauben und unser Leben danach ausrichten, dass genau Du und ich diejenigen Menschen sind, die unser Gott diesem Jesus Christus aus der Welt gegeben hat, so, wie es in unserem Bibelwort heißt.

Wohl dem, der das wirklich fassen kann! Wohl dem, der darüber staunen kann! Wohl dem, den das völlig erfüllen kann! Was sollte der noch in diesem Leben brauchen?

Aber, was heißt das denn jetzt für unser widerspenstiges Alltagsleben, in dem Vieles so ganz anders ist als wir es uns vorstellen? In der es Krieg, Flucht und Vertreibung gibt, aber auch den so wichtigen Waffendienst zum Schutz des Nächsten? Sollten wir jetzt etwa dieser Welt völlig entrückt sein? Sollte uns jetzt die Not und alles Versagen auf dieser Welt nichts mehr anhaben können? Sollten wir z.B. jetzt nicht mehr zur Hilfe für Menschen in Not gefordert sein oder nicht mehr krank werden, also jetzt richtig unverletzlich sein?

Natürlich hat sich das die Menschheit schon immer gewünscht. Und vielleicht wäre es sogar ungesund sich so etwas nicht zu wünschen. Aber eigentlich wissen wir alle genau, dass das ziemlich unrealistisch ist. Nein, solange wir auf dieser Welt leben, wird uns Not, Versagen und Schuld auf dieser Welt anrühren.

Aber was heißt das wiederum für uns? Heißt das, dass wir uns mit allem Reden über Ewigkeit und die Macht und Herrlichkeit Gottes letztlich nur irgendetwas selbst vormachen? Immerhin wissen wir, dass es genügend kluge Leute auf dieser Welt gibt, die genau das von der Christenheit behaupten.

Was wir dem entgegen zu halten haben? Doch allein Christus! Denn auch Jesus Christus hat sich von den Nöten dieser Welt nicht abgehoben entzogen, sondern sich von ihnen anrühren lassen! Obwohl er aus aller Ewigkeit gekommen ist und zu Gottes Ewigkeit gehört, ist Christus doch allem Leid und allem Übel auf dieser Welt nicht ausgewichen in die Herrlichkeit des himmlischen Vaters, aus der er kam. Nein, er hat sogar scheinbar alles Übel auf dieser Welt übermächtig werden lassen und sich ans Kreuz schlagen lassen und ist dort den Tod eines Menschen gestorben.
Und auch mit genau diesem Tod wollten ihn doch die damaligen Mächtigen als billigen Scharlatan entzaubern, ihn auf dem sogenannten „Boden der Tatsachen“ zerschmettern. So wollten sie das von ihm verkündete Reich Gottes als Traumtänzerei entlarven.

Und warum ist ihnen das nicht gelungen? Doch weil Christus auferstanden ist! Weil er eben in diese Ewigkeit aufgenommen wurde, aus der er kam und in der er ist. Und weil dann Menschen angerührt wurden von dieser Ewigkeit. Und weil dann Menschen etwas von Gottes ewigem Wesen erfahren durften. Ja, auch in Not, Versagen und Schuld dieser Welt durften sie sich gewiss werden, dass Gottes Güte und Barmherzigkeit größer sind als alles Schlimme dieser Welt. So haben sie Gott als wahren Gott erkannt. Und so haben sie Christus als den von ihm gesandten Sohn erkannt.

Auch wenn schlimmste Schmerzen einem die Besinnung rauben wollen und selbst wenn man keine Tränen mehr hat: Wer so zu glauben wagt, den beginnt schon Gottes Macht und Herrlichkeit zu umfangen. Was will sich da alles eröffnen in dem Gebet, das sich darauf verlässt! Und was für ein Trost auch für den, der in den Augen der Welt zerbrochen ist, der in Leid und Elend untergegangen ist: Nein, wer so glauben kann, der darf sich mit Leib und Seele gewiss sein, dass er zu den Menschen gehört, die Gott der Vater dem Sohn aus der Welt gegeben hat. Und genau in dem Staunen darüber, genau in dem Weinen darüber, genau in dem Jubeln darüber: Dadurch wird Christus verherrlicht, und dadurch wird Gott der Vater verherrlicht. Denn dadurch wird Gottes Wort und Verheißung erkannt und bewahrt!

Nicht im Rummel eines Volksfestes, sondern in der Öffnung der Herzen im Gebet will und darf sich Ewigkeit ereignen, will und darf somit österliche Auferstehung bereits am Palmsonntag beginnen. Und so Gott, Vater, Sohn und Hl. Geist verherrlicht werden. Gott sei Dank! Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastor i.R. Dr. Andreas Pawlas

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine Vorstadt-Gemeinde versammelt, Alt und Jung sind beieinander. Kinder sind zuerst beim Gottesdienst dabei, dann aber kommt nach dem Evangelium der Auszug der Kinder zum parallelen Kindergottesdienst.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Dimension der Ewigkeit im aufrichtigen Gebet.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
In Gebetsgewissheit in die unterschiedlichen Gestalten der Wirklichkeit schauen und dort das ewige göttliche Wirken erhoffen, erbitten, aber auch dankbar entdecken.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe gern die Anregung des Predigtcoaches zur anfänglichen Konzentration auf das Palmsonntagsgeschehen wahrgenommen.

Perikope
10.04.2022
17,1-8

Ein Festtag gegen alle aufkommende Wehmut - Predigt zu Joh 1,15-18 von Thomas Volk

Ein Festtag gegen alle aufkommende Wehmut - Predigt zu Joh 1,15-18 von Thomas Volk
1,15-18

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,

wenn der 6. Januar - wie in diesem Jahr - auf einen Donnerstag fällt, hat man nach Weihnachten und dem Jahreswechsel noch einmal ein ganzes Wochenende vor sich. Das klingt richtig gut. Wie geht es Ihnen mit dieser Aussicht? Freuen Sie auf die vielen Möglichkeiten, die sich anbieten? Weihnachten nachklingen lassen. Ausspannen. Jemanden besuchen. In aller Ruhe mit jemandem telefonieren oder skypen. Das Buch doch noch zu Ende lesen. Oder etwas in aller Ruhe erledigen, was Sie schon lange auf Ihrer To-Do-Liste hatten.
Oder merken Sie in diesen ersten Tagen bereits, wie das neue Jahr schon seine Schatten voraus wirft? Wie die Idylle der Feiertage von Tag zu Tag mehr verblasst? Wie der Alltag mit jedem Aufstehen näherkommt und wie manche dunkle Wolken, die in den vergangenen zwei Wochen wie weggezogen waren, mit einem Mal wieder näher kommen?
Für alle, die spüren, dass man das kommende Wochenende doch nicht mehr so unbeschwert genießen kann, ist der heutige Epiphaniastag genau das richtige Fest. Epiphanias heißt „Erscheinung.“ Aufleuchten der „Herrlichkeit Gottes“. Nicht nur ein letztes Mal heute, an dem Tag, an dem die drei Weisen zur Krippe kommen. Dieser Tag will uns gewiss machen: Gottes Herrlichkeit verschwindet eben nicht aus unserem Leben wie die Weihnachtsdeko aus dem Wohnzimmer. Gottes Herrlichkeit bleibt. Auch nach den Festtagen. Bleibt im kommenden Alltag. Bleibt bei allen Veränderungen. Bleibt auch, wenn dunkle Wolken aufziehen. Und das heutige Schriftwort, das Sie gleich hören werden, setzt sogar noch einen drauf. Es behauptet: Gottes Herrlichkeit ist nicht nur unser ständiger Begleiter. Sie ist uns bereits voraus. Sie wartet auf uns, wenn wir in diesem Jahr wieder unterwegs sind.

Hören Sie aus dem Johannesevangelium, aus dem 1. Kapitel, die folgenden Verse:

15 Johannes trat als sein Zeuge auf.
Er rief: „Diesen habe ich gemeint, als ich sagte:
›Nach mir kommt einer, der mir immer schon voraus ist.
Denn lange vor mir war er schon da.‹“

16 Aus seinem Reichtum hat er uns beschenkt -
mit überreicher Gnade.

17 Durch Mose hat Gott uns das Gesetz gegeben.‘
Durch Jesus Christus sind die Gnade und die Wahrheit
zu uns gekommen.

18 Kein Mensch hat Gott jemals gesehen.
Nur der eine, der Mensch geworden ist,
selbst Gott ist und an der Seite des Vaters sitzt –
der hat uns über ihn Auskunft gegeben.

Das Johannesevangelium hat im 1. Kapitel so gar nichts von den uns bekannten Weihnachtserzählungen. Es lässt dafür schon bald Johannes den Täufer auftreten und die neue Übersetzung der Basis Bibel lässt ihn etwas Erstaunliches sagen. Christus ist ihm, Johannes, „immer schon voraus“ (V. 15) gewesen. Worin? In der Frage, was man von Gott erwarten darf.

Johannes der Täufer hat den Menschen einen strengen Gott vor Augen geführt, der möchte, dass die Menschen Buße tun. Johannes hat gemeint, dass die Menschen durch Reue und Umkehr Gott wirklich näher kommen könnten. Dazu hat er Gott mit sehr menschlichen Zügen umschrieben. Johannes stellt sich Gott wie jemanden vor, der richtig wütend und zornig werden kann, wenn jemand wieder hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben ist. Auch wenn manche Menschen hin und wieder eine deutliche Ansprache brauchen, so bewirken Drohungen bei der Mehrheit das genaue Gegenteil. Wenn jemand auch nach dem zehnten Mal zurechtgewiesen wurde, weil er wieder diese eine Aufgabe nicht geschafft hat, wird er es beim elften Mal sehr wahrscheinlich auch nicht schaffen. Johannes hat übersehen, dass durch alle harten Zurechtweisungen noch mehr Mut und Vertrauen abgegraben werden.
Und heute, nachdem sich Menschen fast 2.000 Jahre mit dem Neuen Testament befasst haben, ist eigentlich allen klar, dass der Sinn von Religion ein ganz anderer ist, nämlich: den Menschen alle möglichen Ängste zu nehmen. Die Menschen haben schon genügend zu tragen und man muss ihnen nicht auch noch einen strengen Gott vor Augen führen, der sich wie ein cholerischer Vorgesetzter benimmt und ständig auf dem Rücken seines Personals herumtanzt.

Jesus dagegen wollte auch, dass die Menschen umkehren und neue Wege in ihrem Leben erproben. Aber das Johannesevangelium sagt selbst: „Durch Jesus Christus ist die „Gnade“ zu uns gekommen“ (vgl. V. 17). Und die ist an Weihnachten sichtbar aufgeleuchtet. Im Stall von Bethlehem. Aber nicht nur damals und nur dort. Sie geht an jedem Morgen neu auf. Sie erwartet uns regelrecht jeden Tag aufs Neue. Sie leuchtet die nächste Etappe unseres Lebensweges aus. Und sie ist bereits da, wenn wir einen stürmischen Tag oder eine mühevolle Zeit hinter uns haben.
Der Epiphaniastag macht noch einmal klar: „Gottes Herrlichkeit“ ist niemand anderes als Christus. Christus, das „Licht der Welt“ (vgl. Johannes 8,12) gibt wenige Tage nach Neujahr sozusagen noch einmal den Startschuss in das neue Jahr: „Komm, mach dich auf. In dein neues Kalenderjahr. Mit aller Vorfreude. Mit aller Verletzlichkeit. Mit allem, was dir Angst macht. Geh los, auch wenn du manches heute noch nicht abschätzen kannst.“ Christus begleitet dich nicht nur auf deinen Wegen. Es ist dir immer schon voraus. Wie wenn du am Ufer eines Flusses stehst, in ein Boot einsteigst und flussabwärts fährst. Wo auch immer du an Land gehst, wo auch immer deine Lebensreise dich in diesem Jahr hinführt, erwartet dich bereits dort Christus. In der Sprache von Epiphanias: Der „Stern von Bethlehem“ geht dir, wie bei den Weisen, immer voraus. Jesus, der „Morgenstern“, wird immer wieder neu in deinem Herzen aufgehen und dir Mut machen, auch neue und ungewohnte Wege einzuschlagen, weil sein Licht dich an vielen Orten erwartet. Christus, als „Sonne der Gerechtigkeit“, schenkt dir Achtung und Würde, auch wenn du in den Augen anderer vielleicht nicht „top“ bist. So gesehen ist Epiphanias ein richtig trotziges Fest, das uns mutig machen möchte auch manchem Sturm entgegenzutreten.
Und wenn Sie zu den Menschen wie ich gehören, die nicht zu den mutigsten zählen und immer sichtbare Zeichen oder Hinweise brauchen, die auch in den kommenden Tagen und Wochen gewiss machen, dass Christus wirklich immer schon voraus ist und auf uns wartet, dann habe ich eine Idee für Sie. Ich lasse gerade nach diesen trüben und nebligen Wochen im November und Dezember meinen Herrnhuter Stern bis zum 2. Februar an meinem Fenster hängen, bis man das Licht draußen wieder „messen“ kann, weil es deutlich länger hell bleibt. Vielleicht lasse ich ihn auch so lange am Fenster, bis ich so viel Zuversicht geschöpft habe, dass Christus als Licht der Welt auch wirklich da ist, mich immer wieder erwartet und ich den Stern als Erinnerungszeichen nicht mehr brauche.

Und wenn Sie in diesen Tagen bereits alles wieder abhängen und einpacken, dann bekommen Sie eine Erinnerung mit in das neue Jahr. Der heutige Abschnitt sagt es indirekt mit diesem kleinen Satz: „Aus seinem Reichtum hat er uns beschenkt mit überreicher Gnade“ (V. 16). Das ist ein guter Hinwies, vor allem dann, wenn man die „Herrlichkeit Gottes“ gerade so gar nicht spürt oder wenn man kein Licht am Ende des Tunnels sieht. Ich frage mich dann immer: „Hast du schon vergessen? Wie oft bist du von Christus schon beschenkt worden? Als du diese eine lange Durststrecke doch geschafft hast. Als du diese eine Sache, die einfach nicht gut lief, doch einfach so stehen lassen konntest. Oder als ich gemerkt habe, dass doch eine neue Türe aufgegangen ist, als die eine vertraute für immer zu war. Und Christus hat mich dahinter bereits erwartet.“
Und wenn sie zu Weihnachten oder zum neuen Jahr einen lieben Brief mit der ganz aktuellen Weihnachtsbriefmarke der Post bekamen, haben Sie an diesem Jahreswechsel noch einen zusätzlichen Hinweis erhalten. Der leise und behutsam wirkende Engel in goldenem Gewand und einem Reif im Haar trägt in der rechten Hand eine weiße Lilie, ein Symbol, das Menschen früher als Zeichen für Gottes Gnade gedeutet haben. Diese Weihnachtsbriefmarke ist nur eines von vielen Zeichen, das deutlich macht: Gottes Gnade begleitet dich. Und sie wird dich auch im neuen Jahr beschenken. Gottes Gnade steht immer für Neubeginn, für Bewältigung von Furcht und Sorge, für Aufbrechenkönnen in ungewisse Zeiten, für mutiges Losgehen.

Auf alle Fälle ist Epiphanias ein widerspenstiges Fest gegen alle Wehmut, dass etwas im Leben vorbei sein könnte oder nie wiederkommt. Es gibt auch in diesem neuen Jahr viel zu entdecken und zu verstehen. Mein Herrnhuter Stern erinnert mich noch eine Zeitlang daran. Oder vielleicht auch manche Kerze, die vielleicht das ganze Jahr über stehen bleibt, bis sie endgültig abgebrannt ist. Oder vielleicht etwas Anderes von Weihnachten, das daran erinnert: Christus, als Licht der Welt, ist längst alle Wege vorausgegangen und wartet auf Sie und mich. Vielleicht im Frühjahr auf einer Parkbank. Im Arztzimmer. Bei einem guten Gespräch. Auf der neuen Stelle. Beim Umzug in die neue Wohnung. In einem ermutigenden Gottesdienst. Oder … . Wir werden es dann schon merken.

Und die Weite Gottes, die alle Zeit umfängt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Thomas Volk

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe vor allem die Menschen vor Augen, die nach „zwei Wochen Weihnachtspause“ bald wieder in ihren Alltag hinaus müssen. Ich habe die Predigt für alle geschrieben, die merken, dass manches Belastende vom alten Jahr von Tag zu Tag wieder näher kommt und alle Zuversicht - auch die, die man von Weihnachten geschöpft hat - wieder abgräbt.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat beflügelt und inspiriert, dass es im Leben doch nicht darum gehen kann, dass wir immer dann, wenn Unangenehmes auf uns zukommt oder manches Belastende auftaucht, wir in einen „Verzagtheits-Modus“ umschalten. Der christliche Glaube ist doch kein „Schönwetter-Glaube“ oder der „Zuckerguss“ über unserem ohnehin abgesicherten Leben. Unser Glaube macht doch Mut, schenkt Zuversicht und lässt sich nicht von schlechten Aussichten blenden.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Übersetzung der Basis Bibel aus Johannes 1,15, dass Christus uns „immer schon voraus“ ist (Johannes 1,15). Eine geniale Umschreibung. Das nehme ich mit ins neue Jahr. Christus ist mir voraus. Er erwartet mich an bestimmten Wegmarkierungen. Und ich höre ihn schon sagen: „Junge, stress dich bloß nicht. Wir kriegen das schon hin!“

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das Coaching war richtig gut. Ich hatte in meinem ersten Entwurf die Tendenz, dass ich die drohenden Schatten doch zu sehr ausmale. Meine Absicht, das neue Jahr trotzig-mutig anzugehen, wäre dabei vielleicht untergegangen. Und es lohnt sich bei einem Thema zu bleiben. Ich habe versucht, bei diesem „Voraussein“ zu bleiben und nicht auf andere Themen wie „Licht“ oder „Stern“ abzuschweifen.

Perikope
06.01.2022
1,15-18