Der neue Nachbar - Predigt zu Johannes 1, 14 von Anne-Kathrin Kruse

Der neue Nachbar - Predigt zu Johannes 1, 14 von Anne-Kathrin Kruse
1,14

(die kursiv gedruckten Überschriften werden nicht gelesen)

I. Ein neuer Nachbar

Die Wohnung nebenan stand lange leer. Keine Ahnung, warum. Jetzt ist jemand eingezogen, heißt es. Wir sind uns noch nicht begegnet. Aber freundlich scheint er zu sein. Hat vor jeder Wohnungstür im Haus ein Fladenbrot,  wie es der türkische Laden bei der Moschee um die Ecke hat,  und eine kleine Flasche Wein gestellt. Etwas ungewöhnlich,  wo die meisten Muslime doch gar keinen Wein trinken… Aber man hört so manches im Treppenhaus: Jude soll er nämlich sein, und auch noch aus Israel… Na, hoffentlich gibt das keinen Ärger im Haus. Juden hatten wir hier noch nie.

II. Gott zieht um.

Weit spannt er das Dach seines Zeltes – weltweit. Mit seinem Wort ist er gegenwärtig, schafft Himmel und Erde – und Leben. Zuerst und für immer wohnt er bei seinem Volk. Im Wüstenzelt, später im Tempel in Jerusalem. Aber seine Gegenwart beschränkt sich nicht darauf, überall ist er zu finden,  in der Wüste, auf Bergen, in Krankenhäusern und Gefängnissen, am Bahnhof, in Flüchtlingslagern wie in der Unterkunft für Wohnungslose. In Gottes Geschichte ist das nicht neu –  dass er sich der Welt zuwendet und in ihr wohnt. Durch die Propheten redet er mit seinem Volk Israel, rettet und befreit mit seinem Wort, zieht es durch Wasserfluten, zeigt ihm den Weg durch Wüstenzeiten, mahnt und tröstet. Gott macht sich klein  und begegnet seinem Volk auf Augenhöhe. Umsorgt es, isst und trinkt mit ihm. Schenkt ihm seine Gebote, damit Jüdinnen und Juden  in Gerechtigkeit und Frieden leben können. Der Mensch lebt schließlich nicht vom Brot allein, sondern von allem, was Gott über die Lippen kommt. Dtn 8, 3

III. Gott wohnt unter uns…

Gestern Abend klingelt es. Eigentlich haben wir es uns gerade  am Christbaum gemütlich gemacht. Die Geschenke sind ausgepackt. Die Begeisterung der Kinder weicht einer stillen Freude. Sie sind vollauf damit beschäftigt, alles auszuprobieren. Der Glühwein dampft in den Gläsern,  die Weihnachtsbrötle haben wir aus ihrem Versteck geholt und endlich zum Naschen freigegeben. Jetzt steht er im Flur  und druckst in gebrochenem Deutsch etwas herum. Nicht stören will er. Neu sei er hier und noch fremd. Ein bisschen Heimweh habe er. Und übrigens heiße er Jehoshua. Jehoshua - so einen Namen hatten wir noch nie gehört.

IV. Gottes Wort wird Fleisch und wohnt unter uns.

Gottes Wort bekommt Hand und Fuß, Einer aus Fleisch und Blut kommt und wohnt über, neben, unter uns. Mittendrin. Was wohl an seiner Türklingel steht? Jesus Christus – eben Vor- und Nachname? Nicht wirklich! Das Christkind ist nicht eines von uns. Das Christkind ist ein Judenkind. Von einer jüdischen Mutter  geboren, wie jeder jüdische Junge nach 8 Tagen beschnitten, mit 13 wurde er Bar Mizwa  und damit vor Gott für seine Taten selbstverantwortlich. Leidenschaftlich streitet er für die Tora, Gottes heilige Gebote, an denen kein Jota verändert werden darf. Und – selbstverständlich - spricht er hebräisch. Ja, Gott spricht hebräisch. Gottes Wort muss für uns übersetzt werden. Es ist nicht immer leicht zu verstehen. Jehoshua, auf Deutsch: Gott rettet. Und: Christus – kein Nachname. Ein Ehrentitel, aus dem Hebräischen übersetzt:  der Messias, der kommt, von Gott gesandt am Ende aller Tage, um Israel zu retten und das Reich Gottes auszurufen in aller Welt. Das Heil kommt von den Juden, wie es später im Johannesevangelium heißt.  Joh 4, 22b Gott ist zuerst in seinem jüdischen Volk zur Welt gekommen. Auch in der Weihnacht kommt er in diesem jüdischen Volk zur Welt. Und zwar weniger in einem Stall, als in einer Höhle im jüdäischen Gebirge nahe Bethlehem, damals in der früheren Provinz Judäa, heute im palästinensischen Autonomiegebiet.

V. Und wir sahen seine Herrlichkeit…

Eigentlich wollten wir ja an diesem denkwürdigen Weihnachtsabend  lieber unter uns bleiben. Aber nun ist er schon mal da, dieser fremde Jehoshua. Neugierig hat er uns gemacht. Erzählt, wo er herkommt. Worauf er hofft. Was er als seine Lebensaufgabe sieht: Wie Gottes Wort die Menschen jenseits des jüdischen Volkes ansprechen. Die suchen, die andere längst abgeschrieben haben. Oder die sich selbst abgeschrieben haben.

An Grenzen gehen. Verbinden, was getrennt ist. Worte sagen, die lebendig machen.  Dafür sorgen, dass die Welt in einem neuen Licht erstrahlt. Auch die Kinder werden mittlerweile neugierig auf diesen Fremden, klettern uns auf den Schoß, schauen ihn mit großen Augen an  und hängen förmlich an seinen Lippen. Wir wohnen Wort an Wort. Sag mir  dein liebstes  Freund  meines heißt Du.1 Wort Gottes spricht an, knüpft Kontakt, schafft Beziehung, bewegt, macht lebendig.  Leuchtet und strahlt.  Gott bleibt nicht nebulös. Gibt sich im Wort zu erkennen. 

VI. In meines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen.

Was mir aber nicht aus dem Sinn geht, waren Sätze wie diese: In meines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen. Die Wohnung für sein jüdisches Volkes, aber auch Wohnungen für die anderen, nichtjüdischen  Völker. Sie sollen nicht verloren gehen. Auch sie sollen einen Platz bei Gott haben. Keine Wohnungsnot, kein Mangel. Es gibt genug Platz für alle.Und: Ich bin die Tür. Joh 10, 9 Die Tür zu Gottes Wohnung, die uns offen steht. Durch ihn führt der Weg zu Gott… Oder doch umgekehrt?  Durch ihn kommt Gottes lebendiges und befreiendes Wort zu uns! Und wir sehen seine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit. Gott zieht um und wohnt unter uns wie bei seinem Volk. In seinem Hause gibt es viele Wohnungen. Weihnachten – ein Kapitel in den Liebesgeschichten Gottes  mit dem Volk  Israel, mit uns Nichtjuden, mit seiner ganzen Schöpfung.Für uns das Entscheidende.

VII. Unser Herz brannte Lk 24, 32

Spät wurde es gestern Abend – in dieser Heiligen Nacht. Keine Schein-Idylle im Stall samt Ochs und Esel. Auch keine Hirten. Vielleicht ein paar Engel… Dafür stießen im Laufe des Abends noch ein paar Nachbarn dazu, von unserem fröhlichen Lachen angelockt. Brachten die Fladenbrote und den Wein mit. Und er dankte, brach das Brot und gab es uns. Dankte für den Wein, gab ihn uns. Das tut zu meinem Gedächtnis… Und unser Herz brannte.

Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns,

und wir sahen seine Herrlichkeit,

eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,

voller Gnade und Wahrheit.

 

Amen.

 

1 I Rose Ausländer, in: Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg, Stuttgart 1996, S. 819

Perikope
25.12.2018
1,14

„Heile Familie“ – Predigt zu 1. Johannes 3,1-6 von Andreas Schwarz

„Heile Familie“ – Predigt zu 1. Johannes 3,1-6 von Andreas Schwarz
3,1-6

Herr, gib uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für dein Wort. Amen.

Alexander ist ein aufgeweckter Junge. Begeisterter Fußballspieler und freundlicher Schüler. Mit seinen 11 Jahren ist er auffällig reif. Vielleicht liegt das an seinen besonderen Lebensumständen. Seine Eltern sind vom Balkan nach Deutschland gekommen. Weil der Vater gewalttätig ist, hat sich die Mutter von ihm getrennt. Um ihren Sohn kümmert sie sich vorbildlich. Die Beiden lieben einander sehr, leben aber in ständiger Angst vor dem Ehemann und Vater. Und eines Nachts geschieht es. Er kommt in die Wohnung und tötet seine Ehefrau. Der Junge hat alles mitbekommen. Der freundliche Polizist Carlos Benede begleitet ihn in der  nächsten Zeit. Der Junge sagt auf eigenen Wunsch im Prozess gegen seinen Vater aus, der ihm das Liebste im Leben genommen hat. Nie will er ihn wiedersehen. Aber er hat keinen Menschen mehr, er muss ins Heim. So richtig gut geht es ihm dort nicht. Eines Tages bittet der Heimleiter den Polizisten, ins Heim zu kommen. Er teilt ihm mit, Alexander habe den Wunsch geäußert, einen Vater zu haben, der so sei wie der Polizist. Ob er ihn nicht als Pflegesohn aufnehmen wolle. Der Polizist, unverheiratet und alleinlebend, nimmt den Jungen zu sich und kümmert sich um ihn. Eines Tages klingelt das Telefon, der Junge geht ran. Als er aufgelegt hat, spricht der Polizist ihn an: Du hast Dich mit meinem Nachnamen ‚Benede‘ gemeldet. Ja, sagt der Junge, ich möchte so heißen wie Du. Das geht aber doch nur, wenn ich dich adoptiere. Das will ich, sagt Alexander. Du sollst mein Vater sein.1

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Was für eine Aussage. Oder besser noch: Was für eine Zusage. Da ist von Liebe die Rede.  Und wer würde von sich sagen, die bräuchte er nicht? Bei allem guten Essen und Trinken in diesen Tagen. Es geht uns ja gut, wir müssen nichts entbehren, müssen auf nichts verzichten, können uns einiges leisten. Bei allen  Geschenken, die wir bekommen haben, über die wir uns gefreut haben. Die größere Wirkung darauf, ob wir uns wohlfühlen, ob es uns gutgeht, hat die Liebe. Dass wir spüren, wir sind mit Menschen zusammen, die uns wichtig sind, die uns am Herzen liegen.  Wir haben uns schon lange auf das Fest gefreut, weil wir dann wieder mit denen zusammen sind, mit denen wir zutiefst verbunden sind. Wir genießen die Zeit miteinander, essen, trinken, reden, spielen; wir erzählen voneinander, lachen miteinander, geben Ratschläge und Hilfe, wenn sie gewünscht sind. Wir sind Familie. Freuen uns darüber und sind dankbar. Wenn es denn so schön ist, wie gehofft.

Und wenn es denn so nicht ist, dann leiden wir darunter. Weil wir es gerne so hätten, weil wir uns danach sehnen, geliebt zu sein, wert geachtet zu sein, Teil einer Familie zu sein, in der man sich versteht, in der man füreinander da ist, sich zusammengehörend weiß und auch so erlebt, wo man zusammengehört, ohne etwas leisten und beweisen zu müssen. Die Verbindung ist die Liebe. Nichts als die Liebe. Darum freuen wir uns mit, wenn es einem gut geht. Darum haben wir Teil daran, wenn eine sich Sorgen macht. Darum leiden wir mit, wenn einer leidet; sind traurig, wenn es einer schlecht geht, weinen, wenn eine Beziehung endet, wenn einer geht. Wir sind verbunden im Guten und im Unangenehmen. Wir gehören zueinander – Mutter, Vater, Kinder.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

An Weihnachten macht Gott diese Zusage an uns. Und spricht damit die an, die dankbar sein dürfen für ihre guten Erfahrungen mit ihrer Familie. Und er spricht die an, die das vermissen, die gerade keine gelingende Familie erleben; Weil sie gar keine haben und einsam sind. Weil sie keine wollen, es verbindet uns ja doch nichts, wir streiten uns nur oder gehen uns aus dem Weg. Heile Familie? Heile Beziehungen? Da sind die Hoffnungen größer, als die Erfahrungen, das Scheitern zahlreicher als das Gelingen. Gute Aussichten für die Sehnsucht. Offene Ohren und Herzen für die Botschaft?

Heil ist das auch mit der so genannten Heiligen Familie nicht. Maria und Josef - noch nicht verheiratet. Maria - schwanger, aber nicht von Josef. Und als er es erfährt, plant er, sie heimlich zu verlassen. Geburt - in einer Notunterkunft. Fremde Hirten als erste Gäste an der Krippe. Ich kann mir heile Familie schon auch anders vorstellen.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Johannes verkündigt seiner Gemeinde eine Zusage, die wenig mit dem zu tun hat, was die Menschen erleben und kennen. Er verkündigt ihnen etwas, was sie ungläubig staunen lässt. Das passt mit ihrer Erfahrung gerade nicht zusammen. Weder in der Familie, noch in der Gemeinde. Unsere Liebe, unser Gefühl von Zusammengehörigkeit sind sehr bruchstückhaft; Verbindungen und Beziehungen sind sehr zerbrechlich, immer wieder bedroht. Wir wünschten es uns anders.

So wie Alexander, dem alles zerbrach, was ihm Sicherheit gegeben hatte, die Erfahrung geliebt und angenommen zu sein. Und dann erlebt er in dem Polizisten Carlos Benede einen Menschen, der einfach nur für ihn da ist, egal, was die anderen denken und sagen, egal, wie unsinnig das ist, wie unrealistisch. Er erlebt neu Geborgenheit und Liebe. Am Ende gibt Carlos Benede seinen Beruf als Polizist auf und leitet ein Heim für Jugendliche, die wie Alexander vor den Scherben ihres Lebens stehen und sich nach Liebe sehnen.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Wie schön oder belastend, wie gelingend und gestört Beziehungen und Familien sein mögen, an Weihnachten wird es vielleicht deutlicher als sonst im Jahr: du bist und bleibst Gottes Kind. Du bist geliebt. Du bist angenommen. Niemand macht Dir Deinen Platz in dieser Familie streitig, niemand nimmt Dir, was Dir geschenkt ist. Das ist seine Botschaft an diesem Tag. Was für eine Liebe! Unbeschreiblich, grenzenlos. Zu sehen in diesem Kind in der Krippe, geboren, für dich, aus lauter Liebe. Damit dein Leben gut wird. Sehet – sagt Johannes; ihr, die ihr zum Gottesdienst am Weihnachtsfest gekommen seid. Schmecket und sehet. An seinem Tisch, in seiner Familie sind alle willkommen, haben alle Platz, die die Einladung hören, sich freuen und kommen.

Wie immer die persönliche Lebenssituation ist, wie gelungen oder enttäuschend der gestrige Abend war. Hier gibt es für alle zu schmecken und zu sehen von der Liebe Gottes. Du bist gemeint, du bist geliebt, du bist eingeladen, du gehörst dazu, du bist Teil dieser Familie, bist Gottes Tochter, Gottes Sohn, sein Kind.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Das ist Weihnachten – und schöner kann es nicht sein, als geliebt zu sein, angenommen, wertgeachtet. Schade, dass Johannes nun auch noch von der Sünde redet. Muss das sein? An Weihnachten? Es hätte so ungetrübt sein können. Ist es aber ehrlicherweise nicht. Bei Alexander nicht. Bei der Gemeinde nicht, an die Johannes schreibt. In unseren Familien und Gemeinden nicht. Doppelt nicht. Missverständnisse bleiben nicht aus. Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Verstehen einander nicht, enttäuschen Erwartungen und Hoffnungen. Machen einander Vorwürfe, gesagt oder verschwiegen. Der Zusammenhalt ist bedroht und brüchig, bleibt an der Oberfläche. Vielleicht wird es nicht laut, wenn man zusammen ist, sondern eher ganz leise, weil man lieber schweigt, als zu streiten und dann wieder seine eigenen, ganz anderen Wege geht. Wie leicht gehen Dankbarkeit und Freude darüber verloren, Gottes Kinder zu sein. Als könnten wir Weihnachten machen oder retten oder sichern. Als müssten wir bestätigen, würdig zu sein, beschenkt zu werden. Wenn es an uns läge und was uns gelingt, nie würde Weihnachten werden. Wie in der Heiligen Nacht in Bethlehem, so wird heute nicht Weihnachten, weil Menschen zielsicher ein großes Fest vorbereitet haben. Es kam, weil er kam und darüber haben sich Menschen gefreut. Menschen, die mit nichts gerechnet hatten, die nicht erwartet hatten, dass sie jemand sieht, sie wahrnimmt, geschweige denn, sie liebt, die waren auf einmal gemeint und mitten drin und voller Freude. Unheile Familien wie Maria, Josef und das Kind. Die doch eine heile Familie wurden, weil sie von Gottes Liebe lebten.

Als Alexander auf grausame Weise seine Mutter verloren hatte, da erinnerte er sich daran, dass sie ihn jeden Morgen vor dem Weg in die Schule mit einem Kreuz auf der Stirn gesegnet hatte. Nachdem sie beerdigt war, ließ er sich taufen. Ich will dazu gehören. Beschenkt werden mit einer Liebe, die mir niemand nehmen kann. Nicht durch Gewalt, nicht durch Sünde und Schuld.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Amen.

1 I nach der Verfilmung der wahren Begebenheit von Carlos Benede https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/der-polizist-der-mord-und-das-kind-100.html ausgestrahlt am 11.12.2017 um 20.15 Uhr

Perikope
25.12.2017
3,1-6

Weihnachtspost - Predigt zu Johannes 1,3-6 von Manfred Wussow

Weihnachtspost - Predigt zu Johannes 1,3-6 von Manfred Wussow
1,3-6

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen noch erkannt.

 

Weihnachtspost

Die Überraschung ist gelungen. Ein Weihnachtsengel, ein Hirte, vielleicht auch ein Ochse erzählen uns ihre Geschichten. Geschichten aus der letzten Nacht. Geschichten von dem Kind. So weit weg – und doch so nah. Dass wir ihre Nacht „heilig“ nennen würden, konnten sie nicht ahnen. Der Ochse schüttelt den Kopf. So eine Eselei. War es doch eine Nacht, x-beliebig, wie jede andere auch  – bis, ja bis die Engel erschienen, die Hirten aufbrachen und die Ochsen ihre Nasen in die Krippe steckten.  Dass diese Nacht so anders werden würde, haben die Weisen in den Sternen gelesen. Doch das ist eine andere Geschichte. Zauberhaft, verträumt sind sie alle.

Inzwischen ist der 1. Weihnachtstag angebrochen. In den Zimmern liegen noch die Geschenke, das Altpapier und der Abwasch. Die Lust, in der Nacht noch Ordnung zu machen, hielt sich nicht lange. Der Wein war lecker. Wo hatten wir den noch mal her? Haben wir noch ein paar Flaschen? – Und dann gleich ein Festmenü. Oh, wie lecker die Pute riecht!

Fröhliche Weihnachten, sagen wir. Das steht nicht in den Sternen. Der Blick in den Kalender genügt.Aber schön wäre es schon, wenn die Weisen zu uns kämen. Irgendwie alles so dumpf, oberflächlich, langweilig. Denken Sie schon an die Arbeit? Nichts verträgt ein Mensch so schlecht wie eine Reihe guter Tage. Komisch. Warum ist im Kopf alles so verworren, gemischt, verkocht?

Sie sind richtig hier. Heute, am 1. Weihnachtstag, treffen wir auf einen alten Bekannten. Vielleicht ist er auch nicht so alt. Er hat einen Brief geschrieben. Einen Weihnachtsbrief? Womöglich. Wir können das offen lassen. Sorry, wir werden es schon merken.Ich lese ihn einfach einmal vor, ein paar Zeilen heben wir auch noch auf. Muss nicht alles auf einmal sein:

„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt.Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

 

Ein Zauberwort

So etwas hat mir bisher keiner geschrieben. Ihnen? Wir werden doch tatsächlich als „meine Lieben“ angesprochen, als „Gottes Kinder“! Kennt Johannes uns? Kennt er uns so gut? Zwar ist hier noch vieles offen, zumindest nicht abschließend geklärt, aber dass wir Gottes Kinder sind – das ist schon ein Satz! Woher Johannes das weiß? Oder ist es nur – falsche Vertraulichkeit? Ich bin misstrauisch. Entschuldigung.

 

Jedenfalls ist das Wort „Liebe“ hier das Zauberwort. Es geistert nicht nur durch unsere Kirche, es öffnet Herzen, Gedanken, Träume. Aber ganz speziell: Wir sind geliebt. Ich bin geliebt. Vom Vater. Dass mein Vater mich mochte, weiß ich – er ist lange tot. Zu Weihnachten kommen die Erinnerungen hoch. Als Vertriebener hatte er bei Liedern aus seiner Kindheit Tränen in den Augen. Ich verstand es nicht. Er brauchte seinen Schnaps. Aber der Vater, von dem hier die Rede ist, ist Gott selbst. Er hat alles gemacht. Er hat alles gut gemacht. Die Schöpfungsgeschichte ist seine Liebesgeschichte.  Seine erste! Als er das Licht geschaffen hat, musste die Nacht als erste daran glauben. Seine Liebe begleitet Menschen von Anfang an. Nein, nicht nur in meiner Biografie, vom Anfang der Welt. Viele Menschen sind dabei glücklich geworden, viele sind daran irre geworden. Viele Menschen haben in entsetzlichen Situationen Halt gefunden, viele haben ihre Hoffnungen irgendwo verloren. Geliebt zu sein, ist die älteste und schönste Sehnsucht aller Menschen. Zerbrechlich mutet es uns an. Manchmal kann ich mich selbst nicht lieben.

 

Haben Zauberworte eine Realität? Was zaubern sie, was verzaubern sie? Wenn etwas die Welt verzaubert, dann – die Liebe. Johannes schreibt doch tatsächlich: Wenn offenbar und für alle sichtbar werden wird, dass wir Gottes Kinder sind, werden wir Gott sogar gleich sein. Wir werden ihn sehen, wie er ist. Diesen Gedanken auszudenken, wage ich kaum. Wo Gott doch der große Unbekannte geworden ist, der Fremde! Ihn sehen … ihm gleich werden. Wie das wohl geht?

 

Eine Annäherung

Noch sind wir ganz im Bann von gestern. Heiliger Abend, Heilige Nacht. In den Kirchen, vielleicht auch bei Ihnen zu Hause, wurde die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Besungen. In die schönsten Worte gefasst. Da war der Kaiser Augustus. Große Politik zum Greifen nah. Sogar die Steuerpolitik. Ich suchte das römische Bundesgesetzblatt  - vergeblich. Die Archive schweigen. Aber ich sah Maria mit ihrem Josef über Land ziehen. Mit einem Kind im Bauch. Wie viele von ihnen waren schon unterwegs. An Land gespült. Verjagt, eingesperrt, zurückgeschickt. Kleine Schicksale passen in Steuer-Nr. – wenigstens in diese. Einen Platz gab es nicht. Gestern in der Nacht. Nur ein Stall. Ein Ochs, ein Esel sollen dabei gewesen sein. Von ihnen erzählte schon der Prophet. Sie wüssten, wo sie hingehören – viele Menschen wissen es nicht, wo sie zu Hause sind. Selbst in großen und schönen Häusern sind viele Menschen nicht zu Hause.

Aber das Kind wurde geboren. In Windeln gewickelt. In eine Krippe gelegt. Und irgendwo über den Feldern, nicht weit von hier, tat sich der Himmel auf. Die Nacht wurde hell und von Engelstimmen erfüllt. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Da ist es wieder. Oder endlich. Die Geschichte, die Augustus schreibt, die seine Annalen und Verdienste füllt – ein anderer hat sie eingefädelt. Mit langer Hand vorbereitet. Was in Steuerlisten erfasst werden soll, wird zu einem Evangelium für alle Welt. Doch es sind die Hirten, ärmlich, ungeliebt und schlecht beleumdet, die den Anfang machen. Den Anfang machen müssen. Pack! Sie finden Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Nicht nur große Geschichte im kleinen Nest (Bethlehem), kaum zu fassen: Gott wird Mensch. Ein Kind. Er fängt noch einmal neu an. Mit der Welt. Mit uns. Nur gesagt wird das nicht im Weihnachtsevangelium! Man kann es aber hören, mit großen Ohren hören:

„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“

Man kann es hören … von selbst kommt man nicht darauf. Denn die große Geschichte wird von großen Menschen gemacht. Und große Menschen glauben daran.

Dass Gott nicht darauf kommt, nicht darauf setzt – wer hätte das gedacht? Er schreibt die Geschichte, die er einmal begann, mit seiner Liebe neu. Doch seine Liebe ist alt. Vom ersten Tag der Schöpfung bis zum letzten, von meinem ersten Atemzug bis zu meinem letzten, von meinen ersten Schritten bis zu meinen letzten. Augustus wird zum Chronisten, Zeitzeugen und Träumer. Degradiert. Darum steht er nur im ersten Satz – im letzten nicht mehr. Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging …

 

Ich muss es mir nicht einmal zusammenreimen:  Bevor wir – einmal – Gott sehen und ihm gar gleich werden, wie es uns Johannes schreibt, hat uns Gott gesehen. Mit den Augen eines Kindes. In einem Stall. Unfassbar, er ist uns gleich geworden. Er hat sich mit uns gleich gemacht. Augenhöhe. Auf Augenhöhe. Was ist von Gott jetzt noch geblieben? Wo doch seine Herrlichkeit im Stroh liegt, seine Ehre Windeln trägt, sein Glanz im Windlicht untergeht …

Johannes hat einen tollen Brief geschrieben. Die Perspektive, die er wählt, spiegelt sich in der Geschichte von Weihnachten. Wer ist zuerst wem gleich geworden? Klar doch: er uns. Dann: wir ihm.

Dann!

 

Ehre und Friede

Die Engel haben das besungen. Sie mussten nur den Himmel öffnen. Dann konnte es wie Schuppen von den Augen fallen. Wir haben sie in ihrem „normalen“ Lob gehört! Wir haben in den Himmel gesehen! Hinter die Kulissen. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Die Ehre, die Herrlichkeit, der Glanz, die Gott zukommen, verwandeln sich in Frieden, in Liebe, in Barmherzigkeit. Die „Höhe“ misst sich an der „Erde“, die „Erde“ an der „Höhe“. Es sind keine zwei Welten, die hart und bitter aufeinandertreffen: Wo Gott ist, wo Gott Mensch wird – wird der Mensch. Huch. Ich zögere. Vorsichtshalber schlage ich in klugen Büchern nach. Wo Gott Mensch wird, wird der Mensch - Gott. Ich schlucke. Die drei großen Kappadozier – Kirchenväter - haben das schon vor über 1.500 Jahren so klar und rein formuliert, dass ich mit meinen Worten kaum noch mitkomme. Aber Johannes hat uns nicht umsonst heute einen Brief geschrieben:  „Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

Dass müssen wir heute lesen!

Nicht, dass Liebe kein schönes, herrliches, liebliches Wort ist, doch von Liebe reden wir ständig. Gefragt und ungefragt. Zu Weihnachten besonders. Eine Alternative? Weit und breit nicht in Sicht. Die Welt ist voll von diesem Wort. Sie quillt förmlich über. Es ist wohl einfacher, die Haare auf dem Kopf zu zählen als dieses Wort „Liebe“-  im Internet. Doch im Netz wird dieses Wort auch gefangen, geschüttelt und gequetscht. Am Ende passt Liebe sogar in eine Patronenhülse. Hass schmückt sich, Liebe zu vollenden. Mit der Wahrheit stirbt Liebe immer zuerst. Eine Überraschung? Nein, eine Welt, die ohne Liebe nicht leben, nicht träumen kann, aber ständig an ihr zerbricht. Am 1. Weihnachtstag ist das allemal der Rede wert! Einen Computer brauche ich dafür nicht.

„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt.“

Zukunft

Eigentlich könnte ich jetzt Amen sagen. Finden Sie auch? Aber ich muss noch einige Zeilen aus dem Brief lesen, den Johannes uns geschrieben hat:

„Und jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht.  Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen noch erkannt.“

Für Johannes ist das der krönende Abschluss. Ein Plädoyer für eine neue Sicht auf die Welt. Ein Plädoyer für die Liebe. Die Sünde lässt den Dingen ihren Lauf, die Sünde kennt keine Hoffnung, die Sünde gibt Menschen – und die Welt – auf. Die Sünde braucht keinen Gott, sie verträgt keinen Gott, sie duldet keinen Gott. Die höchste Kunst der Sünde ist, uns mit uns alleine zu lassen. Alles, was Johannes schreibt, ist wie ein Aufschrei – dagegen. Wer geliebt ist, wer geliebt wird – von Gott, findet ihn unter Engeln, Hirten und Ochsen.

Übrigens, sie ahnen es vielleicht auch, womöglich liegt es Ihnen auf der Zunge: Der Brief, den wir heute lesen, findet sich auch – ein wenig verändert – im Evangelium nach Johannes. Sogar die Kapitel stimmen überein (Joh. 3,16 – 1. Joh. 3,1´ff):

 

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab,  damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Perikope
25.12.2017
1,3-6

Dieses schwache Knäbelein - Predigt zu 1. Johannes 3,1-6 von Doris Gräb

Dieses schwache Knäbelein - Predigt zu 1. Johannes 3,1-6 von Doris Gräb
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Und der Engel sprach: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren!

Liebe Gemeinde am 1. Weihnachtsfesttag!

In die Engelsbotschaft und in den Gesang der himmlischen Chöre hinein hat Johann Sebastian Bach im Weihnachtsoratorium den Choral komponiert, den wir eben auch gesungen haben: „Brich an du schönes Morgenlicht und lass den Himmel tagen! Du Hirtenvolk erschrecke nicht, weil dir die Engel sagen, dass dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein – dazu den Satan zwingen und letztlich Frieden bringen!“

Offenbar meinte Bach, dass es, um überhaupt verstehen zu können, was der Engel da verkündigt und der Engelschor singt, das klare Licht, das Morgenlicht braucht. –  Und vielleicht hat er ja recht.

Denn der Heilige Abend – der ist nach alter liturgischer Tradition doch nur der Vorgeschmack auf das, was am 1. Weihnachtstag dann in ganzer Klarheit in die Herzen und die Köpfe dringen – und mit allen Sinnen gefeiert werden soll.

Und so reiben auch wir uns nun im Morgenlicht die Augen, nach dem verzaubernden Glanz der Heiligen Nacht, und sagen, ja fragen vielleicht ein wenig zaghaft, mit dem Liederdichter Johann Rist: „dass dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein – dazu den Satan zwingen, und letztlich Frieden bringen“? Ja! Wirklich wahr???

Doch, ja, doch! Auch heute Morgen klingt die Weihnachtsbotschaft von der Geburt des Heilandes wieder durch die Welt. Rund um den Globus feiern die Menschen das Fest seiner Geburt, das Fest der Liebe, das Fest der Familie, auch wenn sie die Einzelheiten vielleicht gar nicht mehr so richtig kennen.

Mehr Spenden, mehr Freundlichkeit, aber auch mehr Verletzlichkeit und Sensibilität, - und dazu der manchmal überbordende Weihnachtsschmuck: ja, an Weihnachten ist wirklich alles anders, und viel mehr von alledem in uns und um uns als an allen anderen Tagen des Jahres. Weil, ja weil eben „dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein, dazu den Satan zwingen, und letztlich Frieden bringen….“

Wie kann das nur sein? Dass die Geburt dieses Kindes überall auf der Welt Anlass zur Freude ist, auch wenn viele die Geschichte aus der Bibel gar nicht mehr kennen?

 „Seht“, so  heißt es in unserem Predigttext aus dem 1. Johannesbrief, „ seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!“

Seht hin, hört hin! Gott liebt euch alle. Ihr alle seid gemeint. Allen Menschen auf der weiten Erde verkündigt der Engel Gottes Wohlgefallen – auch den Böswilligen, den Ungeliebten, denen, die Euch eher Angst einjagen! Und Friede soll schließlich auf der ganzen Erde, und nicht nur in euren Weihnachtszimmern sein.

Wie selbstverständlich singen wir, singt die ganze Christenheit an jedem Sonntag in ihrer Liturgie diese unglaubliche Botschaft der Engel, auch wenn wir sie immer noch nicht fassen können: Friede auf Erden – und allen Menschen ein Wohlgefallen.

Widersprüche über Widersprüche, Fragen über Fragen tun sich da auf. Wirklich? Der ganzen Welt gilt Gottes Frieden? Allen Menschen gilt Gottes Liebe, Gottes Heil? Ja, ja: weil sie alle seine Kinder sind.

Und dieses schwache Knäbelein  - es ist das Zeichen, so etwas wie der Beweis dafür. So ruft es der Engel den Hirten doch zu: „Das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“

Das ganz Große, die Liebe schlechthin, der Friede schlechthin: alles das, was wir Menschen uns herbeisehnen, ja was sich die Menschheit seit Ur-Zeiten herbeisehnt: in diesem Kind ist es da! Es ist, wie jedes Neugeborene, Symbol für das Neue, für das schlechthin Lebensbejahende.

Und: an jedem Weihnachtsfest, auch gestern, auch heute, wenn unsere Augen auf die Krippe, auf das Kind gerichtet sind, da können wir es sogar erspüren, dieses neue, ungeteilte wahre Leben. Die erbärmliche Krippe birgt in sich, worauf sich die Hoffnung aller Menschen, gleich welcher Religion, welcher Herkunft, welchen Aussehens und welchen Ansehens letztlich richtet: Wohlgefallen, Heil, und Frieden.

In diesem schwachen, elendiglich untergebrachten und notdürftig versorgten Knäbelein will Gott erkannt sein. Wir sollen ihn erkennen als Den, der das Wohlgefallen, das Glück aller Menschen will, Lebensrecht und Lebenszukunft auch für alle die, die morgen und übermorgen in diese Welt hineingeboren werden.

Es ist eine schier wahnsinnige Vorstellung. Da müssen wir uns nun wirklich im Morgenlicht noch einmal heftig die Augen reiben – denn die Sprache der Tatsachen steht doch dagegen, alles spricht letztlich dagegen.

Die Hungersnot im Jemen – offenbar schlimmer als alles, was wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben,-  hat ihre Ursache in nichts anderem als in der Böswilligkeit der Menschen. Die einen tun alles dafür, dass die anderen buchstäblich ausgehungert werden. Und wir können nichts tun. Tatenlos, hilflos müssen wir davon hören und mit ansehen, welches Unheil der Hass anzurichten vermag. Und die Liste der Gräueltaten könnten wir ja noch beliebig weiter schreiben – oder aus der langen Geschichte der Menschheit wieder neu ins Bewusstsein rufen.
Nein, die Sprache der Tatsachen gibt keinen Anlass, auf eine bessere Welt zu hoffen. Oder gar daran zu glauben, dass Gott alle Menschen liebt, sogar die Böswilligen, jene, die von uns voller Angst und mit tiefem Misstrauen beobachtet werden. Im Gegenteil, so mögen manche sagen: verschleiert solch ein Glaube nicht geradezu die realen Gefahren?

Und doch feiern wir Weihnachten, doch sind wir voller Freude zur Krippe gekommen – gestern Abend, im Schein der Kerzen – und heute genau so, im Morgenlicht des neuen Tages. Weil da eben dieses unauslöschliche Zeichen ist, auf das der Engel die Hirten damals hingewiesen und es sozusagen an den Himmel geschrieben hat: dieses schwache Knäbelein, in dem sich die Sehnsucht nach Frieden und einem Wohlgefallen für alle, wirklich für alle Menschen auf dieser Erde zum Ausdruck kommt. Das Vollendete im Unvollendeten.

In einer erbärmlichen und übel riechenden Behausung das Kind, das das göttliche Kind ist – und uns alle zu Gottes Kindern macht. –  „In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut…“ so sagt – und singt Martin Luther.

„Allen Menschen ein Wohlgefallen!“ Das ist das göttliche Heilsversprechen, das Weihnachten zu diesem wunderbaren Fest macht. Es ist zugleich Ausdruck einer unüberbietbaren menschlichen Hoffnung, ja, Ausdruck des Gefühls, dass doch wir Menschen, trotz allem, was uns trennt, dennoch zueinander gehören zu einer einzigen großen Menschheitsfamilie – als Kinder Gottes.

Deswegen wird Weihnachten auch überall auf der Welt gefeiert, auch dort, wo die Geschichte von der Geburt des Heilandes im Stall von Bethlehem nahezu unbekannt ist, weil es die Sprache der Hoffnung aller Menschen spricht. Friede auf Erden und allen Menschen ein Wohlgefallen..

 

Der Schriftsteller Navid Kermani hat am Abend seines 50. Geburtstags – so sagte er - Ende November anlässlich der Verleihung des Staatspreises des Landes Nordrhein-Westfalen in Köln eine Rede darüber gehalten, was denn eigentlich wichtig, das allerwichtigste sei im Leben von uns Menschen.

Er hat im Rahmen einer Reise durch das östliche Europa diesseits und jenseits der Kriegs-Linien den unterschiedlichsten Menschen diese Frage gestellt.

Und die Antwort, - ich zitiere, „sie läuft auf die üblichen Wünsche hinaus: Gesundheit, Familie, Arbeit, einen Partner, der verlässlich ist und einen zurückliebt; Geld nicht, aber doch ein Auskommen, von dem man in Würde leben kann; Freunde. In manchen Ländern ist das Wichtigste noch schlichter: sauberes Wasser, genügend Nahrung, ein Dach überm Kopf….Manche würden noch Gott anführen, der ihnen näher als die eigene Herzschlagader sei, die jenseitige Existenz…“

Also: so verwandt, so ähnlich sind wir uns in dem, was uns wahrhaft wichtig ist – in der ganzen großen Menschheitsfamilie, ob Freund, ob Feind, ob reich, ob arm, ob gebildet,oder wenig gebildet.

Und dann kommt Navid Kermani zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung. Und er zitiert dabei einen Song-Text von Neill Young, einem amerikanischen Sänger auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den Vietnam-Krieg, deren erbittertster Gegner damals Richard Nixon war. Da singt er: Sogar Richard Nixon, der Feind, der Lügner, der fürchterliche amerikanische Präsident, - has got soul - hat eine Seele. Auch dein Feind ist ein Menschenkind, ist ein Gotteskind.

Genau das ist auch die Botschaft jenes schwachen Knäbelein aus Bethlehem Schließlich erwachsen geworden, von ihm selbst ausgesprochen – und vor allem, gelebt: auch dein Feind, auch der, oder die, die du abgrundtief missachtest, oder fürchtest, hat eine Seele – ist ein Gotteskind, ist letztlich dein Bruder, deine Schwester.

Das erleben auch wir an diesem Weihnachtsfest wieder: vor der Krippe angekommen, die Augen auf das schwache Knäbelein gerichtet, weitet sich unser Blick - und das zutiefst menschliche Gefühl einer Verbundenheit mit der ganzen Menschheit, über allen Argwohn und alles Misstrauen hinweg, es kann wachsen.

Die Fremdheit der anderen mag bleiben, derer, die eine andere Kultur, eine andere Religion, auch zu uns bringen. Auch wird es immer wieder vorkommen, dass abgrundtiefer Hass, agressive Bosheit und die ideologische Verwirrung der Geister Feindschaft, Krieg und Terror verbreiten. Dennoch, im Angesicht des göttlichen Kindes, und im Hören auf die Friedenbotschaft der Engel kann immer wieder neu auch unser Mut wachsen, zusammenzustehen, nicht nur im wackeligen Haus Europa, nein, auch in der einen Menschheitsfamilie, der großen Familie der Gotteskinder.

 

Diesen Anblick und diese Botschaft, wir wollen sie heute Morgen in unserem Herzen bewegen und bewahren – wie Maria, die alle die Worte, die sie damals gehört und das, was sie gesehen hatte, in ihrem Herzen bewegt hat.

„Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott.“ – Auch wir werden gleich wieder umkehren, aus der Kirche hinaus gehen, aber nicht ohne vorher noch aus tiefstem und dankbaren Herzen gesungen zu haben: „Oh du fröhliche, o du selige Gnaden bringende Weihnachtszeit.“

Amen

Perikope
25.12.2017
3,1-6

Engelschor und Fangesang – Predigt zu Offenbarung des Johannes 7,9-12 von Wolfgang Vögele

Engelschor und Fangesang – Predigt zu Offenbarung des Johannes 7,9-12 von Wolfgang Vögele
7,9-12

Der Seher Johannes, der auf der Insel Patmos gefangen ist, schreibt:

„Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm! Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Wesen und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“

1.

Liebe Schwestern und Brüder,

in diesem Fall gleichen sich Himmel und der Erde: Zu besonderen Anlässen wie Weihnachten versammelt sich eine große Menge  - von Menschen oder Engel. Der Seher Johannes von Patmos flüstert das Stichwort von der „große[n] Schar, die niemand zählen konnte“, ins Ohr.

Auf dem Weg vom Ohr zum geistigen Auge gleiten Erinnerungsbilder von riesigen Menschenmengen ins Bewußtsein. Verschwommen sehe ich zuerst Tausende von Fußballfans auf der Südtribüne des Dortmunder Stadions. Gemeinsam schwenken die Gruppen Fahnen in den Vereinsfarben Schwarz-Gelb. Sie strecken ihre Schals in die Höhe, und wedeln damit im Rhythmus des Klatschens. Ich sehe auch das riesige Feld auf den Elbwiesen bei Wittenberg. Dort trafen sich im Mai Zehntausende von Kirchentagsbesuchern zum Abschlußgottesdienst und feierten singend und betend die Erinnerung an die Reformation. Ich sehe als nächstes das Feld vor dem Kapitol in Washington, D.C., wo sich im Januar 2017 die Anhänger des neuen amerikanischen Präsidenten in kleinen Gruppen drängten. Sie verfolgten, wie er den Amtseid ablegte und bejubelten seine Einführung. Ich erinner die wie immer übervollen Christvespern und -metten am Heiligen Abend, als sich die Menschen auch in dieser Kirche drängten und wie jedes Jahr nach dem Segen stehend „Oh du fröhliche“ sangen. Ich erinnere mich, wie nach der Weihnachtsgeschichte (Lk 2) auf den Feldern bei Bethlehem Hirten und Engel gemeinsam eine „große Schar“ bildeten und den Frieden auf Erden besangen, bevor sie zur Krippe aufbrachen, um kniend und staunend das Baby von Maria und Joseph zu bewundern. Und ich höre von Johannes von Patmos, daß sich auch vor dem Thron Gottes einmal in ferner Zukunft eine große Schar aus Engeln und Glaubenden versammeln wird. Und wer kann die Teilnehmerzahl angeben?

Manchmal kann man über Teilnehmerzahlen streiten. Vom Berliner Kirchentag haben viele Besucher den Weg auf die schattenlose Wiese an der Elbe bei Wittenberg nicht gefunden. Es sangen und beteten viel weniger Teilnehmer als die Veranstalter geplant hatten. Noch schlimmer war es in Washington. Aus der Luft aufgenommene Fotos bewiesen, daß an der Einführung des Milliardärs als Präsident viel weniger Anhänger teilnahmen, als das bei seinem Vorgänger der Fall war. Trotzdem jubelten die Marketingleute des Präsidenten über dessen triumphale Einführung und sprachen von „alternativen Fakten“, auf die sich Fernsehzuschauer und Zeitungsleser genauso verlassen könnten. Je mehr Teilnehmer, desto mehr Zustimmung, Gemeinschaftsgefühl und Erinnerung. Bei Fußballfans, Politfans, Hirten, Engeln und Glaubenden entscheidet die Menge, die Anzahl: Alle zusammen können lauter singen, inbrünstiger jubeln, besser applaudieren, für dieses Wir-Gefühl sorgen, das Fans, Anhänger und Hirten nicht vermissen wollen. Das ist so wichtig, daß die Marketingstrategen der Politik die Zahl der Teilnehmer verschönern und vergrößern müssen.

Johannes von Patmos schreibt auf, was ihm als Vision erschien. Er muß nicht die faktische Zahl der Glaubenden vor dem Thron angeben. Wie er schreibt, versammeln sich vor dem Thron Gottes 144000 Glaubende. Das sind zwölf Mal zwölftausend Menschen, die Zahl der Stämme Israels in Potenz. Keine fake news, sondern eine symbolische Zahl. Vor dem Thron stehen die Menschen von Gottes Wohlgefallen. Von ihnen singen am Heiligen Abend die Engel.

2.

Als Johannes auf Patmos aufschreibt, was ihm von seinen Visionen in Erinnerung geblieben ist, sehen sich die kleinen urchristlichen Gemeinden im römischen Imperium heftigen Verfolgungen ausgesetzt. Römische Spitzel, Polizisten und Soldaten suchen Christen zu entlarven, bloßzustellen und zu verhaften. Wer nicht auf den göttlichen Kaiser in Rom schwört, wird ohne Gnade hingerichtet. So viele Christen kommen ums Leben, daß der Bestand der Gemeinden gefährdet ist. Der Glaube droht wieder unterzugehen. Die, die noch glauben und den Verfolgern bisher entkommen sind, retten sich in Visionen, die in ihnen Funken von Hoffnung am Leben erhalten. In vielen Teilen der Welt werde noch heute Christen verfolgt: Die koptischen Christen in Ägypten, die zehn Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, feiern Weihnachts- und Ostergottesdienste seit dem letzten Jahr nur unter starken Sicherheitsvorkehrungen. Bischöfe, Pfarrer und Gemeindeglieder haben bis heute Angst vor Anschlägen. Bei Attentaten und Bombenanschlägen während der Gottesdienste kamen in den letzten beiden Jahren Dutzende von Christen ums Leben.

Manchmal hält die Hoffnung der Wirklichkeit nicht stand. Trotzdem haben die christlichen Gemeinden im ersten Jahrhundert die Verfolgungen des Kaisers Domitian überlebt. Und die koptischen Christen feiern weiter Weihnachts- wie Ostergottesdienste. Die ersten Christen wie die Kopten haben ihre Glaubenshoffnung nicht aufgegeben. Visionen sind Hoffnungen, die zu eindringlichen Bildern geronnen sind. Glaube kann ohne Hoffnung nicht auskommen, auch dort, wo Christen nicht der Verfolgung ausgesetzt sind, auch dort, wo Glaube immer mehr verloren zu gehen droht. 

Wer in einen Gottesdienst kommt, der setzt sich mit der Frage nach der Gegenwart Gottes auseinander. Wo läßt er sich finden -  in einer Welt, die von Zahlen und Summen, Geldwert und Aktiendepots, Sachzwängen und Einschaltquoten bestimmt wird? Die Hirten staunten über das Baby, die Glaubenden in Johannes‘ Vision danken begeistert für Gottes Thron.

Viele Menschen der Gegenwart zählen ihr Lohnsteueraufkommen, ihre Follower auf Instagram und die Freunde auf facebook. Gott verschwindet irgendwo hinter den Statistiken. Entsprechend kleiner gestalten sich die Hoffnungen, welche Menschen bewegen: Kurzurlaube, Shoppingerlebnisse und Wellness-Wochenenden. In der Politik ist Jamaica gescheitert. An seiner Stelle drohen das Gespenst von Neuwahlen und langwierige Verhandlungen über die Wiederauflage einer Großen Koalition. Wer das Leben mit Zahlen erklärt, macht sich nur noch Hoffnungen auf Wachstumsraten. Aber das Leben geht nicht in Wachstumsraten auf; Geburt, Liebe, Alter und Sterben lassen sich nicht in den Algorithmen des berechneten Lebens einschließen. Der berechnete Mensch erniedrigt sich selbst zum lieblosen und also liebesbedürftigen Menschen. Und diese Menschen ohne Liebe sehnen sich nach Gott, wenn sie ihn denn nur finden würden in der Gegenwart von Warenströmen und Einkaufsräuschen.

An dieser Stelle öffnet sich der schmale Pfad des Glaubens doch noch einmal. Wer sich die Hoffnung auf die Gegenwart Gottes nicht nehmen läßt, der singt von der Weihnachtskrippe und macht sich Gedanken über den Thron.

3.

Hirten knien und Engel schweben staunend vor dem Stall und bewundern das schlafende Baby. Bei Johannes von Patmos stehen die Hundertvierundvierzigtausend vor dem Thron Gottes. Die Vision, die Johannes von der Zukunft des Glaubens entwirft, geht auf die Propheten zurück. Bei Jesaja sitzt Gott im Himmel auf einem Thron, und bei Hesekiel kommen schon die vier „Wesen“ vor, von denen Johannes auch spricht: Engel, Löwe, Stier und Adler. Bei näherem Hinsehen hat sich Johannes von Patmos die Bilder seiner Visionen aus der hebräischen Bibel geborgt. In der erhofften Zukunft erkennen die Glaubenden bewährte biblische Vergangenheit. Ein Thron gehört zur Innenarchitektur eines Palastes: Der König darf als einziger sitzen, während Lakaien, Bedienstete und Höflinge ihm ergeben stehend seine Aufwartung machen. Und Gott wird zum unnahbaren, absoluten Herrscher mit Zepter, Krone und Reichsapfel. Niemand darf ihn anschauen. Niemand darf ihn ansprechen. Niemand darf ihn berühren. Es genügt für die Glaubenden, seine Gegenwart zu spüren. Oder doch nicht?

Die beiden Weihnachtsszenen – Hirten und Engel auf dem Feld bei den Schafen und die knienden Hirten auf dem Feld – verwandeln auch dieses Gottesbild eines absoluten Monarchen. Das göttliche Baby löst eine große Verwandlung aus. Unnahbarkeit verwandelt sich in Nähe. Majestät verwandelt sich in Zärtlichkeit. Verbote verwandeln sich in Glauben. Aus „Nicht ansprechen! Nicht anschauen! Nicht berühren!“ wird „Schaue hin! Laß dich anrühren! Staune!“ Am Heiligen Abend hat sich Gott in einer Weise verändert, die sich zuvor niemand auch nur vorstellen konnte. Aus dem unnahbar thronenden Kaiser ist ein kleines, anrührendes Kind geworden. Gott schreit. Gott trinkt Milch. Gott wird in Windeln gewickelt. Gott schläft. Gott öffnet die kleinen, vom Schlaf verklebten Augen.

Dieser Gott, liebe Schwestern und Brüder, kümmert sich um die Menschen, nicht um die Statistiken. Und auch das hat Johannes von Patmos gewußt, denn er nennt den schreienden, in Windeln gewickelten Gott: das Lamm. Das Lamm und das in Windeln gewickelte Christkind haben gemeinsam, daß sie gerade erst geboren, unschuldig, noch nicht richtig auf die Welt vorbereitet sind, dabei zart, zerbrechlich und schutzbedürftig. Und genau dann, wenn wir dieser Spur folgen, die Johannes von Patmos in seiner Vision legt, entdecken wir Gott.

4.

Und nun kommt die „große Schar“ ein zweites Mal ins Spiel. Denn vor dem Thron des Lammes und auf der Südtribüne des Dortmunder Fußballstadions schweigen die Menschenmengen ja nicht, sondern sie jubeln begeistert. Sie singen. Sie klatschen. Selbstverständlich unterscheiden sich die gegrölten und manchmal vom Alkohol aufgeputschten Fangesänge von den Melodien der himmlischen Heerscharen. Aber beides lebt doch von der ungebändigten Freude, dem großen Enthusiasmus und der spontanen Begeisterung. Torjubel ist der ungebändigte kleine Bruder des Gotteslobs.

Und das jubelnde Gotteslob läßt an die riesigen Posaunenchöre des Kirchentags denken, an alle geistlichen Konzerte und die Gospelaufführungen von Kinderchor, Kammerchor und Kantorei. Das gemeinsame Singen vergrößert die großen Scharen noch, die sich zum Lob Gottes versammelt haben: Jauchzet, frohlocket! Auf preiset die Tage!

Wer Gott nicht mehr findet in der Welt von Terabytes, Milliardensubventionen und Facebookfreunden, der rennt an eine Mauer aus Statistiken und verzweifelt. Wer sich einmal umdreht und der Blickrichtung folgt, die das Kind in der Krippe an Weihnachten vorgibt, der entdeckt Glauben und Enthusiasmus, Freude und Fröhlichsein. Es tut gut, sich an Weihnachten daran zu erinnern, daß genau darin die Zukunft des Glaubens besteht. Kein Kollegium aus klerikalen Funktionären wird diesen Glauben kaputtmachen können. Übrigens auch kein Familienstreit an Weihnachten und keine verbrannte Weihnachtsgans oder ein Christbaum, der vor lauter Vorbereitungsstreß in Flammen aufgegangen ist.

Wer von und über Weihnachten singt, der singt zugleich über die Hoffnungen des Glaubens, über den Frieden Gottes, der jede Statistik umkehrt und jedes harte Kosten-Nutzen-Denken in Liebe und Zärtlichkeit auflöst. Liebe Schwestern und Brüder, wir kommen vom Kind in der Krippe, das wir am Heiligen Abend bestaunt haben. Wir hoffen auf den himmlischen Thronsaal, wo uns das Kind in Gestalt des Lammes wiederbegegnen wird. Das ist Grund genug, auch jetzt gemeinsam zu singen. Und ich bitte Sie, daß wir aufstehen: O du fröhliche, o du selige…

Amen.

 

Perikope
26.12.2017
7,9-12

Er ist Brot und verteilt keine kleinen Brötchen - Predigt zu Johannes 6,30-35 von Heinz Behrends

Er ist Brot und verteilt keine kleinen Brötchen - Predigt zu Johannes 6,30-35 von Heinz Behrends
6,30-35

Diese Woche war es fast überall verregnet, aber wer vorletzte Woche durch die Felder wanderte, konnte sich über die großen Staubwolken wundern, die zum Himmel stiegen. Mähdrescher waren bei der Arbeit. Die großen und die kleinen Kornfelder wurden abgeerntet. Eben noch konnte man die weiten gelben Flächen bewundern. Den Weizen auf seinem kurzen Halm, die langen Halme von Gerste und Roggen mit langen Grannen, die schönen Rispen des Hafers. Pralles Leben. Kraftvoll werden sie gemäht und in große Speicher gebracht, getrocknet und auf ihre Qualität geprüft. Das geschieht alles, Jahr um Jahr, damit wir an unseren Tischen unser Brot essen können. Roggenbrötchen, Dinkel-Hirse mit Sesamkörnern, Baguette aus Weizen, Gerstebrot, Hafermüsli. Brot ist Leben. „Davon lebt die Welt“ meldete die Ausgabe der „ZEIT“ auf einer ganzen Seite in ihrer Ausgabe vom letzten Wochenende. „Weizen ist eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel des Menschen“, hieß es im Untertitel. „Weizen deckt 19 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschheit, gleich hinter Reis. 760 Millionen Tonnen werden weltweit allein an Weizen geerntet.“ Phantastische Zahlen. Sie garantieren Leben. Und wo er fehlt, ist Leben bedroht. In diesen völlig verregneten Tagen können wir ahnen, was es bedeutet, wenn die Kornfelder durch die Witterung gefährdet sind. Wir leben von dem Brot, das aus dem Korn ersteht. Wenn es auf dem Tisch liegt, zieht es uns an. Alle Sinne sind angeregt. Der Duft von frischem Brot zieht in die Nase. Brot ist schön anzusehen. Ich höre es knacken, wenn frisches Brot gebrochen wird. Ich nehme es in die Hand, es schmeckt. So war es immer, auch zur Zeit Jesu von Nazareth. Darum liegt es sehr nahe, dass ein so genialer Prediger und Lehrer wie er Brot zur Veranschaulichung seiner Botschaft wählt. Und mehr noch. „Ich bin das Brot des Lebens“, sagt er (Joh 6,35). Brot bekommt durch ihn sakramentale Qualität. Diesen Sprung zu verstehen von dem Brot, das ich riechen und anfassen kann, hin zur der sakramentalen Deutung hat mich Huub Osterhuis, der holländische Priester gelehrt. Er erzählt die Geschichte eines Durchschnittsmenschen, nennen wir ihn Adam. Um es gleich klarzustellen, es könnte auch eine Frau sein, die Eva heißt. Er ist verheiratet, hat Kinder und findet sich in seiner Welt vor. Er arbeitet mit Freude, manchmal auch mit Widerwillen. Er arbeitet mit Kopf, Händen und mit seiner Seele. Seine Arbeit hat einen Wert, einen Geldwert. Er setzt seine Lebenskraft in Arbeit um, das in Geld ausgezahlt wird. Er macht sich selbst zu Geld. Er verdient es für sich und für die er sich verantwortlich weiß. Mit dem Geld kauft er Wohnung, Urlaub und Brot. Er setzt sich selbst um zu Brot. Wenn das Brot zum Abendbrot auf dem Tisch liegt, kann er sagen: In diesem Brot ist alle meine Arbeit, meine Kraft für Euch. Dieses Brot, das bin ich. Das ist mein Leib. Arbeit, Mühe, Liebe und Sorge verwandeln sich in Brot, werden sichtbar im Brot.
Jede Mutter, die gekocht hat, jeder Mann am Herd könnte es genauso sagen, wenn das Essen für die Gäste auf den Tisch kommt. „Seht, das bin ich – für Euch“.

„Ich bin das Brot“, sagt Jesus, „seht, das ist mein Leib“. Das ist er mit seiner ganzen Existenz, seiner Liebe für die Menschen, Gott leibhaftig.

In dem Brot, das auf den Tisch kommt, kann unser Adam sagen: „Das bin ich selbst. Jeder Tag Arbeit, jedes Jahr Anstrengung kostet mich ein Jahr meines Leibes. So werde ich aufgezehrt, ich verbrauche mich für andere. Hier winkt übrigens schon das Wort Jesu aus Johannes 12,24: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bringt es keine Frucht“.

„Ich bin das Brot des Lebens“(Joh 6,35). Was legt er da auf den Tisch? Ewiges Leben ist seine Antwort. Leben, das bleibt. Der russische Autor Solschenizyn erzählt in seinem Buch „Krebsstation“ von Jefrem, der plötzlich im Krankensaal die anderen fragt: „Wovon lebt der Mensch?“ „Von der Versorgung mit Nahrungsmittel“, sagt der erste. „Vom Arbeitslohn“, sagt der Pfleger, „Von Luft und Wasser“, der nächste. „Von der Qualifikation“, sagt der Vierte. Der Vertreter des Systems, ein Professor, antwortet: „Von der Ideologie und den gesellschaftlichen Interessen.“ Jefrem ärgert sich über die letzte Antwort und sagt: „Halt’s Maul.“ Die Antwort auf seine Frage bleibt offen. Er sucht weiter. Manchmal sind wir Prediger und Predigerinnen wie der Professor. Wir proklamieren allbekannte Parolen, behaupten eine Ideologie, reden von Jesus in einem dogmatischen Pathos. Es ist wenig überzeugend.
Was legt er auf den Tisch, wenn er sich selbst als Brot bezeichnet?
Er lehnt zwei Antworten als unmöglich ab. Als man ihn nach der Speisung der 5000 zum Brotkönig machen will, entzieht er sich. Ein Führer mit Macht über die Menschen will er nicht sein.
Und er lehnt die Antworten der Tradition seines Volkes ab. Die Väter haben das Manna in der Wüste gegessen. Brot kam vom Himmel, aber es verfaulte am nächsten Tag. Die Geschichte vom Brot in der Wüste aus dem Himmel ist für die Zuhörer Jesu so etwas, was wir heute ein Narrativ nennen. Eine Geschichte, die Erfahrung, Gewissheit vermittelt und Identität stiftet. Jesus widerspricht ihr. Das ist eine Provokation. „Die Väter sind gestorben, aber wer mich isst, der wird leben“, sagt er. Damit bringt er die Leute gegen sich auf – mit tödlichem Ausgang. Man stellt sich die Wiederkunft des Messias so vor, dass er Manna austeilt. Auf die Frage, was er tun werde, antwortet er so, wer er ist. Er backt keine kleine Brötchen, um sie zu verteilen.
Ich bin das Brot des Lebens. Wer von mir isst, wird nicht hungern.(Joh 6,35)
Wer ihn isst, der hat ewiges Leben. Wenn Johannes von ewigem Leben spricht, dann meint er nie ein Nacheinander, sondern ein Gleichzeitiges. Das ewige Leben habe ich mitten in diesem Leben. Es ist schon da. Ich muss mich nicht selber steigern in meinen Leistungen, in meinem Bemühen. Ich kann stolz und dankbar sein, wenn meine Arbeit zu Brot wird, ja, aber ich muss und kann das Leben nicht selber schaffen. Ich muss mich nicht selber gebären, nicht selber ständig neu erfinden. Mein Leben erschöpft sich nicht in meinen Entwürfen. Es ist schon da. Das ist Gnade. Die Merkmale vollkommenen Lebens beschreibt Jesus in seiner Bergpredigt: Barmherzig, hungrig nach Gerechtigkeit, sanftmütig, friedfertig, gewaltlos.
Unser Zeitgeist unterliegt dem Wahn, das wir selber schaffen müssen, was Leben ist, sich selbst überbieten. Wer das versucht, will jagen, vorne sein, übertreffen. Er kann nicht spielen, er ist atemlos und wird nie satt. Er versucht, das Leben an seinem Rand zu erleben, im Extremen, in immer neuen Erfahrungen, die nicht reflektiert werden, sondern vorbeirauschen. Das ist der Unglaube.

Das Brot ist da, es liegt auf dem Tisch. Glaube heißt dann: „Ja, so ist es. Das sehe ich. Das ergreife ich.“ In Jesus Christus wird das Leben leibhaftig. Leben, das Bestand hat, ewiges Leben. Um den Glauben kann ich nur bitten. Der Duft des Brotes möge mich anziehen.

Wenn ich dann zum Abendmahl vor dem Altar stehe und meine Hand nach dem Brot des Lebens ausstrecke, sage ich: „Ich bin machtlos, ich bin bedürftig, ich bin dankbar“. Ich kann da nur mit zitternden Händen stehen, bettelnd, unsicher, erwartungsvoll. Es ist meine Zustimmung zu dem, der sagt: „Ich bin das Brot des Lebens. Das ist mein Leib. Brot des Lebens. Nimm hin und iss.

Und am Ende, das soll heute nicht unerwähnt bleiben, ist die ausgestreckte Hand gleichzeitig eine Geste des Protestes. Protest gegen alle Macht der Ungerechtigkeit, des zugelassenen Hungers auf unserer Erde. Der Erde, auf der Korn genug wächst: Reis, Hafer, Roggen, Weizen und Gerste für alle.

Perikope
30.07.2017
6,30-35

Manchmal schmeckt einem das Leben nicht - Predigt zu Johannes 6,30-35 von Peter-Michael Schmudde

Manchmal schmeckt einem das Leben nicht - Predigt zu Johannes 6,30-35 von Peter-Michael Schmudde
6,30-35

Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Am Anfang kannst Du nicht genug bekommen: Wenn Du aufwachst, wartet es schon auf Dich: Das Brot des Lebens. Es schmeckt nach Kakao, Kindergarten und Käse, nach Murmeln und Ball und Roller, nach Buntpapier und Knete, nach Schnee und Blüten und Äpfeln mit Zimt. Du hast keine Mühe. Es ist da: Wenn Deine Eltern Dich küssen und in die Luft werfen, wenn sie Drachen mit Dir fliegen lassen oder im Sommer ans Meer fahren. Es ist da, weil Dir jeder Tag das Beste verspricht. Und weil Du jeden Tag neu anfangen kannst. Du hungerst nach jedem neuen Tag, weil Du groß werden willst, weil es so lange dauert, bis die Kerzen auf dem Geburtstagskranz wieder brennen, weil es unendlich ist bis zum Lichterbaum.
Das Leben. Das Brot des Lebens. Es hilft Dir größer zu werden und stärker und neugierig zu bleiben. Es ist da und ist so selbstverständlich: Das Leben.

Und er sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Irgendwann schmeckt das Brot nach Brotbüchse und Matheheften, nach Turnhalle und Schulhof, nach Pflicht und nach frühem Aufstehen.
Es schmeckt nach Ermahnungen der Eltern. Es schmeckt auch nach schlechten Noten und heimlichen Ferienwünschen. Und wenn es Dir schmeckt, dann ist immer zu wenig davon da. Die Festmähler werden weniger. Und Du merkst ganz langsam, dass das alltägliche Brot manchmal langweilig ist oder hart.

Doch Er sagt Dir wieder: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Dann kommt ein Hunger, den Du nicht kanntest. Und das, was Du täglich zu Dir nimmst, schmeckt nach ziellosen Liebesbriefen und Trennungstränen. Es schmeckt nach Sehnsucht und Aufbruch. Es schmeckt nach Zukunft. Manchmal auch nach nichts. Es schmeckt nach Konfirmandenstunden und langweiligen Predigten, nach erstem Bier und nach nächtelangem Lernen. Manchmal liegt Zukunftsangst darauf. Und Du fragst Dich, ob das jetzt immer so weiter geht.
Du würzt es mit Freunden, die es mit Dir teilen. Manchmal sind es die falschen und manchmal die richtigen. Es schmeckt nach Entscheidungen: Wie willst Du Dein Brot verdienen? Und sein Geschmack mischt sich mit Wolken von Mopedbenzin und Zigaretten, mit Wodka und Cola. Und morgens schmeckt Dir sein fader Geschmack manchmal nicht.

Und Er sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Ab und zu schaust Du auch neben Dich. Du siehst, wie andere zu kauen haben am Leben. Du hast die Welt inzwischen ein bisschen besser im Blick. Und Du merkst, dass es so wenig gerecht zugeht. Manch einer hat sich verschluckt. Andren schmeckt es nicht, was ihnen täglich vorgesetzt wird. Und dann gibt es die, denen das Lebensbrot völlig fehlt. Du gibst ab von dem, was Du hast. 

Inzwischen wiederholst Du die Worte dessen, der da spricht: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Vielleicht hast Du den Menschen gefunden, der mit Dir teilt, was er zu kauen hat am Leben. Es ist gut zu teilen, das hast Du inzwischen gemerkt. Wenn es gut geht, schmeckt es auch ganz gut, das Lebensbrot. Und es hat seine Würze mit den Kindern, die Du großwerden siehst. Mit der Arbeit die Dich fordert. Mit den Festen, die Du feierst.

Und immer noch spricht Er zu Dir: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Du hast Entscheidungen gefällt. Aus den Möglichkeiten ist Deine Wirklichkeit geworden. Ob es Dir immer schmeckt? Oder ist inzwischen das Kauen so schwer geworden und Dein Hunger so klein?
Inzwischen weißt Du: Das Leben schmeckt manchmal nicht nur nach Zahnweh, sondern auch nach Krankenhäusern und Friedhöfen, nach langen einsamen Abenden, nach Sehnsucht und fauligem Laub auf herbstnassen Straßen. Es schmeckt nach Kälte zwischen grauen Häuserwänden und schlechten Nachrichten.
Manchmal geht sein Geschmack Dir verloren.

Doch Einer spricht: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Wie wird es sein an dem Tag, wo Dein Hunger aufhört? Wenn Du zu schwach bist, weiter zu kauen am Brot des Lebens? Wirst Du den Weg gehen können, der Dich woanders hinführt? Und wohin gehst Du dann?

Einer lädt Dich an seinen Tisch. Und er spricht: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Und Du stehst mit den anderen um den Tisch des Herrn. Ein kleines Stück Brot, ein winziger Weinhauch vom Kelch.
Und Du schaust Dich um und siehst sie vor Dir: Sie alle, denen das Brot des Lebens manchmal schmeckt. Du siehst sie, die sich manchmal die Zähne daran ausbeißen, am Leben, wie Du. Und manchmal schlucken wir alle so schwer an dem Brot unseres Lebens.

Und Du siehst Dich im Kreis der Jünger von damals. Der seltsame Freund nimmt das Brot und den Wein. Und er gibt es allen und spricht: Das ist mein Leben für Dich, Leib und Blut, das bin ich – für Dich.

Und Du sitzt dabei als sie trauern um ihren Glauben am Abendbrottisch in Emmaus, siehst, wie einer das Brot teilt. Und wie dann der Eine plötzlich da ist, der spricht: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35)

Und Du wünschst Dir, dass es heute so sein könnte: Dass er das Brot des Lebens mit Dir teilt. Heute hier. Und morgen bei sich zu Haus.
Ja: Ich will es nehmen, das Leben, das Du mir gibst. Denn davon werde ich leben. Amen.

 

Perikope
30.07.2017
6,30-35

Gottes Cross Media Liebe – Predigt zu Johannes 1,35-42 von Markus Kreis

Gottes Cross Media Liebe – Predigt zu Johannes 1,35-42 von Markus Kreis
1,35-42

Bei Twitter klappt das gut mit den Followern. Wie sieht es mit der Nachfolge Jesu aus, liebe Gemeinde? Im Bibeltext geht alles klar. Obwohl er mit über 700 Zeichen mehr als fünf Mal so viel hat wie ein Tweet haben darf. Aber die Satzwechsel zwischen Jesus und seinen Jüngern sind twitterkurz. Die maximal 140 Zeichen braucht keiner der Sprecher. Die meisten Sätze kommen mit 14 aus. Jesu Schlusssatz braucht 50. Und zack, gleich neue Follower gekäscht.

Die Welt der Bibel damals ist nicht mehr die von heute. Die Zahl der Nachfolger Jesu scheint zu stocken. Zumindest in unseren Breitengraden. Die beliebtesten Tweeter der Welt werden von fast 100 Millionen Followern favorisiert. Mesut Özil, Deutschlands Spitzentweeter, folgen zehn Millionen.
Die Kirche ist mit ihren Häuptern weit entfernt von solchen Ziffern. Unbeschadet der hohen Zahl an Christen. Woran mag das liegen? Haben Christen keine Smartphones? Liegt es daran, dass man Fotos, Videos und Musikdateien an die Kurztexte anhängen kann? Was hat es mit der Nachfolge auf sich?

Crossmedial ist unser Nachfolgebibeltext nicht zu nennen. Jedenfalls nicht in diesem Sinn. Er ist nur und nichts als Text. Und als Text ist er im Vergleich recht schlecht geraten. Da ist keine Musik drin, eher der Ton eines Stücks von Beckett. Die einzigen Bilder: Lamm Gottes und Fels. Dann ein bisschen „Name Dropping“, etwas Mund zu Mund Propaganda, zum Schluss ein nickname – und fertig ist die Story vom Anfang eines Welterfolgs.
Dazu kommt ein Cliffhanger. Ein Cliffhanger ist etwas aus der Trickkiste von Erzählern. Dabei wird so vorgegangen, dass das Ende einer Story offen bleibt. Und damit der Fortgang der Geschichte. Zum Beispiel so:
Der Held hält sich mit aller Kraft einarmig fest an einer schmalen Kante in offenem Fels hoch über dem Meer. Der Wind stürmt, das Gestein bröckelt. Schwarzblende, Unterbrechung, Ende des Kapitels. Wie geht es weiter? Wird er abstürzen? Wird er sich retten? Wird er gerettet werden? Ein Cliffhanger sorgt dafür, dass man an der Story dran bleibt. Dass man wissen will wie es weiter geht. Dass man dem Helden quasi im Gedanken beistehen möchte.
In unserem Bibeltext findet sich ein Cliffhanger, der nie zu Ende erzählt werden wird. Gegen jede Regel! Kommt und seht! Jesu Antwort weckt Neugier. Neugier, die nicht befriedigt wird. Jesu Bleibe über den Tag. Ja, was ist mit der? Was hat die Zwei veranlasst, sich Jesus zu verschreiben? Das will ich wissen, verflixt und zugenäht.

Heute kaum mehr Follower. Kein Wunder bei diesem Dialogangebot, oder? Als das sorglose Zwitschern und Treiben der Vögel noch Gottes Tun zeigte, da mag das noch gefunzt haben. Aber heute? Crossmedial ist unser Bibeltext nicht zu nennen. Jedenfalls nicht in diesem Sinn.
Aber in einem anderen Sinn. Dieser Text ist crossmedial schlechthin. Ihn kann man besser verstehen, wenn man das Kreuz Jesu versteht. Crossmedial heißt: Sein Sinn vermittelt sich im Kreuz Jesu. Oder wie der Bibeltext gesagt: Im Dasein Jesu als Lamm Gottes. Und das heißt, in dessen Bedeutung für Gott und sein Tun. Im Blick auf Gott bedeutet das Kreuz Jesu:
Er erschafft mit seinem Wort aus dem Nichts einen Neuanfang. Ansatzlos, unvorhergesehen, unvermittelt. Ohne unser Tun und Denken. Gegen unser Tun und Denken. Gott arbeitet still und leise in unserem Gehirn. Aber nicht nur in unserem Geist. Sondern weil das Gehirn ein Organ ist, zugleich in unserem Körper. Gott schafft neues Denken, neues Tun, neue Bedeutung. Ohne unser Wissen und Wollen, gegen unser Wissen und Wollen. In uns neues Wissen und Wollen.
Gottes Tun im Kreuz wirkt unwiderstehlich. Wen es berührt, der kennt nichts anderes mehr. Der sieht nur noch die Wahrheit von Gottes Kreuz. Was immer ihm sich sonst noch als Wahrheit einflüstert oder anbietet. Die Wahrheit vom Kreuz wirkt bei uns wie ein Adblocker.
Als Adblocker wird ein Programm bezeichnet, das im Hintergrund des Computers arbeitet. Es sorgt dafür, dass beim Surfen Werbung nicht angezeigt wird. Und zwar, obwohl sie mit Webseiten gekoppelt ist. Solch unterdrückte Werbung spielte sich sonst ein als Musik, Bild, Video, Verbal- oder Schrifttext oder auch als Pop-Up.
Unser Bibeltext erzählt von diesem Wirken Gottes in Jesus. Da steht geschrieben: Zwei Johannesjünger hörten Jesus reden, folgten ihm nach und Jesus wandte sich um. Was kann das heißen? Zunächst einmal sonnenklar: Das kann den Vorgang beschreiben, den einer wahrnimmt, der am Weg steht und Jesus und die Jünger beobachtet. Sie sind ihm auf der Spur. Er dreht sich um zu ihnen.
Es steckt aber noch mehr drin. Es kann den Vorgang meinen, der in den Köpfen der Jünger geschieht, während sie Jesus auf der Spur sind. Oder ihn tracken, wie man heute im Computerdeutsch sagt. Tracken heißt: Man verfolgt - zu welchem Zweck spielt hier keine Rolle - die Datenspur, die einer im WorldWideWeb hinterlässt.
Und dann würde der Satz „Jesus dreht sich um“ bedeuten: Sie bekamen ein anderes Bild von ihm. Jesus wurde für sie ein anderer, während sie ihm nachfolgten. Er bekam für sie eine sich wendende Bedeutung. Zum Beispiel von einem Allerweltmenschen zu einem ganz besonderen. Zum Messias. Zu dem einen Menschen Gottes. Ist das nicht schön, diese Nachfolgestory? Dank Tracking und Following kann man auch im Netz Gott ins Netz gehen!

Hören wir, wie es weiter zugeht. Sie sind unterwegs und entdecken eine interessante Frau. Oder einen interessanten Mann. Nun, das passiert immer wieder mal. Aber stellen Sie sich vor: Angesichts dessen vergessen Sie sowohl sich als auch das, was Sie eigentlich vorhatten. Und in einem Anfall blinder Gefühle gehen Sie diesem interessanten Menschen einfach hinterher, folgen ihm nach. Ohne dass dieser etwas weiß von Ihnen, geschweige denn, von den Ihnen selbst verborgenen Gefühlen.
Und plötzlich dreht dieser Mensch sich um. Und sie erkennen, dass er an ihrer Mimik und Gestik erkennt: Der da will etwas von mir. Verfolgt irgendein Ansinnen. Und Sie hören, dass er Ihnen wie Jesus die Frage stellt: Was willst Du eigentlich?
Bei aller Liebe, würden Sie sich da nicht irgendwie ertappt fühlen? Leicht peinlich berührt. Aus dem vermeintlich sicheren Versteck der Distanz versetzt in offene Nähe? Genötigt vom Beobachter zum Teilnehmer? Zum Teilnehmer in Not, weil er weiß, dass er abgewiesen werden kann. Raus gedrängt werden vom Spielplatz. Nicht mal auf den Zuschauerrängen bleiben darf.
Da gewinnt man per Gegenfrage gleich Abstand zwischen sich und dem Angebeteten. Unterdrückt die eigene Unsicherheit. Betont die eigene Herrlichkeit. Will den anderen unter Zugzwang setzen. Ihn damit etwas schwächen: Zeig mir erst mal, was du drauf hast! Was ist Deine Bleibe?
Wie das wohl ausgeht? Was soll da schon passieren, allen Abstandsspielchen zum Trotz. Einer weiß nicht recht um die eigene Liebe für jemand. Und wird vom Geliebten angesprochen. Der wiederum die Liebe dieses Gegenübers erkennt, die dem selbst nicht recht klar ist.

Der Beobachter, der schon Teilnehmer ist, ohne es zu wissen - der hat keine Wahl. Dem bleibt nichts anderes übrig, als ein Teilnehmer mit Haut und Haaren zu werden. Auf Gedeih und Verderb. Und bei Jesus heißt das: auf Gedeih. Also ein Teilnehmer, dessen Liebe, die ihm nicht gewahr ist, nicht ausgenutzt wird. Ein Teilnehmer, der mitspielen darf. Der aussetzen darf, auf der Ersatzbank, oder auf den Zuschauerrängen. Ein Teilnehmer, der wieder Beobachter sein darf.

Was ist deine Bleibe? Die Antwort lautet: Mein Lieber, ich habe keine Bleibe, ich bin die Bleibe. Und du wirst mein und bleibst mein Jünger und Freund.
Zur Jüngerschaft kommt man wie die Jungfrau zum Kind. Der christliche Glaube kennt nicht nur die Jungfrauengeburt. Er kennt so gesehen auch eine Jungmännergeburt. Das Geheimnis der Jungfrauengeburt bedeutet: Jesus wurde als leibhaftiger Mensch geboren und gezeugt. Aber anders als alle anderen. Nicht nur der Geist Jesu wird einseitig und nur von Gott erzeugt und bestimmt. Auch sein Leib. Damit wird klar gestellt: Kein Mensch hatte und hat je von sich aus die Fähigkeit, Gott aufzunehmen. Weder mit seinem Geist, noch mit seinem Leib. Allein Gott sorgt dafür, dass einer ganz an Leib und Seele dazu fähig ist.  
Zur Jüngerschaft kommt man also wie die Jungfrau zum Kind. Der christliche Glaube kennt nicht nur die Jungfrauengeburt. Er kennt so gesehen auch eine Art Jungmännergeburt. Will sagen: Jüngerschaft ereilt einen. Das hat Mann nicht in der Hand. Gleich ob einer dagegen kämpft. Oder ob einer mit aller Gewalt Jesu Nachfolge antreten will. Zum Jünger wird man. Man macht sich nicht selbst dazu. Das heißt für die Nachfolger: Sie bleiben grundsätzlich Schaf. Selbst als Hirte bleiben sie immer Herdentier.
Jünger zu werden, das beruht auf nackter Gnade. Vielleicht kommt deshalb unser Bibeltext so nackt und bloß daher. So unscheinbar und unansehnlich. Ohne beeindruckendes Wunder, ohne Musik, kaum Bilder. Zusammen gestückelt aus Standards der Dramakunst. Hölzernes Personal, unmotivierte Dialoge. Neugier stiftend, diese mit Erklärungslücken nicht stillend. Damit die Neugier auf Gottes Tun schön hungrig bleibt. Und damit unsere uns verborgene Schwäche für Gott zu neuer Kraft und Stärke wird. Amen.

 

 

Perikope
16.07.2017
1,35-42