Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster - Predigt zu Johannes 16,5-15 von Caroline Warnecke
„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster.“
Und ein leichter Wind strömt ins Zimmer und bringt frische Luft mit, und das tut jetzt gut. Frische Luft, dieser leichte Wind, das geöffnete Fenster. Und Licht. Und der Duft von den Lindenblüten. In den Gardinen schwingt ein sanftes Wehen hin und her, und draußen singen ein paar Vögel, sonst ist es still. „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“. Und jetzt wird es anders weitergehen. Aber vorher ist auch viel gewesen.
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für heute am Pfingstsonntag steht im Johannesevangelium, im 16. Kapitel.
Jesus spricht zu seinen Jüngern:
Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? Doch weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer.
Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch verkündigen.
Liebe Gemeinde,
ja, es ist viel gewesen und jetzt wird es anders weitergehen.
Jesus sagt seinen Jüngern, dass er weggehen wird. Die gemeinsame Zeit ist vorbei, und die Jünger ahnen, dass sie nicht mitgehen können und zurückbleiben. Traurig sind sie und vermutlich auch ratlos. Was will er uns sagen? Was hat das alles zu bedeuten? Warum soll es gut für uns sein, dass er weggeht? Warum überhaupt? Und womit versucht er uns hier zu trösten?
Große Worte fallen in traurige Menschenherzen: „der Tröster“, „Sünde“, „Gerechtigkeit“ und „Gericht“, „Der Geist und die Wahrheit.
Wer traurig und ratlos ist, wer sich fragt, wie es jetzt eigentlich weitergehen soll, wird sowas kaum hören und aufnehmen können. Und so ist es oft beim Abschied: Abschiedsworte können sehr klar und sehr deutlich sein und einen gleichzeitig völlig verwirren. Sie können die ganze Wahrheit aussprechen und einen gleichzeitig völlig im Unklaren lassen. Später, manchmal erst sehr viel später, mit Abstand und Zeit versteht man dann und begreift und bringt die Dinge zusammen, entdeckt den verborgenen Sinn.
Zu Pfingsten also diese Worte, die doch eher still und nachdenklich daherkommen.
Kein feuriges Brausen vom Himmel, keine Feuerzungen, nix Verrücktes, auch nichts Verzücktes, keine Köpfe voll süßem Wein, keine Ekstase, kein Zungenreden, auch nicht Geistausgießung für alle, keine großartige Erweckung und auch kein pfingstlicher Gemeindezuwachs, keine Massentaufe, kein „Happy Birthday, liebe Kirche“ und nicht Hunderttausende, die singen und beten wie auf dem Kirchentag.
Ein stiller und nachdenklicher Text. Man könnte auch sagen „Vom Kommen und Gehen“. Denn zwischen den großen Worten schwingen wie in einem sanften Wehen diese anderen Worte hin und her und sie bringen Bewegung mit: weggehen, fragen, gehen und kommen, senden, leiten, reden und hören, verkündigen und auftun.
„Vom Kommen und Gehen“ oder besser „Vom Gehen und Kommen“? Denn hier geht ja erstmal einer und verweist auf das, was kommt. Und das ist ja auch unsere Erfahrung: erst wenn etwas weg ist, wenn etwas zu Ende gegangen ist, wenn etwas vorbei ist, ist Platz für das Neue.
Wir müssen uns nicht wie die Jünger von Jesus verabschieden. Die haben mit ihm gelebt und die müssen verkraften, dass er nicht mehr da ist. Aber wir müssen uns in unserem Leben auch immer wieder auf Abschiede einstellen und haben auch schon viele erlebt.
- Die Kinder gehen aus dem Haus, und auch wenn sie nicht weg sind, kommen sie anders zurück. Und jetzt gerade nach dem Abi, wo sie aufbrechen und losziehen – da wird es viele Abschiedsszenen geben. Mütter und Väter. Es ist so viel gewesen, und nun wird alles anders.
- Es gibt Trennungen, die auf andere Weise zusetzen und schmerzen. „Die haben sich getrennt“ hören wir. „Die haben sich auch getrennt.“ flüstern wir uns zu. Menschen verlassen einander, verlassen den anderen, den Partner, die Kinder, die Familie.
- Wir beenden eine Lebensphase und gehen in eine andere, auch da bleibt manches zurück.
Das Ende einer Freundschaft. Der Abschied von einer langen Beziehung. Unser Körper, der uns zeigt, wie begrenzt wir leben, und der Tod mit all seinen Vorboten und seinen Schrecken, mit der Trauer, die er hinterlässt.
„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“.
Und ein leichter Wind strömt ins Zimmer und bringt frische Luft mit und das tut jetzt gut. Diese frische Luft, dieser leichte Wind, das offene Fenster. Und das Licht. Und jetzt wird es anders weitergehen. Auch wenn so viel gewesen ist. Wir verabschieden das, was nicht bleiben kann und lassen gehen, was gehen will und gehen muss.
Auch in anderer Weise erleben wir gerade, dass etwas zu Ende geht. Verbindungen und Bündnisse, die bisher Bestand hatten, werden brüchig. Die Weltordnung verändert sich auf dramatische und vor allem auch auf unberechenbare Weise. Die anderen und wir hier in Europa. Sicherheiten gehen verloren. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück weit vorbei…“ (Merkel). Dieses Zitat hat in der letzten Woche ja einiges aufgewirbelt, aber auch einiges klar gestellt.
Und mittendrin unsere Kirche, in ihrer langen Geschichte, aber auch in ihrer Verantwortung. Wohin wird sie sich entwickeln? Wovon müssen wir uns verabschieden? Was ist mit den vielen Gemeinden, landauf, landab, die mit aller Kraft, manchmal auch mit allerletzter Kraft versuchen, das Bisherige zu halten und als Gemeinde verlässlich zu bleiben? Welche Stimme, welche Rolle wird unsere Kirche in Zukunft spielen. Es gehen so viele und es kommen so wenige. Auch hier Trauer- und Abschiedsprozesse. Wir können nicht mehr alle besuchen, nicht mehr alles anbieten, nicht alles erhalten. Und das zu begreifen und auch anzunehmen, fällt schwer und tut weh. Was wird da jetzt kommen?
„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“.
Und ein leichter Wind strömt ins Zimmer und bringt frische Luft mit und das tut jetzt gut… Und jetzt wird es anders weitergehen. Wir öffnen uns am offenen Fenster für das, was kommt. Für das Neue, das hereinweht, für die Ideen, die uns zufliegen – und fangen schon mal an, heute zu tun, was erst morgen oder übermorgen möglich scheint.
Das mit dem geöffneten Fenster ist übrigens ein Buchtitel. „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“, ein Buch von der Autorin Susann Pasztor1. Manche haben es vielleicht gelesen. Ein Buch, das ein schweres Thema aufnimmt, und es sehr gefühlvoll und würdig, aber auch sehr humorvoll verarbeitet. Der Abschied vom Leben. Die Zeit, die noch bleibt. Eine Sterbebegleitung mit ungewöhnlichen, geradezu wunderbaren Wendungen. Ein letzter Weg, auf dem noch so viel Neues passiert, und keiner hätte das je für möglich gehalten. Da geht jemand, aber da kommt auch jemand. Für die einzelnen Menschen, um die es hier geht, öffnen sich völlig neue Perspektiven.
„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“.
Der Ausblick, den Jesus seinen Jüngern durch das offene Fenster seines Abschieds zeigt, ist erstmal nur ein Name: Der Tröster. Der Geist der Wahrheit. Aber dieser Name ist mit Jesus auf Engste verbunden. Es ist nicht irgendein Geist, der kommen wird und weht, wo er will. Der Geist der Wahrheit und des Trostes ist kein anderer als sein Geist. Der Geist, in dem Jesus selbst gelebt und gewirkt hat, der ihn selber geführt und geleitet hat auf seinem Weg durch diese Welt und ihre Abgründe. Es ist sein Geist und der seines Vaters, der Geist Gottes. Wie eine Taube kam er bei seiner Taufe herab und ließ ihm sagen „Du bist mein lieber Sohn…“ (Mk 1,11). Und dieser Geist lag auf ihm, um den Armen das Evangelium zu verkündigen und den Gefangenen, dass sie frei sein sollen und den Blinden, dass sie sehen sollen und um die Zerschlagenen in die Freiheit zu entlassen…(Lk 4,16ff). Und das haben die Jünger dann ja schon auch hautnah erleben können: diese Umbrüche. Dieses Neue, was da in ihre kleine Welt kam. Die Erfahrung, dass es weitergeht, obwohl erstmal nichts danach aussah. Sie waren dabei als das Leben wieder zu leuchten begann und ein frischer Wind über die Gesichter zog und die Augen wieder froh wurden. Und das werden sie beim Abschied jetzt auch nochmal sehen und erinnern können: die Bilder, die Begegnungen, diese vielen Geschichten. Weißt du noch? Weißt du noch, wie er das Brot teilte. Wie alle satt wurden. Und wir hatten ja nichts. Wie ruhig er blieb, als das Boot anfing zu kentern.
Durch das geöffnete Fenster also doch nochmal ein Blick zurück:
Nein, wir sind nicht die ersten, die uns fragen, wie es weitergeht und was jetzt kommen wird. Wir sind die ersten, denen bange wird angesichts einer unsicheren Zukunft.
Der Geist Gottes hat eine lange Geschichte.
Sie beginnt, als alles begann, als der Geist Gottes noch über den Wassern schwebte und alles wüst, chaotisch war und leer: Der Geist Gottes und seine schöpferische Kraft.
Die Propheten, die beseelt und gesandt von diesem Geist hingewiesen haben auf das, was schief läuft und ungerecht ist: der Geist Gottes und seine warnende Kraft.
Die Menschen, die sich haben inspirieren lassen, über all die Jahrhunderte, die Mystikerinnen, die Liederdichter, Paul Gerhardt auch Luther und das, was wir mit den 500 Jahren Reformation dieses Jahr feiern: Der Geist Gottes und seine erneuernde Kraft.
Am geöffneten Fenster sagt uns Jesus darum auch das: der, der kommen wird, war schon da. Er kommt und geht. Sie geht und kommt. Er wird auch in Zukunft wehen, wo er will, aber er bleibt. Und da ist sie ganz verlässlich, die Heilige Geistkraft Gottes. Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
„Und dann steht einer auf...“.
Jesus ist auferstanden und hat uns das Fenster des Lebens und der Zukunft weit geöffnet. Und jetzt stehen wir da und schauen in die Welt. Und ein frischer Wind strömt durch unsere Herzen und wir richten uns auf. Und das tut jetzt gut. Diese Zuversicht, diese Aussicht. Und dabei wird uns bestimmt auch etwas einfallen. Diese Redewendung bewahrt ja sehr schön, wie das mit den Einfällen so ist: die kann man nicht planen oder sich vornehmen. „Da wird uns etwas einfallen“, heißt ja auch, da wird uns etwas zufallen, da wird etwas in uns einfallen.
Pfingsten können wir nicht machen. Pfingsten sind wir ganz und gar Empfangende – wie immer, wenn es um das Wesentliche geht. Da können wir nur die Fenster weit aufmachen und die Hände ausbreiten und unsere Herzen öffnen und unsere Ohren spitzen, denn was zukünftig sein wird, wird er uns verkünden, der Heilige Geist.
Und wenn wir jetzt singen, dann können wir ja einfach mal so tun, als ob hier in der Kirche alle Fenster offen stehen und ihn so herbeibitten und zu uns singen: „O Heilger Geist, kehr bei uns ein und lass uns deine Wohnung sein…“ (EG 130)
Amen.
1 Susann Pásztor, Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2017
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Den leeren Raum füllen - Predigt zu Johannes 16,5-15 von Kathrin Nothacker
Samirs Eltern sind kurz vor seiner Geburt aus dem Libanon geflohen. Die Familie lebt in Deutschland. Samir erlebt eine Kindheit wie andere Kinder: er wächst in einer behüteten Familie auf. Deutsche und libanesische Kultur vermischt sich. Als er acht Jahre alt ist, verschwindet sein Vater von einem Tag auf den anderen. Er ist vom Erdboden verschluckt. Die Schlüssel hat er zuhause am Schlüsselbrett gelassen. Er hat nichts mitgenommen. Morgens aus dem Haus gegangen, am Abend nicht mehr nach Hause gekommen. Für immer verschwunden.
Das spurlose Verschwinden des Vaters prägt sich tief in Samirs Kinderseele ein. Alles um ihn herum atmet den Geist und die Erinnerungen an den Vater. Der Verlust wiegt schwer. Das Weggehen fühlt sich an wie ein immerwährender Verrat. Die Fragen drehen sich im Kreis. Die Antworten fehlen. Samir ist traumatisiert.
Weggehen heißt Abschied, Verlust, Trauer, Traurigkeit – manchmal Trauma. Weggehen bedeutet für die Gehenden und die Zurückbleibenden meistens nichts anderes als Schmerz.
Jesus sagt:
Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. [...] Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen. (Joh 16, 5-15)
Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.
Liebe Gemeinde, wenn wir jetzt die Kirche verlassen würden, auf die Straße gingen und die vorbeikommenden Menschen fragten, was es denn mit dem christlichen Pfingstfest auf sich habe, ich weiß nicht, welche Antworten wir bekämen. Ob überhaupt eine. Wenn wir dann sagen würden, Pfingsten feiere das Weggehen Christi und das Kommen des Geistes, würden uns Menschen vielleicht wirklich fassungslos anschauen.
Aber genau das ist es, was wir an Pfingsten feiern: Christus geht weg und der Geist der Wahrheit, der Geist des Trostes kommt. Mit Jesu Weggehen, mit der Tatsache, dass er sich den Menschen nach seiner Auferstehung entzieht, öffnet sich erst einmal ein großer, leerer Raum. Es ist ein Trauma.
Jesus, der wie kein anderer mit den Menschen unterwegs war, der Blinde sehend und Lahme gehend gemacht hat, der Tote und Totgesagte ins Leben zurückgeholt hat, der zu den „Outcasts“ gegangen ist und seinen schlimmsten Feinden vergeben hat – man hat ihn zum Schweigen gebracht, seine Spuren verwischt, seine sterblichen Überreste verscharrt.
Manche haben dann erzählt, er sei auferstanden, sie haben ihn gesehen, Gott habe ihn ins Leben zurückgeholt. Mit manchen habe er danach das Brot geteilt, anderen seine Wunden gezeigt.
Aber nur manchen. Viele spüren Leere, Verlassenheit, Trauer. Da ist ein großer leerer Raum.
Wie bei Samir. Nach dem Weggang des Vaters trösten ihn nicht die Freunde, nicht der väterliche Freund, nicht die Mutter. Der Vater fehlt. Er hat ihm erzählt von den Zedern des Libanon, er hat ihm die Lieder seiner eigenen Kindheit vorgesungen, er hat mit ihm Schiffe aus Walnussschalen gebastelt und sie auf das imaginäre Mittelmeer geschickt. Niemand und nichts kann den Vater ersetzen. Die Leere ruft ein Leben lang körperliche Schmerzen hervor.
Jesus sagt: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht
weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. (Joh 16,7)
Der Messias, der Heilsbringer geht, zieht sich aus dieser Welt zurück. Ein ungeheurer Gedanke. Unser Gott nimmt sich zurück und sagt: Im Loslassen werdet ihr stark sein, im Verlieren werdet ihr gewinnen, im Abschiednehmen Neues empfangen.
Das Neue ist der Geist der Wahrheit: Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. (Joh 16,13a)
Ein Raum öffnet sich, der durch Jesu Weggehen leere Raum füllt sich mit dem Tröstergeist, dem Geist der Wahrheit. Wie kann man diesen Geist verstehen, wie kann man ihn fassen? Vielleicht gar nicht. Vielleicht jeder und jede von uns ganz anders. Es ist wie mit unserem Glauben. Manchmal ist er stark und groß, manchmal ganz klein und verzagt, manchmal wissen wir nicht, was wir beten sollen, manchmal zweifeln wir an Gott und seiner Macht und manchmal durchströmt uns tiefe Gewissheit: Gott ist da und geht mit.
Der Geist der Wahrheit wird kommen und wird uns in alle Wahrheit leiten, so sagt es Jesus. Er wird den leeren Raum füllen, den wir mitunter schmerzlich empfinden: weil ein Mensch gegangen ist, den wir liebten, weil ein Lebensabschnitt zu Ende gegangen ist, weil wir uns von einem Ort verabschieden müssen, der uns Heimat war, oder von Überzeugungen, die uns Sicherheit gaben.
Wahrheit hat in der Bibel etwas damit zu tun, dass ich mich auf etwas verlassen kann. Dass ich vertrauen kann, dass ich mich binde – an Christus und sein Wort. Es geht beim biblischen Wahrheitsbegriff nicht um etwas Absolutes, um etwas Objektivierbares. Nicht um eine nachprüfbare Übereinstimmung von Sachverhalt und Intellekt. Wahrheit ist Glaube und Treue, Freiheit und Bindung. Wahrheit ist Geschenk.
Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. (Joh 16,13a)
Pfingsten feiert das Kommen des Geistes. Und wenn es der Geist der Wahrheit ist, der kommt und um den wir bitten, dann gönnt er uns und allen anderen Wahres. Ich finde es in den Fundamentalismen unserer Zeit einen ungeheuer tröstlichen Gedanken, dass ich mit dem Geist der Wahrheit auch anderen Wahres gönnen kann. Ich kann und darf mich – Gott sei Dank – an Christus und sein Wort binden. An den Christus, der von sich selbst gesagt hat. Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. (Joh 14,6a) Dieser Christus ist seit Pfingsten in Bewegung, zieht sich zurück, kommt wieder, geht mit. Ist selber der Weg. Auf ihn vertraue ich, an ihm halte ich fest – nicht an meinem eigenen Standpunkt.
Pfingsten, Fest des religiösen Besitzverzichts. Pfingsten gibt dem „Haben“ den Abschied und feiert die Offenheit für ein Leben mit dem Geist Gottes. Und diesen Geist besitzen wir nicht ein für allemal – wie manche meinen, die religiöse oder pseudo-religiöse Wahrheit zu besitzen – dieser Geist ist mit uns auf dem Weg, immer in Bewegung, immer im Werden, im Abschiednehmen und Wiederfinden, in der Leere und in der Fülle.
Martin Luther hat das Leben in Gottes Geist so beschrieben: „Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg.“
Zwanzig Jahre später macht sich Samir auf und reist in den Libanon, um das Rätsel des Verschwindens seines Vaters zu lösen. Er meint, im Land der Zedern eine Antwort zu finden auf die bohrende Frage, wo sein Vater hingegangen ist. Samir wird hineingenommen in eine verworrene Familiengeschichte und in das dramatische Schicksal des Nahen Ostens. Wäre der Vater nicht weggegangen, hätte er niemals verstanden, was das Heimatland der Eltern geformt und geprägt und verletzt hat. Wäre der Vater nicht weggegangen, hätte Samir nicht all die Menschen getroffen, die mit ihm verwandt oder seelenverwandt waren, nicht seine Großmutter und nicht seinen Bruder.
Samirs Geschichte ist übrigens nachzulesen in dem großen Roman von Pierre Jerewan: „Am Ende bleiben die Zedern“.
Weggehen heißt Abschied, Verlust, Trauer, Traurigkeit – manchmal Trauma. Weggehen bedeutet für die Gehenden und die Zurückbleibenden meistens nichts anderes als Schmerz. So habe ich anfangs gesagt.
Weggehen, liebe Brüder und Schwestern, liebe pfingstliche Gemeinde, heißt aber auch: Der leere Raum füllt sich mit dem Geist, dem Geist der Wahrheit, dem Tröster. Das Weggehen ist die Voraussetzung, dass Neues kommen kann: neue Erkenntnis, neue Menschen, neues Leben.
Möge Gottes Geist in unserem Leben einkehren, die leeren Räume füllen und die gefüllten leerfegen. Möge Gottes Geist uns beleben und erfrischen, uns trösten und erneuern.
Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist. Amen.
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Jesus als Aufklärer - Predigt zu Joh 16,5-15 von Reinhardt Schmidt-Rost
Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? Doch weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch verkündigen. (Joh 16,5-15)
Liebe Gemeinde,
der Abschied wird zum neuen Anfang.
Drei Jahre waren sie mit ihm gezogen, Simon und Andreas, Johannes und Jakobus, die zwölf Jünger, die namentlich genannt werden. Aber es waren sicher noch einige mehr, die mit Jesus, ihrem Lehrer, in Galiläa unterwegs waren, die seine Worte gehört und weitergetragen hatten. Und Frauen waren sicher auch dabei.
Die zwölf waren wohl der engste Kreis, auch wenn die Zahl zwölf für die zwölf Stämme Israels stehen mag, also eine zeichenhafte Zahl ist.
Der Abschied wird zum neuen Anfang.
Jesus spürt, dass seine Zeit in dieser Welt zu Ende geht, dass ihn die politisch Maßgebenden verfolgen und ihn umbringen werden. Deshalb versucht er seine Jünger auf die Zeit danach, nach seinem Tod, vorzubereiten.
Ihr seid zwar traurig, wenn ich nicht mehr bei euch bin, aber es ist gut für euch, dass ich weggehe, denn dann kann ich euch den Tröster, meinen Geist, senden.
Das klingt nur im ersten Moment merkwürdig. Näher besehen ist es ein ganz normaler Vorgang auch unter Menschen: Wenn uns ein Mensch verlässt, mit dem wir sehr vertraut zusammen gelebt haben, dann sind wir traurig, aber er hinterlässt uns auch einen tiefen Eindruck. Und je intensiver wir zusammengelebt haben, umso lebendiger bleibt uns ein geliebter Mensch gegenwärtig mit allem, was er uns bedeutete.
Wie oft sagt man über einen Menschen, an den wir uns lebhaft und gern erinnern: Hat sie nicht immer so schön erzählt? Oder erinnert ihr euch noch an seine witzigen Sprüche? Oder sie konnte so gut zuhören und so treffend raten. Oder auch: So wie mein Lehrer möchte ich auch einmal predigen können.
Erst recht bei der Intensität, mit der Jesus mit seinen Jüngern zusammengelebt hat. Wie sollte da sein Geist nicht in ihnen weiterwirken? Aber vor allem und viel mehr: Er hat ihnen eine ganz neue Sichtweise vermittelt, einen ganz neuen Blick auf das Leben gegeben, das werden sie nicht mehr vergessen. Das hat sie geprägt, das war die Wirkung des Heiligen Geistes in ihrem Leben – und diese Prägung haben sie mit einer Kraft der Überzeugung weiter gegeben, dass diese Eindrücke auch auf uns gekommen sind und bis in unsere Tage weiterwirken. Und wir geben sie auch selbst weiter.
Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht;
über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben;
über die Gerechtigkeit: Dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht;
über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. (Joh 16,8-11)
Was Jesus seinen Jüngern vermitteln wollte und weiterhin bis in unsere Zeit vermittelt – und durch uns weiter – ist eine Klärung ihres Denkens, eine Aufklärung.
Sünde ist, dass ihr euch nicht zu mir halten wollt, Gerechtigkeit, dass ich und der Vater eins sind, Gericht aber heißt, dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
Das muss man noch einmal ganz langsam überdenken: Sünde ist kein Kavaliersdelikt und kein Verstoß gegen ein Gebot göttlicher oder weltlicher Herrscher, keine Unterlassungssünde, sondern Entfernung von Gott, dem Gott, den Johannes als die Liebe beschreibt, als Gnade und Wahrheit.
Es ist in diesem Zusammenhang bedenkenswert, was ein Soziologe unserer Tage, Gerhard Schulze, über die Sünde schreibt:
„In der christlichen Theologie tritt mit Luther das eigentlich schon viel ältere Prinzip der Rechtfertigung allein durch den Glauben mit neuer Kraft an die Stelle des archaischen Prinzips der Werkgerechtigkeit. Was sich alle Religionen seit eh und je unter Sünde vorgestellt haben, wird damit unwichtig. Dieser in der protestantischen Theologie fest etablierten Position stimmt auch die katholische Theologie zu, wenn auch eher zögernd und fast hinter vorgehaltener Hand.“ (Gerhard Schulze, Sünde, München 2005, S.129)
Sünde ist für Jesus ein Beziehungsgeschehen, Gottferne, so wie wenn ich mich zu Menschen nicht bekennen würde, denen ich freundschaftlich oder verwandtschaftlich verbunden bin.
Und Gerechtigkeit? Sie ist für Jesus kein abstrakter Wert, sondern die unsichtbare Einheit von Vater und Sohn, die der Geist Gottes den Menschen immer wieder durch das Wort vermittelt. Ein ungewöhnlicher Gebrauch des Wortes Gerechtigkeit, aber für Johannes in seinem Evangelium und seinen Briefen typisch. Gerecht ist die richtige Auffassung von Gott und seinem Gesandten, dass sie eine geistige Einheit sind.
Gerechtigkeit als Einheit von Vater und Sohn bedeutet Gericht und Gnade.
Es wird erfahrbar sein, was gerecht ist. Die Menschen werden Gottes Gerechtigkeit nicht okkupieren können, sie können nicht über sie verfügen. Denn Gottes Geist weht, wo er will. Und wenn Gott als Vater anerkannt wird, dann ist natürlich auch der Fürst dieser Welt gerichtet, nämlich als Gewalttäter verurteilt, gerichtet von Gott als dem Guten Hirten aller Menschen, der durch Wort und Geist wirkt.
Jesus weiß, was er seinen Jüngern zumutet, welchen Bewusstseinswandel er verlangt. Und so fügt er gleich hinzu:
Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. (Joh 16,12f)
Hier ereignet sich eine Form von Emanzipation, von erwachsenem Glauben, von Selbständigkeit und Verantwortlichkeit. Denn in jeder Zeit muss die Gnade und die Gerechtigkeit Gottes neu buchstabiert werden. Auf der Grundlage von Gnade kann der Mensch seinem Unrecht ins Auge sehen. Er ist nicht vernichtet, wenn Gott „der Welt“ die Augen öffnet.Er überlebt die „Aufklärung“, weil der Fürst dieser Welt bereits gerichtet ist.
Auch für uns, für jede neue Generation ist das Evangelium eine Zumutung. Es verlangt einen Bewusstseinswandel, der uns nur durch Gottes Geist und Wort zufließen kann. Der Geist der Wahrheit muss uns in die Wahrheit leiten, wir können als Menschen die Wahrheit nicht herbeizwingen. Und diese Orientierung durch den Geist muss jeden Tag wieder geschehen und sie geschieht auch immer wieder.
Wir erleben die heilsamen Wirkungen des Geistes in vielen Situationen: Bei der Aufhebung der Sprachverwirrung zwischen Fremden, und in Familien, bei der Schlichtung von Konflikten in der Arbeitswelt und zwischen den Generationen. Der Geist wirkt zur Aufhebung der Verständigungsschranken unter den Religionen und zur Aufhebung der Rassentrennung, denn Gottes Geist mildert die Angst vor dem anderen, der mich zu bedrohen scheint. (Von diesen Wirkungen des Heiligen Geistes sprach auch Erzbischof Thabo Makgoba aus Kapstadt im Abschlussgottesdienst auf dem Kirchentag am vergangenen Sonntag.) Wir können Gottes Geist jeden Tag neu spüren und erfahren aus Worten der Bibel, aber auch aus vielen alten und neuen Liedern[1]. Eine Strophe aus einem Lied aus der Schweizer Reformation, von Ambrosius Blarer nimmt die Motive unseres Predigttextes besonders treffend auf:
Wie mit dem Vater und dem Sohn
du eins bist in des Himmels Thron
im ewgen Liebesbunde,
also mach uns auch alle eins,
dass sich absondre unser keins,
nimm weg der Trennung Sünde
und halt zusammen Gottes Kind,
die in der Welt zerstreuet sind
durch falsche G'walt und Lehre,
dass sie am Haupt fest halten an,
loben Christus mit jedermann,
suchen allein sein Ehre. (EG 127,5 – Ambrosius Blarer)
Da ist die Einsicht der Jünger Jesu für die Reformationszeit neu ausgesprochen: Sünde ist eine Trennung von Gott, keine einzelne Tat. Und sie ist überwunden durch Gnade, wir mit der Dreieinigkeit Gottes verbunden in einem ewigen Liebesbund.
Das helfe uns Gott täglich zu glauben und aus diesem Glauben zu leben. Amen.
1 I EG 127, bes. Str.5 u. 6., EG 132. EG 136
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KIRCHENTAG – ELBWIESEN – LUTHER und JESUS – Predigt zu Johannes 7,37-39 von Axel Denecke
1.
Heute ist Kirchentag – die große Abschlussveranstaltung in Wittenberg. An die 100.000 Menschen oder gar noch mehr sollen in dieser Stunde auf den Elbwiesen zusammen kommen. Hoffentlich geht alles gut, in diesen Tagen von Manchester und anderswo. Es wird, so vermute ich, viel von Martin Luther erzählt werden, von seinem „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ in Worms anno 1521, von seinem Leitwort: „Der Christ ist (im Glauben) ein freier Mensch und niemanden untertan. … Und der Christ ist (in der Liebe) ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan“. Große Worte, die wir noch längst nicht eingeholt haben, denn wir hinken dem allem noch meilenweit hinterher.
„Luther wollte mehr“, lautet daher die Parole von Eugen Drewermann, dem ehemals katholischen Priester, der seiner Kirche Adieu gesagt hat und – ohne offiziell Protestant zu werden – sich ganz Luther und der “Freiheit eines Christenmenschen“ zu verschreiben. Er bezeichnet die nicht die ominösen 95 Thesen anno 1517 vor oder neben der Schlosskirche zu Wittenberg als Beginn der Reformation, sondern eben das Wort, das Luther so oder ähnlich auf dem Reichstag zu Worms vor Karl. V gesagt haben soll. „Hier stehe ich – ich kann nicht anders – Gott helfe mir“. Ein einfacher kleiner Mönch gegen die ganze geballte katholische Macht, auch gegen die Gewalt des Kaisers, ja der ganzen Welt. Ein Einzelner mutig gegen alle. (Nur nebenbei: Ich denke, Eugen Drewermann findet sich da selbst sehr wieder. Er ist ja auch ein Einzelner, der der geballten Macht der katholischen Kirche Paroli geboten hat, es immer noch tut).
Nicht umsonst wird ja gesagt: Luther entdeckt die unbedingte Selbst-Verantwortung des einzelnen Individuums. Keiner kann mir in meinem Glauben (ein freier Mensch bin ich und niemandem untertan) rein reden. Keine kirchliche Autorität, weder damals katholisch noch heute protestantisch und lutherisch. Ich höchst selbst bin „reichsunmittelbar“ (so hat es einst Helmut Thielecke aus Hamburg gesagt) zu Gott, bin allein und nur allein für meinen Glauben und auch für mein Leben verantwortlich.
Er also, der kleine Mönchen mit seinem unbändigen Glauben gegen den Rest der Welt, gegen Kirche und Kaiser und gegen wen auch immer, auch gegen die innerprotestantischen Konkurrenten, die es bald gab.
Das ist Reformation. Daran wird - so hoffe ich - heute (jetzt gerade) in Wittenberg erinnert.
2.
Nun kann man solch eine extrem individualistische Haltung von Luther (auf mich als Einzelnen kommt es an) je nach Geschmack naiv und stur oder auch hochmütig, selbstverliebt und überdreht oder auch weltfern und versponnen oder eben auch mutig und glaubenskonsequent finden. Vielleicht ist ja bei Luther von allem etwas dabei gewesen. Wie kommt er aber dazu, so konsequent zu glauben, sich von keiner äußeren Autorität beirren zu lassen, wirklich „reichsunmittelbar“ zu Gott zu sein, keine Mittlerinstanz zwischen ihm und Gott dazwischen. Wie kommt er dazu? Und vor allem: Wie können auch wir dazu kommen, wenn wir denn in seiner Tradition stehen wollen, versuchen, stehen zu wollen?
3.
Dazu kann uns der heutige Predigttext weiter helfen. Jesus – so hat es der Evangelist Johannes komponiert – kommt zum ersten Mal in seinem Leben nach Jerusalem, in die Metropole des offiziellen Glaubens. Jesus, in den Augen der Kirchenmächtigen der damaligen Welt auch nur ein ungelehrter einfacher „Mönch“ aus dem gottverlassenen Nazareth oder Wittenberg oder sonst wo im Abseits der großen Welt. Die Parallelen fallen schon auf. Dieser Jesus tritt also im Tempel (in der Peterskirche in Rom), in der Hochburg des offiziellen von allem mit Kopfnicken gut geheißenen Glaubens auf und predigt „vollmächtig“. Vollmächtig (so Matthäus in der Bergpredigt) aus Gott heraus „und nicht wie unsere Schriftgelehrten“, die die offizielle Lehre verwalten. Vollmächtig, d.h., vom Geist Gottes bevollmächtigt, nicht aus eigener Vollmacht heraus, sondern aus einer Vollmacht, die ihm von Gott verliehen ist. Ich kann auch sagen: Aus der Vollmacht Gottes heraus, die Jesus bei der Taufe am Jordan glaubt von Gott empfangen zu haben. „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“, wie es bei Markus heißt. Jesus also vollmächtig, er allein gegen alle anderen. Die Menschen müssen etwas von seiner inneren Vollmacht gespürt haben, sonst hätten sie sich nicht im Pro und Contra mit ihm so auseinander gesetzt. Vollmächtig, aus Gott heraus, reichsunmittelbar zu Gott. Kein Mensch, keine Tradition, keine offizielle Lehre dazwischen. So predigte Jesus damals auf seiner ersten Reise nach Jerusalem, zum Laubhüttenfest, eines der wichtigsten Feste der damaligen Judenheit.
4.
Und was sagt er da am Ende? „Wenn jemand dürstet, komme er zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wasser fließen“. Wie kann Jesus das sagen? Ist er – ich wiederhole jetzt, das was ich grad eben von Luther sagte - ist er naiv und stur oder hochmütig und überdreht oder weltfern und versponnen oder einfach nur mutig und konsequent in seinem Glauben an Gott? Ich denke, es ist das Letzte. Bevollmächtigt von Gott – so empfindet er sich jetzt, nach dem umwerfenden Erlebnis seiner Taufe – bevollmächtigt von Gott tritt er auf, klar und konsequent und unbeirrt und redet selbst vollmächtig, ausgestattet mit Vollmacht. Also, nicht aus sich selbst heraus, weil er ein so toller und glaubensstarker Mensch ist, sondern eben weil er bevollmächtigt ist von Gott selbst, mit dem Geist Gottes ausgestattet, der ihm diese vollmächtige Predigt erst ermöglicht.
„Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke“. Es geht hier natürlich um den Lebensdurst, den jeder hat, es geht darum, dass mein Leben einen inneren Sinn erhält, dass ich Zweck und Ziel meines Lebens erkenne. Das lernt ihr bei mir, sagt Jesus, nur bei mir. Denn Gott hat mich auserwählt. In der Taufe bin ich von ihm adoptiert worden, Euch das zu sagen. Ich kann gar nicht anders, als es zu tun, ich muss es tun, sonst würde ich Gott ungehorsam sein. Also: „Hier steh ich – ich kann nicht anders – Und Gott wird mir helfen“.
„Orientiert euch an Jesus“, werden später kluge Nachfolger von ihm sagen. Orientiert euch an seinem Leben, an seinem Lebensstil, ja und am Ende auch am Stil seines Sterbens, also an seinem ganzen Leben, an seinen Worten und noch mehr an seinen Taten. Lebt so, wie er gelebt hat, dann gelingt euer Leben. Und da kann keiner dazwischen reden und euch mit klugen theologischen Weisheiten (sei es von den Schriftgelehrten damals oder, von Kirchenfürsten heute) beirren. „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke“.
Ja, das ist ein Aufruf an die Menschen damals und natürlich auch an uns heute. Und da Frage an uns ist: Trinken wir denn bei Jesus? Nehmen wir ihn auf zu uns, gar in uns, so das “Ströme lebendigen Wassers“ aus unseren Glauben heraus entstehen, Ströme des Rechts und der Gerechtigkeit einer nie versiegenden Quelle, wie es einst schon der Prophet Amos (Kap5,21-24) gesagt hat? Diese Frage zu stellen, heißt gleichzeitig auch, sie im Normalfall mit NEIN zu beantworten. Denn sehe ich mich um, in mir selbst und bei anderem, so sehe ich weit und breit recht wenig davon. Und das hat leider auch seinen Grund.
Unser kurzer Predigttext schließt mit den Worten. „Das sagte Jesus aber in Bezug auf den Geist, den alle empfangen sollten, welche an ihn glaubten. Denn den (heiligen) Geist gab es (damals zu Lebzeiten Jesu) noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht (also gestorben und im Geist auferstanden) war“: Also: Nach Jesu Tod und mit seiner Auferstehung ins Leben der gläubigen Menschen sollen diese den Geist Gottes empfangen, so wie ihn Jesus bei der Taufe empfing. Und mit diesem Geist Gottes, dem Stellvertreter Jesu und Helfer der Menschen, sollen, dürfen ja müssen gläubige Menschen im Geiste Jesus auftreten, sollen, dürfen, ja müssen sie reden wie er, handeln wie er, die Welt gestalten wie er. Das ist toll, das ist anspruchsvoll, leider ist es zu anspruchsvoll.
Denn Frage an uns: Sind wir das denn? Und die eindeutige Antwort. Wir sind es nicht, wohl kaum einer von uns. Wir bleiben meilenweit hinter diesem Anspruch zurück. Aus uns fließen nicht Ströme lebendigen Wassers, so dass keinem mehr dürstet. Wir sind trotz unsres bekennenden Glaubens leider – Gott sei‘s geklagt -- recht mittelmäßig, ja dürftig. Dabei ist uns doch der Geist Gottes zugesagt. Jesus sagte am Ende seines Lebens selbst zu seinen Jüngern (und sicher auch Jüngerinnen). Wenn ich mal fort bin, so kommt der Geist als mein Stellvertreter auf euch, dringt in euch ein und dann könnt ihr reden und handeln und lebenwie ich. Pfingsten ist ja dann das Fest wo er der Geist Gottes auf alle Gläubigen verschwenderisch ausgegossen wurde. Wir haben ja die Chance und auch die Aufgabe, in seinem Sinne zu handeln, zu reden, zu leben. Doch wir tun es leider nicht oder eben im besten Sinne, viel zu wenig, Gott sei‘s geklagt.
5.
Und da sind wir eben am Ende wieder bei Luther und bei der Reformation. „Hier stehe ich – ich kann nicht anders – Gott helfe mir“ Und weiter „Der Christ ist (im Glauben) ein freier Mensch und niemanden untertan. Der Christ ist (in der Liebe) ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan“.- Das ist, Wort für Wort, Jesus pur. So hätte er aus seinem unbändigen Vertrauen auf Gott, seinem liebenden Vater, auch reden können. An dieser Stelle sind Luther und Jesus, so sehr sie auch vieles trennt, so sehr Luther niemals an die Glaubenskraft Jesu herankommt, so sehr er das auch selbst weiß und sich über sich beklagt - doch an dieser Stelle sind sie identisch. Der Christ, ja jeder Mensch ist „reichsunmittelbar“ zu Gott und keine Kirche, kein Priester, kein Bischof, kein Schriftgelehrter, kein neunmal kluger Theologe hat ihm da dazwischen zu reden.
Diese Einsicht hat Luther sich hart erkämpft im Ringen mit Gott, bis er den gnädigen Gott für sich entdeckt hat, der ihn nicht strafen will ob alle seiner falschen Taten und seines Irrglaubens, sondern der ihn beflügeln, ermuntern anstacheln will zu einem Gott wohl gefälligen Leben in dieser Welt. „Es ströme aber wie Wasser das Recht und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Amos 5,24), wie es 700 Jahre vor Jesu bereits der Prophet Amos ausgedrückt hat, auch er ein Reformator seiner Zeit, der sich mit König und Priesteraristokratie als einfacher Viehhirt und Maulbeerbaumzüchter (Amos 7,14) angelegt hat: Ja, eine klare Linie führt vom Viehhirten Amos aus der Provinz zum Zimmermannssohn Jesus aus der Provinz hin zum kleinen Mönch der Provinz aus Wittenberg.
Und wohin führt diese Linie heute weiter? Wo können wir sie heute entdecken? Jetzt gerade in Wittenberg auf den Elbwiesen, wenn 100.000 Menschen die schönen Worte von Frau Käßmann oder Herrn Bedforth-Strohm oder wen auch immer lauschen? Hoffentlich! Ich würde es mir sehr wünschen. Und ich sage jetzt nicht: Leider nicht. Denn ich vertraue darauf, dass der Geist Jesu auch heute in Wittenberg sein Wesen treibt, dass er die Menschen, die da reden und singe und spielen mit Vollmacht erfüllt und dass sie alle zusammen vollmächtig wie Jesus von Gottes Liebe zu uns allen Zeugnis ablegen. Ach was, nicht nur Zeugnis ablegen, sondern diese Liebe Gottes auch leibhaft wahr werden lassen, mitten unter uns.
Das ist dann Reformation heute. Reformation unserer Herzen, Reformation unseres Handelns. Vielleicht gar Reformation unseres Glaubens.
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Wiedersehen im Herzen – Predigt zu Johannes 16,16-23 von Elisabeth Tobaben
Liebe Gemeinde,
„Normalerweise“ steht auf einem Patenschein zu lesen, dass jemand Mitglied dieser oder jener Kirchengemeinde ist und das Recht hat, ein Patenamt auszuüben.
Das klingt sehr formalistisch und rechtlich.
Auf dem Formular einer Patin für die Taufe der kleinen E. am vorigen Sonntag in unserer Inselkirche fand ich einen hinreißenden Zusatz: „Wir wünschen Frau N. für diese schöne Aufgabe die richtigen Worte und angemessene Begleitung, um mit ihrem Patenkind einen guten, gelingenden Weg zu gehen, der einladend auf Gott und seine in der Taufe versprochene Liebe weist.“ Das hat mich sehr angerührt.
Mitgehen, auf Gottes Liebe hinweisen, zum Glauben einladen – kann man schöner beschreiben, worum es in der Gemeinde geht?
Zum Glauben einladen, auf die Liebe Gottes hinweisen, mitgehen - das ist auch die Absicht des Verfassers des Johannesevangeliums (Joh 20,31).
Aus seinem Buch ist uns heute ein Text zum Nachdenken vorgeschlagen ist, er steht im 16. Kapitel:
Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt? Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet. Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und er sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll sich in Freude verwandeln. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen. (Joh 16,16-23)
Das ist nun allerdings ziemlich eigenartig.
Was soll das? Ein Abschnitt aus den Abschiedsreden Jesu, mitten in der österlichen Festzeit? Ist das Absicht, dass ich sofort wieder mit den Bruchstücken meiner Lebensgeschichte konfrontiert werde, Assoziationen habe, die die Schattenseiten und das Düstere, Schmerzen und Traurigkeit hervorholen? Irgendwie ärgerlich. Kann man denn nicht einmal im Jahr, wenigstens in der Osterzeit, über Freude nachdenken, ohne sofort wieder ausgebremst zu werden?
Ich merke: Ich brauche Abstand. Historischen Abstand.
Durch die Verse aus dem Johannesevangelium scheinen sich für mich fast wie von selbst verschiedene Ebenen übereinander zu schieben. Bilder gehen wie in Überblendtechnik ineinander über. Als Leserin kann ich eintauchen in verschiedene Zeiten und Situationen, Länder und Gemeinden, Sprachen und Religionen.
Farben und Gerüche, Geräusche und Stimmen mischen sich in meiner Vorstellung, vermischen sich mit meinen Hoffnungen und Träumen , Ängsten und Traurigkeiten.
Bilder sind mir vor Augen, auf denen Jesus mit seinen Jüngern unterwegs ist durch Galiläa, vor Ostern natürlich. Er predigt, er lehrt, wie so oft in den letzten Jahren, während sie mit ihm unterwegs waren.
Aber heute klingt es irgendwie anders, was er sagt, rätselhaft, unverständlich. Denn Jesus hält Abschiedsreden. Ausführlich.
Er führt lange Gespräche mit den Jüngern, will sie offensichtlich nicht zu sehr erschrecken, aber doch vorbereiten darauf, dass sie sich bald ohne ihn werden zurechtfinden müssen in dieser Welt. Ein schwieriger Versuch!
Können sie ihn denn überhaupt verstehen? Ahnen sie, was kommen wird? Werden sie vielleicht versuchen, zu verhindern, dass Jesus nach Jerusalem geht? Werden sie versuchen, ihn herauszufordern, damit er endlich die Macht ergreift, die Römer vertreibt und für Ordnung und Frieden sorgt?
Judas ist schon dabei, es zu versuchen und wird grandios damit scheitern.
In diesem kurzen Auszug aus den Abschiedsreden Jesu liegt der Tenor aber eher darauf, dass seine Zuhörer*innen verwirrt sind. Überfordert. Sie wagen noch nicht einmal, ihn selbst zu fragen: „Wie meinst du das, was du da sagst? Warum werden wir dich eine Zeit lang nicht sehen? Was hast du denn vor? Willst du uns etwa im Stich lassen?“
Sie erörtern erst einmal untereinander, ohne ihn, was er wohl gemeint haben könnte.
Jesus aber ahnt ihre Fragen, spricht von kommender Traurigkeit, heulen und schreien würden sie, sagt er. Sie würden der Schadenfreude der Verfolger ausgesetzt, die froh sein werden, wenn sie es endlich geschafft haben, den Störenfried Jesus zu beseitigen, nicht mehr gestört werden in ihren festgefahrenen religiösen Bahnen. Keine schöne Perspektive!
Wird es leichter, das zu verstehen, durchzuhalten, durch das Stichwort von der „kurzen Zeit“, der „kleinen Weile“?
Nach dem Motto: ist ja nicht so schlimm, es dauert gar nicht lange?
Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. (Joh 16,22)
Wiedersehensfreude? Woher soll sie denn kommen?
Und was ist überhaupt Freude? Man kann sie schließlich nicht verordnen wie ein Medikament. Wie alle Emotionen ist sie entweder einfach da, oder sie will sich nicht einstellen. Sie ist auch längst nicht so eindeutig, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte.
Freude kann zu Freudensprüngen führen, zum ausgelassenen Jubel, aber genauso zu Tränen.
Jubilate?!
Kann eigentlich keine Anordnung sein, kein Befehl: Jubelt! Freut euch!
Am nächsten kommt dem vielleicht der Satz: „Ich möchte dir eine Freude machen!“
Denn das heißt auch: „Du bist mir wichtig, ich möchte etwas dazu beitragen, dass es dir gut geht.“
Freude hat ganz entscheidend mit Beziehung zu tun, mit Liebe.
„Ich werde euch wiedersehen“, sagt Jesus und damit hängt die Freude zusammen, die er ankündigt.
Und jetzt –kurz vor Pfingsten- liegt es nahe, den Geist Gottes ins Spiel zu bringen als Urheber der Freude, der zeigt, dass man –„Wiedersehen“ sehr viel umfassender betrachten kann.
Der Evangelist Johannes hat den Entschluss gefasst, seine gesammelten Texte für seine Gemeinden zu Papier zu bringen und zu veröffentlichen. Jetzt –so stelle ich mir vor- sitzt er und diktiert seine Überlegungen einem Schreiber, vielleicht an einem plätschernden Brunnen in einem orientalisch gestalteten Innenhof einer Karawanserei, in einem Zelt in der Wüste, vielleicht in einem Haus in Ephesus...
Er spricht über seine Deutung dessen, was er gesammelt und gelesen hat über Jesus.
Das Ziel ist völlig klar, er benennt es auch selbst zum Schluss seines Buches:
„Diese (Zeichen) sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das ewige Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,31)
Johannes möchte vor allem seine Begeisterung für Jesus von Nazareth, für den auferstandenen Christus, für den Messias mit Menschen teilen, die in einem ganz anderen Kulturkreis groß geworden sind. Die Griechisch sprechen und nicht Aramäisch (wie Jesus), ganz andere religiöse Wurzeln haben und trotzdem verstehen sollen, worauf es ihm ankommt.
„Wie mache ich das bloß?“ fragt er sich, beginnt einen Satz, verwirft ihn wieder, beginnt neu, versucht es noch einmal.
Welche Zeichen Jesu soll ich aufnehmen in mein Büchlein, fragt er sich, welche sind so aussagekräftig, dass sie meine Leserinnen und Leser überzeugen werden? Welche sind eher eine Doppelung, welche vielleicht zu zweideutig und missverständlich?
Und Johannes erzählt aus dem Leben Jesu, so, als wären seine Leserinnen und Leser gerade eben noch dabei gewesen, als wären sie selbst die Adressaten der Abschiedsreden, gut achtzig bis neunzig Jahre nach Ostern.
Und dann: Gottesdienst in der johanneischen Gemeinde des zweiten Jahrhunderts:
Die versammelte Gemeinde singt wie immer am zweiten Sonntag im Osterfestkreis den 66. Psalm:
„Jauchzet dem Herrn alle Welt, lobsingt zur Ehre seines Namens, rühmt ihn herrlich!
Sprecht zu Gott: Wunderbar sind deine Werke, deine Feinde müssen sich beugen vor deiner großen Macht...“ (Ps 66,1-3)
Der Text des Evangelisten Johannes ist fertig und wird im Gottesdienst verlesen, so wie früher die Texte der Propheten.
„...eine kleine Weile werdet ihr mich nicht sehen...“ sagt Jesus, „ihr werdet weinen und klagen und traurig sein...“
Sie nicken einander zu, das kennen sie, so lange warten sie nun schon darauf, dass Jesus wiederkommen möge, ohne dass sie sich wirklich vorstellen könnten, wie das gehen soll.
Reicht das an historischem Abstand?
Und das Bild von der Geburt, das sich ja nahezu von selbst zu erschließen scheint?
Jedenfalls in europäischen Breiten. Mit Schrecken lese ich: „In einigen östlichen Ländern wird die Geburt eines Mädchens von der gramgebeugten Mutter und ihren Freundinnen mit Trauer und Tränen vernommen. Die Geburt eines Knaben aber begrüßt man als gutes Omen und feiert sie ausgelassen.“[1] Somit wird dem Bild die vermeintliche Selbstverständlichkeit genommen.
Es löst den Gedanken an eine Freude aus, die insofern dann schon ganz anders ist, die jeden in den Blick nimmt. Wahrnimmt.
„Ich werde euch wiedersehen...“ sagt Jesus.
Nicht nur mit den Augen, viel mehr mit dem Herzen, mit der Seele, mit seinem ganzen Sein nimmt er dich wahr!
Die gestörte Beziehung wird umgekrempelt. Eine gestörte Beziehung , in der nur bestimmte Menschen zählen, Männer, Erfolgreiche, Kraftstrotzende. Gesehen werden, einmal richtig wahrgenommen werden, was kann das alles verändern.
Die chilenische Dichterin Gabriela Mistral schreibt in einem Liebesgedicht: „Wenn du mich anblickst, werd’ ich schön, schön wie das Riedgras unterm Tau...“[2]
Und nun zu wissen: Jesus blickt mich an, liebevoll. Er sieht mich wirklich. Das bewegt, beflügelt, öffnet, lässt Freude wachsen.
„Jesus, meine Freude...“.
Analysieren? Erklären? Vielleicht kann man es in der Tat nur singen.
Ich stehe im Chor, ruhige, tiefe Klänge der Instrumente, „langsam und mit Ausdruck“ – wir setzen ein mit: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ - Brahms-Requiem.
Was hat man dem armen Komponisten nicht alles vorgeworfen – unchristlich sei sein Requiem, keine wirklich christliche Begräbnismusik, weil das Wort „Christus“ im Text nicht vorkomme. Weil er auf das „Dies irae“ verzichtet habe und kein Horrorszenarium für die Ungläubigen komponiert!
Mit Worten habe ich versucht, im Programmheft dazu beizutragen, das Tröstliche dieser Musik und der Textzusammenstellung hervorzuheben.
Nun singt der Sopran: „Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ (Joh 16,22)
Mit einer ungeheuren Leichtigkeit singt sie es. Geradezu schwebende Melodien, wunderschöne fast sphärische Klänge. Und der Chor singt darunter – wie ein Fundament- den Text der Jahreslosung 2016 : „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet.“
Amen.
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Abschied, „because I’m happy“ – Predigt zu Johannes 16,16(17-19)20-23a von Wolfgang Grosse
Abschied.
Sonntagabend. 18 Uhr Neun. Grau hängen die Wolken am Himmel. Bremen Hauptbahnhof. Gleis 1. Ich sehe dem Zug hinterher. Auf Wiedersehen. IC 2435 nach Halle.
Das war‘s dann wohl. Endgültig. Meine Tochter geht ab heute ihren eigenen Weg. Morgen beginnt ihr Studium. Die letzten Wochen, Monate neben viel Organisieren und Suchen nach einer „Studentenbude“, ist bei mir immer wieder der unausgesprochene Gedanke von Abschied. Aber ihre Lust zum Neuanfang hatte mich stets aufs Neue angesteckt. Hatte dunkle Gefühle nicht zugelassen. Eine kleine Weile noch …
Ach, was soll’s: Wir haben doch alle Zeit der Welt! Manchmal kam es mir vor: Wir waren uns in den letzten Wochen näher als in den 18 oder 19 Jahren davor. Die Rücklichter des Zuges verschwimmen im einsetzenden Nieselregen. Dann macht der Zug eine Kurve. Verschwunden in der Ewigkeit. Die Zuganzeige auf dem Gleis rattert metallen mit ihren Blechlettern. 18 Uhr Siebzehn: Ankunft aus … ich lese nicht zu Ende.
Heute war Abfahrt. Heute war Abschied. Heute war Traurigkeit. Der Vater schluckt still eine Träne hinunter. So stehe ich da. Noch eine kleine Weile.
Mich fröstelt. Bremen hat einen Durchgangsbahnhof. Es zieht „wie Hechtsuppe“. Diese Redensart hat weder mit einem Hecht noch mit einer Suppe zu tun. Die „Hechtsuppe“ stammt aus dem Hebräischen und heißt eigentlich "hech supha". Dieser hebräische Ausdruck wurde in den jiddischen Sprachgebrauch übernommen. Man sagte also, es zieht wie „hech supha“, wie ein Sturmwind. So fühle ich mich jetzt. Ein Sturmwind braust durch meinen Kopf, durch mein Herz. Paula, Paulinchen, als sie klein war. Eigentlich Paula Johanne, die „Kleine, der Gott gnädig ist“. Die Urgroßmütter haben Namenspatronin gestanden. Nun ist sie groß geworden. Und Gott war gnädig. 19 Jahre lang bisher. Wie die Zeit vergeht ... Ach, Kinners … stilles Seufzen. Ich erinnere mich noch gut. Damals im Krankenhaus. Ich war dabei. Die Wehen. Die Schmerzen. Die Geburt. Das Glück, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Ich durfte die Nabelschnur durchtrennen. Sie sozusagen eigenständig werden lassen. Geschöpflich wirken. Bei diesem kleinen, nicht wirklich schönem Wesen, schrumpelig, schreiend, Kasein verschmiert. Aber Paula war wunderschön. Neue Schöpfung. Neuanfang. Alle Angst vorher war weggeblasen. Indem ER seinem Odem einblies, als SEIN Sturmwind zärtlich das Leben einhauchte.
Eine kleine Weile, dann sahen wir uns an, eine kleine Weile lang. Paula und ich. Die Welt war eins. Und Frieden. Und Liebe. Keine Fragen mehr. Die Fragen kamen wieder. Natürlich. Nur wenig später. Als wir gemeinsam gekrabbelt, die ersten Schritte gewagt haben. Dann sind wir gegangen, Hand in Hand, aber auch: immer selbstständiger. Die Taufe: Sie gehört nicht mir. Sie gehört Gott. Der erste Abschied.
Der Kindergarten. Gefühlsmäßig allein gelassen, aber für sie „no problem“. Für mich schon. Der zweite Abschied. Die Schule. Andere Menschen wurden wichtig. Freundinnen und Freunde. Nicht mehr nur die Eltern. Der dritte Abschied. Dann die Jugend. Abschiede über Abschiede. Der erste Freund. Blöder Nebenbuhler, hey Töchterchen! ICH war doch bisher der Mann für sie. Und sie sagte fröhlich: „Ich bin dann mal weg.“ „Ich bin heute Abend nicht da.“ „Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme.“ „Ich schlafe heute Nacht bei XY.“ Manchmal noch nicht einmal eine Info. Wenn ich Glück hatte lernte ich „ihn“ sogar kennen. Jedes Mal Fragen über Fragen. Jedes Mal auch Angst. Jedes Mal auch ein wenig Trauer. Unbewusst natürlich nur, im Rückblick. Der Abschied rückte näher. Über Jahre. Als wir zusammen gingen. Aber das war mir nicht so klar. Eine kleine Weile noch …
„Eile mit Weile …“ dachte ich: Wir hatten doch alle Zeit der Welt! Hatten wir nicht. Zumindest nicht nach meinem Empfinden. Im Rückblick. Die Zeit verging so schnell. Viel zu schnell. Gestern noch die Geburt. Heute stehe ich auf dem Bahnhof und winke. Ach, Kinners … stilles Seufzen. Sie, Menschen- … Gottesgeschöpf, „Kleine, der Gott gnädig ist“: zusammen haben wir gelacht und geweint. Zusammen haben wir Bäume ausgerissen und versucht die Welt zu verändern. Im Kleinen haben wir es auch geschafft. Darauf bin ich ein wenig stolz. In unserer kleinen Welt. Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, Gott.
Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, Jesus. Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, dem Heiligen Geist, dem Tröster. Sie hatte immer Fragen, immer wieder: Was bedeutet das? Wie soll ich das verstehen? Und oft hat sie dann selbst eine Antwort gefunden. Sie hat gesungen, im Kinder- und Jugendchor: Jauchzet Gott, alle Lande! Trotz Zweifel und Angst: Über Gott, über sich, über die Welt. Schaffe ich das? Vielleicht hat sie es nicht gehört. Aber Gott oder Jesus oder der Tröster, der Heilige Geist hat jedes Mal gesprochen: „Hey, es ist doch nur für eine kleine Weile!“ Immer diese blöde Angst!
Ich weiß: Ein Pastor als Vater ist vermutlich nicht immer einfach. „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh geraten selten oder nie.“ Ich grinse. Nicht jedes Sprichwort ist wahr. Da wehre ich mich gegen. Ich bahne meinen Weg durch die Eingangshalle des Bahnhofs. Wie viele Abschiede und Wiedersehen werden gerade in diesem Moment von Menschen erlebt?
„Nur eine kleine Weile … aber wir sehen uns wieder …“. Beim Abschied auf dem Bahnsteig, als sie schon im Abteil war und das Fenster hinunter geschoben hatte, da sah sie mich an. Mit einem ganz bestimmten Blick. Nur einen Moment lang. Was bedeutet das?
Ich kannte diese Augen. Drei große Fragezeichen darin. Mindestens drei. Dann sagte sie: „Ist doch nur für eine kleine Weile … bis bald!“ Ihr eigener Weltschmerz aufgefangen und gleichzeitig den Papa getröstet. Oder war es in diesem Moment - dann doch für uns Beide - als in mir der Pastor verstummte: ER? Aus Paulinchen ist Paula Johanne geworden. Frau Grosse. Um genau zu sein. 19 Jahre alt. Der Zeiger auf der großen Bahnhofsuhr über mir klackt. Zeit vergeht. ER hat sie in seiner Hand. Ich gehe zum Auto. Krame den Schlüssel hervor. Glück gehabt. Kein Zettel hinter dem Scheibenwischer. Keine Politesse ist da gewesen. War ja nur für eine kleine Weile. Autotür auf. Autotür zu. Stille. Ich schließe die Augen. Atme tief in mich hinein. Spüre den Odem Gottes. Die Traurigkeit schwindet. Angst verfliegt. Freude bricht sich Bahn. Unbändig. Ohne Fragen. Denn ich weiß: ER war da. ER ist da. ER wird da sein. Gestern. Heute. Morgen. Mein Herz freut sich. Und meine Freude soll niemand nehmen. Ein kurzes Tippen auf den Knopf vom Autoradio: „Because I'm happy!“ Pharrell Williams. Passt. Jauchzet Gott, alle Lande! Keine Fragen mehr.
Gott gibt Gnade. Für Groß und Klein. Ich fahre nach Hause. Paula ist behütet. Ich auch. Neuer Anfang. Neue Freiheit. Für sie. Für mich. Und das Wiedersehen wird lauter Freude sein. Nur eine kleine Weile …
In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Joh 16,33)
Amen.
Bild „Bahnhof“ zum Download unter:
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Ich bin dann mal fischen – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Margot Runge
Ostern ist ganz handfest: Es gibt Arbeit und Brot. Das ist existenziell für die meisten Leute. Damals und heute. Und es ist nicht selbstverständlich. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass die Arbeit genug einbringt. Die Leute haben die ganze Nacht auf dem See gefischt und kommen doch mit leerem Boot heim. Andere kriegen 2,50 Euro für zwölf Stunden Handyzusammenbauen, Turnschuhnähen oder Bananenpflücken. Arbeit haben und davon leben können, das ist nicht dasselbe. Das wissen alle, die in den 90-er Jahren alle ihre Kräfte und Ersparnisse in eine Ich-AG gesteckt haben und aufgeben mussten.
Ich bin dann mal fischen, sagt Petrus, und eine Handvoll kommt mit. Von irgendetwas müssen sie leben. Petrus hat Familie in Kapernaum, hungrige Mäuler, die auf Essen warten. Sie bilden eine kleine Genossenschaft auf Zeit, vielleicht auch nur, um das Boot zu mieten oder zu unterhalten. Da ist es schon ein Verlust, wenn die Arbeit einer ganzen Nacht umsonst ist – am Tag lässt es sich nicht fischen. Pech gehabt, zucken manche vielleicht mit den Schultern. Doch für Arme ist es eine Katastrophe, denn sie bringt das ohnehin knappe Überlebens-Budget ins Wanken.
„Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ diese Frage empfängt sie nach ihrer anstrengenden Nachtschicht am Ufer. Nein, sie haben nichts. Kein Fisch, kein Brot. Aber sie werden noch einmal herausgeschickt, an eine andere Stelle, von einem Unbekannten, der herumlungert und den sie nicht erkennen können. Reichlich hundert Meter, und weiter rechts sollen sie die Netze auswerfen.
Komischer Typ. Warum fährt er nicht selbst aus, wenn er sich so gut auskennt? Warum kassiert er die Fische nicht selbst ein, wofür sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen haben? Eine Falle? Oder will er einen Anteil am Fang? Eine Provision?
Dass einer sie nicht betrügen will, sondern solidarisch ist und ihnen, obwohl er selbst Hunger hat („Kinder, habt ihr nichts zu essen“), die besten Fischgründe zeigt, das ist eher üblich bei Jesus und seinen Schüler/-innen. Doch nur ein Liebender kommt auf die Idee: Sollte es Jesus selbst sein, der Lebendige?
Unglaublich. Das Netz ist prall gefüllt mit lauter großen Fischen, Arbeit, die sich lohnt. Am Ufer brennt ein Feuer. Der Unbekannte erwartet sie und hat ihnen sogar Frühstück vorbereitet. Irgendwoher hat er Brot und Fische aufgetrieben, auch wenn es nicht reicht. Sie müssen noch ein paar von den frisch gefangenen bringen. Ist es nun Jesus? So richtig trauen sie sich nicht zu fragen.
Übrigens ist es so ähnlich wie vor Monaten, als sich unendlich viele Leute mit knurrendem Magen am Ufer drängten. Damals hatte ein einziges Kind etwas zu essen dabei, fünf Brote und zwei Fische. Das Kind gab ab und alle haben Brot und Fische geteilt und es reichte. Waren es Tausende? (Joh 6,1-13)
Jedenfalls können heute alle satt werden, wenn wir auf der Erde gerecht teilen. Wäre das nun ein größeres Wunder als damals, als das Kind fünf Brote und zwei Fischen verschenkt hat?
Ein Kind kam zu dir und gab/ an jenem Tage /
seine fünf Brote für dich, ohne zu fragen. /
Zusammen habt ihr die Kraft, Hunger zu stillen. /
Zusammen habt ihr die Macht, Hunger zu stillen. 1
Heute ist der See Genezareth eine Touristenattraktion. Schiffe schippern Schaulustige aus aller Welt über die Wellen. Am Ufer eilt das Personal hin und her und beköstigt die Massen. Für besondere Gäste wird abends am Ufer gegrillt. Ein Highlight in der Dunkelheit. Fast so wie damals.
Jesus unterschiede sich wohl kaum von den dienstbaren Geistern in aller Welt, die das gutbetuchte Publikum – oder die, die sich dafür halten – von vorn und hinten bedienen.
Jesus kellnert. Er schürt Feuer am Strand, brät Fisch und Brot. Er schlüpft in die Rolle der Frauen, die für’s Essen zuständig sind. Er macht Frühstück. Die Jünger_innen fragen sich: Ist es Jesus? Ist er so nicht?
Erkennen sie ihn? Besser: was sehen, was erkenne sie eigentlich? Das bleibt in der Schwebe. Und das ist gut so. Denn immer wieder behaupten Leute, sie wüßten ganz genau, wie Jesus wäre, was er meinen oder nicht meinen würde. Ihnen wäre sonnenklar, wie Gott zu verstehen sei, und ihr Weg zu Gott sei der einzige.
Diese Ostergeschichte versperrt sich den schnellen Antworten. Sie zeigt auch, daß es um schnelle Antworten überhaupt nicht geht.
Wie die Jünger_innen Ostern erlebt haben, davon erzählt die Bibel viele und völlig unterschiedliche Geschichten. Jesus zeigt sich in verschiedener Gestalt, als Wanderer, als Gärtner, als Geliebter, als Verwundeter mit Narben und Folterspuren, als Hungriger, als (Gefängnis-)Einbrecher.
Immer wundern sich die Jünger_innen, manchmal fürchten sie sich sogar. Aber immer verändert sich etwas für sie. Sie kehren um. Sie verlieren ihre Angst. Sie begreifen Zusammenhänge. Sie beginnen zu reden. Sie treten überzeugend auf. Sie kommen in Bewegung. Sie lassen sich nicht einschüchtern. Sie wachsen über sich hinaus.
Ostern hat so viele Gesichter, weil wir viele Gesichter haben und in verschiedenen Situationen stecken.
Deshalb bedeutet Ostern, Auferstehen, Aufstehen für jede_n etwas anderes. Aufstehen heißt für jede_n eine andere Herausforderung, eine andere Verwandlung, eine andere Überraschung. Die Hoffnung trägt viele Namen, selbst wenn auf die manchmal niemand so schnell kommt.
Aber immer ist Ostern ganz handfest. In unserer Geschichte heißt Ostern: es gibt Arbeit und Brot. Ich bin dann mal fischen, sagt Petrus.
1 (aus Spanien, Weltgebetstag 2011 - Chile)