Konfi-Impuls „Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.“ - „Neuanfang“ - Konfi-Impuls zu Johannes 21,1-14 am Sonntag Quasimodogeniti von Frau Stefanie Bauspieß

Konfi-Impuls „Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.“ - „Neuanfang“ - Konfi-Impuls zu Johannes 21,1-14 am Sonntag Quasimodogeniti von Frau Stefanie Bauspieß
21,1-14

Der Sonntag Quasimodogeniti bedeutet „wie die Neugeborenen“. Kein ganz leichtes Thema für Konfirmand*innen. Neu anzufangen allerdings schon. Da der Text die Erscheinung Jesu nach Tod und Auferstehung zum Thema hat, eignet er sich gut, um „Auferstehung“ im Kirchlichen Unterricht zu behandeln.

Das Lied „Neuanfang“ von Clueso bietet sich für einen Einstieg in die Konfirmandenstunde an, ebenso eine Einspielung im Gottesdienst an. Über www.songtexte.com kann man den Liedtext einsehen.

Zu Beginn wird ein Plakat mit dem Schriftzug „Neuanfang“ mitgebracht und gesammelt, was die Konfirmand*innen darunter verstehen (Beziehung, Umzug, Vertragen …). Anschließend wird das Lied von Clueso vorgespielt ,eventuell mitgelesen und das Plakat um die Impulse aus dem Lied ergänzt. Interessant ist die Kontinuität zwischen dem Alten und dem, was nach dem Neuanfang kommt. Clueso singt von den Erinnerungen und dass er kein neues Leben, sondern einen neuen Tag will. Neues ist nur auf dem Hintergrund von Altem möglich.

Den Konfis wird die Frage nach der Auferstehung Jesu gestellt (hängt mit Ostern zusammen, gestorben und auferstanden, der gleiche wie vorher?). Macht Jesus auch einen Neuanfang? Geht alles wieder von vorne los?

Zusammen wird Joh 21,1-14 gelesen. Jesus erscheint den Jüngern. Er erscheint ihnen in einer Alltagssituation, die Kreuzigung ist schon länger her. Zuerst erkennen sie ihn nicht und kommen mit ihm ins Gespräch. Auf einmal aber erkennt ihn sein Lieblingsjünger daran, dass das Netz voller Fische ist. Als sie später miteinander das Mahl halten, wagt niemand zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Er ist der Herr.

Die Jünger erkennen Jesus, weil etwas passiert, was an Vergangenes anknüpft. Das gemeinsame Mahl, die Fischvermehrung. Sie erkennen ihn nicht am Aussehen, sondern am gemeinsam Erlebten. Jesus ist verändert, er ist ganz neu: Auferstanden aus dem Reich der Toten. Und doch bleibt das gemeinsam Erlebte und bietet so die Möglichkeit, das Neue zu verstehen.

Wie ist das mit unseren Wünschen nach Neuanfängen? Nach einem Misserfolg, einem Streit oder auch nur einer zu bekannten Situation reizt das Neue, der Neuanfang. Aber wir sind die, die wir sind. All unsere Erlebnisse und Erfahrungen machen uns zu denen, die wir sind. Um neu zu beginnen, gehört es auch, sich mit Altem auszusöhnen.

Die Jünger wissen, dass der Auferstandene ihr Jesus ist. Weil sie es wissen und weil wir es wissen dürfen, gilt seine Auferstehung auch für uns. Für die Konfis ist es wichtig zu verstehen, dass das der Grund ist, weshalb sie im Konfirmandenunterricht und der Kinderkirche sind, weshalb wir uns die Geschichten von Jesus jeden Sonntag neu erzählen: Um die Erinnerungen zu schaffen und wachzuhalten, damit eines Tages ein Neuanfang möglich ist.

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Vom Wort, das Leben wendet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Soren Schwesig

Vom Wort, das Leben wendet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Soren Schwesig
21,1-14

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er of­fenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Tho­mas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ih­nen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Ober­gewand um … und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land ... und zogen das Netz mit den Fischen.

Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische dar­auf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefan­gen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, 153. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wuss­ten, dass es der Herr war.

Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern of­fenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.

 

Liebe Gemeinde,

 

damit haben die Jünger eine Woche nach Ostern gewiss nicht gerech­net. Längst sind sie wieder im Alltag versunken mit Frust und Lust. Längst sind sie wieder verstrickt in das Gewebe von Erfolg und Misslingen. Sie blicken auf ihre Hände und was die zuwege bringen. Dass da einer am Ufer ein Festmahl für sie vorbe­reitet, wie sollten sie damit rechnen?

Gerade war den Jüngern das allererste Ostern widerfahren. Der aufer­stan­dene Christus war ihnen begegnet, hatte sie ausgesandt und ihnen den Hei­ligen Geist zugesprochen. Aber schon ein paar Tage später ist der Zauber verflogen und der Alltag hat sie wieder. Jetzt geht es ums Überleben, um Essen und Trinken und das, was man halt braucht. Und Jesus, der hat sich ja verabschiedet. Den Auferstandenen haben sie zwar gesehen und der Auferstehung Jesu von den Toten haben sie ge­glaubt. Aber nun ist der Alltag wieder eingekehrt. Irgendwie muss das Leben ja weitergehen.

Und wir: Auch bei uns ist das Leben weitergegangen. Auch wir sind wie­der eingetaucht in unseren Alltag, manche mit Frust und andere mit Lust, verstrickt in das Gewebe von Erfolg und Misslingen. Wie sollten wir eine Woche nach Ostern damit rechnen, dass uns noch einmal ein Festmahl bereitet wird und dass der Auferstandene selbst in unser Leben tritt?

Ich fühle mich ertappt. Wie groß waren die Gefühle, als der alte Os­terruf: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ wieder zu hören war! Wie ergreifend die Osterbotschaft, dass der Tod nicht das letzte Wort über uns haben wird! Aber nach großen Osterworten befällt uns Menschen wieder die alltägliche, un­-österliche Angst und Sorge um das eigene Leben: Ob genug da sein wird zum Leben, ob mir die Gesundheit erhalten bleiben wird, ob mir das Älterwerden und Alleinsein nicht doch schwer zu schaf­fen machen wird, ob ich meine Arbeit bewältigen werde?

So suchen uns die Jünger der späten Ostergeschichte in unserem Alltag auf und kommen uns im schummrigen Licht des ge­wohnten Trotts zu Hilfe.

Auch Petrus und die Seinen hat der unösterliche Alltag wieder. „Ich will fischen gehen.“ – „Gut, dann kommen wir mit.“ Sie gehen ihrem Broterwerb nach. Aber der Erfolg ist dürftig. Nichts fangen die Jünger in dieser Nacht, keinen einzigen Fisch. „Das kommt vor“, höre ich ihre Erklärungsversuche. „Es kann ja nicht jeder Fang gelingen, da musst du durch. Zähne zusam­menbeißen. So ist es eben, daran gewöhnt man sich!“

So reden wir auch oft, dass es so eben ist, dass die Welt eben ist, wie sie ist: Dass die einen immer reicher werden und den anderen das Nö­tige zum Leben fehlt; dass Kinder aus armen Verhältnissen deutlich schlechtere Bildungs­aussichten haben als solche aus wohlhaben­deren Fami­lien; dass Gewalt in Syrien und Irak schon zur normalen Nach­richt gehört; und dass die Kinder von Tschernobyl an Leib und Seele unter der Katastrophe von vor 30 Jahren leiden bis auf diesen Tag

 … so ist das halt. Man kann sich auch nicht immer über alles aufregen!

Ganz und gar unösterlich ziehen wir uns oft zurück in unsere private Welt. Und lassen uns von den Jüngern mitnehmen ins Boot des All­tagstrotts.

Liebevoll spricht die Jünger jetzt ein Fremder vom Ufer aus an: „Kinder, habt ihr nichts zu essen? Habt ihr nichts, was euch satt macht? Nach der langen vergeblichen Nacht hungert ihr?“

Kinder nennt er sie. Erwachsene Männer werden zu Kindern. Aber bei ihm dürfen sie Kinder sein, ohne das Gesicht zu verlieren. Und als Kin­der kön­nen und dürfen sie ganz offen sagen, wie es um sie bestellt ist.

Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Ganz offen, ohne Ausflüchte und Beschwichtigungsversuche kommt ihr „Nein“. Mehr brauchen sie nicht zu sa­gen. Denn der sie fragt, weiß um die Leere und Trostlosigkeit ihres All­tags. Er weiß um die erfolgslosen Versuche, diesem Alltag einen Sinn ab­zugewinnen. Er weiß um die Resignation, die sich wieder in den Herzen einge­nistet hat. Er sieht tief hinein in das Herz und weiß darum, dass sie sich an­deres wünschen. Nein, wir haben nichts!

Der Unbekannte am Ufer wird sich als Jesus herausstellen, wir wissen das längst. Und doch ist es so: Noch können die Jünger Jesus nicht erkennen, noch ist er ein Fremder. Aber sie spüren: In seiner Nähe brauchen wir uns nicht zu verstellen, wir können ehrlich sein wie Kin­der. Sie spüren es und können es doch nicht wahr sein lassen.

Wie oft kommt Jesus uns entgegen, spricht zu uns und wir erkennen seine Stimme nicht? In einem Kind, das uns anlacht und mit seinem Lachen vom Le­ben erzählt. In dem Freund, der uns anruft, gerade wenn wir uns einsam und wertlos fühlen. In der Kollegin, die uns ohne etwas zu sagen die Arbeit ab­nimmt, weil sie sieht, dass nichts mehr geht. Aber vielleicht erkennen wir ihn auch deshalb nicht, weil sein Wort unse­rer Menschenlogik oft genug kräftig widerspricht.

 „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden“, sagt der Unbekannte. Die Auf­forderung scheint widersinnig zu sein. Wie sollten auf der anderen Seite des Kiels mehr Fische sein als daneben, wo kein einziger zu fangen war? Aber die Jünger spüren sich wieder von der Aura Jesu umgeben und geben dem Zweifel nicht statt, sondern reagieren voll Vertrauen – wie Kinder – und lassen sich auf das ein, was ihnen der Fremde zuruft.

Und mit ihrem Vertrauen nehmen die Jünger auch mich an der Hand, als wollten sie sagen: Versuch, was du dir nicht vorstellen kannst! Nimm die kleinen Zeichen der Hoffnung wahr, die Großes bewirken können. Wenn meine kleine Spende für die Kinder von Tschernobyl auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, einem Kind gibt es Me­dikamente wenigstens für ein halbes Jahr und unschätzbaren Lebens­gewinn.

Die Jünger lassen meinen unösterlichen Zweifeln nicht das letzte Wort. Auf Jesu Wort hin füllt sich das Netz der Fischer. Es füllt sich über die Maßen, sodass sie es nicht mehr ziehen können. Sein Wort ist entschei­dend, sein Wort wendet das Leben, sein Wort erfüllt die Her­zen der Jünger und gibt ihnen Glauben und Vertrauen auch in das scheinbar Unmögliche zurück. Sein Wort wirkt durch ihre gezeichneten Fischerhände. Sein Wort wirkt durch sie und auch durch mich.

Den Jüngern beginnt zu dämmern, wer da zu ihnen spricht. „Es ist der Herr“, wagt einer, der eine besondere Nähe zu Jesus hatte, seine Ver­mu­tung auszusprechen. Er ist wieder da, Jesus, der die Blinden sehend und die Lahmen gehend gemacht hat. Das Wunder mitten im Alltag kann gesche­hen und es geschieht. Sein Wort hat die Netze mit Fischen und die Herzen mit Hoffnung und Freude gefüllt.

Doch werden die Fische an Land überhaupt gebraucht? Längst rösten Brot und Fische auf dem Feuer. Jesus hat sie für die Seinen zubereitet. Man stelle sich das vor: Mühsam ziehen die Jünger ihre Fische an Land, und ihren Stolz über den Fang dazu. Und dann werden diese über­haupt nicht gebraucht. Das Essen ist längst fertig.

Jesus speist die Jünger nicht mit ihrem eigenen Erfolg ab. Der eigene Er­folg ist ja so brüchig und vergänglich. Der eigene Erfolg und das, was man im Leben glaubt zu sein, bleibt nicht und sättigt schon gar nicht die Seele. Sie bleibt hungrig. Jesus zeigt den Jüngern und uns: „Ich weiß, was ihr zum Leben braucht. Ich sorge für euch.“

Und wir, wir nachösterlichen Jüngerinnen und Jünger? Wir müssen seine Einla­dung nur noch annehmen: Kommt, es ist alles bereit.

Nichtsdestotrotz fordert er die Jünger auf, ihre Fische an Land zu brin­gen. Jesus würdigt ihre Arbeit und schätzt unser menschliches Tun. Er zeichnet sie und er zeichnet uns aus als Mitarbeiter an seiner Ge­meinde, als Mitar­beiter am Reich Gottes. Er speist uns nicht mit dem Erfolg religiöser Ar­beit und geistlichen Eifers ab und nicht mit dem Erfolg unserer Hände und Köpfe Arbeit. Die bleiben zwielichtig und angefochten auch eine Wo­che nach Ostern.

Soweit diese Geschichte, für uns erzählt eine Woche nach Ostern. Auch bei uns ist das Leben weitergegangen. Auch wir sind wie­der einge­taucht in unseren Alltag. Aber eine Woche nach Ostern wird uns nochmals ein Festmahl bereitet und der Auferstandene tritt in unser Leben.

Und aufs Neue haben wir gehört, dass wir allein aus seinen Händen das neue Leben empfangen. Allein seinem Wort verdanken wir unseren Wert und unsere Würde. Alles ist bereitet, bevor wir ans Ufer treten. Er, der Herr, bricht mit uns das Brot der Osterhoffnung, er bricht es heute und morgen, er bricht es an Ostern und auch dann, wenn es für uns Karfreitag wird.

Kommt, denn es ist alles bereit!

Amen.

 

Eingangsgebet

 

Gott,

wo dein Licht aufgeht, finden wir uns ein.

Wir sind versammelt in deinem Namen.

 

Nun bitten wir dich um die Wärme und das Verstehen,

das uns von Jesus Christus her umfängt.

 

Lass unseren Glauben wachsen zu dir,

durch Jesus Christus.

 

Lass uns singen, dir Gott singen

aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele

von dem Leben, das du uns schenkst,

von allem, was in uns und um uns sich regt und bewegt.

 

Lass uns singen mit Freude,

mit Kraft das Lied der Hoffnung,

die in uns ist.

 

Durch Jesus Christus, unseren Herrn.

Amen.

 

 

 

Fürbittgebet

 

Herr, unser Gott,

 

wir blicken zurück und danken dir für alles,

was du uns in der vergangenen Woche geschenkt hast.

 

Wir danken dir für Begegnungen mit Menschen,

denen wir und die uns nahegekommen sind.

Für Gespräche, die uns weitergebracht haben.

Für Worte, die ermutigt, und Gesten, die getröstet haben.

 

Weil wir dich so in unserem Leben erfahren haben,

bitten wir dich, Gott, für alle,

die auf ein Zeichen deiner Nähe warten.

 

Für die Entmutigten,

dass sie sich wieder mehr zutrauen;

 

Für die Kranken, dass sie in ihrem Leid

nicht allein gelassen werden;

 

Für uns, dass du uns die Augen öffnest

für das, was um uns herum geschieht,

und uns die Kraft gibst, in deinem Namen zu handeln,

wo wir gebraucht werden.

 

Wir bitten dich für alle,

die sich um Menschen kümmern, die Hilfe brauchen,

dass sie die passenden Worte finden und das Rechte tun.

   

Für alle, die für eine bessere, eine gerechtere,

eine friedlichere Welt eintreten,

dass sie mit ihrem Einsatz etwas bewirken

und ihre Träume wahr werden.

 

Für alle, die sich Gedanken über die Zukunft machen,

dass sie Gleichgesinnte finden, die sie unterstützen, ihre Gedanken zu verwirklichen;

 

Für alle Christen,

dass es ihnen gelingt,

deiner Frohen Botschaft mit Worten und Taten

Gehör zu verschaffen.

Amen.

 

 

 

 

 

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Vom Scheitern und Weitermachen – schmecket und sehet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Christina Costanza

Vom Scheitern und Weitermachen – schmecket und sehet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Christina Costanza
21,1-14

I Der fremde Blick
 

Ein Mann steht am Bahngleis, wartet auf seinen Zug. Seine Blicke schweifen umher, wandern durch die Menge der ebenfalls am Gleis wartenden Menschen. Da sieht er plötzlich eine Frau, die ihm bekannt vorkommt. Er schaut genauer hin und erkennt eine alte Freundin von früher.
Sein Herz schlägt schneller, die Freude unerwarteten Wiedersehens nach langer Zeit steigt in ihm auf. Er geht auf die Frau zu, spricht sie an, seine Freude nicht verbergend. Die Frau dreht sich um – in der Tat ist es die Freundin aus alten Zeiten!
Und doch steht eine Andere vor ihm, eine Fremde. Der Mann merkt, dass sie ihn zwar erkennt. Doch ihr Blick mustert ihn kühl, ihre Stimme ist gereizt. Kurz angebunden grüßt sie ihn und wendet sich zum Gehen. Die Freude des Mannes, sein Lächeln bleiben unerwidert. Seine Erwartung zerbricht, seine Freude schlägt um in Scham. Er sieht sich selbst mit den Augen der Frau, den Augen einer Anderen. Ein fremder Blick, der ihn ins Mark trifft. Wie lächerlich er doch ist mit seiner freudigen Erwartung.
Wie lächerlich er doch ist. Vielleicht nur gut, dass sie weitergeht. Denn was sollte er ihr schon erzählen? Was ist aus seinen Träumen geworden? Was ist aus ihm geworden, was ist er schon?
 

II Am See von Tiberias
 

Der Blick eines anderen, er kann ernüchternd sein. Ein Moment der Offenbarung, in dem mir klar wird, was alles nicht in Ordnung ist mit mir. Der mich all meines mühsam zusammengeklaubten Schutzes entkleidet, so dass ich mich nackt fühle, mit leeren Händen dastehe, ausgeliefert.

So etwas passiert den Jüngern in der Zeit nach Jesu Tod. Gerade noch hatten sie erlebt, wie Jesus zu ihnen kommt – der, der eigentlich tot ist, den sie vermissen. Wie er sich anfassen lässt von Thomas, weil er fühlen muss, um glauben zu können. Nur ein paar Tage sind seitdem vergangen…
 

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger.
Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.
Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.
Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot.
Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!
Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.
Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch.
Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.
 

III Zeichen und Wunder
 

Sieben Jünger. Zweihundert Ellen (das sind ungefähr 90 Meter) entfernt vom Ufer. Hundertdreiundfünfzig Fische im Netz. Das dritte Mal hat sich Jesus nach seinem Tod gezeigt.

Da hat einer Lust am Zählen. Die merkwürdigste Zahl in dieser Erzählung: Die 153. Sie kommt an dieser Stelle das einzige Mal in der Bibel vor, aber das ist wohl kein Wunder. Eine wunderbare Zahl ist es für alle, die gerne zählen und rechnen aber schon, so unscheinbar diese 153 auch daherkommt:
Zum Beispiel ist sie die Summenformel der Zahlen 1 bis 17. Addiert man 1 + 2 + 3 + 4 + ... + 17, dann ergibt sich die Zahl 153. Sie ist auch die Summe ihrer eigenen Ziffernwerte in dritter Potenz, denn 13 + 53 + 33 ist genau 153. So etwas kann man nicht mit jeder x-beliebigen Zahl machen – neben 153 geht das mit 371 und 1634…

Ich habe noch einiges mehr gelesen über diese wunderbare Zahl 153, aber das habe ich nicht ganz verstanden, so dass ich lieber nichts weiter dazu sage. Nur so viel: Die 153 ist eine unscheinbare Zahl, hinter der eine Menge steckt, die Wunderbares verbirgt für den, der sich an etwas so Alltäglichem wie Rechenspielen freuen kann. Selig sind, die hinter die Oberfläche schauen können.

Wie sonderbar: Da haben die Jünger plötzlich nach einer Nacht vergeblichen Fischens ein volles Netz – und was machen sie: sie zählen.

Wer zählt, der schaut sich die Ordnung von Sachen an. Der versucht die Welt zu begreifen. Das Lernen schon ganz kleine Kinder, das Zählen. Das bringt Sinn in die Welt, macht Unbekanntes erkennbar, bringt Rhythmus wie in der Musik. Meine Großmutter hat jedes Mal, wenn sie einen Turm bestieg, die Stufen gezählt. Irgendwann konnte sie gar nicht mehr anders. Und wir haben oben sofort Gelegenheit zum einander Erzählen gehabt: Und – wie viele hast du gezählt?

Mit den 153 Fischen ist etwas in Ordnung gekommen für die Jünger, was vorher in Unordnung war. Im Chaos sogar, dem Chaos, das an dem Tag über sie hereingebrochen ist, an dem Jesus gestorben ist. Als gescheitert ist, was sie geträumt und gehofft haben.
Sie haben selber versucht, Herr zu werden über dieses Chaos. Nachdem Jesus gestorben war, musste es ja irgendwie weitergehen. Warum also nicht fischen. Menschenfischer waren sie einige Jahre gewesen, zusammen mit Jesus. Und jetzt also zurück an den See, echte Fische fangen, etwas Sinnvolles zu tun, damit wenigstens etwas zu essen da ist.

Mit den 153 Fischen wurde die Leere gefüllt – nicht nur die in Netzen. Sondern vor allem die in den Herzen der Jünger. Denn das war schlimm: Nach einer Nacht vergeblicher Mühe mit leeren Netzen und leeren Händen dazu stehen. Einander kaum in die Augen sehen zu können. Nicht einmal das geht mehr, diese alltägliche Arbeit des Fische fangens. Und dann dieser fremde Mann da am Ufer mit seinem Blick, dem niemand ausweichen kann.
Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Was soll die Frage des Fremden? Will er sie verhöhnen, beschämen? Ist er selber enttäuscht, weil er etwas vom Fang abhaben wollte, selber diesen nagenden Hunger verspürt, der alles andere vergessen macht? Oder hat er Mitleid? Jedenfalls: Nein, sie haben nichts zu essen. Sie haben gar nichts.

Eine ganze Nacht, kein einziger Fisch. Dann ein einziges Mal noch das Netz ausgeworfen, viel zu nah am Ufer eigentlich –  und gleich 153 Fische. Kein Wunder, dass Petrus einen Freudensprung macht, sich ins Wasser wirft, nur mit einem Gewand umgebunden, ansonsten nackt. Doch er schämt sich gar nicht, sondern freut sich wie ein Kind über diese 153 Fische.
 

IV Als es Morgen war
 

Das kleine Feuer auf den Steinen des Strandes ist heruntergebrannt. Die Männer legen die ausgenommenen und gesalzenen Fische in die glühenden Kohlen. Und nach einiger Zeit kann man sie essen, die Fische. Sie schmecken ein bisschen nach Rauch, aber machen satt, zusammen mit dem Brot, das plötzlich da ist, und das sie teilen und weitergeben, und das für alle reicht.
Ein Frühstück am Seeufer, am Morgen nach einer Nacht, in der alles vergeblich schien. Und sie kauen und schlucken und merken, wie das Leben in sie zurückkehrt und die Freude.

Und mit diesem einfachen Seefrühstück fängt die Zeit nach Ostern an. Die Feiertage sind vorbei, der Alltag beginnt wieder. Die Zeit des Fischens und des Arbeitens und Weitermachens beginnt. Manches davon wird vergeblich sein. Immer wieder werde ich scheitern und mit leeren Händen da stehen und mich vor den Blicken fürchten, die andere auf mich werfen.
Da tut es gut, sich an dieses Seefrühstück zu erinnern. Daran, wie die Männer, die eine Nacht lang keinen einzigen Fisch gefangen haben, nun satt werden. Eigentlich nur, weil er da ist: Jesus. Und sie freundlich anschaut und das Essen mit ihnen teilt.
 

V Schmecket und sehet
 

Lasst uns auch Brot miteinander teilen. Wir reichen es durch die Bankreihen weiter mit den Worten „das Brot des Lebens für dich“.
Brot, das an Jesus erinnert. Das nach Ostern mitten im Alltag schmeckt. Schwarzbrot des Glaubens für die Zeiten, in denen ich scheitere, in denen all meine Mühe sinnlos scheint und meine Träume nichtig, und ich mich schämen würde, wenn ich nicht wüsste:
Er ist da und schaut mich freundlich an.

Amen.

 

Als Brot eignet sich gut Vollkornbrot, vielleicht mit Butter und Salz – ein elementares Frühstück…
Liedidee: „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (z.B. EG 656 Wü)

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer 1 – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Frau Karle

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer 1 – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Frau Karle
21,1-14

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch.Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

 

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Dieser Satz ist mir besonders nachgegangen. Er hat mir schon manches Mal geholfen. Besonders eingeprägt hat sich mir ein Erlebnis in meiner Zeit als junge Pfarrvikarin. Ich war in einer Gemeinde, dessen Pfarrer schwer erkrankt war. Ich sollte ihn im Amt vertreten. Der Pfarrer hatte Krebs. Es war klar, dass er nicht mehr gesund werden würde. Ich mochte ihn gern. Und so kam es, dass ich ihn nicht nur von Amts wegen vertrat, sondern dass ich ihn auch oft besuchte. Dann saß ich an seinem Krankenbett und las ihm vor. Besonders gern hörte er in seinen letzten Tagen Erzählungen von Selma Lagerlöf. Und besonders wichtig war ihm dieser Vers aus Johannes 21: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“.

 

Manchmal hielt er seine Schmerzen nicht mehr aus. Manchmal war es für ihn kaum erträglich zu sehen, wie sich seine heranwachsenden Söhne von ihm entfremdeten. Sie kamen nicht damit klar, dass ihr einst so mächtiger Vater nun so ohnmächtig litt. Dann hielt er sich an diesem Satz fest: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Er wusste, dass er nach der langen Nacht des Leidens und Sterbens nicht ins Nichts gehen würde, sondern dass Jesus da sein und bereits am Ufer auf ihn warten würde. Die Morgendämmerung, die Zeit der Rettung, sie würde kommen und die Nacht beenden. Dessen war er gewiss. Das Sterben würde ihn nach Hause führen, Jesus ihn freundlich empfangen. „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“ – ein Satz des Trostes, der Zuversicht, des Nachhausekommens. Er stand über seiner Beerdigungsanzeige und er steht auch auf seinem Grabstein.

 

Johannes 21 erzählt eine Ostergeschichte am See, an dem See, an dem so viel geschehen ist, an dem See, an dem Jesus Kranke geheilt und Verzweifelte getröstet hat, an dem er gepredigt und Leidtragende selig gepriesen hat. Es war an diesem See, an dem Jesus einer großen Menge von Menschen mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen zu essen gab, so dass am Ende alle satt wurden. Hier hat Jesus seine Jünger gefunden, die Fischer, deren Handwerk mit dem See verknüpft war. Hierher kehrt das Evangelium am Ende zurück, zurück zum Anfang. Anfang und Ende schließen sich.

 

Wie es den Jüngern wohl gehen musste, jetzt, da sie nach dem Tod Jesu von Jerusalem zurück nach Galiläa zum See gingen? Zurück in den Alltag? Konnten sie weitermachen wie wenn nichts geschehen wäre? Man kann sich vorstellen, dass die Jünger nach dem Tod Jesu eine große Leere empfanden. Vielleicht erinnerten sich die Jünger am See an das, was sie mit Jesus alles erlebt hatten: „Weißt Du noch, wie viele Menschen sich am Ufer drängten, so dass Jesus in ein Boot steigen musste, um überhaupt zu ihnen sprechen zu können? Weißt Du noch?“ Doch das ist vergangen. Das Vergangene liegt nicht als gute Erinnerung, sondern als schwere Last auf ihrer Seele.

 

Petrus erträgt das lähmende Herumsitzen schließlich nicht mehr länger und wird aktiv. Petrus ist eine Führungsfigur und ergreift die Initiative: „Ich will fischen.“ Eine klare Ansage. Erleichtert reagieren die anderen, stehen auf und schließen sich an: „Wir gehen mit“. Die anderen sind dankbar, dass sie mitmachen und etwas tun können, dass sie nicht länger über die Sinnlosigkeit des Erfahrenen grübeln müssen. Und so gehen die Jünger zum Schiff und fahren hinaus auf den See. Aber „in derselben Nacht fingen sie nichts.“ Nicht einmal einen einzigen Fisch. Die erfahrenen Fischer haben sicher keinen Fehler gemacht und doch ist ihre Mühe vergeblich. Hat sie das Glück verlassen? Die Jünger strengen sich an, sie versuchen ihre innere Leere mit Aktivität zu überdecken und doch bleibt alles nutzlos, umsonst. Sie finden nichts.

 

Ich vermute, jeder und jede von uns kennt die Erfahrung von Vergeblichkeit. Kennten wir sie nicht, müsste man uns fast wünschen sie zu kennen. Denn auch die Vergeblichkeit gehört zum Leben. Wer sie nicht kennt, dem fehlt etwas. „Keinen Mangel haben, kann auch ein Mangel sein.“ (Theophil Askani) Wenn einem alles gelingt, dann begreift man nicht, was es bedeutet, mit leeren Händen da zu stehen, mit Misserfolg klar kommen zu müssen, mit Krankheit, mit Zerbrechlichkeit und Enttäuschung. Dann weiß man nicht, wie das ist, wenn das Netz leer aus dem Wasser kommt.

 

Die vergeblichen Nächte und die vergeblichen Tage gehören zum Leben.“ (Askani) Wir gehen leichter und barmherziger miteinander um, wenn wir uns selbst das eingestehen und wenn wir es einander eingestehen können. Gerade im Hochleistungsbetrieb Universität fällt das nicht leicht. Wir sind mehr oder weniger zum Erfolg verdammt. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich in den letzten Wochen eine Publikationszusage nicht einhalten. Ich wollte einen Vortrag überarbeiten und musste am Ende schmerzlich feststellen – es funktioniert nicht. Ich muss nochmals neu und mit viel mehr Zeit darüber nachdenken. Viel Mühe hatte ich bereits investiert. Es fiel mir schwer mir einzugestehen: Ich krieg das jetzt nicht hin. Die Mühe war vergeblich. Mindestens erst einmal. Wir tun uns schwer, uns und den anderen zuzugeben, dass etwas vergebens war, dass wir uns umsonst abgemüht haben, dass Mühe und Arbeit nicht zum erhofften Ergebnis geführt haben.

 

Vergebliche Tage und Nächte können uns reifer werden lassen, sie können aber auch in ernste Zweifel führen. Da zählt einer die schlaflosen Stunden, bis der Morgen endlich anbricht. Er hört das Schlagen der Uhr und dreht sich von einer Seite des Bettes auf die andere. Ohne Schlaf, ohne Ruhe dehnt sich die Zeit endlos. Und dann ist die Nacht rum, die Ruhe versäumt und der Tag fängt bereits mit einer Last an, bevor er überhaupt erst begonnen hat.

Da sind die Eltern, die sich daran erinnern, wie süß die Kindern waren, als sie noch klein waren. Man sieht sich etwas nostalgisch die wunderbaren Fotos mit den lachenden Kindern an. Und nun gehen die Kinder eigene Wege, vielleicht andere Wege, als man sich das gewünscht hat, und brauchen einen nicht mehr.

Da sind die Ehrgeizigen, die immer mit einem vollen Terminkalender leben, die von Engagement zu Engagement hetzen und endlose To-do-Listen anfertigen, die nie abgearbeitet werden können. Wie viel von dem, was wir tun, zählt am Ende? Was führt tatsächlich weiter und trägt uns und andere? Kann es sein, dass unsere vielen Bemühungen am Ende – unterm Strich – ein leeres Netz ergeben?

 

Und in dieser Nacht fingen sie nichts.“ „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“.

 

Die Jünger denken, sie seien ganz allein in dieser langen vergeblichen Nacht auf dem See, aber Jesus ist schon lange da. Er steht am Ufer, als es endlich dämmert. Er lässt sie nicht allein. Er weiß, dass sie nichts gefangen haben. Er hat die ganze Szenerie vor Augen. Diese Ostergeschichte ist wie ein Transparent auch für unser Leben. Die, die mit leeren Händen und traurigem Herzen kommen, werden von Jesus erwartet. Denn Jesus steht am Ufer. Er hat uns vor Augen. Seine Präsenz wirft ein Licht auf die mühsame Nacht, auf unsere Vergeblichkeit, auch auf die letzte Nacht, die ein jeder von uns noch durchschreiten muss – die Nacht des Todes. Wir gehen anders in diese Nacht, wenn wir wissen, dass Jesus am Ufer steht.

 

Unsere Geschichte ist eine Ostergeschichte, das heißt sie redet von Leben und Tod. Die Geschichte kehrt die Reihenfolge von Leben und Tod aber um: Es folgt nicht der Tod auf das Leben, sondern das Leben auf den Tod. Nicht die Vergeblichkeit, nicht die Mühe, nicht die leeren Hände stehen am Ende, sondern die Hoffnung, der Morgen, der Beginn eines neuen Lebens.

 

Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer.“ Ganz fürsorglich fragt Jesus die Jünger: „Habt ihr nichts zu essen?“ Nein, die Jünger haben nichts zu essen und Jesus weiß es. Doch dabei bleibt es nicht. Jesus schickt die Jünger noch einmal auf den See, es ist ganz wie am Anfang, als er sie in seine Nachfolge rief. Und die Jünger hören auf ihn und kommen mit einer Überfülle an Fischen zurück. Als die Jünger ans Ufer kommen, hat Jesus schon das Essen für sie bereitet. Nicht zufällig weist der Autor des Evangeliums dabei auf das Kohlenfeuer hin, das wenige Seiten vorher der Schauplatz von Petrus’ Verleugnung war. Das Kohlenfeuer erinnert diskret an das Schmerzhafte, Peinliche und Peinigende in der Nacht des Verrats. Doch es bleibt nicht bei der Erinnerung an das Versagen. Jesus lädt die Jünger ganz selbstverständlich zum Mahl ein. Er hat Brot und Fische – wie bei der Speisung der Fünftausend. Jesus sättigt den Leib und die Seele. Jesus will, dass seine Jünger die Fülle haben, dass sie mit ihm zusammen die Gemeinschaft und das Leben feiern. Das gemeinsame Essen ist zugleich ein Versöhnungsangebot an Petrus.

 

Die Jünger erkennen den Auferstandenen nur langsam. Die Erkenntnis von Ostern entfaltet sich erst allmählich. Erst einmal denken die Jünger, dass mit Jesus ein Fremder am Ufer steht. Dann wird Jesus vom sogenannten Lieblingsjünger erkannt, danach von Petrus. Am Ende ahnen alle, mit wem sie es zu tun haben, aber sie wagen nicht ihn anzusprechen und zu fragen. Zweifel und Unsicherheit bleiben. Die Atmosphäre ist unheimlich. Ostern wird im Handeln erfahren, im Tun, es wird – wie in einem finnischen Kaurismäki-Film – überhaupt nur sehr wenig gesprochen. Jesus ist der Gastgeber, der sich den Seinen zuwendet, fürsorglich, liebevoll, indem er ihnen zu essen gibt. Er gibt sich zu erkennen in dem, was er tut, nicht in dem, was er sagt.

 

Unsere Ostererzählung ist ein Nachtrag. Das Evangelium war eigentlich schon vorher abgeschlossen. Tatsächlich kann man sich nicht recht vorstellen, wie der Auferstandene den Jüngern schon zweimal begegnet sein soll und sie dann immer noch derart ahnungslos sind. Doch für die Regie unseres Autors ist es wichtig, dass es die dritte Auferstehungsbegegnung ist. Er betont es eigens. Er will uns zeigen, wie mühsam die Erkenntnis von Ostern ist. Wie fragil diese Erkenntnis ist, wie sehr wir alle dazu tendieren, in unserem Alltag verhaftet zu bleiben, rückwärtsgewandt zu leben und uns vergeblich abzumühen und am Ende den zu übersehen, der unser Leben in der Hand hält, der längst am Ufer steht und uns freundlich erwartet, der sich uns zuwendet, auch wenn wir in die Irre gehen.

 

Unsere Erzählung nimmt auf, was war und zeigt, was sein wird. Die Grenze meines Lebens wird sichtbar und zugleich verweist die Geschichte auf eine große tragende Hoffnung und einen großen umfassenden Trost. Denn Jesus steht am Ufer und sieht und erwartet uns, heute in unseren alltäglichen Mühen und dermal einst, wenn wir in die letzte Nacht unseres Lebens gehen.

 

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Was braucht es mehr für Sie, für Dich, für mich? Amen

 

1 Wichtige Anregungen für diese Predigt gehen zurück auf eine Predigt von Theophil Askani in: Ders., Da es aber jetzt Morgen war stand Jesus am Ufer. Predigten. Reutlingen o.J., 261-266

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Aus der Raupe Nimmersatt wird ein Schmetterling – Predigt zu Johannes 6 (34-36, 55f, 60-62) und Römerbrief 6, 3-5 von Katrin Berger

Aus der Raupe Nimmersatt wird ein Schmetterling – Predigt zu Johannes 6 (34-36, 55f, 60-62) und Römerbrief 6, 3-5 von Katrin Berger
6,34-36

 „Herr“, sagten sie zu Jesus, „gib uns immer von diesem Brot.“ (Joh 6, 34)

Am Montag fraß die kleine Raupe Nimmersatt sich durch einen Apfel, aber satt war sie noch immer nicht.

Am Dienstag fraß sie sich durch zwei Birnen, aber satt war sie noch immer nicht.

Am Mittwoch fraß sie sich durch drei Pflaumen, aber satt war sie noch immer nicht.1

Am Montagmorgen aß ich zum Frühstück eine Tafel Schokolade, aber satt war ich nur bis zum Mittag. Am Montagmittag aß ich noch eine Tafel Schokolade, aber satt war ich immer noch nicht. Abends brauchte ich noch mal 100 Gramm.

Dienstagmorgen bekam ich einen Kuss, aber satt wurde ich davon nicht. Schon Dienstagmittag brauchte ich dringend eine richtig lange Umarmung, aber abends dann noch mal ganz doll beides.

Mittwochmorgen sah ich wie die Sonne aufging und konnte mich kaum sattsehen an der Schönheit der Natur. Mittwochmittag musste ich aber schon wieder raus, so gierig war ich nach dem frischen Grün des Frühlings. Als Mittwochabend dann die Sonne unterging, konnte ich den nächsten Morgen voller Sonnenstrahlen kaum erwarten.

Donnerstagmorgen bekam ich ein Lob für meine Arbeit, Donnerstagmittag hatte ich es schon wieder vergessen, weil irgendjemand den Mund nicht voll kriegte und mir sagte, ich, die Kirche, Gott oder doch bitte die ganze Welt sollten sich jetzt sofort und gefälligst noch mehr sorgen, damit niemand verhungerte.

Freitagmorgen bekam ich vor lauter Frust Heißhunger auf neue Schuhe, Freitagmittag stellte ich fest, dass zu ihnen keine meiner Handttaschen passte und rannte zurück in den Laden. Abends merkte ich, dass ich noch ein neues Schuhregal und neue Haken für Taschen und eine rote Bohrmaschine um sie an die Wand zu dübeln brauchte.

Samstagmorgen hatte ich frei. Da kam ich auf den Geschmack und wollte Samstagmittag auch noch frei haben und Samstagabend noch dazu und Samstagnacht sowieso.

Sonntagmorgen war ich im Gottesdienst. Das erste Lied gefiel mir so sehr, ich hatte Lust, es noch zweimal zu singen. Dann hörte ich meinen Lieblingsbibelvers, den sagte der Pfarrer aber nur einmal im Jahr. Dann ging ich zum Abendmahl und bekam eine kleine Oblate und einen Schluck aus dem Kelch. So wenig. so schnell, so selten. Bitte immer wieder sonntags zu seinem Gedächtnis und zu meinem schlechten auch.

Ich hatte mich glücklich durchgefuttert durch die Woche, durch das Leben. Aber ich wurde und wurde nicht satt. Ich hatte mich voll gefuttert mit Schokolade, Zärtlichkeit, Schönheit, Erfolg, Schuhen und Taschen, Zeit und Vergebung und Gott, aber Sonntagmittag fühlte ich schon wieder großen Hunger nach all dem. Sonntagabend war ich leer und einsam und zerbrechlich und ängstlich, denn ich merkte, es war einfach nie genug. Ich brauchte es alles immer wieder, und auch immer mehr. Mein Hunger nach Leben war so nicht zu stillen.

Nicht von dem Brot, das der HERR immer wieder gibt, nicht vom täglichen Brot. (Joh 6,34)

„Das wahre Brot Gottes ist das, das vom Himmel herabsteigt und der Welt das Leben gibt.“

„Ich bin das Brot, das Leben schenkt“, sagt Jesus. „Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein. Wer sich an mich hält, wird keinen Durst mehr haben.“

„Denn mein Fleisch ist die wahre Nahrung, und mein Blut ist der wahre Trank.

Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt mit mir verbunden und ich mit ihm.“

Als sie das hörten, sagten viele, die sich Jesus angeschlossen hatten: „Was er da redet, geht zu weit! So etwas kann man nicht mit anhören!“ Jesus wusste schon von sich aus, dass sie murrten, und sagte zu ihnen: „Daran nehmt ihr Anstoß? Wartet doch, bis ihr den Menschensohn dorthin zurückkehren seht, wo er vorher war!

Lebenshunger ist nicht zu stillen, bis man versteht, dass es ohne Jesu Tod nicht geht.

Bis er sein Fleisch und sein Blut gibt und wir das Brot des Lebens essen.

Das trockene Brot, das Wort des ewigen Lebens, an dem man zu kauen hat, sich fast die Zähne daran ausbeißt. Es immer wieder ausspucken möchte, weil es hart ist, kaum zu schlucken, bis man mit Hilfe Gottes Geist versteht, dass es ohne Jesu Tod nicht geht.

Jesus ist nicht unser täglich Brot, damit wir überleben. Jesus ist nicht das Brot für jeden Tag, für immer, das uns satt macht bis zum nächsten Tag. Jesus ist nicht das Brot für jeden Montag Mittag, jeden Mittwoch Abend oder Sonntag Morgen, sondern das Brot für einmal, ein für allemal. Nur einmal kommt Gott in Jesus zur Welt. Nur einmal stirbt er am Kreuz für das Leben der Welt. Nur einmal gibt Jesus sein Fleisch und sein Blut, damit wir ein für allemal satt werden.

Nur einmal werden wir geboren. Nur einmal werden wir getauft. In Jesu Tod hinein, einmal drei Tage Tod einmal drei Mal Taufwasser. Nur einmal bekommen wir darin Anteil an Jesus, essen sein Fleisch und trinken sein Blut auf das wir ewig leben.

 …Wir alle, die »in Jesus Christus hinein« getauft wurden, sind damit in seinen Tod hineingetauft, ja hineingetaucht worden. Durch diese Taufe wurden wir auch zusammen mit ihm begraben. Und wie Christus durch die Lebensmacht Gottes, des Vaters, vom Tod auferweckt wurde, so ist uns ein neues Leben geschenkt worden, in dem wir nun auch leben sollen. Denn wenn wir mit seinem Tod verbunden wurden, dann werden wir auch mit seiner Auferstehung verbunden sein. (Röm 6)

Wer getauft ist und das glaubt, der hat das ewige Leben und wird satt. Mehr als ewiges Leben kann man nicht kriegen. Wer das glaubt, ist satt an Vertrauen, dass es an nichts mangeln wird, nicht mehr mangeln kann. Der wird so satt, dass der Hunger nach dem täglichen Brot nicht mehr das Leben bestimmt, sondern das Vertrauen, dass es schon reichen wird, dass mehr als genug zum Leben da ist. So satt an Vertrauen, dass die Schokolade wird reichen wird, und die Zärtlichkeit, die Schönheit, der Erfolg, die Schuhe und die Taschen, die Zeit sowieso und Vergebung und Gott auch. Wer das glaubt, ist satt vom Brot des Lebens, voller Vertrauen in Gott. Noch satter als die kleine Raupe Nimmersatt, als sie dick und bereit war, sich völlig zu verwandeln. Wer das glaubt, ist schon verwandelt. Neugeboren durch Wasser und Geist, durch Jesu Wort und Leben (Joh 3,5). Wer das glaubt, war schon im Kokon, war schon im Tod. Wer das glaubt, lebt wie ein schöner, bunter Schmetterling. Kriecht nicht nur auf dem Boden der Tatsachen, hangelt sich nicht von einem abgeernteten Ast zum nächsten, von einem Hunger zum nächsten, sondern fliegt mit dem warmen Wind der Verheißung von einer Pflanze zur nächsten Blüte.

1 I Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle.

Perikope
26.03.2017
6,34-36

Lebendig fühlen - Predigt zu Johannes 6,55-65 von Sven Keppler

Lebendig fühlen - Predigt zu Johannes 6,55-65 von Sven Keppler
6,55-65

I.
Liebe Gemeinde,

sie hat Hunger nach Leben. Vor ein paar Wochen kam sie aus dem Gefängnis, nach fünf Jahren. In der letzten Zeit hatte man ihr „gute Führung“ attestiert, sonst hätte sie noch länger sitzen müssen. Fünf verlorene Jahre, für eine Dummheit mit Anfang Zwanzig. Einen Beruf hat sie erlernt im Knast, KfZ-Mechanikerin ist sie jetzt. Und eine Wohnung hat sie auch gefunden. Und jetzt hat sie Hunger: nach dem Leben, nach einem Neuanfang.

Sie ist in eine neue Stadt gezogen, wo sie keiner kennt. Wo sich niemand an die Zeitungsberichte mit ihrem Foto erinnert – das hofft sie zumindest. Ob die neuen Nachbarn angesehen haben, woher sie kommt? Es ist Samstagabend, ihre Sehnsucht nach dem Leben brennt, aber sie weiß nicht wohin. Freunde hat sie noch nicht. Noch nicht? Soll sie tanzen gehen? Endlich mal wieder einen Mann kennen lernen. Endlich mal wieder richtig feiern. Sie hat Angst, ihr Versuch mit den Drogen im Knast war ihr nicht gut bekommen. Sie spürt die Unruhe. Aber irgendwie will sie ein anderes Leben, will neu anfangen. Aber wie geht das?

Und da ist die Angst, dass es doch wieder wie früher kommt. Die falschen Männer, die, die ihr zwar gefallen, die sie aber immer nur ausgenutzt haben. Die Streitereien, die Schläge. Nein, lass bloß die Finger vom Alkohol. Und fall nicht wieder auf die Aufreißer rein. Bleib zu Hause, heute Abend. Schreib lieber noch eine Bewerbung.  Denn sie hat auch Sehnsucht nach der Normalität. Einfach ganz spießig sein: Ein Mann, ein Kind, Arbeit und eine kleine Wohnung. Ohne Schulden, ohne Streit – so, wie es ihre Eltern nie hinbekommen haben. Und wieder hat sie Angst: Wenn es nicht mal mit dem Job klappt, woher soll dann der Rest kommen? Riecht sie nicht immer noch nach Knast?

Woher? Woher die Kraft zum Neuanfang? Woher die Kraft zu einem gelingenden Leben, nach dem sie sich sehnt? Wo die richtigen Leute kennen lernen? Wie soll sie die Angst besiegen, dass alles doch wieder so wird, wie es immer schon war? Den Hunger hat sie, aber wo und wie sie satt werden soll, ahnt sie nur vage.

Liebe Gemeinde, ich hätte auch von anderen Menschen erzählen können und von deren Hunger nach Leben: Von dem Schulabgänger, der glaubt, dass nun sein Leben beginnt. Von der Witwe, die sich ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes eingestehen muss, dass sie sich heute viel freier fühlt als damals, als ihr Mann noch lebte.

 

II. In all diesen Geschichten steht neben der Sehnsucht meistens auch eine Ratlosigkeit: Weiß ich eigentlich so genau, wie ich leben möchte? Sind die Vorstellungen, die ich habe, auch der richtige Weg? Und werde ich in mir die Kraft finden für das, was mir das Richtige scheint?

Auch unser heutiger Predigttext handelt vom Hunger, vom Leben, von der richtigen Speise. Er tut es auf eine krasse Weise. Ein harter Text der Passionszeit. Wir werden uns bemühen müssen, werden darum ringen müssen, ihn richtig zu verstehen. Aber in ihm steckt das Versprechen, dass sich die Mühe lohnen wird. Ich lese aus dem Evangelium nach Johannes, im sechsten Kapitel die Verse 55-63:

[Verlesen von Joh 6,55-65]

Herr, das ist wahrhaftig eine harte Rede. Öffne unser Herz, dass wir sie richtig verstehen. Amen.

 

III. Ärgert euch das? Da habe ich von Sehnsucht gesprochen, vom Hunger nach Leben. Und dann dieser harte Predigttext? Nirgends in der Bibel ist so krass und ausdrücklich davon die Rede, dass wir tatsächlich Jesu Fleisch essen sollen und sein Blut trinken. „Ärgert euch das?“ So fragt auch Jesus seine kopfschüttelnden Jünger.

So ist es ja auch mit dem Gekreuzigten. Je nach Sichtweise ein Ärgernis oder eine Torheit. Oder eine Kraft Gottes – die selig macht alle, die glauben. Woher kommt diese Kraft Jesu? Was ist die Quelle seiner Ausstrahlung? In unserem Predigttext sagt er, dass ihn der lebendige Vater gesandt hat. „Ich lebe um des Vaters willen.“

Enger als er kann ein Mensch nicht mit Gott verbunden sein. Mit Gott, seinem Vater. Gott schaut ihn an. Er sieht ihn so, wie er ist: seinen Schmerz, seine Verzweiflung, seine Unschuld. In den Augen seines Sohnes hat Gott die Frage aller Menschen gelesen: Wird mit dem Tod alles aus sein? Gott, unser Hunger nach Leben ist noch längst nicht gestillt. Gibt es keine Chance mehr, dass sich unsere Sehnsucht nach einem wirklich gelungenen Leben je erfüllt?

Aber Gott hat seinen Sohn nicht verlassen. Am dritten Tag, am Ostermorgen, hat er ihm wieder das Leben geschenkt. Er hat ihn nicht nur wiederbelebt für eine kleine Zeit. Sondern er hat ihm das ewige Leben gegeben. Ein Leben, vor dessen Ende man keine Angst mehr haben muss, weil es kein Ende hat. Ein Leben, vor dessen Misslingen sich niemand fürchten muss, weil es besser sein wird, als wir uns überhaupt vorstellen können. Es gibt keinen Karfreitag ohne Ostern. Es gibt bei Gott keinen Tod ohne das ewige Leben. Das ist die Hoffnung, die der Gekreuzigte trotz aller Härte für mich bedeutet.

 

IV. Und dieser Christus, dem Gott die Lebenskraft schenkt – dieser Christus will sich auf das Engste mit uns verbinden. Er will uns teilhaben lassen an seiner Lebensenergie. Das ist die zentrale Aussage unseres Predigttextes: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.(Joh 6,56)

Das heißt nichts anderes als: Wenn ihr das Abendmahl feiert, dann seid ihr mit mir vereint. Dann wird euch Gott so ansehen, wie er mich angesehen hat. Gott wird eure Sorgen sehen. Eure Traurigkeit. Er wird eure Sehnsüchte nach dem Leben sehen. Gott wird euch nicht mit zornigen Augen ansehen, er wird euch nicht abweisen. Sondern so wie er mir das Leben geschenkt hat, so wird er es auch euch schenken.

Dass wir Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken sollen – das ist eine heikle Aussage. Sie ist absichtlich so hart gewählt, Jesus selbst hat die Wirkung seiner Worte bei den Jüngern gesehen. Diese Worte müssen wahrscheinlich so hart sein. Aber später sagt Jesus auch: Der Geist ist’s, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. (Joh 6,63)

Wir sollten das als einen Hinweis hören: Das Abendmahl ist nichts für blutrünstige Fantasien. Es ist Brot, das wir essen und es ist der Saft der Trauben, den wir trinken. Leib und Blut Christi sind es auf eine geistliche Weise. Wenn wir im Mahl das Brot essen, sind wir durch Gottes Geist mit dem Leib des auferstandenen Christus verbunden. Wenn wir den Wein trinken, nehmen wir durch Gottes Geist Christi Leben in uns auf.

Christi Leib und Blut essen und trinken wir auf geistliche Weise. Jesus selbst sagt: Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. (Joh 6,58b) Christus nimmt uns in sich auf, und wir ihn in uns: Wir werden Erlöste wie er. Das ist die frohe Botschaft unseres heutigen Predigttextes.

 

V. Und was bedeutet das für unsere junge Frau vom Anfang der Predigt, für ihren Hunger nach Leben, für ihre Sehnsucht nach einem Neubeginn? Was heißt das für den Schulabgänger oder die Witwe? Was heißt es für mich und für Sie, wenn wir uns nach einem gelingenden Leben sehnen, nach Liebe, nach Kraft?

Liebe Gemeinde, ich halte die Geschichte von der jungen Frau für beispielhaft. Auch wenn wir ihre Situation oft eine Nummer kleiner erleben. Und dadurch nicht ganz so deutlich.

Vielleicht kennen Sie das auch: Da hat man die Sehnsucht, im eigenen Leben etwas zu verändern. Meistens nicht so stark, dass man ein neues Leben beginnen will. Aber ein kleiner Neuanfang: Man möchte eine erkaltete Freundschaft wieder aufleben lassen. Man versucht, mit dem Partner oder der Partnerin einen alten Konflikt endlich zu lösen. Man hofft, sich den Tag ab jetzt etwas anders aufzuteilen, damit man mehr von ihm hat.

Oft sind solche Neuanfänge von der Sorge begleitet, dass die Macht der Gewohnheit zu stark ist. Wie die junge Frau Angst davor hatte, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden. Das Vergangene hat eine so starke Macht über uns, dass wir kaum von ihm loskommen. Dass wir oft nicht einmal sehen, was wirklich gut ist für uns. Mitten in diese Erfahrung hinein spricht unser Predigttext: Er erzählt uns von der Kraft zum Neuanfang, die Gott für uns bereithält. So, wie Gott Christus ein neues Leben geschenkt hat, so verspricht er es auch uns.

An unserer eigenen Kraft zum Neuanfang haben wir oft berechtigte Zweifel. Aber Gott will uns diese Kraft schenken. Wenn wir ihm glauben und ihm vertrauen. Im Heiligen Abendmahl werden wir mit dieser Lebenskraft verbunden. Es ist das Brot des Lebens. Hier können wir satt werden in unserem Hunger. Gestärkt werden, wenn wir aufbrechen wollen. Und auch später, auf dem Weg. Amen.

Perikope
26.03.2017
6,55-65

Vertrauensvorschuss – Predigt zu Johannes 4,46-54 von Frank-Nico Jaeger

Vertrauensvorschuss – Predigt zu Johannes 4,46-54 von Frank-Nico Jaeger
4,46-54

Heute Abend kommt die Babysitterin. Wir waren schon solange nicht mehr zusammen im Kino. Es ist eben schwierig mit den Kindern, ohne Großeltern in der Nähe. Also kommt heute die Babysitterin.
Die junge Frau kennen wir aus dem Kindergarten. Sie war die Erzieherin unserer Jungs. Und - was viel wichtiger ist -: die beiden mögen sie. (Und hören auf sie.)
Ob wir die junge Frau kennen? Sagten wir doch, aus dem Kindergarten. Aus Gesprächen mit ihr.
Ob wir die junge Frau richtig kennen? Spielt das eine Rolle? Wir vertrauen ihr so sehr, dass wir ihr unsere Kinder anvertrauen.
Wir vertrauen der Babysitterin wie der Chef seinen Mitarbeitern vertraut. Oder wie Sie dem Piloten vertrauen, der Sie in den Urlaub fliegt. Und wie der Patient, der seiner Ärztin vertraut.

Vertrauen – das ist der Klebstoff, der unsere Welt zusammenhält.1  Ohne Vertrauen würde keine Welt funktionieren. Nicht die Geschäftswelt, nicht unsere kleine Familienwelt und erst recht nicht die Kirchenwelt. Ohne Vertrauen hätten wir längst den Glauben aufgegeben.
Vertrauen ist also überhaupt nicht unvernünftig. Vertrauen ist eine Voraussetzung für das Zusammenleben. Und wenn wir vertrauen, dann immer nur wenn es gute Gründe dafür gibt, dass unser Vertrauen nicht enttäuscht wird.

Der Evangelist Johannes hat so eine Vertrauensgeschichte aufgeschrieben: Es ist eine alte Geschichte, aber sie ist universal. Hier ein Vater. Dort ein Sohn. Der Sohn ist dem Tode geweiht. Der Vater außer sich vor Sorge. Der Vater ist ein königlicher Hofbeamte. Er könnte alles andere sein.  Ein Angestellter in leitender Position, mittlere Beamtenlaufbahn. Ein Busfahrer, ein Bäcker, ein Zugführer, ein Lehrer, ein Pfleger. Auf jeden Fall jemand, der in geregelten Bahnen lebt, denkt und arbeitet.
So wie am Hofe des Königs. Auch dort geht es geordnet zu. Es gibt Strukturen, die das Leben am Hof regeln. Es gibt eine Ordnung. Es ist eine korrekte, geordnete Welt. Kurzum: Es geht modern zu am Hof des Königs. Aber wie so oft im Leben gibt es Grenzen: Austherapiert. Hoffnungslos. Todgeweiht.
Der Sohn des Beamten ist sterbenskrank. Das Leben bricht ein. Missachtet alle Strukturen und alle Macht. Durchbricht den vermeintlich sicheren geordneten Rahmen, schlägt zu und trifft. An der Krankheit des Sohnes ist die Macht des Beamten ohnmächtig. Also macht der Vater sich auf den Weg. Verlässt das Bett des todkranken Kindes. Sicherlich keine Mutter, kein Vater hier im Raum oder irgendwo auf der Welt, kein Elternteil, der nicht dasselbe tun würde. Oder doch?
Angesichts des Todes trotzdem gehen? Das Kind wird sterben. Also nicht doch lieber bleiben? Das Leben bricht ein und darum bricht der königliche Beamte auf. Verlässt das Krankenlager und geht hinauf nach Kana.
26 Kilometer sind es vom Sterbebett des Kindes bis zum letzten Ausweg. 26 Kilometer schaffen geübte Läufer in deutlich weniger als 90 Minuten. Aber die haben weniger Gepäck auf dem Rücken als der Vater.
Der Hofbeamte möchte zu Jesus. Ohne zu wissen, was der wirklich kann. Er weiß nur, dass dieser schon Wunder getan hat. Wasser zu Wein habe er gemacht. Sagen die Leute. Was bleibt ihm anderes übrig, als diesem Jesus zu vertrauen? Alles versuchen. Egal wie absurd es ist. Ihm das Kind anvertrauen.
Jesus jedenfalls ist oben. Er ist in Kana. Vielleicht scheint sogar die Sonne, als ein Mann von unten kommt, auf ihn zukommt. Schließlich vor ihm steht und ihn bittet mitzukommen. Von der Höhe ins Tal. Vom Weinwunder in die harte Realität. Vom Leben in den Tod.
Ich stelle mir vor, wie Jesus den Kopf zur Seite dreht, den verschwitzten Mann wahrnimmt. Sieht, wen er da vor sich hat, was ihn aber nicht weiter interessiert. Auch die Kinder von Mächtigen werden krank. So ist das.
Und Jesus ist vielleicht gerade im Gespräch, fühlt sich gestört, blickt zur Seite. Hört, wie der Hofbeamte seine Bitte formuliert und alles was er dem Mann sagt ist ein Satz, der ein Vorwurf ist. Jesus macht sich nicht die Mühe auf den Vater einzugehen. Ist nicht zugewandt. Ist seelsorgerlich nicht geschickt. Ist schroff und abweisend.
„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht!“ (Joh 4,48)

Der Vater könnte jetzt gehen. Er könnte denken, was bildet sich dieser Typ eigentlich ein? Was denkt der eigentlich, wer er ist? Der ganze Weg, die ganze Angst und dann so eine Antwort?
Der Vater, voller Vertrauen in diesen Mann, ausgeliefert an dessen guten Willen, wiederholt seine Bitte.
„Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt!“ (Joh 4,49)

Und Jesus? Der braucht fünf Worte um das Wunder zu tun.
„Geh hin, dein Sohn lebt.“ (Joh 4,50)
Und er macht klar: Ich bin der Souverän hier. Ich gehe nicht mit. Ich gehe nicht mit dir in die Ebene, weil ich es nicht muss. Nicht, weil ich nicht will, sondern weil mein Wort ausreicht.
Aufgepasst! Das Wunder geschieht hier nicht um des Wunders willen.
Es geschieht, weil Jesus zeigt, was noch zu erwarten ist. Und es geschieht um zu zeigen, dass es in dieser Vertrauensgeschichte, die auch eine Glaubensgeschichte ist, nicht um den Glauben des Vaters geht. Es geht auch nicht um ein Mehr oder Weniger an Glauben.
Es geht um Vertrauen. Vertrauen in das Wort Gottes, das schon in der Welt ist. Und weiterhin gehört werden will.
Jesus erteilt dem Glauben an einen willkürlich eingreifenden Gott eine schroffe Absage. Diesen Gott, so sagt Jesus, diesen willkürlich eingreifenden Gott, den gibt es nicht.
Und schließlich: Es geht auch nicht darum, dass Gott hier eingreift und da nicht, denn die Geschichte will viel mehr: Sie erzählt davon, wie Jesus bei den Menschen, die er anspricht, Grundvertrauen weckt. Und die so angesprochenen Menschen Glauben ihm, weil sie seinem Wort vertrauen.
So wie der Vater. Als der Jesu Worte hört, dreht er um und geht zurück, voller Vertrauen, weil er dem Wort Jesu glaubt.
Es gibt ein Risiko des Vertrauens – aber das ist kein Makel, sondern der Beginn.
Amen.

1Vgl. L. Heidbrink, in: Die Zeit vom 9. Januar 2012, Nr.4/2012.

Perikope
22.01.2017
4,46-54

Wo Gott antreffen? – Predigt zu Johannes 1,43-51 von Werner Grimm

Wo Gott antreffen? – Predigt zu Johannes 1,43-51 von Werner Grimm
1,43-51

Liebe Gemeinde,
sechs Gelehrte saßen im Halbrund und diskutierten zwei Stunden über das Problem der Denkmöglichkeit der Existenz Gottes. Sehr eifrig, sehr ernsthaft und doch nicht gerade ermutigend für den Fernseh- zuschauer. Meine Tochter, die damals ihren Verstand entdeckte, sagte danach: „Jetzt ist’s noch schwieriger, zu glauben.“
Gleich nach besagter Sendung erschien eine Karikatur auf dem Bildschirm: ein großer Tisch, sechs kleine Männlein um diesen Tisch sitzend, Schweißtropfen auf der Stirn – und das Ganze in einer riesigen Hand, die alles trug, und darüber so etwas wie ein freundliches Gesicht, das lächelnd auf alles blickte. Irgendein Mensch mit Humor im Studio hatte noch schnell seine Sicht der vorausgegangenen Diskussion mitgeteilt.
Diese Karikatur kommt mir in den Sinn, wenn ich von Nathanael lese - Nathanael, der mutmaßliche Schriftgelehrte - und wie er ein Jünger Jesu wurde: Ein Skeptiker, der in der Messias-Frage erst einmal klar sehen wollte und als er sich noch angestrengt und voller Zweifel eben darum bemühte, da war er doch schon seinerseits im liebenden Blick des Messias. Wir hören Johannes 1,43-51.(Verlesen des Predigttextes)

„Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ Eine rhetorische Frage, die die Antwort schon mitgibt, nämlich: Nichts! Eine Frage, mit der sich Nathanael dem Ansinnen des Philippus verschließt. Was kann denn aus dieser Ecke Gutes kommen - so oder so ähnlich fragen von Natur aus eher skeptische Leute. Leute, die das Leben misstrauisch gemacht hat. Leute, die aus negativen Erfahrungen gewisse Vorurteile gebildet haben. Leute, die dann vor lauter Bedenken auch schon einmal das Glück ihres Lebens verpasst haben. Zum Beispiel, wenn sie eine vielversprechende Beziehung nicht wagen, weil sie gleich wieder fürchten, nachher doch enttäuscht zu werden. Leute, die mit dem neuen Jahr kurz einmal vornehmen, auch ihr Leben zu erneuern und dann bleibt doch alles beim Alten.
Philippus, selbst begeistert von Jesus, stößt bei Nathanael zwar auf eine noch nicht gestorbene Sehnsucht nach heilerem Leben. Die teilt dieser mit vielen im geschundenen Land: Da gab es die Furcht vor der Willkür der römischen Besatzer, aber auch vor den Dolchen der israelitischen Freiheitskämpfer, die vor allem die eigenen Leute mit Terror bekriegten. Jene Landsleute nämlich, die mit der Weltpolizei Rom zusammenarbeiteten. Da gab es eine bedrückende Steuerlast und man begriff wohl, dass das abgezockte Geld nicht für das Soziale, sondern für allerhand riesige Prestigeobjekte des Herodes und der römischen Statthalter ausgegeben wurde. Auch damals gab es schon sinnlose Wolkenkratzer und schreiende Ungerechtigkeit. Und es gab eine allgegenwärtige Bedrohung durch Krankheiten, die Siechtum und soziale Isolation bedeuten würden. Es gab das Bangen um das tägliche Brot nach einer Missernte. O ja, Nathanael sehnt sich schon auch nach dem verheißenen König der Gerechtigkeit und starken Erlöser.
Aber, nun eben: „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ Seine theologischen Lehrer befinden, dass der Messias aus Davids Stamm von der Hauptstadt Jerusalem aus tätig werden würde. Aber doch nicht vom Kuhnest Nazareth!
So ist Nathanael, wie wir sagen, ganz auf Abwehr eingestellt. Wirklich fremd ist uns sein Verhalten wohl kaum. Ist das „Herkommen“ eines Menschen - ob wir davon wissen oder ob wir es ihm einfach ansehen - ist es nicht oft schon ausreichend, um ihn abzulehnen, ohne uns auch nur ein paar Minuten auf ihn eingelassen zu haben? Wenn da ein Mensch mit einer Frage kommt, eine Bitte äußert, mit uns sprechen möchte, Kontakt sucht, oder es bietet uns jemand mit scheuer Geste Freundschaft an – wie reagieren wir? Im Unterbewusstsein sagt etwas in uns: Zu fremd, zu schmutzig, zu anstrengend.
„Was kann von da Gutes Kommen?“ – eine Frage, die blockiert. Nathanael gehört wohl zu den starren Menschen mit wenig Phantasie, zu den Unbeweglichen.
Aber da macht es nun Philippus, der schon Jesusjünger ist, recht geschickt. Er hat einen Vorschlag, der die zugeschlagene Tür wieder öffnet: „Komm und guck dir es doch einfach einmal unverbindlich an!“ Auf diesem Ohr hört Nathanael. Da wird nun sozusagen die Lichtseite seines zwanghaften Charakters angesprochen. Denn das ist jetzt seine Stärke: genau hinschauen, nüchtern objektiv und gründlich prüfen. Er ist ja keiner, der eine Katze im Sack kaufen würde.
Und tatsächlich: Jesus bestätigt ihm diese positive Seite seines Charakters sogleich und rückt sie ins Licht: „Siehe, ein rechter Israelit, ein Mensch, in dem kein Falsch ist. (Joh 1,47) Die Verlässlichkeit in Person.“
So also sieht ihn Jesus! Das ist Nathanael! Zu loben für seine Gewissenhaftigkeit in allen Dingen. Einer, der prüft, ehe er sich ewig bindet, abhold jeder blauäugigen Schwärmerei. Er ringt mit sich und Gott. Aber wenn Nathanael schließlich Ja gesagt hat, dann bleibt er auch dabei, dann wird er nicht enttäuschen, dann ist Verlass auf ihn.
Einer, der den Namen „Israel“ verdient – mehr noch als der Ahnvater Jakob. Der hatte damals in der denkwürdigen nächtlichen Stunde in der Jabbokfurt von Gott als Erster der Weltgeschichte den Ehrennamen „Israel“ erhalten. Der Name beinhaltet ein großes Lob. Er bedeutet ins Deutsche übersetzt ungefähr: „Der sich mit Gott heftig auseinandergesetzt hat“. So ein „Israelit“ ist also auch Nathanael. Einer, der den Ehrennamen „Israel“ sogar noch viel mehr, „in Wahrheit“, verdient, weil er, anders als Jakob, ohne List und Betrug sein Leben führte.
Aus Jesus spricht Menschenkenntnis: So findet man Zugang zum Herzen eines Menschen, so gewinnt man ihn: Indem man ihn wahrnimmt und zwar erst einmal in seiner Stärke. Nathanael fühlt sich endlich einmal erkannt, endlich einmal nicht verkannt. Sein Selbstwertgefühl wächst, weil da einer seine positiven Eigenschaften wertschätzt und an die erste Stelle setzt.

Wenn uns dies geschieht, dass jemand unseren guten Kern und unsere beste Absicht nicht nur sieht, sondern uns ermuntert, Gebrauch davon zu machen, dann ist das etwas Befreiendes, etwas, was unserem Tun Schwung verleiht. Und dann können wir auch seine Kritik im Einzelnen ganz gut vertragen. Dagegen werden Sie sich von einem Menschen, der gleich und nur das Schlechte an Ihnen feststellt, kaum etwas sagen lassen. Das war eines der großen Missverständnisse des Christentums: Man meinte, der Mensch werde in der Bibel erst einmal total schlecht gemacht, kein gutes Haar werde an ihm gelassen. Gerade so sei er bereit für das Evangelium und den Empfang der Vergebung seiner Sünden. Und danach erst sei er überhaupt zu Gutem fähig.
Nein, Jesus hat einen Menschen gelobt, wo er zu loben war, dafür haben wir Beispiele genug im Evangelium.
Und wenn Jesus hier bei Nathanael den guten Kern feststellt, dann hat das enorme Bedeutung für die Entwicklung seiner Persönlichkeit. Denn wenn ich um meinen Kern weiß, dann weiß ich um das, was in meinem Leben  auch entfaltet werden will, was wachsen soll und wo ich schließlich Frucht bringen darf.
Also, Nathanael ist in diesem Moment schon richtig aufgebaut und dem Mann aus Nazareth schon einigermaßen gewogen. Aber er wäre doch nicht Nathanael, wenn er nicht nochmals mit leisem Zweifel zurückfragte: „Ja du, woher kennst du mich denn eigentlich?“
Jesu verblüffende Antwort: „Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum sitzen sehen.“ (Eine Anmerkung: Unter dem Feigenbaum pflegten damals Tora-treue Israeliten zu sitzen, wenn sie dem Wort Gottes in der Schrift nachsannen.)Und offenbar, weil er tatsächlich unter dem Feigenbaum gesessen hat, ist der beweishungrige Nathanael nun doch ganz schnell überzeugt und fast schon begeistert: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, der König von Israel!“ (Joh 1,49)
Denn streng genommen hatte Nathanael, der Schriftgelehrte, jetzt zwei Beweise in der Hand (und nach der sogenannten Zeugenregel des alttestamentlichen Buches Deuteronomium wird die Wahrheit einer schwerwiegenden Sache erst durch zwei Gleiches besagende Zeugen festgestellt). Welches waren die beiden Beweise? Wiederum nach einem alttestamentlichen Text, nämlich nach der Messias-Verheißung von Jes 11, würde der Messias den Geist der Erkenntnis haben, das heißt: Intuition im Erkennen von Menschen. Jesus hatte sie bewiesen, als er Nathanaels Gewissenhaftigkeit und die Gründlichkeit seines Gottsuchens mit einem Blick erkannte. Ferner würde der Messias nach Jes 11 so etwas wie ein paranormaler Hellseher sein, und auch diese Fähigkeit hatte Jesus dem Nathanael vordemonstriert, als er ihn aus zig Kilometer Entfernung unter dem Feigenbaum sitzen sah.
Jesus, der Messias, verfügt also über übersinnliche Wahrnehmungsfähigkeiten. Und damit gibt er denen recht, die aus Erfahrung sagen: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als es sich unsere Schulweisheit träumen lässt.“ Mehr als das, was unsere fünf Sinne erfassen. Phänomene wie Hellsehen, Telepathie, Gedankenübertragung, Ahnungen, Traumbotschaften, Schutzengel sind also nicht von vornherein als Humbug abzutun. Dass zwischen manchen Menschen immer wieder Telepathie, Fernfühlung, wirksam werden kann, belegen etwa Mütter im Krieg, wenn der Sohn auf dem Schlachtfeld fiel und sie schreckten aus dem Schlaf hoch und wussten es. 1
Wenn telepathische Erfahrungen heute selten sind, so zeugt das möglicherweise davon, dass es nicht eben viele tiefe und innige Beziehungen in unserer Spaß- und Karrieregesellschaft gibt.
Aber das ist es nicht, worauf unsere Geschichte den Finger legt. Jesus relativiert ja gerade die Bedeutung des Paranormalen, als ob er sagen wollte: Solange wir auf Erden wohnen, sind übersinnliche Fähigkeiten nicht das, was in erster Linie zählt für die Menschwerdung des Menschen. Und so wendet er sich jetzt mit seinem gewichtigen Schlusswort an Nathanael: „Du glaubst, weil ich dir, der Tatsache entsprechend, gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Schön und gut. Aber das eigentliche Wunder ist etwas Größeres und Bedeutsameres: Wahrlich, wahrlich, ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen auf den Menschensohn.“ (Joh 1,51b)
Jetzt ist es gesagt, jetzt ist es in ein kühnes Bild gefasst, was die Jünger und Jüngerinnen allezeit an Jesus, dem Messias, haben: Er, Jesus, ist der Punkt in der Welt, wo Himmel und Erde, wo Ewigkeit und Zeit, wo Jenseits und Diesseits miteinander kommunizieren. Jesus spielt noch einmal, auf ein Schlüsselerlebnis des Ahnvaters Jakob an, diesmal auf sein Traumerlebnis. Jakob träumte einst, als er angstgetrieben auf der Flucht vor Esaus Rache war, wie die Engel an seiner Übernachtungsstätte auf- und niederstiegen, und er nannte daraufhin den Ort seines Übernachtens Bethel, Haus Gottes. (Gen 28) Dort soll man auch fernerhin Gott in besonderer Weise „antreffen“ können.
Und dieser Ort, wo man auf Gott stößt, der soll nun also künftig ein Mensch sein, nämlich Jesus, der Messias aus Nazareth, so erfährt Nathanael. Nirgendwo sonst kann man Gott so hautnah begegnen wie im Schauen und Hören auf Jesus. Denn bei ihm findet die intensivste Kommunikation mit dem Ewigen statt, die es je auf der Erde gegeben hat. In der beständigen Zwiesprache zwischen dem Vater und dem Sohn glüht der heiße Draht zwischen der Zeit und der Ewigkeit. Mehr noch: Der Sohn zieht uns hinein in diese Kommunikation mit seinem Vater. Sein Vater ist unser Vater im Himmel, sein Abba ist Abinu, unser Ab, und Jesus zieht uns hinein in seine Ehrfurcht vor dem Schöpfer und Befreier: Jitqadesch schemächa! Geheiligt werde dein Name! Zieht uns hinein in seine Sehnsucht nach dem Heil für alle leidgeplagte Kreatur, Heil, wie es nur von einer Macht kommen kann: Tawo malchutächa! Es komme deine Königsherrschaft!
Zieht uns hinein in seinen Protest gegen die Menschheitsgeschichte, die so arg zum Selbstläufer geworden ist und in Blut und Tränen ihrer Opfer zu ertrinken droht: je`asäh chäftzächa ke wa schamajim ken ba arätz. Es geschehe doch dein Wille endlich auch auf Erden!
Und Jesus reicht uns einfache Worte, um täglich unsere Sorge, unsere Schuld und unsere Angst beim Vater im Himmel los zu werden oder doch ins Maß gesetzt zu bekommen: Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. (Mt 6,11-13)
Mit diesen Worten, wenn wir sie bewusst aussprechen und mitdenken und im Herzen fühlen – so wachsen wir hinein in die Familie der Gotteskinder. Denn Jesus ist der Ort, an dem wir wie nirgends sonst auf der Welt mit Gott zusammengebracht werden:

Such, wer da will, ein ander Ziel..., sein Wort sind wahr, sein Werk sind klar,
sein heil‘ger Mund hat Kraft und Grund... (EG 346,1)
Amen.

1 Gerade las ich in den Lebenserinnerungen von Jörg Zink den Abschnitt, in dem er von einem Kriegserlebnis erzählt: „An jenem Morgen ging ich von meiner Stube in der Mannschaftsbaracke über den Flur in das Zimmer meines Freundes Gerd. Er war zwei Jahre älter als ich, Student des Maschinenbaus, ein ruhiger, nüchterner und sehr verlässlicher Pilot. Als ich eintrat, saß er auf der Bettkante, das Foto seiner Braut in der Hand. Er schaute kurz auf und sagte: ‚Heute bin ich dran.‘ ‚Aber heute haben wir doch frei!‘, antwortete ich, ‚heute ist doch gar kein Einsatz!‘. Er wiederholte nur: ‚Heute bin ich dran!‘ Um die Mittagszeit erfolgte unerwarteter Befehl. Zwei Stunden später stürzten wir in unserer brennenden Maschine ins Meer. Ich überlebte. Er nicht.“

Perikope
15.01.2017
1,43-51

Gottes Gnadenstrom - Predigt zu Johannes 1,15-18 von Winfried Klotz

Gottes Gnadenstrom - Predigt zu Johannes 1,15-18 von Winfried Klotz
1,15-18

Johannes trat als Zeuge für ihn auf und rief: »Das ist der, von dem ich sagte: 'Nach mir kommt einer, der über mir steht; denn bevor ich geboren wurde, war er schon da.'« Aus seinem Reichtum hat er uns beschenkt, uns alle mit grenzenloser Güte überschüttet. Durch Mose gab Gott uns das Gesetz, in Jesus Christus aber ist uns seine Güte und Treue begegnet. Kein Mensch hat Gott jemals gesehen. Nur der Eine, der selbst Gott ist und mit dem Vater in engster Gemeinschaft steht, hat uns gesagt und gezeigt, wer Gott ist. (Johannes 1, 15-18, Gute Nachricht Bibel)

Liebe Gemeinde,
Epiphanias - Tag der Erscheinung des Herren, Weihnachten zum Zweiten, bei Evangelischen meist nicht weiter beachtet und auch nur in wenigen Bundesländern arbeitsfreier Feiertag. Ein Tag, an dem Bayern in Hessen einkaufen, weil ja bei ihnen Feiertag ist und in Hessen ein Arbeitstag.
Epiphanias - nichtjüdische Sterngucker machen ihren Besuch in Bethlehem beim König der Juden, verehren und beschenken das Kind. Ein ungewöhnlicher Stern hat sie aufgeschreckt, sodass sie sich auf den weiten Weg vom Zweistromland nach Judäa machten. Heutzutage ziehen die Sternsinger von Haus zu Haus - jedenfalls, wenn sie willkommen sind - singen und sammeln für Bedürftige. CMB hinterlassen sie an der Haustür, „Christus mansionem benedicat“, Christus segne das Haus.
Epiphanias - am Jordan steht ein asketischer Prediger, zeigt mit langem Finger auf einen Unbekannten und ruft ganz laut: Das ist der, von dem ich sagte: 'Nach mir kommt einer, der über mir steht; denn bevor ich geboren wurde, war er schon da.' (Joh 1,15) Der Evangelist baut dieses unüberhörbare Zeugnis in die Eröffnung seines Evangeliums ein und wir sehen uns unvermittelt angerufen und damit konfrontiert. Dabei ist bis jetzt im Evangelium noch nicht einmal der Name dessen genannt, über den Johannes Zeugnis ablegt. Erst im Fortgang unseres Abschnittes nennt der Evangelist den Namen: Jesus Christus.
Epiphanias - Tag der Erscheinung des Herrn. Johannes macht sich klein, damit ein anderer groß werde, gesehen werde, geglaubt werde. Johannes will keinesfalls das Licht verdecken, das vom Christus ausgeht, ER soll leuchten! Er sollte Zeuge sein für das Licht und alle darauf hinweisen, damit sie es erkennen und annehmen. Er selbst war nicht das Licht; er sollte nur auf das Licht hinweisen. (Joh 1,7f) Der Wegbereiter darf den Kommenden nicht in den Schatten stellen. Die von Gott ausgehende Bewegung zu uns Menschen darf nicht behindert werden. Jetzt zieht Gottes überfließende Fülle bei uns Menschen ein in dem, der einzig Gott entspricht, Jesus Christus.
Gottes Fülle, das ist nicht das Schlaraffenland, nicht die Wellness Oase, nicht ein Leben im irdischen Überfluss. Gottes Fülle, das ist seine grenzenlose Gnade! Ein heller Strom des Lebens für eine dunkle Welt. Ein Gnadenlicht, das dem Verirrten den Weg nach Hause zeigt. Ein Lichtschein, der auch die im dunklen Kerker Gefangenen erreichen und in die Freiheit führen kann. Ja, in Jesus Christus tritt Gott auf den Plan, entgöttlicht und doch Gott, der einzige, der Gott völlig entspricht. Arm, machtlos, niedrig. Kein Wunderdoktor und auch kein religiöses Genie, aber doch das Wort, durch das Gott neu macht, befreit, mit göttlichem Leben erfüllt alle, die ihn aufnehmen in ihr Leben. Die das erfahren haben, bekennen mit dem Evangelisten: Aus seinem Reichtum hat er uns beschenkt, uns alle mit grenzenloser Güte überschüttet. (Joh 1,16)
Dieses Bekenntnis sagt auch: Bisher lebten wir im irdischen Licht in einer von Gott losgelösten Welt. Im Gnadenlicht, das Jesus gebracht hat, werden wir verwandelt. Unser irdisches Licht erweist sich als Dunkelheit, unsere irdische Fülle als lebensbedrohlicher Mangel, unsere irdischen Freuden als Totentanz.
Epiphanias - Tag der Erscheinung des Herrn. Nicht, noch nicht erscheint er zum Gericht. Ein Lebensstrom geht von ihm aus. Weit mehr als eine Weisung zum Leben, die sagt: „Tue das, so wirst du leben!“ Gott hat durch Mose Weisung zum Leben gegeben. Er hat sich ein Volk ausgewählt: Israel, das schwächste und kleinste. Und er hat es wirklich liebgehabt. Durch sein Gesetz hat er es herausgehoben aus allen Völkern. Das gilt bis heute. Und doch ist ein Unterschied zwischen Mose und Jesus. Die Fülle der Gnade Gottes für alle Welt kommt durch Jesus. Durch den, der am Herzen des Vaters ruht, durch den, der einzig dem Vater entspricht, der Sohn, der Gott ist. Solche Gemeinschaft hat sonst niemand mit Gott, dem Vater, nur der Sohn. Er verkündigt den Vater. Das Trennende nimmt er weg. Gottes Gnade und Wahrheit legt er ins Herz. Wer an den Sohn glaubt, hört nicht nur mit den Ohren. Dann bist Du doch Kind, Tochter, Sohn Gottes!
Ist es so mit uns, liebe Gemeinde? Es kann, es soll so mit uns sein! Der Gnadenstrom fließt bis heute. Es soll nicht so sein, wie es Vers elf unseres Kapitels erzählt: Er kam in seine eigene Schöpfung, doch seine Geschöpfe, die Menschen, wiesen ihn ab. (Joh 1,11)
Vielmehr kann aus Gottes Gnade geschehen, was die Verse 12 und 13 sagen: Aber allen, die ihn aufnahmen und ihm Glauben schenkten, verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden. – Das werden sie nicht durch natürliche Geburt oder menschliches Wollen und Machen, sondern weil Gott ihnen ein neues Leben gibt. Amen.

 

Perikope
08.01.2017
1,15-18

Darf´s ein bisschen mehr sein... - Predigt zu Johannes 1,15-18 von Christina-Maria Bammel

Darf´s ein bisschen mehr sein... - Predigt zu Johannes 1,15-18 von Christina-Maria Bammel
1,15-18

Die ersten Kalendertage des Jahres. Gewissermaßen stehen wir erst im Prolog des Jahres. Es besteht erst einmal noch aus Vorankündigungen. Eines ist im Prolog des Johannes schon mal klar: Kein Stern, keine Magier, kein Betlehem, kein Gold, keine Geschenke. Diesen Klang hat Epiphanias mit Johannes nicht. Andererseits…

Ein internationaler Weihnachtsklassiker ist ja mittlerweile der Song „twelve days of christmas“. Ursprünglich ein Kinderverszählreim, bei dem immer noch eins dazu kommt; übrigens für viele Sänger und Chöre ein Muss. Unvergessen etwa die Fassung von Bing Crosby. Aus lauter Liebe wird zunächst an die liebste Person ein „Hühnchen im Birnbaum“ verschenkt. Jeden Tag kommt etwas dazu. ZwölfTage lang. Am Ende ist die Liste lang:
Am zwölften Weihnachtstag,
meine wahre Liebe schickt mir
12 trommelnde Trommler,
11 pfeifende Pfeifer,
10 hervorspringende Herren,
9 tanzende Mädchen,
8 melkende Mägde,
7 schwimmende Schwäne
6 eingelegte Gänse,
5 goldene Ringe,
4 rufende Vögel,
3 französische Hennen,
2 Turteltauben

Da ist noch nicht der 6. Januar erreicht, das ist klar. Aber es klingt zunächst einmal nach Konsumrausch pur. Nicht ganz, denn der traditionelle Zählreim setzt nicht auf materielle Überfülle. Er setzt mit einem Lächeln auf die Überfülle der Liebe. Wer so liebt, schenkt mit Leichtigkeit jeden Tag noch was dazu. Und kein Geschenk ist zu ungewöhnlich. Auch „pfeifende Pfeifer“ und „springende Herren“ können verschenkt werden. Geschenktes Übermaß in seiner besten Weise. Das Schenken ist der sich jeden Tag steigernde Reichtum. So buchstabiert sich Fülle.

Wenn man doch von dieser Liebe mindestens ebenso viel hätte. Wenn man doch nur selbst sagen könnte: Genauso bin auch ich getaucht und gebadet worden in der Liebe meiner Nächsten, die mich jeden Tag ein Stück mehr beschenkt haben. Und nach zwölf Tagen hört das noch nicht mal auf. Ach, es darf doch – bitte – immer noch ein bisschen mehr sein! Es könnte immer noch so viel mehr sein – von Freundlichkeit und Wärme untereinander, von Zuneigung und Offenheit, von Herzlichkeit und Empathie. Da ist noch Luft nach oben. Da wird noch so viel Mangel verwaltet und verschoben. Von wegen Fülle der Liebe; von wegen jeden Tag eines mehr.

Der Evangelist Johannes buchstabiert die Fülle noch einmal für uns am weihnachtlich-glänzenden Epiphaniastag durch. Johannes kennt die Sehnsucht seiner Zeit nach tiefer Erfülltheit, die sich niemand selbst verschaffen kann. Er kennt die Sehnsüchte – etwa nach Glanz und Licht, nach Vollkommenheit, nach dem Ort, von dem alles Gute ausströmt. Er kennt die Sehnsucht nach diesem Ort voller kraftdurchwirkter Lebendigkeit ganz im Gegensatz zu den bröckelnden Scheinwelten, die nicht verfallen und vergehen wie Butter in der Sonne.

Johannes weiß, wie diese Worte und Bilder an uns ziehen und sich in unsere Herzen bohren. Er sieht, wie Menschen nichts lieber als das möchten: sich dahin locken lassen, wo nichts mehr offen oder unerfüllt bleibt. Das ist die Grundmelodie der Weihnachtssehnsucht. Johannes kennt diese Sehnsucht, auch wenn er es nicht als „Weihnachtssehnsucht“ kennt. Aber er kannte sich aus mit den Verheißungen anderer mehr oder weniger starker religiöser Gruppen seiner Tage. Da sind die Stimmen derer, die Heil in der Erkenntnis Gottes finden wollen. An und für sich nachvollziehbar. Die Schattenseite dieser Lehre ist nur eine tiefe Abneigung gegen alles, was weltlich-geschaffen, geboren und vergänglich ist. Gut und schlecht ist relativ leicht eingeteilt und durchsortiert. Radikal bisweilen. Dieser Radikalität, diesem Entweder-Oder kann der Evangelist Johannes nicht folgen. Seine Radikalität ist von anderer Art. Klar ist die Welt ein alles andere als komfortabler Raum, würde Johannes in die Richtung der Radikalen sagen. Am wenigstens komfortabel für die, die anders sind.

Doch Finsternis ist einfach nicht nur finster, wo alle Katzen grau sind. Es gibt mehr zu sehen in und an dieser Welt. Aber das Licht will nicht ins Helle, sondern mitten hinein in die Finsternis, die finsteren Erwartungen, die finster-brutalen Fakten des Alltags, die üblen Verhängnisse. Dahin kommt das helle, fleischgewordene Wort, die Liebe in Person, und:
Johannes zeugt von ihm und ruft: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich. Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat es verkündigt. (Joh 1,15-18)

Nur ein einziges Mal diese „Fülle“, das Pleroma, im Johannesevangelium. Nur hier – gewissermaßen an Epiphanias – schwappt es für uns über, wo doch gerade alles weggeräumt und eingepackt wird, wo es bald wieder leer aussehen wird, wenn Baum und Krippe verschwunden sind. Denn: so mancher Weihnachtsfan fürchtet sich bekanntlich etwas vor dem Augenblick, wenn der Baum verschwindet. Dann ist da wieder ein leerer Platz, wo es so geleuchtet hat. Wir haben seinen Glanz gesehen. Wir strahlten mit den schönen Lichtern um die Wette. Zumindest aber leuchtete es ein klein bisschen in uns auf, als wir eine Ahnung davon erhielten, wie nah uns die Worte, die Beziehungen, die eine oder andere Briefzeile doch gehen können. Gerade dann, wenn alles im Nachtschwarz trauriger Gedanken versinkt. Wie viel ist unerfüllt geblieben in den Begegnungen, in den Stunden, die man vielleicht auch ungewollt allein geblieben war, oder im Hin- und Hergehetze, das eigentlich nur einen schalen Nachgeschmack hinterlässt.
Und von wegen Fülle der Möglichkeiten noch am Jahresanfang. Schnell nimmt das Jahr seinen gewohnten Faden wieder auf

Nur ein einziges Mal – Fülle! Worin Sie besteht? In einem einzigen Menschen, in seiner Kraft, Himmel und Erde zu verbinden, in seiner Kraft, neues Leben zu geben. Man nennt es auch Gnade.
Nur ein einziges Mal – Fülle? Sie verschwindet ja nicht einfach wieder, sondern verschwendet sich immer wieder neu, teilt sich aus, reicht sich weiter. Gnade um Gnade, eins ums andere. Das Gegenteil von leer geräumten Plätzen, von Leerstellen, von Mangel oder gar Geiz.
Nur ein einziges Mal – Fülle! Und keine Angst davor haben zu müssen, dass sie nicht reicht, dass man sie bloß nicht zu oft teilen sollte. Doch, diese Fülle legt es gerade darauf an, geteilt zu werden, wieder und wieder, eins ums andere Mal. Mehr als zwölf Tage. Zwölf  Monate! Am besten zwölf mal zwölf Jahre und so weiter. Aber wie, bitteschön, eine Fülle teilen, die man nicht einfach so „hat“ wie einen rufenden Vogel, einen goldenen Ring oder eine Turteltaube?

Es liegt vieles daran, in welche Richtung wir schauen – auf die Leerstellen, auf die Ängste, die es auslöst. Dann entstehen Haltungen wie :„Man muss sehen, wo man bleibt.“ Solche Haltungen lassen es januarmäßig kalt bleiben in unseren Beziehungen und Nachbarschaften. Ein Wechsel der Blickrichtung, die dem Aufleuchten der Fülle folgt, sieht anderes: Sie sieht Gewissheit, Stärke und Empfindsamkeit zur gleichen Zeit. Ob dieser Blickwechsel gelingt, das ist nicht nur eine von vielen Haltungsentscheidungen, es ist sogar im allerbesten und allerweitesten Sinn vernünftig.
Denn Vernunft ist doch erst dann in ihrem umfassenden Sinn wirksam, wenn sie über das rational Berechnende, immer wieder Kalkulierende hinausreicht. Wenn das Herz eben mit- und vorausdenkt und unser Planen und Abwägen lenkt. Das zumindest wäre ganz im Sinne des Johannesevangeliums und des Johannesprologes. Diese „Vernunft wurde Mensch“ (Günther Keil, Kommentar zum Johannesevangelium) – um aller menschlicher Unvernunft, aller geistigen Trägheit und Erlahmung, aber auch allem selbstbezogenen „Ich sehe zu, wo ich bleibe…“ entgegen zu stehen. Fülle ist da, wo Gott Vernunft zu Fleisch und Blut werden lässt, wo Unvernunft gerade nicht mehr reagieren darf. Fülle ist, wenn Vernunft menschlich – Mensch – wird.

Davon haben wir Nachricht, davon haben wir im besten Sinne des Wortes genug Nachricht – zu sehen, zu hören, zu spüren: Diese Vernunft macht uns reich und beschenkt uns übervoll, die von Gott kommt, die im besten aller Sinne menschlich wird. Die uns zeigt: Gespurte Logik lässt sich umdrehen. Es muss kein „immer weiter so“ geben, kein Starren auf das immer wieder nur Unfertige und unerfüllt Gebliebene. Die Vernunft der Weihnachtstage muss andererseits auch nicht einfach nur ein saumseliges Romantikgefühl bleiben, gänzlich unbrauchbar für den Alltag nach dem 6. Januar. Vielmehr: Die Vernunft, die Mensch geworden ist aus und durch Gottes Kraft, sie nimmt beides zusammen – Kopf und Herz, Reichtum und Armut, Dunkles und Helles. Eine Vernunft, die die Finsternis, das Schwere nicht leugnet, nicht weg diskutiert oder davon abstrahiert. Es ist eine Vernunft, die all dies umarmt, um es nicht mehr länger allein finster, schwer und arm sein zu lassen in dieser Welt.

Die Welt auf diese Weise zu umarmen – das kann nur Gott, Vernunft pur. Menschgeworden. Aufleuchtend – in den Prologen und hoffentlich auch Hauptstrophen dieses neuen Jahres. Amen.

Perikope
06.01.2017
1,15-18