Gott wohnt unter uns - Predigt zu Johannes 1,14-18 von Thomas Oesterle
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit wie die des vom Vater Einziggezeugten, voll von Gnade und Wahrheit.[1] (V 15 ist eine sekundäre Interpolation und entfällt)[2] Und[3] aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade über Gnade. (hier endet der urchristliche Hymnus, wird aber vom Evangelisten Johannes in V. 17.18 sinnentsprechend ergänzt und präzisiert)[4] Durch Mose hat Gott uns das Gesetz gegeben. Aber in Jesus Christus ist uns Gott selbst begegnet mit seiner ganzen Gnade und Wahrheit. Kein Mensch hat Gott jemals gesehen. Nur der eine, der selbst Gott und Stellvertreter des Vaters ist – der hat uns über ihn Auskunft gegeben. [5] (Joh 1,14-18, Übersetzung des Verfassers)
Liebe Gemeinde,
Sie haben wahrscheinlich alle Erfahrung darin, wie das ist, eine Wohnung zu teilen. Meist teilt sich eine Familie untereinander eine Wohnung oder mehrere Familien teilen sich ein Haus.[6] Wie auch immer: Wir sind daran gewöhnt, mit anderen Menschen zusammen zu wohnen. Da das manchmal ganz schön konfliktgeladen sein kann, werden die Häuser größer, dass man sich bei einem Streit auch mal aus dem Wege gehen kann.
Also: Eine Wohnung zu teilen kann schwierig sein. Die Eltern stört die dröhnende Musik der Tochter. Diese wiederum findet die spießbürgerliche Wohnzimmergarnitur der Eltern „total ätzend". Oder da gibt es recht unterschiedliche Auffassungen über die Sauberkeit von Bad und Küche. Für Konfliktstoff ist schnell gesorgt. Deshalb hat die Gemeinsamkeit des Wohnens oft einen oder gar mehrere große Haken.
Es gibt aber auch die gegensätzliche Erfahrung. Es kann sehr gut gehen, eine Wohnung zu teilen. Die Lebendigkeit von unterschiedlichen Lebensweisen ist gegenseitig befruchtend. Die Tochter lernt, dass man Musik auch über Kopfhörer genießen kann und die Eltern verstehen, dass die Welt in Sachen Wohnzimmereinrichtung tatsächlich inzwischen weiter ist, als vor 20 Jahren. Das alles hält den Einzelnen beweglich und wehrt jeder Vereinsamung. Nicht ohne Grund lieben es viele Studentinnen und Studenten, in einer Wohngemeinschaft zu leben. Außerdem ist es ja auch sinnvoll, einzuüben, mit den Grenzen zu leben, die einem ein mitwohnendes Gegenüber manchmal setzt. Ich finde es schade, dass die Wohnansprüche unserer Gesellschaft immer individualistischer werden und das echte teilen von Wohnraum seltener wird. Meine Schwiegermutter erzählte mir vor einigen Jahren, dass bei ihnen im Haus direkt nach dem zweiten Weltkrieg eine Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen zwangseinquartiert worden war. Man hätte damals den sowieso schon knappen Wohnraum nochmals geteilt. Das sei damals gewiss nicht einfach gewesen, aber nach Jahren hätten die einquartierten Untermieter eine eigene Wohnung gefunden. In der Zeit bis dahin wären beide Familien „gut freund“ miteinander geworden und man hätte so neue, wertvolle Bekannte gewonnen.
Ob das teilen einer Wohnung gut geht, das hängt von denen ab, die es miteinander versuchen. Wenn die Beteiligten aufeinander zugehen, sich auf die Eigenart des Anderen einlassen, dann kann rasch ein gelingendes teilen einer Wohnung möglich werden.
Nun spricht der heutige Predigttext davon, dass Gott unter uns Wohnung genommen hat. Im Mittelalter und in der Reformationszeit hat man das noch sehr direkt verstanden. Da wurde Jesus ein Platz eingeräumt im einzelnen Haus. Jesus bekam Wohnraum in so manchem Herrgottswinkel, der in den Stuben eingerichtet wurde. Er bekam ein Teil der gemeinsamen Zeit ab, indem sich eine Hausgemeinschaft zur Andacht versammelte. Luther hat schon gewusst, warum er seine Katechismen für die Hausväter geschrieben hat. Über diese Texte hatte Christus noch einen festen Platz im Leben der Familie und neue Gedanken über das Werk Christi waren am besten über die tägliche Hausandacht zu verbreiten, die der Hausvater abhielt.
Heute wohnt Christus nicht mehr in dieser Weise unter uns – oder nur noch in wenigen Häusern. Trotzdem will er bei uns wohnen. Und es erscheint fast so, als ob Gott sehr gut wissen würde, dass es keine einfache Sache ist, mit Menschen die Wohnung zu teilen. Deshalb kommt er uns entgegen. Er lässt sich auf uns ein, so wie es auch Menschen untereinander tun, wenn sie eine Wohnung teilen wollen und das gut gehen soll.
„Das Wort ward Fleisch“, was sollte dieser zentrale Satz des Johannesevangeliums anderes bedeuten als: Gott kommt euch entgegen, er geht ein in eure Welt und euer Leben. Das steht da im Evangelium, obwohl Johannes diese Welt sehr realistisch beschrieben hat als eine gottferne, ja gottfeindliche Welt.[7] Er hatte nicht die Vorstellung einer ausgebreiteten Volksreligion im Kopf, die das Mittelalter bestimmte. Für ihn war das Christentum eine kleine, gefährdete Gemeinschaft im riesigen, heidnischen römischen Reich. Die Christen waren vielen Gefahren ausgesetzt, die Gemeinde oft bedroht.[8] Mit dieser Situation im Hintergrund ist Johannes in unseren Tagen besonders den syrischen Christen nahe, die unter Fassbomben einerseits und radikal-islamistischen Attacken andererseits zu überleben suchen. Wir Christen im sicheren Deutschland haben im Gegensatz dazu ein sehr hohes Privileg, nämlich das Schutzrecht auf freie Religionsausübung. Wir sind nicht an Leib und Leben bedroht, wenn wir unseren Glauben bekennen. Wir sehen uns zwar einer mehrheitlich gleichgültigen, oder gar das Christentum ablehnenden Gesellschaft gegenüber, was auch schmerzlich ist. Aber das ist kein Vergleich mit einer Verfolgungssituation, wie Johannes sie kannte.
Gerade in eine solche Welt hinein wird Gott Mensch. Er hat keine Angst vor einer Welt, die ihn anscheinend nicht mehr braucht, oder ihn gar gewaltsam verfolgt. Er kommt und ist mitten unter uns da. Das ist der Anstoß,[9] den das Christusbild des Johannes unserem Denken geben möchte. Dass der Ewige in seiner Herrlichkeit nicht weit weg bleibt, um dann bestaunt und verehrt zu werden, sondern dass er mitten unter uns kommt. Dass Gott Wohnung nimmt dort, wo wir unseren Alltag leben. Gerade dort lässt er seine Herrlichkeit sehen. Gottes Herrlichkeit leuchtet mitten in unserer oft so dunklen Welt.
Dass Gott selbst als Mensch in diese Welt kommt, das war immer am schwersten zu verstehen beim Christusgeschehen, das wir nun wieder in den Weihnachtstagen gefeiert haben. Die Theologen haben unzählige Ausflüchte gesucht, um dieser Paradoxie, dass der ewige Gott in einem einzelnen Menschen sich zeigt, zu entgehen. Das war wider jede klare Logik, die von präzisen Unterscheidungen[10] lebt. Wider jene Logik, die die Antike von den Philosophen gelernt hatte. Eigentlich sollte das Göttliche und das Menschliche streng getrennt und unterschieden werden. Götter waren unsterblich, Menschen dagegen sterblich. Doch die Behauptung, dass Gott und Mensch in Jesus Christus eine Einheit geworden waren, wiedersprach diesem Denken in getrennten Bereichen. So suchten die Theologen Ausflüchte, um diesen anstößigen Gedanken des Johannes nicht mitvollziehen zu müssen.
Ich will einige dieser Ausflüchte benennen, weil sie heute noch aktuell sind und bis heute die zentrale Wahrheit des Christentums gefährden. Jene zentrale Wahrheit, die lautet: Gott und Mensch wurden in Christus eine Einheit.
Die erste Ausflucht nannte man im Urchristentum „Doketismus“.[11]
Hier besteht die Flucht vor der wahren Menschwerdung Gottes darin, dass man sagte: Gott ist zwar ein wenig vom Himmel herabgestiegen, aber so ganz hat er sich doch nicht auf diese sündige Welt eingelassen. Er ist eine Art „Überschweber“ geblieben, hat seine göttliche Herrlichkeit bewahrt und diese Herrlichkeit nur etwas deutlicher sehen lassen. Die Wunder Jesu sind dann Ausweis für seine übermenschliche Göttlichkeit. Wirklich und ernstlich Fleisch angenommen hat er aber nicht. Wie könnte denn der ewige Gott in schwaches, fehlbares und sterbliches Menschsein eingehen? Man hat unseren heutigen Predigttext dann immer so interpretiert, dass der Halbsatz: „Und wir sahen seine Herrlichkeit“ ganz groß und wichtig wurde. Aber den anderen Halbsatz „das Wort ward Fleisch“ hatte man darüber verdrängt und vergessen.[12]
Die zweite Ausflucht, um der Fleischwerdung Gottes auszuweichen, nannte man „Adoptianismus“. Auch hier ging Gott nie ganz und echt in die Welt ein. Gott ist nicht selbst Mensch geworden, sondern er hat sich nur einen guten Menschen ausgewählt, um sich an ihm indirekt zu zeigen. Diesen Jesus aus Nazareth hat Gott sozusagen adoptiert, so wie man heute ein Kind adoptiert, das aber leiblich nicht das eigene Kind ist. Bei dieser Vorstellung blieb Gott natürlich Gott und der Mensch Jesus blieb ein reiner Mensch. Lediglich die Adoption dieses Menschen schaffte die Verbindung von Gott und Mensch. Aber das göttliche Wesen im Vater und das menschliche Wesen in Jesus, blieben im Grunde getrennte Dinge.[13]
Die dritte Ausflucht, um der anstößigen Menschwerdung Gottes auszuweichen, hieß „Gnosis“. Dieser theologische Irrweg war vielleicht der gefährlichste, weil er dem frühen Christentum sehr nahestand. Die ersten Christen haben mit aller Kraft gekämpft, um sich von dieser Irrlehre abzugrenzen.[14] In der Gnosis behauptete man, in jedem Menschen würde ein göttlicher Lichtfunke leben. Der Mensch käme nämlich ursprünglich von der göttlichen Fülle her. Doch dieser Lichtfunke wäre jetzt im Leib gefesselt und gefangen. Dafür kann der Mensch selbst nichts, es hat ihn ein böses Schicksal ergriffen. Nun schickt Gott zu den Menschen eine Erlösergestalt. Auch hier muss Gott nicht wirklich Mensch werden. Der Erlöser ist lediglich ein Bote, der den göttlichen Lichtfunken im Menschen wieder weckt, durch seine Offenbarungen und die neuen Erkenntnisse, die er als Bote überbringt. Er gibt den Menschen zu erkennen, wie viel Göttlichkeit doch eigentlich in ihnen selbst schon steckt. Dazu darf sich der Erlöser natürlich selbst nicht in das Gefängnis des irdischen Leibes begeben. Er erscheint lediglich als Idealmensch und bahnt den einzelnen Lichtfunken in den Menschenseelen den Weg zurück in die göttliche Fülle. Diesen Rückweg kann der Mensch selbst gehen, wenn er nur die rechte Erkenntnis seines wahren Wesens findet. Heute lebt die gnostische Theorie teilweise in der Anthroposophie fort.
Ich habe Ihnen jetzt die Mühe gemacht, sich mit diesen drei Irrwegen auseinander zu setzen. Ich habe dies getan, weil man diese Antiprogramme wahrnehmen muss, um das Anliegen des Johannes recht zu verstehen. Johannes braucht keine Theorie, um Gott und Mensch möglichst klar auseinander zu halten. Er muss nicht den Menschen und seinen Leib verachten oder Gott zum bloßen „Überschweber“ machen, der eigentlich nichts mit der Welt zu tun haben will. Johannes bringt Gott und Mensch zusammen. Gott wird Mensch! In Jesus Christus gilt, was ein Liederdichter zu Epiphanias gedichtet hat:
Gottheit und Menschheit vereinen sich beide, Schöpfer wie kommst du uns Menschen so nah. (eg 66)
Gott kommt und wohnt mitten unter uns, er wird unser Bruder, zu ihm können wir „Du“ sagen, durch ihn unseren allmächtigen Gott „Vater“ nennen. Da bleibt keine Distanz, da ist helfende und wärmende Nähe.
Doch nun stehen wir vor der entscheidenden Frage: Wozu wird Gott denn Mensch, was hat er damit im Sinn? Nun, das lässt sich in einem Halbsatz unseres Predigttextes lesen: Von ihm haben wir empfangen Gnade über Gnade. (Joh 1,16)
Das Kommen von Gottes Sohn in diese Welt und sein Fortgehen aus dieser Welt, beides gehört zusammen. In Beidem zeigt sich Jesus als der Überbringer des Heils. Dass Christus in unsere Welt gesandt wurde, das ist eine Tat der Liebe Gottes.[15] Indem in Christus Gott selbst in eine gefallene, ihm fremd gewordene, von ihm abgewandte Welt kommt, will er in einer letzten großen Rettungsaktion die Dunkelheit am Licht teilhaben lassen, die Lüge an der Wahrheit, die Knechtschaft an der Freiheit, den Tod am Leben.[16]
Gott lässt eine Welt, die sich gegen ihn entschieden hat, nicht fallen. Er wendet sich nicht ab. Eine Welt und eine Menschheit, die beschlossen hat, aus sich selbst heraus glücklich zu sein und Gottes nicht zu bedürfen, eine solche Welt bleibt trotzdem eine von Gott geliebte Welt. Der Spitzensatz des Johannesevangeliums lautet daher: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle die an ihn glauben nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. (Joh 3,16)
Das heißt: Gerade eine Welt, die sich eigentlich schon gegen Gott entschieden hat – unsere Welt – bekommt die Möglichkeit sich noch einmal neu zu entscheiden. Noch einmal haben wir die Chance, Licht, Wahrheit, Freiheit und Leben zu ergreifen, indem wir uns glaubend auf diesen nahegekommenen, menschgewordenen Gott in Jesus Christus einlassen und ihm vertrauen. [17]
Was es für uns bedeutet, wenn wir uns auf diesen gnädigen Herrn einlassen, uns für ihn entscheiden, will ich am Schluss mit einem Bild deutlich machen.
Es gibt eine packende Szene in der für die Deutschen so wichtigen Nibelungensage.[18] Da steigt Kriemhild auf die Schiffe, die Hagen von Tronje den Rhein heraufgefahren hatte. Diese Schiffe sind bis obenan gefüllt mit dem Nibelungenschatz. Kriemhild steht im wörtlichen Sinne auf all den unermesslichen Schätzen. Und in diesem Augenblick erkennt sie, dass alles Gold ihr den geliebten, aber verstorbenen Siegfried nicht ersetzen kann. Deshalb fängt sie an, den Schatz an das Volk auszuteilen.
„Wer will ein gutes Schwert? Du? Hier! Wer will eine Kette? Willst du? Hier! Und du, willst du ein goldenes Geschirr? Hier, nimm!“
Wie im Rausch teilt sie die Schätze aus, auf denen sie steht.
Wie gesagt, eine packende Szene und ein Bild für das Christusereignis, so wie Johannes es beschreibt. Denn genau so steht Christus unter uns und teilt aus. Nur, dass er nicht wie Kriemhild aus Enttäuschung und Verzweiflung austeilt, sondern aus Liebe. Er sagt: Du standst bisher abseits der Gemeinschaft der Glaubenden und hast nichts empfangen? Du bist in deinem alten Elend gefangen? Du läufst mit einem beladenen Gewissen umher? Du kennst noch nicht die Erleichterung der Vergebung? Du kennst noch nicht die Freiheit, die der Friede mit Gott schenkt? Komm her und nimm, nimm mit beiden Händen! Bei mir findest du alles! Beim mir ist Gnade über Gnade.
Johannes bringt es so zur Sprache: In Jesus Christus ist uns Gott selbst begegnet mit seiner ganzen Gnade und Wahrheit! (Joh 1,17) Indem wir durch Christus Gott als liebenden und gnädigen Gott erkennen und sehen, dass er um dieser Liebe willen ein Mensch geworden ist, verstehen wir das Wunder der Weihnachtszeit, das um unseretwillen geschehen ist. Amen.
[1] V. 14 gehört zwingend zur Interpretation dieses Abschnittes des Johannesprologs. Es fehlt der theologische Grundgedanke im Schlussabschnitt des Prologs, wenn dieser Vers fehlt. Deshalb verändere ich die Abgrenzung der Perikope.
[2] Vgl. Otfried Hofius, Johannesstudien, Tübingen 1996 (WUNT 88).
[3] Ich nehme die Apparatvariante kai, statt des im Text stehenden oti. Vgl. R. Bultmann, Kommentar S.51, Anm. 4.
[4] Siehe Anm. 2.
[5] Zum urchristlichen Hymnus vgl. die Predigtmeditation des Autors: Thomas Oesterle, „Kein wortloser Gedanke und kein gedankenloses Wort“ in: Für Arbeit und Besinnung Nr. 22/1996 S.808ff, Stuttgart 1996.
[6] Ich verstehe eskenäsen an dieser Stelle nicht als flüchtiges zelten. Mit R. Bultmann Kommentar S.43, Anm.5.
[7] Zum Kosmos-Begriff bei Johannes vgl. H. Thyen, Das Johannesevangelium S.81f.215ff.
[8] Vgl. K. Wengst, „Bedrohte Gemeinde und verherrlichter Christus“.
[9] Vgl. den Begriff des „Anstoßes“ bei R. Bultmann, Theologie des NT, Kap.: „Johannes“.
[10] Vgl. den aristotelischen Begriff der „differencia specifica“
[11] Vgl. W. Löhr in RGG4, Bd.2, SP. 925
[12] So z.B. E. Käsemann, Ketzer und Zeuge, LTHK 48, 1951
[13] Vgl. W. Löhr in: RGG4, Bd.1, Sp.123.
[14] Ich teile an dieser Stelle nicht Bultmanns Auffassung (Johannes selbst kämpft gegen die Gnosis), sondern gehe von einer zeitlich späteren Auseinandersetzung mit der Gnosis im Urchristentum aus, die aber trotzdem inhaltlich relevant bleibt. Vgl. C. Markschies in: RGG4, Bd.3, Sp.1047f.
[15] R. Bultmann, Theologie des NT, S.45
[16] AaO. S.42.
[17] AaO., S 45, „Die Krisis der Welt“.
[18] Nach Richard Weitbrecht, „Deutsche Heldensagen“, S.61, Stuttgart 1968.
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Habt keine Angst - Predigt zu Johannes 14,1-6 von Karin Latour
Liebe Gemeinde am Neujahrstag,
„Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit und wusste sich in alles wohl zu schicken, der jüngere aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen und wenn die Leute ihn sahen, sprachen sie: Mit dem wird der Vater noch seine Last haben…
Nun geschah es, dass der Vater einmal zu ihm sprach: „He du da, in der Ecke, du wirst groß und stark, du musst auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie sich dein Bruder Mühe gibt? Aber an dir ist Hopfen und Malz verloren.“ „Ei, Vater“, antwortete er, „ich möchte gerne etwas lernen. Ja, wenn`s anginge möchte ich gerne lernen, wie`s mir gruselt…“
So beginnt das Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen.
Ich mochte es nicht. Ich mochte es nie und habe mich als Kind schon gefragt – wie wahrscheinlich alle –: „Gibt es denn nicht genug, was Menschen erschreckt, wovor sie sich ängstigen und fürchten, was ihnen Angst macht und das Fürchten lehrt? Muss man da ausziehen in die große weite Welt, um das Fürchten erst zu lernen?“
Ich hatte eine im Grunde behütete Kindheit und Jugend, aber das Wissen darum, dass das Glück und die Sicherheit, dass der Friede und das Leben überhaupt, vor allem das der Menschen, die man liebt, nicht selbstverständlich ist, war allezeit präsent.
Da hatte die Mutter uns Kindern viel vom Krieg, den Verlusten und dem Schmerz erzählt, von Flucht und Vertreibung. Armut und bitterer Not. Und das alles schien, als wäre es gestern gewesen und so, als könnte es jederzeit wieder über uns hereinbrechen.
Da herrschte am Abendbrottisch oft beklemmende Stille und die zwei Worte „Kurzarbeit“ und „Entlassungen“ schwebten zeitweise ständig im Raum, obwohl wir gar nicht so genau wussten, was Kurzarbeit war. Aber das Düstere und Bedrohliche hing in der sonst behaglichen Küche wie eine dunkle beklemmende Wolke.
Da starben Schulkameraden und Großeltern und es gab Krebs, der Mütter einfach dahinraffte.
Da ließen sich Eltern der anderen scheiden und zurück blieben Kinder, die damals noch mit Scham sagten: „Mein Vater wohnt nicht bei uns.“
Da lasen wir im „Tierfreund“, der einzigen Zeitschrift, die wir vier Kinder gemeinsam bezogen, von Umweltkatastrophen, ausgelaufenen Öltankern, sterbenden Tieren und Wäldern, vergiftetem Wasser und verpesteter Luft. Es schien „fünf vor zwölf“ zu sein.
Und ich hatte Angst.
Angst vor „zwölf“, Angst vor Krebs, Angst vor dem Tod der Eltern und Geschwister, Angst vor der Arbeitslosigkeit des Vaters, Angst vor Krieg, Unglück und Armut. Ich habe mich mit meinen Ängsten damals als Kind niemandem anvertraut. Wem auch. Aber was wäre gewesen, wenn jemand gesagt hätte: „Hab keine Angst. Fürchte dich nicht.“ Und mir versucht hätte, Sicherheit zu geben in einer fragilen Welt, in der das Glück und das Leben so unglaublich zerbrechlich zu sein scheint.
Wir sind erwachsen geworden. Zumindest die meisten, die heute hier sind. Wir stehen mit beiden Beinen in unserem Leben und haben bis heute, bis zum Neujahrstag 2017 unsere Erfahrungen gemacht. Nicht „Second Hand“, nicht nur vom Hören-Sagen und aus den Erzählungen der Anderen, sondern auch am eigenen Leib. Glück, Erfolg, erreichte Ziele, liebe Menschen um uns herum, ein Zuhause und Sicherheiten, die unser Leben zu halten scheinen wie ein Gurt, ein Seil, ein Anker.
Aber auch das Andere: die Bedrohungen, die Brüche, die Verluste und die Angst davor. Auch an der Schwelle zum Jahr 2017. Auch an der Schwelle zu einem neuen Jahr mit der Ungewissheit, was es uns bringen wird.
Nach den Jahresrückblicken des alten Jahres. Den großen, in den Bildern der Zeitungen und des Fernsehens. Nach den Jahresrückblicken im eigenen Leben. Mit dem, was war im vergangenen Jahr. Wir haben es noch nicht losgelassen.
Und wir sind hier mit unseren Plänen, unserer Freude und sicher auch mit den Sorgen und Befürchtungen für das neue Jahr. Das manchen von uns beschäftigt wie mich damals als Kind.
Was wird kommen im kommenden Jahr?
Wir haben die Bilder vor Augen von Krieg und Terroranschlägen, von Brutalität und Skrupellosigkeiten. Wo bist Du denn noch sicher? Wo hast Du keine Sorge, wo Deine Kinder hingehen: Um Silvester zu feiern, einen Weihnachtsmarkt zu besuchen oder ein Fußballspiel.
Wenn Du ein Flugzeug besteigst oder zum Arzt musst und Du auf die Diagnose wartest?
Und wenn nun einer käme und sagte: Fürchte dich nicht. Du brauchst keine Angst zu haben.
Es war an jenem Abend, da Jesus das letzte Mal mit seinen Jüngern zusammen war. Er hatte ihnen die Füße gewaschen, er hatte mit ihnen das letzte Mahl gehalten, er wusste um das, was kommt und geschehen werde. Den Verrat hatte er vorausgesagt, um den Verräter gewusst, mit dem er am Tische saß. Und Simon Petrus, der den Mund immer zu voll nahm, hatte er vorausgesagt, dass er ihn verleugnen werde. Und dann kündigt er seinen Abschied an. Seinen Tod vor Augen.
Welche Ängste mögen da die Jünger gepackt haben?
Welche Not und welches Erschrecken mag da über sie gekommen sein und welches sollte kurze Zeit später noch über sie kommen?
Viel konkreter als ungewisse Sorgen vor einem neuen Jahr.
Den Boden unter den Füßen mussten sie verlieren, alles was ihnen bis dahin Halt und Kraft gegeben hatte, drohte ihnen genommen zu werden. Das war das Ende. Das war das Aus.
Aber Jesus sagt:
Euer Herz erschrecke nicht, glaubt an Gott und glaubt an mich […] Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich. (Joh 14,1.6)
Euer Herz erschrecke nicht.
Es geht nicht um das Gruseln, wie im Märchen. Es geht nicht um das Befürchten und Sich Sorgen, wie an der Schwelle eines neuen Jahres.
Es geht um das Erschrecken im tiefsten Inneren, das wir haben. Euer Herz erschrecke nicht. Und es gibt einen Weg. Es gibt Wahrheit. Es gibt Leben.
Unser Herz erschreckt, wenn es konfrontiert wird mit etwas Schrecklichem. Wie die Anschläge in Berlin und Paris. Unserem ohnmächtigen Gefühl angesichts der verzweifelten Situation der Menschen in Aleppo. Wie der Tod eines lieben Menschen, beinahe fünfzig waren es alleine in unserer kleinen Gemeinde im vergangenen Jahr. Wie die Diagnose einer schrecklichen Krankheit. Wie…
Euer Herz erschrecke nicht? Wir erschrecken aber.
Wenn wir realistisch sind und konfrontiert werden mit schrecklichen Nachrichten oder Umständen erschrickt unser Herz, rutscht uns der Boden unter den Füßen weg, wissen wir nicht ein noch aus. Wie die Jünger in jener Nacht, als er gefangenen genommen wurde und fortgebracht wurde in den sicheren Tod. Wie die Jünger, als sie unter dem Kreuz standen und tatenlos zusehen mussten, wie er hingerichtet wurde.
Euer Herz erschrecke nicht. Soll das ein Witz sein? Menschliche Herzen erschrecken aber, sind erschüttert, werden krank vor Angst, brechen vor Traurigkeit. Und Jesus sagt: Euer Herz erschrecke nicht.
Er sagt noch mehr. Er sagt: Glaubt an Gott und glaubt an mich. Und er sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. (Joh 14,6)
Trotzdem.
Glaubt an Gott und glaubt an mich.
Gerade deshalb.
Glaubt an Gott und glaubt an mich. Und es gibt einen Weg.
Auch und gerade da, wo nichts von seiner Macht und Kraft und Güte zu sehen ist.
Das ist kein Witz. Das ist wahrhaftig eine Herausforderung. Das heißt, seinen Anker in den Himmel zu werfen, wenn er so dunkel ist wie nie zuvor.
Von einem damals jungen Paar, deren Kind ich zu beerdigen hatte, lernte ich vor einigen Jahren dieses Gebet von Jörg Zink:
Ich weiß Herr, dass du mich nicht am Leid vorbeiführst, aber du führst mich hindurch.
Und wenn ich im finsteren Tal wandere und deine Hand nicht finde, so fürchte ich doch kein Unglück, denn du bist bei mir.
Ich vertraue dir, Herr und Vater, auch wenn ich nichts verstehe.
Ich überlasse mich dir. Tu du mit mir, was du willst.
Ich lege mich in deine Hand und danke dir, wenn ich immer besser lerne, dies und sonst nichts zu wollen. Einzig dies wünsche ich, dass dein Wille sich an mir erfüllt.
Ihr Herz war erschreckt, aber sie glaubten dennoch an Gott. Sie hielten dennoch an ihm fest, dass er es am Ende gut machen werde – mit ihnen, mit ihrem Kind, mit dem ganzen Leben. Ich habe sie bewundert.
Euer Herz erschrecke nicht, glaubt an Gott und glaubt an mich – das ist kein banales „Habt nur keine Angst. Es wird schon wieder.“ Und es ist auch keine Mutmachparole, wie die unserer Bundeskanzlerin oder anderer Politiker: Wir schaffen das schon!
Der, der unser Wort spricht, weiß, wovon er spricht. Er war den Menschen nah. Ganz nah. Er weiß, wovon er spricht. Nämlich davon, dass uns im Laufe unseres Lebens sehr wohl – jeden und jede von uns – Dinge zustoßen, die schwer auszuhalten und zu überstehen sind.
Harold Kushner, Rabbiner und Autor verschiedener Bücher, schrieb:
Viele von uns sehen in der Welt nur zwei Arten von Menschen: Gewinner und Verlierer. Die einen bekommen alles, was sie sich wünschen, die anderen nicht. Doch die Realität ist viel komplizierter. Niemand bekommt alles, was er gerne hätte. Ich sehe in der Welt Menschen, die gewagte Träume haben, obwohl sie wissen dass einige sich nicht erfüllen. Menschen, die etwas anspruchslosere Träume haben und befürchten dass sich sogar die bescheidensten nicht erfüllen. Und Menschen, die aus Angst überhaupt nicht träumen.
Ich wünschte, es gäbe mehr Menschen mit gewagten Träumen, die ihrer eigenen Widerstandskraft vertrauen, die ihre Träume trotz unumgänglicher Enttäuschungen nicht aus dem Blick verlieren.
Geschichte wird von Gewinnertypen geschrieben. Daher geht es in den meisten Geschichtsbüchern um Menschen, die gewinnen. Die meisten Biographien sollen inspirieren und informieren. Daher konzentrieren sie sich zumeist auch auf die Erfolge. Doch im wirklichen Leben müssen sogar die erfolgreichsten Menschen mit ansehen, wie ihre Bemühungen scheitern. Sogar die besten lernen, mit Fehlschlägen, Absagen, schmerzlichen Verlusten und schlimmen Krankheiten umzugehen.
So einer war Jesus. So welche waren die Jünger. So einer war Paulus. Und ich glaube, solcher Art waren auch die, die vor uns ihren Glauben lebten und von denen wir unseren Glauben haben.
Das Wort ist ja nicht geschrieben als Neujahrsgruß, herausgerissen aus dem Zusammenhang. Aber gerade der Zusammenhang in der Geschichte des Abschieds und des Neuanfangs macht die Bedeutung dieses Satzes klar, den Jesus spricht, den Johannes überliefert, den unsere Mütter und Väter im Glauben festhielten.
Es ist ihre und vielleicht auch unsere uns zugewachsene Erfahrung auf einem langen Weg. Es ist ein Weg nicht nur von Erfolgen und erreichten Zielen, sondern manchem harten und schmerzhaften Weg.
Und sie und vielleicht wir auch haben erfahren: Am Ende vermag ich alles durchzustehen durch den, der wie Paulus sagt, mich stark macht, mächtig, mir Kraft gibt, auch durch Fehlschläge, Absagen, Enttäuschungen, Krankheit und Ablehnung hindurch gekommen zu sein.
Dieses Wort macht Mut, den Weg zugehen und durchzustehen, was auch immer kommen mag. Sich nicht entmutigen zu lassen. Sich nicht klein kriegen zu lassen. Sondern mit offenen Augen und mutigem Herz ins neue Jahr gemeinsam zu gehen.
Wir feiern in diesem Jahr das Reformationsjubiläum. Menschen, die vor uns hier ihren Glauben lebten und weiter trugen. Menschen, die mit Gott durch Raum und Zeit gingen.
Welche Krisen und Veränderungen hat es im Laufe dieser Jahre und Jahrhunderte gegeben, die hinzunehmen, zu überstehen, zu bewältigen waren? Sie konnten auch hoffen, dass sie diese Krisen überstehen würden – aber warum? Und wie?
Glaubt an Gott und glaubt an mich […] Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Ich habe Respekt vor meinen glaubenden Vorfahren und diesem Weg, dem sie gefolgt sind. Aber auch vor den Christen der heutigen Zeit, die sicher anders, aber auf dem gleichen Grund stehen und sich nicht entmutigen lassen und genau diesem Weg in Jesus Christus folgen.
Die – und ich sage jetzt wir – zwar nicht ausziehen, um das Fürchten zu lernen, aber die Augen in der Welt nicht vor dem verschließen, was zum Fürchten ist.
Und wir haben einen Grund, nicht zu resignieren, sondern mit der Kraft, die uns eben dieser Jesus Christus und Gott gibt, unser Mögliches zu tun, um manchem einen Teil seines Schreckens zu nehmen.
Dazu muss man nicht in die große weite Welt. Dazu reicht es, den Blick auf den, der neben uns lebt, nicht zu verlieren: Menschen auf der Suche nach Sicherheit und Heimat. Menschen, in Situationen, vor denen wir alle Angst haben und die sie getroffen haben. Menschen, die Halt und Trost brauchen.
Ich könnte noch unzählige Beispiele aufführen. Ich lasse es bleiben, weil ich noch wie meine Vorfahren mit ihnen singen möchte. Und beten möchte und dann zusammen sein möchte, um getrost ins Neue Jahr zu gehen.
Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich. In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen […] Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. (Joh 14,1f.6)
Was für ein wunderschönes Wort, nicht wahr?
In einer Welt voller Wunder und Glück, voller Traurigkeit und Leid, voller Möglichkeiten und Chancen. In einer so bezaubernden, aber fragilen Welt. Und stell dir vor, dann gibt es einen der sagt: Hab keine Angst. Fürchte dich. Amen.
Literaturangaben:
Grimms Märchen, Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen.
H. S. Kuschner, Vom Glück im Unglück, S. 11f.
J. Zink, Wie wir beten können, S .185.
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Der Weg - Predigt zu Johannes 14,1-6 von Jorg Christian Salzmann
I
Wir sind unterwegs. Am Beginn eines neuen Jahres wird uns das wieder neu bewusst: Wir gehen durch die Zeit, bewegen uns durch unsere Welt, stehen nicht still. Wohin geht der Weg? Die einen schreiten munter aus und sind ganz sicher: Wir sind auf gutem Wege zu den gesteckten Zielen. Andere tun nur so als sei alles klar, aber im Herzen wissen sie gar nicht genau, wohin das alles führen soll. Wieder andere sind eher verzagt: Woher soll ich meinen Weg wissen? Wer weiß, was kommt. Und realistisch besehen gilt für uns alle, dass es auf unserm Weg jederzeit zu überraschenden Wendungen kommen kann, auf die wir keinen Einfluss haben. Die Zukunft ist kein offenes Buch. Am Jahresanfang geht wohl manch banger Blick nach vorne. Was mag das neue Jahr bringen? Wo werden wir uns am Jahresende befinden? Wohin führt der Weg?
Wir sind unterwegs, unterwegs durch die Zeit, sogar wenn wir in vertrauter Umgebung bleiben und sagen: Ich bin angekommen, ich bin zu Hause. Aber auch damit ist es ganz unterschiedlich: der eine strebt weg von zu Hause, die andere sehnt sich nach etwas Ruhe und einer Heimat. Es gibt Menschen, die zwar eine Wohnung haben, aber sich allein fühlen, verloren und ausgesetzt. Andere suchen nach einer Bleibe und haben kein Dach über dem Kopf. Mancher trauert ein Leben lang einer verlorenen Heimat nach.
Wohnung haben, das ist für uns verbunden mit der Sehnsucht danach, zu Hause zu sein, geborgen zu sein, dazuzugehören, einen Rückzugsort zu haben und Heimat.
II
Jesus redet in unserm Bibelwort von beidem: Vom Weg und von der Heimat. Der Zusammenhang scheint einfach und damit zugleich für eine Neujahrsfeier befremdlich. Vor seinem Tod nimmt Jesus Abschied von seinen Jüngern und sagt ihnen, dass er die himmlischen Wohnungen für sie vorbereiten wird. Das ist sein Weg. Wer aber will zu Neujahr schon an den Tod denken? Wohl kaum jemand – und schon gar nicht an den eigenen Tod.
Hier allerdings geht es erst einmal nicht um deinen Tod, sondern darum, dass Jesus sterben wird. Seine Jünger bleiben zurück und müssen in der Welt zurechtkommen. Was bedeuten diese Abschiedsworte für sie?
Es beginnt mit einem Trostwort: Euer Herz erschrecke nicht! (Joh 14,1a) Denn erschrecken werden sie vor dem Tod von Jesus. Aber dieser Tod ist nicht einfach sinnlos. Jesus deutet ihn hier so, dass er im Sterben für die Seinen den Weg bereitet. Euer Herz erschrecke nicht! Die Welt der Jünger wird zusammenbrechen, doch Jesus spricht ihnen Mut zu.
Euer Herz erschrecke nicht! Das mag ein Wort sein, das wir mit ins neue Jahr nehmen können. Grund zum Erschrecken gibt es auch in unserer Welt genug. Wir denken an Terror, Gewalt und Krieg, an Unrecht und all die vielen Unglücksfälle, die es gibt. Warum aber sollte denn das für uns gelten: Euer Herz erschrecke nicht!
Deswegen, weil wir einen Rückhalt haben, einen Rückhalt im Glauben und Vertrauen auf Gott. Glaubt an Gott und glaubt an mich, sagt Jesus. Vertrauen – nur so können wir ja in die Zukunft gehen. Ohne Vertrauen bleiben nur Angst und Zittern und nichts geht mehr.
Gottvertrauen also, das wäre ein Weg in die Zukunft. Im Vertrauen darauf, dass die Macht und die Liebe Gottes mich nicht fallen lassen, kann ich auch ungewisse Wege gehen, Wege, die nicht gesichert sind. Wer mit Bangen in die Zukunft schaut, kann diese Zukunft dennoch angehen und darauf vertrauen, dass Gott immer schon da ist.
Nach den Worten, die wir gehört haben, könnte sich solches Vertrauen auch auf das Versprechen verlassen, dass da für uns eine Wohnung ist. Das ist eine wunderbare Botschaft. Zu wissen, dass ich ein zu Hause habe, das gibt mir die Freiheit, unterwegs zu sein. Wer eine Heimat hat und weiß, „da gehöre ich hin“, der ist geborgen auch in der Ferne. Deshalb geht es bei den Wohnungen, von denen Jesus redet, gar nicht wirklich um den Tod, sondern um das Leben. Wer eine Wohnung bei Gott hat, ist nicht heimatlos. Wer eine Wohnung bei Gott hat, hat das Leben.
Eine Heimat zu haben, zu der mir der Weg versperrt ist, das kann allerdings lähmend sein. Schwer ist das Leben für Flüchtlinge, die wissen, dass sie nicht mehr zurück können, auf lange Zeit oder gar auf immer. So viel leichter ist es zurechtzukommen, wenn ich weiß, dass der Weg nach Hause offen ist.
Darum gehört der Weg zu Gott mit dazu, wenn das gilt, dass wir bei ihm zu Hause sind. Da kommt nun Jesus und sagt: Ich bin der Weg. (Joh 14,6) Darauf ist Verlass. Mit seiner Person bürgt Jesus dafür, dass wir bei Gott zu Hause sind. So nimmt er uns in die Wahrheit Gottes hinein, die stärker ist als alle Wahrheiten, die uns umgeben und uns bedrängen. So ist er unser Leben.
III
Am Anfang des neuen Jahres fragen wir, wohin unser Weg wohl gehen wird. Niemand weiß das so genau. Gegen Überraschungen aller Art sind wir nicht gefeit. Manch banger Blick geht nach vorn und das eine scheint sicher: Es wird eher schwieriger mit unserer Welt. Wer mit Voraussagen glänzen will, braucht nur ein düsteres Bild zu zeichnen und kann darauf rechnen, dass viel von dieser Voraussage auch eintrifft.
Nun hören wir von einem anderen Weg. Jesus Christus als unser Weg in alle Zukunft – kann das uns im neuen Jahr weiter helfen? Ich meine ja. Denn auf diesem Weg mag kommen, was will, doch nichts kann uns unser Heimatrecht bei Gott wegnehmen. Mit Jesus Christus als Lebensweg können die Wege des neuen Jahres führen, wohin sie wollen. Egal, ob sie sich als Sackgassen herausstellen oder als Straße des Erfolgs, egal ob es steinige, schwierige Wege bergauf und bergab sind oder eine glatte ebene Bahn: Hinter allem und unter allem bleibt Jesus Christus die Grundrichtung. Er ist der Weg, mit dem wir unser Leben führen können. Das bleibt sogar, wenn unser Weg uns in den Tod führt, denn wir haben das Leben durch ihn. Ein Leben, das Heimat hat bei Gott, das stärker ist als der Tod.
Am Anfang des neuen Jahres schauen wir nach vorn in das Gewirr vielfältiger Wege und können doch getrost ausschreiten und unerschrocken unseren Weg gehen. Als Weg des Glaubens und Vertrauens wird er uns ans Ziel führen – durch Jesus Christus, der selbst der Weg ist.
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Lichtspiele - Predigt zu Johannes 8,12-16 von Wolfgang Vögele
Vorbemerkung: Es ist möglich, diese Predigt einfach als Text zu übernehmen. Aber es kann auch hilfreich sein, mit Hilfe eines Blattes oder einer Projektion einige Bilder zu zeigen. Diese habe ich unter folgender Adresse zusammengestellt: https://wolfgangvoegele.wordpress.com/2016/12/20/lichtspiele-predigt-und-fotos
Man kann sie von dort herunterladen. Alle gezeigten Bilder sind gemeinfrei und dürfen übernommen werden.
Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Da sprachen die Pharisäer zu ihm: Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr. Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme oder wohin ich gehe. Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand. Wenn ich aber richte, so ist mein Richten wahr, denn ich bin's nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat. (Joh 8,12-16)
Liebe Schwestern und Brüder,
nicht zufällig fällt das Weihnachtsfest in die Zeit kurz nach der Wintersonnenwende. Das Morgengrauen beginnt nach dem Frühstück und die Nacht bricht vor dem Abendessen herein. Die Menschen sehnen sich nach Licht. Die Spaziergänger genießen die Nachmittagssonne im verlassenen Park. Die Kinder freuen sich über das warme Kerzenlicht des Adventskranzes im Wohnzimmer. Wer den Hund ausführt, der staunt über den bunten Lichterkranz am Tannenbaum in Nachbars Vorgarten.
In der winterlichen Dunkelheit von Weihnachten wird der geboren, der als erwachsener Prediger von sich sagen wird: „Ich bin das Licht.“ Und das Licht klärt auf. Die hilfsbedürftigen Menschen, die sich orientieren wollen, brauchen Licht, das Schatten wirft, beleuchtet, aufklärt, die Dinge in besondere Farben taucht. Ein Philosoph hat das Licht so gepriesen: „Das Licht […] ist Verschwendung ohne Schwund. Licht schafft Raum, Distanz, Orientierbarkeit, angstloses Schauen, es ist Geschenk, das nicht fordert, Erleuchtung, die ohne Gewalt zu bezwingen vermag.“ [1] Ohne Licht keine verständnisvolle Aufklärung und keine gewaltfreie Erleuchtung. Trotzdem kann niemand das Licht mit Händen greifen.
Deswegen habe ich mir als Kind den Jesus, der von sich sagt, er sei das Licht, immer wie die amerikanische Freiheitsstatue vorgestellt: eine riesige Figur in einer Art Talar, mit einer Fackel in der Hand. Diese Fackel streckt die Figur in die Höhe. Ich bin das Licht.
Die Statue auf Liberty Island vor dem New Yorker Hafen stellt nicht Jesus, sondern die Freiheitsgöttin dar. Der offizielle Titel lautet: „Die Freiheit erleuchtet die Welt.“ Und als solche erblickten die Auswanderer aus Bremerhaven, Le Havre und Southampton als erstes diese Statue, wenn sie aus Europa in der Neuen Welt ankamen. Die Statue stellte ihnen die frohe Botschaft einer neuen, wahren Demokratie, von Menschenrechten und Gleichheit vor Augen. Die Freiheitsgöttin – ein Geschenk der Franzosen an die Amerikaner – ist mit der Marianne verwandt, die auf den Barrikaden der Französischen Revolution gegen Absolutismus und Unterdrückung gekämpft hat. Die Fackel der Freiheitsstatue leuchtet in den politischen Raum. Es bleibt abzuwarten, ob der Traum der Freiheit sich weiter bewährt, wenn Mitte Januar der Milliardär seinen Eid als neuer amerikanischer Präsident ablegt. Denn die Freiheitsgöttin mit der erhobenen Fackel – wenn sie ihren Namen verdient – leuchtet für Verantwortung, Respekt und Würde. Sie stellt Populismus, Lüge und Machtgier in den Schatten.
Die aufrechte Freiheit mit der Fackel ist eine von vielen Göttinnen. Darin liegt ein Unterschied zu Jesus, der das Licht ist. Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus. Und er meint: Ich bin das einzige Licht. Aber er sagt auch: Der Vater und ich gehören zusammen. Nichts kann uns trennen. Jesu Vater ist der, der das Licht am Anfang der Schöpfung allererst geschaffen hat. „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.“ (Gen 1,3-5) Gott ist das Licht und gleichzeitig schafft er das Licht.
Jesus und der Vater sind eins und gleichzeitig schickt dieser Vater seinen Sohn auf die Erde. In jenes kleine Israel, damit die Menschen zum Glauben kommen. In Jesus Christus fällt ein neues Licht auf die Erde. Man kann nun großformatige Unterscheidungen treffen: Vom Licht der Welt und vom Licht des Glaubens sprechen und daraus entwickeln, was die Theologen eine „Lichterlehre“ genannt haben. Für Johannes, den Philosophen unter den Evangelisten, gehört beides zusammen. Alles Licht kommt von einem Ursprung und der liegt in Gott, dem Vater. Er ist der einzige Gott – im Gegensatz zum übervölkerten Götterhimmel der Antike und des heutigen Pluralismus.
Mit den antiken Göttern ist die Freiheitsstatue auf der New Yorker Hafeninsel verwandt. Denn sie trägt nicht nur eine Fackel. Auf den Kopf hat ihr der Bildhauer eine Strahlenkrone gesetzt – in der Antike das wichtigste Attribut des Sonnengottes Helios. Sieben Strahlen symbolisieren sieben Kontinente, sieben Weltmeere und sieben Tage, an denen die Sonne scheint. Nach antiker Vorstellung sieht die Sonne alles und darum weiß sie auch alles. Sie kennt die Verbrechen, die Morde und Untaten, die die Menschen am liebsten verbergen wollen. Das Licht der Sonne leuchtet überall hin. Es klärt auch alles auf, was die Menschen am liebsten im Dunkeln behalten würden. Das Licht der Sonne sorgt dafür, dass sich die Menschen frei und ohne Angst vor Angriffen aus dem Hinterhalt bewegen können. Deswegen wurde dem Sonnengott in Rom größte Verehrung zuteil.
Und Jesus sagt nun: Ich bin das Licht. Dieser Jesus des Johannesevangeliums nimmt es mit dem antiken Sonnengott und der Freiheitsgöttin auf. Johannes stellt ihn auf Augenhöhe mit dem Licht der Sonne und dem Licht der Freiheit.
Weihnachten ist ein Fest des Lichtes. Es fällt in die Tage nach der Wintersonnenwende und es fällt genauso in die Tage nach dem Fest des römischen Sonnengottes, des Sol invictus.
Die Krippe wird zum kleinen leuchtenden Punkt in der Dunkelheit. Das haben die Maler und Künstler besonders gut wahrgenommen, weil sie die Bibel mit ihren vielen Verweisen auf das Licht genau lasen. Was sie im Text an Lichtbildern gesehen hatten, konnten sie in Bilder umsetzen. Spätestens mit dem Maler Rembrandt van Rijn haben sich Krippenbilder etabliert, die ganz wunderbar leuchteten. Josef, der Ochse und der Esel, die anbetenden Hirten, die von der Weide herübergekommen waren, standen im Halbschatten oder ganz in der Dunkelheit. Rembrandt malte die Krippenszene so, dass er mit einer Lichtquelle auskam. Es war das Besondere, dass dieses warme, gnädige Licht von der Krippe mit dem Baby selbst auszugehen schien. Auf diese Weise verwandelte Rembrandt Theologie in Malerei. Er machte deutlich, was es heißt, wenn schon von diesem kleinen schlafenden Baby, das noch gar nicht sprechen oder krabbeln kann, zu sagen ist: Das ist das Licht der Welt, von dem das Heil für die Menschen kommt.
Weihnachten kehrt die Lichtverhältnisse von oben nach unten um. Mit der Geburt des kleinen Babys wechseln die Perspektive und die Orientierung. Der Mensch, der sich verloren hat, versucht, sich zu orientieren. Ursprünglich hieß das: Der verirrte Mensch blickt nach Osten, wo die Sonne aufgeht. Danach kann er die Himmelsrichtungen bestimmen und einen Weg aus seiner Verlassenheit finden.
Der Christus, der von sich sagt „Ich bin das Licht der Welt“, spielt eine neue Orientierung ein. Wer ihm glaubt und sich verirrt hat, der blickt nicht mehr nach Osten, sondern der blickt auf die Krippe, auf das Baby, von dem das Licht kommt. Von der Krippe geht ein Licht aus, das auf Lebenswelt und Alltag eine völlig neue Perspektive wirft. Alle anderen Lichtquellen – das kommende Feuerwerk an Silvester, die Scheinwerfer der Aufklärung, das Abblendlicht des Populismus, die Wunderkerzen der Unterhaltung – treten demgegenüber zurück.
Rembrandt hat das Licht, das von der Krippe ausgeht, warm und zurückhaltend gemalt. Von diesem Licht holt sich niemand einen Sonnenbrand. Es ist möglich, dieses warme, beinahe unscheinbare Licht in die Gegenwart von Weihnachten hinein zu holen. Jede Bienenwachskerze, jedes billige Teelicht aus Stearin vermittelt etwas von diesem lebendigen Licht der Krippe, das sich von der Kälte von LED-Leuchten, Neonröhren der Krankenhaus-Säle und Xenon-Scheinwerfern aufblendender Autos grundlegend unterscheidet.
Jesus sagt: Ich bin das Licht. Schon das Kind in der Krippe ist das Licht. Und genau diese Lichtquelle hilft den glaubenden Menschen, die Dinge und die Wirklichkeit in einem – im wahren Sinn des Wortes – anderen Licht zu sehen. Das klingt so ungeheuer aufwendig, dabei leuchtet die Krippe mit geringer Lichtstärke. Und das hat zu tun mit Würde, Respekt, Annahme, Hilfe, Barmherzigkeit und Rücksicht. Denn all das drängt sich im Blick auf das kleine Kind in der Krippe gerade zu auf. Jeder, der selbst einmal Vater oder Mutter war, weiß, dass solch ein Baby vorsichtig und liebevoll behandelt werden muss. Wenn man so will wäre das die Politik und die Ethik der Weihnachtsbeleuchtung: im anderen Menschen ein klein wenig von dem schutzlosen Kind zu sehen, das er oder sie kurz nach der Geburt einmal war. Wem dieses neue Licht zu idyllisch und zu naiv ist, der sei daran erinnert, dass das unbeleuchtete und unaufgeklärte Verständnis von Politik als reinem Kampf unterschiedlicher Interessen, von Politik als bestmöglicher Marketing-Täuschung der Wähler, von Politik als Überleben der Stärksten und am meisten Angepassten auch nicht viel weiter geführt hat, wie uns viele Erfahrungen gerade des letzten Jahres gelehrt haben.
Jesus sagt: Ich bin das Licht. Das soll die Menschen nicht zur Naivität verführen. Der Glaube an die Gnade des unscheinbaren Kindes überbietet die Vernunft nicht, sondern arbeitet mit ihr zusammen. Das Licht des Glaubens bricht sich in ein Spektrum mit drei Farben. Zuallererst lenkt es den Blick auf den Gott, der die Welt erschaffen hat und der sie in Jesus erlösen will. Gott kommt den zweifelnden Glaubenden entgegen. Zum zweiten wird der Blick auf das Unscheinbare gelenkt. Das lernen wir an Weihnachten: Das kleine Kind in der Krippe verdient mehr Aufmerksamkeit als jeder Politiker, jeder Unterhaltungsstar, jeder A-, B- und C-Prominente. Batterien von Scheinwerfern und Blitzlichtern lenken in der Regel den Blick von Fans, Gaffern und Begeisterten in die Irre. Gott ist nicht im Scheinwerferkegel der Aufmerksamkeit, sondern im Licht des Kerzenscheins zu treffen. Drittens: Das Licht des Glaubens, von dem Jesus spricht, löscht andere Lichter nicht aus, sondern es verstärkt sie noch: besonders das Licht der Vernunft, das die Politik so nötig hat. Besonders das Licht der Barmherzigkeit, das diese Gesellschaft, in der Hilfe benötigt wird, erst lebenswert macht.
Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus von Nazareth. Als Kind in der Krippe konnte er das noch nicht aussprechen – das Baby konnte sich nur schreiend zu Wort melden. Gott war Mensch geworden und benötigte selbst die Aufmerksamkeit seiner Eltern. Ich bin das Licht der Welt. Das sagt der erwachsene Jesus. Er ist Licht, weil Gott selbst als Licht vorzustellen ist. Der italienische Dichter Dante Alighieri wusste das schon im 14. Jahrhundert. Im dritten Teil seines Hauptwerkes, der „Göttlichen Komödie“ wird der Dichter ins Paradies geleitet, wo die Engel, die Heiligen, die Apostel, berühmte Theologe leben. Nur die Päpste, die die Politik wichtiger als den Glauben nahmen, blieben für Dante ausgeschlossen. Je näher der Dichter im Paradies Gott kommt, desto mehr verwandelt sich alles ins Immaterielle. Gott ist Licht, er ist die erste und wichtigste Lichtquelle, in die niemand hineinblicken kann, weil sie dem Betrachter die Augen blenden würde. Auch Dante, der Dichter im Paradies, muss die Augen niederschlagen. Gott ist Licht. Dieses Licht ist für Menschen nicht mehr zu fassen.
In Jesus Christus, im Kind in der Krippe, in diesem predigenden, heilenden und barmherzigen Menschen ist Gott Gestalt geworden. Und das wirft auf die ganze Welt ein neues Licht. Ein Licht des Glaubens, ein Licht der Barmherzigkeit und ein Licht der Gnade.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was wir uns denken und vorstellen können, bewahre eure Herzen und Sinne erleuchtet in Jesus Christus. Amen.
[1] Hans Blumenberg, Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung (1959), in: Ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hg. von Anselm Haverkamp, Frankfurt/M. 2001, 139-171, hier: 140.
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Da kann ja jeder kommen - Predigt zu Johannes 8,12-16 von Christian Stasch
Liebe Gemeinde,
unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt vorbei, fragt ihn, was er verloren habe und der Mann antwortet: „Meinen Schlüssel.“ Nun suchen beide. Und suchen und suchen. Völlig erfolglos. Schließlich will der Polizist wissen: „Sind Sie sich auch ganz sicher, dass Sie ihn genau hier verloren haben?“ „Nee, nee, nicht hier, da hinten, aber das ist es viel zu dunkel.“
Na, ein Lichtblick täte ihm ganz gut.
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (Jes 9,1) Diese Worte aus der Bibel Israels wurden dann später auf Jesus übertragen: Ich bin das Licht der Welt. (Joh 8,12a)
Ein hoher Anspruch.
Ich bin…. – ja, wer bin ICH denn? Weiß ich´s?
Ich bin Krankenschwester und Werder-Bremen-Fan, ich bin Mutter und Tochter, ich bin Ehefrau und Kegelschwester, Gartenfreundin und Nachbarin, könntest du sagen. Du bist nicht eines, du bist vieles.
Ich bin Beamter und 96-Fan, ich bin Ehemann und Bruder, ich bin Schwiegersohn und Klavier-Dilettant, ADAC-Mitglied und Weißweintrinker, könnte ich sagen. Ich bin nicht eines, ich bin vieles.
Ich bin das Brot und die Tür, ich bin der gute Hirte und der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ich bin der Weinstock, die Auferstehung und ich bin das Licht der Welt – heißt es über Jesus. Er ist, jedenfalls laut Johannesevangelium, nicht eines, er ist vieles.
Das weihnachtlichste unter diesen verschiedenen Jesus-Bildern ist sicherlich: Licht der Welt. So ist es ja auch in Jesu Geburtsgeschichte hinein komponiert: Mit dem Stern über Bethlehem. Mit den Hirten des Nachts auf dem Felde, und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie. (Lk 2,9a)
Und wir weihnachtlichen Menschen ziehen einen Lichtbogen von damals bis heute. Mit unseren Kerzen (die mild leuchten, duften und sich verzehren), unserem Weihnachtsbaum (über den wir lange diskutiert haben und der auch in diesem Jahr „so schön ist wie noch nie“), mit all der Beleuchtung innen und außen an unseren Häusern, mit Sternen aus Annaberg und Herrenhut. Freuen uns am weihnachtlichen Glanz, auch noch am zweiten Feiertag. Und deshalb auch unsere lichtvollen Weihnachtslieder: „Das Blümelein so kleine das duftet uns so süß, mit seinem hellen Scheine vertreibt´s die Finsternis.“ (eg 30,2)
Aber ganz so einfach das nicht. Es erhebt sich Widerspruch. Ich bin das Licht der Welt. Mhm – da kann ja jeder kommen. Das Johannesevangelium überspringt Geburt und Kindheit und blendet sich gleich dreißig Jahre später ein, beim erwachsenen Jesus, der auf viel Skepsis stößt. Er ist gerade im Gespräch und die Gespräche sind hier oft harkelig und holperig und voller Missverständnisse. Die Gesprächspartner haben eine Lust daran, sehr kritisch nachzufragen, manchmal sogar Jesus hinters Licht zu führen.
Ich bin das Licht der Welt, sagt er. Mhm – da kann ja jeder kommen, antworten sie sinngemäß. „Das sagst du von dir selber. Aber: Kann es denn noch jemand bezeugen?“ Jesus bietet als weiteren Zeugen keinen geringeren als Gott im Himmel auf. „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh 10,30) Aber dieser Hinweis auf die Doppelspitze führt in diesem Gespräch auch nicht so recht weiter. Wir können uns daher wieder ausblenden.
Und können hinüberblenden ein paar Verse zurück. Da wird beschrieben, wie Jesus zu einer Menschengruppe kommt. Jeder der Leute hat einen Stein in der Hand, gerichtet auf eine Frau in der Mitte. Die Männer sagen – nicht besonders leise – : „Beim Ehebruch erwischt, das Gesetz sagt Todesurteil, Steinigung. Was sagst du dazu, Jesus?“ Und Jesus sagt erstmal gar nichts. Erstmal etwas herunterkommen. Dann zeichnet er mit dem Finger in den Sand. Und schließlich legt er die Reihenfolge fest: Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. (Joh 7b) Stille. Nach und nach werden die Steine nicht geworfen, sondern auf dem Boden abgelegt.
Diese Frau könnte auch gut bezeugen: Jesus, Licht der Welt. Ein Lichtblick im Leben. Das ist allerdings eine Lebenserfahrung, und kein hieb- und stichfestes, glasklares Argument. Es ist eine Glaubensaussage und kein Beweis.
Jesus – Licht und Lichtblick der Welt. Mhm – da kann ja jeder kommen. Die Skepsis von damals hat sich nicht in Luft aufgelöst. Der Widerspruch ist geblieben. Und der Zweifel ist nach wie vor Geschwisterkind des Glaubens – auch bei uns. Denn wir feiern Weihnachten ja nicht als Erlöste, sondern als Sehnsüchtige. Als solche, die sich nicht freuen am Stern über der Krippe zu Bethlehem, sondern auch nach Frieden in der Welt dürsten, nach wärmenden Friedenslichtern.
Es geschah aber zu der Zeit, da Assad Machthaber in Syrien war. Da begab es sich, dass in Syrien die Lichter ausgingen. Man kann das sehen auf Satellitenbildern. Seit dem Beginn des Syrienkrieges 2011 sind über 80 % der Lichter ausgegangen. Weil Gebäude, Straßen und Stromleitungen zerstört sind, bleibt nachts alles dunkel. Und auch kalt. Die Menschen sind der absoluten Dunkelheit ausgeliefert, so wie wir es uns in Deutschland kaum noch vorstellen können. Wenn dort jemand nachts medizinisch behandelt werden muss, wird zum Teil die Handy-Beleuchtung verwendet, um überhaupt etwas zu sehen.
Christus: Licht der Welt.
Aber – es geschah zu der Zeit, da Erdogan Machthaber in der Türkei war. Da begab es sich, dass ein Verbot erlassen wurde. Weihnachten – jauchzet? Freuet euch? Nicht bei uns! Ja, wenn man im Schulunterricht etwas davon zu hören bekäme. Hat der türkische Staat Angst davor, dass Weihnachten thematisiert wird von einigen deutschen Lehrern an der Istanbuler Schule? Sind die Machthaber so unentspannt, dass sie wegen so etwas einschreiten und sich abschotten?
Christus: Licht der Welt
Aber – es geschah zu der Zeit, da eine große Terrorangst in Deutschland um sich gegriffen hatte. Da begab es sich, dass die besinnlichen Lichter und die friedlichen Menschen eines Weihnachtmarktes das Ziel von Unfrieden durch einen LKW in Berlin wurden und die Furcht noch mehr ansteigen ließ. Und alle wieder merkten: Leben in einem freien Land und absolute Sicherheit, das kann man wohl nicht beides haben.
Stille Nacht, traurige Nacht, in Berlin.
In diesen rauen Zeiten singe ich Johann Sebastian Bachs Weihnachtsmelodie wie einen Protestsong gegen dunkle Mächte und wie ein Hoffnungslied: „Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne.“ (eg 37,3)
Der Kern unseres Weihnachtsfestes lautet: Jesus. Licht der Welt.
Und das andere stimmt auch: Ja, da kann ja jeder kommen. Die Hirten kommen, die Weisen aus dem Morgenland kommen, die Ausgebooteten kommen, später kommen die Zöllner, die Fischer, Frauen, Kinder und Männer kommen, Verängstigte kommen, Zweifelnde kommen, Flüchtlinge kommen.
Da kann ja jeder kommen. Am Weihnachtsfest 2016. Jede und Jeder. Und wird im Licht verwandelt. Jesus behält das Licht nicht für sich, er sozialisiert es, er verschenkt es. Er sagt zu dir und zu mir: Ihr werdet das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12b) Ja, mehr noch: Ihr seid das Licht der Welt. (Mt 5,14)
Also, wenn Sie sich hier umschauen: in der Bank neben Ihnen und auch vor und hinter Ihnen, und Sie selbst – lauter Lichter, lebendige Lichtblicke.
Dass Sie gesegnete Weihnachten haben und dass Sie im weihnachtlichen Licht Verlorenes wiederfinden, das wünsche ich Ihnen.
Amen.
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Gott sitzt auch auf einem grünen Plastikstuhl - Predigt zu Johannes 3,16-21 von Stephanie Höhner
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die vertrauen, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer ihm vertraut, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht vertraut, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind. (Joh 3,16-21)
Osama wartet schon seit 7:23. Er kauert sich in den grünen Plastikstuhl. Neben ihm sitzt auch ein junger Mann. Daneben noch einer. Die ganze Reihe der grünen Plastikstühle ist besetzt mit jungen und älteren Männern. Sie alle warten schon seit Stunden hier. Manchmal wird einer aufgerufen, steht auf und verschwindet in einem der Büros.
Osama war auch gestern schon hier. Und vorgestern. Und letzte Woche auch.
Er wartet, dass auch er endlich in einem der Büros verschwinden kann.
Jetzt ist es 15:37. Er hat die Hoffnung aufgegeben. Er wird morgen wieder kommen. Und wieder warten, auf einem grünen Plastikstuhl.
Nur widerwillig packt Pia die Geschenke ein. Und nur widerwillig wird sie eine Stunde später ins Auto steigen und zu ihren Schwiegereltern fahren. Ex-Schwiegereltern, wenn sie es genau nimmt.
Pia weiß jetzt schon, wie es wieder werden wird. Sie werden alle am Tisch sitzen, lachen und reden. Über das Schulkonzert. Über die neuen Nachbarn. Und sie wird dabei sitzen und nichts sagen. Sie gehört nicht mehr dazu, seit sie vor zwei Jahren ausgezogen ist. Sie spürt die Vorwürfe in jedem Blick: „Du bist ja gegangen.“ „Wegen dir ist jetzt alles anders. Alles kompliziert.“
Pia zerknüllt den letzten Rest Papier. Sie wird trotzdem fahren und gute Miene machen.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. (Joh 3,16)
Osama wartet auf ein Urteil. Das Urteil vom Entscheider. Ob sein Antrag auf Asyl genehmigt wird. Ob er sich hier ein neues Leben mit seiner Frau aufbauen kann.
Osama wartet auf das Urteil, ob er einer der „guten Flüchtlinge“ ist. Asylwürdig. Weil er vor den Bomben in seiner Heimatstadt in Syrien flieht.
Nihad wartet auch auf ein Urteil. Auch er hat einen Asylantrag gestellt, zusammen mit seiner Frau. Sie stammt aus dem Kosovo. Nihad aus Bosnien. Zusammen können sie nicht in Bosnien leben. Seine Frau ist dort illegal. Ein gemeinsames Leben nicht möglich. Obwohl sie schon drei Kinder haben.
Nihads Chancen auf Bleiberecht stehen schlecht. Er ist nur „Wirtschaftsflüchtling“ aus einem sicheren Herkunftsland. Vermeidlich sicher.
Das Amt wird entscheiden, wer ein guter oder schlechter Flüchtling ist. Asylwürdig oder nicht.
Der Bundestag entscheidet, wo es sicher ist oder nicht.
Das Amt fällt sein Urteil. Der Staat fällt sein Urteil. Und schwierig ist es, das richtige Urteil zu fällen. Schwierig ist es, wenn Menschen über Menschen urteilen. Und doch ist es oft notwendig.
Und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. (Joh 3,19b)
Pia ist schuld. Das steht für ihre Familie fest. Sie ist gegangen. Hat Mann und beide Töchter alleine gelassen, um ein neues Leben zu beginnen. So denken die anderen. Sie fällen ihr Urteil.
Doch Pia hatte ihre Gründe. Sie liebten sich nicht mehr. Das zu erkennen tat auch Pia weh. Wegzugehen von ihren Töchtern, den Lebenstraum mit Mann und Haus zurück zu lassen. Jetzt jeden Morgen allein am Küchentisch zu sitzen.
Vorwürfe kommen nicht nur von ihren Eltern, Schwiegereltern und ihrem Ehemann. Sie kommen auch von Freunden, Kollegen und Nachbarn. Meistens unausgesprochen.
Osama sitzt in der Finsternis. Seine Heimat ist zerstört. Er musste alles zurücklassen: seine Freunde, seine Eltern. Er musste sein Studium aufgeben und das freie, ausgelassene Leben, das er mit Anfang zwanzig genossen hat. Bomben und Kriegstreiber haben ihm sein Leben genommen.
Nihad sitzt in der Finsternis. Er hat Angst vor der Abschiebung. In seiner Heimat kann er nicht mit Frau und Kindern zusammen leben. In Deutschland hat er kein Recht auf Asyl. Er sucht einen Platz im Leben.
Pia sitzt in der Finsternis. Die Liebe ihres Lebens ist gescheitert. Ihre Kinder sieht sie nur noch am Wochenende. Der Traum vom Familienleben zerplatzt. Sie gehört nicht mehr dazu. Bei ihren Freunden. Bei ihrer Familie. Auch wenn Pia mit am Tisch sitzt. Sie gehört nicht mehr dazu.
Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist. (Joh 3,19a)
Gott kommt in die Welt. An einem dunklen Ort. In den Stall in Bethlehem. Eine Behausung für Tiere, nicht für ein Neugeborenes.
Gott kommt in die Welt. An den Rand. Zu den Hirten. Rechtlose, arme Knechte. Menschen, die schon sehr lange im Dunkeln sitzen. Nicht nur bei ihrer Arbeit nachts auf dem Feld.
Gott kommt in die Welt. Als das Licht. Als Engel auf dem Feld. Sie erleuchten mit ihrer Klarheit die Nacht. Sie beleuchten die Hirten am Rand des Lebens.
Wieder geht ein Jahr zu Ende, in dem viel beleuchtet werden muss. Es kommt mir manchmal so vor, als ob die Welt nur noch in der Finsternis sitzt.
Im Bombenhagel in Syrien. In Berlin auf dem Weihnachtsmarkt. Auf grünen Plastikstühlen in der Asylbehörde und am Familientisch zu Weihnachten.
Die Welt sitzt im Dunkeln und wartet auf ihr Urteil. Eigentlich scheint es schon gefallen.
Es steht schon fest, wer ein „guter“ oder „schlechter“ Flüchtling ist.
Wer die „gute“ Kandidatin ist oder der „böse“ Kandidat.
Es steht schon fest, wer Schuld hat. Das Urteil ist schnell gefällt. Von uns Menschen im Dunkeln.
Ich sehne mich nach dem Licht. Das Licht, das alles offen legt. Das Klarheit bringt. Das das Dunkel überstrahlt.
Aber das nicht urteilt. Nicht sagt „gut oder böse“, „richtig oder falsch“.
Das Licht leuchtet alles an. Aber es urteilt nicht. Es gibt die Welt nicht verloren. Es gibt uns nicht verloren.
Gott schaut nicht in die Akten von Osama oder Nihad. Er sieht sie an als Menschen, die im Finstern sitzen. Er leuchtet in die Finsternis und verspricht: Ich will euch retten. Ich gebe euch nicht verloren.
Gott achtet nicht auf den Status der Hirten. Er sieht sie an als Menschen, die im Finstern sitzen. Er leuchtet in die Finsternis nachts auf dem Feld. Er sagt: Fürchtet euch nicht! Ich verkündige euch große Freude! (Lk 2,10b)
Gott schaut nicht auf unser Urteil, das wir treffen oder das über uns getroffen ist. Er sieht uns an als Menschen, die im Finstern sitzen und sich nach Licht sehnen. Er kommt in die Welt und verspricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende! (Mt 28,20)
Gott spricht kein Urteil. Er spricht uns an.
Gott urteilt nicht über Menschen, nicht über die Welt, weil er sie liebt. Die Welt und uns Menschen. Darum kommt er selbst auf die Welt. An den Rand. In den Stall. Auf den grünen Plastikstuhl und an den Familientisch.
Gott sieht das Urteil von uns Menschen über einander und was es anrichten kann: Gutes wie Schlechtes. Doch er richtet sich nicht danach. Gott stellt sich zu uns. Zu uns, den Gerichteten. Zu uns, die Richtenden.
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die ihm vertrauen, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Joh 3,16)
Es ist 15:42 Uhr. Osama zieht sich gerade die Jacke an, als der Aufruf „Nr.2304“ kommt. 2304 – das ist Osamas Nummer. Er darf endlich in einer der Bürotüren verschwinden. Das Warten hat ein Ende. Der Asylantrag rückt näher. Aber noch ist es nicht geschafft.
Pia sitzt vor ihrem halbvollen Teller. Sie hat wenig Appetit. Und noch weniger Spaß. Anders als alle anderen, die über den Racletteabend letzte Woche reden.
Pia sitzt stumm daneben. Sie war dazu nicht eingeladen. Sie will eigentlich am liebsten nach Hause. Doch sie reißt sich zusammen. Setzt ein Lächeln auf, auch wenn es ihr schwer fällt. Vielleicht wird es einmal wieder anders sein, denkt sie. Vielleicht kann auch ich einmal wieder mitreden. Irgendwann.
Wie schön wäre es, wenn Osama bleiben könnte.
Wie schön wäre es, wenn auch Nihad bleiben könnte.
Wie schön wäre es, wenn Pia mitreden könnte.
Wie schön wäre es, wenn es Licht auf der Welt wird. Wenn der Bombenhagel verstummt. Wenn die Tränen trocknen.
Ich sehne mich nach Licht. Ich will nicht verloren sein. Ich will nicht in der Finsternis bleiben.
Nihads Antrag wird abgelehnt. Zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern werden sie nachts abgeholt und zum Flughafen gebracht. Wie sie in Bosnien leben sollen, wissen sie nicht.
Osamas Antrag auf Asyl wird genehmigt. Er darf mit seiner Frau bleiben und hier ein neues Leben aufbauen.
Noch ist es finster in der Welt. Noch sitzen wir im Dunkeln.
Manchmal sehe ich ein Licht einfallen. Auf einen grünen Plastikstuhl. Am Familientisch. Und ich hoffe, auch bald im Flugzeug nach Bosnien.
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die ihm vertrauen, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Joh 3,16)
Amen.
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Predigt zu Johannes 16,5-15 von Johannes Neukirch
(Hinweis: Johannes 16,5-15 ist der von der Perikopenrevision vorgeschlagene Predigttext)
Jesus bereitet seine Jünger auf seinen Abschied vor und sagt:
5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. 7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. 8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; 9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; 10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; 11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. 12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. 13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. 15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.
Liebe Gemeinde,
wie soll das bloß weitergehen? Viele Menschen haben sich in den letzten Wochen und Monaten diese Frage gestellt oder besser: haben diese Worte geseufzt, geklagt, laut geschrien. In diesen Tagen sind es besonders die Menschen in der Provinz Alberta in Kanada, die vor dem riesigen Waldbrand fliehen und ihre Häuser, ihr Hab und Gut zurücklassen müssen. Die Bewohner von Aleppo in Syrien, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, viele Menschen in Äthiopien und Indien, die wegen einer Dürre nichts mehr zu essen haben und auf vertrocknete Felder schauen. Wie soll es bloß weitergehen? Wie sehen die nächsten Tage, Wochen, Jahre aus, was für eine Zukunft haben unsere Kinder?
Selbstverständlich gibt es diese Frage bei uns auch: Wie soll es weitergehen, wenn ich meine Arbeit verloren habe oder vielleicht unglücklich bin in meinem Beruf oder einfach das Geld nicht reicht? Wie überstehe ich die nächsten Jahre, wenn meine Partnerin oder mein Partner gestorben ist, wenn die Eltern pflegebedürftig geworden sind, wenn ich selbst krank geworden bin? Und für einen Schüler, der durch eine Prüfung gerasselt ist, kann diese Frage auch sehr bedrohlich sein. Ich denke, jede und jeder von uns hat solche Situationen schon selbst erlebt.
Diese Frage passt in die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, in der wir gerade sind. Jesus ist weg. Auf ihm lagen so viele Hoffnungen. Er war der Lehrer, er hat Wunder getan, Kranke geheilt, einige sogar von den Toten auferweckt. Menschen sind ihm nachgefolgt und haben ihm vertraut. Er sollte ihnen ein besseres Leben ermöglichen, ihnen den Himmel nahe bringen, dafür sorgen, dass sie nach dem irdischen Leben ein ewiges Leben haben, dass das Paradies offen steht.
Nach dem Schock darüber, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, gab es ja erst einmal wieder Hoffnung. Er soll von den Toten auferstanden sein, erzählte man sich. Und der Auferstandene ist einer ganzen Reihe glaubwürdiger Menschen erschienen. Einer seiner Jünger, Thomas, durfte ihn sogar anfassen, weil er das nicht glauben konnte.
Dann aber ist er wieder gegangen, endgültig, „er fuhr auf gen Himmel“ heißt es bei Lukas, Himmelfahrt. Wie soll es nun ohne Jesus weitergehen, haben sich seine Anhängerinnen und Anhänger gefragt!
Jesus hat seine Jünger auf diesen Moment vorbereitet, davon erzählt unser Predigttext. Jesus redet mit ihnen über die Zeit, in der er nicht mehr da sein wird. Und er sagt dabei einen, wie ich finde, ganz erstaunlichen Satz: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe.“
„Es ist gut für euch, dass ich weggehe“ – ich kann mir vorstellen, dass die Jünger sehr irritiert und erstaunt waren, als sie das hörten. Was soll gut daran sein, wenn der große Lehrer, der Meister, der Retter weg ist? Und wie sollte es dann weitergehen – schließlich war kein Nachfolger von Jesus in Sicht! Er war in jeder Hinsicht einzigartig und unersetzbar. Auch wenn er immer wieder gesagt hatte, dass die Frauen und Männer um ihn herum auch große Dinge tun könnten, wenn sie glaubten. Aber in den Evangelien werden sie doch oft als ziemlich schwach im Glauben dargestellt.
Nun, es ist weitergegangen, liebe Gemeinde, sonst wären wir nicht hier in diesem Gottesdienst beieinander. Aber es ist nach wie vor, ganz nüchtern betrachtet, ein großes Wunder, dass sich aus dieser kleinen Schar, deren Anführer plötzlich weg war, die Christenheit von heute, also die mehr als zwei Milliarden Christinnen und Christen weltweit entwickelt hat.
Nächsten Sonntag feiern wir Pfingsten, da wird erklärt, wie dieser Übergang möglich wurde. Der Übergang von Anhängern des Jesus zur ersten Gemeinde, die Menschen getauft hat und zu einer Massenbewegung wurde.
Pfingsten erzählt, wie es weiterging, wie der Heilige Geist zu der Versammlung kam, wie sie alle begeistert waren und sich der Glaube an Jesus Christus ausgebreitet hat. Das geschah tatsächlich erst, als Jesus fort war, nach der Himmelfahrt. Und eben dieser Jesus hatte vorher gesagt: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn, so weiter, „wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster (also der Heilige Geist) nicht zu euch!“ Die große Gemeinschaft der Christen haben wir also dem Heiligen Geist zu verdanken.
Was ist das für ein Geist? Jesus sagte, dass der „Geist der Wahrheit“ kommen wird. Das meint: der Heilige Geist erfindet nichts Neues, sondern gibt die Wahrheit weiter. Jesus erklärt das so: Der Heilige Geist wird „nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen“. Und er fügt hinzu, dass der Geist der Wahrheit nur das verkündigen und weitergeben wird, was vom Vater kommt.
Jesus hatte immer schon gesagt, dass er genau das verkündigt, was er von seinem Vater hat. Das wird nun sozusagen vom Heiligen Geist übernommen. Wir können auch sagen: Der Heilige Geist vervielfältigt, was Jesus bzw. sein Vater sagt. Er bringt das Wort des Vaters zu uns, macht es lebendig und kraftvoll in unseren Herzen und Seelen. Er bringt die Liebe des Vaters zu uns und lässt uns darauf vertrauen, dass wir Gottes geliebte Kinder sind. Paulus schreibt im Epheserbrief, wie wir vorhin in der Lesung gehört haben: Der himmlische Vater gibt uns Kraft, „stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.“
Der Heilige Geist, der Tröster, der uns Kraft bringt – der hält durch die Jahrtausende alles zusammen, der wirkt seit dem Pfingstwunder und bringt uns auch heute weiter. Er lässt uns wieder hoffen, Mut fassen und glauben. Lasst uns beten, dass er kräftig weht. Amen.
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22.11.2015, Weimar: "Niemand soll allein sein"
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
Es war vor vier Jahren als wir zum ersten Mal an das frische Grab unseres Freundes getreten sind. Wir haben geschwiegen.
Wir waren zu dritt. Ich war froh, dass ich nicht allein war.
Jeder suchte sich eine Aufgabe. Einer zupfte etwas Unkraut. Eine sorgte dafür, dass unser Blumenstrauß an der richtigen Stelle lag. Ich sagte: „Das hätte ihm gefallen. Das wir zusammen hier sind.“ Und dann begannen wir zu erzählen, über unsere gemeinsame Zeit, wie es war.
Heute erinnern wir uns an Menschen, die uns auf unserem Weg vorausgegangen sind. Das ist oft schwer. Deswegen tun wir es gemeinsam.
Die Bibel sagt: Keiner ist allein unterwegs. Gott ist mit auf dem Weg. Wie ein Hirte. Der Herr ist mein Hirte. Ich sehe: Der Weg öffnet sich. Es geht leicht. Mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Vieles ist gelungen. Meine Erinnerung verbindet sich mit meinem Dank für gute gemeinsame Zeit.
Manchmal ging die Kraft aus. Da waren Durststrecken. Aber dann war es ein gutes Gefühl: Es war neue Kraft da - für Leib und Seele, für - Körper und Geist. Stärkung. Da waren Zweifel. Bin ich auf rechter Straße, auf dem richtigen Weg?
Brauche ich eine Kurskorrektur oder gar einen Richtungswechsel?
Der Weg wurde auch eng, zu eng und finster, zu finster. Das hat viele Gesichter. Einer sagt: „Meine Mutter ist schon lange für mich gestorben“. Einer sagt: „Ich bin krank, unheilbar krank. Ich werde sterben. Lasst mich nicht allein.“ Angst kann sein wie ein Dickicht in dem man stecken bleibt. Eine sagt: „Im vergangenen Jahr ist mein Mann verstorben.“ Und sie fragt sich: Wie komme ich da durch?
Eng und ganz finster fühlt es sich an, wenn wir an den schrecklichen Terror denken, dem so viele Unschuldige zum Opfer gefallen sind. In Paris, in Beirut, in Bamako.
Oft gelangen wir an die Grenzen des Helfens, aber wir brauchen Hilfe an der Grenze.
Und wir können einander beistehen. „Wir sind eins!“ hieß es nach den Anschlägen von Paris.
Damit wir unseren Blick weit machen – Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal. Fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir dein Stecke und Stab trösten mich.
Dass das möglich ist, haben wir eben gehört: ob im Krankenhaus, im Hospiz. - Wie auf unserem Bild. Es wurde für ein totes Kind des Weimarer Herzogpaares gemacht. Ein Engel und ein Kind unterwegs.
Scheinbar - wie an einer Grenze nimmt der Engel ein kleines Kind bei der Hand. Er legt ihm seinen Mantel um. Mantel heißt in der latainischen Sprache „pallium“. Nun sind beide geschützt. Keiner ist allein. Ob es den Eltern geholfen hat? Ob Luise und Carl August - die Eltern - beides gespürt haben: die große Traurigkeit und eine tiefe Geborgenheit?
Unser Bild zeigt: Einer hält die Hand, die ich loslassen muss. Einer hat einen schützenden Mantel, wenn ich nicht mehr kann. Einer legt den schützenden Mantel um, das pallium. Wenn es wenig Chance auf Heilung gibt, muss es doch eine große Bereitschaft zur Hilfe geben. Es ist wichtig, dass der Bundestag gerade mehr Geld für Palliativmedizin zur Verfügung stellte. Palliativmedizin kann an der Grenze helfen. „Palliativ“ da steckt wieder das Wort „pallium“-Mantel drinnen. Genau übersetzt könnte man sagen Schutzmantelmedizin - Medizin an der Grenze. Menschen an der Grenze brauchen Schutz und Unterstützung. Hier sieht es aus als führt der Engel das Kind geborgen über die Grenze auf eine andere Seite.
Über die Zeiten hinweg erklingen die Worte aus dem Johannesevangelium: „Christus spricht: Ich gehe hin, unter die Himmel, und sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause.“
Heute am Totensonntag reden wir über menschliches Sterben, über Abschied und Tod. Aber heute werden wir nicht nur zurückschauen auf den Weg. Wir weiten den Blick nach vorn – Ewigkeitssonntag.
Also lesen wir weiter in unserem Psalm und schreiten über die Grenze in ein neues Land – ein Heimatland. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst meine trockene Haut mit Öl und wenn ich durstig bin schenkst du mir voll ein. Komm „Wir setzen uns an den Tisch der Sehnsucht der nie leer wird“. Sagt einer.
Die Angst schwindet. Rilke schreibt:
„Wenn etwas uns fortgenommen wird, womit wir tief und wunderbar zusammenhängen, so ist viel von uns selber mit fortgenommen. Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz.“
Gott will, dass wir uns wieder finden. Wo? Wo ist diese andere Heimat dieses Zuhause?
Eine sagt: „Ich komme auch heute, nach fast zwei Jahren gern ins Hospiz. Es gehört nun zu unserem Leben, wie zum Beispiel der Kindergarten oder die Schule der Kinder. Die Zeit mit dem Hospiz hat mir persönlich die Angst vor dem Sterben genommen.“
Eine sagt: „Es muss kein Haus sein. Es gibt ein Hospiz im Herzen, nicht in Mauern! Gesucht und gebraucht wird eine Haltung, die die sterbenden Menschen und ihre Angehörigen gleichermaßen anspricht. Ihnen Raum, Selbstverständlichkeit und Schutz anbietet.“
Und dann berichtet die Pastorin: „Ich konnte sie wenige Stunden vor ihrem Tod ein letztes Mal im Krankenhaus besuchen. Es war der Ostermorgen. So las ich ihr das Osterevangelium vor.
Zum Schluss heißt es da: „Fürchtet euch nicht.“
Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz.“ Wiederfinden. Unser Psalm spricht davon, dass Gutes und Barmherzigkeit doch kein Ende haben und wir bleiben können im Hause des Herrn. Jesus sagt: Ich sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause.
Ich denke gern an meinen Freund. Ich vermisse ihn auch. Ich denke an gemeinsame Zeit. Sie war zu kurz. Stimmt das: Gott aber will, dass wir uns wieder finden. Jesus sagt: Ich sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.
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Predigt zu Johannes 5,24-29 von Heinz Behrends
„Mach’s gut, Helmut, und grüß Loki“, jemand hat seinen Abschiedsgruß für Helmut Schmidt auf einen Zettel geschrieben und den vielen Grüßen im Jägerzaun vor Schmidts Haus in Hamburg-Langenhorn hinzugefügt, dazu eine Menthol-Zigarette.
Mich bewegt die kleine Szene, nicht nur mich, die Presse hat mit Überschriften von diesem Gruß berichtet. Tröstlich heute an dem Sonntag, an dem wir unserer Toten gedenken. Was für eine erwärmende Jenseitsvorstellung vermittelt der Grüßende! Helmut wird auch in der anderen Welt leben, seine geliebte Menthol-Zigarette rauchen und vor allem, er wird seine Frau Loki wiedersehen, von der er sich nach ihrem Tod vor 5 Jahren so schmerzlich verabschieden musste. Helmut Schmidt lebt weiter bei Gott. Dieser Urtyp eines Protestanten, der als Politiker und Deuter der Weltpolitik vom Ethos Freiheit, Verantwortung und Schuld gelebt hat. Und der mit zunehmendem Alter immer mehr seine Zweifel an Gott ausgesprochen hat. Ein protestantischer Atheist, ein frommer Agnostiker, sagen einige über ihn, der sich nach 68 Ehejahren im Hamburger Michel wie ein gebrochener Mann von Loki verabschiedet und noch einmal eine neue Beziehung eingeht. Morgen wird er im Michel, dem berühmten Gotteshaus seiner Heimatstadt, auf einer großen Trauerfeier geehrt und verabschiedet. „Mach’s gut, Helmut, und grüß Loki“. Manche sagen mit humorvollem Augenzwinkern“ „Nun wird er da oben Gott die Welt erklären“.
Mich berührt das. Steckt doch hinter allem das Bild eines liebevollen Lebens bei Gott nach unserem Tod.
Wer wünscht sich das nicht heute, ewiges Leben und Wiedersehen unserer Liebsten.
Es ist ein Trost für alle, die heute unter uns im Gottesdienst sind, im letzten Jahr einen vertrauten Menschen verloren haben und Ihrer heute gedenken. Es gibt ein ewiges Leben, ja, ein Wiedersehen.
Viele sagen mir aber auch, es interessiere sie nicht, was nach dem Tode sei. Die Reaktion auf den Tod eines Menschen wie Helmut Schmidt oder eines Geliebten scheint das zu widerlegen.
Also ist es gut, unsere Glaubenszeugnisse in der Bibel zu befragen.
Die Bibel spricht von Tod und Ewigkeit in verschiedenen Texten und Bildern, die sich ergänzen, aber auch miteinander streiten. So kann ich Sie heute als Prediger bis zum Tor eines Gartens führen, einen Blick hinein wagen, weiter nicht. Aber das ist schon viel.
Ich habe Paulus als Führer bis ans Tor. Die Toten werden auferstehen beim Klang der Posaune, dann werden die Lebenden dazu kommen, dann werden wir alle mit Christus entrückt werden in den Himmel (1.Thess 4). Später wagt er ein anderes Bild: „Es wird gesät ein natürlicher Leib und auferstehen ein geistlicher Leib“ (1. Kor 15). Wir werden also auferstehen, aber in einer Gestalt, die nicht vergleichbar ist mit unserem jetzigen menschlichen Körper. Wir sterben und dann wird Gott selber uns neu erschaffen.
Auch der Evangelist Johannes lässt sich nicht auf ein Bild festlegen. „Wer glaubt dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht“, sagt er. Also kein Gericht am Ende der Zeit, sondern heute entscheide ich selber darüber, indem ich an Christus glaube oder nicht. Das ist sehr sympathisch. Keine Jenseitsvorstellungen, kein Vertrösten auf Später. Nein, jetzt entscheide ich selber über mein Leben. Ich habe das selber in der Hand. Klingt gut für den modernen Menschen, der alles selbst bestimmen will. Allerdings bekomme ich ewiges Leben nur durch meine Beziehung zu Christus, wenn ich glaube, er ist der Gesandte Gottes. Was wird aus Helmut Schmidt, der gesagt hat, „Ich glaube nicht, dass Gott seinen Sohn geschickt hat“. Er verstehe das Reden der Kirche von Trinität und der Betonung von Christus nicht. Wird Gott in sein Herz schauen und würdigen, dass er beeindruckend Bach-Choräle auf der Orgel spielen konnte, dass er den frommen Dichter Matthias Claudius seinen Lebensbegleiter nennt? Der Weltpolitiker hält sich an den frommen Familienvater aus Wandsbek. Wird Gott ihn würdigen? Gott wird es wissen. Die Lebenden richten selber durch ihren Glauben über ihr Leben. Das gilt auch für die Toten. Sie werden die vertraute Stimme Christi wiedererkennen. Also, wir sind mit ihm bei Gott. Gut aufgehoben.
Das sehe ich, wenn ich in den Garten schaue.
Aber es hat schon damals den Lesern des Johannes-Evangeliums nicht genügt. Denn eine Frage hat sie gequält: Ist denn am Ende für alle alles gut? Und sie haben im Johannes-Evangelium hinzugefügt „ Es kommt die Stunde, es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes“. Es gibt böse Menschen. Sie werden gerichtet werden. Beruhigt mich das heute nach den Anschlägen vom letzten Wochenende in Paris? Es muss doch eine Gerechtigkeit geben. Menschen rufen „Allah ist groß“ und erschießen Menschen, die den letzten warmen Novemberabend vor den Cafés genießen oder ihre Lieblingsmusik hören. Sie versuchen, ein Chaos anzurichten, wo Menschen sich am Fußball erfreuen. Anschließend sprengen sie sich in die Luft und meinen, etwas Gutes getan zu haben. Wir sind fassungslos, ratlos und ungläubig, wenn wir die ritualisierten Betroffenheitsformeln hören, die großen Worte der Politiker, alle ernst gemeint, aber am Ende hilflos. Gewalt ist ein Erfolgsmodell. Darum umso mehr: Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, werden die Mörder es einmal vor einem Gericht verantworten müssen. Wenn es kein Gericht gäbe, dann wäre doch alles egal auf dieser Welt. Dann könnte doch jeder ungestraft tun und lassen, was er will. Das mag ich nicht denken.
Jesus selbst bestätigt ja im Evangelium von heute aus Matth 25, dass in dem Garten ein Richtertisch aufgebaut ist. „Was Ihr nicht getan habt einem meiner geringsten Brüder! .. Sie werden hingehen zur ewigen Strafe“. Muss ich mein Bild von dem Blick durch die Gartenpforte aufgeben und von der Hölle reden? Nein, Hölle erleben wir schon auf Erden, in Syrien, in Afghanistan, im Jemen, auf den Fluchtwegen der Flüchtenden, in den Hirnen der Schlepper, in den Drogengeschäften in Mexiko.
Jetzt bin ich schnell bei den anderen, den offensichtlich bösen Menschen. Gott wird sie richten, ich muss Gott sei Dank nicht der Richter sein.
„ER wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten“. Das glaube ich.
Und ich? Gehöre ich zu den Guten? Ich sehe meinen Kleinglauben, der sich seines Glaubens an Christus nicht immer sicher ist.
Und erwarte ein Gericht. Und das ist gut so.
Denn wir haben ein Recht darauf –so mein theologischer Lehrer Fulbert Steffensky- einmal unverhüllt vor dem Antlitz Gottes zu stehen, wo und wie auch immer – das weiß nur Gott“, sagt er. Ich möchte am Ende erkennen, wer ich bin und was ich war. Ja, es ist eine Frage der Würde, dass ich vor Gott und mir selber nicht versteckt bleibe. Wir entgehen unserem Schmerz über uns selbst nicht, wenn wir unser Ungenügen, unsere eigene Bosheit erkennen, sagt er. Ich habe mein Leben gelebt mit Gelingen und mit Mühen und mit Versagen. Ich will, dass Gott das noch einmal anschaut, wenn ich nackt vor ihm stehe. Es kommt ja immer darauf an, vor wem ich nackt da stehe. „Er kennt unseres Herzens Grund“, so Psalm 44.
Ich schließe dieses schwere Kapitel, was nach meinem Tod ist und nach dem Tod meiner Liebsten und meiner Feinde:
Es gibt ein Leben bei Gott. Es gibt ein Gericht. Ich werde in einer anderen Gestalt bei Gott leben. Ich habe dafür heute Bilder, einen Blick durch das Gartentor. Wir werden nicht wieder geboren werden und auf die Erde zurückkehren. Wir werden bei ihm sein und er bei uns.
Helmut Schmidt wusste sich durch Matthias Claudius getröstet. Ich auch. Darum am Ende mit einem seiner schönsten Gedichte ein letzter Blick durchs Gartentor:
Der Mensch
Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar
Kömmt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
und bringt sein Tränlein dar;
verachtet und verehret,
hat Freude und Gefahr;
glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält nichts und alles wahr,;
erbauet und zerstöret;
und quält sich immerdar;
schläft, wachet, wächst und zehret;
trägt braun und graues Haar etc.
Und alles dieses währet,
wenn’s hoch kommt, achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Väter nieder,
und er kömmt nimmer wieder.
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Predigt zu Johannes 5,24-29 von Jochen Arnold
Predigt zu Joh 5,24-29
Liebe Gemeinde,
dem Philosophen Immanuel Kant werden vier große Fragen zugeschrieben, die er sich und der Menschheit gestellt hat: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was kann ich hoffen? Was ist der Mensch?
Ich möchte heute „nur“ die dritte Frage bearbeiten, deren Antwort – wie der Philosoph meint – die Religion geben soll: Was kann ich hoffen? Worauf dürfen wir hoffen?
Viele von Ihnen wird diese Frage heute besonders umtreiben, weil Sie im letzten Jahr einen lieben Menschen verloren haben. Wo ist er jetzt? Geht es ihm gut? Oder anders: Wird es ihm dereinst gut gehen!? Werden wir uns wiedersehen? Bei Gott?
Diese Fragen bekommen angesichts der schrecklichen Ereignisse in Paris letzten Freitag noch einmal eine ganz andere Dramatik. Viele haben zu mir gesagt: Uns alle hätte es treffen können. Der Terror ist mitten unter uns. Wir leben nicht auf „sicheren Seite“ des Erdballs… Nicht nur kranke und alte Menschen, wir alle sind mitten im Leben vom Tod „umfangen“. Martin Luther dichtet im Anschluss an einen mittelalterliche Antiphon:
Mitten wir im Leben sind / mit dem Tod umfangen.
Wer ist’s der uns Hilfe bringt, / dass wir Gnad erlangen?
Mitten in dem Tod anficht / uns der Hölle Rachen.
Wer will uns aus solcher Not/ frei und ledig machen?
Hören wir nun auf Worte aus dem Johannesevangelium im 5. Kapitel. Jesus sagt:
24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. 25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. 26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; 27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. 28 Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden 29 und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.
I Wer glaubt, ist „schon durch“
Ich bin froh, liebe Mitchristen, dass Jesus kein zweideutiger Orakelprophet ist. Keiner, der mal so, dann wieder so redet, unberechenbar, wie ein Aal. Nein, gerade dann, wenn es ans Eingemachte – um Tod und Ewigkeit - geht, dann redet er nicht um den heißen Brei herum, sondern macht klare Ansagen: Amen, ich sage euch. Das was jetzt kommt, ist bestimmt wahr, darauf könnt ihr euch verlassen. Manches lässt uns in dieser Rede Jesu zusammenzucken. Sie fordert uns heraus, lässt aber auch neue Hoffnung entstehen, ja vielleicht sogar süßen Trost aufleuchten.
Hören wir eine kurze Geschichte!
Ein Angeklagter, nennen wir ihn Rolf P, sitzt in Untersuchungshaft. Seit Wochen fiebert er dem Tag der Verhandlung entgegen. Es steht viel auf dem Spiel. Er weiß, er ist nicht unschuldig. Alkohol am Steuer, Fahrerflucht und sogar eine schwere Körperverletzung werden ihm zur Last gelegt… Die Nächte waren furchtbar. Die beklemmende Frage: Was tue ich, wenn ich verurteilt werde? Was ist dann mit meiner Ehe, mit meiner Familie? Suizidgedanken machen sich breit. (Sein Anwalt hatte zwar ein Gnadengesuch eingereicht, aber er wagt kaum, an einen Erfolg zu glauben.) Am frühen Morgen des Verhandlungstages bekommt er jedoch eine Nachricht: Die Sitzung ist abgesetzt, das Verfahren ist beendet. Freispruch. Rolf kann es kaum fassen vor Glück. Schuldig und doch frei.
Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der kommt nicht in das Gericht….
Ich meine, liebe Schwestern und Brüder, dass uns allen dieses Wort gesagt ist. Wer an Jesus glaubt, muss sich vor nichts fürchten. Er sagt:
Hab keine Angst! Ich bin die Auferstehung in Person, ich stehe auch für dich und dein Leben ein. Ich erhebe am letzten Tag meine Stimme für dich. Neues, ewiges Leben ist dir versprochen, du darfst direkt durchgehen zu Gott. Deine Schuld ist durchgestrichen, das Gericht ist „gecancelt“.
Gibt es etwas Größeres und Schöneres? Also eine erste kräftige Antwort auf Kants Frage: Christen glauben und hoffen, dass
alle, die an Christus glauben, geglaubt haben oder glauben werden, schon jetzt freigesprochen sind. Sie leben. Ihre Beziehung zu ihm trägt sie durch, wenn das große Buch aufgeschlagen wird… Sie bleiben lebendig in dieser Beziehung auch über den Tod hinaus. Ein großes Wort an alle, die auf den Namen des dreieinigen Gottes getauft sind.
Gemeinsames Lied: EG 66,4 und 8
Jesus ist kommen, der Fürste des Lebens, / sein Tod verschlinget den ewigen Tod. /Gibt uns ach höret’s doch ja nicht vergebens, /ewiges Leben, der freundliche Gott. /Glaubt ihm, so macht er ein Ende des Bebens. /Jesus ist kommen der Fürste des Lebens.
II Gericht der Werke
Ein Ende des Bebens – für die, die an ihn glauben… Welche eine Perspektive! Damit ist nun freilich nicht gesagt, dass es gar kein Gericht mehr geben wird.
Verstehe ich Johannes recht, dann gibt es ein letztes Forum. Im Gericht der Werke werden alle (Nichtglaubenden) zur Rechenschaft gezogen. Hier kommt die Wahrheit ans Licht. Alle, die unterdrückt, ausgebeutet, vergewaltigt oder misshandelt worden sind, bekommen Recht, ihre Seelen werden heil. Auch diejenigen, die Kranke besucht und Flüchtlingen geholfen haben, sei gesagt: Gott sieht es. Es ist nicht umsonst geschehen. Umgekehrt: Auch die Täter müssen sich verantworten. Die Greuel kommen ans Licht. Ohne diese Zurechtbringung wird es keinen Frieden, keine Ewigkeit geben.
Was ist dann mit den Tätern? Mit denen, die Millionen veruntreut oder gelogen und getötet haben? Die Kinder missbraucht oder Flugzeuge abgeschossen haben? Wo werden sie sein? Haben auch sie, wenn alles auf den Tisch kommt, eine Chance? Oder haben sie ein für allemal verspielt? Gibt es womöglich doch eine Versöhnung von Tätern und Opfern!?
Machen wir uns zunächst deutlich, was bei Johannes über sie gesagt und NICHT über sie gesagt wird.
Der Menschensohn Christus ruft in seiner schöpferischen Kraft alle Menschen aus dem Tod ins Leben, keiner bleibt seinem Machtwort, seiner Wirkung entzogen. Die Vorstellung, dass die Welt oder alle Menschen in ein Nichts gehen, ist damit ausgeschlossen. Wir erfahren auch nichts über einen Zwischenzustand, z.B. über ein reinigendes Fegefeuer, das davor gewesen wäre. Auch über zeitliche Strafen im Leben hier und jetzt erfahren wir nichts. Und zuletzt – dies mag überraschen – steht hier nichts von einer ewigen Verdammnis (im Gegensatz zu Matthäus 25).
Ich denke: Was ein Mensch an Gutem und Bösem in seinem Leben getan hat, wird zur Sprache kommen. Nichts geht verloren. Keine gute Tat, die Menschen an anderen öffentlich oder im Verborgenen getan haben, wird bei Gott vergessen sein, auch nicht die guten Taten derer, die „Böses getan haben“. Ich frage uns überhaupt: Gibt es denn eine Trennlinie zwischen Menschen, die Gutes und Böses tun? Wer möchte sich anmaßen, diese Trennlinie zu ziehen!? Ich bekenne klar: Diese Trennlinie kann nur Gott ziehen. Und selbst mit diesem Wissen fällt es mir schwer zu glauben, dass die Werke in diesem Gericht das einzige Kriterium sind, wonach das Urteil gefällt wird.
Worauf können wir hoffen, fragt uns Kant?
Liebe Gemeinde, ich setze meine Hoffnung auch für diese Situation nur auf einen, auf Christus selbst.
Der Richter – sagt Johannes - ist der Menschensohn, der von sich sagt, dass er ein guter Hirte ist. Einer, der sein Leben für die Schafe gibt, für alle Schafe. Für alle Menschen gibt er sich dahin, nicht für einige wenige. Und ist uns allen vorausgegangen. In seines Vaters Haus hält er viele Wohnungen bereit, ja auch für Schafe, die zu einem „anderen“ Stall (Joh 10,17),also z.B. einer anderen Religion, gehören.
Ich gebe zu. Wir begeben uns damit in den Bereich der Spekulation. Was hier anklingt, ist in gewisser Weise „Zukunftsmusik“. Aber eben kein Angstszenario mit Drachen, Höllenrachen und Zähneklappen. Alle Menschen begegnen am Ende dem, der am Morgen der Schöpfung dabei war und der die Nacht des Kreuzes ausgehalten hat. Dem, der nicht im Grab geblieben ist, sondern unvergängliches Leben ans Licht gebracht hat. Das gibt uns Hoffnung auch für unsere Verstorbenen, von denen wir ja alle nicht genau wissen, was sie in ihrem Leben Gutes oder Böses getan und wie stark sie geglaubt haben. Hoffnung aber auch für die Menschen anderer Religionen, die zu Lebzeiten nicht an Jesus geglaubt haben oder glauben konnten und doch in ihrem Herzen „fromm“ waren.
Nochmals: Unsere Toten stehen im Gericht keiner grauen Eminenz oder einem grässlichen Sensenmann gegenüber. Der Mensch gewordene Gott, dessen inneres Wesen Güte ist es. Auch den Kämpfern der IS, auch den Schergen der KZs, auch den Vergewaltigern . Alle hören sie seine Stimme. Werden sie ihm dann glauben? Dürfen dann auch sie mit ihm „durchgehen“?
Ich habe die Hoffnung, liebe Gemeinde, dass dann auch harte Herzen durch sein wahrhaftiges und liebendes Wort überwältigt werden….
III. Aufstehen jetzt
Doch lasst uns zuletzt der Gegenwart ins Auge sehen. Die Pointe der Verkündigung Jesu im Johannes-Evangelium besteht darin, dass das Leben hier und jetzt beginnt und dass die Macht des Todes schon jetzt ein Ende hat.
Menschen, die total isoliert waren, bekommen durch den Glauben neue Perspektiven. Sie werden frei, wie Rolf in unserer Geschichte. Wer diese Befreiung erfährt, entdeckt die Gesichter und Hände der Anderen: Denn Jesus ruft uns in eine Gemeinschaft. Christsein ist eben nicht Privatsache für ein paar fromme Eigenbrötler. Es wird zusammen gelebt und gegessen, gebetet und gesungen. Gemeinsam kommen wir ans Ziel.
Wo wir heute seine Stimme hören, bleiben wir nicht bei uns allein, auch nicht nur in einer frommen Gruppe, sondern treten heraus ins Licht seiner Welt: Jesus ist nicht nur Weg und Tür zum Vater, sondern auch Licht und Leben für diese noch immer existierende Welt mit all ihren schönen und schrecklichen Seiten.
Mit ihm können wir uns gemeinsam dem Leben in die Arme und dem Tod entgegen werfen. Darum lasst uns gegen Gewalt und Terror eintreten in diesen Tagen. Voller Hoffnung, dass über alle Grenzen menschlichen Lebens hinweg „sein“ Friede schon da ist.
In dieser Hoffnungskraft zerbrechen die Ketten des Todes. Was im Angesicht des Grauens von Paris kaum vorstellbar scheint, ist wahr. Seit Ostern haben sich die Dinge gedreht. Der leibliche Tod – das ist kein Zynismus – kann uns nicht alles nehmen.
Lasst uns singend aufstehen und glaubend hoffen und alles auf eine Karte setzen: auf den, der Tod und Hölle in Schach hält, bis Gott alles in allem sein wird.
Jörg Zink hat einmal gedichtet:
An Ostern, o Tod, war das Weltgericht
Wir lachen dir frei in dein Angstgesicht.
Wir lachen dich an, du bedrohst uns nicht.
Wir folgen dem Christus, der mit uns zieht.
Stehn auf, wo der Tod und sein Werk geschieht.
Im Aufstand erklingt unser Osterlied.
Gemeinsam singen (LebensWeisen 35,3-4)