KIRCHENTAG – ELBWIESEN – LUTHER und JESUS – Predigt zu Johannes 7,37-39 von Axel Denecke

KIRCHENTAG – ELBWIESEN – LUTHER und JESUS – Predigt zu Johannes 7,37-39 von Axel Denecke
7,37-39

1.
Heute ist Kirchentag – die große Abschlussveranstaltung in Wittenberg. An die 100.000 Menschen oder gar noch mehr sollen in dieser Stunde auf den Elbwiesen zusammen kommen. Hoffentlich geht alles gut, in diesen Tagen von Manchester und anderswo. Es wird, so vermute ich, viel von Martin Luther erzählt werden, von seinem „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ in Worms anno 1521, von seinem Leitwort: „Der Christ ist (im Glauben) ein freier Mensch und niemanden untertan. … Und der Christ ist (in der Liebe) ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan“. Große Worte, die wir noch längst nicht eingeholt haben, denn wir hinken dem allem noch meilenweit hinterher.

„Luther wollte mehr“, lautet daher die Parole von Eugen Drewermann, dem ehemals katholischen Priester, der seiner Kirche Adieu gesagt hat und – ohne offiziell Protestant zu werden – sich ganz Luther und der “Freiheit eines Christenmenschen“ zu verschreiben. Er bezeichnet die nicht die ominösen 95 Thesen anno 1517 vor oder neben der Schlosskirche zu Wittenberg als Beginn der Reformation, sondern eben das Wort, das Luther so oder ähnlich auf dem Reichstag zu Worms vor Karl. V gesagt haben soll. „Hier stehe ich – ich kann nicht anders – Gott helfe mir“. Ein einfacher kleiner Mönch gegen die ganze geballte katholische Macht, auch gegen die Gewalt des Kaisers, ja der ganzen Welt. Ein Einzelner mutig gegen alle. (Nur nebenbei: Ich denke, Eugen Drewermann findet sich da selbst sehr wieder. Er ist ja auch ein Einzelner, der der geballten Macht der katholischen Kirche Paroli geboten hat, es immer noch tut).

Nicht umsonst wird ja gesagt: Luther entdeckt die unbedingte Selbst-Verantwortung des einzelnen Individuums. Keiner kann mir in meinem Glauben (ein freier Mensch bin ich und niemandem untertan) rein reden. Keine kirchliche Autorität, weder damals katholisch noch heute protestantisch und lutherisch. Ich höchst selbst bin „reichsunmittelbar“ (so hat es einst Helmut Thielecke aus Hamburg gesagt) zu Gott, bin allein und nur allein für meinen Glauben und auch für mein Leben verantwortlich.
Er also, der kleine Mönchen mit seinem unbändigen Glauben gegen den Rest der Welt, gegen Kirche und Kaiser und gegen wen auch immer, auch gegen die innerprotestantischen Konkurrenten, die es bald gab.
Das ist Reformation. Daran wird - so hoffe ich - heute (jetzt gerade) in Wittenberg erinnert.

2.
Nun kann man solch eine extrem individualistische Haltung von Luther (auf mich als Einzelnen kommt es an) je nach Geschmack naiv und stur oder auch hochmütig, selbstverliebt und überdreht oder auch weltfern und versponnen oder eben auch mutig und glaubenskonsequent finden. Vielleicht ist ja bei Luther von allem etwas dabei gewesen. Wie kommt er aber dazu, so konsequent zu glauben, sich von keiner äußeren Autorität beirren zu lassen, wirklich „reichsunmittelbar“ zu Gott zu sein, keine Mittlerinstanz zwischen ihm und Gott dazwischen. Wie kommt er dazu? Und vor allem: Wie können auch wir dazu kommen, wenn wir denn in seiner Tradition stehen wollen, versuchen, stehen zu wollen?

3.
Dazu kann uns der heutige Predigttext weiter helfen. Jesus – so hat es der Evangelist Johannes komponiert – kommt zum ersten Mal in seinem Leben nach Jerusalem, in die Metropole des offiziellen Glaubens. Jesus, in den Augen der Kirchenmächtigen der damaligen Welt auch nur ein ungelehrter einfacher „Mönch“ aus dem gottverlassenen Nazareth oder Wittenberg oder sonst wo im Abseits der großen Welt. Die Parallelen fallen schon auf. Dieser Jesus tritt also im Tempel (in der Peterskirche in Rom), in der Hochburg des offiziellen von allem mit Kopfnicken gut geheißenen Glaubens auf und predigt „vollmächtig“. Vollmächtig (so Matthäus in der Bergpredigt) aus Gott heraus „und nicht wie unsere Schriftgelehrten“, die die offizielle Lehre verwalten. Vollmächtig, d.h., vom Geist Gottes bevollmächtigt, nicht aus eigener Vollmacht heraus, sondern aus einer Vollmacht, die ihm von Gott verliehen ist. Ich kann auch sagen: Aus der Vollmacht Gottes heraus, die Jesus bei der Taufe am Jordan glaubt von Gott empfangen zu haben. „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“, wie es bei Markus heißt. Jesus also vollmächtig, er allein gegen alle anderen. Die Menschen müssen etwas von seiner inneren Vollmacht gespürt haben, sonst hätten sie sich nicht im Pro und Contra mit ihm so auseinander gesetzt. Vollmächtig, aus Gott heraus, reichsunmittelbar zu Gott. Kein Mensch, keine Tradition, keine offizielle Lehre dazwischen. So predigte Jesus damals auf seiner ersten Reise nach Jerusalem, zum Laubhüttenfest, eines der wichtigsten Feste der damaligen Judenheit.

4.
Und was sagt er da am Ende? „Wenn jemand dürstet, komme er zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wasser fließen“. Wie kann Jesus das sagen? Ist er – ich wiederhole jetzt, das was ich grad eben von Luther sagte - ist er naiv und stur oder hochmütig und überdreht oder weltfern und versponnen oder einfach nur mutig und konsequent in seinem Glauben an Gott? Ich denke, es ist das Letzte. Bevollmächtigt von Gott – so empfindet er sich jetzt, nach dem umwerfenden Erlebnis seiner Taufe – bevollmächtigt von Gott tritt er auf, klar und konsequent und unbeirrt und redet selbst vollmächtig, ausgestattet mit Vollmacht. Also, nicht aus sich selbst heraus, weil er ein so toller und glaubensstarker Mensch ist, sondern eben weil er bevollmächtigt ist von Gott selbst, mit dem Geist Gottes ausgestattet, der ihm diese vollmächtige Predigt erst ermöglicht.

„Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke“. Es geht hier natürlich um den Lebensdurst, den jeder hat, es geht darum, dass mein Leben einen inneren Sinn erhält, dass ich Zweck und Ziel meines Lebens erkenne. Das lernt ihr bei mir, sagt Jesus, nur bei mir. Denn Gott hat mich auserwählt. In der Taufe bin ich von ihm adoptiert worden, Euch das zu sagen. Ich kann gar nicht anders, als es zu tun, ich muss es tun, sonst würde ich Gott ungehorsam sein. Also: „Hier steh ich – ich kann nicht anders – Und Gott wird mir helfen“.

„Orientiert euch an Jesus“, werden später kluge Nachfolger von ihm sagen. Orientiert euch an seinem Leben, an seinem Lebensstil, ja und am Ende auch am Stil seines Sterbens, also an seinem ganzen Leben, an seinen Worten und noch mehr an seinen Taten. Lebt so, wie er gelebt hat, dann gelingt euer Leben. Und da kann keiner dazwischen reden und euch mit klugen theologischen Weisheiten (sei es von den Schriftgelehrten damals oder, von Kirchenfürsten heute) beirren. „Wenn jemand  dürstet, so komme er zu mir und trinke“.

Ja, das ist ein Aufruf an die Menschen damals und natürlich auch an uns heute. Und da Frage an uns ist: Trinken wir denn bei Jesus? Nehmen wir ihn auf zu uns, gar in uns, so das “Ströme lebendigen Wassers“ aus unseren Glauben heraus entstehen, Ströme des Rechts und der Gerechtigkeit einer nie versiegenden Quelle, wie es einst schon der Prophet Amos (Kap5,21-24) gesagt hat? Diese Frage zu stellen, heißt gleichzeitig auch, sie im Normalfall mit NEIN zu beantworten. Denn sehe ich mich um, in mir selbst und bei anderem, so sehe ich weit und breit recht wenig davon. Und das hat leider auch seinen Grund.

Unser kurzer Predigttext schließt mit den Worten. „Das sagte Jesus aber in Bezug auf den Geist, den alle empfangen sollten, welche an ihn glaubten. Denn den (heiligen) Geist gab es (damals zu Lebzeiten Jesu) noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht (also gestorben und im Geist auferstanden) war“: Also: Nach Jesu Tod und mit seiner Auferstehung ins Leben der gläubigen Menschen sollen diese den Geist Gottes empfangen, so wie ihn Jesus bei der Taufe empfing. Und mit diesem Geist Gottes, dem Stellvertreter Jesu und Helfer der Menschen, sollen, dürfen ja müssen gläubige Menschen im Geiste Jesus auftreten, sollen, dürfen, ja müssen sie reden wie er, handeln wie er, die Welt gestalten wie er. Das ist toll, das ist anspruchsvoll, leider ist es zu anspruchsvoll.

Denn Frage an uns: Sind wir das denn? Und die eindeutige Antwort. Wir sind es nicht, wohl kaum einer von uns. Wir bleiben meilenweit hinter diesem Anspruch zurück. Aus uns fließen nicht Ströme lebendigen Wassers, so dass keinem mehr dürstet. Wir sind trotz unsres bekennenden Glaubens leider – Gott sei‘s geklagt -- recht mittelmäßig, ja dürftig. Dabei ist uns doch der Geist Gottes zugesagt. Jesus sagte am Ende seines Lebens selbst zu seinen Jüngern (und  sicher auch Jüngerinnen). Wenn ich mal fort bin, so kommt der Geist als mein Stellvertreter auf euch, dringt in euch ein und dann könnt ihr reden und handeln und lebenwie ich. Pfingsten  ist ja dann das Fest wo er der Geist Gottes auf alle Gläubigen verschwenderisch ausgegossen wurde. Wir haben ja die Chance und auch die Aufgabe, in seinem Sinne zu handeln, zu reden, zu leben. Doch wir tun es leider nicht oder eben im besten Sinne, viel zu wenig, Gott sei‘s geklagt.

5.
Und da sind wir eben am Ende wieder bei Luther und bei der Reformation. „Hier stehe ich – ich kann nicht anders – Gott helfe mir“ Und weiter „Der Christ ist (im Glauben) ein freier Mensch und niemanden untertan. Der Christ ist (in der Liebe) ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan“.- Das ist, Wort für Wort, Jesus pur. So hätte er aus seinem unbändigen Vertrauen auf Gott, seinem liebenden Vater, auch reden können. An dieser Stelle sind Luther und Jesus, so sehr sie auch vieles trennt, so sehr Luther niemals an die Glaubenskraft Jesu herankommt, so sehr er das auch selbst weiß und sich über sich beklagt - doch an dieser Stelle sind sie identisch. Der Christ, ja jeder Mensch ist „reichsunmittelbar“ zu Gott und keine Kirche, kein Priester, kein Bischof, kein Schriftgelehrter, kein neunmal kluger Theologe hat ihm da dazwischen zu reden.

Diese Einsicht hat Luther sich hart erkämpft im Ringen mit Gott, bis er den gnädigen Gott für sich entdeckt hat, der ihn nicht strafen will ob alle seiner falschen Taten und seines Irrglaubens, sondern der ihn beflügeln, ermuntern anstacheln will zu einem Gott wohl gefälligen Leben in dieser Welt. „Es ströme aber wie Wasser das Recht und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Amos 5,24), wie es 700 Jahre vor Jesu bereits der Prophet Amos ausgedrückt hat, auch er ein Reformator seiner Zeit, der sich mit König und Priesteraristokratie als einfacher Viehhirt und Maulbeerbaumzüchter (Amos 7,14) angelegt hat: Ja, eine klare Linie führt vom Viehhirten Amos aus der Provinz zum Zimmermannssohn Jesus aus der Provinz hin zum kleinen Mönch der Provinz aus Wittenberg.

Und wohin führt diese Linie heute weiter? Wo können wir sie heute entdecken? Jetzt gerade in Wittenberg auf den Elbwiesen, wenn 100.000 Menschen die schönen Worte von Frau Käßmann oder Herrn Bedforth-Strohm oder wen auch immer lauschen? Hoffentlich! Ich würde es mir sehr wünschen. Und ich sage jetzt nicht: Leider nicht. Denn ich vertraue darauf, dass der Geist Jesu auch heute in Wittenberg sein Wesen treibt, dass er die Menschen, die da reden und singe und spielen mit Vollmacht erfüllt und dass sie alle zusammen vollmächtig wie Jesus von Gottes Liebe zu uns allen Zeugnis ablegen. Ach was, nicht nur Zeugnis ablegen, sondern diese Liebe Gottes auch leibhaft wahr werden lassen, mitten unter uns.

Das ist dann Reformation heute. Reformation unserer Herzen, Reformation unseres Handelns. Vielleicht gar Reformation unseres Glaubens.

Perikope
28.05.2017
7,37-39

Wiedersehen im Herzen – Predigt zu Johannes 16,16-23 von Elisabeth Tobaben

Wiedersehen im Herzen – Predigt zu Johannes 16,16-23 von Elisabeth Tobaben
16,16-23

Liebe Gemeinde,

„Normalerweise“ steht auf einem Patenschein zu lesen, dass jemand Mitglied dieser oder jener Kirchengemeinde ist und das Recht hat, ein Patenamt auszuüben.
Das klingt sehr formalistisch und rechtlich.
Auf dem Formular einer Patin für die Taufe der kleinen E. am vorigen Sonntag in unserer Inselkirche fand ich einen hinreißenden Zusatz: „Wir wünschen Frau N. für diese schöne Aufgabe die richtigen Worte und angemessene Begleitung, um mit ihrem Patenkind einen guten, gelingenden Weg zu gehen, der einladend auf Gott und seine in der Taufe versprochene Liebe weist.“ Das hat mich sehr angerührt.
Mitgehen, auf Gottes Liebe hinweisen, zum Glauben einladen – kann man schöner beschreiben, worum es in der Gemeinde geht?
Zum Glauben einladen, auf die Liebe Gottes hinweisen, mitgehen - das ist auch die Absicht des Verfassers des Johannesevangeliums (Joh 20,31).
Aus seinem Buch ist uns heute ein Text zum Nachdenken vorgeschlagen ist, er steht im 16. Kapitel:

Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt? Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet. Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und er sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll sich in Freude verwandeln. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen. (Joh 16,16-23)

Das ist nun allerdings ziemlich eigenartig.
Was soll das? Ein Abschnitt aus den Abschiedsreden Jesu, mitten in der österlichen Festzeit? Ist das Absicht, dass ich sofort wieder mit den Bruchstücken meiner Lebensgeschichte konfrontiert werde, Assoziationen habe, die die Schattenseiten und das Düstere, Schmerzen und Traurigkeit hervorholen? Irgendwie ärgerlich. Kann man denn nicht einmal im Jahr, wenigstens in der Osterzeit, über Freude nachdenken, ohne sofort wieder ausgebremst zu werden?
Ich merke: Ich brauche Abstand. Historischen Abstand.
Durch die Verse aus dem Johannesevangelium scheinen sich für mich fast wie von selbst verschiedene Ebenen übereinander zu schieben. Bilder gehen wie in Überblendtechnik ineinander über. Als Leserin kann ich eintauchen in verschiedene Zeiten und Situationen, Länder und Gemeinden, Sprachen und Religionen.
Farben und Gerüche, Geräusche und Stimmen mischen sich in meiner Vorstellung, vermischen sich mit meinen Hoffnungen und Träumen , Ängsten und Traurigkeiten.
Bilder sind mir vor Augen, auf denen Jesus mit seinen Jüngern unterwegs ist durch Galiläa, vor Ostern natürlich. Er predigt, er lehrt, wie so oft in den letzten Jahren, während sie mit ihm unterwegs waren.
Aber heute klingt es irgendwie anders, was er sagt, rätselhaft, unverständlich. Denn Jesus hält Abschiedsreden. Ausführlich.
Er führt lange Gespräche mit den Jüngern, will sie offensichtlich nicht zu sehr erschrecken, aber doch vorbereiten darauf, dass sie sich bald ohne ihn werden zurechtfinden müssen in dieser Welt. Ein schwieriger Versuch!
Können sie ihn denn überhaupt verstehen? Ahnen sie, was kommen wird? Werden sie vielleicht versuchen, zu verhindern, dass Jesus nach Jerusalem geht? Werden sie versuchen, ihn herauszufordern, damit er endlich die Macht ergreift, die Römer vertreibt und für Ordnung und Frieden sorgt?
Judas ist schon dabei, es zu versuchen und wird grandios damit scheitern.
In diesem kurzen Auszug aus den Abschiedsreden Jesu liegt der Tenor aber eher darauf, dass seine Zuhörer*innen verwirrt sind. Überfordert. Sie wagen noch nicht einmal, ihn selbst zu fragen: „Wie meinst du das, was du da sagst? Warum werden wir dich eine Zeit lang nicht sehen? Was hast du denn vor? Willst du uns etwa im Stich lassen?“
Sie erörtern erst einmal untereinander, ohne ihn, was er wohl gemeint haben könnte.
Jesus aber ahnt ihre Fragen, spricht von kommender Traurigkeit, heulen und schreien würden sie, sagt er. Sie würden der Schadenfreude der Verfolger ausgesetzt, die froh sein werden, wenn sie es endlich geschafft haben, den Störenfried Jesus zu beseitigen, nicht mehr gestört werden in ihren festgefahrenen religiösen Bahnen. Keine schöne Perspektive!
Wird es leichter, das zu verstehen, durchzuhalten, durch das Stichwort von der „kurzen Zeit“, der „kleinen Weile“?
Nach dem Motto: ist ja nicht so schlimm, es dauert gar nicht lange?

Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. (Joh 16,22)

Wiedersehensfreude? Woher soll sie denn kommen?
Und was ist überhaupt Freude? Man kann sie schließlich nicht verordnen wie ein Medikament. Wie alle Emotionen ist sie entweder einfach da, oder sie will sich nicht einstellen. Sie ist auch längst nicht so eindeutig, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte.
Freude kann zu Freudensprüngen führen, zum ausgelassenen Jubel, aber genauso zu Tränen.
Jubilate?!
Kann eigentlich keine Anordnung sein, kein Befehl: Jubelt! Freut euch!
Am nächsten kommt dem vielleicht der Satz: „Ich möchte dir eine Freude machen!“
Denn das heißt auch: „Du bist mir wichtig, ich möchte etwas dazu beitragen, dass es dir gut geht.“
Freude hat ganz entscheidend mit Beziehung zu tun, mit Liebe.
„Ich werde euch wiedersehen“, sagt Jesus und damit hängt die Freude zusammen, die er ankündigt.
Und jetzt –kurz vor Pfingsten- liegt es nahe, den Geist Gottes ins Spiel zu bringen als Urheber der Freude, der zeigt, dass man –„Wiedersehen“ sehr viel umfassender betrachten kann.

Der Evangelist Johannes hat den Entschluss gefasst, seine gesammelten Texte für seine Gemeinden zu Papier zu bringen und zu veröffentlichen. Jetzt –so stelle ich mir vor- sitzt er und diktiert seine Überlegungen einem Schreiber, vielleicht an einem plätschernden Brunnen in einem orientalisch gestalteten Innenhof einer Karawanserei, in einem Zelt in der Wüste, vielleicht in einem Haus in Ephesus...
Er spricht über seine Deutung dessen, was er gesammelt und gelesen hat über Jesus.
Das Ziel ist völlig klar, er benennt es auch selbst zum Schluss seines Buches:
„Diese (Zeichen) sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das ewige Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,31)
Johannes möchte vor allem seine Begeisterung für Jesus von Nazareth, für den auferstandenen Christus, für den Messias mit Menschen teilen, die in einem ganz anderen Kulturkreis groß geworden sind. Die Griechisch sprechen und nicht Aramäisch (wie Jesus), ganz andere religiöse Wurzeln haben und trotzdem verstehen sollen, worauf es ihm ankommt.
„Wie mache ich das bloß?“ fragt er sich, beginnt einen Satz, verwirft ihn wieder, beginnt neu, versucht es noch einmal.
Welche Zeichen Jesu soll ich aufnehmen in mein Büchlein, fragt er sich, welche sind so aussagekräftig, dass sie meine Leserinnen und Leser überzeugen werden? Welche sind eher eine Doppelung, welche vielleicht zu zweideutig und missverständlich?
Und Johannes erzählt aus dem Leben Jesu, so, als wären seine Leserinnen und Leser gerade eben noch dabei gewesen, als wären sie selbst die Adressaten der Abschiedsreden, gut achtzig bis neunzig Jahre nach Ostern.
Und dann: Gottesdienst in der johanneischen Gemeinde des zweiten Jahrhunderts:
Die versammelte Gemeinde singt wie immer am zweiten Sonntag im Osterfestkreis den 66. Psalm:
„Jauchzet dem Herrn alle Welt, lobsingt zur Ehre seines Namens, rühmt ihn herrlich!
Sprecht zu Gott: Wunderbar sind deine Werke, deine Feinde müssen sich beugen vor deiner großen Macht...“ (Ps 66,1-3)
Der Text des Evangelisten Johannes ist fertig und wird im Gottesdienst verlesen, so wie früher die Texte der Propheten.
„...eine kleine Weile werdet ihr mich nicht sehen...“ sagt Jesus, „ihr werdet weinen und klagen und traurig sein...“
Sie nicken einander zu, das kennen sie, so lange warten sie nun schon darauf, dass Jesus wiederkommen möge, ohne dass sie sich wirklich vorstellen könnten, wie das gehen soll.
Reicht das an historischem Abstand?
Und das Bild von der Geburt, das sich ja nahezu von selbst zu erschließen scheint?
Jedenfalls in europäischen Breiten. Mit Schrecken lese ich: „In einigen östlichen Ländern wird die Geburt eines Mädchens von der gramgebeugten Mutter und ihren Freundinnen mit Trauer und Tränen vernommen. Die Geburt eines Knaben aber begrüßt man als gutes Omen und feiert sie ausgelassen.“[1] Somit wird dem Bild die vermeintliche Selbstverständlichkeit genommen.
Es löst den Gedanken an eine Freude aus, die insofern dann schon ganz anders ist, die jeden in den Blick nimmt. Wahrnimmt.
„Ich werde euch wiedersehen...“ sagt Jesus.
Nicht nur mit den Augen, viel mehr mit dem Herzen, mit der Seele, mit seinem ganzen Sein nimmt er dich wahr!
Die gestörte Beziehung wird umgekrempelt. Eine gestörte Beziehung , in der nur bestimmte Menschen zählen, Männer, Erfolgreiche, Kraftstrotzende. Gesehen werden, einmal richtig wahrgenommen werden, was kann das alles verändern.
Die chilenische Dichterin Gabriela Mistral schreibt in einem Liebesgedicht: „Wenn du mich anblickst, werd’ ich schön, schön wie das Riedgras unterm Tau...“[2]
Und nun zu wissen: Jesus blickt mich an, liebevoll. Er sieht mich wirklich. Das bewegt, beflügelt, öffnet, lässt Freude wachsen.
„Jesus, meine Freude...“.
Analysieren? Erklären? Vielleicht kann man es in der Tat nur singen.
Ich stehe im Chor, ruhige, tiefe Klänge der Instrumente, „langsam und mit Ausdruck“ – wir setzen ein mit: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ - Brahms-Requiem.
Was hat man dem armen Komponisten nicht alles vorgeworfen – unchristlich sei sein Requiem, keine wirklich christliche Begräbnismusik, weil das Wort „Christus“ im Text nicht vorkomme. Weil er auf das „Dies irae“ verzichtet habe und kein Horrorszenarium für die Ungläubigen komponiert!
Mit Worten habe ich versucht, im Programmheft dazu beizutragen, das Tröstliche dieser Musik und der Textzusammenstellung hervorzuheben.
Nun singt der Sopran: „Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ (Joh 16,22)
Mit einer ungeheuren Leichtigkeit singt sie es. Geradezu schwebende Melodien, wunderschöne fast sphärische Klänge. Und der Chor singt darunter – wie ein Fundament- den Text der Jahreslosung 2016 : „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet.“
Amen.

 

[1] Georg M. Lamsa, Die Evangelien in aramäischer Sicht (zitiert nach Beutler-Lotz in: Holiletische Monatshefte 6, S.353).

 

[2] Zitiert bei Barbara Hanusa, Predigtstudien  I 2004/2005, S.272.

Perikope
07.05.2017
16,16-23

Abschied, „because I’m happy“ – Predigt zu Johannes 16,16(17-19)20-23a von Wolfgang Grosse

Abschied, „because I’m happy“ – Predigt zu Johannes 16,16(17-19)20-23a von Wolfgang Grosse
16,16(17-19)20-23a

Abschied.
Sonntagabend. 18 Uhr Neun. Grau hängen die Wolken am Himmel. Bremen Hauptbahnhof. Gleis 1. Ich sehe dem Zug hinterher. Auf Wiedersehen. IC 2435 nach Halle.

Das war‘s dann wohl. Endgültig. Meine Tochter geht ab heute ihren eigenen Weg. Morgen beginnt ihr Studium. Die letzten Wochen, Monate neben viel Organisieren und Suchen nach einer „Studentenbude“, ist bei mir immer wieder der unausgesprochene Gedanke von Abschied. Aber ihre Lust zum Neuanfang hatte mich stets aufs Neue angesteckt. Hatte dunkle Gefühle nicht zugelassen. Eine kleine Weile noch …
Ach, was soll’s: Wir haben doch alle Zeit der Welt! Manchmal kam es mir vor: Wir waren uns in den letzten Wochen näher als in den 18 oder 19 Jahren davor. Die Rücklichter des Zuges verschwimmen im einsetzenden Nieselregen. Dann macht der Zug eine Kurve. Verschwunden in der Ewigkeit. Die Zuganzeige auf dem Gleis rattert metallen mit ihren Blechlettern. 18 Uhr Siebzehn: Ankunft aus … ich lese nicht zu Ende.

Heute war Abfahrt. Heute war Abschied. Heute war Traurigkeit. Der Vater schluckt still eine Träne hinunter. So stehe ich da. Noch eine kleine Weile.
Mich fröstelt. Bremen hat einen Durchgangsbahnhof. Es zieht „wie Hechtsuppe“. Diese Redensart hat weder mit einem Hecht noch mit einer Suppe zu tun. Die „Hechtsuppe“ stammt aus dem Hebräischen und heißt eigentlich "hech supha". Dieser hebräische Ausdruck wurde in den jiddischen Sprachgebrauch übernommen. Man sagte also, es zieht wie „hech supha“, wie ein Sturmwind. So fühle ich mich jetzt. Ein Sturmwind braust durch meinen Kopf, durch mein Herz. Paula, Paulinchen, als sie klein war. Eigentlich Paula Johanne, die „Kleine, der Gott gnädig ist“. Die Urgroßmütter haben Namenspatronin gestanden. Nun ist sie groß geworden. Und Gott war gnädig. 19 Jahre lang bisher. Wie die Zeit vergeht ... Ach, Kinners … stilles Seufzen. Ich erinnere mich noch gut. Damals im Krankenhaus. Ich war dabei. Die Wehen. Die Schmerzen. Die Geburt. Das Glück, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Ich durfte die Nabelschnur durchtrennen. Sie sozusagen eigenständig werden lassen. Geschöpflich wirken. Bei diesem kleinen, nicht wirklich schönem Wesen, schrumpelig, schreiend, Kasein verschmiert. Aber Paula war wunderschön. Neue Schöpfung. Neuanfang. Alle Angst vorher war weggeblasen. Indem ER seinem Odem einblies, als SEIN Sturmwind zärtlich das Leben einhauchte.

Eine kleine Weile, dann sahen wir uns an, eine kleine Weile lang. Paula und ich. Die Welt war eins. Und Frieden. Und Liebe. Keine Fragen mehr. Die Fragen kamen wieder. Natürlich. Nur wenig später. Als wir gemeinsam gekrabbelt, die ersten Schritte gewagt haben. Dann sind wir gegangen, Hand in Hand, aber auch: immer selbstständiger. Die Taufe: Sie gehört nicht mir. Sie gehört Gott. Der erste Abschied.
Der Kindergarten. Gefühlsmäßig allein gelassen, aber für sie „no problem“. Für mich schon. Der zweite Abschied. Die Schule. Andere Menschen wurden wichtig. Freundinnen und Freunde. Nicht mehr nur die Eltern. Der dritte Abschied. Dann die Jugend. Abschiede über Abschiede. Der erste Freund. Blöder Nebenbuhler, hey Töchterchen! ICH war doch bisher der Mann für sie. Und sie sagte fröhlich: „Ich bin dann mal weg.“ „Ich bin heute Abend nicht da.“ „Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme.“ „Ich schlafe heute Nacht bei XY.“ Manchmal noch nicht einmal eine Info. Wenn ich Glück hatte lernte ich „ihn“ sogar kennen. Jedes Mal Fragen über Fragen. Jedes Mal auch Angst. Jedes Mal auch ein wenig Trauer. Unbewusst natürlich nur, im Rückblick. Der Abschied rückte näher. Über Jahre. Als wir zusammen gingen. Aber das war mir nicht so klar. Eine kleine Weile noch …
„Eile mit Weile …“ dachte ich: Wir hatten doch alle Zeit der Welt! Hatten wir nicht. Zumindest nicht nach meinem Empfinden. Im Rückblick. Die Zeit verging so schnell. Viel zu schnell. Gestern noch die Geburt. Heute stehe ich auf dem Bahnhof und winke. Ach, Kinners … stilles Seufzen. Sie, Menschen- … Gottesgeschöpf, „Kleine, der Gott gnädig ist“: zusammen haben wir gelacht und geweint. Zusammen haben wir Bäume ausgerissen und versucht die Welt zu verändern. Im Kleinen haben wir es auch geschafft. Darauf bin ich ein wenig stolz. In unserer kleinen Welt. Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, Gott.
Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, Jesus. Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, dem Heiligen Geist, dem Tröster. Sie hatte immer Fragen, immer wieder: Was bedeutet das? Wie soll ich das verstehen? Und oft hat sie dann selbst eine Antwort gefunden. Sie hat gesungen, im Kinder- und Jugendchor: Jauchzet Gott, alle Lande! Trotz Zweifel und Angst: Über Gott, über sich, über die Welt. Schaffe ich das? Vielleicht hat sie es nicht gehört. Aber Gott oder Jesus oder der Tröster, der Heilige Geist hat jedes Mal gesprochen: „Hey, es ist doch nur für eine kleine Weile!“ Immer diese blöde Angst!

Ich weiß: Ein Pastor als Vater ist vermutlich nicht immer einfach. „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh geraten selten oder nie.“ Ich grinse. Nicht jedes Sprichwort ist wahr. Da wehre ich mich gegen. Ich bahne meinen Weg durch die Eingangshalle des Bahnhofs. Wie viele Abschiede und Wiedersehen werden gerade in diesem Moment von Menschen erlebt?
„Nur eine kleine Weile … aber wir sehen uns wieder …“. Beim Abschied auf dem Bahnsteig, als sie schon im Abteil war und das Fenster hinunter geschoben hatte, da sah sie mich an. Mit einem ganz bestimmten Blick. Nur einen Moment lang. Was bedeutet das?
Ich kannte diese Augen. Drei große Fragezeichen darin. Mindestens drei. Dann sagte sie: „Ist doch nur für eine kleine Weile … bis bald!“ Ihr eigener Weltschmerz aufgefangen und gleichzeitig den Papa getröstet. Oder war es in diesem Moment - dann doch für uns Beide - als in mir der Pastor verstummte: ER? Aus Paulinchen ist Paula Johanne geworden. Frau Grosse. Um genau zu sein. 19 Jahre alt. Der Zeiger auf der großen Bahnhofsuhr über mir klackt. Zeit vergeht. ER hat sie in seiner Hand. Ich gehe zum Auto. Krame den Schlüssel hervor. Glück gehabt. Kein Zettel hinter dem Scheibenwischer. Keine Politesse ist da gewesen. War ja nur für eine kleine Weile. Autotür auf. Autotür zu. Stille. Ich schließe die Augen. Atme tief in mich hinein. Spüre den Odem Gottes. Die Traurigkeit schwindet. Angst verfliegt. Freude bricht sich Bahn. Unbändig. Ohne Fragen. Denn ich weiß: ER war da. ER ist da. ER wird da sein. Gestern. Heute. Morgen. Mein Herz freut sich. Und meine Freude soll niemand nehmen. Ein kurzes Tippen auf den Knopf vom Autoradio: „Because I'm happy!“ Pharrell Williams. Passt. Jauchzet Gott, alle Lande! Keine Fragen mehr.
Gott gibt Gnade. Für Groß und Klein. Ich fahre nach Hause. Paula ist behütet. Ich auch. Neuer Anfang. Neue Freiheit. Für sie. Für mich. Und das Wiedersehen wird lauter Freude sein. Nur eine kleine Weile …

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Joh 16,33)
Amen.

 

Bild „Bahnhof“ zum Download unter:
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Perikope
07.05.2017
16,16(17-19)20-23a

Ich bin dann mal fischen – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Margot Runge

Ich bin dann mal fischen – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Margot Runge
21,1-14

Ostern ist ganz handfest: Es gibt Arbeit und Brot. Das ist existenziell für die meisten Leute. Damals und heute. Und es ist nicht selbstverständlich. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass die Arbeit genug einbringt. Die Leute haben die ganze Nacht auf dem See gefischt und kommen doch mit leerem Boot heim. Andere kriegen 2,50 Euro für zwölf Stunden Handyzusammenbauen, Turnschuhnähen oder Bananenpflücken. Arbeit haben und davon leben können, das ist nicht dasselbe. Das wissen alle, die in den 90-er Jahren alle ihre Kräfte und Ersparnisse in eine Ich-AG gesteckt haben und aufgeben mussten.

Ich bin dann mal fischen, sagt Petrus, und eine Handvoll kommt mit. Von irgendetwas müssen sie leben. Petrus hat Familie in Kapernaum, hungrige Mäuler, die auf Essen warten. Sie bilden eine  kleine Genossenschaft auf Zeit, vielleicht auch nur, um das Boot zu mieten oder zu unterhalten. Da ist es schon ein Verlust, wenn die Arbeit einer ganzen Nacht umsonst ist – am Tag lässt es sich nicht fischen. Pech gehabt, zucken manche vielleicht mit den Schultern. Doch für Arme ist es eine Katastrophe, denn sie bringt das ohnehin knappe Überlebens-Budget ins Wanken.

„Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ diese Frage empfängt sie nach ihrer anstrengenden Nachtschicht am Ufer. Nein, sie haben nichts. Kein Fisch, kein Brot. Aber sie werden noch einmal herausgeschickt, an eine andere Stelle, von einem Unbekannten, der herumlungert und den sie nicht erkennen können. Reichlich hundert Meter, und weiter rechts sollen sie die Netze auswerfen.

Komischer Typ. Warum fährt er nicht selbst aus, wenn er sich so gut auskennt? Warum kassiert er die Fische nicht selbst ein, wofür sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen haben? Eine Falle? Oder will er einen Anteil am Fang? Eine Provision?
Dass einer sie nicht betrügen will, sondern solidarisch ist und ihnen, obwohl er selbst Hunger hat  („Kinder, habt ihr nichts zu essen“), die besten Fischgründe zeigt, das ist eher üblich bei Jesus und seinen Schüler/-innen. Doch nur ein Liebender kommt auf die Idee: Sollte es Jesus selbst sein, der Lebendige?

Unglaublich. Das Netz ist prall gefüllt mit lauter großen Fischen, Arbeit, die sich lohnt. Am Ufer brennt ein Feuer. Der Unbekannte erwartet sie und hat ihnen sogar Frühstück vorbereitet. Irgendwoher hat er Brot und Fische aufgetrieben, auch wenn es nicht reicht. Sie müssen noch ein paar von den frisch gefangenen bringen. Ist es nun Jesus? So richtig trauen sie sich nicht zu fragen.

Übrigens ist es so ähnlich wie vor Monaten, als sich unendlich viele Leute mit knurrendem Magen am Ufer drängten. Damals hatte ein einziges Kind etwas zu essen dabei, fünf Brote und zwei Fische. Das Kind gab ab und alle haben Brot und Fische geteilt und es reichte. Waren es Tausende?  (Joh 6,1-13)
Jedenfalls können heute alle satt werden, wenn wir auf der Erde gerecht teilen. Wäre das nun ein größeres Wunder als damals, als das Kind fünf Brote und zwei Fischen verschenkt hat?
 

Ein Kind kam zu dir und gab/ an jenem Tage /
seine fünf Brote für dich, ohne zu fragen. /
Zusammen habt ihr die Kraft, Hunger zu stillen. /
Zusammen habt ihr die Macht, Hunger zu stillen.  1

Heute ist der See Genezareth eine Touristenattraktion. Schiffe schippern Schaulustige aus aller Welt über die Wellen. Am Ufer eilt das Personal hin und her und beköstigt die Massen. Für besondere Gäste wird abends am Ufer gegrillt. Ein Highlight in der Dunkelheit. Fast so wie damals.
Jesus unterschiede sich wohl kaum von den dienstbaren Geistern in aller Welt, die das gutbetuchte Publikum – oder die, die sich dafür halten – von vorn und hinten bedienen.

Jesus kellnert. Er schürt Feuer am Strand, brät Fisch und Brot. Er schlüpft in die Rolle der Frauen, die für’s Essen zuständig sind. Er macht Frühstück. Die Jünger_innen fragen sich: Ist es Jesus? Ist er so nicht?

Erkennen sie ihn? Besser: was sehen, was erkenne sie eigentlich? Das bleibt in der Schwebe. Und das ist gut so. Denn immer wieder behaupten Leute, sie wüßten ganz genau, wie Jesus wäre, was er meinen oder nicht meinen würde. Ihnen wäre sonnenklar, wie Gott zu verstehen sei, und ihr Weg zu Gott sei der einzige.
Diese Ostergeschichte versperrt sich den schnellen Antworten. Sie zeigt auch, daß es um schnelle Antworten überhaupt nicht geht.

Wie die Jünger_innen Ostern erlebt haben, davon erzählt die Bibel viele und völlig unterschiedliche Geschichten. Jesus zeigt sich in verschiedener Gestalt, als Wanderer, als Gärtner, als Geliebter, als Verwundeter mit Narben und Folterspuren, als Hungriger, als (Gefängnis-)Einbrecher.
Immer wundern sich die Jünger_innen, manchmal fürchten sie sich sogar. Aber immer verändert sich etwas für sie. Sie kehren um. Sie verlieren ihre Angst. Sie begreifen Zusammenhänge. Sie beginnen zu reden. Sie treten überzeugend auf. Sie kommen in Bewegung. Sie lassen sich nicht einschüchtern. Sie wachsen über sich hinaus.

Ostern hat so viele Gesichter, weil wir viele Gesichter haben und in verschiedenen Situationen stecken.
Deshalb bedeutet Ostern, Auferstehen, Aufstehen für jede_n etwas anderes. Aufstehen heißt für jede_n eine andere Herausforderung, eine andere Verwandlung, eine andere Überraschung. Die Hoffnung trägt viele Namen, selbst wenn auf die manchmal niemand so schnell kommt.
Aber immer ist Ostern ganz handfest. In unserer Geschichte heißt Ostern: es gibt Arbeit und Brot. Ich bin dann mal fischen, sagt Petrus.

1 (aus Spanien, Weltgebetstag 2011 - Chile)

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Konfi-Impuls „Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.“ - „Neuanfang“ - Konfi-Impuls zu Johannes 21,1-14 am Sonntag Quasimodogeniti von Frau Stefanie Bauspieß

Konfi-Impuls „Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.“ - „Neuanfang“ - Konfi-Impuls zu Johannes 21,1-14 am Sonntag Quasimodogeniti von Frau Stefanie Bauspieß
21,1-14

Der Sonntag Quasimodogeniti bedeutet „wie die Neugeborenen“. Kein ganz leichtes Thema für Konfirmand*innen. Neu anzufangen allerdings schon. Da der Text die Erscheinung Jesu nach Tod und Auferstehung zum Thema hat, eignet er sich gut, um „Auferstehung“ im Kirchlichen Unterricht zu behandeln.

Das Lied „Neuanfang“ von Clueso bietet sich für einen Einstieg in die Konfirmandenstunde an, ebenso eine Einspielung im Gottesdienst an. Über www.songtexte.com kann man den Liedtext einsehen.

Zu Beginn wird ein Plakat mit dem Schriftzug „Neuanfang“ mitgebracht und gesammelt, was die Konfirmand*innen darunter verstehen (Beziehung, Umzug, Vertragen …). Anschließend wird das Lied von Clueso vorgespielt ,eventuell mitgelesen und das Plakat um die Impulse aus dem Lied ergänzt. Interessant ist die Kontinuität zwischen dem Alten und dem, was nach dem Neuanfang kommt. Clueso singt von den Erinnerungen und dass er kein neues Leben, sondern einen neuen Tag will. Neues ist nur auf dem Hintergrund von Altem möglich.

Den Konfis wird die Frage nach der Auferstehung Jesu gestellt (hängt mit Ostern zusammen, gestorben und auferstanden, der gleiche wie vorher?). Macht Jesus auch einen Neuanfang? Geht alles wieder von vorne los?

Zusammen wird Joh 21,1-14 gelesen. Jesus erscheint den Jüngern. Er erscheint ihnen in einer Alltagssituation, die Kreuzigung ist schon länger her. Zuerst erkennen sie ihn nicht und kommen mit ihm ins Gespräch. Auf einmal aber erkennt ihn sein Lieblingsjünger daran, dass das Netz voller Fische ist. Als sie später miteinander das Mahl halten, wagt niemand zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Er ist der Herr.

Die Jünger erkennen Jesus, weil etwas passiert, was an Vergangenes anknüpft. Das gemeinsame Mahl, die Fischvermehrung. Sie erkennen ihn nicht am Aussehen, sondern am gemeinsam Erlebten. Jesus ist verändert, er ist ganz neu: Auferstanden aus dem Reich der Toten. Und doch bleibt das gemeinsam Erlebte und bietet so die Möglichkeit, das Neue zu verstehen.

Wie ist das mit unseren Wünschen nach Neuanfängen? Nach einem Misserfolg, einem Streit oder auch nur einer zu bekannten Situation reizt das Neue, der Neuanfang. Aber wir sind die, die wir sind. All unsere Erlebnisse und Erfahrungen machen uns zu denen, die wir sind. Um neu zu beginnen, gehört es auch, sich mit Altem auszusöhnen.

Die Jünger wissen, dass der Auferstandene ihr Jesus ist. Weil sie es wissen und weil wir es wissen dürfen, gilt seine Auferstehung auch für uns. Für die Konfis ist es wichtig zu verstehen, dass das der Grund ist, weshalb sie im Konfirmandenunterricht und der Kinderkirche sind, weshalb wir uns die Geschichten von Jesus jeden Sonntag neu erzählen: Um die Erinnerungen zu schaffen und wachzuhalten, damit eines Tages ein Neuanfang möglich ist.

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Vom Wort, das Leben wendet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Soren Schwesig

Vom Wort, das Leben wendet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Soren Schwesig
21,1-14

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er of­fenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Tho­mas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ih­nen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Ober­gewand um … und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land ... und zogen das Netz mit den Fischen.

Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische dar­auf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefan­gen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, 153. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wuss­ten, dass es der Herr war.

Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern of­fenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.

 

Liebe Gemeinde,

 

damit haben die Jünger eine Woche nach Ostern gewiss nicht gerech­net. Längst sind sie wieder im Alltag versunken mit Frust und Lust. Längst sind sie wieder verstrickt in das Gewebe von Erfolg und Misslingen. Sie blicken auf ihre Hände und was die zuwege bringen. Dass da einer am Ufer ein Festmahl für sie vorbe­reitet, wie sollten sie damit rechnen?

Gerade war den Jüngern das allererste Ostern widerfahren. Der aufer­stan­dene Christus war ihnen begegnet, hatte sie ausgesandt und ihnen den Hei­ligen Geist zugesprochen. Aber schon ein paar Tage später ist der Zauber verflogen und der Alltag hat sie wieder. Jetzt geht es ums Überleben, um Essen und Trinken und das, was man halt braucht. Und Jesus, der hat sich ja verabschiedet. Den Auferstandenen haben sie zwar gesehen und der Auferstehung Jesu von den Toten haben sie ge­glaubt. Aber nun ist der Alltag wieder eingekehrt. Irgendwie muss das Leben ja weitergehen.

Und wir: Auch bei uns ist das Leben weitergegangen. Auch wir sind wie­der eingetaucht in unseren Alltag, manche mit Frust und andere mit Lust, verstrickt in das Gewebe von Erfolg und Misslingen. Wie sollten wir eine Woche nach Ostern damit rechnen, dass uns noch einmal ein Festmahl bereitet wird und dass der Auferstandene selbst in unser Leben tritt?

Ich fühle mich ertappt. Wie groß waren die Gefühle, als der alte Os­terruf: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ wieder zu hören war! Wie ergreifend die Osterbotschaft, dass der Tod nicht das letzte Wort über uns haben wird! Aber nach großen Osterworten befällt uns Menschen wieder die alltägliche, un­-österliche Angst und Sorge um das eigene Leben: Ob genug da sein wird zum Leben, ob mir die Gesundheit erhalten bleiben wird, ob mir das Älterwerden und Alleinsein nicht doch schwer zu schaf­fen machen wird, ob ich meine Arbeit bewältigen werde?

So suchen uns die Jünger der späten Ostergeschichte in unserem Alltag auf und kommen uns im schummrigen Licht des ge­wohnten Trotts zu Hilfe.

Auch Petrus und die Seinen hat der unösterliche Alltag wieder. „Ich will fischen gehen.“ – „Gut, dann kommen wir mit.“ Sie gehen ihrem Broterwerb nach. Aber der Erfolg ist dürftig. Nichts fangen die Jünger in dieser Nacht, keinen einzigen Fisch. „Das kommt vor“, höre ich ihre Erklärungsversuche. „Es kann ja nicht jeder Fang gelingen, da musst du durch. Zähne zusam­menbeißen. So ist es eben, daran gewöhnt man sich!“

So reden wir auch oft, dass es so eben ist, dass die Welt eben ist, wie sie ist: Dass die einen immer reicher werden und den anderen das Nö­tige zum Leben fehlt; dass Kinder aus armen Verhältnissen deutlich schlechtere Bildungs­aussichten haben als solche aus wohlhaben­deren Fami­lien; dass Gewalt in Syrien und Irak schon zur normalen Nach­richt gehört; und dass die Kinder von Tschernobyl an Leib und Seele unter der Katastrophe von vor 30 Jahren leiden bis auf diesen Tag

 … so ist das halt. Man kann sich auch nicht immer über alles aufregen!

Ganz und gar unösterlich ziehen wir uns oft zurück in unsere private Welt. Und lassen uns von den Jüngern mitnehmen ins Boot des All­tagstrotts.

Liebevoll spricht die Jünger jetzt ein Fremder vom Ufer aus an: „Kinder, habt ihr nichts zu essen? Habt ihr nichts, was euch satt macht? Nach der langen vergeblichen Nacht hungert ihr?“

Kinder nennt er sie. Erwachsene Männer werden zu Kindern. Aber bei ihm dürfen sie Kinder sein, ohne das Gesicht zu verlieren. Und als Kin­der kön­nen und dürfen sie ganz offen sagen, wie es um sie bestellt ist.

Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Ganz offen, ohne Ausflüchte und Beschwichtigungsversuche kommt ihr „Nein“. Mehr brauchen sie nicht zu sa­gen. Denn der sie fragt, weiß um die Leere und Trostlosigkeit ihres All­tags. Er weiß um die erfolgslosen Versuche, diesem Alltag einen Sinn ab­zugewinnen. Er weiß um die Resignation, die sich wieder in den Herzen einge­nistet hat. Er sieht tief hinein in das Herz und weiß darum, dass sie sich an­deres wünschen. Nein, wir haben nichts!

Der Unbekannte am Ufer wird sich als Jesus herausstellen, wir wissen das längst. Und doch ist es so: Noch können die Jünger Jesus nicht erkennen, noch ist er ein Fremder. Aber sie spüren: In seiner Nähe brauchen wir uns nicht zu verstellen, wir können ehrlich sein wie Kin­der. Sie spüren es und können es doch nicht wahr sein lassen.

Wie oft kommt Jesus uns entgegen, spricht zu uns und wir erkennen seine Stimme nicht? In einem Kind, das uns anlacht und mit seinem Lachen vom Le­ben erzählt. In dem Freund, der uns anruft, gerade wenn wir uns einsam und wertlos fühlen. In der Kollegin, die uns ohne etwas zu sagen die Arbeit ab­nimmt, weil sie sieht, dass nichts mehr geht. Aber vielleicht erkennen wir ihn auch deshalb nicht, weil sein Wort unse­rer Menschenlogik oft genug kräftig widerspricht.

 „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden“, sagt der Unbekannte. Die Auf­forderung scheint widersinnig zu sein. Wie sollten auf der anderen Seite des Kiels mehr Fische sein als daneben, wo kein einziger zu fangen war? Aber die Jünger spüren sich wieder von der Aura Jesu umgeben und geben dem Zweifel nicht statt, sondern reagieren voll Vertrauen – wie Kinder – und lassen sich auf das ein, was ihnen der Fremde zuruft.

Und mit ihrem Vertrauen nehmen die Jünger auch mich an der Hand, als wollten sie sagen: Versuch, was du dir nicht vorstellen kannst! Nimm die kleinen Zeichen der Hoffnung wahr, die Großes bewirken können. Wenn meine kleine Spende für die Kinder von Tschernobyl auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, einem Kind gibt es Me­dikamente wenigstens für ein halbes Jahr und unschätzbaren Lebens­gewinn.

Die Jünger lassen meinen unösterlichen Zweifeln nicht das letzte Wort. Auf Jesu Wort hin füllt sich das Netz der Fischer. Es füllt sich über die Maßen, sodass sie es nicht mehr ziehen können. Sein Wort ist entschei­dend, sein Wort wendet das Leben, sein Wort erfüllt die Her­zen der Jünger und gibt ihnen Glauben und Vertrauen auch in das scheinbar Unmögliche zurück. Sein Wort wirkt durch ihre gezeichneten Fischerhände. Sein Wort wirkt durch sie und auch durch mich.

Den Jüngern beginnt zu dämmern, wer da zu ihnen spricht. „Es ist der Herr“, wagt einer, der eine besondere Nähe zu Jesus hatte, seine Ver­mu­tung auszusprechen. Er ist wieder da, Jesus, der die Blinden sehend und die Lahmen gehend gemacht hat. Das Wunder mitten im Alltag kann gesche­hen und es geschieht. Sein Wort hat die Netze mit Fischen und die Herzen mit Hoffnung und Freude gefüllt.

Doch werden die Fische an Land überhaupt gebraucht? Längst rösten Brot und Fische auf dem Feuer. Jesus hat sie für die Seinen zubereitet. Man stelle sich das vor: Mühsam ziehen die Jünger ihre Fische an Land, und ihren Stolz über den Fang dazu. Und dann werden diese über­haupt nicht gebraucht. Das Essen ist längst fertig.

Jesus speist die Jünger nicht mit ihrem eigenen Erfolg ab. Der eigene Er­folg ist ja so brüchig und vergänglich. Der eigene Erfolg und das, was man im Leben glaubt zu sein, bleibt nicht und sättigt schon gar nicht die Seele. Sie bleibt hungrig. Jesus zeigt den Jüngern und uns: „Ich weiß, was ihr zum Leben braucht. Ich sorge für euch.“

Und wir, wir nachösterlichen Jüngerinnen und Jünger? Wir müssen seine Einla­dung nur noch annehmen: Kommt, es ist alles bereit.

Nichtsdestotrotz fordert er die Jünger auf, ihre Fische an Land zu brin­gen. Jesus würdigt ihre Arbeit und schätzt unser menschliches Tun. Er zeichnet sie und er zeichnet uns aus als Mitarbeiter an seiner Ge­meinde, als Mitar­beiter am Reich Gottes. Er speist uns nicht mit dem Erfolg religiöser Ar­beit und geistlichen Eifers ab und nicht mit dem Erfolg unserer Hände und Köpfe Arbeit. Die bleiben zwielichtig und angefochten auch eine Wo­che nach Ostern.

Soweit diese Geschichte, für uns erzählt eine Woche nach Ostern. Auch bei uns ist das Leben weitergegangen. Auch wir sind wie­der einge­taucht in unseren Alltag. Aber eine Woche nach Ostern wird uns nochmals ein Festmahl bereitet und der Auferstandene tritt in unser Leben.

Und aufs Neue haben wir gehört, dass wir allein aus seinen Händen das neue Leben empfangen. Allein seinem Wort verdanken wir unseren Wert und unsere Würde. Alles ist bereitet, bevor wir ans Ufer treten. Er, der Herr, bricht mit uns das Brot der Osterhoffnung, er bricht es heute und morgen, er bricht es an Ostern und auch dann, wenn es für uns Karfreitag wird.

Kommt, denn es ist alles bereit!

Amen.

 

Eingangsgebet

 

Gott,

wo dein Licht aufgeht, finden wir uns ein.

Wir sind versammelt in deinem Namen.

 

Nun bitten wir dich um die Wärme und das Verstehen,

das uns von Jesus Christus her umfängt.

 

Lass unseren Glauben wachsen zu dir,

durch Jesus Christus.

 

Lass uns singen, dir Gott singen

aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele

von dem Leben, das du uns schenkst,

von allem, was in uns und um uns sich regt und bewegt.

 

Lass uns singen mit Freude,

mit Kraft das Lied der Hoffnung,

die in uns ist.

 

Durch Jesus Christus, unseren Herrn.

Amen.

 

 

 

Fürbittgebet

 

Herr, unser Gott,

 

wir blicken zurück und danken dir für alles,

was du uns in der vergangenen Woche geschenkt hast.

 

Wir danken dir für Begegnungen mit Menschen,

denen wir und die uns nahegekommen sind.

Für Gespräche, die uns weitergebracht haben.

Für Worte, die ermutigt, und Gesten, die getröstet haben.

 

Weil wir dich so in unserem Leben erfahren haben,

bitten wir dich, Gott, für alle,

die auf ein Zeichen deiner Nähe warten.

 

Für die Entmutigten,

dass sie sich wieder mehr zutrauen;

 

Für die Kranken, dass sie in ihrem Leid

nicht allein gelassen werden;

 

Für uns, dass du uns die Augen öffnest

für das, was um uns herum geschieht,

und uns die Kraft gibst, in deinem Namen zu handeln,

wo wir gebraucht werden.

 

Wir bitten dich für alle,

die sich um Menschen kümmern, die Hilfe brauchen,

dass sie die passenden Worte finden und das Rechte tun.

   

Für alle, die für eine bessere, eine gerechtere,

eine friedlichere Welt eintreten,

dass sie mit ihrem Einsatz etwas bewirken

und ihre Träume wahr werden.

 

Für alle, die sich Gedanken über die Zukunft machen,

dass sie Gleichgesinnte finden, die sie unterstützen, ihre Gedanken zu verwirklichen;

 

Für alle Christen,

dass es ihnen gelingt,

deiner Frohen Botschaft mit Worten und Taten

Gehör zu verschaffen.

Amen.

 

 

 

 

 

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Vom Scheitern und Weitermachen – schmecket und sehet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Christina Costanza

Vom Scheitern und Weitermachen – schmecket und sehet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Christina Costanza
21,1-14

I Der fremde Blick
 

Ein Mann steht am Bahngleis, wartet auf seinen Zug. Seine Blicke schweifen umher, wandern durch die Menge der ebenfalls am Gleis wartenden Menschen. Da sieht er plötzlich eine Frau, die ihm bekannt vorkommt. Er schaut genauer hin und erkennt eine alte Freundin von früher.
Sein Herz schlägt schneller, die Freude unerwarteten Wiedersehens nach langer Zeit steigt in ihm auf. Er geht auf die Frau zu, spricht sie an, seine Freude nicht verbergend. Die Frau dreht sich um – in der Tat ist es die Freundin aus alten Zeiten!
Und doch steht eine Andere vor ihm, eine Fremde. Der Mann merkt, dass sie ihn zwar erkennt. Doch ihr Blick mustert ihn kühl, ihre Stimme ist gereizt. Kurz angebunden grüßt sie ihn und wendet sich zum Gehen. Die Freude des Mannes, sein Lächeln bleiben unerwidert. Seine Erwartung zerbricht, seine Freude schlägt um in Scham. Er sieht sich selbst mit den Augen der Frau, den Augen einer Anderen. Ein fremder Blick, der ihn ins Mark trifft. Wie lächerlich er doch ist mit seiner freudigen Erwartung.
Wie lächerlich er doch ist. Vielleicht nur gut, dass sie weitergeht. Denn was sollte er ihr schon erzählen? Was ist aus seinen Träumen geworden? Was ist aus ihm geworden, was ist er schon?
 

II Am See von Tiberias
 

Der Blick eines anderen, er kann ernüchternd sein. Ein Moment der Offenbarung, in dem mir klar wird, was alles nicht in Ordnung ist mit mir. Der mich all meines mühsam zusammengeklaubten Schutzes entkleidet, so dass ich mich nackt fühle, mit leeren Händen dastehe, ausgeliefert.

So etwas passiert den Jüngern in der Zeit nach Jesu Tod. Gerade noch hatten sie erlebt, wie Jesus zu ihnen kommt – der, der eigentlich tot ist, den sie vermissen. Wie er sich anfassen lässt von Thomas, weil er fühlen muss, um glauben zu können. Nur ein paar Tage sind seitdem vergangen…
 

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger.
Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.
Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.
Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot.
Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!
Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.
Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch.
Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.
 

III Zeichen und Wunder
 

Sieben Jünger. Zweihundert Ellen (das sind ungefähr 90 Meter) entfernt vom Ufer. Hundertdreiundfünfzig Fische im Netz. Das dritte Mal hat sich Jesus nach seinem Tod gezeigt.

Da hat einer Lust am Zählen. Die merkwürdigste Zahl in dieser Erzählung: Die 153. Sie kommt an dieser Stelle das einzige Mal in der Bibel vor, aber das ist wohl kein Wunder. Eine wunderbare Zahl ist es für alle, die gerne zählen und rechnen aber schon, so unscheinbar diese 153 auch daherkommt:
Zum Beispiel ist sie die Summenformel der Zahlen 1 bis 17. Addiert man 1 + 2 + 3 + 4 + ... + 17, dann ergibt sich die Zahl 153. Sie ist auch die Summe ihrer eigenen Ziffernwerte in dritter Potenz, denn 13 + 53 + 33 ist genau 153. So etwas kann man nicht mit jeder x-beliebigen Zahl machen – neben 153 geht das mit 371 und 1634…

Ich habe noch einiges mehr gelesen über diese wunderbare Zahl 153, aber das habe ich nicht ganz verstanden, so dass ich lieber nichts weiter dazu sage. Nur so viel: Die 153 ist eine unscheinbare Zahl, hinter der eine Menge steckt, die Wunderbares verbirgt für den, der sich an etwas so Alltäglichem wie Rechenspielen freuen kann. Selig sind, die hinter die Oberfläche schauen können.

Wie sonderbar: Da haben die Jünger plötzlich nach einer Nacht vergeblichen Fischens ein volles Netz – und was machen sie: sie zählen.

Wer zählt, der schaut sich die Ordnung von Sachen an. Der versucht die Welt zu begreifen. Das Lernen schon ganz kleine Kinder, das Zählen. Das bringt Sinn in die Welt, macht Unbekanntes erkennbar, bringt Rhythmus wie in der Musik. Meine Großmutter hat jedes Mal, wenn sie einen Turm bestieg, die Stufen gezählt. Irgendwann konnte sie gar nicht mehr anders. Und wir haben oben sofort Gelegenheit zum einander Erzählen gehabt: Und – wie viele hast du gezählt?

Mit den 153 Fischen ist etwas in Ordnung gekommen für die Jünger, was vorher in Unordnung war. Im Chaos sogar, dem Chaos, das an dem Tag über sie hereingebrochen ist, an dem Jesus gestorben ist. Als gescheitert ist, was sie geträumt und gehofft haben.
Sie haben selber versucht, Herr zu werden über dieses Chaos. Nachdem Jesus gestorben war, musste es ja irgendwie weitergehen. Warum also nicht fischen. Menschenfischer waren sie einige Jahre gewesen, zusammen mit Jesus. Und jetzt also zurück an den See, echte Fische fangen, etwas Sinnvolles zu tun, damit wenigstens etwas zu essen da ist.

Mit den 153 Fischen wurde die Leere gefüllt – nicht nur die in Netzen. Sondern vor allem die in den Herzen der Jünger. Denn das war schlimm: Nach einer Nacht vergeblicher Mühe mit leeren Netzen und leeren Händen dazu stehen. Einander kaum in die Augen sehen zu können. Nicht einmal das geht mehr, diese alltägliche Arbeit des Fische fangens. Und dann dieser fremde Mann da am Ufer mit seinem Blick, dem niemand ausweichen kann.
Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Was soll die Frage des Fremden? Will er sie verhöhnen, beschämen? Ist er selber enttäuscht, weil er etwas vom Fang abhaben wollte, selber diesen nagenden Hunger verspürt, der alles andere vergessen macht? Oder hat er Mitleid? Jedenfalls: Nein, sie haben nichts zu essen. Sie haben gar nichts.

Eine ganze Nacht, kein einziger Fisch. Dann ein einziges Mal noch das Netz ausgeworfen, viel zu nah am Ufer eigentlich –  und gleich 153 Fische. Kein Wunder, dass Petrus einen Freudensprung macht, sich ins Wasser wirft, nur mit einem Gewand umgebunden, ansonsten nackt. Doch er schämt sich gar nicht, sondern freut sich wie ein Kind über diese 153 Fische.
 

IV Als es Morgen war
 

Das kleine Feuer auf den Steinen des Strandes ist heruntergebrannt. Die Männer legen die ausgenommenen und gesalzenen Fische in die glühenden Kohlen. Und nach einiger Zeit kann man sie essen, die Fische. Sie schmecken ein bisschen nach Rauch, aber machen satt, zusammen mit dem Brot, das plötzlich da ist, und das sie teilen und weitergeben, und das für alle reicht.
Ein Frühstück am Seeufer, am Morgen nach einer Nacht, in der alles vergeblich schien. Und sie kauen und schlucken und merken, wie das Leben in sie zurückkehrt und die Freude.

Und mit diesem einfachen Seefrühstück fängt die Zeit nach Ostern an. Die Feiertage sind vorbei, der Alltag beginnt wieder. Die Zeit des Fischens und des Arbeitens und Weitermachens beginnt. Manches davon wird vergeblich sein. Immer wieder werde ich scheitern und mit leeren Händen da stehen und mich vor den Blicken fürchten, die andere auf mich werfen.
Da tut es gut, sich an dieses Seefrühstück zu erinnern. Daran, wie die Männer, die eine Nacht lang keinen einzigen Fisch gefangen haben, nun satt werden. Eigentlich nur, weil er da ist: Jesus. Und sie freundlich anschaut und das Essen mit ihnen teilt.
 

V Schmecket und sehet
 

Lasst uns auch Brot miteinander teilen. Wir reichen es durch die Bankreihen weiter mit den Worten „das Brot des Lebens für dich“.
Brot, das an Jesus erinnert. Das nach Ostern mitten im Alltag schmeckt. Schwarzbrot des Glaubens für die Zeiten, in denen ich scheitere, in denen all meine Mühe sinnlos scheint und meine Träume nichtig, und ich mich schämen würde, wenn ich nicht wüsste:
Er ist da und schaut mich freundlich an.

Amen.

 

Als Brot eignet sich gut Vollkornbrot, vielleicht mit Butter und Salz – ein elementares Frühstück…
Liedidee: „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (z.B. EG 656 Wü)

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer 1 – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Frau Karle

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer 1 – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Frau Karle
21,1-14

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch.Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

 

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Dieser Satz ist mir besonders nachgegangen. Er hat mir schon manches Mal geholfen. Besonders eingeprägt hat sich mir ein Erlebnis in meiner Zeit als junge Pfarrvikarin. Ich war in einer Gemeinde, dessen Pfarrer schwer erkrankt war. Ich sollte ihn im Amt vertreten. Der Pfarrer hatte Krebs. Es war klar, dass er nicht mehr gesund werden würde. Ich mochte ihn gern. Und so kam es, dass ich ihn nicht nur von Amts wegen vertrat, sondern dass ich ihn auch oft besuchte. Dann saß ich an seinem Krankenbett und las ihm vor. Besonders gern hörte er in seinen letzten Tagen Erzählungen von Selma Lagerlöf. Und besonders wichtig war ihm dieser Vers aus Johannes 21: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“.

 

Manchmal hielt er seine Schmerzen nicht mehr aus. Manchmal war es für ihn kaum erträglich zu sehen, wie sich seine heranwachsenden Söhne von ihm entfremdeten. Sie kamen nicht damit klar, dass ihr einst so mächtiger Vater nun so ohnmächtig litt. Dann hielt er sich an diesem Satz fest: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Er wusste, dass er nach der langen Nacht des Leidens und Sterbens nicht ins Nichts gehen würde, sondern dass Jesus da sein und bereits am Ufer auf ihn warten würde. Die Morgendämmerung, die Zeit der Rettung, sie würde kommen und die Nacht beenden. Dessen war er gewiss. Das Sterben würde ihn nach Hause führen, Jesus ihn freundlich empfangen. „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“ – ein Satz des Trostes, der Zuversicht, des Nachhausekommens. Er stand über seiner Beerdigungsanzeige und er steht auch auf seinem Grabstein.

 

Johannes 21 erzählt eine Ostergeschichte am See, an dem See, an dem so viel geschehen ist, an dem See, an dem Jesus Kranke geheilt und Verzweifelte getröstet hat, an dem er gepredigt und Leidtragende selig gepriesen hat. Es war an diesem See, an dem Jesus einer großen Menge von Menschen mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen zu essen gab, so dass am Ende alle satt wurden. Hier hat Jesus seine Jünger gefunden, die Fischer, deren Handwerk mit dem See verknüpft war. Hierher kehrt das Evangelium am Ende zurück, zurück zum Anfang. Anfang und Ende schließen sich.

 

Wie es den Jüngern wohl gehen musste, jetzt, da sie nach dem Tod Jesu von Jerusalem zurück nach Galiläa zum See gingen? Zurück in den Alltag? Konnten sie weitermachen wie wenn nichts geschehen wäre? Man kann sich vorstellen, dass die Jünger nach dem Tod Jesu eine große Leere empfanden. Vielleicht erinnerten sich die Jünger am See an das, was sie mit Jesus alles erlebt hatten: „Weißt Du noch, wie viele Menschen sich am Ufer drängten, so dass Jesus in ein Boot steigen musste, um überhaupt zu ihnen sprechen zu können? Weißt Du noch?“ Doch das ist vergangen. Das Vergangene liegt nicht als gute Erinnerung, sondern als schwere Last auf ihrer Seele.

 

Petrus erträgt das lähmende Herumsitzen schließlich nicht mehr länger und wird aktiv. Petrus ist eine Führungsfigur und ergreift die Initiative: „Ich will fischen.“ Eine klare Ansage. Erleichtert reagieren die anderen, stehen auf und schließen sich an: „Wir gehen mit“. Die anderen sind dankbar, dass sie mitmachen und etwas tun können, dass sie nicht länger über die Sinnlosigkeit des Erfahrenen grübeln müssen. Und so gehen die Jünger zum Schiff und fahren hinaus auf den See. Aber „in derselben Nacht fingen sie nichts.“ Nicht einmal einen einzigen Fisch. Die erfahrenen Fischer haben sicher keinen Fehler gemacht und doch ist ihre Mühe vergeblich. Hat sie das Glück verlassen? Die Jünger strengen sich an, sie versuchen ihre innere Leere mit Aktivität zu überdecken und doch bleibt alles nutzlos, umsonst. Sie finden nichts.

 

Ich vermute, jeder und jede von uns kennt die Erfahrung von Vergeblichkeit. Kennten wir sie nicht, müsste man uns fast wünschen sie zu kennen. Denn auch die Vergeblichkeit gehört zum Leben. Wer sie nicht kennt, dem fehlt etwas. „Keinen Mangel haben, kann auch ein Mangel sein.“ (Theophil Askani) Wenn einem alles gelingt, dann begreift man nicht, was es bedeutet, mit leeren Händen da zu stehen, mit Misserfolg klar kommen zu müssen, mit Krankheit, mit Zerbrechlichkeit und Enttäuschung. Dann weiß man nicht, wie das ist, wenn das Netz leer aus dem Wasser kommt.

 

Die vergeblichen Nächte und die vergeblichen Tage gehören zum Leben.“ (Askani) Wir gehen leichter und barmherziger miteinander um, wenn wir uns selbst das eingestehen und wenn wir es einander eingestehen können. Gerade im Hochleistungsbetrieb Universität fällt das nicht leicht. Wir sind mehr oder weniger zum Erfolg verdammt. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich in den letzten Wochen eine Publikationszusage nicht einhalten. Ich wollte einen Vortrag überarbeiten und musste am Ende schmerzlich feststellen – es funktioniert nicht. Ich muss nochmals neu und mit viel mehr Zeit darüber nachdenken. Viel Mühe hatte ich bereits investiert. Es fiel mir schwer mir einzugestehen: Ich krieg das jetzt nicht hin. Die Mühe war vergeblich. Mindestens erst einmal. Wir tun uns schwer, uns und den anderen zuzugeben, dass etwas vergebens war, dass wir uns umsonst abgemüht haben, dass Mühe und Arbeit nicht zum erhofften Ergebnis geführt haben.

 

Vergebliche Tage und Nächte können uns reifer werden lassen, sie können aber auch in ernste Zweifel führen. Da zählt einer die schlaflosen Stunden, bis der Morgen endlich anbricht. Er hört das Schlagen der Uhr und dreht sich von einer Seite des Bettes auf die andere. Ohne Schlaf, ohne Ruhe dehnt sich die Zeit endlos. Und dann ist die Nacht rum, die Ruhe versäumt und der Tag fängt bereits mit einer Last an, bevor er überhaupt erst begonnen hat.

Da sind die Eltern, die sich daran erinnern, wie süß die Kindern waren, als sie noch klein waren. Man sieht sich etwas nostalgisch die wunderbaren Fotos mit den lachenden Kindern an. Und nun gehen die Kinder eigene Wege, vielleicht andere Wege, als man sich das gewünscht hat, und brauchen einen nicht mehr.

Da sind die Ehrgeizigen, die immer mit einem vollen Terminkalender leben, die von Engagement zu Engagement hetzen und endlose To-do-Listen anfertigen, die nie abgearbeitet werden können. Wie viel von dem, was wir tun, zählt am Ende? Was führt tatsächlich weiter und trägt uns und andere? Kann es sein, dass unsere vielen Bemühungen am Ende – unterm Strich – ein leeres Netz ergeben?

 

Und in dieser Nacht fingen sie nichts.“ „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“.

 

Die Jünger denken, sie seien ganz allein in dieser langen vergeblichen Nacht auf dem See, aber Jesus ist schon lange da. Er steht am Ufer, als es endlich dämmert. Er lässt sie nicht allein. Er weiß, dass sie nichts gefangen haben. Er hat die ganze Szenerie vor Augen. Diese Ostergeschichte ist wie ein Transparent auch für unser Leben. Die, die mit leeren Händen und traurigem Herzen kommen, werden von Jesus erwartet. Denn Jesus steht am Ufer. Er hat uns vor Augen. Seine Präsenz wirft ein Licht auf die mühsame Nacht, auf unsere Vergeblichkeit, auch auf die letzte Nacht, die ein jeder von uns noch durchschreiten muss – die Nacht des Todes. Wir gehen anders in diese Nacht, wenn wir wissen, dass Jesus am Ufer steht.

 

Unsere Geschichte ist eine Ostergeschichte, das heißt sie redet von Leben und Tod. Die Geschichte kehrt die Reihenfolge von Leben und Tod aber um: Es folgt nicht der Tod auf das Leben, sondern das Leben auf den Tod. Nicht die Vergeblichkeit, nicht die Mühe, nicht die leeren Hände stehen am Ende, sondern die Hoffnung, der Morgen, der Beginn eines neuen Lebens.

 

Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer.“ Ganz fürsorglich fragt Jesus die Jünger: „Habt ihr nichts zu essen?“ Nein, die Jünger haben nichts zu essen und Jesus weiß es. Doch dabei bleibt es nicht. Jesus schickt die Jünger noch einmal auf den See, es ist ganz wie am Anfang, als er sie in seine Nachfolge rief. Und die Jünger hören auf ihn und kommen mit einer Überfülle an Fischen zurück. Als die Jünger ans Ufer kommen, hat Jesus schon das Essen für sie bereitet. Nicht zufällig weist der Autor des Evangeliums dabei auf das Kohlenfeuer hin, das wenige Seiten vorher der Schauplatz von Petrus’ Verleugnung war. Das Kohlenfeuer erinnert diskret an das Schmerzhafte, Peinliche und Peinigende in der Nacht des Verrats. Doch es bleibt nicht bei der Erinnerung an das Versagen. Jesus lädt die Jünger ganz selbstverständlich zum Mahl ein. Er hat Brot und Fische – wie bei der Speisung der Fünftausend. Jesus sättigt den Leib und die Seele. Jesus will, dass seine Jünger die Fülle haben, dass sie mit ihm zusammen die Gemeinschaft und das Leben feiern. Das gemeinsame Essen ist zugleich ein Versöhnungsangebot an Petrus.

 

Die Jünger erkennen den Auferstandenen nur langsam. Die Erkenntnis von Ostern entfaltet sich erst allmählich. Erst einmal denken die Jünger, dass mit Jesus ein Fremder am Ufer steht. Dann wird Jesus vom sogenannten Lieblingsjünger erkannt, danach von Petrus. Am Ende ahnen alle, mit wem sie es zu tun haben, aber sie wagen nicht ihn anzusprechen und zu fragen. Zweifel und Unsicherheit bleiben. Die Atmosphäre ist unheimlich. Ostern wird im Handeln erfahren, im Tun, es wird – wie in einem finnischen Kaurismäki-Film – überhaupt nur sehr wenig gesprochen. Jesus ist der Gastgeber, der sich den Seinen zuwendet, fürsorglich, liebevoll, indem er ihnen zu essen gibt. Er gibt sich zu erkennen in dem, was er tut, nicht in dem, was er sagt.

 

Unsere Ostererzählung ist ein Nachtrag. Das Evangelium war eigentlich schon vorher abgeschlossen. Tatsächlich kann man sich nicht recht vorstellen, wie der Auferstandene den Jüngern schon zweimal begegnet sein soll und sie dann immer noch derart ahnungslos sind. Doch für die Regie unseres Autors ist es wichtig, dass es die dritte Auferstehungsbegegnung ist. Er betont es eigens. Er will uns zeigen, wie mühsam die Erkenntnis von Ostern ist. Wie fragil diese Erkenntnis ist, wie sehr wir alle dazu tendieren, in unserem Alltag verhaftet zu bleiben, rückwärtsgewandt zu leben und uns vergeblich abzumühen und am Ende den zu übersehen, der unser Leben in der Hand hält, der längst am Ufer steht und uns freundlich erwartet, der sich uns zuwendet, auch wenn wir in die Irre gehen.

 

Unsere Erzählung nimmt auf, was war und zeigt, was sein wird. Die Grenze meines Lebens wird sichtbar und zugleich verweist die Geschichte auf eine große tragende Hoffnung und einen großen umfassenden Trost. Denn Jesus steht am Ufer und sieht und erwartet uns, heute in unseren alltäglichen Mühen und dermal einst, wenn wir in die letzte Nacht unseres Lebens gehen.

 

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Was braucht es mehr für Sie, für Dich, für mich? Amen

 

1 Wichtige Anregungen für diese Predigt gehen zurück auf eine Predigt von Theophil Askani in: Ders., Da es aber jetzt Morgen war stand Jesus am Ufer. Predigten. Reutlingen o.J., 261-266

Perikope
23.04.2017
21,1-14

Aus der Raupe Nimmersatt wird ein Schmetterling – Predigt zu Johannes 6 (34-36, 55f, 60-62) und Römerbrief 6, 3-5 von Katrin Berger

Aus der Raupe Nimmersatt wird ein Schmetterling – Predigt zu Johannes 6 (34-36, 55f, 60-62) und Römerbrief 6, 3-5 von Katrin Berger
6,34-36

 „Herr“, sagten sie zu Jesus, „gib uns immer von diesem Brot.“ (Joh 6, 34)

Am Montag fraß die kleine Raupe Nimmersatt sich durch einen Apfel, aber satt war sie noch immer nicht.

Am Dienstag fraß sie sich durch zwei Birnen, aber satt war sie noch immer nicht.

Am Mittwoch fraß sie sich durch drei Pflaumen, aber satt war sie noch immer nicht.1

Am Montagmorgen aß ich zum Frühstück eine Tafel Schokolade, aber satt war ich nur bis zum Mittag. Am Montagmittag aß ich noch eine Tafel Schokolade, aber satt war ich immer noch nicht. Abends brauchte ich noch mal 100 Gramm.

Dienstagmorgen bekam ich einen Kuss, aber satt wurde ich davon nicht. Schon Dienstagmittag brauchte ich dringend eine richtig lange Umarmung, aber abends dann noch mal ganz doll beides.

Mittwochmorgen sah ich wie die Sonne aufging und konnte mich kaum sattsehen an der Schönheit der Natur. Mittwochmittag musste ich aber schon wieder raus, so gierig war ich nach dem frischen Grün des Frühlings. Als Mittwochabend dann die Sonne unterging, konnte ich den nächsten Morgen voller Sonnenstrahlen kaum erwarten.

Donnerstagmorgen bekam ich ein Lob für meine Arbeit, Donnerstagmittag hatte ich es schon wieder vergessen, weil irgendjemand den Mund nicht voll kriegte und mir sagte, ich, die Kirche, Gott oder doch bitte die ganze Welt sollten sich jetzt sofort und gefälligst noch mehr sorgen, damit niemand verhungerte.

Freitagmorgen bekam ich vor lauter Frust Heißhunger auf neue Schuhe, Freitagmittag stellte ich fest, dass zu ihnen keine meiner Handttaschen passte und rannte zurück in den Laden. Abends merkte ich, dass ich noch ein neues Schuhregal und neue Haken für Taschen und eine rote Bohrmaschine um sie an die Wand zu dübeln brauchte.

Samstagmorgen hatte ich frei. Da kam ich auf den Geschmack und wollte Samstagmittag auch noch frei haben und Samstagabend noch dazu und Samstagnacht sowieso.

Sonntagmorgen war ich im Gottesdienst. Das erste Lied gefiel mir so sehr, ich hatte Lust, es noch zweimal zu singen. Dann hörte ich meinen Lieblingsbibelvers, den sagte der Pfarrer aber nur einmal im Jahr. Dann ging ich zum Abendmahl und bekam eine kleine Oblate und einen Schluck aus dem Kelch. So wenig. so schnell, so selten. Bitte immer wieder sonntags zu seinem Gedächtnis und zu meinem schlechten auch.

Ich hatte mich glücklich durchgefuttert durch die Woche, durch das Leben. Aber ich wurde und wurde nicht satt. Ich hatte mich voll gefuttert mit Schokolade, Zärtlichkeit, Schönheit, Erfolg, Schuhen und Taschen, Zeit und Vergebung und Gott, aber Sonntagmittag fühlte ich schon wieder großen Hunger nach all dem. Sonntagabend war ich leer und einsam und zerbrechlich und ängstlich, denn ich merkte, es war einfach nie genug. Ich brauchte es alles immer wieder, und auch immer mehr. Mein Hunger nach Leben war so nicht zu stillen.

Nicht von dem Brot, das der HERR immer wieder gibt, nicht vom täglichen Brot. (Joh 6,34)

„Das wahre Brot Gottes ist das, das vom Himmel herabsteigt und der Welt das Leben gibt.“

„Ich bin das Brot, das Leben schenkt“, sagt Jesus. „Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein. Wer sich an mich hält, wird keinen Durst mehr haben.“

„Denn mein Fleisch ist die wahre Nahrung, und mein Blut ist der wahre Trank.

Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt mit mir verbunden und ich mit ihm.“

Als sie das hörten, sagten viele, die sich Jesus angeschlossen hatten: „Was er da redet, geht zu weit! So etwas kann man nicht mit anhören!“ Jesus wusste schon von sich aus, dass sie murrten, und sagte zu ihnen: „Daran nehmt ihr Anstoß? Wartet doch, bis ihr den Menschensohn dorthin zurückkehren seht, wo er vorher war!

Lebenshunger ist nicht zu stillen, bis man versteht, dass es ohne Jesu Tod nicht geht.

Bis er sein Fleisch und sein Blut gibt und wir das Brot des Lebens essen.

Das trockene Brot, das Wort des ewigen Lebens, an dem man zu kauen hat, sich fast die Zähne daran ausbeißt. Es immer wieder ausspucken möchte, weil es hart ist, kaum zu schlucken, bis man mit Hilfe Gottes Geist versteht, dass es ohne Jesu Tod nicht geht.

Jesus ist nicht unser täglich Brot, damit wir überleben. Jesus ist nicht das Brot für jeden Tag, für immer, das uns satt macht bis zum nächsten Tag. Jesus ist nicht das Brot für jeden Montag Mittag, jeden Mittwoch Abend oder Sonntag Morgen, sondern das Brot für einmal, ein für allemal. Nur einmal kommt Gott in Jesus zur Welt. Nur einmal stirbt er am Kreuz für das Leben der Welt. Nur einmal gibt Jesus sein Fleisch und sein Blut, damit wir ein für allemal satt werden.

Nur einmal werden wir geboren. Nur einmal werden wir getauft. In Jesu Tod hinein, einmal drei Tage Tod einmal drei Mal Taufwasser. Nur einmal bekommen wir darin Anteil an Jesus, essen sein Fleisch und trinken sein Blut auf das wir ewig leben.

 …Wir alle, die »in Jesus Christus hinein« getauft wurden, sind damit in seinen Tod hineingetauft, ja hineingetaucht worden. Durch diese Taufe wurden wir auch zusammen mit ihm begraben. Und wie Christus durch die Lebensmacht Gottes, des Vaters, vom Tod auferweckt wurde, so ist uns ein neues Leben geschenkt worden, in dem wir nun auch leben sollen. Denn wenn wir mit seinem Tod verbunden wurden, dann werden wir auch mit seiner Auferstehung verbunden sein. (Röm 6)

Wer getauft ist und das glaubt, der hat das ewige Leben und wird satt. Mehr als ewiges Leben kann man nicht kriegen. Wer das glaubt, ist satt an Vertrauen, dass es an nichts mangeln wird, nicht mehr mangeln kann. Der wird so satt, dass der Hunger nach dem täglichen Brot nicht mehr das Leben bestimmt, sondern das Vertrauen, dass es schon reichen wird, dass mehr als genug zum Leben da ist. So satt an Vertrauen, dass die Schokolade wird reichen wird, und die Zärtlichkeit, die Schönheit, der Erfolg, die Schuhe und die Taschen, die Zeit sowieso und Vergebung und Gott auch. Wer das glaubt, ist satt vom Brot des Lebens, voller Vertrauen in Gott. Noch satter als die kleine Raupe Nimmersatt, als sie dick und bereit war, sich völlig zu verwandeln. Wer das glaubt, ist schon verwandelt. Neugeboren durch Wasser und Geist, durch Jesu Wort und Leben (Joh 3,5). Wer das glaubt, war schon im Kokon, war schon im Tod. Wer das glaubt, lebt wie ein schöner, bunter Schmetterling. Kriecht nicht nur auf dem Boden der Tatsachen, hangelt sich nicht von einem abgeernteten Ast zum nächsten, von einem Hunger zum nächsten, sondern fliegt mit dem warmen Wind der Verheißung von einer Pflanze zur nächsten Blüte.

1 I Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle.

Perikope
26.03.2017
6,34-36

Lebendig fühlen - Predigt zu Johannes 6,55-65 von Sven Keppler

Lebendig fühlen - Predigt zu Johannes 6,55-65 von Sven Keppler
6,55-65

I.
Liebe Gemeinde,

sie hat Hunger nach Leben. Vor ein paar Wochen kam sie aus dem Gefängnis, nach fünf Jahren. In der letzten Zeit hatte man ihr „gute Führung“ attestiert, sonst hätte sie noch länger sitzen müssen. Fünf verlorene Jahre, für eine Dummheit mit Anfang Zwanzig. Einen Beruf hat sie erlernt im Knast, KfZ-Mechanikerin ist sie jetzt. Und eine Wohnung hat sie auch gefunden. Und jetzt hat sie Hunger: nach dem Leben, nach einem Neuanfang.

Sie ist in eine neue Stadt gezogen, wo sie keiner kennt. Wo sich niemand an die Zeitungsberichte mit ihrem Foto erinnert – das hofft sie zumindest. Ob die neuen Nachbarn angesehen haben, woher sie kommt? Es ist Samstagabend, ihre Sehnsucht nach dem Leben brennt, aber sie weiß nicht wohin. Freunde hat sie noch nicht. Noch nicht? Soll sie tanzen gehen? Endlich mal wieder einen Mann kennen lernen. Endlich mal wieder richtig feiern. Sie hat Angst, ihr Versuch mit den Drogen im Knast war ihr nicht gut bekommen. Sie spürt die Unruhe. Aber irgendwie will sie ein anderes Leben, will neu anfangen. Aber wie geht das?

Und da ist die Angst, dass es doch wieder wie früher kommt. Die falschen Männer, die, die ihr zwar gefallen, die sie aber immer nur ausgenutzt haben. Die Streitereien, die Schläge. Nein, lass bloß die Finger vom Alkohol. Und fall nicht wieder auf die Aufreißer rein. Bleib zu Hause, heute Abend. Schreib lieber noch eine Bewerbung.  Denn sie hat auch Sehnsucht nach der Normalität. Einfach ganz spießig sein: Ein Mann, ein Kind, Arbeit und eine kleine Wohnung. Ohne Schulden, ohne Streit – so, wie es ihre Eltern nie hinbekommen haben. Und wieder hat sie Angst: Wenn es nicht mal mit dem Job klappt, woher soll dann der Rest kommen? Riecht sie nicht immer noch nach Knast?

Woher? Woher die Kraft zum Neuanfang? Woher die Kraft zu einem gelingenden Leben, nach dem sie sich sehnt? Wo die richtigen Leute kennen lernen? Wie soll sie die Angst besiegen, dass alles doch wieder so wird, wie es immer schon war? Den Hunger hat sie, aber wo und wie sie satt werden soll, ahnt sie nur vage.

Liebe Gemeinde, ich hätte auch von anderen Menschen erzählen können und von deren Hunger nach Leben: Von dem Schulabgänger, der glaubt, dass nun sein Leben beginnt. Von der Witwe, die sich ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes eingestehen muss, dass sie sich heute viel freier fühlt als damals, als ihr Mann noch lebte.

 

II. In all diesen Geschichten steht neben der Sehnsucht meistens auch eine Ratlosigkeit: Weiß ich eigentlich so genau, wie ich leben möchte? Sind die Vorstellungen, die ich habe, auch der richtige Weg? Und werde ich in mir die Kraft finden für das, was mir das Richtige scheint?

Auch unser heutiger Predigttext handelt vom Hunger, vom Leben, von der richtigen Speise. Er tut es auf eine krasse Weise. Ein harter Text der Passionszeit. Wir werden uns bemühen müssen, werden darum ringen müssen, ihn richtig zu verstehen. Aber in ihm steckt das Versprechen, dass sich die Mühe lohnen wird. Ich lese aus dem Evangelium nach Johannes, im sechsten Kapitel die Verse 55-63:

[Verlesen von Joh 6,55-65]

Herr, das ist wahrhaftig eine harte Rede. Öffne unser Herz, dass wir sie richtig verstehen. Amen.

 

III. Ärgert euch das? Da habe ich von Sehnsucht gesprochen, vom Hunger nach Leben. Und dann dieser harte Predigttext? Nirgends in der Bibel ist so krass und ausdrücklich davon die Rede, dass wir tatsächlich Jesu Fleisch essen sollen und sein Blut trinken. „Ärgert euch das?“ So fragt auch Jesus seine kopfschüttelnden Jünger.

So ist es ja auch mit dem Gekreuzigten. Je nach Sichtweise ein Ärgernis oder eine Torheit. Oder eine Kraft Gottes – die selig macht alle, die glauben. Woher kommt diese Kraft Jesu? Was ist die Quelle seiner Ausstrahlung? In unserem Predigttext sagt er, dass ihn der lebendige Vater gesandt hat. „Ich lebe um des Vaters willen.“

Enger als er kann ein Mensch nicht mit Gott verbunden sein. Mit Gott, seinem Vater. Gott schaut ihn an. Er sieht ihn so, wie er ist: seinen Schmerz, seine Verzweiflung, seine Unschuld. In den Augen seines Sohnes hat Gott die Frage aller Menschen gelesen: Wird mit dem Tod alles aus sein? Gott, unser Hunger nach Leben ist noch längst nicht gestillt. Gibt es keine Chance mehr, dass sich unsere Sehnsucht nach einem wirklich gelungenen Leben je erfüllt?

Aber Gott hat seinen Sohn nicht verlassen. Am dritten Tag, am Ostermorgen, hat er ihm wieder das Leben geschenkt. Er hat ihn nicht nur wiederbelebt für eine kleine Zeit. Sondern er hat ihm das ewige Leben gegeben. Ein Leben, vor dessen Ende man keine Angst mehr haben muss, weil es kein Ende hat. Ein Leben, vor dessen Misslingen sich niemand fürchten muss, weil es besser sein wird, als wir uns überhaupt vorstellen können. Es gibt keinen Karfreitag ohne Ostern. Es gibt bei Gott keinen Tod ohne das ewige Leben. Das ist die Hoffnung, die der Gekreuzigte trotz aller Härte für mich bedeutet.

 

IV. Und dieser Christus, dem Gott die Lebenskraft schenkt – dieser Christus will sich auf das Engste mit uns verbinden. Er will uns teilhaben lassen an seiner Lebensenergie. Das ist die zentrale Aussage unseres Predigttextes: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.(Joh 6,56)

Das heißt nichts anderes als: Wenn ihr das Abendmahl feiert, dann seid ihr mit mir vereint. Dann wird euch Gott so ansehen, wie er mich angesehen hat. Gott wird eure Sorgen sehen. Eure Traurigkeit. Er wird eure Sehnsüchte nach dem Leben sehen. Gott wird euch nicht mit zornigen Augen ansehen, er wird euch nicht abweisen. Sondern so wie er mir das Leben geschenkt hat, so wird er es auch euch schenken.

Dass wir Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken sollen – das ist eine heikle Aussage. Sie ist absichtlich so hart gewählt, Jesus selbst hat die Wirkung seiner Worte bei den Jüngern gesehen. Diese Worte müssen wahrscheinlich so hart sein. Aber später sagt Jesus auch: Der Geist ist’s, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. (Joh 6,63)

Wir sollten das als einen Hinweis hören: Das Abendmahl ist nichts für blutrünstige Fantasien. Es ist Brot, das wir essen und es ist der Saft der Trauben, den wir trinken. Leib und Blut Christi sind es auf eine geistliche Weise. Wenn wir im Mahl das Brot essen, sind wir durch Gottes Geist mit dem Leib des auferstandenen Christus verbunden. Wenn wir den Wein trinken, nehmen wir durch Gottes Geist Christi Leben in uns auf.

Christi Leib und Blut essen und trinken wir auf geistliche Weise. Jesus selbst sagt: Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. (Joh 6,58b) Christus nimmt uns in sich auf, und wir ihn in uns: Wir werden Erlöste wie er. Das ist die frohe Botschaft unseres heutigen Predigttextes.

 

V. Und was bedeutet das für unsere junge Frau vom Anfang der Predigt, für ihren Hunger nach Leben, für ihre Sehnsucht nach einem Neubeginn? Was heißt das für den Schulabgänger oder die Witwe? Was heißt es für mich und für Sie, wenn wir uns nach einem gelingenden Leben sehnen, nach Liebe, nach Kraft?

Liebe Gemeinde, ich halte die Geschichte von der jungen Frau für beispielhaft. Auch wenn wir ihre Situation oft eine Nummer kleiner erleben. Und dadurch nicht ganz so deutlich.

Vielleicht kennen Sie das auch: Da hat man die Sehnsucht, im eigenen Leben etwas zu verändern. Meistens nicht so stark, dass man ein neues Leben beginnen will. Aber ein kleiner Neuanfang: Man möchte eine erkaltete Freundschaft wieder aufleben lassen. Man versucht, mit dem Partner oder der Partnerin einen alten Konflikt endlich zu lösen. Man hofft, sich den Tag ab jetzt etwas anders aufzuteilen, damit man mehr von ihm hat.

Oft sind solche Neuanfänge von der Sorge begleitet, dass die Macht der Gewohnheit zu stark ist. Wie die junge Frau Angst davor hatte, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden. Das Vergangene hat eine so starke Macht über uns, dass wir kaum von ihm loskommen. Dass wir oft nicht einmal sehen, was wirklich gut ist für uns. Mitten in diese Erfahrung hinein spricht unser Predigttext: Er erzählt uns von der Kraft zum Neuanfang, die Gott für uns bereithält. So, wie Gott Christus ein neues Leben geschenkt hat, so verspricht er es auch uns.

An unserer eigenen Kraft zum Neuanfang haben wir oft berechtigte Zweifel. Aber Gott will uns diese Kraft schenken. Wenn wir ihm glauben und ihm vertrauen. Im Heiligen Abendmahl werden wir mit dieser Lebenskraft verbunden. Es ist das Brot des Lebens. Hier können wir satt werden in unserem Hunger. Gestärkt werden, wenn wir aufbrechen wollen. Und auch später, auf dem Weg. Amen.

Perikope
26.03.2017
6,55-65