Abschied, „because I’m happy“ – Predigt zu Johannes 16,16(17-19)20-23a von Wolfgang Grosse
Abschied.
Sonntagabend. 18 Uhr Neun. Grau hängen die Wolken am Himmel. Bremen Hauptbahnhof. Gleis 1. Ich sehe dem Zug hinterher. Auf Wiedersehen. IC 2435 nach Halle.
Das war‘s dann wohl. Endgültig. Meine Tochter geht ab heute ihren eigenen Weg. Morgen beginnt ihr Studium. Die letzten Wochen, Monate neben viel Organisieren und Suchen nach einer „Studentenbude“, ist bei mir immer wieder der unausgesprochene Gedanke von Abschied. Aber ihre Lust zum Neuanfang hatte mich stets aufs Neue angesteckt. Hatte dunkle Gefühle nicht zugelassen. Eine kleine Weile noch …
Ach, was soll’s: Wir haben doch alle Zeit der Welt! Manchmal kam es mir vor: Wir waren uns in den letzten Wochen näher als in den 18 oder 19 Jahren davor. Die Rücklichter des Zuges verschwimmen im einsetzenden Nieselregen. Dann macht der Zug eine Kurve. Verschwunden in der Ewigkeit. Die Zuganzeige auf dem Gleis rattert metallen mit ihren Blechlettern. 18 Uhr Siebzehn: Ankunft aus … ich lese nicht zu Ende.
Heute war Abfahrt. Heute war Abschied. Heute war Traurigkeit. Der Vater schluckt still eine Träne hinunter. So stehe ich da. Noch eine kleine Weile.
Mich fröstelt. Bremen hat einen Durchgangsbahnhof. Es zieht „wie Hechtsuppe“. Diese Redensart hat weder mit einem Hecht noch mit einer Suppe zu tun. Die „Hechtsuppe“ stammt aus dem Hebräischen und heißt eigentlich "hech supha". Dieser hebräische Ausdruck wurde in den jiddischen Sprachgebrauch übernommen. Man sagte also, es zieht wie „hech supha“, wie ein Sturmwind. So fühle ich mich jetzt. Ein Sturmwind braust durch meinen Kopf, durch mein Herz. Paula, Paulinchen, als sie klein war. Eigentlich Paula Johanne, die „Kleine, der Gott gnädig ist“. Die Urgroßmütter haben Namenspatronin gestanden. Nun ist sie groß geworden. Und Gott war gnädig. 19 Jahre lang bisher. Wie die Zeit vergeht ... Ach, Kinners … stilles Seufzen. Ich erinnere mich noch gut. Damals im Krankenhaus. Ich war dabei. Die Wehen. Die Schmerzen. Die Geburt. Das Glück, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Ich durfte die Nabelschnur durchtrennen. Sie sozusagen eigenständig werden lassen. Geschöpflich wirken. Bei diesem kleinen, nicht wirklich schönem Wesen, schrumpelig, schreiend, Kasein verschmiert. Aber Paula war wunderschön. Neue Schöpfung. Neuanfang. Alle Angst vorher war weggeblasen. Indem ER seinem Odem einblies, als SEIN Sturmwind zärtlich das Leben einhauchte.
Eine kleine Weile, dann sahen wir uns an, eine kleine Weile lang. Paula und ich. Die Welt war eins. Und Frieden. Und Liebe. Keine Fragen mehr. Die Fragen kamen wieder. Natürlich. Nur wenig später. Als wir gemeinsam gekrabbelt, die ersten Schritte gewagt haben. Dann sind wir gegangen, Hand in Hand, aber auch: immer selbstständiger. Die Taufe: Sie gehört nicht mir. Sie gehört Gott. Der erste Abschied.
Der Kindergarten. Gefühlsmäßig allein gelassen, aber für sie „no problem“. Für mich schon. Der zweite Abschied. Die Schule. Andere Menschen wurden wichtig. Freundinnen und Freunde. Nicht mehr nur die Eltern. Der dritte Abschied. Dann die Jugend. Abschiede über Abschiede. Der erste Freund. Blöder Nebenbuhler, hey Töchterchen! ICH war doch bisher der Mann für sie. Und sie sagte fröhlich: „Ich bin dann mal weg.“ „Ich bin heute Abend nicht da.“ „Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme.“ „Ich schlafe heute Nacht bei XY.“ Manchmal noch nicht einmal eine Info. Wenn ich Glück hatte lernte ich „ihn“ sogar kennen. Jedes Mal Fragen über Fragen. Jedes Mal auch Angst. Jedes Mal auch ein wenig Trauer. Unbewusst natürlich nur, im Rückblick. Der Abschied rückte näher. Über Jahre. Als wir zusammen gingen. Aber das war mir nicht so klar. Eine kleine Weile noch …
„Eile mit Weile …“ dachte ich: Wir hatten doch alle Zeit der Welt! Hatten wir nicht. Zumindest nicht nach meinem Empfinden. Im Rückblick. Die Zeit verging so schnell. Viel zu schnell. Gestern noch die Geburt. Heute stehe ich auf dem Bahnhof und winke. Ach, Kinners … stilles Seufzen. Sie, Menschen- … Gottesgeschöpf, „Kleine, der Gott gnädig ist“: zusammen haben wir gelacht und geweint. Zusammen haben wir Bäume ausgerissen und versucht die Welt zu verändern. Im Kleinen haben wir es auch geschafft. Darauf bin ich ein wenig stolz. In unserer kleinen Welt. Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, Gott.
Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, Jesus. Ich hab‘ ihr von IHM erzählt, dem Heiligen Geist, dem Tröster. Sie hatte immer Fragen, immer wieder: Was bedeutet das? Wie soll ich das verstehen? Und oft hat sie dann selbst eine Antwort gefunden. Sie hat gesungen, im Kinder- und Jugendchor: Jauchzet Gott, alle Lande! Trotz Zweifel und Angst: Über Gott, über sich, über die Welt. Schaffe ich das? Vielleicht hat sie es nicht gehört. Aber Gott oder Jesus oder der Tröster, der Heilige Geist hat jedes Mal gesprochen: „Hey, es ist doch nur für eine kleine Weile!“ Immer diese blöde Angst!
Ich weiß: Ein Pastor als Vater ist vermutlich nicht immer einfach. „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh geraten selten oder nie.“ Ich grinse. Nicht jedes Sprichwort ist wahr. Da wehre ich mich gegen. Ich bahne meinen Weg durch die Eingangshalle des Bahnhofs. Wie viele Abschiede und Wiedersehen werden gerade in diesem Moment von Menschen erlebt?
„Nur eine kleine Weile … aber wir sehen uns wieder …“. Beim Abschied auf dem Bahnsteig, als sie schon im Abteil war und das Fenster hinunter geschoben hatte, da sah sie mich an. Mit einem ganz bestimmten Blick. Nur einen Moment lang. Was bedeutet das?
Ich kannte diese Augen. Drei große Fragezeichen darin. Mindestens drei. Dann sagte sie: „Ist doch nur für eine kleine Weile … bis bald!“ Ihr eigener Weltschmerz aufgefangen und gleichzeitig den Papa getröstet. Oder war es in diesem Moment - dann doch für uns Beide - als in mir der Pastor verstummte: ER? Aus Paulinchen ist Paula Johanne geworden. Frau Grosse. Um genau zu sein. 19 Jahre alt. Der Zeiger auf der großen Bahnhofsuhr über mir klackt. Zeit vergeht. ER hat sie in seiner Hand. Ich gehe zum Auto. Krame den Schlüssel hervor. Glück gehabt. Kein Zettel hinter dem Scheibenwischer. Keine Politesse ist da gewesen. War ja nur für eine kleine Weile. Autotür auf. Autotür zu. Stille. Ich schließe die Augen. Atme tief in mich hinein. Spüre den Odem Gottes. Die Traurigkeit schwindet. Angst verfliegt. Freude bricht sich Bahn. Unbändig. Ohne Fragen. Denn ich weiß: ER war da. ER ist da. ER wird da sein. Gestern. Heute. Morgen. Mein Herz freut sich. Und meine Freude soll niemand nehmen. Ein kurzes Tippen auf den Knopf vom Autoradio: „Because I'm happy!“ Pharrell Williams. Passt. Jauchzet Gott, alle Lande! Keine Fragen mehr.
Gott gibt Gnade. Für Groß und Klein. Ich fahre nach Hause. Paula ist behütet. Ich auch. Neuer Anfang. Neue Freiheit. Für sie. Für mich. Und das Wiedersehen wird lauter Freude sein. Nur eine kleine Weile …
In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Joh 16,33)
Amen.
Bild „Bahnhof“ zum Download unter:
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Ich bin dann mal fischen – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Margot Runge
Ostern ist ganz handfest: Es gibt Arbeit und Brot. Das ist existenziell für die meisten Leute. Damals und heute. Und es ist nicht selbstverständlich. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass die Arbeit genug einbringt. Die Leute haben die ganze Nacht auf dem See gefischt und kommen doch mit leerem Boot heim. Andere kriegen 2,50 Euro für zwölf Stunden Handyzusammenbauen, Turnschuhnähen oder Bananenpflücken. Arbeit haben und davon leben können, das ist nicht dasselbe. Das wissen alle, die in den 90-er Jahren alle ihre Kräfte und Ersparnisse in eine Ich-AG gesteckt haben und aufgeben mussten.
Ich bin dann mal fischen, sagt Petrus, und eine Handvoll kommt mit. Von irgendetwas müssen sie leben. Petrus hat Familie in Kapernaum, hungrige Mäuler, die auf Essen warten. Sie bilden eine kleine Genossenschaft auf Zeit, vielleicht auch nur, um das Boot zu mieten oder zu unterhalten. Da ist es schon ein Verlust, wenn die Arbeit einer ganzen Nacht umsonst ist – am Tag lässt es sich nicht fischen. Pech gehabt, zucken manche vielleicht mit den Schultern. Doch für Arme ist es eine Katastrophe, denn sie bringt das ohnehin knappe Überlebens-Budget ins Wanken.
„Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ diese Frage empfängt sie nach ihrer anstrengenden Nachtschicht am Ufer. Nein, sie haben nichts. Kein Fisch, kein Brot. Aber sie werden noch einmal herausgeschickt, an eine andere Stelle, von einem Unbekannten, der herumlungert und den sie nicht erkennen können. Reichlich hundert Meter, und weiter rechts sollen sie die Netze auswerfen.
Komischer Typ. Warum fährt er nicht selbst aus, wenn er sich so gut auskennt? Warum kassiert er die Fische nicht selbst ein, wofür sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen haben? Eine Falle? Oder will er einen Anteil am Fang? Eine Provision?
Dass einer sie nicht betrügen will, sondern solidarisch ist und ihnen, obwohl er selbst Hunger hat („Kinder, habt ihr nichts zu essen“), die besten Fischgründe zeigt, das ist eher üblich bei Jesus und seinen Schüler/-innen. Doch nur ein Liebender kommt auf die Idee: Sollte es Jesus selbst sein, der Lebendige?
Unglaublich. Das Netz ist prall gefüllt mit lauter großen Fischen, Arbeit, die sich lohnt. Am Ufer brennt ein Feuer. Der Unbekannte erwartet sie und hat ihnen sogar Frühstück vorbereitet. Irgendwoher hat er Brot und Fische aufgetrieben, auch wenn es nicht reicht. Sie müssen noch ein paar von den frisch gefangenen bringen. Ist es nun Jesus? So richtig trauen sie sich nicht zu fragen.
Übrigens ist es so ähnlich wie vor Monaten, als sich unendlich viele Leute mit knurrendem Magen am Ufer drängten. Damals hatte ein einziges Kind etwas zu essen dabei, fünf Brote und zwei Fische. Das Kind gab ab und alle haben Brot und Fische geteilt und es reichte. Waren es Tausende? (Joh 6,1-13)
Jedenfalls können heute alle satt werden, wenn wir auf der Erde gerecht teilen. Wäre das nun ein größeres Wunder als damals, als das Kind fünf Brote und zwei Fischen verschenkt hat?
Ein Kind kam zu dir und gab/ an jenem Tage /
seine fünf Brote für dich, ohne zu fragen. /
Zusammen habt ihr die Kraft, Hunger zu stillen. /
Zusammen habt ihr die Macht, Hunger zu stillen. 1
Heute ist der See Genezareth eine Touristenattraktion. Schiffe schippern Schaulustige aus aller Welt über die Wellen. Am Ufer eilt das Personal hin und her und beköstigt die Massen. Für besondere Gäste wird abends am Ufer gegrillt. Ein Highlight in der Dunkelheit. Fast so wie damals.
Jesus unterschiede sich wohl kaum von den dienstbaren Geistern in aller Welt, die das gutbetuchte Publikum – oder die, die sich dafür halten – von vorn und hinten bedienen.
Jesus kellnert. Er schürt Feuer am Strand, brät Fisch und Brot. Er schlüpft in die Rolle der Frauen, die für’s Essen zuständig sind. Er macht Frühstück. Die Jünger_innen fragen sich: Ist es Jesus? Ist er so nicht?
Erkennen sie ihn? Besser: was sehen, was erkenne sie eigentlich? Das bleibt in der Schwebe. Und das ist gut so. Denn immer wieder behaupten Leute, sie wüßten ganz genau, wie Jesus wäre, was er meinen oder nicht meinen würde. Ihnen wäre sonnenklar, wie Gott zu verstehen sei, und ihr Weg zu Gott sei der einzige.
Diese Ostergeschichte versperrt sich den schnellen Antworten. Sie zeigt auch, daß es um schnelle Antworten überhaupt nicht geht.
Wie die Jünger_innen Ostern erlebt haben, davon erzählt die Bibel viele und völlig unterschiedliche Geschichten. Jesus zeigt sich in verschiedener Gestalt, als Wanderer, als Gärtner, als Geliebter, als Verwundeter mit Narben und Folterspuren, als Hungriger, als (Gefängnis-)Einbrecher.
Immer wundern sich die Jünger_innen, manchmal fürchten sie sich sogar. Aber immer verändert sich etwas für sie. Sie kehren um. Sie verlieren ihre Angst. Sie begreifen Zusammenhänge. Sie beginnen zu reden. Sie treten überzeugend auf. Sie kommen in Bewegung. Sie lassen sich nicht einschüchtern. Sie wachsen über sich hinaus.
Ostern hat so viele Gesichter, weil wir viele Gesichter haben und in verschiedenen Situationen stecken.
Deshalb bedeutet Ostern, Auferstehen, Aufstehen für jede_n etwas anderes. Aufstehen heißt für jede_n eine andere Herausforderung, eine andere Verwandlung, eine andere Überraschung. Die Hoffnung trägt viele Namen, selbst wenn auf die manchmal niemand so schnell kommt.
Aber immer ist Ostern ganz handfest. In unserer Geschichte heißt Ostern: es gibt Arbeit und Brot. Ich bin dann mal fischen, sagt Petrus.
1 (aus Spanien, Weltgebetstag 2011 - Chile)
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Konfi-Impuls „Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.“ - „Neuanfang“ - Konfi-Impuls zu Johannes 21,1-14 am Sonntag Quasimodogeniti von Frau Stefanie Bauspieß
Der Sonntag Quasimodogeniti bedeutet „wie die Neugeborenen“. Kein ganz leichtes Thema für Konfirmand*innen. Neu anzufangen allerdings schon. Da der Text die Erscheinung Jesu nach Tod und Auferstehung zum Thema hat, eignet er sich gut, um „Auferstehung“ im Kirchlichen Unterricht zu behandeln.
Das Lied „Neuanfang“ von Clueso bietet sich für einen Einstieg in die Konfirmandenstunde an, ebenso eine Einspielung im Gottesdienst an. Über www.songtexte.com kann man den Liedtext einsehen.
Zu Beginn wird ein Plakat mit dem Schriftzug „Neuanfang“ mitgebracht und gesammelt, was die Konfirmand*innen darunter verstehen (Beziehung, Umzug, Vertragen …). Anschließend wird das Lied von Clueso vorgespielt ,eventuell mitgelesen und das Plakat um die Impulse aus dem Lied ergänzt. Interessant ist die Kontinuität zwischen dem Alten und dem, was nach dem Neuanfang kommt. Clueso singt von den Erinnerungen und dass er kein neues Leben, sondern einen neuen Tag will. Neues ist nur auf dem Hintergrund von Altem möglich.
Den Konfis wird die Frage nach der Auferstehung Jesu gestellt (hängt mit Ostern zusammen, gestorben und auferstanden, der gleiche wie vorher?). Macht Jesus auch einen Neuanfang? Geht alles wieder von vorne los?
Zusammen wird Joh 21,1-14 gelesen. Jesus erscheint den Jüngern. Er erscheint ihnen in einer Alltagssituation, die Kreuzigung ist schon länger her. Zuerst erkennen sie ihn nicht und kommen mit ihm ins Gespräch. Auf einmal aber erkennt ihn sein Lieblingsjünger daran, dass das Netz voller Fische ist. Als sie später miteinander das Mahl halten, wagt niemand zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Er ist der Herr.
Die Jünger erkennen Jesus, weil etwas passiert, was an Vergangenes anknüpft. Das gemeinsame Mahl, die Fischvermehrung. Sie erkennen ihn nicht am Aussehen, sondern am gemeinsam Erlebten. Jesus ist verändert, er ist ganz neu: Auferstanden aus dem Reich der Toten. Und doch bleibt das gemeinsam Erlebte und bietet so die Möglichkeit, das Neue zu verstehen.
Wie ist das mit unseren Wünschen nach Neuanfängen? Nach einem Misserfolg, einem Streit oder auch nur einer zu bekannten Situation reizt das Neue, der Neuanfang. Aber wir sind die, die wir sind. All unsere Erlebnisse und Erfahrungen machen uns zu denen, die wir sind. Um neu zu beginnen, gehört es auch, sich mit Altem auszusöhnen.
Die Jünger wissen, dass der Auferstandene ihr Jesus ist. Weil sie es wissen und weil wir es wissen dürfen, gilt seine Auferstehung auch für uns. Für die Konfis ist es wichtig zu verstehen, dass das der Grund ist, weshalb sie im Konfirmandenunterricht und der Kinderkirche sind, weshalb wir uns die Geschichten von Jesus jeden Sonntag neu erzählen: Um die Erinnerungen zu schaffen und wachzuhalten, damit eines Tages ein Neuanfang möglich ist.
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Vom Wort, das Leben wendet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Soren Schwesig
Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um … und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land ... und zogen das Netz mit den Fischen.
Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, 153. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.
Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.
Liebe Gemeinde,
damit haben die Jünger eine Woche nach Ostern gewiss nicht gerechnet. Längst sind sie wieder im Alltag versunken mit Frust und Lust. Längst sind sie wieder verstrickt in das Gewebe von Erfolg und Misslingen. Sie blicken auf ihre Hände und was die zuwege bringen. Dass da einer am Ufer ein Festmahl für sie vorbereitet, wie sollten sie damit rechnen?
Gerade war den Jüngern das allererste Ostern widerfahren. Der auferstandene Christus war ihnen begegnet, hatte sie ausgesandt und ihnen den Heiligen Geist zugesprochen. Aber schon ein paar Tage später ist der Zauber verflogen und der Alltag hat sie wieder. Jetzt geht es ums Überleben, um Essen und Trinken und das, was man halt braucht. Und Jesus, der hat sich ja verabschiedet. Den Auferstandenen haben sie zwar gesehen und der Auferstehung Jesu von den Toten haben sie geglaubt. Aber nun ist der Alltag wieder eingekehrt. Irgendwie muss das Leben ja weitergehen.
Und wir: Auch bei uns ist das Leben weitergegangen. Auch wir sind wieder eingetaucht in unseren Alltag, manche mit Frust und andere mit Lust, verstrickt in das Gewebe von Erfolg und Misslingen. Wie sollten wir eine Woche nach Ostern damit rechnen, dass uns noch einmal ein Festmahl bereitet wird und dass der Auferstandene selbst in unser Leben tritt?
Ich fühle mich ertappt. Wie groß waren die Gefühle, als der alte Osterruf: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ wieder zu hören war! Wie ergreifend die Osterbotschaft, dass der Tod nicht das letzte Wort über uns haben wird! Aber nach großen Osterworten befällt uns Menschen wieder die alltägliche, un-österliche Angst und Sorge um das eigene Leben: Ob genug da sein wird zum Leben, ob mir die Gesundheit erhalten bleiben wird, ob mir das Älterwerden und Alleinsein nicht doch schwer zu schaffen machen wird, ob ich meine Arbeit bewältigen werde?
So suchen uns die Jünger der späten Ostergeschichte in unserem Alltag auf und kommen uns im schummrigen Licht des gewohnten Trotts zu Hilfe.
Auch Petrus und die Seinen hat der unösterliche Alltag wieder. „Ich will fischen gehen.“ – „Gut, dann kommen wir mit.“ Sie gehen ihrem Broterwerb nach. Aber der Erfolg ist dürftig. Nichts fangen die Jünger in dieser Nacht, keinen einzigen Fisch. „Das kommt vor“, höre ich ihre Erklärungsversuche. „Es kann ja nicht jeder Fang gelingen, da musst du durch. Zähne zusammenbeißen. So ist es eben, daran gewöhnt man sich!“
So reden wir auch oft, dass es so eben ist, dass die Welt eben ist, wie sie ist: Dass die einen immer reicher werden und den anderen das Nötige zum Leben fehlt; dass Kinder aus armen Verhältnissen deutlich schlechtere Bildungsaussichten haben als solche aus wohlhabenderen Familien; dass Gewalt in Syrien und Irak schon zur normalen Nachricht gehört; und dass die Kinder von Tschernobyl an Leib und Seele unter der Katastrophe von vor 30 Jahren leiden bis auf diesen Tag
… so ist das halt. Man kann sich auch nicht immer über alles aufregen!
Ganz und gar unösterlich ziehen wir uns oft zurück in unsere private Welt. Und lassen uns von den Jüngern mitnehmen ins Boot des Alltagstrotts.
Liebevoll spricht die Jünger jetzt ein Fremder vom Ufer aus an: „Kinder, habt ihr nichts zu essen? Habt ihr nichts, was euch satt macht? Nach der langen vergeblichen Nacht hungert ihr?“
Kinder nennt er sie. Erwachsene Männer werden zu Kindern. Aber bei ihm dürfen sie Kinder sein, ohne das Gesicht zu verlieren. Und als Kinder können und dürfen sie ganz offen sagen, wie es um sie bestellt ist.
„Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Ganz offen, ohne Ausflüchte und Beschwichtigungsversuche kommt ihr „Nein“. Mehr brauchen sie nicht zu sagen. Denn der sie fragt, weiß um die Leere und Trostlosigkeit ihres Alltags. Er weiß um die erfolgslosen Versuche, diesem Alltag einen Sinn abzugewinnen. Er weiß um die Resignation, die sich wieder in den Herzen eingenistet hat. Er sieht tief hinein in das Herz und weiß darum, dass sie sich anderes wünschen. Nein, wir haben nichts!
Der Unbekannte am Ufer wird sich als Jesus herausstellen, wir wissen das längst. Und doch ist es so: Noch können die Jünger Jesus nicht erkennen, noch ist er ein Fremder. Aber sie spüren: In seiner Nähe brauchen wir uns nicht zu verstellen, wir können ehrlich sein wie Kinder. Sie spüren es und können es doch nicht wahr sein lassen.
Wie oft kommt Jesus uns entgegen, spricht zu uns und wir erkennen seine Stimme nicht? In einem Kind, das uns anlacht und mit seinem Lachen vom Leben erzählt. In dem Freund, der uns anruft, gerade wenn wir uns einsam und wertlos fühlen. In der Kollegin, die uns ohne etwas zu sagen die Arbeit abnimmt, weil sie sieht, dass nichts mehr geht. Aber vielleicht erkennen wir ihn auch deshalb nicht, weil sein Wort unserer Menschenlogik oft genug kräftig widerspricht.
„Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden“, sagt der Unbekannte. Die Aufforderung scheint widersinnig zu sein. Wie sollten auf der anderen Seite des Kiels mehr Fische sein als daneben, wo kein einziger zu fangen war? Aber die Jünger spüren sich wieder von der Aura Jesu umgeben und geben dem Zweifel nicht statt, sondern reagieren voll Vertrauen – wie Kinder – und lassen sich auf das ein, was ihnen der Fremde zuruft.
Und mit ihrem Vertrauen nehmen die Jünger auch mich an der Hand, als wollten sie sagen: Versuch, was du dir nicht vorstellen kannst! Nimm die kleinen Zeichen der Hoffnung wahr, die Großes bewirken können. Wenn meine kleine Spende für die Kinder von Tschernobyl auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, einem Kind gibt es Medikamente wenigstens für ein halbes Jahr und unschätzbaren Lebensgewinn.
Die Jünger lassen meinen unösterlichen Zweifeln nicht das letzte Wort. Auf Jesu Wort hin füllt sich das Netz der Fischer. Es füllt sich über die Maßen, sodass sie es nicht mehr ziehen können. Sein Wort ist entscheidend, sein Wort wendet das Leben, sein Wort erfüllt die Herzen der Jünger und gibt ihnen Glauben und Vertrauen auch in das scheinbar Unmögliche zurück. Sein Wort wirkt durch ihre gezeichneten Fischerhände. Sein Wort wirkt durch sie und auch durch mich.
Den Jüngern beginnt zu dämmern, wer da zu ihnen spricht. „Es ist der Herr“, wagt einer, der eine besondere Nähe zu Jesus hatte, seine Vermutung auszusprechen. Er ist wieder da, Jesus, der die Blinden sehend und die Lahmen gehend gemacht hat. Das Wunder mitten im Alltag kann geschehen und es geschieht. Sein Wort hat die Netze mit Fischen und die Herzen mit Hoffnung und Freude gefüllt.
Doch werden die Fische an Land überhaupt gebraucht? Längst rösten Brot und Fische auf dem Feuer. Jesus hat sie für die Seinen zubereitet. Man stelle sich das vor: Mühsam ziehen die Jünger ihre Fische an Land, und ihren Stolz über den Fang dazu. Und dann werden diese überhaupt nicht gebraucht. Das Essen ist längst fertig.
Jesus speist die Jünger nicht mit ihrem eigenen Erfolg ab. Der eigene Erfolg ist ja so brüchig und vergänglich. Der eigene Erfolg und das, was man im Leben glaubt zu sein, bleibt nicht und sättigt schon gar nicht die Seele. Sie bleibt hungrig. Jesus zeigt den Jüngern und uns: „Ich weiß, was ihr zum Leben braucht. Ich sorge für euch.“
Und wir, wir nachösterlichen Jüngerinnen und Jünger? Wir müssen seine Einladung nur noch annehmen: Kommt, es ist alles bereit.
Nichtsdestotrotz fordert er die Jünger auf, ihre Fische an Land zu bringen. Jesus würdigt ihre Arbeit und schätzt unser menschliches Tun. Er zeichnet sie und er zeichnet uns aus als Mitarbeiter an seiner Gemeinde, als Mitarbeiter am Reich Gottes. Er speist uns nicht mit dem Erfolg religiöser Arbeit und geistlichen Eifers ab und nicht mit dem Erfolg unserer Hände und Köpfe Arbeit. Die bleiben zwielichtig und angefochten auch eine Woche nach Ostern.
Soweit diese Geschichte, für uns erzählt eine Woche nach Ostern. Auch bei uns ist das Leben weitergegangen. Auch wir sind wieder eingetaucht in unseren Alltag. Aber eine Woche nach Ostern wird uns nochmals ein Festmahl bereitet und der Auferstandene tritt in unser Leben.
Und aufs Neue haben wir gehört, dass wir allein aus seinen Händen das neue Leben empfangen. Allein seinem Wort verdanken wir unseren Wert und unsere Würde. Alles ist bereitet, bevor wir ans Ufer treten. Er, der Herr, bricht mit uns das Brot der Osterhoffnung, er bricht es heute und morgen, er bricht es an Ostern und auch dann, wenn es für uns Karfreitag wird.
Kommt, denn es ist alles bereit!
Amen.
Eingangsgebet
Gott,
wo dein Licht aufgeht, finden wir uns ein.
Wir sind versammelt in deinem Namen.
Nun bitten wir dich um die Wärme und das Verstehen,
das uns von Jesus Christus her umfängt.
Lass unseren Glauben wachsen zu dir,
durch Jesus Christus.
Lass uns singen, dir Gott singen
aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele
von dem Leben, das du uns schenkst,
von allem, was in uns und um uns sich regt und bewegt.
Lass uns singen mit Freude,
mit Kraft das Lied der Hoffnung,
die in uns ist.
Durch Jesus Christus, unseren Herrn.
Amen.
Fürbittgebet
Herr, unser Gott,
wir blicken zurück und danken dir für alles,
was du uns in der vergangenen Woche geschenkt hast.
Wir danken dir für Begegnungen mit Menschen,
denen wir und die uns nahegekommen sind.
Für Gespräche, die uns weitergebracht haben.
Für Worte, die ermutigt, und Gesten, die getröstet haben.
Weil wir dich so in unserem Leben erfahren haben,
bitten wir dich, Gott, für alle,
die auf ein Zeichen deiner Nähe warten.
Für die Entmutigten,
dass sie sich wieder mehr zutrauen;
Für die Kranken, dass sie in ihrem Leid
nicht allein gelassen werden;
Für uns, dass du uns die Augen öffnest
für das, was um uns herum geschieht,
und uns die Kraft gibst, in deinem Namen zu handeln,
wo wir gebraucht werden.
Wir bitten dich für alle,
die sich um Menschen kümmern, die Hilfe brauchen,
dass sie die passenden Worte finden und das Rechte tun.
Für alle, die für eine bessere, eine gerechtere,
eine friedlichere Welt eintreten,
dass sie mit ihrem Einsatz etwas bewirken
und ihre Träume wahr werden.
Für alle, die sich Gedanken über die Zukunft machen,
dass sie Gleichgesinnte finden, die sie unterstützen, ihre Gedanken zu verwirklichen;
Für alle Christen,
dass es ihnen gelingt,
deiner Frohen Botschaft mit Worten und Taten
Gehör zu verschaffen.
Amen.
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Vom Scheitern und Weitermachen – schmecket und sehet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Christina Costanza
I Der fremde Blick
Ein Mann steht am Bahngleis, wartet auf seinen Zug. Seine Blicke schweifen umher, wandern durch die Menge der ebenfalls am Gleis wartenden Menschen. Da sieht er plötzlich eine Frau, die ihm bekannt vorkommt. Er schaut genauer hin und erkennt eine alte Freundin von früher.
Sein Herz schlägt schneller, die Freude unerwarteten Wiedersehens nach langer Zeit steigt in ihm auf. Er geht auf die Frau zu, spricht sie an, seine Freude nicht verbergend. Die Frau dreht sich um – in der Tat ist es die Freundin aus alten Zeiten!
Und doch steht eine Andere vor ihm, eine Fremde. Der Mann merkt, dass sie ihn zwar erkennt. Doch ihr Blick mustert ihn kühl, ihre Stimme ist gereizt. Kurz angebunden grüßt sie ihn und wendet sich zum Gehen. Die Freude des Mannes, sein Lächeln bleiben unerwidert. Seine Erwartung zerbricht, seine Freude schlägt um in Scham. Er sieht sich selbst mit den Augen der Frau, den Augen einer Anderen. Ein fremder Blick, der ihn ins Mark trifft. Wie lächerlich er doch ist mit seiner freudigen Erwartung.
Wie lächerlich er doch ist. Vielleicht nur gut, dass sie weitergeht. Denn was sollte er ihr schon erzählen? Was ist aus seinen Träumen geworden? Was ist aus ihm geworden, was ist er schon?
II Am See von Tiberias
Der Blick eines anderen, er kann ernüchternd sein. Ein Moment der Offenbarung, in dem mir klar wird, was alles nicht in Ordnung ist mit mir. Der mich all meines mühsam zusammengeklaubten Schutzes entkleidet, so dass ich mich nackt fühle, mit leeren Händen dastehe, ausgeliefert.
So etwas passiert den Jüngern in der Zeit nach Jesu Tod. Gerade noch hatten sie erlebt, wie Jesus zu ihnen kommt – der, der eigentlich tot ist, den sie vermissen. Wie er sich anfassen lässt von Thomas, weil er fühlen muss, um glauben zu können. Nur ein paar Tage sind seitdem vergangen…
Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger.
Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.
Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.
Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot.
Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!
Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.
Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch.
Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.
III Zeichen und Wunder
Sieben Jünger. Zweihundert Ellen (das sind ungefähr 90 Meter) entfernt vom Ufer. Hundertdreiundfünfzig Fische im Netz. Das dritte Mal hat sich Jesus nach seinem Tod gezeigt.
Da hat einer Lust am Zählen. Die merkwürdigste Zahl in dieser Erzählung: Die 153. Sie kommt an dieser Stelle das einzige Mal in der Bibel vor, aber das ist wohl kein Wunder. Eine wunderbare Zahl ist es für alle, die gerne zählen und rechnen aber schon, so unscheinbar diese 153 auch daherkommt:
Zum Beispiel ist sie die Summenformel der Zahlen 1 bis 17. Addiert man 1 + 2 + 3 + 4 + ... + 17, dann ergibt sich die Zahl 153. Sie ist auch die Summe ihrer eigenen Ziffernwerte in dritter Potenz, denn 13 + 53 + 33 ist genau 153. So etwas kann man nicht mit jeder x-beliebigen Zahl machen – neben 153 geht das mit 371 und 1634…
Ich habe noch einiges mehr gelesen über diese wunderbare Zahl 153, aber das habe ich nicht ganz verstanden, so dass ich lieber nichts weiter dazu sage. Nur so viel: Die 153 ist eine unscheinbare Zahl, hinter der eine Menge steckt, die Wunderbares verbirgt für den, der sich an etwas so Alltäglichem wie Rechenspielen freuen kann. Selig sind, die hinter die Oberfläche schauen können.
Wie sonderbar: Da haben die Jünger plötzlich nach einer Nacht vergeblichen Fischens ein volles Netz – und was machen sie: sie zählen.
Wer zählt, der schaut sich die Ordnung von Sachen an. Der versucht die Welt zu begreifen. Das Lernen schon ganz kleine Kinder, das Zählen. Das bringt Sinn in die Welt, macht Unbekanntes erkennbar, bringt Rhythmus wie in der Musik. Meine Großmutter hat jedes Mal, wenn sie einen Turm bestieg, die Stufen gezählt. Irgendwann konnte sie gar nicht mehr anders. Und wir haben oben sofort Gelegenheit zum einander Erzählen gehabt: Und – wie viele hast du gezählt?
Mit den 153 Fischen ist etwas in Ordnung gekommen für die Jünger, was vorher in Unordnung war. Im Chaos sogar, dem Chaos, das an dem Tag über sie hereingebrochen ist, an dem Jesus gestorben ist. Als gescheitert ist, was sie geträumt und gehofft haben.
Sie haben selber versucht, Herr zu werden über dieses Chaos. Nachdem Jesus gestorben war, musste es ja irgendwie weitergehen. Warum also nicht fischen. Menschenfischer waren sie einige Jahre gewesen, zusammen mit Jesus. Und jetzt also zurück an den See, echte Fische fangen, etwas Sinnvolles zu tun, damit wenigstens etwas zu essen da ist.
Mit den 153 Fischen wurde die Leere gefüllt – nicht nur die in Netzen. Sondern vor allem die in den Herzen der Jünger. Denn das war schlimm: Nach einer Nacht vergeblicher Mühe mit leeren Netzen und leeren Händen dazu stehen. Einander kaum in die Augen sehen zu können. Nicht einmal das geht mehr, diese alltägliche Arbeit des Fische fangens. Und dann dieser fremde Mann da am Ufer mit seinem Blick, dem niemand ausweichen kann.
„Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Was soll die Frage des Fremden? Will er sie verhöhnen, beschämen? Ist er selber enttäuscht, weil er etwas vom Fang abhaben wollte, selber diesen nagenden Hunger verspürt, der alles andere vergessen macht? Oder hat er Mitleid? Jedenfalls: Nein, sie haben nichts zu essen. Sie haben gar nichts.
Eine ganze Nacht, kein einziger Fisch. Dann ein einziges Mal noch das Netz ausgeworfen, viel zu nah am Ufer eigentlich – und gleich 153 Fische. Kein Wunder, dass Petrus einen Freudensprung macht, sich ins Wasser wirft, nur mit einem Gewand umgebunden, ansonsten nackt. Doch er schämt sich gar nicht, sondern freut sich wie ein Kind über diese 153 Fische.
IV Als es Morgen war
Das kleine Feuer auf den Steinen des Strandes ist heruntergebrannt. Die Männer legen die ausgenommenen und gesalzenen Fische in die glühenden Kohlen. Und nach einiger Zeit kann man sie essen, die Fische. Sie schmecken ein bisschen nach Rauch, aber machen satt, zusammen mit dem Brot, das plötzlich da ist, und das sie teilen und weitergeben, und das für alle reicht.
Ein Frühstück am Seeufer, am Morgen nach einer Nacht, in der alles vergeblich schien. Und sie kauen und schlucken und merken, wie das Leben in sie zurückkehrt und die Freude.
Und mit diesem einfachen Seefrühstück fängt die Zeit nach Ostern an. Die Feiertage sind vorbei, der Alltag beginnt wieder. Die Zeit des Fischens und des Arbeitens und Weitermachens beginnt. Manches davon wird vergeblich sein. Immer wieder werde ich scheitern und mit leeren Händen da stehen und mich vor den Blicken fürchten, die andere auf mich werfen.
Da tut es gut, sich an dieses Seefrühstück zu erinnern. Daran, wie die Männer, die eine Nacht lang keinen einzigen Fisch gefangen haben, nun satt werden. Eigentlich nur, weil er da ist: Jesus. Und sie freundlich anschaut und das Essen mit ihnen teilt.
V Schmecket und sehet
Lasst uns auch Brot miteinander teilen. Wir reichen es durch die Bankreihen weiter mit den Worten „das Brot des Lebens für dich“.
Brot, das an Jesus erinnert. Das nach Ostern mitten im Alltag schmeckt. Schwarzbrot des Glaubens für die Zeiten, in denen ich scheitere, in denen all meine Mühe sinnlos scheint und meine Träume nichtig, und ich mich schämen würde, wenn ich nicht wüsste:
Er ist da und schaut mich freundlich an.
Amen.
Als Brot eignet sich gut Vollkornbrot, vielleicht mit Butter und Salz – ein elementares Frühstück…
Liedidee: „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (z.B. EG 656 Wü)
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Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer 1 – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Frau Karle
Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch.Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.
„Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Dieser Satz ist mir besonders nachgegangen. Er hat mir schon manches Mal geholfen. Besonders eingeprägt hat sich mir ein Erlebnis in meiner Zeit als junge Pfarrvikarin. Ich war in einer Gemeinde, dessen Pfarrer schwer erkrankt war. Ich sollte ihn im Amt vertreten. Der Pfarrer hatte Krebs. Es war klar, dass er nicht mehr gesund werden würde. Ich mochte ihn gern. Und so kam es, dass ich ihn nicht nur von Amts wegen vertrat, sondern dass ich ihn auch oft besuchte. Dann saß ich an seinem Krankenbett und las ihm vor. Besonders gern hörte er in seinen letzten Tagen Erzählungen von Selma Lagerlöf. Und besonders wichtig war ihm dieser Vers aus Johannes 21: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“.
Manchmal hielt er seine Schmerzen nicht mehr aus. Manchmal war es für ihn kaum erträglich zu sehen, wie sich seine heranwachsenden Söhne von ihm entfremdeten. Sie kamen nicht damit klar, dass ihr einst so mächtiger Vater nun so ohnmächtig litt. Dann hielt er sich an diesem Satz fest: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Er wusste, dass er nach der langen Nacht des Leidens und Sterbens nicht ins Nichts gehen würde, sondern dass Jesus da sein und bereits am Ufer auf ihn warten würde. Die Morgendämmerung, die Zeit der Rettung, sie würde kommen und die Nacht beenden. Dessen war er gewiss. Das Sterben würde ihn nach Hause führen, Jesus ihn freundlich empfangen. „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“ – ein Satz des Trostes, der Zuversicht, des Nachhausekommens. Er stand über seiner Beerdigungsanzeige und er steht auch auf seinem Grabstein.
Johannes 21 erzählt eine Ostergeschichte am See, an dem See, an dem so viel geschehen ist, an dem See, an dem Jesus Kranke geheilt und Verzweifelte getröstet hat, an dem er gepredigt und Leidtragende selig gepriesen hat. Es war an diesem See, an dem Jesus einer großen Menge von Menschen mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen zu essen gab, so dass am Ende alle satt wurden. Hier hat Jesus seine Jünger gefunden, die Fischer, deren Handwerk mit dem See verknüpft war. Hierher kehrt das Evangelium am Ende zurück, zurück zum Anfang. Anfang und Ende schließen sich.
Wie es den Jüngern wohl gehen musste, jetzt, da sie nach dem Tod Jesu von Jerusalem zurück nach Galiläa zum See gingen? Zurück in den Alltag? Konnten sie weitermachen wie wenn nichts geschehen wäre? Man kann sich vorstellen, dass die Jünger nach dem Tod Jesu eine große Leere empfanden. Vielleicht erinnerten sich die Jünger am See an das, was sie mit Jesus alles erlebt hatten: „Weißt Du noch, wie viele Menschen sich am Ufer drängten, so dass Jesus in ein Boot steigen musste, um überhaupt zu ihnen sprechen zu können? Weißt Du noch?“ Doch das ist vergangen. Das Vergangene liegt nicht als gute Erinnerung, sondern als schwere Last auf ihrer Seele.
Petrus erträgt das lähmende Herumsitzen schließlich nicht mehr länger und wird aktiv. Petrus ist eine Führungsfigur und ergreift die Initiative: „Ich will fischen.“ Eine klare Ansage. Erleichtert reagieren die anderen, stehen auf und schließen sich an: „Wir gehen mit“. Die anderen sind dankbar, dass sie mitmachen und etwas tun können, dass sie nicht länger über die Sinnlosigkeit des Erfahrenen grübeln müssen. Und so gehen die Jünger zum Schiff und fahren hinaus auf den See. Aber „in derselben Nacht fingen sie nichts.“ Nicht einmal einen einzigen Fisch. Die erfahrenen Fischer haben sicher keinen Fehler gemacht und doch ist ihre Mühe vergeblich. Hat sie das Glück verlassen? Die Jünger strengen sich an, sie versuchen ihre innere Leere mit Aktivität zu überdecken und doch bleibt alles nutzlos, umsonst. Sie finden nichts.
Ich vermute, jeder und jede von uns kennt die Erfahrung von Vergeblichkeit. Kennten wir sie nicht, müsste man uns fast wünschen sie zu kennen. Denn auch die Vergeblichkeit gehört zum Leben. Wer sie nicht kennt, dem fehlt etwas. „Keinen Mangel haben, kann auch ein Mangel sein.“ (Theophil Askani) Wenn einem alles gelingt, dann begreift man nicht, was es bedeutet, mit leeren Händen da zu stehen, mit Misserfolg klar kommen zu müssen, mit Krankheit, mit Zerbrechlichkeit und Enttäuschung. Dann weiß man nicht, wie das ist, wenn das Netz leer aus dem Wasser kommt.
„Die vergeblichen Nächte und die vergeblichen Tage gehören zum Leben.“ (Askani) Wir gehen leichter und barmherziger miteinander um, wenn wir uns selbst das eingestehen und wenn wir es einander eingestehen können. Gerade im Hochleistungsbetrieb Universität fällt das nicht leicht. Wir sind mehr oder weniger zum Erfolg verdammt. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich in den letzten Wochen eine Publikationszusage nicht einhalten. Ich wollte einen Vortrag überarbeiten und musste am Ende schmerzlich feststellen – es funktioniert nicht. Ich muss nochmals neu und mit viel mehr Zeit darüber nachdenken. Viel Mühe hatte ich bereits investiert. Es fiel mir schwer mir einzugestehen: Ich krieg das jetzt nicht hin. Die Mühe war vergeblich. Mindestens erst einmal. Wir tun uns schwer, uns und den anderen zuzugeben, dass etwas vergebens war, dass wir uns umsonst abgemüht haben, dass Mühe und Arbeit nicht zum erhofften Ergebnis geführt haben.
Vergebliche Tage und Nächte können uns reifer werden lassen, sie können aber auch in ernste Zweifel führen. Da zählt einer die schlaflosen Stunden, bis der Morgen endlich anbricht. Er hört das Schlagen der Uhr und dreht sich von einer Seite des Bettes auf die andere. Ohne Schlaf, ohne Ruhe dehnt sich die Zeit endlos. Und dann ist die Nacht rum, die Ruhe versäumt und der Tag fängt bereits mit einer Last an, bevor er überhaupt erst begonnen hat.
Da sind die Eltern, die sich daran erinnern, wie süß die Kindern waren, als sie noch klein waren. Man sieht sich etwas nostalgisch die wunderbaren Fotos mit den lachenden Kindern an. Und nun gehen die Kinder eigene Wege, vielleicht andere Wege, als man sich das gewünscht hat, und brauchen einen nicht mehr.
Da sind die Ehrgeizigen, die immer mit einem vollen Terminkalender leben, die von Engagement zu Engagement hetzen und endlose To-do-Listen anfertigen, die nie abgearbeitet werden können. Wie viel von dem, was wir tun, zählt am Ende? Was führt tatsächlich weiter und trägt uns und andere? Kann es sein, dass unsere vielen Bemühungen am Ende – unterm Strich – ein leeres Netz ergeben?
„Und in dieser Nacht fingen sie nichts.“ „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“.
Die Jünger denken, sie seien ganz allein in dieser langen vergeblichen Nacht auf dem See, aber Jesus ist schon lange da. Er steht am Ufer, als es endlich dämmert. Er lässt sie nicht allein. Er weiß, dass sie nichts gefangen haben. Er hat die ganze Szenerie vor Augen. Diese Ostergeschichte ist wie ein Transparent auch für unser Leben. Die, die mit leeren Händen und traurigem Herzen kommen, werden von Jesus erwartet. Denn Jesus steht am Ufer. Er hat uns vor Augen. Seine Präsenz wirft ein Licht auf die mühsame Nacht, auf unsere Vergeblichkeit, auch auf die letzte Nacht, die ein jeder von uns noch durchschreiten muss – die Nacht des Todes. Wir gehen anders in diese Nacht, wenn wir wissen, dass Jesus am Ufer steht.
Unsere Geschichte ist eine Ostergeschichte, das heißt sie redet von Leben und Tod. Die Geschichte kehrt die Reihenfolge von Leben und Tod aber um: Es folgt nicht der Tod auf das Leben, sondern das Leben auf den Tod. Nicht die Vergeblichkeit, nicht die Mühe, nicht die leeren Hände stehen am Ende, sondern die Hoffnung, der Morgen, der Beginn eines neuen Lebens.
„Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer.“ Ganz fürsorglich fragt Jesus die Jünger: „Habt ihr nichts zu essen?“ Nein, die Jünger haben nichts zu essen und Jesus weiß es. Doch dabei bleibt es nicht. Jesus schickt die Jünger noch einmal auf den See, es ist ganz wie am Anfang, als er sie in seine Nachfolge rief. Und die Jünger hören auf ihn und kommen mit einer Überfülle an Fischen zurück. Als die Jünger ans Ufer kommen, hat Jesus schon das Essen für sie bereitet. Nicht zufällig weist der Autor des Evangeliums dabei auf das Kohlenfeuer hin, das wenige Seiten vorher der Schauplatz von Petrus’ Verleugnung war. Das Kohlenfeuer erinnert diskret an das Schmerzhafte, Peinliche und Peinigende in der Nacht des Verrats. Doch es bleibt nicht bei der Erinnerung an das Versagen. Jesus lädt die Jünger ganz selbstverständlich zum Mahl ein. Er hat Brot und Fische – wie bei der Speisung der Fünftausend. Jesus sättigt den Leib und die Seele. Jesus will, dass seine Jünger die Fülle haben, dass sie mit ihm zusammen die Gemeinschaft und das Leben feiern. Das gemeinsame Essen ist zugleich ein Versöhnungsangebot an Petrus.
Die Jünger erkennen den Auferstandenen nur langsam. Die Erkenntnis von Ostern entfaltet sich erst allmählich. Erst einmal denken die Jünger, dass mit Jesus ein Fremder am Ufer steht. Dann wird Jesus vom sogenannten Lieblingsjünger erkannt, danach von Petrus. Am Ende ahnen alle, mit wem sie es zu tun haben, aber sie wagen nicht ihn anzusprechen und zu fragen. Zweifel und Unsicherheit bleiben. Die Atmosphäre ist unheimlich. Ostern wird im Handeln erfahren, im Tun, es wird – wie in einem finnischen Kaurismäki-Film – überhaupt nur sehr wenig gesprochen. Jesus ist der Gastgeber, der sich den Seinen zuwendet, fürsorglich, liebevoll, indem er ihnen zu essen gibt. Er gibt sich zu erkennen in dem, was er tut, nicht in dem, was er sagt.
Unsere Ostererzählung ist ein Nachtrag. Das Evangelium war eigentlich schon vorher abgeschlossen. Tatsächlich kann man sich nicht recht vorstellen, wie der Auferstandene den Jüngern schon zweimal begegnet sein soll und sie dann immer noch derart ahnungslos sind. Doch für die Regie unseres Autors ist es wichtig, dass es die dritte Auferstehungsbegegnung ist. Er betont es eigens. Er will uns zeigen, wie mühsam die Erkenntnis von Ostern ist. Wie fragil diese Erkenntnis ist, wie sehr wir alle dazu tendieren, in unserem Alltag verhaftet zu bleiben, rückwärtsgewandt zu leben und uns vergeblich abzumühen und am Ende den zu übersehen, der unser Leben in der Hand hält, der längst am Ufer steht und uns freundlich erwartet, der sich uns zuwendet, auch wenn wir in die Irre gehen.
Unsere Erzählung nimmt auf, was war und zeigt, was sein wird. Die Grenze meines Lebens wird sichtbar und zugleich verweist die Geschichte auf eine große tragende Hoffnung und einen großen umfassenden Trost. Denn Jesus steht am Ufer und sieht und erwartet uns, heute in unseren alltäglichen Mühen und dermal einst, wenn wir in die letzte Nacht unseres Lebens gehen.
„Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Was braucht es mehr für Sie, für Dich, für mich? Amen
1 Wichtige Anregungen für diese Predigt gehen zurück auf eine Predigt von Theophil Askani in: Ders., Da es aber jetzt Morgen war stand Jesus am Ufer. Predigten. Reutlingen o.J., 261-266
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Aus der Raupe Nimmersatt wird ein Schmetterling – Predigt zu Johannes 6 (34-36, 55f, 60-62) und Römerbrief 6, 3-5 von Katrin Berger
„Herr“, sagten sie zu Jesus, „gib uns immer von diesem Brot.“ (Joh 6, 34)
Am Montag fraß die kleine Raupe Nimmersatt sich durch einen Apfel, aber satt war sie noch immer nicht.
Am Dienstag fraß sie sich durch zwei Birnen, aber satt war sie noch immer nicht.
Am Mittwoch fraß sie sich durch drei Pflaumen, aber satt war sie noch immer nicht.1
Am Montagmorgen aß ich zum Frühstück eine Tafel Schokolade, aber satt war ich nur bis zum Mittag. Am Montagmittag aß ich noch eine Tafel Schokolade, aber satt war ich immer noch nicht. Abends brauchte ich noch mal 100 Gramm.
Dienstagmorgen bekam ich einen Kuss, aber satt wurde ich davon nicht. Schon Dienstagmittag brauchte ich dringend eine richtig lange Umarmung, aber abends dann noch mal ganz doll beides.
Mittwochmorgen sah ich wie die Sonne aufging und konnte mich kaum sattsehen an der Schönheit der Natur. Mittwochmittag musste ich aber schon wieder raus, so gierig war ich nach dem frischen Grün des Frühlings. Als Mittwochabend dann die Sonne unterging, konnte ich den nächsten Morgen voller Sonnenstrahlen kaum erwarten.
Donnerstagmorgen bekam ich ein Lob für meine Arbeit, Donnerstagmittag hatte ich es schon wieder vergessen, weil irgendjemand den Mund nicht voll kriegte und mir sagte, ich, die Kirche, Gott oder doch bitte die ganze Welt sollten sich jetzt sofort und gefälligst noch mehr sorgen, damit niemand verhungerte.
Freitagmorgen bekam ich vor lauter Frust Heißhunger auf neue Schuhe, Freitagmittag stellte ich fest, dass zu ihnen keine meiner Handttaschen passte und rannte zurück in den Laden. Abends merkte ich, dass ich noch ein neues Schuhregal und neue Haken für Taschen und eine rote Bohrmaschine um sie an die Wand zu dübeln brauchte.
Samstagmorgen hatte ich frei. Da kam ich auf den Geschmack und wollte Samstagmittag auch noch frei haben und Samstagabend noch dazu und Samstagnacht sowieso.
Sonntagmorgen war ich im Gottesdienst. Das erste Lied gefiel mir so sehr, ich hatte Lust, es noch zweimal zu singen. Dann hörte ich meinen Lieblingsbibelvers, den sagte der Pfarrer aber nur einmal im Jahr. Dann ging ich zum Abendmahl und bekam eine kleine Oblate und einen Schluck aus dem Kelch. So wenig. so schnell, so selten. Bitte immer wieder sonntags zu seinem Gedächtnis und zu meinem schlechten auch.
Ich hatte mich glücklich durchgefuttert durch die Woche, durch das Leben. Aber ich wurde und wurde nicht satt. Ich hatte mich voll gefuttert mit Schokolade, Zärtlichkeit, Schönheit, Erfolg, Schuhen und Taschen, Zeit und Vergebung und Gott, aber Sonntagmittag fühlte ich schon wieder großen Hunger nach all dem. Sonntagabend war ich leer und einsam und zerbrechlich und ängstlich, denn ich merkte, es war einfach nie genug. Ich brauchte es alles immer wieder, und auch immer mehr. Mein Hunger nach Leben war so nicht zu stillen.
Nicht von dem Brot, das der HERR immer wieder gibt, nicht vom täglichen Brot. (Joh 6,34)
„Das wahre Brot Gottes ist das, das vom Himmel herabsteigt und der Welt das Leben gibt.“
„Ich bin das Brot, das Leben schenkt“, sagt Jesus. „Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein. Wer sich an mich hält, wird keinen Durst mehr haben.“
„Denn mein Fleisch ist die wahre Nahrung, und mein Blut ist der wahre Trank.
Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt mit mir verbunden und ich mit ihm.“
Als sie das hörten, sagten viele, die sich Jesus angeschlossen hatten: „Was er da redet, geht zu weit! So etwas kann man nicht mit anhören!“ Jesus wusste schon von sich aus, dass sie murrten, und sagte zu ihnen: „Daran nehmt ihr Anstoß? Wartet doch, bis ihr den Menschensohn dorthin zurückkehren seht, wo er vorher war!
Lebenshunger ist nicht zu stillen, bis man versteht, dass es ohne Jesu Tod nicht geht.
Bis er sein Fleisch und sein Blut gibt und wir das Brot des Lebens essen.
Das trockene Brot, das Wort des ewigen Lebens, an dem man zu kauen hat, sich fast die Zähne daran ausbeißt. Es immer wieder ausspucken möchte, weil es hart ist, kaum zu schlucken, bis man mit Hilfe Gottes Geist versteht, dass es ohne Jesu Tod nicht geht.
Jesus ist nicht unser täglich Brot, damit wir überleben. Jesus ist nicht das Brot für jeden Tag, für immer, das uns satt macht bis zum nächsten Tag. Jesus ist nicht das Brot für jeden Montag Mittag, jeden Mittwoch Abend oder Sonntag Morgen, sondern das Brot für einmal, ein für allemal. Nur einmal kommt Gott in Jesus zur Welt. Nur einmal stirbt er am Kreuz für das Leben der Welt. Nur einmal gibt Jesus sein Fleisch und sein Blut, damit wir ein für allemal satt werden.
Nur einmal werden wir geboren. Nur einmal werden wir getauft. In Jesu Tod hinein, einmal drei Tage Tod einmal drei Mal Taufwasser. Nur einmal bekommen wir darin Anteil an Jesus, essen sein Fleisch und trinken sein Blut auf das wir ewig leben.
…Wir alle, die »in Jesus Christus hinein« getauft wurden, sind damit in seinen Tod hineingetauft, ja hineingetaucht worden. Durch diese Taufe wurden wir auch zusammen mit ihm begraben. Und wie Christus durch die Lebensmacht Gottes, des Vaters, vom Tod auferweckt wurde, so ist uns ein neues Leben geschenkt worden, in dem wir nun auch leben sollen. Denn wenn wir mit seinem Tod verbunden wurden, dann werden wir auch mit seiner Auferstehung verbunden sein. (Röm 6)
Wer getauft ist und das glaubt, der hat das ewige Leben und wird satt. Mehr als ewiges Leben kann man nicht kriegen. Wer das glaubt, ist satt an Vertrauen, dass es an nichts mangeln wird, nicht mehr mangeln kann. Der wird so satt, dass der Hunger nach dem täglichen Brot nicht mehr das Leben bestimmt, sondern das Vertrauen, dass es schon reichen wird, dass mehr als genug zum Leben da ist. So satt an Vertrauen, dass die Schokolade wird reichen wird, und die Zärtlichkeit, die Schönheit, der Erfolg, die Schuhe und die Taschen, die Zeit sowieso und Vergebung und Gott auch. Wer das glaubt, ist satt vom Brot des Lebens, voller Vertrauen in Gott. Noch satter als die kleine Raupe Nimmersatt, als sie dick und bereit war, sich völlig zu verwandeln. Wer das glaubt, ist schon verwandelt. Neugeboren durch Wasser und Geist, durch Jesu Wort und Leben (Joh 3,5). Wer das glaubt, war schon im Kokon, war schon im Tod. Wer das glaubt, lebt wie ein schöner, bunter Schmetterling. Kriecht nicht nur auf dem Boden der Tatsachen, hangelt sich nicht von einem abgeernteten Ast zum nächsten, von einem Hunger zum nächsten, sondern fliegt mit dem warmen Wind der Verheißung von einer Pflanze zur nächsten Blüte.
1 I Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle.
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Lebendig fühlen - Predigt zu Johannes 6,55-65 von Sven Keppler
I.
Liebe Gemeinde,
sie hat Hunger nach Leben. Vor ein paar Wochen kam sie aus dem Gefängnis, nach fünf Jahren. In der letzten Zeit hatte man ihr „gute Führung“ attestiert, sonst hätte sie noch länger sitzen müssen. Fünf verlorene Jahre, für eine Dummheit mit Anfang Zwanzig. Einen Beruf hat sie erlernt im Knast, KfZ-Mechanikerin ist sie jetzt. Und eine Wohnung hat sie auch gefunden. Und jetzt hat sie Hunger: nach dem Leben, nach einem Neuanfang.
Sie ist in eine neue Stadt gezogen, wo sie keiner kennt. Wo sich niemand an die Zeitungsberichte mit ihrem Foto erinnert – das hofft sie zumindest. Ob die neuen Nachbarn angesehen haben, woher sie kommt? Es ist Samstagabend, ihre Sehnsucht nach dem Leben brennt, aber sie weiß nicht wohin. Freunde hat sie noch nicht. Noch nicht? Soll sie tanzen gehen? Endlich mal wieder einen Mann kennen lernen. Endlich mal wieder richtig feiern. Sie hat Angst, ihr Versuch mit den Drogen im Knast war ihr nicht gut bekommen. Sie spürt die Unruhe. Aber irgendwie will sie ein anderes Leben, will neu anfangen. Aber wie geht das?
Und da ist die Angst, dass es doch wieder wie früher kommt. Die falschen Männer, die, die ihr zwar gefallen, die sie aber immer nur ausgenutzt haben. Die Streitereien, die Schläge. Nein, lass bloß die Finger vom Alkohol. Und fall nicht wieder auf die Aufreißer rein. Bleib zu Hause, heute Abend. Schreib lieber noch eine Bewerbung. Denn sie hat auch Sehnsucht nach der Normalität. Einfach ganz spießig sein: Ein Mann, ein Kind, Arbeit und eine kleine Wohnung. Ohne Schulden, ohne Streit – so, wie es ihre Eltern nie hinbekommen haben. Und wieder hat sie Angst: Wenn es nicht mal mit dem Job klappt, woher soll dann der Rest kommen? Riecht sie nicht immer noch nach Knast?
Woher? Woher die Kraft zum Neuanfang? Woher die Kraft zu einem gelingenden Leben, nach dem sie sich sehnt? Wo die richtigen Leute kennen lernen? Wie soll sie die Angst besiegen, dass alles doch wieder so wird, wie es immer schon war? Den Hunger hat sie, aber wo und wie sie satt werden soll, ahnt sie nur vage.
Liebe Gemeinde, ich hätte auch von anderen Menschen erzählen können und von deren Hunger nach Leben: Von dem Schulabgänger, der glaubt, dass nun sein Leben beginnt. Von der Witwe, die sich ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes eingestehen muss, dass sie sich heute viel freier fühlt als damals, als ihr Mann noch lebte.
II. In all diesen Geschichten steht neben der Sehnsucht meistens auch eine Ratlosigkeit: Weiß ich eigentlich so genau, wie ich leben möchte? Sind die Vorstellungen, die ich habe, auch der richtige Weg? Und werde ich in mir die Kraft finden für das, was mir das Richtige scheint?
Auch unser heutiger Predigttext handelt vom Hunger, vom Leben, von der richtigen Speise. Er tut es auf eine krasse Weise. Ein harter Text der Passionszeit. Wir werden uns bemühen müssen, werden darum ringen müssen, ihn richtig zu verstehen. Aber in ihm steckt das Versprechen, dass sich die Mühe lohnen wird. Ich lese aus dem Evangelium nach Johannes, im sechsten Kapitel die Verse 55-63:
[Verlesen von Joh 6,55-65]
Herr, das ist wahrhaftig eine harte Rede. Öffne unser Herz, dass wir sie richtig verstehen. Amen.
III. Ärgert euch das? Da habe ich von Sehnsucht gesprochen, vom Hunger nach Leben. Und dann dieser harte Predigttext? Nirgends in der Bibel ist so krass und ausdrücklich davon die Rede, dass wir tatsächlich Jesu Fleisch essen sollen und sein Blut trinken. „Ärgert euch das?“ So fragt auch Jesus seine kopfschüttelnden Jünger.
So ist es ja auch mit dem Gekreuzigten. Je nach Sichtweise ein Ärgernis oder eine Torheit. Oder eine Kraft Gottes – die selig macht alle, die glauben. Woher kommt diese Kraft Jesu? Was ist die Quelle seiner Ausstrahlung? In unserem Predigttext sagt er, dass ihn der lebendige Vater gesandt hat. „Ich lebe um des Vaters willen.“
Enger als er kann ein Mensch nicht mit Gott verbunden sein. Mit Gott, seinem Vater. Gott schaut ihn an. Er sieht ihn so, wie er ist: seinen Schmerz, seine Verzweiflung, seine Unschuld. In den Augen seines Sohnes hat Gott die Frage aller Menschen gelesen: Wird mit dem Tod alles aus sein? Gott, unser Hunger nach Leben ist noch längst nicht gestillt. Gibt es keine Chance mehr, dass sich unsere Sehnsucht nach einem wirklich gelungenen Leben je erfüllt?
Aber Gott hat seinen Sohn nicht verlassen. Am dritten Tag, am Ostermorgen, hat er ihm wieder das Leben geschenkt. Er hat ihn nicht nur wiederbelebt für eine kleine Zeit. Sondern er hat ihm das ewige Leben gegeben. Ein Leben, vor dessen Ende man keine Angst mehr haben muss, weil es kein Ende hat. Ein Leben, vor dessen Misslingen sich niemand fürchten muss, weil es besser sein wird, als wir uns überhaupt vorstellen können. Es gibt keinen Karfreitag ohne Ostern. Es gibt bei Gott keinen Tod ohne das ewige Leben. Das ist die Hoffnung, die der Gekreuzigte trotz aller Härte für mich bedeutet.
IV. Und dieser Christus, dem Gott die Lebenskraft schenkt – dieser Christus will sich auf das Engste mit uns verbinden. Er will uns teilhaben lassen an seiner Lebensenergie. Das ist die zentrale Aussage unseres Predigttextes: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.(Joh 6,56)
Das heißt nichts anderes als: Wenn ihr das Abendmahl feiert, dann seid ihr mit mir vereint. Dann wird euch Gott so ansehen, wie er mich angesehen hat. Gott wird eure Sorgen sehen. Eure Traurigkeit. Er wird eure Sehnsüchte nach dem Leben sehen. Gott wird euch nicht mit zornigen Augen ansehen, er wird euch nicht abweisen. Sondern so wie er mir das Leben geschenkt hat, so wird er es auch euch schenken.
Dass wir Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken sollen – das ist eine heikle Aussage. Sie ist absichtlich so hart gewählt, Jesus selbst hat die Wirkung seiner Worte bei den Jüngern gesehen. Diese Worte müssen wahrscheinlich so hart sein. Aber später sagt Jesus auch: Der Geist ist’s, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. (Joh 6,63)
Wir sollten das als einen Hinweis hören: Das Abendmahl ist nichts für blutrünstige Fantasien. Es ist Brot, das wir essen und es ist der Saft der Trauben, den wir trinken. Leib und Blut Christi sind es auf eine geistliche Weise. Wenn wir im Mahl das Brot essen, sind wir durch Gottes Geist mit dem Leib des auferstandenen Christus verbunden. Wenn wir den Wein trinken, nehmen wir durch Gottes Geist Christi Leben in uns auf.
Christi Leib und Blut essen und trinken wir auf geistliche Weise. Jesus selbst sagt: Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. (Joh 6,58b) Christus nimmt uns in sich auf, und wir ihn in uns: Wir werden Erlöste wie er. Das ist die frohe Botschaft unseres heutigen Predigttextes.
V. Und was bedeutet das für unsere junge Frau vom Anfang der Predigt, für ihren Hunger nach Leben, für ihre Sehnsucht nach einem Neubeginn? Was heißt das für den Schulabgänger oder die Witwe? Was heißt es für mich und für Sie, wenn wir uns nach einem gelingenden Leben sehnen, nach Liebe, nach Kraft?
Liebe Gemeinde, ich halte die Geschichte von der jungen Frau für beispielhaft. Auch wenn wir ihre Situation oft eine Nummer kleiner erleben. Und dadurch nicht ganz so deutlich.
Vielleicht kennen Sie das auch: Da hat man die Sehnsucht, im eigenen Leben etwas zu verändern. Meistens nicht so stark, dass man ein neues Leben beginnen will. Aber ein kleiner Neuanfang: Man möchte eine erkaltete Freundschaft wieder aufleben lassen. Man versucht, mit dem Partner oder der Partnerin einen alten Konflikt endlich zu lösen. Man hofft, sich den Tag ab jetzt etwas anders aufzuteilen, damit man mehr von ihm hat.
Oft sind solche Neuanfänge von der Sorge begleitet, dass die Macht der Gewohnheit zu stark ist. Wie die junge Frau Angst davor hatte, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden. Das Vergangene hat eine so starke Macht über uns, dass wir kaum von ihm loskommen. Dass wir oft nicht einmal sehen, was wirklich gut ist für uns. Mitten in diese Erfahrung hinein spricht unser Predigttext: Er erzählt uns von der Kraft zum Neuanfang, die Gott für uns bereithält. So, wie Gott Christus ein neues Leben geschenkt hat, so verspricht er es auch uns.
An unserer eigenen Kraft zum Neuanfang haben wir oft berechtigte Zweifel. Aber Gott will uns diese Kraft schenken. Wenn wir ihm glauben und ihm vertrauen. Im Heiligen Abendmahl werden wir mit dieser Lebenskraft verbunden. Es ist das Brot des Lebens. Hier können wir satt werden in unserem Hunger. Gestärkt werden, wenn wir aufbrechen wollen. Und auch später, auf dem Weg. Amen.
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Vertrauensvorschuss – Predigt zu Johannes 4,46-54 von Frank-Nico Jaeger
Heute Abend kommt die Babysitterin. Wir waren schon solange nicht mehr zusammen im Kino. Es ist eben schwierig mit den Kindern, ohne Großeltern in der Nähe. Also kommt heute die Babysitterin.
Die junge Frau kennen wir aus dem Kindergarten. Sie war die Erzieherin unserer Jungs. Und - was viel wichtiger ist -: die beiden mögen sie. (Und hören auf sie.)
Ob wir die junge Frau kennen? Sagten wir doch, aus dem Kindergarten. Aus Gesprächen mit ihr.
Ob wir die junge Frau richtig kennen? Spielt das eine Rolle? Wir vertrauen ihr so sehr, dass wir ihr unsere Kinder anvertrauen.
Wir vertrauen der Babysitterin wie der Chef seinen Mitarbeitern vertraut. Oder wie Sie dem Piloten vertrauen, der Sie in den Urlaub fliegt. Und wie der Patient, der seiner Ärztin vertraut.
Vertrauen – das ist der Klebstoff, der unsere Welt zusammenhält.1 Ohne Vertrauen würde keine Welt funktionieren. Nicht die Geschäftswelt, nicht unsere kleine Familienwelt und erst recht nicht die Kirchenwelt. Ohne Vertrauen hätten wir längst den Glauben aufgegeben.
Vertrauen ist also überhaupt nicht unvernünftig. Vertrauen ist eine Voraussetzung für das Zusammenleben. Und wenn wir vertrauen, dann immer nur wenn es gute Gründe dafür gibt, dass unser Vertrauen nicht enttäuscht wird.
Der Evangelist Johannes hat so eine Vertrauensgeschichte aufgeschrieben: Es ist eine alte Geschichte, aber sie ist universal. Hier ein Vater. Dort ein Sohn. Der Sohn ist dem Tode geweiht. Der Vater außer sich vor Sorge. Der Vater ist ein königlicher Hofbeamte. Er könnte alles andere sein. Ein Angestellter in leitender Position, mittlere Beamtenlaufbahn. Ein Busfahrer, ein Bäcker, ein Zugführer, ein Lehrer, ein Pfleger. Auf jeden Fall jemand, der in geregelten Bahnen lebt, denkt und arbeitet.
So wie am Hofe des Königs. Auch dort geht es geordnet zu. Es gibt Strukturen, die das Leben am Hof regeln. Es gibt eine Ordnung. Es ist eine korrekte, geordnete Welt. Kurzum: Es geht modern zu am Hof des Königs. Aber wie so oft im Leben gibt es Grenzen: Austherapiert. Hoffnungslos. Todgeweiht.
Der Sohn des Beamten ist sterbenskrank. Das Leben bricht ein. Missachtet alle Strukturen und alle Macht. Durchbricht den vermeintlich sicheren geordneten Rahmen, schlägt zu und trifft. An der Krankheit des Sohnes ist die Macht des Beamten ohnmächtig. Also macht der Vater sich auf den Weg. Verlässt das Bett des todkranken Kindes. Sicherlich keine Mutter, kein Vater hier im Raum oder irgendwo auf der Welt, kein Elternteil, der nicht dasselbe tun würde. Oder doch?
Angesichts des Todes trotzdem gehen? Das Kind wird sterben. Also nicht doch lieber bleiben? Das Leben bricht ein und darum bricht der königliche Beamte auf. Verlässt das Krankenlager und geht hinauf nach Kana.
26 Kilometer sind es vom Sterbebett des Kindes bis zum letzten Ausweg. 26 Kilometer schaffen geübte Läufer in deutlich weniger als 90 Minuten. Aber die haben weniger Gepäck auf dem Rücken als der Vater.
Der Hofbeamte möchte zu Jesus. Ohne zu wissen, was der wirklich kann. Er weiß nur, dass dieser schon Wunder getan hat. Wasser zu Wein habe er gemacht. Sagen die Leute. Was bleibt ihm anderes übrig, als diesem Jesus zu vertrauen? Alles versuchen. Egal wie absurd es ist. Ihm das Kind anvertrauen.
Jesus jedenfalls ist oben. Er ist in Kana. Vielleicht scheint sogar die Sonne, als ein Mann von unten kommt, auf ihn zukommt. Schließlich vor ihm steht und ihn bittet mitzukommen. Von der Höhe ins Tal. Vom Weinwunder in die harte Realität. Vom Leben in den Tod.
Ich stelle mir vor, wie Jesus den Kopf zur Seite dreht, den verschwitzten Mann wahrnimmt. Sieht, wen er da vor sich hat, was ihn aber nicht weiter interessiert. Auch die Kinder von Mächtigen werden krank. So ist das.
Und Jesus ist vielleicht gerade im Gespräch, fühlt sich gestört, blickt zur Seite. Hört, wie der Hofbeamte seine Bitte formuliert und alles was er dem Mann sagt ist ein Satz, der ein Vorwurf ist. Jesus macht sich nicht die Mühe auf den Vater einzugehen. Ist nicht zugewandt. Ist seelsorgerlich nicht geschickt. Ist schroff und abweisend.
„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht!“ (Joh 4,48)
Der Vater könnte jetzt gehen. Er könnte denken, was bildet sich dieser Typ eigentlich ein? Was denkt der eigentlich, wer er ist? Der ganze Weg, die ganze Angst und dann so eine Antwort?
Der Vater, voller Vertrauen in diesen Mann, ausgeliefert an dessen guten Willen, wiederholt seine Bitte.
„Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt!“ (Joh 4,49)
Und Jesus? Der braucht fünf Worte um das Wunder zu tun.
„Geh hin, dein Sohn lebt.“ (Joh 4,50)
Und er macht klar: Ich bin der Souverän hier. Ich gehe nicht mit. Ich gehe nicht mit dir in die Ebene, weil ich es nicht muss. Nicht, weil ich nicht will, sondern weil mein Wort ausreicht.
Aufgepasst! Das Wunder geschieht hier nicht um des Wunders willen.
Es geschieht, weil Jesus zeigt, was noch zu erwarten ist. Und es geschieht um zu zeigen, dass es in dieser Vertrauensgeschichte, die auch eine Glaubensgeschichte ist, nicht um den Glauben des Vaters geht. Es geht auch nicht um ein Mehr oder Weniger an Glauben.
Es geht um Vertrauen. Vertrauen in das Wort Gottes, das schon in der Welt ist. Und weiterhin gehört werden will.
Jesus erteilt dem Glauben an einen willkürlich eingreifenden Gott eine schroffe Absage. Diesen Gott, so sagt Jesus, diesen willkürlich eingreifenden Gott, den gibt es nicht.
Und schließlich: Es geht auch nicht darum, dass Gott hier eingreift und da nicht, denn die Geschichte will viel mehr: Sie erzählt davon, wie Jesus bei den Menschen, die er anspricht, Grundvertrauen weckt. Und die so angesprochenen Menschen Glauben ihm, weil sie seinem Wort vertrauen.
So wie der Vater. Als der Jesu Worte hört, dreht er um und geht zurück, voller Vertrauen, weil er dem Wort Jesu glaubt.
Es gibt ein Risiko des Vertrauens – aber das ist kein Makel, sondern der Beginn.
Amen.
1Vgl. L. Heidbrink, in: Die Zeit vom 9. Januar 2012, Nr.4/2012.
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Wo Gott antreffen? – Predigt zu Johannes 1,43-51 von Werner Grimm
Liebe Gemeinde,
sechs Gelehrte saßen im Halbrund und diskutierten zwei Stunden über das Problem der Denkmöglichkeit der Existenz Gottes. Sehr eifrig, sehr ernsthaft und doch nicht gerade ermutigend für den Fernseh- zuschauer. Meine Tochter, die damals ihren Verstand entdeckte, sagte danach: „Jetzt ist’s noch schwieriger, zu glauben.“
Gleich nach besagter Sendung erschien eine Karikatur auf dem Bildschirm: ein großer Tisch, sechs kleine Männlein um diesen Tisch sitzend, Schweißtropfen auf der Stirn – und das Ganze in einer riesigen Hand, die alles trug, und darüber so etwas wie ein freundliches Gesicht, das lächelnd auf alles blickte. Irgendein Mensch mit Humor im Studio hatte noch schnell seine Sicht der vorausgegangenen Diskussion mitgeteilt.
Diese Karikatur kommt mir in den Sinn, wenn ich von Nathanael lese - Nathanael, der mutmaßliche Schriftgelehrte - und wie er ein Jünger Jesu wurde: Ein Skeptiker, der in der Messias-Frage erst einmal klar sehen wollte und als er sich noch angestrengt und voller Zweifel eben darum bemühte, da war er doch schon seinerseits im liebenden Blick des Messias. Wir hören Johannes 1,43-51.(Verlesen des Predigttextes)
„Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ Eine rhetorische Frage, die die Antwort schon mitgibt, nämlich: Nichts! Eine Frage, mit der sich Nathanael dem Ansinnen des Philippus verschließt. Was kann denn aus dieser Ecke Gutes kommen - so oder so ähnlich fragen von Natur aus eher skeptische Leute. Leute, die das Leben misstrauisch gemacht hat. Leute, die aus negativen Erfahrungen gewisse Vorurteile gebildet haben. Leute, die dann vor lauter Bedenken auch schon einmal das Glück ihres Lebens verpasst haben. Zum Beispiel, wenn sie eine vielversprechende Beziehung nicht wagen, weil sie gleich wieder fürchten, nachher doch enttäuscht zu werden. Leute, die mit dem neuen Jahr kurz einmal vornehmen, auch ihr Leben zu erneuern und dann bleibt doch alles beim Alten.
Philippus, selbst begeistert von Jesus, stößt bei Nathanael zwar auf eine noch nicht gestorbene Sehnsucht nach heilerem Leben. Die teilt dieser mit vielen im geschundenen Land: Da gab es die Furcht vor der Willkür der römischen Besatzer, aber auch vor den Dolchen der israelitischen Freiheitskämpfer, die vor allem die eigenen Leute mit Terror bekriegten. Jene Landsleute nämlich, die mit der Weltpolizei Rom zusammenarbeiteten. Da gab es eine bedrückende Steuerlast und man begriff wohl, dass das abgezockte Geld nicht für das Soziale, sondern für allerhand riesige Prestigeobjekte des Herodes und der römischen Statthalter ausgegeben wurde. Auch damals gab es schon sinnlose Wolkenkratzer und schreiende Ungerechtigkeit. Und es gab eine allgegenwärtige Bedrohung durch Krankheiten, die Siechtum und soziale Isolation bedeuten würden. Es gab das Bangen um das tägliche Brot nach einer Missernte. O ja, Nathanael sehnt sich schon auch nach dem verheißenen König der Gerechtigkeit und starken Erlöser.
Aber, nun eben: „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ Seine theologischen Lehrer befinden, dass der Messias aus Davids Stamm von der Hauptstadt Jerusalem aus tätig werden würde. Aber doch nicht vom Kuhnest Nazareth!
So ist Nathanael, wie wir sagen, ganz auf Abwehr eingestellt. Wirklich fremd ist uns sein Verhalten wohl kaum. Ist das „Herkommen“ eines Menschen - ob wir davon wissen oder ob wir es ihm einfach ansehen - ist es nicht oft schon ausreichend, um ihn abzulehnen, ohne uns auch nur ein paar Minuten auf ihn eingelassen zu haben? Wenn da ein Mensch mit einer Frage kommt, eine Bitte äußert, mit uns sprechen möchte, Kontakt sucht, oder es bietet uns jemand mit scheuer Geste Freundschaft an – wie reagieren wir? Im Unterbewusstsein sagt etwas in uns: Zu fremd, zu schmutzig, zu anstrengend.
„Was kann von da Gutes Kommen?“ – eine Frage, die blockiert. Nathanael gehört wohl zu den starren Menschen mit wenig Phantasie, zu den Unbeweglichen.
Aber da macht es nun Philippus, der schon Jesusjünger ist, recht geschickt. Er hat einen Vorschlag, der die zugeschlagene Tür wieder öffnet: „Komm und guck dir es doch einfach einmal unverbindlich an!“ Auf diesem Ohr hört Nathanael. Da wird nun sozusagen die Lichtseite seines zwanghaften Charakters angesprochen. Denn das ist jetzt seine Stärke: genau hinschauen, nüchtern objektiv und gründlich prüfen. Er ist ja keiner, der eine Katze im Sack kaufen würde.
Und tatsächlich: Jesus bestätigt ihm diese positive Seite seines Charakters sogleich und rückt sie ins Licht: „Siehe, ein rechter Israelit, ein Mensch, in dem kein Falsch ist. (Joh 1,47) Die Verlässlichkeit in Person.“
So also sieht ihn Jesus! Das ist Nathanael! Zu loben für seine Gewissenhaftigkeit in allen Dingen. Einer, der prüft, ehe er sich ewig bindet, abhold jeder blauäugigen Schwärmerei. Er ringt mit sich und Gott. Aber wenn Nathanael schließlich Ja gesagt hat, dann bleibt er auch dabei, dann wird er nicht enttäuschen, dann ist Verlass auf ihn.
Einer, der den Namen „Israel“ verdient – mehr noch als der Ahnvater Jakob. Der hatte damals in der denkwürdigen nächtlichen Stunde in der Jabbokfurt von Gott als Erster der Weltgeschichte den Ehrennamen „Israel“ erhalten. Der Name beinhaltet ein großes Lob. Er bedeutet ins Deutsche übersetzt ungefähr: „Der sich mit Gott heftig auseinandergesetzt hat“. So ein „Israelit“ ist also auch Nathanael. Einer, der den Ehrennamen „Israel“ sogar noch viel mehr, „in Wahrheit“, verdient, weil er, anders als Jakob, ohne List und Betrug sein Leben führte.
Aus Jesus spricht Menschenkenntnis: So findet man Zugang zum Herzen eines Menschen, so gewinnt man ihn: Indem man ihn wahrnimmt und zwar erst einmal in seiner Stärke. Nathanael fühlt sich endlich einmal erkannt, endlich einmal nicht verkannt. Sein Selbstwertgefühl wächst, weil da einer seine positiven Eigenschaften wertschätzt und an die erste Stelle setzt.
Wenn uns dies geschieht, dass jemand unseren guten Kern und unsere beste Absicht nicht nur sieht, sondern uns ermuntert, Gebrauch davon zu machen, dann ist das etwas Befreiendes, etwas, was unserem Tun Schwung verleiht. Und dann können wir auch seine Kritik im Einzelnen ganz gut vertragen. Dagegen werden Sie sich von einem Menschen, der gleich und nur das Schlechte an Ihnen feststellt, kaum etwas sagen lassen. Das war eines der großen Missverständnisse des Christentums: Man meinte, der Mensch werde in der Bibel erst einmal total schlecht gemacht, kein gutes Haar werde an ihm gelassen. Gerade so sei er bereit für das Evangelium und den Empfang der Vergebung seiner Sünden. Und danach erst sei er überhaupt zu Gutem fähig.
Nein, Jesus hat einen Menschen gelobt, wo er zu loben war, dafür haben wir Beispiele genug im Evangelium.
Und wenn Jesus hier bei Nathanael den guten Kern feststellt, dann hat das enorme Bedeutung für die Entwicklung seiner Persönlichkeit. Denn wenn ich um meinen Kern weiß, dann weiß ich um das, was in meinem Leben auch entfaltet werden will, was wachsen soll und wo ich schließlich Frucht bringen darf.
Also, Nathanael ist in diesem Moment schon richtig aufgebaut und dem Mann aus Nazareth schon einigermaßen gewogen. Aber er wäre doch nicht Nathanael, wenn er nicht nochmals mit leisem Zweifel zurückfragte: „Ja du, woher kennst du mich denn eigentlich?“
Jesu verblüffende Antwort: „Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum sitzen sehen.“ (Eine Anmerkung: Unter dem Feigenbaum pflegten damals Tora-treue Israeliten zu sitzen, wenn sie dem Wort Gottes in der Schrift nachsannen.)Und offenbar, weil er tatsächlich unter dem Feigenbaum gesessen hat, ist der beweishungrige Nathanael nun doch ganz schnell überzeugt und fast schon begeistert: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, der König von Israel!“ (Joh 1,49)
Denn streng genommen hatte Nathanael, der Schriftgelehrte, jetzt zwei Beweise in der Hand (und nach der sogenannten Zeugenregel des alttestamentlichen Buches Deuteronomium wird die Wahrheit einer schwerwiegenden Sache erst durch zwei Gleiches besagende Zeugen festgestellt). Welches waren die beiden Beweise? Wiederum nach einem alttestamentlichen Text, nämlich nach der Messias-Verheißung von Jes 11, würde der Messias den Geist der Erkenntnis haben, das heißt: Intuition im Erkennen von Menschen. Jesus hatte sie bewiesen, als er Nathanaels Gewissenhaftigkeit und die Gründlichkeit seines Gottsuchens mit einem Blick erkannte. Ferner würde der Messias nach Jes 11 so etwas wie ein paranormaler Hellseher sein, und auch diese Fähigkeit hatte Jesus dem Nathanael vordemonstriert, als er ihn aus zig Kilometer Entfernung unter dem Feigenbaum sitzen sah.
Jesus, der Messias, verfügt also über übersinnliche Wahrnehmungsfähigkeiten. Und damit gibt er denen recht, die aus Erfahrung sagen: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als es sich unsere Schulweisheit träumen lässt.“ Mehr als das, was unsere fünf Sinne erfassen. Phänomene wie Hellsehen, Telepathie, Gedankenübertragung, Ahnungen, Traumbotschaften, Schutzengel sind also nicht von vornherein als Humbug abzutun. Dass zwischen manchen Menschen immer wieder Telepathie, Fernfühlung, wirksam werden kann, belegen etwa Mütter im Krieg, wenn der Sohn auf dem Schlachtfeld fiel und sie schreckten aus dem Schlaf hoch und wussten es. 1
Wenn telepathische Erfahrungen heute selten sind, so zeugt das möglicherweise davon, dass es nicht eben viele tiefe und innige Beziehungen in unserer Spaß- und Karrieregesellschaft gibt.
Aber das ist es nicht, worauf unsere Geschichte den Finger legt. Jesus relativiert ja gerade die Bedeutung des Paranormalen, als ob er sagen wollte: Solange wir auf Erden wohnen, sind übersinnliche Fähigkeiten nicht das, was in erster Linie zählt für die Menschwerdung des Menschen. Und so wendet er sich jetzt mit seinem gewichtigen Schlusswort an Nathanael: „Du glaubst, weil ich dir, der Tatsache entsprechend, gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Schön und gut. Aber das eigentliche Wunder ist etwas Größeres und Bedeutsameres: Wahrlich, wahrlich, ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen auf den Menschensohn.“ (Joh 1,51b)
Jetzt ist es gesagt, jetzt ist es in ein kühnes Bild gefasst, was die Jünger und Jüngerinnen allezeit an Jesus, dem Messias, haben: Er, Jesus, ist der Punkt in der Welt, wo Himmel und Erde, wo Ewigkeit und Zeit, wo Jenseits und Diesseits miteinander kommunizieren. Jesus spielt noch einmal, auf ein Schlüsselerlebnis des Ahnvaters Jakob an, diesmal auf sein Traumerlebnis. Jakob träumte einst, als er angstgetrieben auf der Flucht vor Esaus Rache war, wie die Engel an seiner Übernachtungsstätte auf- und niederstiegen, und er nannte daraufhin den Ort seines Übernachtens Bethel, Haus Gottes. (Gen 28) Dort soll man auch fernerhin Gott in besonderer Weise „antreffen“ können.
Und dieser Ort, wo man auf Gott stößt, der soll nun also künftig ein Mensch sein, nämlich Jesus, der Messias aus Nazareth, so erfährt Nathanael. Nirgendwo sonst kann man Gott so hautnah begegnen wie im Schauen und Hören auf Jesus. Denn bei ihm findet die intensivste Kommunikation mit dem Ewigen statt, die es je auf der Erde gegeben hat. In der beständigen Zwiesprache zwischen dem Vater und dem Sohn glüht der heiße Draht zwischen der Zeit und der Ewigkeit. Mehr noch: Der Sohn zieht uns hinein in diese Kommunikation mit seinem Vater. Sein Vater ist unser Vater im Himmel, sein Abba ist Abinu, unser Ab, und Jesus zieht uns hinein in seine Ehrfurcht vor dem Schöpfer und Befreier: Jitqadesch schemächa! Geheiligt werde dein Name! Zieht uns hinein in seine Sehnsucht nach dem Heil für alle leidgeplagte Kreatur, Heil, wie es nur von einer Macht kommen kann: Tawo malchutächa! Es komme deine Königsherrschaft!
Zieht uns hinein in seinen Protest gegen die Menschheitsgeschichte, die so arg zum Selbstläufer geworden ist und in Blut und Tränen ihrer Opfer zu ertrinken droht: je`asäh chäftzächa ke wa schamajim ken ba arätz. Es geschehe doch dein Wille endlich auch auf Erden!
Und Jesus reicht uns einfache Worte, um täglich unsere Sorge, unsere Schuld und unsere Angst beim Vater im Himmel los zu werden oder doch ins Maß gesetzt zu bekommen: Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. (Mt 6,11-13)
Mit diesen Worten, wenn wir sie bewusst aussprechen und mitdenken und im Herzen fühlen – so wachsen wir hinein in die Familie der Gotteskinder. Denn Jesus ist der Ort, an dem wir wie nirgends sonst auf der Welt mit Gott zusammengebracht werden:
Such, wer da will, ein ander Ziel..., sein Wort sind wahr, sein Werk sind klar,
sein heil‘ger Mund hat Kraft und Grund... (EG 346,1)
Amen.
1 Gerade las ich in den Lebenserinnerungen von Jörg Zink den Abschnitt, in dem er von einem Kriegserlebnis erzählt: „An jenem Morgen ging ich von meiner Stube in der Mannschaftsbaracke über den Flur in das Zimmer meines Freundes Gerd. Er war zwei Jahre älter als ich, Student des Maschinenbaus, ein ruhiger, nüchterner und sehr verlässlicher Pilot. Als ich eintrat, saß er auf der Bettkante, das Foto seiner Braut in der Hand. Er schaute kurz auf und sagte: ‚Heute bin ich dran.‘ ‚Aber heute haben wir doch frei!‘, antwortete ich, ‚heute ist doch gar kein Einsatz!‘. Er wiederholte nur: ‚Heute bin ich dran!‘ Um die Mittagszeit erfolgte unerwarteter Befehl. Zwei Stunden später stürzten wir in unserer brennenden Maschine ins Meer. Ich überlebte. Er nicht.“