Der König fährt Fahrrad - Predigt zu Johannes 12,12-19 von Christoph Schweizer
Der König fährt Fahrrad
Jesus zieht in Jerusalem ein. Die Leute jubeln ihm begeistert zu, winken mit Palmzweigen – das ist die Szene, die dem Palmsonntag seinen Namen gibt. Seltsam, dass mit dieser fröhlichen Szene die Karwoche mit all dem Schweren ihren Anfang nimmt. Ich lese die Geschichte vom Einzug in Jerusalem, wie sie bei Johannes aufgeschrieben ist:
Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen:
„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“
Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht: „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, den König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.
Das verstanden seine Jünger zuerst nicht. Doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.
Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dies Zeichen getan.
Die Pharisäer aber sprachen untereinander: „Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet. Siehe, alle Welt läuft ihm nach!“
Liebe Gemeinde, es ist eine bunte Geschichte – und eine ziemlich verwunderliche und schräge, diese Szene vom Einzug Jesu nach Jerusalem. Das Volk jubelt ihm zu – doch so recht steht ihm die Rolle des Volkshelden nicht. Und irritierende Missklänge mischen sich in die Jubelszene.
Ein Missklang ist das Unverständnis der Jünger. Oder das religiöse Establishment, diese braven Männer, die schon darauf sinnen, wie sie den Störenfried Jesus ausschalten. Für den Moment strecken sie die Waffen. Aber wir wissen, sie warten nur auf einen günstigeren Zeitpunkt.
Ein besonders schräges Motiv in dieser Einzugsszene ist das Reittier. Ausgerechnet ein Esel. Jesus wird umjubelt als „König von Israel“. Aber ein König reitet auf einem Pferd, dem schnellen Reittier der Krieger. Nicht auf einem störrischen Esel, der allenfalls einem Bauern zur Ehre gereicht. Ein König auf einem Esel – das ist gerade so, als würde die Königin von England die jährliche Geburtstagsparade auf dem Fahrrad abnehmen.
Und doch ist gerade der Esel in der Bibel das Zeichen des Friedenskönigs. Das schrieb schon der Prophet Sacharja mit seiner Messiashoffnung, die in unserem Predigttext zitiert wird: „Fürchte dich nicht, freue dich, Tochter Zion. Siehe, dein König kommt zu dir arm und reitet auf einem Esel.“
Der König Gottes kommt nicht wie Alexander der Große auf einem Kriegsross dahergesprengt, er kommt auf dem Esel und bringt den Frieden. Er kommt auf dem Reittier der einfachen Leute. Nicht hoch zu Ross, hoch über den Köpfen, auf dem Esel reitet er, heute wär’s vielleicht ein Fahrrad, im gemächlichen Tempo und auf Augenhöhe mit denen, die ihn da erwartungsvoll empfangen.
Aber was sind das nur für Leute, die da auf den Straßen von Jerusalem stehen? Heute noch feiern sie Jesus als Befreier. Doch in wenigen Tagen werden sie schreien: „Kreuzige ihn!“
Wir anständigen und friedliebenden Leute, die wir gerne sind oder die wir zumindest gerne wären, wir sind befremdet über diesen Mob von der Straße. Es ist ja auch viel leichter auszuhalten, diese Szene irritiert zur Kenntnis zu nehmen und bei sich zu denken: „Was für primitive und verführbare Menschen!“ Unangenehmer wird es dann, wenn wir uns selbst mit hineinziehen lassen. Wenn wir uns überlegen: Wo wäre denn unser Platz in dieser Szene? Würden wir mit dem Eselreiter den zunächst so umjubelten und dann doch so dornenreichen Weg mitgehen? Oder ist unser Platz die bequeme Beobachterposition am Rande?
Die Stimmung der Leute am Straßenrand konnte doch nur deshalb so rasch kippen, weil es keine tiefe innere Beteiligung, kein echtes Interesse war, das sie jubeln ließ, sondern Sensationsgier. Nur nichts verpassen. Dabei sein ist alles. Und so schnell, wie man eben noch begeistert ist, hat man‘s, falls die Stimmung kippt, immer schon gewusst und kommentiert das Geschehen am Stammtisch der Geschichte.
Sich nur nicht zu weit reinziehen lassen. Immer schön am Rand bleiben. Aber ja nichts verpassen. Das ist die Grundausstattung des gnadenlosen Mobs. Eine Grundausstattung, die wir alle in uns tragen.
Jesus, der König auf dem Esel, zeigt einen anderen Weg. Er ist da, ganz nah. Immer wieder. Lässt sich Leid, Krankheit, Zerstörtes und Zerstörerisches nahe gehen, hält es nicht auf Distanz.
Ein Beispiel: die Geschichte von den Besessenen von Gerasa. Zwei kranke Männer leben außerhalb der kleinstädtischen Gesellschaft, in Grabhöhlen. Weiter draußen aus dem Leben, den Beziehungen, aus dem Sinn… geht nicht. Jesus geht hin, spricht mit ihnen, lässt sich vor ihrem grässlichen Auftreten, von all den inneren und äußeren Verletzungen, die ihnen zugefügt wurden, nicht abschrecken, hält ihnen stand, hält die Nähe aus. Auch die Nähe von Not, von Geschrei, von Gestank.
Ein weiteres Beispiel: Die Frau, die gegen den Sittenkodex verstoßen hat und so das zwischenmenschliche Gefüge verletzt hat… Sie war beim Ehebruch ertappt worden und wurde vor Jesus gezerrt, damit er sie richte. Doch er schwingt sich nicht zum Richter auf, sondern ermöglicht ihr den Weg zurück in die Gesellschaft, indem er ihr zeigt: Ich finde nicht gut, was du getan hast. Aber ich respektiere dich als Mensch! Und zu den Zeugen der Szene sagt er den berühmten Satz: „Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“. Wo man andere und ihr Schicksal an sich ran lässt, da geht das nicht mehr gut mit dem verurteilen, mit dem Steinewerfen.
Die Reihe solcher Geschichten von Jesus ist lang. Geschichten, die zeigen: Er wendet sich denjenigen zu, von denen sich die mehr oder weniger anständigen Bürger schön fern halten. Mit denen sie nichts zu tun haben wollen. Denen, die mit ihrem Unglück oder mit ihrem unanständigen Verhalten das kleine bürgerliche Glück in Frage stellen. Denen, von denen man sich lieber nicht anstecken lässt.
Geschichten, die man lieber nicht an sich ran lässt – wo sind solche Geschichten heute? Lampedusa fällt mir ein. Diese süditalienische Insel, paradiesisch gelegen, steht für tausendfaches Unglück. Für afrikanische Bootsflüchtlinge auf überfüllten Kähnen, die im Mittelmeer ertrinken. Und diejenigen, die es lebendig auf europäischen Boden schaffen, werden in ein überfülltes Aufnahmelager verfrachtet. Glücklich, wem es gelingt, in die Illegalität unterzutauchen. Oder wer sich irgendwie in den Norden Europas durchschlägt und Asyl beantragt.
Lampedusa ist weit weg. Und kommt uns doch seit Monaten nahe, mit all den Schreckensmeldungen von gekenterten Flüchtlingsbooten, mit den Nachrichten von einer „Flüchtlingswelle“. Noch sind die Stimmen in der Minderheit bei uns, die altbekannten, die jammern, „das Boot sei voll“. Noch gibt es Verständnis, Mitleid mit denen, die es aus den Krisengebieten im Norden Syriens und des Irak zu uns schaffen, „die armen Leute“. Aber zu nah soll das Elend uns dann doch nicht kommen. Eine Flüchtlingsunterkunft in der unmittelbaren Nachbarschaft – das dann doch lieber nicht. Das Boot ist vielleicht noch nicht voll – aber in unserer Straße ist jedenfalls kein Platz. Nicht für solches Elend.
Wie gut, wenn es Menschen gibt, die uns eine Brücke bauen, die uns helfen, im Flüchtling aus dem Irak nicht nur das anonyme Elend zu sehen, das mir unangenehm nah rückt. Sondern in ihm den Menschen zu sehen. Wie gut, dass es ein kirchliches und bürgerschaftliches Netzwerk gibt von Freundeskreisen für Flüchtlinge. Sie helfen uns, auf Flüchtlinge zuzugehen, ihnen ins Gesicht zu sehen, ihnen die Hand zu reichen. Und uns ihre Geschichten, ihre Schicksale nicht vom Leib zu halten, sondern sie anzuhören und uns angehen zu lassen.
Solche Freundeskreise folgen dem Beispiel des Königs, der auf dem Esel reitet, auf dem langsamen Reittier, auf dem man sich in Augenhöhe bewegt. Sie folgen dem Beispiel des Königs, dessen Macht in seiner Ohnmacht besteht. Und der so unsere gnadenlosen Machtvorstellungen, unser Recht des Stärkeren, durchbricht.
Er ist auf dem Weg, der Eselreiter. Auf dem Weg zu aller Welt. Auf dem Weg in die Asylunterkunft, auf dem Weg ins Pflegeheim und ins Hospiz, wo die Ehrenamtliche die letzten Stunden des Sterbenden und die Nähe des Todes mit aushält. Er ist auf dem Weg zu uns. Und lädt uns ein, mitzukommen auf seinen Weg des Friedens.
Lädt uns ein, und weiß, wie oft wir den Weg verfehlen. Wir sind nicht er. Wir scheitern regelmäßig beim Versuch, gut zu sein. Gerade deshalb gilt uns seine Liebe. Weil wir sie brauchen. Gerade deshalb lädt er uns immer wieder ein, uns mit ihm auf den Weg zu machen. Amen.
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Der Buchsbaumzweig - Predigt zu Johannes 12,12-19 von Wolfgang Vögele
Der Buchsbaumzweig
Vorbemerkung: Das in der Predigt angesprochene Bild von Alfred Stevens und ein Bild eines geschnitzten Palmesels können abgerufen werden unter: https://wolfgangvoegele.wordpress.com/2015/03/25/palmsonntag-bilder/
„Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“ Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.“
Liebe Gemeinde,
zusammen mit Ihnen möchte ich ein Bild betrachten. Es trägt den Titel „Palmsonntag“ und stammt von dem belgischen Maler Alfred Stevens, der 1823 in Brüssel geboren wurde, und 1906 nach langen erfolgreichen Jahren in Paris in seiner Heimatstadt starb. Wer nun auf der Leinwand eine jubelnde Menge, einen Esel mit dem Heiland oder die Stadtmauern Jerusalems zu sehen hofft, der täuscht sich. Statt dessen blicken wir auf den abgedunkelten Innenraum eines Salons. Eine blonde junge Frau, eine Schönheit im langen schwarzen Kleid ist auf einen Sessel gestiegen, um ein hoch an einer grauen Wand angebrachtes kleines Bild zu erreichen. Das Porträt zeigt vermutlich ihre Mutter. Die junge Frau klemmt einen Buchsbaumzweig hinter den Rahmen des Porträts. Sie achtet sorgfältig darauf, daß das Bild nicht vom Haken stürzt. In ihrem Blick liegt eine gewisse Sehnsucht, nach der Mutter, die vielleicht schon nicht mehr lebt. Ihr Blick zeigt eine schwermütige Erinnerung an Kindertage, als man am Palmsonntag in der Wohnung die Buchsbaumzweige aufhängte. Im Blick der jungen Frau liegt auch die kleine Hoffnung, daß der Buchsbaumzweig den ersehnten Segen für ihr Elternhaus und vielleicht auch für sie selbst bringen möge.
Vom gewaltigen Einzug Jesu in Jerusalem ist nur der Buchsbaumzweig übriggeblieben. Aus der Massenszene vor der Stadtmauer Jerusalems ist eine behütete bürgerliche Idylle geworden. Dabei haben unzählige Generationen von Christen die Geschichte von Jesu Einzug in Jerusalem stets mit besonderer Faszination gehört haben. Die Geschichte übte so starke Faszination aus, daß Maler die Szene auf Ikonen und Tafeln festgehalten haben. Im Mittelalter zogen am Palmsonntag riesige Prozessionen durch die Stadt. Dabei zogen angesehene Bürger der Stadt einen lebensgroßen hölzernen Esel mit einer Christusfigur an den jubelnden Menschen vorbei. Die Menge schwenkte begeistert Palmwedel. Wo das Klima das Wachstum von Palmen nicht zuließ, also in kälteren Regionen Europas verwendete man Buchsbaumsträuße als Ersatz. So erklärt sich der kleine Buchsbaumstrauß auf dem Bild des belgischen Malers Stevens. Wenn der sogenannte Palmesel mit dem hölzernen Jesus vorbeigezogen war, nahmen die Zuschauer die Buchsbaumwedel mit nach Hause, um sie dort in der Wohnung aufzuhängen. Davon erhoffte man sich Segen, Gesundheit, Wohlergehen. Die Reformation hat diesen Prozessionen im evangelischen Raum ein Ende gemacht, und diesem Verbot fielen auch die Palm- und Buchsbaumwedel zum Opfer. Die Reformatoren hielten nichts von Palmwedeln und Buchsbaum, weil sie den Verdacht hatten, daß die Menschen ihnen abergläubische Kräfte zuschrieben.
Mir kommt es nicht auf die segensreiche Wirkung von Buchsbaumsträußchen an. Das Buchsbaumsträußchen, das ein Palmwedel sein soll, verknüpft die alte Geschichte vom Einzug mit der Gegenwart. Der frisch geschnittene Buchsbaum bringt Wünsche zum Ausdruck: Ich möchte mit eigenen Augen sehen, wie Jesus auf dem Esel reitet. Möchte ihm zujubeln. Möchte mich für ihn begeistern. Möchte von dieser Begeisterung etwas nach Hause mitnehmen, aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Denn in dieser tristen Gegenwart könnte ich ein wenig von der Begeisterung des Glaubens gut gebrauchen.
Begeben wir uns also nochmals mitten in diese Geschichte hinein und schauen uns um in dem, was der Evangelist Johannes erzählt. Im Grunde genommen geschieht ganz wenig: Jesus reitet auf einem Esel nach Jerusalem. Die Menge jubelt mit Palmzweigen. Aus und fertig. Aber der Evangelist reichert diese Geschichte an mit anderen Zeitebenen. Die Gegenwart der Geschichte ist mit Vergangenheit und Zukunft vernetzt.
Johannes erinnert an den Propheten Sacharja. Er hat das schon gesagt, daß der König, Messias, Heiland auf einem Esel in die heilige Stadt einziehen. Die auf den ersten Blick banale Gegenwart stellt sich also als erfüllte, Wirklichkeit gewordene Prophezeiung dar. Verheißung ist Gegenwart geworden.
Und der Evangelist spielt auch die Zukunft in die Anreise nach Jerusalem ein. Später, nach der Verherrlichung, sagt der Evangelist, gingen den Jüngern die Augen auf. Nach der Verherrlichung meint: nach der Auferstehung, nachdem Jesus den Frauen und den Jüngern in Visionen erschienen war. Denn Jesus wurde ja bekanntlich nach seinem triumphalen Einzug in Jerusalem gefangengenommen, gefoltert und hingerichtet. Die Jünger stürzte das in eine große Katastrophe geistlicher Enttäuschung. Sie flohen nach Galiläa, weil sie sich verlassen glaubten. Nachdem ihnen der Auferstandene erschienen war, erkannten sie plötzlich die vielen prophetischen Zeichen, die nicht Jesu Hinrichtung, sondern seine Verherrlichung vorwegnahmen. Der Heilandskönig auf dem Esel wird zwar hingerichtet, aber damit findet sich Gott nicht ab.
Kurzum: In der Gegenwart der erzählten Geschichte, damals als der Esel in Richtung Stadttor trabte, hätte man das alles schon sehen, spüren und glauben können, wie sich Vergangenheit der Verheißung, Gegenwart des anwesenden Heilands und die Zukunft seiner Herrlichkeit in einer Weise vereinten, daß der Menge gar nichts anderes übrigblieb als enthusiastisch zu jubeln.
Man kann die Erzählung also nur verstehen, wenn man sie einbettet in Vor- und Nachgeschichte. Das Netzwerk von Verheißung und Erfüllung, von Gottes Zeit und menschlicher Zeit will berücksichtigt sein. Johannes gelingt es, dieses geistliche Netzwerk der Geschichte in wenigen Andeutungen zu entfalten.
Es wäre allerdings ein Fehler, den Einzug Jesu in Jerusalem nur von seinem Ende her zu betrachten. Wer die Geschichte Jesu nur von der Auferstehung her ansieht, die Johannes Verherrlichung nennt, überspielt die Doppeldeutigkeit der Gegenwart, die Wirklichkeit seines Leidens und auch die Wirklichkeit gegenwärtigen Ungenügens. Der genaue Blick auf die Eselsszene zeigt, daß Johannes auch daran gedacht hat.
Jesus zieht zwar als bejubelter Heiland und König durch das Stadttor, und darin gleicht er dem Feldherrn, der nach siegreicher Schlacht in die Hauptstadt zurückkehrt und dem staunenden Volk Beute und Gefangene präsentiert. Schon darum nimmt das Bild auch etwas leicht Gespenstisches an. Das Jubeln bleibt da doch ein wenig im Halse stecken. Aber der Triumph ist nur eine Facette dieses Einzugs. Der demütige, armselige Esel, auf dem Jesus reitet, kann diese Aura des Triumphs nicht vollständig wegblasen oder beiseite wischen. Nein, auf dem Esel reitet nicht der siegreiche Feldherr, der Staatsmann, der Generalissimus, der mit einer Parade geehrt und belohnt wird. Auf dem Esel reitet der Gefangene, der Hinrichtungskandidat, das Justizopfer.
Der Jubel von Palmsonntag und das Leiden von Karfreitag sind untrennbar miteinander verknüpft. Dieser Jesus auf dem Esel ist gar nicht richtig zu fassen. Der Triumphzug durch das Stadttor ist Einleitung, Ouvertüre, Präludium mit verheißungsvollen, strahlenden Akkorden. Aber es schließt sich die Katastrophe des Karfreitags an. Den demütig triumphierenden Jesus auf dem Esel erwarten Verrat, Verhaftung, Verurteilung. Und Johannes der Evangelist macht uns glauben, daß Jesus das, auf dem Esel sitzend, auch ganz genau wußte. Das Präludium des Triumphzugs ist bei allem Jubel von Mollakkorden durchzogen, welche die Jünger und die große Menschenmenge schlicht überhören, weil sie sich sofort wieder zu angenehmen Harmonien auflösen. Unter den Obertönen des Triumphs liegt der andere düstere Grundakkord, der Schatten der Trauer. Das Volk träumt: Wenn wir solch einen König hätten… Aber diese einfache Hoffnung führt die Menschenmenge in die Irre.
Die Jünger spüren die Doppeldeutigkeit der Szene besonders klar. So gerne sie dem Jubel und der Begeisterung nachgeben würden, so sehr spüren sie auch die Katastrophe, die sich bereits ankündigt, den Fahrstuhl zum Schafott, der sich genauso zwingend aus der Vorgeschichte ergibt wie die Herrlichkeit des Reiches Gottes.
Die Jünger haben das Geschehen des Einzugs nicht verstanden, sagt Johannes. Dieses Unverständnis läßt sie nachdenklich werden. Sie fragen sich, was das Ganze soll, und sie fürchten heimlich, daß der Jubel sich in Niedergeschlagenheit verwandelt. Ich frage mich, ob nicht einer der Jünger diesen leisen Zweifel ausgesprochen hat. Johannes macht darüber keine Bemerkung. Er springt als Erzähler gleich in das Später, in die Zeit, als Jesus bereits verherrlicht war.
Dann, so Johannes, verstanden die Jünger, daß er auf einem Esel einziehen mußte, weil es in der heiligen Schrift so angekündigt war. Dann verstanden die Jünger, daß der Triumphzug des Palmsonntags nicht das Kreuz ankündigte, sondern bereits die Auferstehung. Dann verstanden die Jünger, daß das Leiden am Kreuz nicht der Schlußpunkt der Geschichte Jesu war. Dann verstanden die Jünger, daß Gott selbst in der Geschichte Jesu von Nazareth das letzte Wort hatte. Dann verstanden die Jünger, daß die gesamte Geschichte nicht von willkürlichen Zufällen abhängig war, sondern von Gottes barmherzigem Willen. Dann verstanden die Jünger, daß alle Menschen, nicht nur die Anwesenden, sondern auch die späteren Glaubenden, die Leser des Neuen Testaments in diese Geschichte verwickelt waren. Jeder Glaubende geht mit Jesus vom Jubel des Palmsonntags über den Verrat im Garten Gethsemane, das Leiden auf dem Hügel Golgatha bis zu den beiden Jüngern in Emmaus. Sie erkennen in dem Fremden, der Brot und Wein verteilt, ihren auferstandenen Herrn.
Die gesamte Leidensgeschichte Jesu, an die wir uns in jeder Passionszeit neu erinnern, ist bestimmt von einer tiefen Zweideutigkeit. Im Jubel der Menge, die Hosianna ruft, klingt bereits die Forderung nach der Kreuzigung an, mit welcher die Menge vor Pilatus die Hinrichtung Jesu fordert. Und trotzdem! Trotzdem klingt im Jubel des Palmsonntags schon die Freude über die Auferstehung mit, das Osterlachen, welches das Böse vertreibt.
Deswegen gefällt mir das Bild von der jungen Frau, die im Wohnzimmer einen Buchsbaumzweig hinter den Bilderrahmen heftet. Die junge Frau nimmt ihre Mutter und sich selbst mit hinein in das Hosianna des Palmsonntags, obwohl die Bürger Jerusalems Palmzweige und nicht Buchsbaumsträußchen geschwenkt haben. Der Buchsbaumzweig wird so zum Zeichen der Herrlichkeit Gottes. Deswegen blieb er, obwohl er immer trockener wurde, das ganze Jahr in diesem Wohnzimmer hinter dem Bilderrahmen eingeklemmt. Vielleicht hat ihn niemand der vielen Gäste und Besucher beachtet. Gewiß aber zeigt dieser Zweig etwas von dem, was Gott mit dieser Welt vorhat.
Die Doppeldeutigkeit und Zweideutigkeit dieser Wirklichkeit läßt sich nicht aufheben. Glaube wird stets auch von Zweifel, Jubel stets auch von Trauer begleitet sein. Immer wieder neue Erfahrungen und Erlebnisse schaffen neue Deutungen, zweifelnde ebenso wie sinnstiftende. Jesu Passionsgeschichte zeigt, daß Gott das letzte Wort und die letzte Entscheidung behält. Die Herrlichkeit, von der Johannes spricht, ist nichts anderes als seine Überwindung des Todes in der Auferstehung. Die Jerusalemer Bürger haben darüber gejubelt, auch wenn sie nicht einmal geahnt haben, worüber sie in Wahrheit jubeln. Dieser Jubel leitet eine Geschichte ein, die unmenschliche Trauer, Qual und Schmerz bereithält. Aber diese Trauer bleibt nicht das letzte Wort. Am Ende stimmt das doch, was das Volk ruft: „Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“ Amen.
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Predigt zu Johannes 12,12-20 von Heinz Behrends
Komm, ich muss Dir unbedingt Bamberg mit seinem Dom zeigen, sagte ich zu meiner Frau, als wir uns frisch verliebt hatten. Wir hatten durch unsere Arbeit in unserer Gemeinde die romanischen Kirchen lieben gelernt. Wir fuhren spontan zu einem kurzen Wochenend-Trip in die fränkische Stadt. Nach einem gepflegten Rauch-Bier im Schlenkerla und gesegnetem Schlaf im Gasthaus ging es am nächsten Morgen auf den Dom-Berg.
Wir nähern uns langsam der Kirche, betrachten ihren großen Körper, gehen durchs Portal hinein, vorne gleich links am Nordpfeiler des Chorraumes sag ich. „Das wollt ich dir vor allem zeigen, den Bamberger Reiter“. Auf einem Sockel in etwa drei Meter Höhe: Das stolze Pferd, schlichte Schönheit der romanischen Bildhauer-Kunst. Auf dem Pferd der Reiter, den Blick leicht ins Kirchenschiff gewandt, volles lockiges Haar. Abbild des Ritters, der im Mittelalter für seinen Herrn in den Krieg zieht und Schlachten gewinnt. Sich später etabliert als Besitzer großer Güter. Der Ritter, der Reiter, Symbol der mit dem Schwert erkämpften Macht. Das Pferd hat keine andere Aufgabe als den Ritter in den Kampf zu tragen.
Was ist dagegen ein Esel! Hässlich, ein bisschen klein, strubbeliges Fell, tapsig im Gang mit seinen kurzen Schritten, Lasten tragen, mühsame Bergklippen überwinden. Zu allem zu gebrauchen, nur zu einem nicht: Einen bewaffneten Krieger kann er nicht in die Schlacht tragen.
Solche Esel, auch herrenlose, laufen viele herum in Jerusalem. Jesus schnappt sich einen. Keine komplizierte Vorbereitung wie Matthäus, Markus oder Lukas erzählen. „Da nahmen sie Palmenzweige und gingen hinaus, ihm entgegen. Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf.“ Die große Menge jubelt. Und er schweigt. Sie sind in Bewegung gebracht worden durch Augenzeugen. Es hat sich rumgesprochen, die Auferweckung des Lazarus.“Das Volk, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.“ Auf spektakuläre Dinge reagiert ein Volk immer und zu allen Zeiten heftig. Vor allem, wenn jemand eine neue Zeit verspricht. Es erzeugt erhöhte Aufmerksamkeit.
Neue Zeit hatte auch die neue griechische Regierung versprochen. Deshalb wurde sie gewählt, inzwischen muss sie zurückrudern. Andere versprechen erst gar nichts mehr. Die Friedensbemühungen unserer Kanzlerin, unseres Außenministers in der Ukraine sind engagiert und ohne Illusion.
Die Berichte über IS und Boko haram lassen keinen Raum für Träume einer neuen Welt.
Die Retter dieser Tage steigen aus Flugzeugen und Limousinen und ziehen in die Pressekonferenzen ein, sie zeigen sich als Realisten. Merkel und Draghi. Wir setzen unsere Hoffnung auf sie, dass eine Flut gedruckten Geldes nicht mit einer großen Entwertung der Ersparnisse von Menschen und am Ende mit einer großen Inflation endet. Aber kein Hosianna für Retter. Auf einem Reiterdenkmal wird man sie einmal nicht vorfinden. Weil mit der Gier der Banker und der geheimdiensterprobten Verschlagenheit eines Putin bisher niemand umzugehen vermag. Allgemeine Ratlosigkeit erfasst nicht nur die Politiker.
Soll ich das gut finden, dass sich die protestantische Nüchternheit gegen die Erwartung eines Messias durchgesetzt hat? Kein Retter in Sicht. Sondern mühevolle Kleinarbeit mit ungewissem Ausgang? Alle Ideologien sind am Ende, und die Kirche ist mit sich beschäftigt. Wir sind zunehmend beunruhigt.
Die Mächtigen jener Zeit hatten allerdings auch Grund zur Unruhe. Sie schauen sich das Verhalten der Menge an und halten eine Konferenz. „Die Pharisäer aber sprachen untereinander.“
Gegen diese Begeisterung habe sie keine Alternative aufzubieten. Sie kommen von ihrer alten Ordnung nicht los. Von Recht und Gesetz und Ordnung und organisierter Religion.
Auch die Pharisäer unserer Tage sind ja still geworden.
Ein ganz neuer Geist der Liebe, der Erneuerung müsste her und der müsste durchgesetzt werden. Aber wer soll das tun? Jesus sitzt schweigend auf seinem Esel und lässt den Jubel der Menge an sich vorbeiziehen.
Ganz anders erzählt der Evangelist Matthäus. Jesus inszeniert klug seinen Einzug in die Stadt und vertreibt erst einmal die Banker aus dem Tempel. Schmeißt Tische der Wechsler um und die Taubenkäfige, dass sie nur so davon flattern und verlässt wieder wütend die Stadt in Richtung Bethanien. Johannes dagegen deutet die Reaktionen kurz an und Jesus schweigt.
Damit Du Deine eigene Position findest.
Erwartest Du, dass Jesus die ungeheuerliche Verantwortungslosigkeit in dieser Welt künftig verhindern kann?
Erwartest Du, dass ohne Ansehen einer Wirtschaftskrise, ohne Rücksicht auf Deine gesicherte Altersversorgung, Christus Dein Leben erreichen oder gar wenden kann?
Obwohl, alles was wir in diesen Monaten über den Charakter des Menschen erleben, ist alles schon in der Bibel nachzulesen: Geiz, Neid, Völlerei, Unmäßigkeit. Wir leiden an einem tiefen Mangel an Glauben.
Der Palmsonntag eröffnet die Woche des Jahres schlechthin – mindestens für uns in der Kirche. „Sehet wir gehen hinauf nach Jerusalem, um zu sehen, was dort geschehen ist.“ Bußzeit. In vielen Gemeinden, Zeit der täglichen gemeinsamen Andacht. Aber selbst in diesen Tagen bleiben wir bescheiden. Johannes spricht von diesen Tagen sehr ehrlich. „Dies verstanden seine Jünger nicht.“ Was da vor ihren Augen passiert, bleibt ihrem Verstehen verschlossen. Erst nach Ostern erinnern sie ihren Propheten Sacharja, der ihnen eine Deutung anbietet. „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“ „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen.“ Das ist die Gesinnung des Eselreiters.
Übrigens, nebenbei einer der eindeutigsten Belege, dass aller Glaube erst nach Ostern angefangen hat.
Mag sein, dass wir diese Woche nicht besser dran sind als die Jünger.
Nimm Dir diese Woche die Zeit in der Gemeinde oder für Dich zu Hause. Bete, übe das Schweigen, lies im Evangelium des Johannes. Du wirst dein Herz nur wenden, wenn du ihn bei dir.einziehen lässt
Für die Kirche hätte in ihrer Geschichte hätte ich mir Buße und mehr Nachdenklichkeit sehr gewünscht. Das ist mir im Bamberger Dom bewusst geworden. Wenn man von dem Reiter am Nordpfeiler hinüber geht zur Südseite des Chores, dann stehen dort zwei wunderbar gearbeitete Skulpturen, die kein gutes Licht auf Kirche werfen.
Eine Frau, herrisch, regierend, stolz, Krone auf dem Kopf. Sie herrscht. Die Ekklesia, die Kirche. Daneben die Frau leicht gebeugt mit gebrochenem Stab in der Hand, gekleidet mit einem einfachen Umhang, die Synagoge, die jüdische Tradition. Kirche siegt über das Judentum. Das Pferd des Kriegers hat über den Esel des ohnmächtigen Jesus von Nazareth gesiegt. Die Verlockung, sich wieder aufs hohe Ross zu setzen, war zu groß. Die Verlockung, auf die Ungeheuerlichkeiten in diesen Tagen wie Ukraine, Syrien, Irak, Nigeria, Tunesien, Israel mit Gewalt zu antworten, ist groß. Nur der Blick auf Christus wird unsere verworrene Welt retten. Darum hat Gott ihn erhöht, Das verstanden seine Jünger, als Gott ihn verherrlicht hatte, nach Ostern, früher nicht.
Vielleicht hat der unbekannte Bildhauer des Bamberger Reiters da schon weiter gedacht. Er hat alle Waffen abgelegt und schaut zum Hochaltar im Westen der Kirche auf den Gekreuzigten.
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Predigt zu Johannes 12,20–26 von Wolfgang Ebel
Liebe Gemeinde !
„Wir wollen Jesus gerne sehen.“ Das sagen Menschen aus der Welt, wo es Götter gibt, die auf dem Olymp leben und sich wenig um die Irdischen kümmern. Manchmal kommen sie herab, um in einen Kampf einzugreifen, eine Strafe zu verhängen oder mit einem Sterblichen Nachkommenschaft zu zeugen. Menschen sind in die Heilige Stadt des einen Gottes gekommen, die jetzt den einen und einzigen Gott anbeten, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Sie haben von Jesus gehört. Ihn wollen sie kennen lernen.
Der erste, den sie ansprechen ist ein Jünger mit griechischem Namen: Philippus. Es wirkt wie ein Dienstweg in einer Behörde. Es braucht drei Instanzen bis das Begehren ankommt bei dem, um den es geht: Philippus und Andreas reden drüber als nächstes. Schließlich bringen die beiden die Sache vor Jesus.
Und hier endet dieser Vorgang. Die griechischen Pilger verschwinden wieder in der Menge der Festbesucher. Sie hören im Weiteren nicht, was gesagt wird. Sie bekommen auch den nicht zu sehen, den sie gern einmal zu Gesicht bekommen hätten. Den neuen Star, der sogar einen Toten lebendig aus dem Grab geholt hat.
Unerhört eigentlich, was da mit ein paar freundlich Interessierten passiert. Niemand freut sich: Schön, dass ihr da seid ! Wir sind froh, dass ihr auf uns aufmerksam geworden seid. Womit können wir ihnen zu Diensten sein ?
Unerhört bleibt ihr Anliegen. Es gibt keine umgehende, servicebedachte Antwort. Haben die religiösen Touristen Fehler gemacht in ihrer Anfrage ? „Herr“, so sprechen sie den Jünger aus Betsaida an. Ja, so spricht man eben eine höher gestellte Persönlichkeit im profanen Bereich an.In der Geschichte gibt es verborgene Botschaften. Wer kann das wirklich verstehen ? Wer hier wirklich HERR ist, wird sich erweisen. Im Weiteren wird viel vom Dienen die Rede sein. Und: die Leute aus Griechenland wollen sehen. Wen? Den Jesus, der da in Galiläa und in Jerusalem aufgetaucht ist. Wie sich alsbald zeigt, wird dieser Jesus bald nicht mehr da sein. Er wird dann nicht mehr zu sehen sein. Er wird seinen Leuten später sagen: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“
Die Jünger kriegen etwas zu hören: Der Star muss sterben. „Die Zeit ist gekommen.“ Jetzt ist sie da. Ein großer, richtiger Star trifft zur rechten Zeit das, was jetzt dran ist. Und es erfasst die Menschen und verändert ihre Welt. Luther. Luther King. Madonna. „Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Der Außerirdische führt die Jünger in eine Seh- Erfahrung: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Der Stern muss untergehen, damit neue sich bilden können. Die Wissenschaft weiß heute: Ein Samenkorn stirbt nicht. Energie wird nur umgewandelt. Der Glaube erfährt, was er sieht: das alte Weizenkorn gibt sich auf. Neues wächst in vielfacher Gestalt.
Die Pilger hören nichts. Sie sehen nichts. Sie wollen allenfalls ein bisschen ihre Neugier befriedigen. Sie werden auf dem Fest schon was Passendes finden. Die Augen werden durch das Ohr geöffnet. Du siehst erst etwas, wenn du zuvor gehört hast, dass da etwas ist.
Wen werden die Jünger sehen ? Normalerweise nährt ein Star sich von der Gunst seines Publikums. Madonna hat es einmal auf der Bühne dargestellt. Sie hing am Kreuz. Ein Star wird sterben. Wenn seine Zeit vorbei ist. Wenn er sich selbst überlebt hat. Wen werden die Jünger sehen ? „Der Menschensohn wird verherrlicht werden.“ Er wird verschwinden. Er wird zurück gehen in die gewaltige, für uns unfassbare Herrlichkeit Gottes. Dahin, wo er herkommt. Am Kreuz beginnt seine Herrlichkeit.
Er ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht. (Phil. 2, 8f.)
„Jetzt habe ich endlich kapiert, warum Jesus sterben musste,“ ruft ein Konfirmand aus. Sie haben den Spielfilm „Wie im Himmel“ gesehen. Von 8 Millionen Schweden haben 2 Millionen diesen Film gesehen, als er in die Kinos gekommen war. Er erzählt die Geschichte eines Stars aus dem Klassik – Konzertbusiness, der – krank geworden – sich in die Abgeschiedenheit seines Geburtsortes zurück zieht. Dort fängt er an als Fremder, den etwas dünn gewordenen Kirchenchor wieder zu beleben. Er fängt an, den Einheimischen zu helfen, ihren Ton zu finden. Wenn jeder seinen Ton singen darf, fügt sich daraus ein wunderbares, großes Ganzes. Der Film erzählt die Passion dieses Mannes bis zu seinem Sterben. Durch seinen heilsamen Einfluss spürt ein Mann, wie er permanent die Würde eines beleibten Chormitgliedes mit Füßen tritt, indem er ihn ohne Unterlass auf erniedrigende Weise hänselt. Die Frau, die einen gewalttätigen Schläger zum Mann hat, darf ihr Lied bei einem Konzert in der Gemeinde singen. Der Dorfpfarrer muss erleben, wie seine eigene Ehefrau sich aus den freudlosen, lebenszerstörenden Fängen seiner rigiden Religiosität löst. Am Ende fahren alle zu einem großen Chorwettbewerb. Der Chor im Saal mit den anderen Chören wartet auf seinen Dirigenten. Den hat sein zweiter Infarkt ereilt. Er stirbt auf der Herrentoilette, während die Sänger anfangen ihren Ton zu singen. Der ehemalige Konzertstar stirbt, während ein Chor nach dem anderen in den Ton der anderen seinen Ton einstimmt und ein Klangraum von ungeheurer Weite entsteht: Wie im Himmel so auf Erden wird der Ton jetzt durch die Welt gehen.
Der Konfirmand hat verstanden. Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren. Wer sich von falschen Wegen trennt und in den Christusraum eintritt, der wird’s erhalten zum ewigen Leben. Es geht im Leben nicht darum, ob man Herr oder Knecht ist. Ich werde ein Diener und eine Dienerin des Christus sein. Durch seinen Tod entsteht neues Leben. Auch für mich, wenn ich einmal dieses Leben durchgestanden habe. Auf dem Weg meiner Passion auf Ostern hin werden nicht alle mir danken. Ich werde Leid tragen und mittragen. Ich werde ein dienstbarer Knecht und ein freier Mensch sein, den der Vater ehrt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dafür sorgt der, der am Kreuz gestorben ist.
Amen
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Predigt zu Johannes 12,20-26 von Andreas Schwarz
20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird's erhalten zum ewigen Leben. 26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.
"Herr, wir wollten Jesus gerne sehen!"
Sehnsucht auf der einen und Freude auf der anderen Seite höre ich aus dieser Bitte.
Sehnsucht bei den Griechen, die mit dieser Bitte sich an den Philippus wenden. Sie wollen etwas und setzen sich in Bewegung, um es zu erreichen.
Was ist da wahrscheinlich schon in ihnen in Gang, bis es zu dieser Bitte kommt.
Eine Sehnsucht ist ja nicht plötzlich da. Die entsteht langsam, entwickelt sich, wird stärker. Und dann bringt sie irgendwann einen Entschluss zur Welt. Hier eben eine Bitte. Diese Griechen, die keinen Namen bekommen haben und auch später nicht wieder auftauchen, die sehnen sich nach etwas und machen sich auf die Suche danach. Ihre Suche hat sie zu dem Gott des Volkes Israel gebracht, darum sind sie nun auch in Jerusalem. Das Fest - das Passafest nämlich - steht bevor und da besonders betet man Gott an, lobt und preist ihn für seine große Rettungstat. Israel verdankt ihm Freiheit von der Knechtschaft in Ägypten und neues Leben im gelobten Land. Die fremden Griechen stimmen ein.
Aber es scheint, als sei ihr Sehnen nicht erfüllt, ihre Suche also noch nicht am Ziel. Sie wollen Jesus sehen. Der war gerade in die Stadt eingezogen. Die Menge der Leute hatte ihn begrüßt, hatte ihm zugejubelt. Königliche Ehre hatte man ihm erwiesen, als man mit dem prophetischen Wort rief: 'Sieh, dein König kommt!' Ein ganz besonderer Mensch kommt; immerhin erzählen die Leute, er habe einen Toten zum Leben erweckt. Ein Herr über Leben und Tod? Den lohnt es sich, kennenzulernen. Aber den spricht man nicht einfach so an, dem nähert man sich in gebührendem Abstand. Zuerst befragt man seine Jünger, ob es denn möglich sei, Jesus kennenzulernen. Die Sehnsucht nach Leben, nach echtem, vollem Leben ist es, die sie danach trachten lässt, Jesus gern sehen zu wollen.
Freude vermute ich bei den Jüngern, weil es Jüngern immer Freude macht, wenn Menschen nach Jesus fragen. Das ist das Ziel, später jedenfalls, dass aus aller Welt Menschen kommen und nach Jesus fragen, ihn sehen wollen, ihn hören wollen. Und anders kann es heute auch nicht gehen, als dass Menschen die Jünger fragen. Jesus können sie so nicht sehen, sie müssen sich an die Zeugen halten. An Menschen aus seiner Nähe, die ihn kennen und ihm vertrauen, die davon erzählen können. Wie gern würden wir viel öfter auf den hinweisen, den wir unseren Herrn nennen, zu dem wir gehören. Wir freuen uns, wenn Menschen Hilfen suchen, zu Jesus zu finden. Ein Zeuge bezeugt dann, was er glaubt, wem er vertraut, was für eine Hoffnung er hat.
Die ersten Szenen sind bestimmt von Sehnsucht der Griechen und Freude der Jünger. Ihr Gespräch, so knapp es ist, lässt es erkennen. Es scheint etwas in Bewegung zu kommen auf ein Lebensziel hin - also auf Jesus Christus hin.
Die Szene müsste in ihrem Fortgang nun leicht vorzustellen sein: Jesus hört das Anliegen und spricht mit den Griechen. Aber er geht offensichtlich gar nicht auf die Bitte ein. Hat er das Anliegen nicht verstanden? Nimmt er es nicht ernst?
"Herr, wir wollten Jesus gerne sehen!"
Dass Jesus so ganz anders als erwartet mit dieser Bitte umgeht, lässt ahnen, dass es mit dem Sehen so einfach nicht ist, wie es sich anhört. Sie wollten Jesus nicht nur sehen, sie wollten ihn kennen lernen, ihn verstehen, ihn als Erfüllung ihrer Lebenssehnsucht erfahren. Was mit den Augen zu sehen ist, hilft auf diesem Weg manchmal gar nicht; steht dem im Gegenteil oft sogar im Weg. 'Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde'. Rückblickend kann später der Jünger und Evangelist Johannes sagen: 'Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.' Hinterher kann der Jünger so reden. Aber die Herrlichkeit war so einfach nicht zu sehen. Mit dem Einzug in Jerusalem geht Jesus jetzt die entscheidenden Schritte zu dieser Verherrlichung. Sie ist erfüllt - und wir werden das als Evangelium am Karfreitag hören - wenn Jesus als seine letzten Worte am Kreuz sagt: 'Es ist vollbracht!'
Das ist eine nach menschlichen Wertmaßstäben sehr eigenartige Herrlichkeit. Die ist nicht sehr anziehend und verlockend. Aber es wirft einen untrüglichen Blick darauf, was Jesus selbst unter der Herrlichkeit versteht. Das Ziel seines Lebens, und damit auch seines Sterbens ist, dass der Vater seine Menschen ehrt, sie auszeichnet, sie krönt mit der Krone des Lebens, ihnen also das Erbe aushändigt. Dann hat die Freude zu ihrer Vollkommenheit gefunden. Wir hören das heute am Sonntag Lätare, der heißt auf Deutsch: 'Freuet euch!' Es leuchtet das österlich siegende Licht am Horizont auf. Angestimmt wird es durch den Wochenpsalm, der so dem Sonntag den Namen verleiht. Aufgenommen wird es von der Alttestamentlichen Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja, die von der Gnade und dem Frieden Gottes spricht, die nicht aufhören werden, über die Epistel, die vom Lob Gottes, des Vaters Jesu Christi, redet, weil er ein Vater der Barmherzigkeit und ein Gott des Trostes ist, bis zum Evangelium und Predigttext.
Ja, das ist es dann wohl auch, was Menschen suchen, wenn sie Jesus sehen wollen. Etwas sehen, was sie sonst auf dieser Erde nicht sehen: getröstet zu werden; zu erleben, dass man liebevoll mit ihnen umgeht; dass es friedlich zwischen Gott und ihnen, zwischen ihnen und ihren Mitmenschen zugeht; dass Gott ihnen und dass man sich gegenseitig verzeiht. Es stecken solche Sehnsüchte in uns drin, wahrscheinlich in allen Menschen. Das ist wirklich ein Grund zur Freude: Menschen machen sich auf die Suche und Christen werden ihnen Wegweiser zu Christus sein. Es gibt allerdings viele Enttäuschungen bei diesem Versuch. Oft nämlich hat man Menschen nicht auf Christus hingewiesen, nicht auf sein Leiden und Sterben für uns. Nicht vor allem darauf, dass er gekommen ist, zu trösten, zu vergeben, den Menschen den Frieden und die Liebe Gottes zu bringen. Stattdessen hat man auf Lebensregeln hingewiesen, auf geforderte Aktivitäten der Frömmigkeit oder der Politik, auf Moral und Anstand, was sich gehört und was man tut, darauf, dass man Glaubenssätze für wahr halten muss. Vielen Menschen wurden Steine in den Weg gelegt, die sie hinderten, Jesus Christus zu finden. Und anders als über Menschen geht es gar nicht. Gespräche sind wichtig. Da liegt für uns Christen eine Aufgabe, an dir wir uns erinnern lassen: dass wir auf Christus hinweisen, auf sein Kreuz, auf seine Verherrlichung, auf seine Auferstehung. Darin liegt Frieden und Gnade und Trost und Liebe.
Jesus Christus selbst lässt seine Jünger nicht im Unklaren über seinen Weg. Mag das beim Einzug in Jerusalem noch wie ein Triumphzug ausgesehen haben, mag das den einen oder anderen Menschen angezogen haben, seine Verherrlichung hängt am Kreuz. Trost kann Jesus nur geben, wenn er seinen Weg dahin geht. Wie das Weizenkorn nur dann viel Frucht bringen kann, wenn es in die Erde gelegt, also begraben wird, so kann das Leben nur ausgeteilt werden, wenn er selbst seines hergibt.
Die Einladung an die Griechen und alle anderen Heiden ergeht erst, wenn Kreuz und Auferstehung passiert sind. Dann nämlich kann es keine Missverständnisse mehr geben. Dann ist zu sehen, dass der Weg ins Leben nur durch den Tod zu bekommen ist.
Anders gesagt: mit Jesus zu gehen, das führt am Leid und am Tod nicht vorbei. Das Leben muss man aus der Hand geben wollen, zugespitzt also: hassen können, wenn man es ewig gewinnen will.
Fast hat es den Anschein, als wollte Jesus seine Jünger warnen, ihm zu folgen. Denn der Weg kann ganz schön hart werden. Er steht quer zu den Vorstellungen dieser Welt. Von Lebensgewinn ist da die Rede, von Lebensqualität und was wir alles investieren können und sollen dafür.
Gerade als Christen könnten wir etwas beitragen zum Leben und was seinen Wert wirklich ausmacht. Wir können etwas sagen zum Verzicht auf Luxus und Bequemlichkeit. Wer sein Leben liebt und für seine Qualität jeden Preis bezahlt, der geht schließlich am Leben vorbei, sagt der Herr. Wer sein Leben nicht wichtig nimmt, wessen vorwiegendes Interesse nicht ist, sein Leben gut zu versorgen, der ist frei für den Gewinn des ewigen Lebens.
Jesus Christus beschreibt unser Leben auf Erden als einen Dienst. Er hat uns das Leben gegeben, damit wir Gott dienen, d.h. ihm danken, ihn loben, zu ihm beten, sein Wort, seine Gnade und Treue verkündigen; das ist nichts anderes, als dass wir das Evangelium von Jesus Christus leben und weitersagen. Die Menschen - was immer sie bewegt - haben eine Sehnsucht; eine Sehnsucht nach Leben, nach echtem, unbedrohtem Leben. Wir Christen wissen, wo es das Leben gibt: bei dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Der ist anders, als die Herren dieser Welt. Der herrscht nicht, der dient; der lässt sich nicht bedienen, der verzichtet. Der setzt andere Schwerpunkte - und geht uns voran: durch den Tod ins Leben.
In seinem Gefolge blüht uns die Ehrung durch den Vater. Am Ende also siegt die Freude - und dem dienen wir, weil wir an Jesus Christus glauben. Gott, der Herr, gebe uns die Kraft und die Geduld zum Glauben, gegen alle Erwartungen dieser Welt.
Amen.
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Geheimnis der Verwandlung: Hingabe für Andere - Predigt zu Johannes 12,20-24 von Dieter Koch
Geheimnis der Verwandlung: Hingabe für Andere
Er kam, sah und siegte, so heißt es von Cäsar. Er kam, sah und starb, starb für uns, tönt die Kunde von Jesus. Er kam, sah und siegte, so heißt es von Cäsar. Sein Schwert zog eine Blutspur durch Gallien. Schmerz und Rachegelüste, ohnmächtiger Kummer und Vergeltungssucht brachen bei den Gedemütigten auf. Er kam, sah und starb, starb für uns, tönt die Kunde von Jesus. Sein Blut tropfte aus seiner Seitenwunde, tropfte zur Erde – und die Liebe erblühte, neues Leben, tiefe Hoffnung, Glaube an ein Leben, frei von Rache und Vergeltungssucht – Ostern im Tod. Er starb für uns.
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“(Joh 12,24). Alles ist hier vorweggenommen und voraus in das klärende Licht gestellt, was über Jesus hereinbrechen wird. Sein Leidensweg, sein Sterbeweg, die Vollendung der Liebe in der Ohnmacht des Gekreuzigten, das Morgenlicht der Ewigkeit, Ostern im Tod, alles ist vorweggenommen und in das klärende Licht gestellt in diesem Wort: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“(Joh 12,24).
Dieses Wort ist von tiefer Weisheit. Mit diesem Wort nimmt uns Jesus hinein in das Geheimnis der Hingabe, in das Geheimnis der Verwandlung. Leben ist Verwandlung, kann verwandelt werden. In Jesu Hingabe verwandelt sich die Welt. Der Kreislauf des Bösen wird aufgesprengt. Da schlägt einer nicht zurück, da vergilt einer nicht Böses mit Bösem. Die Liebe rechnet nicht auf. Sie sucht nicht das Ihre, „sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles“(1. Korinther 13,6). Sie gibt sich hin.
Jesus stirbt für uns. Sein Leben - Gottes Weizenkorn. Es fällt in die Erde und stirbt für uns. Die Frucht seines Leidens ist unser Leben, erbaut auf Glaube, Liebe und Hoffnung. Er opfert sich. Aber sein Opfer ist das Ende aller Opfer. Er stirbt, aber er stirbt „aus Liebe am blutigen Stamm. Abgrund der Liebe, wer kann dich ergründen? Jesus ist kommen, ein Opfer für Sünden“(EG 66,6), singt die christliche Gemeinde. Er stirbt als Verfluchter am Kreuz, aber er lässt uns verwandelt, gesegnet, versöhnt zurück.
Jesus deutet sein Sterben in einem Bildwort voll höchster Natürlichkeit. Aus dem Samen folgt die Frucht. Es ist ein Sterben in die Auferstehung hinein. Die Frucht selber gibt Samen frei, der neu erstirbt, um neuer Frucht willen. Sterben, um zu leben. Sterben, um Leben werden zu lassen, das Leben der Andern. Es ist das Geheimnis der Verwandlung, Auferstehung durch den Tod hindurch, Hingabe für andere. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“(Joh 12,24).
Nennen wir ihn einmal Peter Mayer: Sagen wir: Wir schreiben den 14. August. Die Sonne drückt auf das Land. Der Rhein fließt träge dahin. Kinder spielen an seinem Ufer. Peter kommt am Kai entlang, ein Eis in den Händen. Seine Gedanken verlieren sich in Träumereien. Da sieht er – kaum ein Schrei liegt in der Luft – 2 Kinder treiben ab im Fluss. Sie kämpfen, sie strampeln. Der Fluss zieht sie davon. Peter wirft das Jackett ins Gras, stürzt in die Flut. Simon kann er erreichen, bringt ihn ans Land. Noch einmal stürzt er in den Strom, sucht Lukas zu fassen, es ist schwer, er verliert das Bewusstsein, er treibt ab. An der nächsten Schleuse findet man beide, tot. Doch Simon lebt. Peter gab sein Leben für ein Leben.
Reden wir von Dominik Brunner. Eine Pöbelei unter Halbstarken. Fahrgäste werden angemacht in der Münchner S-Bahn. Du Opfer, tönt es. Am nächsten Halt steigen sie aus. Dominik Brunner folgt, geht zwischen die Schläge, versucht zu schützen, versucht zu beruhigen, stellt sich zwischen Täter und Opfer. Die Schläger hören nicht auf, die Schläge prasseln nun auf ihn. Dominik Brunner stirbt. Aber das erwählte Opfer der Schläger entkommt, ist gerettet, lebt. Dominik Brunner gab sein Leben für ein Leben.
Sprechen wir von Frank-Walter Steinmeier. Seine Frau ist schwer krank. Die Nieren versagen. Nur eine Transplantation kann sie noch retten. Frank-Walter Steinmeier gibt eine Niere, er gibt sie für seine Frau. Das ist Hingabe, das ist Liebe, das ist die Bereitschaft, frei zu geben, sich mit hinzugeben, damit ein Anderer, hier der Lebenspartner wieder eine Chance hat zu leben. Organspende, die Bereitschaft zur Organspende. Die Kliniken harren sehnsüchtig auf Menschen, die bereit sind, im Falle ihres Todes ihre Organe freizugeben für Leben, das so gerettet werden kann. Unbekannte, aber sie leben dank meiner Niere, dank meiner Leber, dank meinem Herzen. Den Schritt, den Frank-Walter Steinmeier mitten im Leben für seine Frau ging, alles andere als ein leichter Schritt, um ihres Lebens willen, könnten viele gehen, zumindest im Tod. Sich und ihre Organe freigeben für andere. Das ist auch Hingabe. Hier bricht ein Stück Ostern auf inmitten des Todes.
Und sollten wir von Barbara Müller schweigen? Nichts ist hier dramatisch, es geht nicht um Sein oder Nichtsein, um Leben oder Tod, es geht nur um die stillen, schmerzlichen Stunden. Wieder wartet sie, wie so oft schon, dass ihr Sohn von der Disco heimkommt, wohlbehalten, gesund. Die Freude liegt beim Sohn, Vergnügen der Nacht. Der Kummer liegt bei Barbara. Er wird doch nicht trinken. Er wird doch nicht in die Szene abrutschen, Ekstasy konsumieren. Sie hat Angst um ihr Kind, aber sie betet für ihn immer neu und sie nimmt ihn in ihre Arme immer neu. Morgen für Morgen ist die Angst überstanden. Aber ihr Herz wird nicht bitter. Sie freut sich mit ihm, verschweigt ihre Not, duldet und verhärtet nicht. Das Frühstück steht wieder auf dem Tisch. Liebe geht durch den Magen. Sie lernt, ihn freizugeben, schweren Herzens, leichten Herzens ihn freizugeben. Er lebt. Er wird leben und sie? Sie lebt für ihn.
Die Kindheit muss sterben. Die Jugend vergeht. Die Jahre bleichen das Haar. Das Kind wird erwachsen, wird lieben – auf seine Art, leben und Gott loben – auf seine Art. Wir aber sterben. Es ist das Geheimnis der Verwandlung, Hingabe für Andere. Es ist das Geheimnis im Leben: Loslassen, um beschenkt zu werden, Sterben um Aufzuerstehen. Es ist das Geheimnis der Liebe: Hingabe für andere. Wieviel Ostern liegt im Tod, wieviel Segen im Loslassen, wieviel Liebe in der Annahme des Sterbens? Selige Sehnsucht: „Und so lang du das nicht hast, dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde“(J.W.v.Goethe, aus dem Gedicht Selige Sehnsucht in Goethes West-östlichem Divan, zit. nach der Ausgabe München 1982, S.17), in den Worten des Evangeliums: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“(Joh 12,24).
Schweigen wir einmal von Dietrich Bonhoeffer, schweigen wir einmal von Alfred Delp, schweigen wir einmal von Maximilian Kolbe, schweigen wir einmal von den großen Heroen der Hingabe, aber denken wir an die vielen kleinen Abschiede, an die vielen kleinen Momente des Loslassens, denken wir einmal an die vielen, täglich alltäglichen Schritte, die wie ein kleines Sterben sind, und die doch zum Leben dienen. Der Tag legt sich in den Abend, der Abend versinkt in der Nacht. Die Sonne geht auf, ein neuer Morgen. Die Verliebtheit hatte ihre Zeit, die Schmetterlinge im Bauch, das war einmal. Es ist vorbei. Da ist eine reife, bewährte, treue Liebe, aus dem Sehnen nach einander ist ein tiefes Wohlwollen füreinander geworden. Alles ist anders. Alles ist verwandelt. Die Kameraden der Jugend, sie sind in alle Welt zerstreut. Jeder geht seinen Lebensweg. Manchmal fehlen sie. Was blieb, sind Freunde. Die paar, die mit einem durch die Jahre gehen. Alte, neue Freunde.
Du hast dich eingesetzt, hast dich im Betrieb verbrannt. Die Zahlen waren gut. Mit dem Meister ging es auch gut. Aber jetzt ist alles vorbei. Der Ruhestand lockt. Schwer sich vorzustellen, ohne den täglichen Gang ins Werk. Aus dem Werkzeugmacher, der nie Zeit hatte wird nun ein in die Jahre gekommener, der Zeit verschenkt. Ehrenämter gibt es genug. Aufgaben gibt es genug. Und Stille darf auch sein, die Betrachtung der Natur, Lesen, Zeit für andere, Zeit für Gott – ein neues Glück für mich: Loslassen, um beschenkt zu werden, kleine Tode im Leben, um aufzuerstehen in neues Leben. Geheimnis der Verwandlung: Hingabe für Andere.
Niemand kann leben ohne Hingabe. Leben ist Verwandlung. In Jesu Hingabe verwandelt sich die Welt. Er kam, sah und siegte, so heißt es von Cäsar. Er kam, sah und starb, starb für uns, tönt die Kunde von Jesus. Er kam, sah und siegte, so heißt es von Cäsar. Sein Schwert zog eine Blutspur durch Gallien. Schmerz und Rachegelüste, ohnmächtiger Kummer und Vergeltungssucht brachen bei den Gedemütigten auf. Er kam, sah und starb, starb für uns, tönt die Kunde von Jesus. Sein Blut tropfte aus seiner Seitenwunde, tropfte zur Erde – und die Liebe erblühte, neues Leben, tiefe Hoffnung, Glaube an ein Leben, frei von Rache und Vergeltungssucht – Ostern im Tod. Er starb für uns. “Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“(Joh 12,24).
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Predigt zu Johannes 3,14-21 (Text der Perikopenrevision) von Johannes Neukirch
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15 damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. 16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. 18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. 19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Liebe Gemeinde,
hier ist alles beieinander,
was nötig ist – damit sich alles zum Guten wendet:
Gott liebt die Welt
Er gab seinen Sohn
damit die Welt gerettet werde
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet
Menschen lieben die Finsternis
aber Jesus ist als Licht gekommen, das die Finsternis besiegt
So eine Art Welt-Rettungs-Programm, höchste Zeit, dass es wirkt!
Wenn ich in den Nachrichten höre, dass syrisch-orthodoxe Christen ermordet und verschleppt werden, wenn ich an die weltweit Millionen Flüchtlinge denke, an Krieg, Gewalt und Terror – die Liste ist zur Zeit lang – dann kommt mir das in der Tat wie eine große Finsternis vor.
Und ich frage mich, woher Licht kommen kann
und wann endlich das Gericht kommt und allen brutalen Schlächtern der Prozess gemacht wird.
Und wo die Liebe bleibt.
Und warum Jesus in die Welt gekommen ist.
Das Welt-Rettungsprogramm hat bisher nicht funktioniert.
Eine Überschrift unter vielen: Verbrechen in der Nachbarschaft - Im Frühjahr 1945 wurden Hunderttausende KZ-Häftlinge auf Todesmärsche getrieben. «Heute will man uns glauben machen, die Eltern und Großeltern hätten den Häftlingen Hilfe geleistet», sagt ein Überlebender. «Aber nirgendwo wollte man uns aufnehmen oder gab man uns zu essen.»
Am Aschermittwoch hat Bischof Trelle in Hildesheim ein Schuldbekenntnis der Sünden in der Geschichte des Bistums abgelegt. Es ging über einen Zeitraum von 1.200 Jahren. So alt ist das Bistum Hildesheim. Den Text über die letzten fünf Jahrhunderte können wir als evangelische Kirche ganz einfach mitsprechen.
Gott liebt die Welt
Er gab seinen Sohn
damit die Welt gerettet werde
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet
Menschen lieben die Finsternis
aber Jesus ist als Licht gekommen, das die Finsternis besiegt
Eigentlich haben wir also alles beieinander für Liebe, für Frieden, für Gerechtigkeit. Warum funktioniert das Welt-Rettungsprogramm, das vor 2000 Jahren begonnen hat, nicht?
Es ist offensichtlich eine sehr spezielle Welt-Rettung
Menschen legen andauernd Hilfs- und Rettungsprogramme auf.
Um Kriege zu beenden, um den Hunger zu besiegen, um die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Immer alles mit Fehlern
Hilfsprogramme sind schwierig
Erst recht, ist es schwierig, will sagen: unmöglich, die Welt zu retten, die Finsternis zu besiegen und das Licht leuchten zu lassen
Gottes Hilfsprogramm ist anders.
Gleich am Anfang muss jemand sterben.
Jesus am Kreuz.
Das ist in dem Satz enthalten „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“
Dieser Satz erinnert an eine Geschichte im Alten Testament. Ich muss ein wenig ausholen:
Das Volk Israel, im Auftrag Gottes von Mose aus der ägyptischen Sklaverei befreit, ist in der Wüste. Da kehrt sich die Erfahrung der Freiheit um in ein tiefes Gefühl des Mißtrauens: "Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt?" so fragen die Menschen Gott und Mose, "etwa, damit wir in der Wüste sterben?" In ihrer Angst tritt ein, was sie befürchten: Viele werden von Giftschlangen gebissen und sterben. Mose soll im Auftrag Gottes eine Schlange aus Kupfer machen und sie an einer Stange befestigen. "Und jeder, der gebissen wird", so heißt es, "wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht." Der Satz aus unserem Text: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ meint: So wie die Schlange an dem Pfahl hing, so wird Jesus am Kreuz hängen. Und so wie die Israeliten zur kupfernen Schlange aufschauten und ihr Leben vor dem Tod retten konnten, so haben alle das ewige Leben, die zum Kreuz und zum Gekreuzigten aufschauen und ihm vertrauen.
Wir sollen aufschauen zum Gekreuzigten.
Das heißt vor allem: den Gekreuzigten aushalten.
Leiden und Tod aushalten.
Nicht davonlaufen.
Und gleichzeitig: darauf vertrauen, dass Gott aus Liebe zur Welt seinen einzigen Sohn dahingegeben hat.
Er hat es zugelassen.
Es ist sein Weg – eine andere Sicht der Dinge.
Manche sagen: weg mit dieser schrecklichen Geschichte von dem Gekreuzigten. Wenn Gott die Welt liebt, braucht er das nicht. Das haben sich die Menschen so zusammengereimt.
Ich glaube aber, dass dieser Blick aufs Kreuz ganz entscheidend ist.
Er verändert uns, er berührt uns, er erreicht unser Herz.
Weil wir dabei nicht auf uns selbst sehen, sondern auf Gott.
Das ist ein anderer Blick als der übliche auf Leistung, Ruhm, Ehre, Erfolg, Geld, Macht, Kampf.
Weil ein Gott sichtbar wird, der in unsere Welt eintaucht, der sich aufs Leiden einlässt, auf Schmerzen, auf den Tod. Auf all das, was uns geschieht.
Was passiert, wenn wir aufs Kreuz schauen und das Kreuz aushalten?
In unserem Text heißt es: „Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet. (…) Das IST aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist“
das passiert alles schon jetzt, nicht in der Zukunft. „Das IST aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist“ – kein zukünftiges Gericht. Das Licht ist schon da.
Gott hat nicht einfach Licht angeschaltet. Wir schauen nicht auf einen Supermann, der Licht anzündet. Wir schauen auf den Gekreuzigten und lassen uns von ihm in unseren Herzen berühren. Dann sind wir im Licht.
Deshalb ist hier von dem Gericht die Rede.
Kein primitives Rache-Gericht, kein „Tod den Feinden“, auch keine langwierigen Gerichtsverhandlungen. Es gibt auch keinen Moment, in dem wir sicher sein können, auf der Seite der Guten zu stehen.
Ich verstehe das Gericht so: Alles wird aufgedeckt und verwandelt!
Das Licht leuchtet alle Ecken aus, alles wird sichtbar, nichts kann mehr versteckt werden. Dann merken wir, dass wir die Finsternis lieben, weil wir Menschen sind. Aber wir können uns erleuchten lassen.
Keine Angst vor dem Gericht!
Gerade dadurch, dass alles aufgedeckt wird, dass unser Menschsein offensichtlich wird, werden wir gerettet!
Wir sehen durch den Gekreuzigten hindurch ins Licht!
Uns wird klar, wem wir vertrauen können.
Wir sehen, was wirklich wichtig ist im Leben.
Wir spüren, dass Gott uns liebt.
Wir fühlen seine Gnade.
Keine Angst vor dem Gericht, es meint:
Jesus nimmt uns aus der Finsternis heraus und stellt uns ins Licht.
Das hat Folgen.
„Wer Böses tut“, so unser Text, „der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.“
Wenn wir ins Licht gestellt worden sind, wird uns klar, was Böses tun und die Wahrheit tun, meint.
Das Welt-Rettungsprogramm besteht also nicht aus irgendwelchen Maßnahmen, Plänen, Strategien Gottes. Kein Zehn-Punkte-Plan. Es läuft nicht automatisch ab.
Es funktioniert durch Liebe. Gott liebt die Menschen. Deshalb hat er seinen Sohn in das Menschenleben hineinversetzt, der Welt preisgegeben.
Wenn Menschen auf den Gekreuzigten schauen und dadurch verwandelt werden, wenn Menschen aus der Finsternis ins Licht gestellt werden, wird die Liebe Gottes sichtbar. Jesus ist nicht gekommen, um zu richten, sondern um zu retten.
„Gott liebt diese Welt“, werden wir gleich singen, „und wir sind sein eigen. Wohin er uns stellt, sollen wir es zeigen: Gott liebt diese Welt.“
Amen.
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Überflüssig - Predigt zu Johannes 2,1-11 von Wolfgang Vögele
"Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn. Danach ging Jesus hinab nach Kapernaum, er, seine Mutter, seine Brüder und seine Jünger, und sie blieben nicht lange da."
Liebe Gemeinde,
am Anfang halte ich diesen billigen Kugelschreiber aus Plastik in die Höhe. Mit diesem Kugelschreiber habe ich Teile der Predigt auf Schmierpapier notiert. Der Kugelschreiber aber ist auch ein Zeichen der Trauer. Solche Kugelschreiber oder Buntstifte haben die Pariser Bürgerinnen und Bürger bei dem großen Gedenkmarsch am letzten Sonntag in die Höhe gehalten, um an die ermordeten Opfer der Attentate bei Charlie Hebdo und im Supermarkt von Porte de Vincennes zu erinnern. Die bekannten französischen Karikaturisten sind ermordet worden, weil sie Religionen verhunzt und Gläubige auf die Schippe genommen haben.
Das hohe Gut der Meinungsfreiheit setzt für Glaubende voraus, sich auch einen Humor gefallen zu lassen, der die eigene Religion und die eigene Meinung kritisch auf den Bleistift spießt, selbst wenn der Humor der Satirezeitschrift Charlie Hebdo - wie zu lesen ist - oft unter der Gürtellinie lag. Der Schock über die ermordeten Karikaturisten, die die Leser zum Lachen bringen wollten, sitzt tief. Christlicher Glaube tut gut daran, großzügig, souverän und ohne falsche Empfindlichkeit auch mit schmähender Kritik umzugehen. Unbeirrbar erinnert daran der in die Höhe gereckte Kugelschreiber.
Es stellen sich Fragen nach der Verbindung von Glauben, Lachen und Gott. Müssen Glaubende diejenigen fürchten, die die Menschen zum Lachen bringen wollen? Lachen und Humor sind in der Lage, die starren Denkgebäude der Menschen, seien sie von Philosophie, Politik oder Religion bestimmt, zum Wanken zu bringen und sie zu verändern. Christlicher Glaube fühlt sich nicht wohl in starren und phantasielos errichteten Denkgebäuden aus dogmatischem Beton. Christlicher Glaube lebt von Veränderung, mindestens von der Hoffnung darauf. Das intellektuelle Rüstzeug dafür ist nicht schwer zu tragen; es ist so leicht wie ein Bleistift, es muß für die Wanderschaften und Veränderungen des Glaubens in einen Rucksack passen, damit niemand über der schweren Last von Dogmatik und Bekenntnis das Vertrauen auf Gott verliert.
Ist in der Bibel vom Lachen die Rede? Sara, Abrahams alt gewordene Frau, hat sich hinter einer Zeltwand versteckt. Vor dem Zelt sitzen Abraham, der Ehemann sowie drei Engel und essen miteinander. Die Engel kündigen dem alten Abraham die Geburt eines Sohnes an. Hinter der Zeltwand muß Sara lachen, als sie hört, daß sie in ihrem hohen Alter noch ein Kind gebären soll. Die Engel sind von diesem Lachen nicht begeistert, aber das ist eine andere Geschichte.
Wissenschaftliche Ausleger, nach Humor in der Bibel gefragt, verweisen auf die Geschichte der Hochzeit zu Kana (1). Denn die Hochzeit der beiden jungen Leute ist ja auch eine ganz weltliche Angelegenheit. Es geht um Feiern, Trinken, Essen statt um Gottesbeweise und Jungfrauengeburt. Das flüssige Wunder, das Jesus vollbracht haben soll, muß die vielen Gäste der Hochzeit verblüfft und zum Staunen gebracht haben. Vielleicht haben sie, wie spätere Leser, geschmunzelt, gestaunt, gelacht. Hoffentlich hat nicht nur der Alkohol im Wein die Gäste in große Begeisterung versetzt.
Für diese Begeisterung gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Der Evangelist Johannes erzählt die Geschichte der Hochzeit als das allererste Wunder Jesu. Johannes spricht von einem besonderen Zeichen. Keiner der Hochzeitsgäste kann wie die Leser des Evangeliums von der besonderen Aufgabe Jesu als guter Hirt, als Tröster, als Brot des Lebens gewußt haben.
Wenn man die Mengenangaben für die Wasserkrüge ernst nimmt, so hat Jesus das Wasser aus sechs Krügen mit jeweils zwei oder drei "Maßen" Inhalt in Wein verwandelt. Umgerechnet auf heutige Inhaltsangaben ergibt das um die sechshundert Liter Wein. Rechnet man sehr großzügig eine Dreiviertelliterflasche pro Person, so hätte der Hochzeitsplaner achthundert Gäste in die Einladungsliste aufnehmen müssen. Das erscheint als eine unwahrscheinliche Übertreibung.
Am Anfang, gleichsam um sich vorzustellen, vollbringt der dem Volk ganz unbekannte Jesus ein Weinwunder. Eigentlich wollte er das gar nicht, Maria muß ihn eigens dazu auffordern. Jesus verhält sich – mit Verlaub – rüpelhaft und halbstark ihr gegenüber und antwortet ganz brüsk: Meine Stunde hat noch nicht geschlagen. Ich meide noch das Licht der Öffentlichkeit. Das wird erst später kommen. Danach erst schreitet er zur Tat, und eigentlich handelt er gegen das, was er vorher gesagt hat. Die kluge Mutter Maria hat das verstanden.
Unabhängig davon, ob diese Wunder wirklich wie erzählt geschehen sind, denken wir pragmatischen Protestanten sofort: Bei seinem ersten Wunder hätte er sich aber etwas vernünftiger anstellen können. Er hätte einen Blinden, einen Lahmen oder einen Leprakranken heilen können. Damit hätte er etwas für Diakonie und Gesundheitswesen getan. Für Epilepsie oder Besessenheit hätte es sich viel eher gelohnt, die Naturgesetze zu übertreten. Aber viel Wasser in noch mehr Wein verwandeln, Entschuldigung, das ist doch eine peinliche Taschenspielerei mit dem Wunderglauben, oder nicht? Damit wäre die Geschichte der Hochzeit von Kana mißverstanden. Sie gehört zu den Wundern, die auf kindlich unschuldige Weise Fülle, Überfluß und Heil in den Mittelpunkt rücken. Damit steht die Hochzeit von Kana auch nicht allein. Bei der Speisung der Fünftausend zum Beispiel bleibt körbeweise Brot und Fisch übrig.
Im Johannesevangelium erscheint Maria, anders als im Lukasevangelium, nur an zwei Stellen. Bei Lukas ist Maria die Schwangere, die fürsorgliche Mutter vor der Krippe, die geduldige Ehefrau Josefs, die mit ihm und dem Kind nach Ägypten flieht, die übereifrige Helikoptermutter, die sich um den Zwölfjährigen im Tempel Sorgen macht.
Nichts davon hören wir bei Johannes. Maria begleitet Jesus zur Hochzeit in Kana, und sie steht dann ein zweites Mal neben dem Lieblingsjünger, dessen Namen wir nicht kennen, unter dem Kreuz. Das ist die berühmte und ergreifende Szene, die im 16.Jahrhundert der Maler Matthias Grünewald auf den Tauberbischofsheimer Altar (2) gemalt hat: Am Kreuz hängt der verwundete, sterbende Jesus, links und rechts daneben stehen trauernd, unsicher und verstohlen Maria und der Lieblingsjünger. Maria begleitet den Anfang des Wirkens Jesu bei einer Hochzeit, und sie sieht sein grausames Ende unter dem Kreuz.
Jesus beginnt sein öffentliches heilsames und wundertätiges Wirken in dem kleinen Ort Kana in Galiläa. Wir wissen heute nicht mehr ganz sicher, wo in Galiläa dieser Ort liegt. Johannes spricht davon, daß Kana in der Nähe von Kapernaum lag. Die damals lebenden Menschen in Kana und Kapernaum teilen mit uns heutigen Predigthörern die Überzeugung, daß eine Hochzeit zu den Höhepunkten im Leben zweier sich liebender Menschen und ihrer Familien gehört. Wer als Paar zusammenleben will, der feiert häufig den Anfang mit Gottesdienst, Empfang und Festbankett.
Hochzeit - heute ist das der eine große Tag, der Beginn einer tiefen und nachhaltig dauerhaften Beziehung zwischen zwei verliebten Menschen. Monate im Voraus gelten Planung, Vorbereitung, Überlegung diesem einen festlichen Ereignis. Welchen Stoff soll die Braut für das Kleid auswählen? Welche Schuhe passen dem Bräutigam? Welcher Fotograf soll das Ereignis festhalten? Welches Restaurant eignet sich am besten für die Feier am Abend? Die Planungsaufgaben gestalten sich so kompliziert und umfassend, daß viele Brautpaare sie an einen Hochzeitsplaner weitergeben.
Manchmal erscheint der Hochzeitsplaner sogar anstelle des Brautpaars zum Traugespräch im Büro des Pfarrers. Aber das führt dann doch zu weit. Und so ein Traugespräch mit dem Brautpaar läuft manchmal nicht ohne Mißverständnisse ab. Denn der Pfarrer will in der Regel den besonderen Charakter des Gottesdienstes festhalten, während manche Brautpaare - keineswegs alle! - die Vorstellung haben, der Kirchenraum sei nur Kulisse für die bewundernden Blicke der Familie. Der Gottesdienst sei nur das fromme Vorspiel für das große Fest am späteren Abend. Und man kann wunderbar darüber streiten, ob das beliebte "Over the Rainbow", gesungen von der Schwägerin und auf der Ukulele begleitet vom Neffen, wirklich sein muß nach dem Tausch der Ringe und dem allfälligen Kuß.
Die Brautleute damals in Kana haben sich selbstverständlich auch Gedanken um Organisation und Vorbereitung gemacht. Bei den Getränken warfen sie sich schon während des Festes vor, daß sie nicht genug Wein besorgt hatten. Aber damit enden auch schon die Gemeinsamkeiten in der Planung. Von Hochzeitstorten, Trauringen und weißen Tauben wußte man damals nichts.
Johannes erzählt von der Hochzeit in Kana aus einem anderen Grund. Eine Trauung verbindet zwei Menschen, aber sie ist auch ein Bild für die große Verbindung zwischen Gott und dem Volk Israel.
Immer wieder, im 2.Buch Mose, bei Hosea und anderen Propheten redet die Bibel von der Beziehung zwischen Gott und Mensch im Bild der Hochzeit. Mose und die Propheten haben von einem Bund zwischen Gott und den Menschen gesprochen. Diese Beziehung fängt mit einem geistlichen Fest an. Das Fest wird so schön gestaltet, daß es jedem Gast dauerhaft in Erinnerung bleibt. Viele Gäste sind eingeladen. Es gibt im Überfluß zu essen und zu trinken. Gott und die Menschen versprechen sich, in Treue miteinander zu leben. Wenn man diesen Bildhintergrund der Hochzeit ausleuchtet, gewinnt das Wunder der Wasserverwandlung in Kana seinen ganz besonderen Sinn. Fülle und Treue kommen zusammen. Gott hält sich an das Versprechen, das er den Menschen gegeben hat, dem Volk Israel zuerst, dann auch allen anderen.
Und vor diesem Bildhintergrund erklärt sich auch, warum Jesus ausgerechnet bei einer Hochzeit sein erstes Wunder vollbringt. Die Hochzeit dieses jungen Paares in Kana erinnert an die andere große Hochzeit, an den Bund Gottes mit den Menschen. Die Anwesenheit Jesu von Nazareth bei dieser Hochzeit beglaubigt die Treue Gottes zu Israel. Die Menschen haben das bei der Hochzeit selbst noch nicht richtig verstanden. Deswegen ärgerte sich auch der Kellermeister über die vermeintliche Dummheit des Bräutigams, der erst nach den Krügen mit schlechtem den guten Wein aufgetischt habe.
Gottes Treue zu den Menschen zeigt sich in der bleibenden Verbindung, die durch Jesus von Nazareth gestiftet wird. Er verkörpert beides: Seine Menschlichkeit und Würde findet sich in der Zuneigung und in dem Respekt, mit denen er auf die Armen, Schwachen, Blinden, Kranken, Alten zugeht. Die Nähe Gottes zeigt sich bei ihm in der unerschütterlichen Überzeugung, daß zwischen ihm selbst und dem väterlichen Gott kein Unterschied festzustellen sei. Wo Menschlichkeit und Gottes Nähe sich verbinden, da zeigen sich Fülle, Überfluß, Heil und Glauben. Da zeigen sich auch Humor, Lachen, Lächeln, ohne alle Verletzung. Um das zu sehen und zu spüren, müssen wir die Augen und die übrigen Sinne offen halten. In Kana ging das Leben nach der Hochzeit der jungen Leute schnell wieder seinen gewohnten Gang. Aber die Fülle Gottes, von der wir Menschen leben, bleibt in Erinnerung. Sie ermuntert uns zur Hoffnung, Glaube und Liebe. Das Bild der Hochzeit, eine liebevolle Zeichnung des humorvollen Evangelisten Johannes, lebt in unseren Herzen. Amen.
(1) Der Versuch einer - hoffentlich - humorvollen und gereimten Predigt über Joh 2,1-11 findet sich unter: http://predigten.evangelisch.de/predigt/glauben-und-lachen-predigt-zu-j…
(2) Weitere Bemerkungen zu Grünewalds Altarbild bei: Wolfgang Vögele, Der Schmerzensmann, 2008, http://www.predigten.uni-goettingen.de/bgpredigt.php?id=119&kennung=de
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Predigt zu Johannes 2,1-11 von Lucie Panzer
Schon wieder vier Wochen, seit wir Weihnachten gefeiert haben. Bei den allermeisten ist der Baum abgeräumt, das Glitzerzeug steht wieder auf dem Speicher.
Wo ist der Glanz der Feiertage geblieben und die Hochstimmung trotz der vielen Arbeit, die man sich gemacht hat? Die Freude, dass die Kinder kommen, das Gefühl: Ist doch schön, dass wir zusammen gehören? Die Freude am Leben, die sich ausbreitet, wenn man singt: „Freue dich, o Christenheit“? Jetzt ist wieder Alltag. Da singt man nicht. Und von dem Familienfest ist womöglich irgendeine Missstimmung geblieben. Jetzt kommen wieder 360 Tage Alltag: Da muss jeder für sich allein sehen, wie er durchkommt.
Was bleibt vom Fest, am 18. Januar? Was bleibt von den schönen Worten aus der Weihnachtsgeschichte, die man doch glauben möchte? Was bleibt vom Frieden auf Erden? Und die Menschen seines Wohlgefallens? Wo sind sie? Es gab Predigten und Bischofsworte, da hieß es: Wir wollen gut miteinander leben in den Familien und als Nachbarn. Wir wollen uns Mühe geben mit den Fremden unter uns, mit den Muslimen. Wir wollen den Flüchtlingen beistehen. Und jetzt hat uns vor eineinhalb Wochen dieses Attentat in Paris erschüttert. So viele Tote, so viel Schrecken. Waren das doch nur schöne Worte an Weihnachten, ein schöner Traum bestenfalls und nun, im Alltag müssen wir Angst haben und uns abgrenzen und schützen und wehren und verteidigen - so wie die Soldaten, die über die Feiertage ein paar Stunden Feuerpause haben und dann geht es weiter mit dem Krieg?
Ja, so ist das wohl, sagen viele vernünftige Erwachsene. Die guten Tage haben immer schnell ein Ende. Nach der Hochzeit kommt der Alltag, da kann man nichts machen. So ist das halt. „Jede Blüte welkt und jede Jugend“, sagt der Dichter. Kein Fest kann ewig dauern.
Vielleicht ist es deshalb ganz gut, dass von alters her für diesen Sonntag, vier Wochen nach dem Fest eine Geschichte als Predigttext vorgeschlagen ist, die uns erinnert, wie schnell so ein Fest ein Ende findet. Und die uns erzählt, wie es weitergehen kann mit dem Fest – wenn, ja, wenn wir auf Jesus hören.
Ich lese aus dem Johannesevangelium Kap 2, die Verse 1-11
Kein Wein mehr da! Was für ein Unglück. Was für eine Blamage. Stellen Sie sich vor, bei Ihrem Geburtstagsfest reicht das Essen nicht. Oder der Wein. Oder das Bier geht aus. Ein Albtraum für jede Hausfrau! Erst recht im gastfreundlichen Orient, wo Feste noch opulenter, noch großzügiger gefeiert werden als bei uns. Und so wie Johannes die Geschichte erzählt, meint er sicher nicht nur irgendein Fest, bei dem zufällig Jesus als Gast eingeladen war. Der Wein galt damals als Ausweis guten, festlichen Lebens überhaupt. Damit geht es schnell zu Ende, wenn man nicht aufpasst. Ich glaube, dass will Johannes uns mit seiner Geschichte sagen.
Eine Hochzeit: Das Fest der Liebe steht auf der Kippe. Wir hören das knapp 4 Wochen nach Weihnachten, drei Wochen nach Neujahr mit seinen guten Vorsätzen, Jahre nach der eigenen Hochzeit vielleicht, 10 Tage nach dem schrecklichen Attentat in Paris. Es gibt keinen Wein mehr. Nur noch Wasser. Wenn jetzt nicht ein Wunder geschieht, ist alles aus. Die Menschen werden Streit anfangen, wer nun Schuld daran ist. Sie werden auseinander laufen, enttäuscht die einen, beschämt die anderen, manche verängstigt –wie soll das jetzt weitergehen?
Ich glaube: Es gibt viele Gründe, wie es so weit kommen kann. Vielleicht war das Brautpaar zu geizig, hat zu wenig investiert in das Fest und in die Beziehung. Vielleicht sind mehr Gäste gekommen, als erwartet, vielleicht sind die Belastungen und Anforderungen größer als angenommen. Vielleicht sind die Widerstände zu groß, die Menschen, mit denen man zu tun hat eben doch nicht alle „guten Willens“. Das macht einem das Leben schwer und das Feiern erst recht. Da muss man mit Streit und Auseinandersetzungen rechnen: Wer hat denn nun Schuld, dass es nicht klappt? Wie bei einer Hochzeit, bei der der Wein ausgeht.
Maria ist anscheinend die erste, die davon redet. Aber sie redet nicht mit irgendwem. Sie schürt nicht Enttäuschung und Empörung bei den anderen Gästen und erzählt es herum: „Stellt euch vor, sie haben keinen Wein mehr! Was sind das bloß für Leute? Wären wir bloß nicht erst her gekommen.“ Sie beschämt nicht die Gastgeber: „Wie konnte denn das passieren? Für so eine Sache gibt es keine Entschuldigung!“ Nein. Maria weiß, an wen sie sich wenden muss. Maria redet mit Jesus. Ich glaube, das wäre in den meisten Fällen das Beste, wenn der Wein ausgeht – die Begeisterung, die Freude im und am Leben. Wenn man nicht mehr weiß, wie es weitergehen und wo neue Energie herkommen soll: Mit Jesus reden. Ich würde lieber sagen: Mit Gott reden. Ihm klagen, ihm sagen, wo das Problem liegt. Meine Erfahrung ist: Beim Beten klärt sich viel. Schon allein, weil ich mir Zeit nehmen und Zeit geben muss um es zu formulieren, was mir auf der Seele liegt. Mit Gott reden. Mit Jesus reden-. Für Maria ist das der erste Schritt, als es ein Problem gibt.
Dann kriegt sie eine herbe Abfuhr von ihrem Sohn. Mütter, die auch Söhne haben, können sich vielleicht vorstellen, wie das manchmal ist. Aber Maria lässt sich nicht beirren. Sie sagt nicht: „Du kannst mich mal gerne haben!“ Sie begreift: Er kann nicht einfach machen, was ich von ihm will. Aber sie vertraut ihm, auch, wenn es zunächst gar nicht so aussieht, als ob er helfen wollte. „Was Jesus euch sagt, das tut!“ Für mich ist das der Mittelpunkt dieser Geschichte. Was Jesus euch sagt, das tut. Statt das ihr euch in Grund und Boden schämt, statt dass ihr verzweifelt, statt dass ihr auf ein Wunder wartet: „Was Jesus euch sagt, das tut!“
Und was sagt Jesus? „Füllt die Krüge mit Wasser!“ Die Riesenkrüge, die in jedem Haus am Eingang standen für die Gäste zum Füßewaschen. Während des Festes waren die anscheinend auch leer geworden. Also auf! Füllt sie mit Wasser. Das ist Arbeit, gewiss. Da muss man ein paarmal zum Bach laufen oder zum Brunnen. Da muss man ganz schön schleppen. Aber andererseits: Es ist eigentlich nichts Besonderes. Kein Wunder ist nötig. Sie müssen nicht Übermenschliches vollbringen, damit das Fest weiter geht. Sie müssen nicht selber das Fest am Laufen halten, wie auch immer. Sie müssen nicht Erklärungen abgeben, um Verzeihung bitten, gute Vorsätze verkünden. Sie sollen tun, was ihre Aufgabe ist. Sie sollen tun, was den Alltag leichter macht. Damit die Gäste sich erfrischen können. Ihre Pflichten sollen sie erfüllen. Jetzt nicht sagen: Na, wenn es schon so weit gekommen ist: Dann hat das doch sowieso keinen Sinn mehr. Auch wenn es jetzt gerade vielleicht nicht so viel Freude macht, auch wenn es ein bisschen anstrengend ist: Sie sollen das Leben erträglich halten mit dem Waschwasser in den Krügen.
Und da geschieht das Wunder! Das Wasser schmeckt wie bester Wein. Das Wasser wird zu Wein. Auch wenn ich mir dieses Phänomen nicht erklären kann, entspricht das doch meiner Erfahrung: Wenn man sich bemüht, wenn man nicht aufgibt, wenn man für den Alltag sorgt, wenn man sich umeinander sorgt: Dann können Wunder geschehen. Dann kann das Fest weiter gehen.
Zweierlei sagt mir diese Geschichte für meinen Alltag, wenn es nur Wasser gibt und der Wein ausgegangen ist. Erstens: Jesus will, dass das Fest weiter geht. Und zweitens: Man kann etwas tun. „Was Jesus sagt, das tut!“
Jahre nach der Hochzeit, wenn die Ehe im Alltag versandet und die Beziehung zu vertrocknen droht. Dann kann man etwas tun. „Füllt die Krüge mit Wasser!“ Macht einander das Leben leichter. Tut eure Pflicht. Sucht nicht bloß nach dem Schuldigen. Macht ab und zu ein besonders gutes Frühstück am Sonntag. Lobt, was der andere gekocht hat, und sagt, wie gut so ein entspanntes Essen tut. Fragt, was die andere bedrückt. Nehmt Anteil. Sucht nach ein paar guten Worten. Lest euch gegenseitig vor. Nichts Besonderes eigentlich. Bloß wieder Wasser in den Krügen. Damals haben sie erlebt, wie daraus Wein wurde. Vielleicht sollten wir darauf vertrauen?
Wenn die großen Worte von Integration und guter Nachbarschaft bei manchen nur noch Hohn und Spott auslösen: Ihr seht ja, wohin man damit kommt, sagen jetzt viele, der Islam ist eine Bedrohung. Wir haben es doch gewusst. Dann gilt erst recht, was Maria rät: „Was Jesus euch sagt das tut“. Jesus hat Nächstenliebe empfohlen, damit das Leben friedlich und freundlich bleiben und zu einem fest werden kann. „Wenn ihr aber nur die liebt, die genauso sind, wie ihr, was ist das Besonderes?“ hat er gefragt. Deshalb jetzt erst recht: „Was Jesus euch sagt, das tut!“ Nehmt Kontakt auf zu den Muslimen und Flüchtlingen. Lasst sie spüren, dass sie willkommen sind. Wer integriert ist und Arbeit und Freunde hat, wer Wasser zum Leben hat – der wirft sein Leben nicht so leicht weg und wird zum Kämpfer. Wenn das Alltägliche klappt, wenn Wasser in den Krügen ist – dann wird das Zusammenleben leichter. Dann kann das Fest weiter gehen.
Und wenn der Alltag grau geworden ist, wenn der Weihnachtsglanz wieder so unglaublich weit weg scheint? Wenn „O du fröhliche“ nicht mehr passt? Holt Wasser! Es braucht gar nicht so viel, damit Freude ins Leben kommt. Rafft euch auf zum Sport, verabredet euch für das Wochenende zum Spazierengehen oder Radfahren! Bewegung setzt Endorphine frei und Endorphine machen glücklich. Oder: Versucht es mit Musik! Jeden Abend eine CD oder wenigstens das Radio einschalten. Musik kann einen umstimmen, von moll nach Dur. Singen hilft noch besser. Man könnte es in einem Chor versuchen. In Stuttgart, habe ich gelesen, gibt es sogar einen Chor für Leute wie mich, die gern singen aber nicht wirklich singen können. Oder im Gottesdienst am Sonntag! Ich gehe, ehrlich gesagt, auch deshalb so gern zum Gottesdienst, weil man dort singen kann und keiner merkt, ob man schön singt oder nicht. Wenn die Musik einen aufrichtet, wenn man zu singen anfängt: dann sieht der Alltag anders aus. Freundlicher. Heller. Festlicher. Das gibt Kraft für die dunklen Stunden. Für die Durststrecken. Ein Arbeitskollege versucht es jetzt mit einem Dankbarkeitskalender. So ein einfacher Küchenkalender ist es mit einer Zeile für jeden Tag. Da trägt er jeden Abend ein zwei Worte ein: was schön war am vergangenen Tag. Das baut einen auf, sagt er, für den nächsten.
Wasser in den Krügen. Mehr braucht es oft nicht. Für das Wunder sorgt Gott.
Amen
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Predigt zu Johannes 2,1-11 von Rudolf Rengstorf
Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr.Jesus spricht zu ihr: Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.
Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.
(Johannes 2,1-11)
Liebe Leserin, lieber Leser!
Klar, die Geschichte von dem Weinwunder in Kana, die kennen wir natürlich. Sie ist schnell erzählt:Wie auf einer Hochzeit der Wein ausgegangen ist und Jesus dafür gesorgt hat, dass er dann wieder in Strömen fließen konnte, weil er große Mengen von Wasser in Wein – und den sogar von der feinsten Sorte - verwandelt hat.
Doch was hat eine solche Geschichte – eher schon ein Schwank – in einer Predigt zu tun? Selbst wenn es so gewesen wäre, bliebe unser Leben davon völlig unberührt. Und wem kann denn in unserer vom Alkoholismus bedrohten Zeit der Glaube nutzen, Jesus habe aus Wasser Unmengen von Wein gemacht? Bräuchten wir heute nicht eher Geschichten, die davon erzählen, dass Jesus Menschen von der Trunksucht befreit und sie zum Wassertrinken angestiftet hat? – Und die Art und Weise, in der Jesus hier mit seiner Mutter umspringt, ist auch nicht gerade vorbildlich. Wer erlebt hat, mit welchem Respekt Eltern im Orient noch heute behandelt werden, kann den Umgangston Jesu mit seiner Mutter nur als ungehörig und ruppig bezeichnen. Und dann, kurze Zeit später, tut er eben doch, womit er sie schroff hat abblitzen lassen. und produziert dann gleich solche Mengen, an die Maria bestimmt nicht gedacht hat. Umgerechnet waren das etwa 600 Liter.
Was soll das alles? Mit welcher Absicht ist diese merkwürdige, stellenweise sogar peinliche Geschichte aufgeschrieben und durch die Jahrhunderte weitergegeben worden? Darüber gibt der Schluss der Geschichte eine eigentlich recht klare Auskunft mit dem Hinweis, hier habe Jesus seine Herrlichkeit offenbart und seine Jünger glaubten an ihn. Die Herrlichkeit Jesu will diese Geschichte deutlich machen, und auf den Glauben der Jünger und der Gemeinde, ist sie aus. Mit der Herrlichkeit Jesu ist im Johannesevangelium nie irgendeine magische Zauberkraft gemeint. Immer geht es um seinen Sieg im Leiden und Sterben. Und wenn Johannes vom Glauben spricht, dann meint er nicht das Für-Wahr-Halten von irgendwelchen unwahrscheinlichen Ereignissen, sondern das Festhalten an Jesus, das Bleiben bei dem, was er gesagt und geboten hat. Und wenn man dann noch auf die schnell überlesenen Worte am Anfang „und am dritten Tage“ achtet, dann will gleich die erste Zeichenhandlung, die der Evangelist berichtet, von Ostern her verstanden werden.
In dieser Geschichte vom Weinwunder in Kana steckt also sehr viel mehr, als man zunächst vermuten sollte. Deshalb gehen wir sie noch einmal durch und achten dabei besonders auf ihre Unebenheiten und auf das, was sie zu bedeuten haben.
Die Zeitangabe am Anfang „am dritten Tage“ macht also deutlich: Was jetzt kommt, steht schon unter dem Vorzeichen von Ostern und ist ohne Ostern gar nicht zu verstehen. In Kana – einer kleinen Ortschaft in Galiläa – ist also Hochzeit. Da wird tagelang getrunken, gelacht getanzt. Und Jesus ist mit seiner Mutter und seinen jüngern mittemang dabei. Was auch immer sich nachher als Sinn dieser Geschichte enthüllen mag, daran jedenfalls ist nicht zu rütteln: Jesus hat an solchen Festen teilgenommen. Wäre er ein Asket gewesen wie etwa Johannes der Täufer, hätte niemand gewagt, so etwas wie eine Hochzeit mit ihm in Verbindung zu bringen. Und wer solche Feste und ihre Genüsse für verderblich hält, der möge dabei bleiben. Nur eines darf er nicht:: sich dabei auf Jesus berufen. Feste, auch solche, bei denen es hoch hergeht, waren für ihn keine gottlose Angelegenheit. Das also ist das eine. Er ist nicht gekommen, um den Menschen das Feiern zu verleiden.
Aber – und das gilt ebenso - er sah seine Aufgabe auch nicht darin, Feste unentwegt in Gang zu halten. Mit dieser Bitte kommt seine Mutter auf ihn zu: Sieh mal, der Wein geht zu Ende. Das Fest droht zu enden. Das kannst du doch nicht zulassen! – Doch, das konnte er zulassen. Den Prinzen Karneval mögen andere spielen. Das war nicht seine Aufgabe. Deshalb weist er seine Mutter so ungewöhnlich schroff zurück. (Übrigens: Auch an der anderen Stelle, an der Jesus in den Evangelien auf seine Mutter trifft {Markus 3,31-35}, grenzt er sich überdeutlich von ihr ab. Für Marienverehrung gibt es bei Jesus keinen Anhaltspunkt) Und damit ist die Sache mit dem Wein auf der Hochzeit an sich erledigt.
Die nächsten Worte Jesu „meine Stunde ist noch nicht gekommen“ machen deutlich. Jetzt wird die Geschichte auf einer ganz anderen Ebene weitergeführt. Denn immer, wenn Jesus im Johannes-Evangelium von seiner Stunde spricht, ist die Stunde seines Todes gemeint. Eine ganz besondere Stunde, die sich von unserem letzten Stündchen darin unterscheidet, dass sie über den Tod hinaus führt. Was soll dieser Hinweis an der Stelle, an der der Wein ausgeht? Das ergibt nur dann einen Sinn, wenn die missliche Lage bei der Hochzeit zum Bild wird. Wenn die Erfahrung von ausgehendem Wein auf ausgehendes Leben deutet. Wenn die Grenzen unseres Lebens sichtbar werden, wenn mit dem Tod die große Leere ins Leben einbricht, dann erhält der Hinweis auf die Stunde Jesu Strahlkraft. Denn da sagt Jesus eben nicht: „Mensch, was gehst du mich an?“ Nein, da leidet er mit, da stirbt er mit und zwar so, dass da wieder festliche Freude einzieht und fröhliche Lieder gesungen werden.
Ich sehe in dieser Geschichte also zwei Bilder nebeneinander. Auf dem einen Bild sehen wir eine Hochzeitsgesellschaft, der der Wein ausgeht mit einem Jesus, der sagt: „Meine Stunde, mit der sich alles wenden wird, ist noch nicht gekommen.“ Mit anderen Worten: Ich kann euch hier auch nicht weiterhelfen. – Und direkt daneben das Bild, das die überströmende Herrlichkeit zeigt, die von Jesus ausgeht, wenn seine Stunde gekommen ist. Wenn er als der aus den Tiefen des Todes von Gott Erhöhte alle Grenzen sprengt, die uns Menschen auferlegt sind. Eine Herrlichkeit und eine Freude, die weit hinausgeht über die Hochstimmung eines Festes, so wie Philipp Nicoali es am Ende seines Liedes „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ ausdrückt: „Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat mehr gehört solche Freude.“ Seine Auferstehung, auf die gleich die ersten Worte dieser Geschichte hinweisen, ist in der Tat das erste und entscheidende Zeichen, das Jesus unserem Glauben gibt. Ein Zeichen, das im Johannesevangelium dann in immer neuen Variationen durchgespielt wird.
Und wie bekommen wir mitten in unserem Leben schon etwas mit von seiner Herrlichkeit? Das von dieser Herrlichkeit geprägte Bild beginnt mit Marias Anweisung an die Diener: „Was er euch sagt, das tut.“ Das gilt auch uns. Damit können wir leben. Amen.