Predigt zu Johannes 2,1-11 von Andreas Pawlas
Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam - die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten -, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.
Liebe Gemeinde,
in unserer heutigen Zeit sind für viele die Wochen nach Weihnachten so etwas wie Zeiten der Entspannung nach den ausgedehnten Festlichkeiten. Und das will sich so anfühlen, als sollte jetzt das Große und Schöne, Wunderbare und Geheimnisvolle vorbei sein und der altbekannten Normalität weichen. Das ist jedoch nicht das Lebensgefühl in der alten Überlieferung der Christenheit. Denn in der Epiphaniaszeit darf einfach alles, was so groß, schön, wunderbar und geheimnisvoll war, eindringlich weiter klingen und schwingen und damit großzügig die Berichte über das wunderbare Wirken Jesu Christi auf Erden eröffnen. Und zu denen gehört ja nun auch unser Bibelabschnitt von der Hochzeit in Kana in Galiläa.
Aber Vorsicht. Denn genau an dieser Stelle wird für manche irgendwie vermintes Terrain betreten. Ja, dass man unmittelbar zum Weihnachtsfest bei uns und sogar weltweit irgendwie einen Sinn für das Wunderbare toleriert oder sogar pflegt, das scheint doch zur Kultur des gegenwärtigen Zeitalters zu gehören, zum sogenannten „Weihnachtschristentum“ unserer Tage. Aber dabei darf nicht verschwiegen werden, dass es offensichtlich genauso zur Kultur unseres vorgeblich so nüchternen Zeitalters gehört, das Thema „Wunder“ gefälligst als erledigt zu betrachten. Deutlich erkennbar sind die Zeiten vorbei, in denen man sich öffentlich über das Thema “Wunder” die Köpfe heiß reden mochte! Nein, man ist sich weitgehend einig, dass das Thema “Wunder” nicht in das technisch- naturwissenschaftliche Zeitalter gehört. Und mancher „moderner“ Pastor gibt sich in dieser Frage – um den Verlust nach Punkten für das Christentum an dieser Stelle nicht noch schlimmer zu machen – bewusst progressiv oder “aufgeschlossen” und zeigt sich gern bereit, alle Wunder-”Effekthascherei” nun auch noch aus theologischen Gründen abzutun. Natürlich so auch ich, damals in meiner ersten Pfarrstelle. Und damit wäre dann eigentlich auch unser Bericht von der Hochzeit in Kana mit dem wunderbaren Wirken Jesu abgetan und eine Predigt darüber überflüssig.
Aber halt! Jetzt nicht zu schnell und eins nach dem Anderen! Und da darf wirklich an erster Stelle stehen, dass es tatsächlich gute Gründe gibt, ein lückenloses Gelten der Naturgesetze als Ausfluss göttlichen Willens zu deuten. Und wer wollte leugnen, wie faszinierend das ist, was die daraus folgende nüchterne menschliche Technik an Annehmlichkeiten und Fortschritt für uns am laufenden Band produziert! Manchmal kann man darüber fast genau so staunen wie über die Wunder damals, von denen die Bibel so viel berichtet.
Also muss man deshalb nun über alles, was wie ein “Wunder” aussieht, als moderner Christenmensch lieber schweigen? Ist damit die sogenannte “Objektivität” alles? Bleibt krumm eben immer krumm und wird niemals gerade? Bleibt eben Wasser Wasser und nicht Wein? Bleibt eben sauer sauer und wird nicht süß?
Ich war damals in dieser Hinsicht bestimmt nicht erst nachdenklich geworden, seitdem sich in vielen Buchhandlungen weitausladende “Esoterik”-Abteilungen etabliert hatten, in denen dann vielleicht auch noch eine Handvoll christlicher Titel feilgeboten wurden. Auf jeden Fall fand dort, was die Esoterik angeht, vielfach das Phantastischste und Wunderbarste reißenden Absatz. Sollte etwa nun das Christentum hier kräftig eintauchen, um mithalten zu können?
Keine Bange, mir blieb erspart, auf solche esoterische Wiederbelebung des Wunderbaren zurückgreifen zu müssen. Vielmehr hatte unser Gott beschlossen, mich nüchternen Zeitgenossen einmal förmlich mit der Nase darauf zu stoßen, das, was er so manches Mal an Wunderbarem tut, ernst zunehmen. Und dabei war Herrn Schulze senior eine bedeutende Rolle zugedacht. Mit seinen gut einundachtzig Jahren war nämlich Herr Schulze senior tatsächlich einmal wieder in den Gottesdienst gekommen - was mich als engagierten Gemeindepastor natürlich freute. Mich freute aber noch mehr, dass er dann sogar auch am Abendmahl teilnahm! Sicherlich war das das erste Mal wieder seit seiner Konfirmation! Auf jeden Fall stand er da so mit uns im Halbkreis um den Altar. Und ich spürte deutlich seine Ergriffenheit und sagte deshalb innerlich “Gott sei Dank”.
Nach dem Abendmahl kam der Gottesdienst dann sehr bald zu seinem Ende mit Segen und anschließender Verabschiedung. Ein schöner Gottesdienst, ein schöner Sonntag. Gott sei Dank! Aber dann klingelte am Montag das Telefon. Und am anderen Ende der Leitung meldete sich erstaunlicherweise Herr Schulze senior mit einer Beschwerde! Ja, es stimmt, es wäre ein schöner Gottesdienst gewesen. Aber trotzdem - und dabei erreicht seine Stimme eine mir irgendwie unangenehme Tonlage - wolle er sich doch die Frage erlauben, wieso wir denn beim Abendmahl Traubensaft statt richtigem Wein reichten.
Und diese Beschwerde verblüffte mich wirklich. Sollte sich etwa Herr Schulze senior damit beschäftigt haben, was sich in der Abendmahlspraxis der letzten fünfzig Jahre alles geändert hatte, etwa mit der theologisch so ausgiebig diskutierte Frage, ob unter der “Frucht des Weinstocks” eben nur Wein oder auch Traubensaft zu verstehen sei? Nein, das konnte ich mir bei ihm nicht vorstellen. Es musste sich um ganz anderes handeln, denn wir hatten ja immer ganz bewusst Wein im Abendmahlskelch. Allerdings handelte es sich dabei um einen recht, recht sauren. Denn um unsere Verbindung zur afrikanischen Partnergemeinde nicht nur geistlich sondern auch handfest auszudrücken, hatte die Kirchengemeinde ihren ganzen Jahresbedarf an Abendmahlswein durch die dort gekelterte “Frucht des Weinstocks” gedeckt – und durchlitt nun tapfer die damit eingehandelte “Säuernis”. Also meinte ich eigentlich, recht einfach die Irritation von Herrn Schulze senior auflösen zu können, indem ich antwortete: “Aber lieber Herr Schulze, wir feiern das Abendmahl doch immer mit Wein!”
Am anderen Ende der Leitung war nun erst einmal Pause. Ich hörte förmlich, wie die Gedanken kreisten. Aber dann meldete er sich wieder vom anderen Ende der Leitung: “Das war wirklich Wein? So süß war der Wein? Wenn das so war, dann bestelle ich hiermit eine ganze Kiste!”
Und jetzt saß ich wirklich in der Klemme! Allerdings war ich auch am Begreifen, was hier eigentlich Wunderbares passiert war: In seiner Ergriffenheit hatte Herr Schulze senior offenbar süß statt sauer geschmeckt! Toll!
Aber was sollte ich nun machen? Einerseits wollte ich ja Herrn Schulze senior gern gefällig sein. Und unserer afrikanischen Partnergemeinde hätte der Umsatz auch gut getan! Aber wie hätte mir andererseits Herr Schulze senior dann später abnehmen können, wenn ihm der saure, saure Wein tatsächlich geliefert worden wäre dass das genau der Wein war, der ihm so gut geschmeckt hatte und der ihm in der Gegenwart des Heiligen süß statt sauer wurde? Ich hatte damals keine Zeit, darüber nachzudenken, ob das nun ein Wunder war oder nicht. Aber vielleicht kommt das ja hier auch gar nicht auf wasserdichte Definitionen an, wenn in der Gegenwart des Heiligen Wunderbares geschieht. Mir fiel damals nur ein, Herrn Schulze senior zu erwidern: “Sie wollen eine ganze Kiste bestellen? Das geht leider nicht. Denn das ist Abendmahlswein und der ist unverkäuflich”.
Allerdings ist seitdem der wunderbare Bericht von der Hochzeit zu Kana, bei der in der Gegenwart Jesu Wasser zu Wein wurde, für mich ganz selbstverständlich geworden. Und es ist für mich eine feste Überzeugung geworden, dass in der Gegenwart des Heiligen, Wunderbares geschehen kann. Immer und Überall! Und ich frage mich deshalb so manches Mal, ob es vielleicht nur an uns liegt, dass wir vielfach unsrem Gott zu wenig Wunderbares zutrauen, und dass wir deshalb dann das Wunderbare auch nicht entdecken können. Sind wir vielleicht viel zu sehr fasziniert von den spannenden Entwicklungen der Naturgesetze und der menschlichen Technik und deren Grenzen, als fest damit zu rechnen, dass es dem Schöpfer der Naturgesetze doch selbstverständlich frei stehen muss, nach seinem Willen etwas anders ablaufen zu lassen, als wir es gewohnt sind, wenn er es für richtig hält.
Und warum wird denn so wenig gestaunt über die Mutter Maria und ihren festen Glauben, mit dem sie dann zu den Dienern spricht: „Was er euch sagt, das tut.“ Und dann geschieht auch das Wunderbare! Wie wäre es, wenn wir uns jetzt genauso im Neuen Jahr durch ein solches Wort anweisen lassen würden: „Was er euch sagt, das tut.“ Und bitte jetzt nicht einwenden: Wir wüssten doch gar nicht, was er sagt! Gott zu lieben und seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst, das sind deutlich Worte genug für jedermann und das nicht nur für das Jahr 2015. Also, wie wäre es, es wirklich zu wagen, sich im Neuen Jahr anweisen zu lassen: „Was er euch sagt, das tut.“ Und dann aber genauso wie die Mutter Maria fest zu rechnen mit dem Wunderbaren. Und dann zu staunen. Und dann zu danken. Jetzt beginnend bis in Ewigkeit. Amen.
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Gott in Bewegung - Predigt zu Johannes 1,1-5 (6-8) 9-14 von Luise Stribrny de Estrada
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Am Zweiten Weihnachtstag ist Weihnachten anders. Wir betrachten es heute sozusagen bei Licht, nicht mehr in Kerzenschein und stimmungsvolle Dunkelheit getaucht. Wir können das Fest nüchterner und überlegter angehen, die Gefühle sind nicht mehr so stark wie am Heiligen Abend – jedenfalls geht es den meisten so. Einen großen Teil von Weihnachten haben wir schon hinter uns. Wie ist es diesmal gewesen: Schön und erfüllend? War jemand enttäuscht? Gab es Streit oder Spannungen, die uns noch nachhängen? Sind wir traurig, dass der Besuch nun wieder weg ist? Oder gehen wir nach diesem Gottesdienst noch zu jemandem, den wir besuchen wollen? Vielleicht richtet sich der Blick auch schon auf die nächsten Tage, die hoffentlich ruhiger werden. Das Jahr geht bald zu Ende, vielleicht sind wir auch schon dabei, es in Gedanken abzuschließen und Bilanz zu ziehen.
Heute am Zweiten Weihnachtstag können wir das Christfest bei Licht betrachten und uns fragen: Was bleibt von Weihnachten? Dazu will uns der heutige Predigttext anregen, der am Anfang des Johannesevangeliums steht. Dort heißt es:
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.
Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht.
Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
(Joh. 1,1-14)
Die Bibelverse klingen. Sie sind ein Lied, ein Gedicht. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.“ „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ Die Verse klingen in mir, in uns nach und lassen Bilder in uns aufsteigen. Sie erinnern an die Schöpfungsgeschichte, als Gott sprach: „Es werde Licht“ – und es wird Licht (Gen.1,3). Sie erinnern auch an Goethes Faust, der mit der Übersetzung des „Wortes“ kämpft, was im griechischen Urtext Logos heißt: Über der Wiedergabe mit „Sinn“ landet Dr. Faustus schließlich bei der „Tat“. Das hat allerdings nichts mehr mit dem eigentlich gemeinten „Wort“ zu tun!
Die Verse fassen das in Worte, was zu Weihnachten geschieht, dass Gott zu uns Menschen kommt. Das sind nicht die vertrauten Worte aus der Weihnachtsgeschichte des Lukas, aber sie wollen dasselbe ausdrücken, was Lukas mit der Geschichte vom Stall und von den Hirten erzählt: Gott wird einer von uns.
Wenn ich diesen Anfang des Johannesevangeliums lese oder höre, erscheint es mir rund und vollständig. Ein Glied greift wie bei einer Kette ins andere, egal wo wir anfangen oder aufhören. Es ist perfekt. Wir können diese Verse auch mit einem Kiesel vergleichen, den das Wasser glatt geschliffen hat. Er hat keine Ecken und Kanten mehr, keine Brüche. Der Kiesel liegt rund und glatt in der Hand – so wie diese Bibelverse.
Wo können wir ansetzen, um tiefer in sie einzudringen, um sie uns zu eigen zu machen? Die Verse sind um bestimmte Worte gewachsen, die Urworte des Glaubens sind. Ich nenne einige davon: Wort, Gott, Licht, Finsternis, Welt, Herrlichkeit. Diese Worte bleiben im Ohr und spannen den Horizont auf, innerhalb dessen wir uns bewegen. Wort, Gott, Licht, Finsternis, Welt, Herrlichkeit, das sind die tragenden Worte dieses großen Liedes vom Anfang.
Das Wort ist zu Beginn bei Gott, so heißt es. Mit dem Wort ist Jesus Christus gemeint. Er kommt zu Weihnachten in die Welt hinein, er kommt auf die Erde, und wird ein Mensch. Der Sohn Gottes bleibt nicht im Himmel, sondern hat einen Körper so wie wir, er ist aus Fleisch und Blut. Damit gibt Gott seine Hoheit auf und wird einer von uns. Jesus wird wie jeder Mensch von einer Frau geboren, die nach neuen Monaten unter Schmerzen das Kind in die Welt hinaus bringt. Das Neugeborene trinkt die Milch seiner Mutter wie jedes Kind, es wächst und wird größer, es lernt laufen und fällt dabei hin, es lernt allmählich das Sprechen, später lesen und schreiben. So wird das Kind zum Jugendlichen und dann erwachsen; am Schluss stirbt es einen zu frühen Tod. Im Großen und Ganzen ein normaler Lebenslauf.
Aber dieses Kind, dieser Mann ist etwas besonderes, weil er Gottes Sohn ist, so glauben wir. In ihm kommt Gott in unsere Welt. Gott gibt den Abstand auf, den er immer zu uns Menschen gehalten hat. In den frühen Texten der Bibel heißt es: Wer das Angesicht Gottes sieht, muss sterben. Das ist jetzt anders geworden. In Jesus zeigt sich Gott und die Menschen, mit denen er umgeht, können ihn sehen, ohne Schaden zu nehmen. Sie sehen und fassen ihn an, und er sieht sie an und berührt sie, wenn er ihnen die Hände auflegt, um sie zu heilen. Gott ist nicht mehr verborgen und weit weg, sondern mittendrin. Er ist sich nicht zu schade, Menschen anzurühren, die krank sind, oder mit denen zu essen, die sonst jeder meidet, weil sie Außenseiter sind.
In Jesus lässt Gott sich sogar auf unsere Sterblichkeit ein. Jesus erlebt, was Todesangst ist und zittert vor dem Tod wie wir. Er leidet körperliche Schmerzen, als er von den Soldaten geschlagen und gefoltert wird. Er wird ausgelacht und lächerlich gemacht. Am Schluss quält er sich, bis er endlich sterben kann, und kein Engel kommt, um ihn zu retten. - Schmerzen und Tod erleben wir auch. Die meisten von uns nicht so schrecklich wie Jesus, aber wir wissen, wie viele Menschen auf der Welt gefoltert werden und gewaltsam sterben – denen ausgeliefert, die Macht über sie haben. Gott erspart Jesus nichts, er erspart sich selbst nichts.
So können wir uns an Gott wenden und bei ihm Zuflucht suchen, wenn wir Angst haben, wenn wir Schmerzen leiden oder es ans Sterben geht. Gott geht da mit. Wir sind nicht auf uns allein gestellt in diesen extremen Augenblicken und Zeiten, weil Gott an unserer Seite ist. Er kennt all das, was uns schmerzt und ängstigt, und lässt uns dabei nicht allein.
Gott kommt in Bewegung und macht sich auf in unsere Welt. So geschehen in einer Heiligen Nacht vor über 2.000 Jahren, und das wird jedes Jahr wieder von neuem aktuell. Das mag und soll für uns ein Anstoß sein, uns auch zu bewegen. Hinzugehen zu anderen und das, was sie umtreibt, mit ihnen zu teilen. Das können Menschen in der Familie und im Freundeskreis sein, aber auch Menschen, die wir noch gar nicht kennen.
Ich möchte Ihnen von einer Bekannten erzählen, die sich für das nächste Jahr ein besonderes Engagement vorgenommen hat. Sie steigt aus ihrem Beruf aus und bezieht in einem Dorf ein großes altes Haus mit Garten, in dem sie Flüchtlinge aufnehmen will. Sie tut das nicht alleine, sondern zusammen mit einem Verein. Das Haus soll eine Herberge werden für Menschen, die keine Papiere haben oder Kirchenasyl suchen. Sie will mit ihnen gemeinsam leben, den Garten bebauen und ihnen dabei helfen, unsere Sprache und unsere Lebensgewohnheiten zu lernen.
Ich finde dieses Projekt mutig und wegweisend. Nicht jeder von uns kann sein Leben so verändern, dafür braucht es den richtigen Zeitpunkt, die richtigen Menschen, die mit einem gehen, und eine konkrete Aufgabe. Wie gut, dass es Menschen gibt, die so etwas anfassen und sich engagieren! Sie tragen dazu bei, Flüchtlingen hier in Deutschland ein Zuhause zu schaffen und sie aufzunehmen. Ich meine, sie brauchen und verdienen Unterstützung von anderen, sei es durch das Bereitstellen von Dingen des täglichen Lebens wie Bettwäsche und Geschirr, durch Mithilfe in Haus und Garten oder durch Geldspenden. So kommt etwas in Bewegung in der Beziehung zwischen Menschen, die einander bisher fremd waren.
„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit“, heißt es in unserem Bibeltext. Gottes Herrlichkeit sehen wir in den Engeln, die uns jetzt zu Weihnachten so oft begegnen; sie sind von Licht umflossen, ihr Glanz lässt uns eine andere Welt ahnen. Herrlich ist es auch, wenn Menschen sich begegnen und einander verstehen jenseits aller Sprachbarrieren. Wenn sie zusammen singen, essen, spielen und tanzen.
So wünsche ich Ihnen, dass Sie in diesen weihnachtlichen Tagen Spuren von Gottes Herrlichkeit entdecken. Amen.
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Neuer Anfang mit Jesus - Predigt zu Johannes 1,1-5(6-8)9-14 von Mira Stare
Neuer Anfang mit Jesus
Liebe Glaubende,
wenn wir das Wort „Anfang“ oder die Wortverbindung „im Anfang“ hören, dann gehen unsere Gedanken wahrscheinlich zum ersten Buch der Bibel zurück, nämlich zum Buch Genesis und dessen erstem Vers. Dort heißt es:
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (Gen 1,1).
Mit diesen Worten beginnt der erste Schöpfungsbericht. Gott erweist sich am Anfang als Schöpfer – als derjenige der Himmel und Erde schafft, der alle Lebewesen, Pflanzen, Tiere und Menschen ins Leben ruft und ihnen ihren Platz, ihren Sinn und ihre Aufgabe im ganzen Universum gibt.
Im heutigen Evangelium haben wir auch die Wortverbindung „im Anfang“ gehört. Mit ihr beginnt das Johannesevangelium und sein hymnischer Prolog. Im Unterschied zur Schöpfungserzählung aus dem Buch Genesis erfahren wir hier, dass am Anfang das Wort – auf Griechisch der Logos – schon da ist. Dieses Wort ist immer schon zu Gott hin gerichtet. Noch mehr, in seinem Wesen ist es von Gott. Dieses Wort unterscheidet sich von allen Werken der Schöpfung dadurch, dass er nicht wie sie geschaffen wurde, sondern immer schon „war“. Es ist präexistent – schon von Uranfang da. Es ist aktiv an der Erschaffung der ganzen Schöpfung beteiligt. Alles ist durch es geworden. Gott und sein Wort, beide gemeinsam sind bei dem Schöpfungsakt aktiv. Dabei spielt das Wort keine Nebenrolle. Denn der Johannesprolog behauptet: „Ohne das Wort wurde auch nicht eines von dem, was geworden ist“ (Joh 1,3). Das bedeutet: Ohne das Wort kann es keine Schöpfung geben und kann kein Geschöpf ins Leben und Dasein gerufen werden. Dieses Wort, das personifiziert dargestellt wird, ist im Schlussteil des Hymnus mit Jesus Christus identifiziert. Demzufolge gelten alle Aussagen, die sich auf das Wort beziehen, eigentlich für Jesus Christus. Er ist präexistent, vom Uranfang an da, und er ist ganz zu Gott hin gerichtet. Er ist derjenige, der gemeinsam mit Gott, am Schöpfungsakt beteiligt ist. Alles ist „durch“ ihn – Jesus Christus – geworden. Der Schöpfungsakt geschieht durch das Wort Gottes. Es handelt sich um ein kommunikatives Geschehen. Dies stimmt auch mit dem Schöpfungsbericht im Buch Genesis überein. Auch dort wird wiederholt gesagt: „Gott sprach … Und so geschah es.“ Im Unterschied dazu kommuniziert Gott im Johannesprolog durch sein einmaliges singuläres Wort – durch Jesus Christus – und ist ausschließlich „durch“ ihn schöpferisch tätig.
Weiter erfahren wir im Johannesprolog, dass das Wort Gottes – Jesus Christus – Leben für die Menschen ist. Dieses Leben in Jesus Christus ist eine Wirklichkeit, die im Wort begründet ist. Es beruht auf Kommunikation. Weiter wird behauptet, dass das Leben als Licht erfahrbar ist. Es hat Lichtfunktion. Dabei handelt es sich um rettendes Licht, das aus dem Unheilsbereich der „Finsternis“ befreit. Jesus Christus, das Wort Gottes, ist ein so großes Licht, dass die Finsternis und die mit ihr verbundenen lebensfeindlichen Mächte nicht im Stande sind, dieses Licht auszulöschen oder es zu begreifen.
Der Anfang bringt bereits ein bis ins unsere Zeit bekanntes menschliches Drama mit. Einige Menschen nehmen das Wort Gottes, die Person Jesu Christi, und sein Geschenkt von Leben und Licht, von Gnade und Wahrheit, an und machen die Erfahrung der Kinder Gottes. Andere Menschen lehnen dies ab. Obwohl die Menschen durch das Wort Gottes, Jesus Christus, entstanden sind und in ihrem Wesen zu ihm ausgerichtet sind, kommen nicht alle weder zu dieser Erkenntnis noch zum Glauben an ihn, sondern lehnen Jesus Christus, das Wort Gottes, ab. Damit lehnen sie auch Leben und Licht, Gnade und Wahrheit, die ihnen in Fülle geschenkt werden möchten, ab.
Der Johannesprolog bleibt aber auch angesichts dieser Ablehnung nicht pessimistisch. Er zeigt einen Weg, der die Menschen für Jesus Christus öffnen kann. Es geht nämlich um die Zeugen Jesu Christi, zuallererst um Johannes den Täufer. Sein Zeugnis über das Licht – über Jesus – kann die Menschen zum Licht – zum Glauben an Jesus bringen.
Liebe Glaubende, der Johannesprolog zeigt uns, wie weit die Kommunikation Gottes mit den Menschen geht. Sein Wort, Jesus Christus, ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet. Auch für unsere Gegenwart gilt diese Aussage: Das Wort Gottes, Jesus Christus, wohnt und zeltet unter uns als Mensch unter den Menschen. Jetzt zu Weihnachten feiern wir seine Menschwerdung und seine Niederlassung unter uns. Erkennen wir ihn unter uns? Erkennen wir, dass er derjenige ist, durch den auch uns Gott ins Leben gerufen hat? Strahlt unser Leben von seinem Licht? Auch jede und jeder von uns ist in dieser Weihnachtszeit eingeladen, Jesus Christus, das Wort Gottes, unter uns und in uns anzunehmen und mit ihm einen neuen Anfang zu wagen. Mit Jesus anzufangen, bedeutet das Wort Gottes und mit ihm das Geschenk von Leben und Licht, von Wahrheit und Gnade anzunehmen. Dann werden auch wir tagtäglich erfahren, dass wir Kinder Gottes sind, und werden Zeugen des Lichtes in dieser Welt sein.
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Die Wörterflut und das eine Wort des Lebens - Predigt zu Johannes 1,1-4;8-14 von Ralf Hoburg
Die Wörterflut und das eine Wort des Lebens
Wieder ist der Rummel vorbei. Die Lichterflut der Weihnachtsmärkte ist abgebaut und die Stromkabel sind verstaut. Die Welt ist abgeblendet und es ist endlich still. Jetzt, am zweiten Tag nach dem Heiligen Abend kann es Weihnachten werden. Am frühen Morgen des zweiten Weihnachtstages ist „stille Nacht“. Ich erinnere mich an meine Kinderweihnachten, als ich immer an den beiden Weihnachtstagen um 6.00 Uhr morgens wach wurde und im Schlafanzug ganz selbstvergessen in der Dunkelheit des Zimmers in die Welt meiner Kindergeschenke zwischen LEGO-Steinen und Fischer-Technik eingetaucht bin. Ohne Fernseher oder Computer war ich damals in einer Sphäre zwischen Himmel und Erde. „Zwischen den Zeiten“ erhielt Weihnachten plötzlich eine Ernsthaftigkeit und Tiefenwirkung für meine damalige Kinderseele. Ich vermute, dass dies auch heute – obwohl seltener geworden – bei manchen Kindern immer noch so ist. Während die meisten Menschen noch schlafen, schleiche ich mich heute heimlich an den einsamen Strand an einem geheim gehaltenen Ort an der Ostsee und genieße den Ausblick auf das Meer. Ruhig liegt es da und bietet Einblicke ins Jenseits. Bei Regen und Sturm, Wind und Wetter und weit weg von einer Kirche und ebenso weit weg vom Festtagsessen mit der Verwandtschaft und inmitten einer Menschenleere bekomme ich einen klaren Kopf und tropfen die unendlich vielen gesprochenen Worte dieses Jahres wie Regenperlen an mir ab. Und es bleiben mir nur manch wenige Sätze in Erinnerung. Es sind Worte, die durchgedrungen sind durch die Geschwätzigkeit des Alltags und hineingekommen sind in meine Seele. Diese Worte machen dann Sinn im Leben und wollen interpretiert und gedeutet werden. Die Tage zwischen den Jahren sind für mich eine tief religiöse Zeit, da ich mich mehr als sonst mit mir selber beschäftigen kann. Ich gehe schon seit etlichen Jahren am Heilig Abend nicht mehr in den Gottesdienst. Alle, die sich dort engagieren, Pastorenschaft und die Chöre und vielen Ehrenamtlichen, bemühen sich ja sehr um die Aktualität der Weihnachtsbotschaft, aber außer einem kulturgeschichtlich tradierten Ritual ist für mich von „Heilig Abend“ wenig übriggeblieben. Die innere Leere des Weihnachtsfestes wurde mir schlagartig letzte Woche auf einer durch und durch säkularen Adventsfeier in einer Schule deutlich. Es war ein gewöhnliches Event mit Big Band und Chören, kaum ein Lied hatte etwas mit Weihnachten zu tun und das Einzige, was an Weihnachten erinnerte, war der Weihnachtsbaum in der Aula der Schule – und der ist wie wir wissen heidnischer Natur. Noch nicht einmal eine festliche Atmosphäre wurde transportiert und der nichtsagende Schuldirektor stand so verstohlen herum, als wäre ihm der Konfirmationsanzug zu klein geworden. Ich verstand plötzlich, was sich seit meiner Kinderzeit in unserer Gesellschaft verändert hat und warum mich Weihnachtsgottesdienste langweilen. Trotzdem sind sie für viele Menschen wichtig, um einmal im Jahr mit der Kirche in Verbindung zu treten. Aber am zweiten Weihnachtstag kommt für mich eine Ernsthaftigkeit zum Tragen, die über das eng geführt Christliche hinaus Bedeutung hat und das Weihnachtsgeschehen – obwohl christlichen Ursprungs – in eine allgemein religiöse Dimension weitet und die den Islam und das Judentum in die Feierlichkeiten mit einbeziehen kann ohne sie unter einem christlichen Deckmantel zu vereinnahmen. Der 2. Weihnachtsfeiertag sollte für mich zu einem Feiertag aller Religionen werden. Darin kann ich einen tieferen Sinn erkennen, weil die Religion in einer multireligiösen Gesellschaft durchaus einen Platz hat. In einer älteren Predigtmeditation fand ich den Satz: „In Städten finden sich mitunter am 2. Weihnachtsfeiertag Menschen zum Gottesdienst ein, die selten eine Kirche betreten, aber doch ahnen, dass das Fest mehr ‚hat‘, als der unruhige Heilig Abend…“
I)
Ein Wort, das die Welt verändert hat…
Der Prolog aus dem Johannesevangelium, der als heutiger Predigttext in der ersten Perikopenreihe vorgesehen ist, gehört wohl neben der Schöpfungsgeschichte der Bibel zu den bekanntesten und kulturgeschichtlich wirkmächtigsten Texten. Und eine Verbindung zwischen der Schöpfungserzählung in 1. Mose 1 wird ja nun auch tatsächlich in dem Text hergestellt. Schon die hymnische Sprachform, die fast einen singbaren Rhythmus in sich trägt, konfrontiert den Lesenden und Hörenden mit einer über eine emotionale Getragenheit hinausgehenden tiefen Ernsthaftigkeit. Schlagartig wird beim Lesen schon der ersten Worte klar: hier geht es um das Ganze, denn der Anfang der Welt birgt schon eine Totalität in sich. Diese Worte dringen durch und enthalten einen tiefen Sinn. So stellt sich Ehrfurcht und eine gewisse Scheu ein, sich dem Text zu nähern. Bis heute gilt es unter Bibelwissenschaftlern als Krönung der eigenen wissenschaftlichen Karriere und als eine Ehre, einen Kommentar zum Johannesevangelium schreiben zu dürfen. Große Bibelausleger wie der Neutestamentler Rudolf Bultmann haben einen Kommentar verfasst oder auch der Theologe Karl Barth. Und der Neutestamentler Ottfried Hofius schrieb: „Der Prolog des Johannesevangeliums Joh. 1,1-18 ist der beste und theologisch tiefste Kommentar zur Weihnachtsgeschichte.“
Und das ist so, obwohl keine einzige Silbe über das Weihnachtsgeschehen verloren wird und der Text weit weg ist von der Rührseligkeit der Geburtsgeschichte Jesu von Nazareth im Stall von Bethlehem. Aber es geht in dem Text um den Grundpfeiler nicht nur des Christentums, sondern vieler Religionen: Es geht um das Wirklichwerden des Göttlichen, wenn der Text universalistisch im Sinne einer Grundwahrheit zum Ausdruck bringt: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ (Joh. 1,1) Dies erinnert an 1. Mose 1,1, wo es heißt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ (1. Mose 1,1) Beide Sätze sind absolut und fordern ein Bekenntnis. Der Anfang der Welt ist ein Mysterium und ein Faszinosum für Astrophysiker und Wissenschaftler, die sich mit dem Urphänomen der Entstehung von Zeit, Raum und biologischem Leben befassen. Wahrscheinlich bildet die tiefe Ehrfurcht vor der Totalität der Weltentstehung den Grund, weshalb gerade Physiker sich als religiös bezeichnen und von Albert Einstein der Satz überliefert ist: „Gott würfelt nicht“. Und dieser Gott des Wortes, der die Welt erschafft, besitzt eine tiefe Verwandtschaft zur Gottesvorstellung Allah‘s und dem jüdischen JHWH. In der Grundüberzeugung, dass die Welt erschaffen ist und dass es eine „Fundamentalunterscheidung“ (Ebeling) zwischen Gott und Mensch gibt, stimmen die Religionen überein. Das ist gerade an einem kulturgeschichtlich so sehr vom Christentum besetzten Fest wie Weihnachten mit dem Text aus dem Johannesevangelium ganz deutlich zu betonen.
In den Versen Joh. 1,1-5 wird diese universalistische Schöpfungsreflexion weitergeführt. Dahinter steht die mythologische Vorstellung einer Erschaffung der Materie aus dem Wort. Diese philosophische Anschauung, hinter der die Auffassung einer die Wirklichkeit erschaffenden Macht des Wortes steht, hat die Philosophie und die Theologie des Abendlandes zutiefst geprägt. Welche Realität Worte erschaffen, kann man letztendlich gerade in einer durch die Medien geprägten Alltagswelt erkennen. Man muss nicht bis hinein in die legendäre Radioübertragung von Orson Wells gehen, die die Ankunft von Außerirdischen so realistisch beschrieb, dass Tausende Amerikanerinnen und Amerikaner aus ihren Häusern flüchteten. Dass Worte wirken und Realitäten erschaffen, lässt sich in der Mediengeschichte nicht nur einmal aufzeigen. Wahre Worte durchbrechen dann aber die Geschwätzigkeit der vielen Worte, die heute so gesprochen werden. Die Hohlheit der Worte wird für mich an Werbeslogans überdeutlich, die eben wenig Sinn oder gar keinen Lebenssinn machen und also „Nonsense“ darstellen. Ein Slogan hat mir in dieser Adventszeit des Jahres 2014 allerdings ausnehmend gut gefallen. Der Fernsehsender Bibel-TV plakatiert in S-Bahn und U-Bahnhaltestellen einen Satz: „Gott statt Schrott“. Das hat meine Aufmerksamkeit erregt. Darin wird der unendliche Wortschwall gebrandmarkt, der täglich als „Non-Sense“ durch die Sender wabert. Gleichzeitig wird erkennbar, dass Menschen sich nach dem einen Wort, das „Sinn“ macht und das Tiefe hat und zugleich Ernsthaftigkeit transportiert, sehnen.
II)
Das Wort in den Wörtern
Dieses Wort, das Sinn macht und auch Wirkung zeigt, ist das Wort, das mit Gott gleichgesetzt wird. Eine dieser Wirkungen, die von diesem Wort ausgehen, besteht in seiner „Heilwirkung“ oder man kann auch aus theologischer Sicht sagen: In der Wirkung der Versöhnung. Dies klingt etwa in dem Vers Joh. 1,5 an, wo es heißt: „Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.“ In Vers 11 wird diese ablehnende Haltung der Welt noch einmal bekräftigt: „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf“. Der Text spricht also die Erkenntnis von der Versöhnung und seiner Ablehnung aus: „In ihm war das Leben“, aber die Welt erkannte ihn nicht. Und in einer anderen Metapher heißt es: „Das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet.“ (V. 9) Das Wort, das Licht oder Gott selbst ist also die Errettung und die Erlösung. Mit dieser Wort- und Bedeutungskette wird die weihnachtliche Aussage transportiert: Gott selbst ist in der Welt als ihr Schöpfer anwesend. Obwohl hier Unterscheidendes und Trennendes zwischen den Religionen liegt, wird dennoch deutlich: Es geht um Erlösung und Versöhnung – auch im Judentum und im Islam. Die Wege dorthin unterscheiden sich indes.
Vielleicht ist es wohl am angemessensten im Angesicht der Getragenheit und Tiefe des Textes, der hymnischen Sprache in der Form eines Liedes zu begegnen. Der Reformator Martin Luther hat in einem seiner ersten Kirchenlieder im Jahr 1524 eine mittelalterliche Melodie mit einem Text versehen und „verdichtet“ in dem Lied „Gelobet seist Du Jesu Christ, dass Du Mensch geworden bist…“ (EG Nr. 23) den Johannesprolog. Dort heißt es in Strophe 4:
„Das ewig Licht geht da herein,/
Gibt der Welt ein‘ neuen Schein,/
Es leucht‘ wohl mitten in der Nacht/
Und uns des Lichtes Kinder macht./
Kyrieleis“
In der christlichen Tradition bildet die Offenbarung den Grundpfeiler theologischen Verstehens. Im Zentrum des Prologes im Johannesevangelium steht genau dieser Gedanke, dass Gott oder das „Wort“ Fleisch wurde und auf der Erde wohnte. (Joh. 1,14) In diesem Vers ist die Theologie des Christentums im Kern enthalten. In der Alten Kirche stritt man um die Art und Weise dieser Menschwerdung. Die Vorstellung, dass Gott selbst auf die Erde kommt und Mensch wird, ist im Kontext antiker Religionen fremd und auch heute streiten sich die Religionen über das Faktum der Offenbarung. Dass Gott Mensch wird, aber vor allem die Tatsache, dass Gott dann auch als Mensch „stirbt“, ist eine Provokation für die antiken Religionen. So half man sich durchaus mit der Vorstellung, dass Gott ja nur auf der Welt „wohnte“ und Martin Luther dichtet:
Der Sohn des Vaters, Gott von Art,/
Ein Gast in der Welt hier ward/
Und führt uns aus dem Jammertal,/
Macht uns zu Erben in seim Saal./
Kyrieleis
Mit diesem einen Wort durchbricht Gott den Zusammenhang der unendlich vielen Wörter in der Welt. Hier ist Tiefenwirkung erreicht und wenn dieses Wort „zwischen den Zeiten“ am zweiten Weihnachtsfeiertag zu Gehör kommt, dann stellt sich die Ernsthaftigkeit von alleine ein, die wir – mit Recht – in der Erinnerung des Weihnachtsgeschehens erhoffen, erwarten und oftmals nicht erfahren.
Der Sohn Gottes ist – so der Tenor des Johannesprologs – das Wort in den Wörtern. Er ist die eine Offenbarung Gottes und zugleich identisch mit Gott. Martin Luther interpretiert aus dem Text ganz deutlich: Der Sohn ist „Gott von Art“ und er greift damit auf die Zwei-Naturen-Lehre zurück. Das Johannes-Evangelium spricht im Übrigen erst in Joh. 1,17 davon, dass mit dem, was beschrieben wurde, Jesus Christus gemeint ist. So öffnet sich der Vorhang nur langsam und bleibt ein Rest des Geheimnisses.
III)
Von Wörtern und Wirkungen
Worte haben Wirkungen. Diese allgemeine Erkenntnis gilt aus meiner Sicht um so mehr für das Wort der Offenbarung. Diese Offenbarung, wie sie im Johannesevangelium beschrieben wird, hat im christlichen Verständnis einen Endgültigkeitscharakter, aber vor allem: sie hat auch ein Ziel. In den letzten beiden Strophen drückt Luther dies in seinem Lied aus:
Er ist auf Erden kommen arm,/
Dass er unser sich erbarm/
Und in dem Himmel mache rein/
Und seinen lieben Engeln
Das hat er alles uns getan,/
Sein groß Lieb zu zeigen an./
Des freu sich alle Christenheit/
Und dank ihm des in Ewigkeit./
Kyrieleis
Es geht also in dem Geschehen der Offenbarung und der Menschwerdung Gottes um die Gnade. Und diese Gnade wird beschrieben als Akt der Liebe. Es ist eine Liebe, die von Gott ausgeht und die die Herzen der Menschen in der Tiefe erfasst. Jesus Christus war und ist diese Liebe in Person. Er verdeutlicht, dass wir in unserem irdischen Leben angewiesen sind: auf den Nächsten, auf Zuwendung, auf Anerkennung und Respekt. Auf diese Weise werden die Menschen zu Gottes Kindern. (Joh. 1,12) Und diese Erkenntnis gilt im Christentum wie auch im Judentum und Islam. Weihnachten weitet sich demnach mit dem Johannesevangelium zu einer Doppelbotschaft:
Gott wird im Wort geboren und wir Menschen sind Gottes Kinder, weil er uns in seinem Wort zu solchen annimmt. Mit diesen Worten kann man doch im Leben was anfangen. Es geht ans Herz, es hat eine Tiefenwirkung und ist dem unendlichen Geschwätz der wabernden Gesichter in den Talkshows und dem unerträglichen Lärm oder säuselnden Gesinge in Kaufhäusern überlegen. Das Wort des Johannesevangeliums macht still und ehrfürchtig, weil es die Seele erfasst; es erträgt nicht das gleißende Neonlicht der Einkaufpassagen und will in der Ruhe des 2. Weihnachtstages andächtig gelesen, meditiert und verstanden werden. Weil das so ist, begebe ich zum Lesen und Verstehen dieses Textes in die „stille Nacht“ – für mich ist das der frühe Morgen der Festtage – an einen Ort, der „nicht gefunden werden kann außer man weiß wo er ist“ wie es Captain Jack Sparrow im Film „Fluch der Karibik I“ sagt.
Aber um eines möchte ich sie dann bitten: Bleiben sie im nächsten Jahr dort, wo sie sind und kommen sie nun nicht auf die Idee, die Ostsee aufzusuchen. Denn denken Sie daran: Am zweiten Weihnachtstag stehe ich irgendwo am Strand an der Ostsee und suche das Wort in den Wörtern. Dabei möchte ich nicht gestört werden. Hoffentlich finden Sie das Wort der Wörter dann in einem Gottesdienst in der Kirche. Zu wünschen ist es Ihnen.
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Predigt zu Johannes 14,27-31a von Karoline Läger-Reinbold
Predigt zu Johannes 14, 27-31a
Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich. Und jetzt habe ich's euch gesagt, ehe es geschieht, damit ihr glaubt, wenn es nun geschehen wird. Ich werde nicht mehr viel mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt. Er hat keine Macht über mich; aber die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe und tue, wie mir der Vater geboten hat.
Liebe Gemeinde,
Frieden – was genau ist das für Sie? Wenn wir uns jetzt die Zeit nehmen würden für eine persönliche Definition, worauf könnten wir uns verständigen? Für mich gibt es da Zugänge auf drei verschiedenen Ebenen, vielleicht sind es auch eher konzentrische Kreise:
da ist (erstens) der kleine, manchmal etwas dürftige, private Frieden. Wenn die Familie am Sonntagnachmittag zusammen kommt und es nicht gleich wieder um die alten Themen geht. Um den immer gleichen Streit und die alten Verletzungen. Wenn wir nicht gleich wieder aufeinander losgehen, sondern wenn es gelingt, miteinander zu reden im Hier und im Jetzt. Aufeinander zu hören, dem anderen mit Achtung und Interesse, mit Respekt und mit Wärme zu begegnen. Dann ist das wenigstens „ein bisschen Frieden“.
Und dann ist da (zweitens) der große, ziemlich abstrakte, der fast vergessene Frieden. Dass wir in einem Land leben, in dem wir uns sicher fühlen können. Ein Land, in dem die Luftschutzbunker abgerissen werden – oder aufwändig umgebaut, zu edlen, teuren Appartements. Ein Land, in dem die Soldatinnen und Soldaten sich freiwillig für den Dienst in der Bundeswehr melden, weil sie vom Friedensauftrag dieser Truppe überzeugt sind. Ein Land, in dem nachts keine Granaten einschlagen. Dass dies nicht selbstverständlich ist, das habe ich in meiner Kindheit immer wieder staunend erfahren, wenn Eltern und Großeltern ganz plastisch ihre Kriegserlebnisse geschildert haben – was sie nie gerne getan haben. Am stärksten habe ich es bei der Großmutter gesehen. Sie hatte beide Weltkriege erlebt, den einen als junge Frau, und den anderen als Mutter von zwei Kindern. Diese Erfahrung prägte ihr Denken, ein Leben lang. Die böse Zeit, von der sie hoffte, dass sie nie wieder kommt. Und dass man immer genügend Kerzen und Konserven im Haus haben muss. Dass man weiß, wo man im Keller einen sicheren Raum hat. Dass bei Sirenengeheul das Radio angestellt wird und dass man die wichtigen Sachen so aufbewahrt, dass sie im Fall eines Falles schnell mitgenommen werden können. Als Kinder fanden wir das schrullig. Inzwischen habe ich verstanden: dieser Krieg, der für uns sehr weit weg war, war für sie in Wahrheit noch ziemlich real.
Aber da ist (drittens) außerdem der Frieden als ferner Sehnsuchtsort. Der Frieden, der so unendlich entfernt ist, wenn uns die Nachrichten am Abend in der Tagesschau an die Unruheherde dieser Erde bringen: nach Syrien und in seine Nachbarstaaten, in die Ukraine, nach Westafrika, wo auch immer Menschenleben bedroht sind. Durch Krieg und Gewalt, durch Terror und Machtgier, oder einfach nur durch schlechte Lebensbedingungen. Und je mehr ich mich damit beschäftige, umso deutlicher wird mir, wie groß und umfassend mein Begriff von Frieden ist. Dass es um viel mehr geht als um das Schweigen von Waffen. Nämlich um Gerechtigkeit und Versöhnung. Um sozialen Frieden. Um Chancengleichheit, Humanität, wie auch immer wir das dann nennen. Und es geht auch um Heilung. Und um den Frieden mit der Natur, zwischen Menschen und Tieren. Die Bibel hat dafür das Wort Schalom. Und Schalom ist etwas, das ganz eng mit Gott verbunden ist. Gott schenkt Schalom. So, wie wir es hier aus den Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium hören: meinen Frieden gebe ich euch.
Dieser Friede, dieser Christusfrieden, das ist sein Abschiedsgeschenk, sein Vermächtnis an uns. Es ist das, was uns bleibt – mal als Sehnsucht und mal als Vorgeschmack. Die meiste Zeit wohl aber als Sehnsucht.
Denn unsere Welt ist abgrundtief weit weg – von diesem Frieden im umfassenden Sinn. Bei aller Dankbarkeit für unser Leben hier und heute gibt es da kein Vertun. Und zum Dank für jeden noch so kleinen Friedensmoment gehört für mich das Gedenken:
Das Gedenken an die massenhafte Ermordung jüdischer Menschen im Holocaust, an die Ausgrenzung , Vertreibung und Verfolgung von Minderheiten. Die Erinnerung an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 erfüllt uns mit Trauer und Scham. Der Nationalsozialismus und seine Folgen haben unser Land über Jahrzehnte geprägt. Darum war ich dankbar und froh zu hören, wie der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani im Mai dieses Jahres bei seiner Rede zum 65. Geburtstag unseres deutschen Grundgesetzes im Bundestag von seinem Stolz auf dieses Deutschland im Jahr 2014 sprechen konnte. Vieles hat sich verändert, hat sich zum Guten gewandelt in diesem Land. Die Menschen sind offener geworden, die Bereitschaft, Flüchtlinge und Zuwanderer freundlich aufzunehmen, ist größer geworden, auch wenn das sicher noch nicht alles so ausreicht. Bürgerschaftliches Engagement geschieht und ist wirksam, sei es in der Kirche, in den politischen Parteien, in Vereinen oder anderen Initiativen.
Und auch das haben wir in diesem Land erlebt, wie viel Kraft davon ausgehen kann, wenn Menschen sich etwas trauen, wenn sie gemeinsam kämpfen für ihre Freiheit, so wie die Bürgerinnen und Bürger der DDR, die mit ihren friedlichen Protesten vor 25 Jahren die Mauer zum Fall gebracht haben. Der 9. November 1989 wurde zum Höhepunkt einer Bewegung, die niemand mehr aufhalten konnte und wollte. Mit dem Fall der Mauer begann eine neue Epoche, und alle, die das miterlebt haben, werden mit großer innerer Bewegung daran zurück denken. Und für die Jüngeren ist praktisch selbstverständlich, dass diese Mauer nicht mehr als eine Episode in der deutschen Geschichte bleiben konnte. Das stimmt mich hoffnungsvoll und froh.
Gleichzeitig ist klar, dass dieser Frieden, in dem wir leben, nur etwas Vorläufiges ist. Etwas Fragiles: gefährdet, zerbrechlich. Mit zahlreichen Veranstaltungen sind wir 2014 an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert worden. Die Kriegsbegeisterung und der Enthusiasmus, mit dem sich viele damals auf den Weg gemacht haben, ist aus heutiger Perspektive abstoßend und erschreckend. Mit hoher Emotionalität und großem Vaterlandspathos wurde die Kriegsmaschine in Gang gesetzt, mit grausamen Folgen. Hat die Menschheit genügend daraus gelernt? Schrecklich sind die Bilder, die wir in den letzten Wochen und Monaten zu sehen bekommen haben, waffenstarrende Krieger, Bomben und Tretminen, fanatische Hassprediger und eiskalte Potentaten. Das alles ist Gegenwart, keine Vergangenheit, und passiert ganz in der Nähe, an den Grenzen Europas. Ohnmächtig machen mich diese Bilder – doch was kann ich ihnen schon entgegensetzen?
Es ist der Frieden als Sehnsuchts-Wort. Als das Bild einer Gegenwelt, die – manchmal trotzig, manchmal kess und oft auch einfach nur verzweifelt – den Realitäten ins Auge blickt und „nein“ dazu sagt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht, sagt Jesus seinen Jüngern. Das ist gar nicht leicht, denn die Bilder von Krieg, Gewalt und Zerstörung, die Bilder von Flucht und Vertreibung sind grausam und stark, sie gehören zum Alltag unserer Welt. Das Johannesevangelium aber verweist noch auf eine andere, eine darüber liegende Wirklichkeitsebene. Da ist der Vater im Himmel, der seinen Sohn zu uns gesandt hat, damit wir verstehen: unser Leben ist mehr als das, was wir hier täglich vor Augen haben. Da ist ein liebender Gott, der wie ein Vater, eine Mutter für uns sorgt. Da gibt es Frieden und Versöhnung, da gibt es Heilung und Schalom. Das, was ihr euch in euren kühnsten Träumen nicht vorstellt, das alles gibt es bei ihm. Das liest sich bei Johannes manchmal sehr geheimnisvoll, fast schon verschwörerisch, so als sei es ein Geheimwissen, das die Christinnen und Christen verteidigen müssten gegen die böse, ferne Außenwelt. Vermutlich haben sie es damals allzu oft so empfunden.
Der Fürst dieser Welt, das ist die niederziehende Kraft der Sachzwänge und Realitäten. Diejenigen jedoch, die sich zu Christus bekennen, diejenigen, die wissen, dass sie zu Gott gehören und er ihr Vater ist, die haben die Kraft, sich zu befreien von diesem Regime. Wir, die wir diesem Christus folgen, wir haben ein Bild, eine Vorstellung vom Frieden, dem wir anhängen und für das wir uns einsetzen können. Oft schaffen wir das nur mit Mühe, und manchmal gelingt es uns auch nur für den Moment und im kleinen Kreis, unter unseren Freundinnen und Freunden oder in der Familie. Wenn wir aber Glück haben, dann strahlt dieser Frieden aus und wächst weiter, führt zum Ausgleich der verschiedenen Interessen, führt zur Einigung und zum Verständnis, führt vom Stillhalteabkommen bis zur Verständigung. Und über allen Versuchen, den Frieden im Kleinen zu entdecken und zu pflegen, steht dieses Wort Jesu Christi: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Der Frieden ist schon da, wir können ihn entdecken, ihm nachgehen, ihm anhängen, im Großen und im Kleinen.
Gott schenkt ihn uns als seinen Frieden, den weltumspannenden Schalom. Davon träumen wir, darauf hoffen wir, danach sehnen wir uns. Jeden Tag. Bis dass er kommt. Amen.
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ZDF-Predigt über Johannes 4, 6-30 von Pfarrerin Andrea Busse
Liebe Gemeinde,
am Anfang war der Durst. Der Durst nach Freiheit, Recht, sozialer Gerechtigkeit. Diese Sehnsucht hat Tausende in Kairo auf den Tahrir-Platz getrieben – am 25. Januar 2011. Der Beginn der ägyptischen Revolution. Fast zur gleichen Zeit saß eine Gruppe ägyptischer Frauen an der Vorbereitung für den Weltgebetstag, der 2014 Ägypten in den Mittelpunkt stellt.
Und ich habe auch den Ort vor Augen, an dem sie sich getroffen haben, um über "Wasserströme in der Wüste" - das Motto des Weltgebetstages nachzudenken. Anafora – ein koptisches Zentrum – entstanden in der Wüste. Durch Bewässerung nach und nach fruchtbar gemacht. Ich liebe diesen Ort: Nachts sieht man den sternenklaren Himmel. Es ist still dort, so still wie es eben nur in der Wüste sein kann. Es war für mich ein Zufluchtsort, wenn ich mal aus dem lauten, quirligen, lebendigen Kairo raus und zur Ruhe kommen wollte.
Während die Frauen also in Anafora darüber nachdachten, welche Texte und Themen den Weltgebetstag aus Ägypten bestimmen sollten, standen Menschen, auch viele Frauen, auf dem Tahrir in Kairo und schrien ihre Sehnsucht lautstark heraus. Sprachen von ihrem Durst nach Leben. Leben, das mehr ist als Über-Leben.
Am Anfang war der Durst. Auch schon in biblischen Zeiten. "Gib mir zu trinken!" sagt Jesus zu der Frau am Brunnen. (Er sitzt da mit leeren Händen.) Das Wasser - viel zu tief unten. Ihm fehlt ein Krug zum Schöpfen. Die Frau hat einen. Er spricht sie also an – obwohl man das nicht macht: nicht ein Mann eine Frau, schon gar nicht ein Jude eine Samariterin. Denn Juden und Samaritaner – diese beiden benachbarten Volksgruppen – waren sich spinnefeind. Aber: Wer wirklich Durst hat, fragt nicht nach Freund und Feind. Jesus bittet die Frau um Wasser und dann bietet er ihr Wasser:
Sie missversteht ihn. Lebendiges Wasser – das scheint ihr als eine Art Wunderwasser, das von alleine immer weiter sprudelt und das ihr die Arbeit, den täglichen Gang zum Brunnen, erspart. So nicht, sagt Jesus. So kommt man nicht ans lebendige Wasser. Der Brunnen ist tief, da muss man sich weit beugen. Wer sich über den Brunnen beugt, der sieht nicht nur das Wasser, der sieht auch sich selbst. Im Hebräischen – und auch im Ägyptischen – ist das Wort für Brunnen und Auge das gleiche.
Das Wasser eines Brunnens ist wie ein Spiegel, ein Auge der Erde. Dieses Auge sieht dich und du siehst dich in diesem Auge. Um an das lebendige Wasser zu kommen, muss die Samariterin sich selbst ins Auge blicken. Daher dieser seltsame Themenwechsel mitten im Gespräch. Eben noch reden sie über Wasser und plötzlich dreht sich alles um die Männergeschichten der Frau. Es ist ihre Lebensgeschichte und zeigt -: ihre Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe, nach gelungener Beziehung. Jesus sagt, wie es ist: du hast fünf Männer gehabt und der sechste ist gar nicht dein Mann – und zeigt ihr damit: "Ich sehe dich, ich sehe dich an. Du hast An-sehen, du hast in meinen Augen Würde." Deswegen kann die Frau ihre Sehnsucht erkennen und anerkennen.
Unser Durst, unsere Sehnsucht verrät uns, wer wir sind. Das sehen wir besonders gut, in der Begegnung mit anderen, mit Fremden. Ich habe mich selbst in Ägypten, als Ausländerin, als Fremde, noch einmal völlig anders kennen gelernt. Wenn ich z.B. zwischen zwei Terminen in einem Café saß und eine halbe Stunde auf einen ganz normalen Kaffee warten musste, obwohl fünf Kellner für drei Gäste zuständig waren, dann riss mir der Geduldsfaden – und ich traf auf völliges Unverständnis bei den Kellnern. Dann sah ich mich durch ihre Augen: eine reiche Frau, die sich diesen Cafébesuch leisten und doch diese halbe Stunde in Ruhe nicht genießen kann. Wieso nicht?
Ich habe die Gelassenheit der Menschen dort genossen – und selbst schnell die Grenzen meiner Gelassenheit gespürt. Mich in den Augen der anderen zu spiegeln – das kann mich verändern. Auch die Frau am Brunnen ändert sich. Sie wird mutig. Sie ahnt: Dieser Fremde ist meine Chance. Er zeigt mir, wie ich bin. Vielleicht kann er mir auch zeigen, wie Gott ist. Und so stellt sie die Fragen aller Fragen: Wie glaube ich richtig? So wie die Samaritaner oder wie die Juden?
Entweder – oder, richtig oder falsch, wir oder ihr – dazwischen gibt es nichts. Einer muss ins Unrecht gesetzt werden. Aber Jesus lässt sich auf das Entweder - Oder nicht ein. Gott lässt sich nicht festlegen auf ein Hier oder Da, euer Gott oder unser Gott. Gott der Christen oder Gott der Muslime. Gott ist frei, frei auch über Grenzen zu gehen, so wie Jesus, als er nach Samarien ins Feindesland reist. Gott taucht dort auf, wo man ihn nicht erwartet. Hier und jetzt an diesem Brunnen begegnet die samaritanische Frau Gott. Gott ist Geist, und der Geist weht, wo er will.
Das erlebt die Frau. Jesus doziert nicht über das lebendige Wasser, er lässt sie trinken. Sie trinkt seine Zuwendung und Anerkennung. Ihr Durst ist gestillt. Und wir – wo bleiben wir heute mit unserer Sehnsucht? Was ist mit der Sehnsucht der Ägypterinnen, was mit unserer? Ich habe in Ägypten – gerade in den Tagen und Wochen nach der Revolution – manches aufblühen sehen. Vorher gab es viele Tabus, Themen, über die einfach nicht geredet wurde – und ich hätte nie gewagt, meine ägyptischen Freunde darauf anzusprechen. Politik, z.B. war so ein Thema. Und plötzlich, 2011, habe ich lebhafte Diskussionen genau darüber miterlebt. Da standen Mütter und Väter mit mir auf dem Schulhof und während wir auf unsere Kinder warteten, wurden hitzige politische Debatten geführt. Direkt vor der Präsidentschaftswahl z.B. "Wen sollen wir wählen Mursi oder Schafik? Eigentlich keinen von beiden. Wir wollen nicht die Muslimbrüder und auch nicht das alte Regime", sagten die einen. "Aber wir haben wenigstens eine Wahl" – sagten die anderen, "das ist mehr als wir jemals zu träumen gewagt haben."
Natürlich sind schon wieder viele Träume ausgeträumt. Christen und Christinnen haben es schwer in Ägypten. Aber manches wächst auch langsam. Wenn mein Mann und ich zu unserer Partnerkirche, der koptischevangelischen Kirche eingeladen waren, dann sollte oft ich vorne sprechen – und zwar unbedingt in Amtskleidung, damit ich als Geistliche erkennbar war. Eine Pfarrerin eben. Pfarrerinnen gibt es in der evangelischen Kirche in Ägypten nicht – noch nicht. Aber Frauen in der koptisch-evangelischen Kirche werden stärker, - vielleicht sogar bald Geistliche. - Das finde ich ein erstaunliches Zeichen.
Am Anfang war der Durst. Die Frau am Brunnen hat gezeigt, wie es geht: Aus dem vollen Schöpfen. Sie macht uns Mut, dem Fremden zu begegnen. Nur so können wir Dinge auch mal anders sehen. Mit anderen Augen. Vielleicht auch uns selbst anders sehen. Das können wir nicht, wenn wir allein bleiben. Auch nicht, wenn wir nur unter Gleichgesinnten bleiben. Der Weltgebetstag lädt ein, einer fremden Kultur zu begegnen. Auch einer fremden christlichen Kultur. Wenn ich in Kairo mit deutschen Konfirmandinnen und Konfirmanden einen orthodoxen Gottesdienst besucht habe – dann war ihnen das völlig fremd. Der viele Weihrauch, -Melodien, die –ganz anders klingen. Für manche war das –ungewohnter als der Besuch einer Moschee. Und doch ist es unser gemeinsamer Glaube an Jesus Christus, der da besungen wird.
So können wir lernen, die Welt, den Glauben – auch uns selbst anders zu sehen. Was ich brauche, um meine Sehnsucht zu stillen, das kann ich mir selbst nicht geben – dazu brauche ich ein Gegenüber. Der Brunnen ist schon immer ein Ort der Begegnung gewesen. Nur in der Begegnung kann unsere Sehnsucht gestillt werden – in der Begegnung mit anderen, mit mir selbst und mit Gott.
Was trocken ist, blüht auf. Das sind immer nur Momente – nie ein Zustand. Wer keinen Hunger hat, ist satt, wer keinen Durst hat ist – ja was? Die deutsche Sprache hat kein Wort dafür. Das passt. Unsere Sehnsucht wird nie auf Dauer gestillt sein, und das ist auch gut so. Die Sehnsucht wach halten, heißt auch die Sehnsucht nach dem anderen wach halten. Und nach Gott. Uns immer wieder aufmachen, an den Brunnen setzen und sehen, wer dort auf uns wartet.
Amen.