Das letzte Ma(h)l - Predigt zu Markus 14,17-26 von Stephanie Höhner

Das letzte Ma(h)l - Predigt zu Markus 14,17-26 von Stephanie Höhner
14,17-26

wieder einma(h)l…

Das Fladenbrot knackt knusprig im Ofen. Der Weißwein ist kaltgestellt. Auf dem Tisch Schälchen mit Hummus, Joghurt, Oliven. Dazu Chips und Weingummi – alles da für einen langen Abend.
Ich zünde die Kerzen an. Im Hintergrund läuft meine Lieblingsband: Alternativ-Rock – noch leise. Es wird an diesem Abend lauter werden.
Es ist mein letzter Freitagabend in Heidelberg. Nach drei Jahren Studium dort heißt es mal wieder: Abschiednehmen. Mal wieder Kisten packen. Mal wieder ein letztes Mal im Lieblingscafé, ein letztes Mal auf die Tram Nummer fünf warten. Ein letztes Mal beim Bäcker nebenan die Brezen kaufen.
Ich kenne das schon, diese letzten Male. Es gab schon einige davon. Und obwohl ich erlebt habe, dass es danach weiter geht, habe ich immer wieder Angst davor. Ein dumpfer Schmerz im Bauch – der bleibt auch an diesem Abend bis zum Schluss.
Es war ein langer Abend. Die Schälchen sind leer, die leeren Weinflaschen stehen auf dem Tisch, die Kerzen sind abgebrannt.
Wir haben uns Geschichten erzählt, als ob wir schon uralt wären. Wir haben viel gelacht, über die Trinkregeln in der Bibliothek, über Sturzregen bei der Fahrradtour und Semesterpartys. Es kam uns vor wie im Rausch. Ein Leben im Rausch.
Ich bringe meine letzten Gäste zur Tür. Wir umarmen uns ein letztes Mal. Morgen werde ich die letzten Kisten packen, Sonntag den Mietwagen abholen. Und dann ist es vorbei, mein Leben hier in Heidelberg. Ein Leben nicht immer im Rausch, aber manchmal.
Was davon bleibt: Erinnerungen, gemeinsame Erlebnisse, feiern und lernen. Und gute Freunde.
Abends an der Tür ist der dumpfe Schmerz im Bauch wieder stärker.

 

das letzte ma(h)l

Das Fladenbrot duftet. Als er es bricht, knackt es knusprig. Es ist noch warm. Sie reichen sich Hummus, Oliven und Joghurt in kleinen Schälchen weiter. Alle tauchen ihr Brot ein. Es schmeckt wunderbar.
Doch etwas ist anders als sonst. Er wirkt so ernst und angespannt. Sonst ist er beim Abendessen immer ausgelassen, genießt die Köstlichkeiten, die man ihm bereitstellt. Lacht und schwatzt mit ihnen.
Aber heute ist etwas anders. Hanna spürt es. Das macht sie unruhig. Und auch bei den anderen merkt sie eine Veränderung. Auch sie wirken angespannt.
Und dann nimmt er das Brot, dankt, bricht es und gibt es ihnen und sagt: „Das ist mein Leib.“
Die Gespräche verstummen. Hanna stellt ihren Becher ab. Sie versteht nicht, was das bedeuten soll.
Er reicht das Brot weiter, sie nehmen alle davon. Es knuspert bei jedem Brechen. Lauwarm liegt es in der Hand. Der Duft steigt in die Nase – eigentlich ein wohliges Gefühl. Es schmeckt köstlich. Doch da liegt dieser Satz in der Luft: „Das ist mein Leib.“
Sie erzählen von früher. Was sie schon alles zusammen erlebt haben. Hanna war nicht immer dabei, aber an ein paar Geschichten kann sie sich erinnern.
Als die Schüsseln leer sind und das Brot aufgegessen, nimmt er den großen Weinkelch, den besonders schönen mit den türkis-gelben Ornamenten. Er dankt, gibt ihn in die Runde und sie trinken alle daraus. Auch Hanna. Der Kelch ist schwer, liegt sperrig in der Hand mit seiner rauen Oberfläche. Der Wein ist süß und kühl. Sie möchte weiter trinken, aber Judas neben ihr möchte auch einen Schluck. Sie reicht den Kelch weiter. Jeder möchte daraus trinken.

 

das allerletzte mal…

Ihr Bett steht jetzt im Wohnzimmer. Daneben der Esstisch und Stühle. Wenn einer fehlt, wird ein alter Klappstuhl aus dem Keller dazu geholt. Immer ist jemand da. Freunde und Nachbarn. Sie liegt in ihrem Bett, die Augen nur wenig geöffnet. Sprechen kann sie nicht mehr. Aber jeder spürt: Sie ist dabei. Ihre Töchter sorgen für frischen Kaffee, ihr Mann legt Kekse nach. Und hält ihre Hand. Ihr letzter Halt.
An der Tür sind die Blicke noch scheu, verlegen, manchmal ängstlich. Es ist hier sehr still. Doch sobald sie das Wohnzimmer betreten, spüren sie Leben. Es duftet nach Kaffee und manchmal läuft auch Musik, leise im Hintergrund. Sie sitzen um ihr Bett, erzählen von früher oder vom Einkauf gerade im Supermarkt. Von der Hochzeit vor über dreißig Jahren, die Nachbarin den neusten Dorftratsch.
Sie hört uns zu, schwelgt in Erinnerungen wie wir und vielleicht muss sie auch mal schmunzeln.
Beim Abschied weiß jeder, dass es das letzte mal sein wird. Das allerletzte mal. Der Blick besonders tief, das Händedrücken besonders lang. Ein letztes mal. Ein allerletztes Mal.

 

das letzte Ma(h)l zusammen…

Als auch der Kelch leer ist, steht er auf. Er will noch einmal raus, beten auf dem Ölberg. Seine engsten Freunde gehen mit.
Hanna bleibt zurück am Tisch. Leere Teller und Becher. Sie blickt zur Tür. Ein letztes Mal sieht sie seinen Rücken, dann ist er gegangen. Ihr schwirrt der Kopf. Vielleicht vom Wein, vielleicht von seinen Worten. „Ich werde nicht mehr trinken vom Gewächs des Weinstock bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.“
Es gibt also ein neues mal. Ein neues Mahl. Noch ist es nicht so weit.

 

was bleibt…

Als ich eine Woche später die Kisten in meiner neuen Wohnung in Münster auspacke, sind auch die Abschiedsgeschenke aus Heidelberg dabei. Und sofort sind die Bilder wieder da: vom letzten Abend mit meinen Freunden, von meinem Lieblingscafé und der Bibliothek. Ich höre unser Lachen und rieche das Fladenbrot. Ich bin froh, den Abschied gefeiert zu habe, auch wenn der dumpfe Schmerz im Bauch dabei war. Was bleibt: die Erinnerung – ein schönes Gefühl. Im neuen Zuhause und in mir lebt etwas von Heidelberg weiter.

Die Töchter und ihr Ehemann sitzen jetzt nur noch zu dritt am Esstisch. Ihr Bett ist abgeholt. Sie fehlt ihnen. Ein Schmerz legt sich über sie und den Raum. Daneben aber sind die Bilder der letzten Tagen: wie sie zusammen gelacht haben, wie sie noch einmal gesungen haben, wie sie erzählt haben. Das Haus war voller Leben. Trotz Abschied. Oder gerade deswegen. Sie sind froh, dass sie diese Tage zusammen erlebt haben.
Für die Familie und die Freunde war es ein allerletztes Mal hier, in dieser Welt. Von ihr bleiben die Erinnerungen, das Gefühl, bis zum Schluss bei ihr gewesen zu sein. Das tröstet sie.
Und es bleibt die Hoffnung auf ´s Neue. Jenseits dieser Welt. Auf ein neues Mal.

Hanna hat ihn nicht mehr wieder gesehen. Ihr letzter Blick auf seinen Rücken und seine Worte im Ohr – das ist ihr geblieben. Und die Erinnerung an das letzte Mahl.
Sie holt das frische Fladenbrot aus dem Ofen. Warm liegt es in ihrer Hand. Der Duft steigt in die Nase – ein wohliges Gefühl. Als sie es bricht, knuspert es. Hanna hat die Bilder vom letzten Ma(h)l vor Augen und seine Worte im Ohr: „Das ist mein Leib.“ „Das ist mein Blut des Bundes.“ „Ich werde von Neuem davon trinken im Reich Gottes.“
Es gibt also ein neues Mal. Ein neues Mahl. Nach dem Abschied. Noch ist es nicht so weit.

Perikope
13.04.2017
14,17-26

Verschwenderische Liebe - Predigt zu Markus 14,3-9 von Christiane Quincke

Verschwenderische Liebe - Predigt zu Markus 14,3-9 von Christiane Quincke
14,3-9

I.
Verschwenderische Liebe.
Die Scherben liegen noch auf dem Boden. Dazwischen die Reste vom Fisch und Brotkrümel. Überall Tropfen von Nardenöl. Sie schimmern und duften. Ein schwerer Geruch und zugleich ganz leicht. Vermischt sich mit dem Fisch und dem Wein und dem Schweiß.
In den Wandteppichen hängen noch die Stimmen, die zornigen und die lauten, die leisen und die sanften auch.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf. Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab und verteilt es auf seiner Haut. Da wo die Narben besonders dick sind und weh tun. Er lächelt, als er an die Frau denkt.

II. Markus 14,3-9
Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl,und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

III.
Simon, der Aussätzige, berührt seine Narben. Der Geruch vom Nardenöl erfüllt noch den Raum. Und er hofft, dass er möglichst lange da bleibt. Denn er tut seinen Narben gut, auch den Narben auf seiner Seele. Es war mutig von der Frau, einfach so hineinzutreten in die Männerrunde. Simon kannte sie nicht und die anderen kannten sie auch nicht. Aber als sie eintrat, verstummten sie auf einmal. Was will sie hier? Merkt sie nicht, dass sie stört? Und alle Blicke waren auf sie gerichtet. Sie wusste, was sie wollte - wohin sie wollte. Keiner traute sich, sie aufzuhalten. Sie sprach kein Wort. Nur das Zerbrechen des Öl-Gefäßes war zu hören. Und der Duft verströmte sich.

IV.
Liebe ist verschwenderisch.
Der liebende Duft.
Duftende Berührung.
Alles ganz nah.
Mit ungewisser Zukunft.
Die Frau trat zu ihm. Sie, die Unbekannte, die Liebende.
Sie salbt ihn, Jesus, zum König. Wie einst Samuel den David salbte.
Jesus, der Gesalbte, der Messias, der König. Der auf einem Esel in Jerusalem einzog. Er war gefeiert und bejubelt worden. Hatte berührt und wurde berührt.
Im Tempel trat er sehr unköniglich aber handfest auf.
Die arme Witwe bewunderte er.
Er ließ sich von der blutflüssigen Frau anfassen.
Die todgeweihte Tochter des Jairus nahm er an die Hand.
Der Gesalbte. Der verschwenderisch Liebende.

V.
Seine Verschwendung ist anstößig.
Was bringt die Rettung der kleinen Tochter von Jairus für die Toten der Welt?
Und das kleine Opfer der Witwe, wenn der Reiche nichts gibt? Wo bleibt der Ertrag?
Und seine Verschwendung wird noch anstößiger. Er setzt sich aus. Setzt sein Leben aus. Verschwendet seine Liebe an Menschen, die ihn töten wollen und dies auch tun. Er verhandelt nicht mit den Obersten, er erreicht keinen Kompromiss.
Stattdessen teilt er Brot und Wein mit seinen Freunden und Freundinnen.
Er hätte doch auch einen Pakt mit Pilatus schließen können, ihm vormachen können, dass keine Gefahr von ihm ausgeht. Vielleicht hätte Pilatus ihn nicht gekreuzigt und Jesus hätte noch mehr Menschen erreicht. Vielleicht?
Aber stattdessen geht er ans Kreuz mit seiner verschwenderischen Liebe. Verströmt sie an die neben ihm. Und wird sterben - mit ihr.

VI.
Liebe ist verschwenderisch.
Kostbares Öl auf seinem Kopf. Öl, das man hätte gut verkaufen können. Es macht ihn zum Gesalbten. Zum König. Zum Sterbenden.
Als Sterbender bleibt er der Gesalbte, der König.
Der wahre König muss seine Liebe verschwenden. Er kann sie nicht für sich behalten und nutzbringend einsetzen.
So wie das Öl von seinen Haaren tropfen muss und sich auf dem Boden verteilt. Tropfen bildet. Scherben hinterlässt. Und die anderen verstört.
Die Frau, die Namenlose, kümmert sich nicht darum. Sie tut, was ansteht. Nimmt vorweg, was kommen wird. Sie zeigt, wer Jesus ist. Der Gesalbte. Der verschwenderisch Liebende.

VII.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf. Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab und verteilt es auf seiner Haut. Da wo die Narben besonders dick sind und wehtun. Er lächelt, als er an die Frau denkt.
Liebe strömt den Kopf hinab und tropft auf den Boden. Sie bringt eine dampfende Hühnersuppe für die erkältete Pfarrerin. Stundenlang hat sie sie gekocht für die Kranke.
Verschwenderische Liebe fährt 600 Kilometer durch die Bundesrepublik, um dabei zu sein, wenn die Tochter ihr Abschlusszeugnis bekommt.
Sie demonstriert in Stuttgart gegen die Abschiebungen nach Afghanistan und spricht stundenlang mit einem, der nur noch im völkischen Denken das Heil für die Zukunft sieht.
Sie betet für dich und umarmt dich, wenn du selber keine Kraft hast zum Lieben.
Liebe ist so verschwenderisch, dass ihre Tropfen noch reichen für deine Narben, die auf der Haut und auf der Seele. Ihr Duft vermischt sich mit den Gerüchen deines Lebens.
Verschwenderisch bis zum Tod.

Perikope
09.04.2017
14,3-9

Eine Geschichte, die duftet - Predigt zu Markus 14,3-9 von Henning Kiene

Eine Geschichte, die duftet - Predigt zu Markus 14,3-9 von Henning Kiene
14,3-9

Es gibt Momente im Leben, da könnte alles zusammenpassen. Die richtigen Menschen sind eingeladen, sie kommen am passenden Ort zusammen, es gibt genug Stoff für Gespräche und gutes Essen brutzelt auf dem Herd. Gleich geht es los. Da liegt die Atmosphäre eines guten Abends in der Luft.

Ein schöner Abend ist wie ein Urlaub, er bleibt aber immer auch ein Geschenk. Ein Essen unter Freunden kann man planen. Unverfügbar ist das Flair von Festen und Feiern. Auch das, was zwischen dem Palmsonntag und dem Osterwochenende passiert, ist schwer vorauszuplanen. Unsere Großeltern sprachen von der „Stillen Woche“. Tod und Auferstehung, Angst und Mut, Verzagen und Hoffen, die Suche nach Gott und dieses Staunen über neue Entdeckungen passen in diese Woche von Palmarum bis Ostern. Alles könnte sich gut zusammenfügen.
Könnte, tut es nicht so schnell. Noch ist alles am Anfang.

 

Die Tür am Eingang fliegt auf. Eine Frau tritt ein. Alle Blicke richten sich auf sie „Kennst du die?“, flüstert jemand. „Nein, du? Kennst du sie?“, die Rückfrage ist kaum zu überhören. Jedes geflüsterte Wort wird von der Stille verstärkt. Keiner erwartet eine Frau. Niemand kennt diese Frau. Alle Augen folgen ihr. Sie durchquert den Raum. Merkt die denn nicht, dass sie stört? Ihr Schritt ist fest und sicher. Eine Unbekannte in einer Männerrunde, „mutig“, raunt einer, „hier so einfach reinzukommen.“ „Die stört uns“, jeder kann das spüren. Das müsste diese Frau doch selber merken.

 

Es gibt Momente im Leben, da läuft etwas anders, als ursprünglich gedacht. Stellen Sie sich vor: Wir feiern Gottesdienst, die Tür geht auf, jemand geht mit sicherem Schritt durch den Mittelgang, mitten durch unsere Kirche, in Richtung Altar. Der Atem stockt. „Was tun?“ Panik, Unruhe, „Stopp“, will jemand rufen. Tut nur niemand. Vor Schreck erstarrt sitzen alle da. Was passiert nun?

 

Auf dem Tisch dampft das heiße Essen aus den Schüsseln. Alle haben sich genommen. Die Teller sind gefüllt. Jemand setzt die Weinkaraffe mit einem lauten Geräusch auf der Tischplatte ab. Das Gespräch, eben noch in vollem Gang, ist stecken geblieben. Selbst das laute Lachen, das aus der hinteren Ecke kam und durch den ganzen Raum drang, ist wie abgeschnitten. Alle Augen blicken in dieselbe Richtung, folgen der Frau.

Jede solcher Störungen gleicht der anderen. Die einen finden so etwas spannend. Wie geht es nun weiter? Andere sehen betroffen zu Boden. Schade um all die Mühe, die hier aufgewendet wurde. Viele sind enttäuscht: Das hätte ein gutes Fest werden können. Nun kommt es anders. Schade für die Gastgeber, keine gute Sache.

In diesen wenigen Motiven tauchen Erinnerungen an Vergleichbares auf. Andere Geschichten melden sich als Erinnerung an: Irritation, Störung, Überraschung, Spannung. Wie löst sich so ein Moment auf, wie geht es weiter?

Die Frau, niemand weiß ihren Namen, unterbricht die Männerrunde. „Unerhört,“ meint eine tiefe Männerstimme. Dieser Moment zeichnet etwas vom Evangelium vor: In der gleichen Weise, in der diese Frau in die Männergesellschaft hineinplatzt, unterbricht die Bibel manch routinierten Ablauf. Er platzt in diese Welt voller Tod hinein und lässt sich nicht zum Schweigen bringen.

Kaum jemand kann die Bilder von den Kindern in Aleppo ertragen, diese angsterfüllten Augen machen stumm. Jetzt lassen sich auch die Leichen nicht mehr ausblenden, die in St. Petersburg auf dem U-Bahnsteig lagen. Und doch beginnt der Frühling, üppig ist er, Hoffnung will sich ausbreiten. Das Erschrecken wächst, besetzt tiefer liegende Schichten, greift die Seele an. Angst macht Wortkarg. Angst verzögert die Reaktion. Die Gespräche, die sich eben leichtzüngig an der Oberfläche bewegten, verstummen. Auch in den Gedanken ziehen dunkle Bilder auf.

„Nicht unterkriegen lassen“, denkt jemand.

Wenn sich Leid meldet, erhebt sich an anderer Stelle eine Stimme, die behutsam von Gott spricht. Häufig stellt sie zart die Frage „Warum?“ und unterbricht die Stille. Jemand singt leise „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ und beginnt zu beten. Das klingt wie die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach, sie fleht leise: „Herr“, „Herr,“ „Herr“. Wie eine Erwartung, die lauter wird und immer drängender sucht und fragt. Gott ist nicht mal eben vergessen. Es gibt eine Suche, die bleibt lange Zeit vage. Die kennt seinen Namen noch nicht. Wer weiß schon, dass es Gott ist, der in dem Fragen und Suchen umkreist wird? Wer die losen Enden, die herumliegen, wieder zusammen bekommen will, sollte sich nicht zu schnell mit irgendwelchen Thesen zu Frieden geben. Wer etwas glauben möchte, hofft auf Trost. Wenn von dem christlichen Glauben eine erste Botschaft ausgeht, die tief in die Menschenseele hineinwirkt, dann ist es die Hoffnung, die die Bibel formuliert. An Hoffnung herrscht kein Mangel. Hoffnung gibt es nur im Überfluss. Ihr folgen die Blicke der Menschen, die sich nicht als Christinnen und Christen bezeichnen. Wohin die Hoffnung wohl geht? Es ist spannend, ob sie wirkt.

 

Das Essen auf dem Tisch kühlt immer weiter ab. In einer Weinkaraffe surrt eine Fliege. Die Männer ziehen die Luft schnuppernd durch die Nase. „Nardenöl“, sagt einer der Männer,

„Teuer“, fügt er an. Staunen, Überraschung, eine Wohltat für alle, der Duft hat etwas Beruhigendes, das spüren sie. „Extrem teuer“, sagt einer laut, „zu wertvoll, alles auf einmal auszuschütten“, „eine Schubkarre voller Geld. Schade, soviel Geld wegzuwerfen.“ Die Stimmung beginnt zu kippen. „Das verdient hier niemand!“, es wird lauter. Ein Keil droht die Runde auseinandertreiben.

Wenn die Stimmung umschlagen könnte, dann verabschieden sich die ersten Gäste ganz schnell, „Ich muss nun schon nach Hause. Danke und tschüss.“ Sie nennen noch irgendwelche Gründe und schon fällt die Tür ins Schloss. Doch noch blieben alle sitzen auf ihren Plätzen, starren auf die Frau, wollen wissen, wie es weitergeht. Ist schließlich auch interessant: Eben wurde noch gejubelt, jetzt ist der Grund zum Jubel schon vergessen. Gerade war er noch ein Superstar, bald ist er ein No-Name. Das „Hosianna“, das die Leute anstimmen, hat einen ungleichen Bruder, der heißt „Kreuzige ihn“.

Es dauert weniger als eine Minute und der süße, voll aromatische Duft erfüllt den letzten Winkel des Raums. Der Duft verdrängt das Gemisch aus Küchenduft, frischem Wein und leichten Gesprächen. Er ist so würzig, dass den Kopfschüttlern und denjenigen, die noch länger von Geldverschwendung reden wollen, die Freude am Sticheln vergeht. Ihr Nörgelkonzept gerät aus dem Takt, der Duft, diese plötzliche Fülle an Zuwendung, schiebt sich über ihre miese Stimmung. Es zieht eine Erkenntnis auf, die sagt: Gott scheut die Verschwendung nicht. Das würde sie auch betreffen. Ein Überschwang an Hoffnung ist mehr, als sie je erwartet hätten. So kühn wie die Frau erreicht der Glaube sein Ziel.

Dieses Nardenöl bringt in Erinnerung: Wird das Fläschchen mit dem Öl erst einmal geöffnet, breitet der Duft sich unwiderruflich aus. Ist die Hoffnung erst einmal aktiviert, dann ist die Suche nach einem Erlebnis mit Gott nicht mehr zu bremsen. Das allein schöpft schon aus einer ungeahnten Fülle. Der Gott, für den Jesus steht, spart nicht. Er verschwendet sich. Grundlos aus der Sicht der Menschen, denen er begegnet, im Überfluss, für den er auch kritisiert wird.

Gott ist ein anderes Wort für Großzügigkeit. Er verschwendet sich schon in dem Moment, bevor jemand nach ihm fragt. Vielleicht liegt allein in der Suche nach Gott ein erstes, vorläufiges Finden. Wie so ein Nardenöl: Den Duft Gottes bekommt man, ist er erst einmal freigesetzt, aus dem Leben nicht mehr heraus. Er erinnert an diesen Überschwang, bleibt ein Zeichen und weist über den Moment hinaus.

Die, die eben noch hofften, diese Störung ginge bald vorüber, die gerne wieder von dem Essen genommen hätten, - schade, die großen Schüsseln sind jetzt wirklich nicht warm - merken, dass hier etwas anders läuft. Sie atmen tief durch. Nehmen den üppigen, süßen Duft in sich auf, lassen die dunkle Duftnote auf die Sinne wirken und spüren: Diese Verschwendung gilt ihnen. Das stand nicht auf ihrem Plan für diesen Abend.

In Ihren Taschen, das wissen sie, tragen sie Geld mit sich, nicht viel, aber es ist genug. Einige bilden sich ein, das Gewicht der Münzen, die sie eingesteckt hatten, zu spüren. Sie denken an die Armen, die sie kennen. Sie meinen, dass sie nun wüssten, für wen man einige dieser Münzen gut anlegen könnte.

 

Perikope
09.04.2017
14,3-9

Konfi Impuls zu Palmsonntag

Konfi Impuls zu Palmsonntag
14,3-9

Zur Bearbeitung der Geschichte der Salbung in Betanien setze ich bei den drei Leidensankündigungen Jesu an und frage die Konfirmandinnen und Konfirmanden, was die Jünger ihrer Meinung nach wohl darüber gedacht haben. Woher weiß Jesus das? Warum sagt er das? Ist er verrückt? Er wird doch einen Ausweg finden? Als Gefühle benennen sie Angst, Trauer, Hilflosigkeit, Orientierungslosigkeit. Umstritten ist die Frage, ob die Jünger wohl verstanden haben, was Jesus ihnen sagte. Am Anfang nicht, aber dann nach der Wiederholung schon. Und: Manche blicken’s halt und andere nicht – eine jugendliche Zusammenfassung des markinischen Messiasgeheimnisses?

 

In Anlehnung an die Methode des Bibliologes erkunden wir gemeinsam den Text und vermuten dabei unter den Gästen des Simon auch ein paar von den Jüngern. Immer wieder unterbrechen wir die Lektüre und versetzen uns in verschiedene Personen hinein:

Wie fühlt sich Simon, als Jesus in seinem Haus zu Gast ist?  

Was denkt die Frau, als sie Jesus das Salböl über den Kopf gießt?  

Wie ist das für die arme Magd im Haus von Simon, diese Verschwendung mitzuerleben?  

Wie hört die Frau es, dass Jesus die Gäste zurechtweist und sie dagegen lobt; aber auch, dass sie ihn für ein Begräbnis gesalbt haben soll?


Immer wieder blitzen aus den Antworten der Neid und die Unsicherheit auf:
Neid auf die Frau, weil sie die Aufmerksamkeit von Jesus auf sich zieht und ihn so den anderen wegnimmt. Was erlaubt sie sich? Wieso darf sie das? Die Zeit mit ihm ist doch kostbar!

Neid steckt auch hinter der Frage: Warum bin ich nicht auf die Idee gekommen?

Hinter dem Zorn der Gäste gegen die Frau mit dem Salböl vermuten die Jugendlichen Unsicherheit: Warum macht sie das? Nimmt sie ihn uns weg? Warum lässt Jesus das zu? Ihm ist doch sonst so wichtig, dass man den Armen etwas gibt – und jetzt findet er eine solche Verschwendung gut? Was gilt denn nun?
Im Hintergrund klingen Erfahrungen der Jugendlichen an von Gruppen, die auseinanderbrechen, wenn ihre Identifikationsfigur nicht mehr da ist: Was passiert, wenn unser Anführer weg ist? Was wird dann aus uns?

 

Ist es denn nun Verschwendung oder nicht? Diese Frage ist für die Jugendlichen eigentlich nicht so wichtig. Zwei Schlussfolgerungen ziehen sie: Es ist nicht nur gut, den Armen etwas zu spenden, sondern auch den Menschen um einen herum (großzügig) seine Liebe zu zeigen. Und: Manchmal ist es gut, Dinge zu tun, die sich nicht „rechnen“. Bemerkenswerterweise fällt einem von ihnen dazu ein Beispiel aus der Kommunalpolitik ein: Wie beim neuen Eislinger Rathaus. Da haben auch viele gefragt: Muss das denn sein, dass es so teuer ist? Ist das nicht Verschwendung? Aber jetzt ist es da und alle finden es gut, dass die Stadt eine neue Mitte hat. Es ist halt mehr als nur ein Rathaus.

 

Miriam Guillet, Pfarrerin, Christuskirche Eislingen-Ottenbach

mit Gwendolin, Nina, Max und Maximilian

Perikope
09.04.2017
14,3-9

Konfi-Impuls zu Markus 12,41-44

Konfi-Impuls zu Markus 12,41-44
12,41-44

Konfi-Impuls zum Sonntag Okuli: Markus 12,41-44

Es geht an diesem Sonntag der „Augen“ um das Sehen, das Wahrnehmen. Dazu gehört das Sehen auf Gott ebenso wie die sensible Wahrnehmung meines Mitmenschen. Genau das tut Jesus in dieser Szene im Tempel. Die Witwe gibt von außen betrachtet wenig, aber im Horizont ihres „Vermögens“ gesehen sehr viel – nämlich ihr ganzes Leben (Mk 12,44).

Daraus könnte sich folgende Möglichkeit zur Vorbereitung des Gottesdienstes in der Konfirmanden-Gruppe ergeben:
Gemeinsam wird überlegt: Wen bewundere ich? Warum gerade diese Person? Vermutlich werden zuerst Stars genannt und die „kirchlichen Heiligen“ aus dem Religionsunterricht, von denen Konfirmanden*innen annehmen, dass Pfarrer*innen davon gerne hören. Vielleicht kommen schon hier Menschen zur Sprache, die nicht im Rampenlicht stehen (Eltern und Großeltern, Schulhausmeister oder Busfahrerin mit offenem Ohr für Jugendliche …). Wenn solche Personen in dieser Gesprächsphase noch nicht erwähnt werden, kann man in einer zweiten Runde gezielt danach fragen: Gibt es auch Menschen, die keine Stars sind und die trotzdem Wichtiges tun? Aus den Beiträgen der Konfirmanden*innen wird für den Gottesdienst eine Präsentation erstellt, die zur biblischen Geschichte hinführt. Am Ende der Predigt steht ein Beitrag der Konfirmanden-Gruppe: „Auf diese Menschen möchte ich achten …“.

Eine weitere Möglichkeit, die Perikope in den Kontext der Konfirmandenarbeit einzubringen, wäre: Jesus richtet seinen Blick auf eine Frau, die am Rande des gottesdienstlichen Geschehens steht. Oft fühlen sich auch Konfis so, als ob sie nicht „richtig“ dazugehören. Das erkennt man häufig an ihren Sitzplätzen in der Kirche, aber auch an anderen „Abständen“ zur Gottesdienstgemeinde. Dabei bringen sie sich an vielen Punkten im Konfirmanden-Jahr in das Leben der Gemeinde ein - trotz des engen Zeitkorsetts, in das viele von ihnen eingezwängt sind. Das wird aber meist von Kirchengemeinderat und der sog. „Kerngemeinde“ für selbstverständlich genommen (oft habe ich von Kirchengemeinderäten den Satz gehört: „Bei uns haben die Konfirmanden schon immer den Gemeindebrief verteilt, die Kirche geputzt, beim Seniorennachmittag Kaffee ausgeschenkt  …“). Der Predigttext könnte dazu anregen, diese praktische Gemeindearbeit der Jugendlichen zu sehen und wertzuschätzen. Vielleicht durch eine Vorstellung ihrer Gemeindepraktika oder einfach durch ein Gespräch darüber im Kirchengemeinderat verbunden mit einem Dank im Konfirmationsgottesdienst. Hilfreich sind dabei die Denkwerkstattkarten des ejw (http://www.ejwue.de/arbeitsbereiche/ejw-denkwerkstatt/konfiarbeit) – insbesondere die „Einstiegskarte“ Nr. 5 (Seriennummer 6.1.6), die Konfis und die „übrige“ Gottesdienstgemeinde zeigt und das mit konkreten Impulsfragen verbindet.

 

Ulrich Erhardt, Evangelisches Pfarramt Niederstotzingen , ulrich.erhardt@elkw.de

 

Perikope
19.03.2017
12,41-44

Wer gibt, kann selig werden! – Predigt zu Markus 12,41-44 von Lucie Panzer

Wer gibt, kann selig werden! – Predigt zu Markus 12,41-44 von Lucie Panzer
12,41-44

Geben ist seliger als Nehmen! Mit dem Satz kann man sich motivieren, Gutes zu tun. Man kann damit sich und andere auch unter Druck setzen. Geben ist seliger als Nehmen! Wer gibt, ist besser als der, der nimmt. Also: Gib! Auf keinen Fall solltest du darauf angewiesen sein, zu nehmen.
Das Sprichwort kommt aus der Bibel. Jesus hat das gesagt und Paulus begründet damit, wie er sich verhält. In jeder Gemeinde, in die er als Missionar gekommen ist, hat er selber für seinen Lebensunterhalt gearbeitet. Niemand sollte ihm nachsagen, er hätte das nur für Geld getan und die anderen ausgenommen. Ich habe euch gegeben, was ich hatte, sagt er damit. Genommen habe ich nichts. Geben ist seliger als Nehmen!
Sind die also die besseren Menschen, die geben statt zu nehmen? Und die besten die, die am meisten geben? Die - so wie Paulus - sich aufopfern für die anderen und nichts dafür haben wollen? So könnte man das Sprichwort ja verstehen. Selig – fast schon ein Heiliger ist jeder und jede, die Opfer bringen. Erst recht, wenn es einem richtig schwer fällt, was man tut. Wenn man also nicht nur ein paar Euro irgendwo in einen Spendenkorb wirft, sondern so spendet, dass es richtig weh tut. Oder Aufgaben übernimmt, die sonst keiner machen will. Das macht selig. Selig klingt ja zunächst einmal, als ob man dafür in den Himmel kommt.
Generationen von Frauen haben sich damit schön geredet, dass sie alles für die Familie getan haben und sich aufgeopfert und kaum einen Dank dafür bekommen haben. Geben ist seliger als Nehmen! Ein Satz, mit dem man die Opferbereitschaft erhöhen und den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen kann. Denn wer möchte nicht gern als ein guter Mensch dastehen!

Ich glaube, Jesus sieht das anders. Er schaut genau hin. Es wird folgende Geschichte von ihm erzählt, sie könnte so etwas wie ein Kommentar sein zu diesem Sprichwort vom Geben und Nehmen.

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte. (Mk 12,41-44)

Zuerst einmal sieht Jesus die Reichen, die Wohlhabenden, würde ich lieber sagen. Bei den Reichen denkt man zu leicht bloß an die, die eine Yacht auf dem Mittelmeer haben, Millionen auf dem Konto und Wohnungen in St Moritz, Berlin, New York und Florida. Den Wohlhabenden also sieht Jesus zu. Die geben viel. Viele Wohlhabende geben viel. Das ist das erste, was Jesus sieht. Und das ist bis heute so. Gott sei Dank. Viele Wohlhabende engagieren sich großzügig als Stifter und Spender. Man muss da nicht nur an Bill Gates denken und an Mark Zuckerberg. Gut verdienende Fußballspieler stecken viel Geld in Projekte für bedürftige Kinder. Ein Fabrikant für Dübel und Schrauben errichtet eine Kunsthalle. In vielen Gemeinden gibt es Kirchenstiftungen, ohne die manche Gotteshäuser gar nicht erhalten werden könnten. Da kann man sich auch mit kleinen Beiträgen beteiligen.
Viele Wohlhabende engagieren sich für das Allgemeinwohl. Manchmal ganz im Stillen, aber oft steht es auch in der Zeitung, oder im Fernsehen wird darüber berichtet. Gutes tun ist gut für das Image. Und man kann es von der Steuer absetzen. Das ist überhaupt nicht ehrenrührig. Damals im Tempel war es genauso. Die Wohlhabenden sagten den Tempeldienern, was sie in die Opferstöcke einwarfen. Und das wurde dann laut ausgerufen. Tue Gutes und rede darüber. Warum nicht. Vielleicht spornt das andere an. 
Natürlich geben sie von ihrem Überfluss, die Wohlhabenden. Jesus weiß das und sieht das. Aber deshalb ist es ja nicht weniger wert! Vieles könnte nicht passieren ohne Fördervereine und Stiftungen, in denen sich Wohlhabende engagieren. Gut, dass es sie gibt, wahrscheinlich noch viel mehr, als öffentlich bekannt ist.
Für Jesus ist das anscheinend selbstverständlich, dass Menschen das tun. Die Starken können mehr schultern als die Schwachen, die Leistungsfähigen mehr als die Leistungsempfänger. Das Steuersystem funktioniert so und die Krankenkassen – und das ist gut so. Was ich habe, das habe ich bekommen. Ich habe auch dafür gearbeitet, gewiss: Aber das kann ich ja nur, weil ich gesund bin, Begabungen habe, eine gute Ausbildung, Talent, Fleiß, Disziplin. Gaben, die nicht jeder hat und nicht jede. Was ich habe, das habe ich geschenkt bekommen. Wer viel bekommen hat, der kann auch viel geben. So sieht Jesus das.
Und das ist genau genommen kein Opfer. Nichts, das den Wohlhabenden schwer fallen müsste. Denn: Geben macht selig! Selig – im griechischen ist das das Wort für „glücklich“. Geben macht glücklich. Wer gerne schenkt, kann das spüren. Die Freude, die mein Geschenk auslöst – die freut einen gewissermaßen zurück. Ich bin glücklich, wenn ich sehe, wie sich der andere freut. Wie es ihm gut tut, was ich für ihn getan habe. Und solche Freude ist nicht nur ein gutes Gefühl. Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer sagt: Anderen zu helfen, ein ehrenamtliches Engagement für andere zum Beispiel, macht nicht nur glücklich, das macht sogar gesund. Der Einsatz für andere kann nämlich vorbeugen gegen Krankheiten wie Bluthochdruck, erhöhten Blutzucker oder zu hohe Blutfette. Sich für andere einzusetzen führt zu höherer Lebensqualität. Vielleicht muss man also eigentlich sagen: Wer glücklich werden will, der sollte für andere sorgen. Geben ist seliger als Nehmen. Geben macht glücklich. Und es muss ja nicht immer Geld sein, das man gibt. Man kann auch anderen zuhören, die Enkelkinder betreuen und so die Kinder entlasten, sich beim Seniorenkaffee einbringen, beim Besuchsdienst, oder mit Flüchtlingskindern Deutsch lernen. Es gibt viele Möglichkeiten. Und eigentlich alle, die sich irgendwo engagieren, sagen: Es tut mir gut, dass ich das kann. Geben macht selig!

Eigentlich komisch, dass es auch das andere gibt: Wohlhabende, die nichts geben wollen. Dass sie es nicht können, kann man ja nicht sagen. Ich habe mir erarbeitet was ich habe, sagen sie. Wieso sollen jetzt andere auf meine Kosten leben? Ich bin doch nicht Schuld, dass es anderen nicht so gut geht wie mir. Und ich kann mich nicht um das Elend der ganzen Welt kümmern. Außerdem: Wer weiß, was die Zukunft bringt. Ich muss vorsorgen, wer weiß, ob es mir morgen noch so gut geht wie heute. Dann fangen die Sorgen an. Die Sorgen um den eigenen Wohlstand. Wie kann ich mein Geld anlegen, dass es nicht an Wert verliert? Es gibt kaum noch Zinsen, Immobilien sind überteuert. Was also tun? Manche bringen ihr Geld in die Schweiz. Da kann ich es zwar nicht nutzen. Es ist sozusagen totes Kapital. Aber ich habe es! Bloß: Freuen kann man sich meistens nicht so richtig über das, was man hat. Wohlstand kann unruhig machen, wenn man ihn für sich behält. Geben dagegen macht selig.
Soviel zu den vielen Reichen, denen Jesus zuschaut, wie sie viel geben.

Aber dann kommt eine arme Witwe. Eine Frau, die eigentlich nichts geben kann. Sie hat nur das allernötigste. Solche Frauen verstecken sich in der Regel. Solche Männer meistens auch. Sie schämen sich, weil sie nichts haben. Wohlstand gilt als Zeichen der eigenen Tüchtigkeit. Wer nichts hat - war der oder die etwa zu bequem? Oder faul? Nicht clever genug? Wer nichts hat, hält sich möglichst im Hintergrund. Es soll ja keiner merken, wie es mir geht. Wer nichts hat, kann sich nicht beteiligen am Leben. Hat kein Geld für Urlaub, kein Geld für modische Kleidung, kein Geld für neue Zähne. Die Kinder können nicht in einen Sportverein, können nicht mithalten mit den anderen und ihren teuren Turnschuhen und den Smartphones. Wer nichts hat, tröstet sich mit billigem Fastfood, das ist ungesund und macht dick. Die Armen sind häufiger auch noch krank, weil sie sich aufgegeben haben und keine Vorsorge betreiben können. Man sieht es ihnen an, dass sie arm sind.
Die Witwe, die Jesus beobachtet, die ist anders. Sie will sich beteiligen. Sie will auch selig werden. Sie will spüren, wie gut das tut, wenn man für andere etwas gibt. Deshalb gibt sie, was sie kann: Zwei Scherflein. Das ist, was sie für einen Tag zum Leben bräuchte. Die Bibel erzählt: Das ist alles, was sie hat. Aber sie will beteiligt sein. Sie zeigt mit ihrer Spende: Dieser Tempel ist auch mein Tempel. Nicht bloß der Tempel der Wohlhabenden. Ich trage auch dazu bei, dass er unterhalten werden kann. (Was in den Gotteskasten eingelegt wurde war eine Art Kirchensteuer. Zu einem Teil für die Unterhaltung des Tempels und die Bezahlung der Priester und Angestellten. Ein anderer Teil war für die Armenfürsorge.) Es ist wenig, was sie beiträgt, aber sie trägt etwas bei. Sie hält sich nicht raus. Ihre Armut hat sie nicht passiv gemacht. Vielleicht ist sie sogar ein bisschen stolz, dass sie auch etwas geben kann. Ein bisschen glücklich. Selig eben.
Aber, sagen Sie jetzt vielleicht: Ist das nicht schlicht leichtsinnig und leichtfertig, was sie tut? Wie kann sie alles weggeben, was sie hat? Morgen wird sie womöglich betteln müssen – und für den Tempel haben ihre zwei Scherflein eigentlich doch gar nichts gebracht. Solche Sorgen macht die Frau sich anscheinend nicht. Sie denkt offensichtlich nicht an morgen. Die Sorgen um das Morgen sind es ja, die das Herz eng machen und geizig. Ich habe nichts abzugeben, ich muss sehen, wie ich selber durchkomme. So reden alle, die sich Sorgen machen. Und viele sehen gar nicht, wie gut es ihnen eigentlich geht. Sehen nur ihre Sorgen – und haben nichts übrig für die Hilfsbedürftigen. Kein Geld. Kein Mitgefühl. Keine Zeit.
Die Frau mit den zwei Scherflein macht sich offenbar keine Sorgen. Oder vielleicht doch? Aber das Geben ist ihr wichtiger. Dass sie sich freuen kann, weil sie sich beteiligt hat an einer guten Sache.
Wie kann sie das? Wie kann man so sorglos leben? Ich weiß es nicht. Ich kann nur vermuten. Ich glaube, sie vertraut auf Gott. Er hat sie bisher versorgt. Nicht mit viel – aber immerhin hat es immer zum Leben gereicht. Sie hat erfahren, dass es immer gereicht hat. Vielleicht auch, dass zur rechten Zeit Hilfe kam. Wer geben kann, der kann auch Hilfe annehmen, glaube ich. Leichter als der, der immer meint: Ich brauche nichts und niemanden. Die arme Witwe kannte wahrscheinlich das Gefühl schon, dass man aus eigener Kraft nicht mehr weiter kann. Und doch ging es irgendwie. Vielleicht, weil zur rechten Zeit jemand da war, der geholfen hat. Diese Erfahrung haben die nicht, die immer für sich selber sorgen können. Die meinen, sie müssen immer für sich selber sorgen, weil es ja sonst niemand tut. Die deshalb alles, was übrig ist, auf die hohe Kante legen. Die deshalb nie Hilfe brauchen. Die auch keine Hilfe wollen. Die haben diese Erfahrung nicht: Wenn es darauf ankommt, wird mir Gott Hilfe schicken. Das ist ja eigentlich traurig. Wo die Menschen für sich selber sorgen können, da gibt es keine Hilfe für die Bedürftigen. Aber auch kein Vertrauen in die Zukunft. Menschen sind eigenartig…
Die arme Witwe, die Jesus beobachtet, die ist anders. Sie gibt, weil sie etwas geben kann. Und weil sie mithelfen möchte, dass das soziale Gefüge ihrer Welt intakt bleibt. Dass es Hilfe gibt, wo Hilfe gebraucht wird.

Ob ich nun wirklich den Armen raten will, alles herzugeben? Die arme Witwe von damals als Vorbild?
Nein, das will ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass Jesus das wollte. Er hat ja auch nicht gesagt, die arme Frau sei der bessere Mensch und die Wohlhabenden irgendwie schlecht, weil sie nicht mehr geben. Er hat beobachtet. Und darauf hingewiesen, was selig macht.
Ich nehme die Frau deshalb zuerst einmal als Vorbild für mich. Ich bin nicht arm. Wahrscheinlich näher bei den Wohlhabenden dort im Tempel als bei der armen Witwe. Aber von der Frau lerne ich: Geben tut gut. Geben macht Freude. Geben macht stolz. Wer geben kann, kann sich aufrichten. Und es muss ja nicht Geld sein. Ich kann auch Zeit geben, Mitgefühl, Fürsorge, Arbeitskraft. Wer gibt, kann wahrscheinlich auch leichter nehmen, wenn es nötig ist.
Das alles lerne ich von jeder armen Witwe. Und vielleicht finden auch Sie sich wieder in dieser Geschichte. Mehr bei ihr – oder mehr bei den Wohlhabenden. Jesus sieht beide.
Amen

Perikope
19.03.2017
12,41-44

Die Zweigroschenpredigt – Predigt zu Markus 12,41-44 von Jürgen Kaiser

Die Zweigroschenpredigt – Predigt zu Markus 12,41-44 von Jürgen Kaiser
12,41-44

Für einen Pfarrer / eine Pfarrerin und zwei Älteste

Pfr.: Liebe Gemeinde,
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Art. 1 des Grundgesetzes. Bevor die Würde des Menschen aber geachtet und geschützt werden kann, muss sie erst entdeckt werden. Denn die Würde ist nichts, was man dem Menschen ansähe, wie die Farbe der Haut oder der Haare. Sie ist ziemlich unscheinbar. Darum muss sie sichtbar gemacht werden.
Um Würde zu entdecken, stellt Jesus sich neben den Opferstock im Tempel. Er beobachtet die Menschen, er untersucht, wie viel sie dort hineingeben. (Die Entdeckung der Würde hat erstaunlicherweise etwas mit Geld zu tun.) Er sieht viele Reiche, die viel Geld geben, und er sieht eine Witwe, die dort nur zwei Groschen hineinlegt. Und dann hält er seinen Jüngern eine Zweigroschenpredigt: „Amen ich sage euch….“
Und der Jesus, der hat Augen
und die trägt er im Gesicht
und die Witwe, die hat Würde
doch die Würde sieht man nicht.

Herr A: Entschuldigen Sie bitte, es ist normalerweise nicht meine Art, die Predigt zu unterbrechen. Doch bevor Ihre Predigt zum plakativen Plagiat mutiert, wollte ich sagen, dass ich mich freue, dass Sie auch mal über das Geld predigen. Ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist A, ich gehöre dem Gemeindekirchenrat an und arbeite im Finanzausschuss mit, wo wir viel über das Geld reden.
Allerdings komme ich mir dort wie in der Schmuddelecke der Gemeinde vor. Über die Nächstenliebe und das Helfen, über tolle soziale Projekte reden alle gern. Aber wie das Geld reinkommen soll, das man dazu braucht, darüber redet man nicht gern. Denn eines ist doch mal klar: Auch in der Kirche fällt das Geld nicht vom Himmel. Was die Kollekte im Opferstock betrifft, von der Sie geredet haben, hätte ich nämlich einen Vorschlag zu machen.

Pfr.: Ich verstehe Sie gut, Herr A. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Gemeinde, fühlen sich aber nicht genug gewürdigt. Ich verspreche Ihnen: Wir laden auch Sie wieder zu unserem Dankeschönabend für die Ehrenamtlichen ein.
Können wir Ihre Vorschläge nächste Woche im Finanzausschuss beraten?

Herr A: Wie immer: Wenn es spannend wird, vertagen wir es in den Finanzausschuss.

Frau B: Also wenn man heute mitdiskutieren darf, dann will ich mich auch einschalten. Ich bin Frau B., ich bin zwar nicht im Finanzausschuss, aber ich arbeite auch im Gemeindekirchenrat mit und muss, wenn ich Dienst habe, den Leuten am Ausgang die Büchse hinhalten. Ich finde das ja interessant, dass Jesus sich da hinsetzt und genau guckt, was die Leute da reinwerfen. Wenn ich da hinten die Büchse halte, gebe ich mir große Mühe, nicht hinzusehen. Wir wollen nämlich nicht den Eindruck vermitteln, als würden wir kontrollieren wollen, was der Einzelne gibt. Niemand soll befürchten müssen, einen tadelnden Blick zu bekommen, wenn er nur zwei Groschen reinlegt.

Herr A: Liebe Frau B, Sie haben es ja richtig erkannt: Jesus schaut hin! Er registriert sehr wohl, dass die Reichen viel geben und die Armen weniger. Das ist bei uns nicht anders und wir sollten es zur Kenntnis nehmen.
Mein Vorschlag wäre deshalb, dass wir uns auf die konzentrieren, die genug Geld haben. Wenn wir gezielt an die Reichen herantreten, werden wir unsere Einnahmesituation viel effizienter verbessern als wenn wir weiterhin blind alle abkassieren.
Was nicht viel bringt, ist dieses Kleingeldsammeln im Gottesdienst. Aber es macht viel Arbeit. Die Ältesten müssen in den Gottesdienst kommen, am Ausgang die Büchsen halten, dann das viele Kleingeld zählen. Es muss jemand zur Bank bringen, es muss an die Landeskirche überwiesen werden. Wie viele Menschen sind damit beschäftigt, die 47,23 € vom Sonntag zu sammeln, zu zählen, zu buchen und zu überweisen? Ein enormer personeller Aufwand für nur geringe Einnahmen. Die Kirche muss effizienter werden.
Deshalb hier mein Vorschlag: Wir sammeln keine Kollekte mehr, wir verzichten auf all das Kleingeld und treten mit gezielten Kampagnen an die Vermögenden heran. Damit entlasten wir gleichzeitig die, die ohnehin kaum genug zum Leben haben. Die sollen bitte ihr Geld behalten. Ehrlich gesagt habe ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich sehe, wie manche älteren Leute ihre Kollekte einwerfen und ich weiß doch genau, dass bei denen ihre kleine Rente hinten und vorne nicht reicht. Wir können doch die nicht bitten, für Hilfsbedürftige zu spenden, die selbst hilfsbedürftig sind. Das macht keinen Sinn!

Pfr.: Die arme Witwe im Tempel hat übrigens nicht für andere ihr Geld gegeben, sondern für den Tempel. Das Geld, das dort in großen Sammelkästen eingelegt wurde, war für die Unterhaltung des Gebäudes bestimmt.[1] Das Geld bekamen notleidende Steine, nicht notleidende Menschen. Jesus scheint keine Einwände gehabt zu haben, dass die arme Witwe ihr letztes Geld für die Schönheit des Tempels gibt.

Herr A: Wie der „Peterspfennig“ zur Zeit der Reformation. Gilt jetzt doch wieder: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“? Wird zum 500. Reformationsjubiläum auch der Tetzel wieder gewürdigt?

Pfr.: Die Seele der Witwe springt erst einmal nicht in den Himmel, sondern macht auf Erden Sprünge, zu den anderen hin. Jesus hat ja nicht Gott auf diese Frau aufmerksam gemacht, sondern er hat sie seinen Jüngern gezeigt. Gott kennt die Frau, er weiß um ihren Glauben. Aber wir müssen Augen für ihren Glauben bekommen. Wir haben ja nur Augen für die großen Sachen. Doch manchmal kann man an zwei Groschen eine reiche Seele erkennen.

Herr A: Also, dass diese arme Frau nicht für soziale Projekte sondern für die Gebäudeunterhaltung spendet, macht die Sache ja nicht besser. Ich bleibe dabei: Lasst uns das Kleingeldsammeln in der Kirche abschaffen! Finanziell gesehen bringt das ohnehin nichts.

Frau B: Nein, da bin ich nicht für! Wir haben schon immer Kollekte gesammelt und das soll so bleiben. Auch die Armen wollen die Möglichkeit haben, etwas zu geben, selbst wenn es nur Kleingeld ist.
Ich erinnere mich an eine ältere Frau in der Gemeinde – sie ist mittlerweile verstorben - der haben wir aus unserem Diakonat regelmäßig was gegeben. Doch dann haben wir erfahren, dass sie dieses Geld gar nicht für sich selbst braucht. Für ihren eigenen Lebensunterhalt reichte die kleine Rente. Sie nahm unser Geld, um es ihren Enkeln und Urenkeln zu schenken. Wir haben dann diskutiert, ob wir ihr unter diesen Umständen die Zuwendung von der Gemeinde weiter gewähren sollen. Einige waren dagegen. Aber wir haben weiter gezahlt, denn wir haben uns gedacht: Auch das gehört zu einem würdigen Leben, dass man den Enkeln etwas gibt.

Pfr.: Ihr habt dieser Frau ihre Würde gelassen. Anderen etwas geben zu können, andere einladen, bewirten oder beschenken zu können, das gehört auch zur Würde eines Menschen. Wer immer nur nimmt, verliert seine Würde und wird sich irgendwann selbst nicht mehr leiden können. Jesus hat die Würde der armen Witwe entdeckt. Obwohl sie selbst nichts hat, gibt sie.

Herr A: Was ist eigentlich mit der Würde der Reichen? Haben die keine Würde?

Pfr.: Herr A, Sie sind heute hartnäckig!

Herr A: Ihr redet immer nur von der Würde der armen Frau. Vergesst nicht, dass die Kirche vor allem vom Geld der Reichen lebt. Die tragen erheblich zum Kirchensteueraufkommen bei. Die Armen zahlen gar keine Kirchensteuer.

Frau B: Gerade deshalb müssen sie die Möglichkeit haben, auch etwas zu geben – und seien es auch nur zwei Groschen.

Pfr.: Frau B, warum hat die arme Witwe ihr letztes Geld für die Unterhaltung des Tempels gegeben? Was glauben Sie?

Frau B: Ich glaube, sie will Gott etwas zurückgeben. Die Armen haben zwar ein schwereres Leben als die Reichen. Aber vielleicht sind die Armen dankbarer. Die Reichen glauben, dass sie Anspruch auf ein gutes Leben haben; sie denken, dass sie es sich verdient haben. Die Armen können das nicht denken. Daher fällt es ihnen leichter zu glauben, dass ihr Leben ein Geschenk ist. Und wer von Gott beschenkt wurde, will Gott auch etwas zurückgeben.

Herr A: Ach Frau B, das klingt sehr sozialromantisch! Es gibt auch genug dankbare Reiche und genug undankbare Arme.

Frau B: Ja, das ist sicher so. Trotzdem bin ich dagegen, das Sammeln der Kollekte einzustellen.

Pfr.: Ich auch. Zwei zu eins, Herr A.

Herr A: Wir haben doch hier keine Sitzung der Finanzkommission.

Pfr.: Sie waren dagegen, Ihren Antrag zu vertagen. Jetzt haben wir abgestimmt.

Frau B: Ich sammele am Ausgang. Und Sie zählen heute! Damit Sie nicht so viel Kleingeld zählen müssen, können Sie ja einen Schein reinlegen. Ich werde das genau beobachten.

Pfr.: Das, liebe Gemeinde, das war unsere Zweigroschenpredigt.
 Und der Jesus, der hat Augen
  und die trägt er im Gesicht
  und die Witwe, die hat Würde
  und die Würde ist im Licht.
Amen.

 

[1] So nach F.-W. Marquardt, Lasset uns mit Jesus ziehen, 202. Nach J. Gnilka, EKK II/2, 176, waren die Gelder für die Brandopfer bestimmt.

Perikope
19.03.2017
12,41-44

Tuppence – Predigt zu Markus 12,41-44 von Martin M. Penzoldt

Tuppence – Predigt zu Markus 12,41-44 von Martin M. Penzoldt
12,41-44

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte. (Mk 12,41-44)

Liebe Gemeinde,
gestern kam meine Schwester vorbei und als ich ihr den Predigttext erzählte, sagte sie lapidar: „Dazu muss man nichts weiter sagen. Das ist in sich klar. Jedes weitere Wort kann nur schaden.“
Klingt ja wie vom Luther, dachte ich: „Tritt fest auf, mach´s Maul auf, hör bald auf.“ Ja, kann ich dann nur noch sagen – und AMEN.
Es sei denn, wir klären das noch mit dem „Scherflein“.
Diese Geschichte heißt nach der Überschrift in der Lutherbibel: „Das Scherflein der Witwe“. Und jeder weiß, was ein Scherflein ist und was es heißt, sein Scherflein beizutragen. Oder doch nicht?
Es kam ein Mann zu seinem Pfarrer, nahm ihn bei Seite und sagte: „Das Scherflein der Witwe habe ich noch übrig.“ Da meinte der Pfarrer: „So viel möchte ich von Ihnen gar nicht haben.“

Das ist eben der Clou der Geschichte: Ein Scherflein ist eine sehr kleine Gabe, es sind zwar nur zwei kleine Münzen, zwei halbe Pfennige, aber für die, die wenig hat, sind sie eben alles, was sie hat.
Das Scherflein der Witwe bedeutet: Diese Frau gibt ihr Alles!
Es scheint wenig. Aber es ist zugleich mehr als alle Scheine, die andere von ihrem Überfluss abgeben und einlegen.
 

 

I. Die Gabe – Ökonomie

Unter Anleitung von seiner Nanny Mary Poppins gibt Michael alles, was er gespart hat - einen tuppence (two pence) - der alten Vogelfrau für ein Säckchen Vogelfutter, woraufhin sein Banker-Vater ihm vorwirft, wie er sich damit an Aktien für weltweite Gleisbauten und Staudämme hätte beteiligen können. Ist es nicht falsch, das wenige auch noch zu geben?
Es ergeben sich jetzt zwei Möglichkeiten: Wer nur vom Überfluss abgibt, könnte man sagen, der teilt sein Herz zwischen dem Vertrauen auf Gott und dem Vertrauen auf die eigene Kraft.
Wer auch den letzten Rest gibt, vertraut sich ganz Gott an.
Das ist leicht zu verstehen, da hat meine Schwester recht, aber es ist schwer – eigentlich unmöglich – das nachzumachen. Und gerade dabei, heißt es, schaut Jesus genau hin. Jesus setzte sich nun in die Nähe des Opferkastens im Tempel und beobachtete die Leute, die ihre Gaben einwarfen. Er will den Menschen, die ihm folgen, etwas zeigen.

Noch einmal: Wenn Bill Gates in den letzten Jahren drei Milliarden Dollar Ausschüttung an Aktiengewinn gespendet hat, dann sind das auch für ihn keine Peanuts. Aber überfließende Gelder.
Wenn mir eine arme Rentnerin aus der Gemeinde zehn Euro zusteckt und bedauert, dass sie mir nicht mehr geben kann, dann gibt sie dies vom Lebensnotwendigen ab. Weil diese Geldopfer nicht vor aller Augen geschehen, weil das richtige Geben oft im Verborgenen bleibt, darum setzt sich Jesus gegenüber den Opferkasten und schaut genau zu. Er zeigt die beiden Möglichkeiten, die wir haben, mit unseren Mitteln umzugehen:
1. Wenn ich an Mitteln etwas übrig habe, dann gebe ich.
2. Wenn ich etwas habe, dann gebe ich.
Im ersten Augenblick hört sich der Unterschied nicht so groß an, darum lassen wir uns das literarisch verdeutlichen und merken bald, dass die beiden Möglichkeiten meilenweit auseinander sind.

Der russischen Schriftstellers Iwan Turgenjew erzählt: „Wenn man in meinem Beisein das Lob des reichen Rothschild singt, weil er ganze Tausende seines ungeheuren Einkommens für die Erziehung von Kindern, für die Heilung von Kranken und den Unterhalt von Greisen spendet, dann erregt das meinen Beifall und rührt mich. Indessen vermag ich bei allem Beifall und aller Rührung nicht die Erinnerung an eine arme Bauernfamilie zu unterdrücken, die eine kleine verwaiste Nichte unter ihr elendes Dach aufnahm. `Nehmen wir Katja zu uns´, meinte die alte Frau, `dann geht unser letzter Groschen drauf – dann langt‘s nicht mehr zum Salz für die Suppe…´ `Nun… dann essen wir sie eben ungesalzen´, gab ihr der Bauer, ihr Mann, zur Antwort.“
Und Turgenjew schließt seine Erinnerungen ab mit den Worten: „Ein weiter Weg von Rothschild bis zu diesem Bauern.“

 

II. Die Gewissensfrage – Ethik

Geben und wieviel oder Nichtgeben ist eine Gewissenssache. Ich hatte eine Patientin, die hat sich gequält mit der Frage, ob sie einer Frau auf der Bank vor dem Supermarkt nicht doch hätte etwas geben sollen. Das ist uns nicht fremd. Was macht man angesichts der überwältigenden und von den Massenmedien plakativ ins Haus gelieferten Not der Welt? Da fühlt man sich schon herausgefordert oder aber belästigt, jedenfalls mit schlechtem Gewissen zurückgelassen. Und jetzt kommt auch noch Jesus. Jesus, der uns auf die Finger sieht.
„Ich komme jeden Tag an vier bis fünf Bettlern vorbei“, schreibt eine ratsuchende Frau, „meistens den gleichen, die mich flehend ansehen. Ich kann aber nicht allen etwas geben, schon gar nicht jedes Mal. Aber ich ertrage die enttäuschten Blicke schwer. Nur: wer ist der Bedürftigste? Und wird dieser dann nicht jedes Mal etwas erwarten? Ich quäle mich ständig herum, mit der Folge, dass ich keinem etwas gebe. Was wäre richtig?“
Was sollen wir sagen? Es ist zunächst gut, dass sich jemand überhaupt noch ansprechen lässt. Diese moralische Achtsamkeit ist für den Einzelfall sinnvoll. Sie stößt jedoch bei vielen Bittenden an ihre Grenzen. Da muss man die spontanen moralischen Gefühle mit Vernunft abgleichen. Es wird schlicht zu umfangreich. Man ist ja nicht Albert Schweitzer oder der Heilige Martin. Dass man dann doch lieber niemandem gibt, ist häufig der Ausweg. Es gibt ja Gründe auf diese Weise nicht helfen zu wollen.
Es kann auch zu Abwehr führen, wenn wir zu sehr angegangen werden.
Eine weitere Erzählung: Noch einmal Baron Rothschild, er empfängt einen Bettler. Triefäugig und abgerissen erzählt der seine schreckliche Leidensgeschichte. Der Reiche hört zu, Mitleid stiehlt sich in sein Gesicht. Mit Tränen in den Augen klingelt der Baron seinem Diener. Der Arme hoffte auf ein gutes Almosen, aber der Reiche sagt: „Schmeiß ihn hinaus, er bricht mir das Herz!“
Es geht ans Herz, es geht um das Herz. Eigentlich will man auch geben und tut es dann nicht und die Bettler wollen bekommen und bekommen nichts.

Was sagt ein Ethiker dazu? Kant hat gesagt, die Pflicht, Wohltaten zu erweisen, ist unvollkommen ( = nicht zwingend), man kann ihr ja nur im begrenzten Maße nachkommen. „Also ist“, schreibt Kant „diese Pflicht nur eine mögliche; sie hat Spielraum, mehr oder weniger hierin zu tun, ohne dass sich die Grenzen davon bestimmt angeben lassen.“ (Metaphysik der Sitten 2.Teil VIII, 2. Fremde Glückseligkeit)
In einer Schrift zur Erziehung sagt er dann deutlich: Man solle nicht „das Herz der Kinder weich machen, dass es von dem Schicksale des anderen angesteckt werde, als vielmehr wacker.“ (Pädagogik, Hg. Natorp, Akademie Ausgabe Band IX, S. 490)
Man braucht bei der Wohltätigkeit eine „wackere“ Vernunft. Andernfalls läuft man Gefahr, sich zu verausgaben oder alles abzublocken.
Also soll man überlegen, wie und wieviel man geben will, auch spontan. Aber nicht so tun, als würde man die Welt damit retten, wacker zu bleiben.

Man kann auch mal über die Pflicht hinaus handeln. Am Abend vor der ersten schriftlichen Examens-Klausur traf ich auf einen Mann meines Alters vor meiner Haustür: Ein Kellner, in Schwarz gekleidet, aber im Regen ohne Mantel und ohne Schuhe. Er tat mir leid, ich fragte, was los sei. Er sei unvermittelt von seiner Freundin hinausgeworfen worden, sagte er, er wisse nicht, wohin. Da ich das gut verstehen konnte, nahm ich ihn die Nacht auf. Er schlief schnarchend auf einer Matratze in meiner Studentenbude.
Am nächsten Tag gab ich ihm alte Schuhe von mir und Frühstücksgeld, ging hochgemut zum Examen und schrieb eine glatte Eins. Ich war wie in Drachenblut getaucht. Mir hätte nichts passieren können. Aber es war doch eine absolute Ausnahmehandlung. Man kann es anderen nicht empfehlen.

 

III. Aber es geht um das Ganze – Religion.

Soviel zur Ethik. Das klingt alles nicht gerade nach Jesus. Es geht bei Jesus auch nicht um Ethik.
Steht am Ende dieser Episode etwa der Satz: Gehe hin und tue desgleichen? Sind wir etwa diese Witwe? Nein. Was will uns Jesus denn dann sagen?
Es gibt Situationen da geht es um´s Ganze. Es gibt Entscheidungen im Leben, die kann man nicht mit halbem Herzen treffen. Es geht nicht es nicht um ein Stück Kuchen, da geht es um die Bäckerei, es geht nicht um Almosen, es geht um das Herz.
Die Geschichte vom Scherflein der Witwe steht im Markusevangelium am Ende des Berichts vom Wirken Jesu. Es folgt die Passion. Jesus selbst wird jetzt alles geben, was er hat, was er ist. Seine Liebe zu den Menschen wird ihm das Leben kosten. Und so ist die Tat der Witwe nicht zuerst Vorbild für unser Tun, sondern Gleichnis für die eigene Selbsthingabe von Jesus. Uns zu gute. Es zerreißt ihm das Herz. Das will er den Jüngern zeigen. Er beschämt uns nicht, er beschenkt uns.
Wenn wir gleich gemeinsam Abendmahl feiern, - diese einzigartige Liebeserklärung Gottes an uns – begegnen wir in besonders sinnlicher und spürbarer Weise dieser vorbehaltlosen Liebe Gottes.
Wir sind eingeladen, im Gedenken an Jesu Leben und Sterben, Gottes Liebe und unseres Glaubens gewisser zu werden. Und um den gemeinsamen Tisch, im Teilen von Wort, Brot und Wein wird sie für uns heute Morgen lebendige Gegenwart.
Jesus hat in einzigartiger Weise die Liebe Gottes gelebt im Umgang mit den Menschen, die ihm begegnet sind. Er hat gezeigt, dass Gottes Liebe vorbehaltlos allen Menschen galt. Er hat soziale und religiöse Grenzen überschritten und Konventionen und Traditionen um der Menschen willen durchbrochen. Er hat sich aus Liebe zu den Menschen mit den religiösen und politischen Autoritäten angelegt und ist diesen Weg im Vertrauen auf Gottes Liebe konsequent bis zum bitteren Ende in Treue gegangen.
Jetzt ist die Predigt doch wieder etwas länger geworden. Und wer seinen Platz in dieser Geschichte immer noch sucht, der findet ihn gleich im ersten Vers. Es wäre nicht das Schlechteste, wenn es von uns heißen könnte: „Und viele Reiche legten viel ein.“ Amen.

Perikope
19.03.2017
12,41-44

Gelassen wirken! – Predigt zu Markus 4,26-29 von Stefan Kläs

Gelassen wirken! – Predigt zu Markus 4,26-29 von Stefan Kläs
4,26-29

Liebe Gemeinde,
der Personalchef des großen Unternehmens setzte sein schönstes Haifischgrinsen auf und sagte zur Bewerberin: „Sehr schön, Ihr Lebenslauf, ganz ausgezeichnetes Profil. Jetzt haben wir viel über Ihre Stärken erfahren. Verraten Sie uns doch bitte zum Schluss noch etwas über Ihre Schwächen.“
Ohne mit der Wimper zu zucken und hoch professionell antwortete die Bewerberin mit einem nicht minder raubtierhaften Lächeln: „Es ist ganz furchtbar mit mir. Ich bin so ungeduldig.“

Die Frage nach den eigenen Stärken und Schwächen ist eine Standardsituation im Bewerbungsgespräch. Vielleicht haben Sie auch schon einmal so geantwortet wie die Bewerberin. Falls ja, ist das wirklich keine Schande. Denn in Bewerbungssituationen  werden Konventionen abgefragt. Da geht es um die Frage: Passt derjenige zu uns?
Doch genau das ist ja so spannend. Warum ist die Ungeduld eine so unverfängliche Schwäche? Ja, mehr noch: Eigentlich ist es doch ganz schön kokett, Ungeduld als Schwäche auszugeben. Denn unter der Hand ist allen klar: Ungeduld gilt eigentlich als Stärke. Die Bewerberin ist dynamisch, macht ihr Ding und drängt nach vorne.
Was sagt es über uns als Gesellschaft, wenn Ungeduld eigentlich als Tugend gilt?

Der Mann im Gleichnis, von dem Jesus erzählt, hätte möglicherweise bei unserem Personalchef schlechte Karten gehabt. Jesus lehrte die Menschen in Gleichnissen. In kurzen Geschichten, die Situationen aus dem Alltag aufgreifen, öffnete Jesus den Menschen die Augen dafür, wie Gott unter uns wirkt.

Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da. (Mk 4,26-29)

Der Sämann tut, was seine Aufgabe ist: er sät den Acker ein. Danach schläft er. Er setzt sich also nicht an den Ackerrand und schaut ungeduldig alle zwei Minuten nach, ob der Samen schon aufgegangen ist, sondern er schläft. Der Sämann lebt und wirkt im Rhythmus von Nacht und Tag.
In der Bibel ist oft von Nacht und Tag die Rede. In der Schöpfungsgeschichte wird erzählt: Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. (Gen 1,5) Der Tag beginnt mit dem Abend und der Nacht. Dort, in der Ruhe und im Schlaf, werden die Voraussetzungen für fruchtbares Wirken am Tag geschaffen.
So auch bei dem Sämann im Gleichnis. Er schläft und steht auf im Rhythmus von Nacht und Tag.
Und siehe da, in diesem Rhythmus von Nacht und Tag, in diesem Rhythmus von Tun und Lassen stellt sich der Erfolg seines Handelns ein: Der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. (Mk 4,27b)
Er weiß nicht wie? Der Sämann weiß nicht, wie die Saat wächst?
Natürlich weiß er es. Gerade weil er ein guter Sämann ist, weiß er, dass Wachsen und Gedeihen nicht in seiner Hand liegen. Er muss säen und dann – und das ist nicht weniger wichtig – die Saat in Ruhe lassen. Auf dem Weg vom Samenkorn zur Frucht gibt es eine Fülle von Entwicklungsschritten. Da läuft ein Prozess ab, aus dem der Sämann sich heraushält, wo er die Finger rauslässt und sagt: „Davon will ich gar nichts wissen. Mir reicht, dass ich weiß: Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. (Mk 4,28)
Der Sämann weiß und respektiert: Es gibt Dinge, die kann ich anstoßen, doch dann laufen sie ohne mein Zutun ab. Von selbst, automatisch, autonom entwickelt sich die Frucht. Der Sämann könnte ihre Entwicklung höchstens stören, wenn er zur falschen Zeit nachschaut, kontrolliert und fördert.
Dazu gehört auch: Der Wachstumsprozess läuft in bestimmten Schritten ab, die weder vertauscht noch verkürzt werden können. Halm, Ähre, Weizen. Es gehört zur Geduld des Sämanns, dass er weiß: Wenn ich heute den Samen in die Erde stecke, dann bekomme ich nicht morgen schon die volle Ähre. Wachstum braucht Zeit.
Finger weg, heißt also das Erfolgsrezept des Sämanns und – genau hinschauen. Denn neben dem Wechsel von Tun und Lassen braucht es auch ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Timing ist wichtig. Es kommt der Moment, wenn die Frucht reif ist. Und dann gibt der Sämann den Startschuss für die Ernte.
Wer eben noch den Eindruck hatte: Diesen Mann bringt nichts aus der Ruhe in seinem Rhythmus von Nacht und Tag, der reibt sich jetzt verwundert die Augen, denn er schickt „alsbald die Sichel; denn die Ernte ist da.“ (Mk 4,29b)
Zum richtigen Zeitpunkt also verliert der Sämann keine Zeit, sondern handelt entschieden und schnell.
Der Mensch, von dem Jesus im Gleichnis erzählt, weiß also genau, was er tut. Geduld und Augenmaß, Erfahrung und Gelassenheit, Aufmerksamkeit und Entschiedenheit steuern ihn, sein Tun und Lassen, und vor allem die unerschütterliche Hoffnung: Die Saat geht auf. Sie geht auf jeden Fall auf!

Jesus erzählte diese Geschichte vom Sämann als Gleichnis für das Reich Gottes. Er öffnet uns die Augen dafür, wie Gott unter uns wirkt. Immer wieder ist dies geschehen, dass Menschen plötzlich eine Ahnung davon bekommen, wie Gottes Reich unter uns wächst.
Der schwäbische Pfarrer Johann Christoph Blumhardt begleitete Anfang der 1840er Jahre eine junge Frau aus seiner Gemeinde in der Seelsorge. Sie wurde von unerklärlichen Beschwerden geplagt, litt an Krämpfen und hörte Stimmen. Heute würden wir vielleicht sagen: Sie hatte eine psychosomatische Krankheit. An Weihnachten 1843 wurde sie geheilt. Nach einer krisenhaften Zuspitzung, von Blumhardt in seinem Bericht an den Oberkirchenrat in Stuttgart als „Geisterkampf“ bezeichnet, rief die junge Frau aus: „Jesus ist Sieger.“
Die Nachricht von ihrer Heilung verbreitete sich rasch und führte zu einer wahrhaften Erweckungsbewegung in dem kleinen schwäbischen Ort Möttlingen. Blumhardt wurde geradezu überrannt von Hilfesuchenden, die er schon bald nicht mehr alle in seinem Pfarrhaus empfangen konnte. Der Oberkirchenrat in Stuttgart, die zuständige Kirchenleitung, beobachtete sein Wirken ohnehin skeptisch. Blumhardt wurde der Rat erteilt, sich doch bitte mehr um die Predigt zu kümmern und mit diesen Heilungen aufzuhören.
Doch der dachte gar nicht daran, im Gegenteil. Blumhardt zog von Möttlingen nach Bad Boll und kaufte dort das heruntergekommene Kurhaus, das er zum Seelsorgezentrum ausbaute. Dieses Haus zog Gäste aus ganz Europa an und wurde zu einem Ort, an dem Menschen ganzheitlich Hilfe erfuhren.
An der Fassade des Kurhauses stehen bis heute zwei Buchstaben: W und P für Wilhelm I., König von Württemberg, den Gründer des Kurhauses und seine Frau Pauline. Blumhardt selbst übersetzte diese Buchstaben anders: W für warten und P für pressieren, also schwäbisch für ‚sich beeilen‘.
Warten und Pressieren, das entspricht dem, was auch der Sämann tut: Zur rechten Zeit handeln und dann den Dingen wieder ihren Lauf lassen. Blumhardt wusste: Das Reich Gottes hängt nicht von uns ab. Wir können es mit unserem Handeln nicht herbeizwingen. Aber wenn es kommt, wenn Gottes Gegenwart unter uns erkennbar wird, dann ergeben sich Chancen zum Handeln, die es zu nutzen gilt.
Dann können Menschen gesund werden an Leib und Seele und positive Entwicklungen aller Art in Gang gesetzt werden.
Warten und Pressieren, zur rechten Zeit etwas tun und lassen - das ist wie Einatmen und Ausatmen, im Rhythmus bleiben, den Dingen ihren Lauf lassen und dann doch auch den entscheidenden Impuls geben.
Gelassen wirken, das ist eine Lebenskunst, die wir im Reich Gottes lernen können und die sich doch auf alle lebendigen Prozesse übertragen lässt.
Haben Sie beispielsweise schon einmal versucht, ein Kind großzuziehen? Dann werden Sie sicherlich festgestellt haben, dass das gar nicht geht. Sie können an den Armen und den Beinen ziehen, wie Sie wollen, das Kind wächst nicht schneller. Sie könnten es auch auf den Kopf stellen und auf die Schwerkraft hoffen, das einzige, was Sie erreichten, wäre, dass die Kleinen vor lauter Lachen einen Schluckauf bekämen. Aber schneller wachsen tun sie dadurch nicht, großziehen lassen sie sich nämlich nicht.
Wenn Sie irgendwo Verantwortung für Menschen haben, beispielsweise in einem Unternehmen, dann werden Sie wissen: Von Zeit zu Zeit kann es durchaus angemessen sein, sich mal bei den Mitarbeitenden zu erkundigen, was die so machen. Ob es allen gut geht, ob noch alle bei der Arbeit sind, ob die Ziele klar sind. Wenn Sie allerdings alle fünf Minuten auftauchen und kontrollieren, dann setzen Sie allenfalls sehr kreative Prozesse in Gang, mit denen ihre Mitarbeitenden sich der Kontrolle entziehen, aber schneller und besser wird deren Arbeit dadurch ganz sicher nicht.
Und wenn Sie an sich selbst denken, dann fällt Ihnen vielleicht auch so einiges ein, was Sie schon vor langer Zeit ändern wollten. Die Zeit der guten Vorsätze ist Mitte Februar eigentlich schon längst vorbei, aber bestimmte Themen bleiben uns ja trotzdem über das Jahr treu: mehr Bewegung, gesündere Ernährung, weniger Stress.
Auch hier gilt: Nachhaltige Veränderung zum Guten geschieht nicht über Nacht. Auch mit uns selbst brauchen wir vor allem immer wieder Geduld und Achtsamkeit, um dann doch zur rechten einen ersten Schritt in die richtige Richtung zu gehen.

Liebe Gemeinde, was sagt es über uns als Gesellschaft, wenn Ungeduld eigentlich als Tugend gilt?
Wenn ein amerikanischer Präsident von manchen sogar für seine Tatkraft gerühmt wird angesichts einer Flut von Dekreten, von denen die meisten wohl keinen Bestand haben werden?
Mir scheint, wir haben das Leben halbiert. Wir haben aus Nacht und Tag einen immerwährenden Tag gemacht, geben der Aktivität in jeglicher Form einen Vorzug vor Kontemplation und Verweilen.
Damit haben wir manches erreicht und anderes verloren. Verloren haben viele Menschen heute die Fähigkeit, sich wirklich zu erholen. Wirklich einmal herauszutreten aus der inneren Tretmühle und den Kopf freizubekommen für das, was im Leben wirklich zählt und was uns trägt, auch wenn wir einmal keine Spitzenleistung erbringen.
Da kommt die Geschichte vom Menschen, der Samen auf das Land wirft, gerade recht. Von ihm können wir lernen, dass zum Leben beides gehört: Arbeit und Ruhe, Geduld und gelassene Aufmerksamkeit für das, was geschieht. Den Dingen ihren Lauf lassen und eingreifen, damit wir gelassen wirken können!
Vor allem aber brauchen wir die Hoffnung, dass Entscheidendes immer wieder von Gott her geschieht, auch ohne unser Zutun. Dass wir leben dürfen in einer Welt und von einer Welt, die uns freundlich entgegenkommt.
Gott sei Dank! Amen.

Perikope
19.02.2017
4,26-29

Sich auf den Weg machen Predigt über Markus 4,26-29 von Monika Waldeck

Sich auf den Weg machen Predigt über Markus 4,26-29 von Monika Waldeck
4-26-29

Spazierengehen soll ein Unterrichtsfach an der Universität sein?
Ich habe es erst nicht geglaubt, als ich es neulich in der Zeitung las. Im Lokalteil.1
Und ja, es stimmt. Das, was viele von uns in ihrer Freizeit tun, um mal frische Luft zu schnappen, sich ein bisschen zu bewegen, den Gedanken nachzuhängen, Tiere zu beobachten oder einen schönen Ausblick zu genießen, das ist ein Unterrichtsfach an der Uni in Kassel.
Lucius Burckhardt, Soziologe und Professor für Landschaftsplanung, fand in den achtziger Jahren, dass seine Studenten nicht länger nur am Schreibtisch sitzen sollten. Die zukünftigen Gestalter von Städten und Landschaften sollten direkte Erfahrungen mit ihrem Studienobjekt sammeln. Um sich eine Gegend zu erschließen, so entschied er, muss man sich in ihr bewegen. Also rein in die Wanderschuhe und raus ins Freie.
Die Studenten fanden schnell heraus: In langsamer Bewegung zeigen sich Räume in der Natur überraschend anders als am Reißbrett oder beim Durchfahren mit dem Auto oder gar dem Überfliegen mit dem Flugzeug.
Erstaunlich, denn man denkt oft, man kenne alles in seiner täglichen Umgebung. Wirklich Neues gebe es nur in fremden Gegenden.
Aber wir Spaziergänger haben meist noch nie darüber nachgedacht. Wir suchen zwar immerzu nach Entdeckungen, die das Leben interessanter machen, suchen nach Anderem und Neuem, das uns hilft, dem Alltagstrott zu entkommen. Aber wir vermuten nicht, es auf einem Spaziergang in die nähere Umgebung zu finden. Eher auf einer Reise an unbekannte Orte.

Also rein in die Reiseklamotten und raus in ferne Länder. Das Geschäft mit dem Tourismus boomt. Und dann findet man sich in einer All-inclusive-Hotelanlage wieder und alles ist wie hier: Die Unterhaltung, die Speisekarte, die Leute und Deutsch wird auch überall gesprochen. Nur den Ort zu wechseln ist also keine Garantie für eine Entfernung vom Alltag.

Anders sein, neu sehen - das ist besonders über Verlangsamung möglich, meinte Professor Burckhardt. Das Andere beginnt vor der Haustüre.
Wer meint, er hätte daheim alles gesehen und müsse darum weit weg reisen, um sich zu finden, der irrt. Unser oberflächlicher Blick sieht nur nicht, was um uns herum geschieht. Und so erfindet der Professor die „Spaziergangswissenschaft“, die „Promenadologie“.Und die wird eben in Kassel gelehrt.

Durch langsames Wandern kann ich eine Landschaft erfahren. „Reflexive Spaziergänge“ nannte Burckhardt das.
Ich erlebe mit allen Sinnen, was da los ist. Wohin schaue ich, wenn ich gehe? Wie fühlt sich die Luft an, wie der Belag unter meinen Füßen? Höre ich einen kleinen Bach neben dem Fußweg oder rauscht da eine Autobahn durch?
Kann der Blick ins Weite gehen, vielleicht auf eine Bergkette oder eine große Wiese? Stehen da Häuser, die den Blick anziehen?
Was bedeutet es, wenn ich durch Brachland gehe, in dem vielleicht eine Industrie ihre Spuren hinterlassen hat?
Ist die Landschaft schön? Warum? Warum nicht?
Wie riecht es hier auf der Wiese und dort, wo der Busbahnhof beginnt?
Wie sind die Bilder, die ich sehe, geprägt durch innere Bewertungen und weniger durch Erleben? Was sehe ich heute neu oder anders als gestern?
Vielleicht lohnt sich ein solcher Blick beim nächsten Spaziergang.

Dazu braucht man Zeit. Sonst begreift man nicht, was man sieht.
1802 meinte der Schriftsteller Johann Gottfried Seume, einer, der in seinem Leben viel gewandert ist: „Vieles würde bessergehen, wenn man mehr ginge.“ Und da kannte man noch keine Autos und Flugzeuge.
Das heißt, ein tieferes Verständnis des Lebens entsteht da, wo ein Mensch die Langsamkeit entdeckt.

Und nun hören wir den biblischen Text für heute:
 „Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre." (Mk 4,26-28)

Es könnte sein, dass der Schriftsteller, der Professor und Jesus sich was zu erzählen hätten. Sie teilen nämlich ein Geheimnis, das einer Erfahrung entspringt, die wir in unseren Breitengraden immer mehr vernachlässigen. Es ist das Vertrauen darauf, dass Langsamkeit, dass Wahrnehmen und Geschehen-lassen nicht nur Zeit schenken, sondern „Frucht bringen“, im wahrsten Sinne des Wortes.
Das ist das Gegenteil von dem, was heute gewöhnlich Anerkennung erzeugt und als zielführend betrachtet wird. Das Leben auf der Überholspur in der Arbeit, in der Partnerschaft, in der Kindererziehung, im Urlaub und sinnfällig: im Straßenverkehr. Wartezeit ist vergeudete Zeit. Zeit ist Geld.

Der Bauer im Gleichnis weiß, dass er sich Zeit nehmen muss, um rechtzeitig zu säen. Und dass er sich Zeit nehmen muss, wenn er gesät hat. Die Halme wachsen von allein.

In dem Bild Jesu: Das eine gehört zu unseren Aufgaben und das andere in den Bereich Gottes.
Gottes Reich kommt von allein und wir wissen nicht wie. Es ist gut, das zu unterscheiden. Auch wenn es so aussieht, als sei die Ernte ein Erfolg des Bauern. Das Eigentliche, das Wachsen und Fruchtbringen bewirkt Gott.

Manche Dinge müssen reifen, sonst werden sie nichts.
Der moderne Mensch - besonders, wenn er an den Schalthebeln der Macht sitzt - fragt: Wieviel Zeit habe ich investiert, wieviel Geld hat das gekostet, wie kann das schneller gehen? Denn das bringt Gewinn.
Wir vermessen die Welt und denken, wir hätten sie begriffen.
Entgegen dieser einseitigen Sicht der Wirklichkeit wirkt Gott im Verborgenen. Die angemessene Haltung dazu ist wahrnehmen und staunen.
Staunen heißt: sich überraschen zu lassen, mit Wundern zu rechnen. Was Gott tut, entzieht sich unserem Zugriff.
„Nacht und Tag; der Same geht auf und wächst – und er weiß nicht, wie.“ (Mk 4,27)

Das Gleichnis macht nicht die menschliche Arbeit schlecht, sondern weist ihr einen Rahmen zu.
Es ist gut, etwas zur rechten Zeit zu tun. Aber unsere Mühe hat ihre Grenze.
Wir Menschen haben Grenzen. Zum Wunder des Lebens, zum Wunder der Natur haben wir nichts beigetragen. Wir dürfen sie gestalten, aber mit ihr, nicht gegen sie.
Darum ging es Lucius Burckhardt, denn es ist etwas Anderes, in einer Landschaft zu sein, sie wahrzunehmen, sie zu bestaunen und zu erleben, welches Geschenk wir an ihr haben, als sie am Reißbrett zu durchschneiden und zu formen und unseren manchmal sehr kurzsichtigen Zwecken unterzuordnen. Im langsamen Spazieren kann man sich dem Geheimnis annähern. Im hastigen Durcheilen entgeht einem das Wichtigste.

Könnte man nicht sagen, dass das ganze Leben ein Einüben in die Zeit Gottes sein sollte, ein Spaziergang, der uns entdecken lässt, was Gott mit uns zu tun hat, was er von uns will?
Wenn Jesus in diesem Zusammenhang vom Gottesreich redet, dann geht es ihm aber noch um mehr. Er erwartet, dass ein besseres, neues Leben beginnt, in dem Raum und Zeit einen anderen Stellenwert haben als jetzt.
Mich spricht dieses Gleichnis an, weil sich in ihm die Hoffnung, die Christen teilen, ausdrückt. Das Reich Gottes wird kommen, Friede wird sein, Gerechtigkeit und alle Lebewesen werden Gottes Schutz genießen. Der Tod wird nicht mehr sein.
Und dieses Gottesreich kommt von allein.
So entlastet das Gleichnis den, der meint, aller Erfolg hinge allein von seinem Mühen ab.
Es entlastet den, der sich in einem schmerzhaften Konflikt befindet und meint, alles müsse schnell wieder gut sein.
Es nimmt den Druck von den Schultern und gibt Luft zum Atmen.
Und dann - im Vertrauen auf Gottes selbstwachsendes Reich - hat es Sinn, dass wir uns aktiv, aber auch mit Selbstbegrenzung für diese Welt einsetzen, in der viele Menschen und andere Geschöpfe immer noch so unglaublich leiden.
Worte, Geschichten und Symbole der Bibel wollen dieses Vertrauen bekräftigen. Nicht zuletzt darum sind wir heute hier und feiern Gottesdienst.

1„Spazierengehen als Bestandteil der Planung“, Hessisch-Niedersächsische Allgemeine vom 13.01.2017

Perikope
19.02.2017
4-26-29