Gewagter Impuls aus dem neuen Gemeindebrief – nicht nur für Laodizea – Predigt zu Offenbarung 3,14-21 (Nietzke)

Gewagter Impuls aus dem neuen Gemeindebrief – nicht nur für Laodizea – Predigt zu Offenbarung 3,14-21 (Nietzke)
3,14-22

Kanzelgruß: Friede sei mit euch allen, die ihr in Jesus Christus seid!

I.

„Plopp!“ Eben ist das Heft durch den Briefschlitz an der Haustür gefallen, jemand hat es eingesteckt, als die junge Frau gerade dabei ist, den Flur zu wischen. Sie stellt den Wischer beiseite, denkt: „Ein kleine Pause tut gut!“, fährt kurz mit der Hand über ihr schwarzes, längeres Haar, knotet es kurz zusammen. Sie rückt sich einen Hocker zurecht, setzt sich hin und nimmt das Heft in die Hand. Das offenbar frisch gedruckte Heft riecht sogar noch ein wenig nach Druckerpresse. Beim ersten Aufblättern knackt das Papier ganz leise an der Heftung. Sie erkennt sofort, was für ein Heft das ist: Bunt aufgemacht, mit Titelfoto und Titel, im DIN-A5-Format, gut 20 Seiten Umfang. Der neue Gemeindebrief aus dem Pfarrbezirk. „Ach ja…“ sagt sie und blättert ein wenig zwischen den Seiten.

II.

Der Gemeindebrief ist nach wie vor das wichtigste Kommunikationsmittel der Kirche, hieß es unlängst in einer Studie zur Kommunikation in der Kirche. Solch einen typischen Gemeindebrief hält die junge Frau in der Hand. Der Aufbau eines Gemeindebriefs ist weltweit ähnlich: Als Einleitung ein geistlicher Impuls. Dann Berichte, Ankündigungen, Rückblicke mit oder ohne Fotos aus dem Gemeindeleben und Terminpläne mit Gottesdienstzeiten und Gottesdienstorten. Die andauernde Herausforderung für jedes Redaktion eines Gemeindebriefs ist: Wie erreichen wir die, die zwar zur Gemeinde gehören aber eben so gut wie nie am Gemeindeleben teilnehmen?

III.

Die junge Frau fängt an zu lesen: „So kann es nicht weitergehen. Landauf, landab immer nur freundliches Wohlwollen, tolerantes Lächeln, Gefälligkeiten hier und da. Nein, unsere Kirche und Gemeinde muss umkehren. Es liegt eine verfehlte Selbsteinschätzung seitens der  Gemeinde vor. Wir werden bescheidenere Weg einschlagen.“ Amüsiert liest die junge Frau weiter. „Da packt jemand ja mal richtig aus!“ denkt sie. Im Verlauf der Andacht liest sie von Menschen, die heilsam erschrecken über allzu-leichfertiges nach-dem-Munde-der-Gesellschaft-Reden. Ein deutlicher Appell an die Menschen,  sich zu verändern – in ihren Worten und Taten – und zwar durch die Begegnung mit Gottes Wort. Sie folgert im Stillen: Ein gewagter Impuls im neuen Gemeindebrief!

IV.

Das Wort heiliger Schrift für diese Predigt aus dem letzten Buch der Bibel hat auch Gemeindebriefcharakter. Sieben Orte gehören zu diesem Pfarrbezirk: Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea. Jede dieser sieben Gemeinden wird besonders feinsinnig auf ihre Vorzüge in der damaligen Gesellschaft und Welt angesprochen. Allerdings nicht nur im positiven Sinne. Hören wir, was im Gemeindebrief als gewagter geistlicher Impuls für die Christen in Laodizea steht (Apokalypse 3,14-21):

14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: 15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm wärest! 16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. 17 Du sprichst: Ich bin reich und habe mehr als genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. 18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. 19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! 20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. 21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron. 22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

V.

Die Stärken-Schwächen-Chancen-Risiken-Bestandsanalyse der Gemeinde Laodizea ergibt ein denkbar schlechtes Ergebnis. Nichts gefällt. Was war da los? Nichts. Das ist das Problem. Nichts, jedenfalls, was das geistliche Leben der Christen ausmachen würde. Kritisiert wird ganz konkret: Die Christen sind mit sich ganz und gar zufrieden. Sie haben genug: Geld, Wohlstand, ein sehr gutes Auskommen. Es fehlt nichts. Vielleicht sagen sie einander am Sonntag prahlerisch: „Schön, läuft doch alles!“ Die Erwartbarkeit ihrer  Antworten ist ein weiteres Problem. Man stellt sich zwar auf die Menschen ein, aber eben so, dass alles irgendwie in Ordnung ist und toleriert wird. In Anlehnung an eine Thermalquelle in unmittelbarer Nähe des Ortes mit Kalkwasser wird die Gemeinde als lau bezeichnet: Weder kalt noch heiß – lau eben – sie kann ihre Umgebung weder erfrischen mit dem, was sie von Jesus Christus her empfangen hat, noch Wärme und Geborgenheit denen anbieten, die solche Nähe suchen. Sie soll umkehren: Gold bei Jesus kaufen. Ihre Scham mit weißen Kleidern verhüllen, neue Augensalbe besorgen und nach der Heilung mit dieser Salbe neu hinschauen lernen. Jesus Christus überführt sie, weil er sie liebt. Er klopft an und will eingelassen werden. Mit ihnen essen und trinken. Neue Gemeinschaft herstellen. Aus der Schwäche der Gemeinde soll wieder neue Stärke wachsen.

VI.

In der Kirche nehmen wir drei Wochen lang das Ende aller Dinge in den Blick. Wir denken dabei über vieles nach: Gerechtigkeit, Sterben, Trauer und dem Tod. Der Volkstrauertag wird das Ende des Weltkriegs vor 100 Jahren in den Blick nehmen. Der Bußtag wird weitestgehend nur von Rentner*innen besucht werden. So ist das eben. Eher selten nehmen wir die Kirche, ihre Organisationsform und Strukturen und deren konkretes Ende ganz konkret in den Blick. Auch nicht die eigene Gemeinde. Der Bußtag ruft zur kritischen Selbstprüfung und zum Gebet um Erneuerung auf. Die Jahreszeit drängt mit der Frage nach dem, was am Ende trägt auch hin zur Gretchenfrage aus Goethes ‚Faust‘: „Nun sag`, wie hast du`s mit der Religion?“

VII.

Der gewagte Impuls im Gemeindebrief ist eine Standpauke. Da wird Tacheles geredet. So geht es nicht weiter in der Gemeinde. Selbstgefälligkeit – das hat dort keinen Platz. Immer zu allem etwas zu sagen zu haben – immer erwartbar und kaum unterscheidbar von anderen in der Gesellschaft – da lahmt jegliches Interesse an dem, was die Gemeinde sonst zu bieten hätte. Die Stärken-Schwächen-Chancen-Risiken-Bestandsanalyse der Gemeinde heute: Was würde sie ergeben? Was ist da los? Anhand von Gottes Wort muss man auch solche Fragen in den Blick nehmen. Dem muss man sich als Gemeinde stellen und stellen können, wenn gefragt wird: „Nun sag`, wie hast du`s mit der Religion?“

VIII.

Zum Glück wird  im Gemeindebrief von Laodizea nicht nur schwarz gemalt. Kritikfähigkeit ist ein gutes Zeichen für Pfarrer, Mitarbeitende in Kirche und Gemeindeglieder. Auch denen, die selten genug dabei sind und selbstgefällig meinen, ach, diese Institution Kirche im Allgemeinen, diese kleine, überschaubare Dorfgemeinde vor Ort, die brauche ich nicht wirklich, müssen sich dem stellen: „Nun sag`, wie hast du`s mit der Religion?“ Nicht vom Pfarrer auf der Kanzel geht das aus – bitte gerade von dort nicht, sondern im gemeinsamen Hören auf Gottes Wort seitens Prediger und Gemeinde und den im Wort Gottes erkennbaren Ruf zum Umkehr: „Raus aus der Selbstgefälligkeit, Raus aus der Behäbigkeit, Weg mit dem Schlendrian und Schluss mit der Angepasstheit!“.

IX.

Bei aller harschen Kritik einerseits leuchtet andererseits noch eine wichtige Aussage auf: „Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! 20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ Der da anklopft, zeigt, er will Kontakt herstellen. Weil er liebt. Weil er besorgt ist. Deshalb klopft er an. Er tritt nur ein, wenn er dazu ausdrücklich aufgefordert wird. So viel Liebe ist da!

X.

„Naja, da hat der Autor aber ganz schön ausgepackt!“ denkt die junge Frau auf ihrem Hocker, nachdem sie den gewagten Impuls aus ihrem Gemeindebrief gelesen hat. Sie hört den Appell aus den Zeilen des Gemeindebriefs sehr wohl: „Raus aus der Lethargie, raus aus der ach-das-läuft-schon-Mentalität.“ Sie lässt sich ansprechen. Sie denkt: „Ich könnte  ja auch mal … ich müsste mal … Nein. Ich raffe mich auf. Am nächsten Sonntag bin ich da. Lasse mir Gottes Wort im Gottesdienst neu sagen und lasse mich überraschen. Scheint ja ganz so, als sei das dort Gesagte nicht nur erwartbar. Die machen sich echt auf die Suche nach dem was Gott sagt. Da bin ich neugierig geworden.“ Dann legt sie den Gemeindebrief zur Seite und geht ihrer Hausarbeit nach.

 

Benutze Literatur:

Klaus Berger: Kommentar zum Neuen Testament,

Ole Dost: Meditation zu einer Predigt für den Bußtag 2018 in der Zeitschrift: „Zuversicht und Stärke“

 

 

Perikope
21.11.2018
3,14-22

Sind wir gemeint? – Predigt zu Offenbarung 2,8-11 von Helmut Dopffel

Sind wir gemeint? – Predigt zu Offenbarung 2,8-11 von Helmut Dopffel
2,8-11

Liebe Gemeinde,

wir leben in einem der reichsten Länder dieser Erde, selbst die Armutsgefährdeten bei uns sind reich im Vergleich zu vielen Millionen Menschen in Afrika, Asien oder Südamerika. Wir selbst gehören vermutlich zu den 10% reichsten Menschen der Welt. Auch unsere Kirchen sind reich. Wir leben in einem der sichersten Länder dieser Erde, das Risiko, durch eine Epidemie oder einen Krieg das Leben zu verlieren ist minimal. Die Kirchen sind angesehen. Der heutige Predigttext ist ein Brief, geschrieben vom Seher Johannes im Namen Jesu an eine der ärmsten Gemeinden der damaligen Kirche, an Menschen, die nicht wussten, wie es morgen weitergehen soll, ob das Essen reichen wird und ob sie noch ihres Lebens sicher sind.

Am Ende dieses Briefes steht: Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden zu sagen hat. – Den Gemeinden, heisst es, offenbar sind alle Gemeinden gemeint, also auch wir. Was hat ein Brief an eine armselige, höchst gefährdete Gruppe von Christen vor 2000 Jahren uns heute in unserem reichen, sicheren Wohlstand zu sagen?

Ich lese Ihnen diesen Brief nun vor, er findet sich im 2. Kapitel der Offenbarung des Johannes:

Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Versammlung des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.

Was sagt der Geist uns?

Es sind auf jeden Fall zwei Aussagen, die direkt zu uns herüberreichen:

Die eine ist die Rede von den Juden und der Versammlung des Satans. Bis zur Überarbeitung der Lutherbibel 2017 wurde da wörtlich übersetzt: Synagoge des Satans. Viele von uns wissen, und alle können sich vorstellen, was für ein grauenvolles Unheil dieser Satz angerichtet hat, wie er den Judenhass der Christen und der Kirchen befeuert hat bis in die Zeit, an die uns der heutige Volkstrauertag erinnert, die Jahre 1933 bis 1945. Dieser Satz war das Todesurteil für Unzählige. Wenn man allerdings genau liest, dann merkt man, dass in dem Brief ausdrücklich steht, dass die Leute, die da gemeint sind, gar keine Juden sind, dass sie es nur vorgeben. Um wen es sich handelt wissen wir schlicht nicht, wir können nur spekulieren. Wir wissen nur, dass sie rufmordend gegenüber den Christen unterwegs waren. Der Satz wurde dann selbst über Jahrhunderte grauenvoll, rufmörderisch und mörderisch missbraucht.

Das passiert, wenn einzelne Bibelworte oder Verse aus dem Zusammenhang gerissen und als angebliche biblische Belege gegen dies und das, gegen diese oder jene Menschen, benutzt werden. Das ist Missbrauch, immer. Das ist schlimmer als schlechter Journalismus. Das führt im Besten Fall in die Irre, im schlimmsten in Hass und Mord.

Immerhin haben wir gelernt: Nicht nur, dass jede Form von Antisemitismus, und darüber hinaus jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, mit dem christlichen Glauben unvereinbar ist. Nicht nur, dass Toleranz und Anerkennung dem Geist Christi entsprechen. Sondern dass Juden unsere erstgeborenen Brüder und Schwestern sind, die Wurzel, die uns trägt, wie Paulus schreibt. Und das wird ja gerade im November in vielen unserer Städte und Dörfer auch erfreulich deutlich.

Die andere Aussage, die bis zu uns reicht: Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wir lesen diesen Satz in Stein gemeißelt auf tausenden von Kriegerdenkmälern, manchmal auch Ehrenmäler genannt. Vielleicht stehen Sie nachher vor einem. Vermutlich ist das auch der Grund, warum dieser Brief heute Predigttext ist. Viele Kriegerdenkmäler sind steinerne Verherrlichungen des Krieges. Und der Satz aus der Bibel wird dann gleichbedeutend mit dem alten römischen „Nichts ist süßer als für das Vaterland zu sterben.“ Was für ein makabrer, perverser Missbrauch eines Bibelwortes! Wieder ist er aus dem Zusammenhang gerissen. Denn hier geht es doch nicht um die Treue zu irgendeinem Vaterland, einem Herrscher oder einer Ideologie. Hier geht es um die Treue zu dem, der der Erste und der Letzte ist, der tot war und nun lebt, der uns liebt über alles und uns treu ist. Und was immer das bedeuten mag, klar ist, dass diese Treue weit hinausreicht über Familie, Vaterland, Politik und eigene Überzeugungen.

Was sagt der Geist uns? Was hören wir Reichen und Sicheren mit unseren Ohren?

Wir hören, ganz wie die Christen damals und zu allen Zeiten, einen hohen hellen Klang in diesen Worten. Der Erste und der Letzte ist es, der zu uns spricht. Der, von dem alles herkommt, der, auf den alles hinausläuft, der die ganze Welt und also auch uns in seinen Händen hält. Der uns kennt, unser Herz, und bei Namen. Bei dem nichts und niemand verloren ist. Der alles kennt, was uns angeht, auch den Tod, und der das Leben bringt und den Glanz und den Lichtkranz, und die Musik und den Geschmack der Ewigkeit. Und den wir kennen, sogar bei seinem Namen. Der hält uns, der tröstet uns, der macht uns Mut.

Und in der Mitte des Briefes steht deshalb: Fürchte dich nicht. Habt keine Angst. Nichts ist nur, was es ist. In allem steckt noch mehr, anderes, eine Botschaft des Ersten und Letzten. Im Leid ebenso wie im Glück. In Gefahr wie in Sicherheit, in Armut wie im Reichtum.

Und deshalb: Sei treu, auch wenn es dich das Leben kostet. Sei dem treu, der der Erste und der Letzte ist. Dann hat in deinem Herzen der Tod keinen Platz.

Der Erste und der Letzte, der die ganze Welt umfasst und uns in seinen Händen hält. Der unser Herz mit Wärme und Zuversicht füllt und uns stark macht. Im Blick auf ihn wissen wir: Es kann uns nichts geschehen, was immer auch geschieht. Das gilt allen. Da ist es zunächst, für einen winzigen Augenblick, egal, ob wir arm oder reich sind, in sicheren oder unsicheren Zeiten leben.

Aber nur für einen Wimpernschlag ist es egal. Dann kommen die Unterschiede schnell wieder ins Spiel.

Klar ist, was der Erste und der Letzte den Armen und Bedrängten damals zu sagen hat. Wir erfahren zwar nichts über die äußeren Verhältnisse dieser Gemeinde, wie groß sie war, wer zu ihr gehörte, wie sie lebte, welche Aktivitäten sie vielleicht entfaltet. Wir erfahren nur, wie es innen aussah. Wir lesen, dass die Menschen unter einem ungeheuren Druck leben mussten, der mürbe macht. Angst, Verleumdung, Unsicherheit, Traurigkeit prägen ihr Leben. Mobbing könnte man sagen. Mobbing, das jederzeit auch in körperliche Gewalt und Verlust der Freiheit umschlagen kann. Der Boden, auf dem das Leben gebaut ist, bebt. Da ist nichts mehr, auf das man sich verlassen könnte.

Diesen Christen sagt der Erste und der Letzte: Fürchte dich nicht. Ich halte meine Hand über dir. Du gehörst zu mir. Deshalb bist du reich an Glauben, Hoffnung, Liebe. Deshalb musst du selbst den Tod nicht fürchten.

Was sagt der Geist uns? Was könnte denn in einem Brief stehen, der an uns reiche Christen in einem reichen und sicheren Land gerichtet wäre? Ich will das versuchen. Und ich werde den Brief positiv formulieren, voll des Lobes, so wie der Brief an die arme und gefährdete Gemeinde in Smyrna voll des Lobes ist:

„Ich kenne deinen Reichtum – nicht nur an Geld und Vermögen, sondern an Einfluss und Ansehen. Du weißt, dass das nicht selbstverständlich ist, sondern nichts als Gnade Du weißt, dass alles was du hast und kannst, Gnade ist, Geschenk, Liebe. Du bist mir dafür täglich dankbar. Du übernimmst deinen Teil an Verantwortung für diese Welt, für ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Du teilst mit den Armen und Elenden und bereitest den Heimatlosen einen freundlichen Empfang und ein Bett. Du weißt mit den Müden und mit den Verirrten und Hasserfüllten zu reden. Du weißt dich geborgen bei mir und geliebt, und du lässt das andere spüren und sagst ihnen freimütig und ohne Scheu, dass auch sie bei mir geliebt und geborgen sind. Und wenn du selbst traurig und belastet bist, weißt du, dass ich an deiner Seite bin, dich tröste und dir Kraft gebe.“

So könnte der Brief an uns lauten. Ist er wahr? Was wäre, wenn er wahr wäre? Nur einige wenige Beispiele.

Du bist täglich dankbar, denn alles ist Geschenk: Auch dieser Volkstrauertag. Er erinnert ja nicht nur an Krieg und Zerstörung und Millionen Tote, sondern auch an Jahrzehnte des Friedens und der Sicherheit. Und ist deshalb nicht nur ein Tag der Trauer und der Mahnung, sondern auch des Dankes und des Glücks.

Du übernimmst Verantwortung:  Es fallen einem die Christen vor allem in den Kriegs- und Gewaltgebieten des Nahen Ostens ein, Syrien, Irak, Libanon, Palästina. Sie sind ja nicht weit weg. Und manche kommen zu uns. Und Jesus hat diese Verantwortung für die Armen und Elenden und Verfolgten dieser Welt ja ausdrücklich geöffnet für alle – in großer Kühnheit hat er sogar die Feinde einbezogen, was uns bis heute oft ratlos macht. Es geht mir hier nicht um die Einzelheiten der deutschen Migrationspolitik. Aber wenn wir dem treu sind, der der Erste und der Letzte ist, dann muss auch und gerade in der Migrationspolitik dies die Grundlage sein, dass alle Menschen Ebenbild Gottes, von Gott geliebt, und unsere Brüder und Schwestern sind.

Du teilst deinen Reichtum: In einer kleinen Stadt wird, gegen viele Widerstände und mit wenig Zuschüssen ein Frauenhaus gegründet. Das Haus wird mit großem Einsatz umgebaut. Eines Tages steht eine Frau in der Tür, der die große örtliche Fabrik gehört. Was brauchen Sie? Eigentlich alles, Möbel, Vorhänge, Lampen, Küchengeräte….Gut, bestellen Sie was Sie brauchen und schicken die Rechnungen an mich. – Auch wenn wir in einem reichen Lande leben, gibt es genug Arme bei uns und genug zu teilen. Und wenn wir nicht wissen, wie und mit wem: Im Zweifel für die Armen. Man kann ja gar nicht genug Tränen abwischen.

Du weißt zu reden und fürchtest dich nicht: Haben wir nicht oft Gelegenheit davon zu reden, was uns hält und trägt im Leben und auch anderen Halt und Kraft und Trost geben kann? Sie haben das doch sicher auch schon erlebt, wenn wir uns als Christin, Christ, Kirchenmitglied outen, dann gibt es zuerst eine kleine Pause, als ob die Anderen Luft holen müssen. Und dann werden wir gefragt. Manchmal findet man sich blitzschnell in einem tief persönlichen Gespräch, als habe der andere nur gewartet, endlich einmal diese Frage stellen zu können oder diese Last loszuwerden. Manchmal geht es einfach darum: Warum glauben Sie an Gott? Und häufig ist es so, dass Menschen einfach zuhören wollen, als wären sie froh, dass Jemand dazu etwas zu sagen hat. Ich meine keine dogmatischen Vorträge, sondern schlicht erzählen aus der eigenen Lebensgeschichte. Und manchmal schenkt Gott es dann, dass auch die zuhören, die sonst nur Hass und Misstrauen verbreiten.

Und unsere eigene Trauer und die all der Menschen, die nach wie vor leiden an all dem, das vor 70, 80 Jahren geschah, die die Erinnerung an so viel zerstörtes Leben, soviel Schmerz und Misshandlung nicht loswerden: Wir bringen all das vor Gott, in jedem Gottesdienst, im Gebet, in Liedern. Er hält uns an der Hand, und wir halten einander und können vielleicht auch einander Worte leihen, Worte für den Schmerz, und vielleicht Worte der Liebe und der Hoffnung. Und wenn all das nicht zu sagen gelingt, dann doch dies: dass wir Gottes geliebte Töchter und Söhne sind.

Dann, liebe Gemeinde, kann uns der Tod nicht ins Herz dringen. Dann tragen wir schon jetzt die Krone des Lebens, den Lichtkranz, im Haar.

Amen.

Liedvorschläge:

EG 374            Ich steh in meines Herren Hand

EG 149            Es ist gewisslich an der Zeit

EG 378            Es mag sein, dass alles fällt

EG 347            Ach bleib mit deiner Gnade

Perikope
18.11.2018
2,8-11

Himmelfahrt Christi - Predigt zu Offenbarung 1,4-8 von Matthias Rein

Himmelfahrt Christi - Predigt zu Offenbarung 1,4-8 von Matthias Rein
1,4-8

Predigt zum Tag der Himmelfahrt Christi, 10.5.2018, Festgottesdienst in der Dorfkirche „Zum Guten Hirten“ Rhoda (bei Erfurt) Predigttext Offenbarung 1,4-8 Senior Dr. Matthias Rein, Erfurt

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

 

Liebe Gemeinde,

„einfach himmlisch hier“ – so steht unter dem Foto, das mir ein Freund schickt. Zu sehen sind: Weißwurst, Mass Weißbier, blauer Himmel, Blick auf die Berge, Biergarten-Tisch und lachende Freunde.

„Einfach himmlisch hier“ – der Blick vom Berggipfel ins Tal, weite Sicht ins Land, ein Ort zum Verweilen, Schauen, Nachsinnen, dem Himmel so nah.  

„Einfach himmlisch“ - der Blick aus dem Flugzeugfenster über den Wolken der Sonne entgegen. Über den Wolken ist die Freiheit wohl grenzenlos. Man kann sich gar nicht sattsehen.

 

Einfach himmlisch auch mein Blick von der hohen Kanzel hier in der Kirche „Zum guten Hirten“ auf Sie, liebe Gemeinde: fröhliche Menschen und wunderbare Musik. Gemeinsam feiern wir die Auferstehung des Herrn, denn wir sind selbst auferstanden, wie Goethe so schön dichtet.

 

Ein Stück Himmel auf Erden über den Wolken, auf dem Berg, im Biergarten, in der Kirche – das ist wunderbar. Einfach himmlisch – der Blick, die Mahlzeit, das Fest. Ein kleines Stück des Himmels auf Erden. Ein Vorgeschmack.

Und zugleich wissen wir: So einfach geht das nicht. Der Himmel ist der Ort, wo Gott wohnt. Und da kommen wir nicht so einfach hin per Flugzeug, mit Bergsteigerkondition, per Gastwirt.

Himmel und Erde sind und bleiben getrennt, auch am Tag der Himmelfahrt Christi.

 

Von der Erde in den Himmel und wieder zurück – das wünschen wir uns. Und damit ist gemeint: von unserer irdischen Lebenssphäre mit all ihren Begrenzungen zu Gott und mit ihm wieder zurück auf die Erde. Wie kann das gehen? Wie kommen wir in den Himmel? Wie kommt Gott auf die Erde? Wie kommen Himmel und Erde zusammen?

 

Die Bibel beschreibt dies mit eindrücklichen Bildern.

Das Licht bricht durch die Wolken.

Der Blitz durchzuckt den Himmel.

Die Feuersäule reicht bis in den Himmel

Donner grollt, Wind säuselt, die Wolke verhüllt, der Regenbogen leuchtet.

Berge spielen eine Rolle. Da, wo Gott Mose begegnet, da wo Jesus vom göttlichen Glanz verhüllt wird.

Und immer wieder: die Stimme Gottes – hörbar, verstehbar, gewaltig.

Unsichtbar bleibt allerdings der, der spricht.

 

Johannes – ein Christ, der sich auf der Mittelmeerinsel Patmos aufhielt, hat gesehen, was im Himmel ist. Er steckt quasi den Kopf durch die Wolkendecke. Und er gibt uns einen Bericht davon.

 

Er schreibt zu Beginn seines Himmelsberichtes folgendermaßen:

 

„Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asia: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind,

und von Jesus Christus, welcher ist der treue Zeuge, der Erstgeborene von den Toten und Fürst der Könige auf Erden! Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unsern Sünden mit seinem Blut

und uns zu einem Königreich gemacht hat, zu Priestern vor Gott und seinem Vater, dem sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Stämme der Erde. Ja, Amen.

Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.“

 

Johannes zeichnet ein Bild von Christus. Das Bild zeigt einen König, einen Herrscher auf einem Thron.

Dieser Herrscher trägt die Kennzeichen des irdischen Jesus.

Er ist der treue Zeuge, der Anfechtung und Leid am eigenen Leib erfahren hat.

Er wurde durchbohrt und hat sein Blut vergossen. Er ist in den Tod gegangen.

Er ist auferstanden. Und nun herrscht er als König über alle anderen Könige, Herrscher, Mächte und Gewalten auf Erden.

Diesem König gilt Respekt, Anerkennung und Ehrerbietung.

Christus – der Weltenherrscher – so das Bild des Johannes.

 

Dieses Bild unterscheidet sich von den Bildern, die uns geläufig sind:

Christus der Wanderprediger, der Erzähler, der Heiler, der Eselsreiter, der Weinende im Garten Gethsemane. Christus, der Debattierer, der zornige Tempelreiniger.

Und am Ende der Machtlose, der Sterbende.

 

Hier nun ganz andere Farben: Licht, Glanz, Gold.

Und andere Töne: Fanfarenklänge, Hymnen, Pauken und Trompeten.

 

Was hat dieser Herrscher-Christus mit uns Menschen zu tun?

Oder anders gefragt: Wie kommen Himmel und Erde zusammen?

 

Johannes, der Himmelsseher, schaut genau hin.

Er sieht, wie Jesus mit den Menschen auf Erden umgegangen ist. Jesus wendete sich den Menschen in Not zu, voller Liebe.

Johannes sieht, wie Jesus starb. Sein Blut wurde vergossen, auf den ersten Blick umsonst.

Er sieht, was er jetzt als Himmelskönig tut. Er verschenkt die Teilhabe an seinem Königreich. Er macht alle zu Priestern an Gottes Tempel, die an ihn glauben.

 

So entfaltet sich der Himmel auf Erden:

in Christus, dem Liebenden,

in Christus, der sein Leben gibt und von Sünde befreit,

in Christus, der Menschen zu Königen und Priestern macht.

Wir werden Teil der großen Verwandlung: der erniedrigte Jesus wird zum Herrscher aller Mächte, das vergossene Blut reinigt und erlöst von der Sündenmacht, der Tote wird lebendig. Und wir mittendrin - geliebt, befreit, erhöht, so nah bei Gott wie nur möglich.

 

Johannes sieht, was war und was ist. Er sieht auch, was kommt.

Eine Wolke nahm Christus auf und brachte ihn in den Himmel. Eine Wolke bringt ihn wieder auf die Erde zurück.

Dann werden alle Menschen ihn sehen und ihn erkennen, mit eigenen Augen, mit eigenem Verstand, mit dem eigenen Herzen.

Wer ihm angehört, hat Grund zum Jubel.

Wer ihm nicht angehört, hat Grund zur Klage. Die, die ihn durchbohrt haben, so Johannes.

 

Wenn sich der Himmel auf der Erde ausbreitet, liebe Gemeinde, dann zeigt sich,

was gut und böse ist,

was Bestand hat und was vergeht,

was dem Leben dient und was dem Leben schadet.

Wir werden es sehen.

 

Wo ist er denn, der Himmel auf Erden, so unsere Frage an Christi Himmelfahrt.

 

Kann sein in fröhlicher Runde bei Freunde.

Kann sein, wenn ich allein bin auf dem Berg, den Wolken ganz nah,

kann sein jetzt hier in dieser Kirche.

 

Wir erleben den Himmel,

wo Gottes Wort zu hören und zu verstehen ist,

wo die Liebe Christi gelebt wird,

wo Gottes Geist wirkt, der Geist des Friedens, der Geduld, der Langmut, der Barmherzigkeit.

Das ist nicht an bestimmte Orte, an bestimmte Zeiten gebunden. Das ereignet sich auf der ganzen Welt, ganz im Kleinen und auch im Großen.

 

Zwei Männer stehen bei den Jüngern, als Jesus verschwindet in den Himmel. Nüchtern fragen sie: Was steht ihr da und seht gen Himmel? Ich ergänze: Da werdet ihr Christus nicht finden. Vielmehr ist er mitten unter Euch. 

 

Was, liebe Gemeinde, was haben wir nun zu tun als Königreich-Teilhaber und Priester, als Geliebte und Befreite?

Von Christus erzählen und lehren, so antwortet Jesus auf diese Frage.

Menschen auf Jesu Namen taufen, denn immerhin sind wir alle Priester.

Keine Furcht haben, denn Christus, der Herrscher über Himmel und Erde, ist bei uns alle Tage bis an der Welt Ende.

 

Der Himmel ist da!

 

Amen

 

 

 

 

Perikope
10.05.2018
1,4-8

„Christi Himmelfahrt ist kein Fest der Kirche.“ - Predigt zu Offenbarung 1,4-8 von Friederike Erichsen-Wendt

„Christi Himmelfahrt ist kein Fest der Kirche.“ - Predigt zu Offenbarung 1,4-8 von Friederike Erichsen-Wendt
1,4-8

Vorbemerkung:

Die Predigt setzt einen Gottesdienstort „im Freien“ voraus, wie es in vielen Gemeinden üblich ist.

Predigtmanuskript:

Wir hören auf Worte aus der Johannesoffenbarung im ersten Kapitel (VV. 4-8):

 Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asia: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind, 

und von Jesus Christus, welcher ist der treue Zeuge, der Erstgeborene von den Toten und Fürst der Könige auf Erden! Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unsern Sünden mit seinem Blut und uns zu einem Königreich gemacht hat, zu Priestern vor Gott und seinem Vater, dem sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Stämme der Erde. Ja, Amen. 

Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.

Zwischen a und o.

Anfang und --- Unter freiem Himmel und doch mit Ort,  an einem alten Ort und an einem neuen Tag.  Die ersten Buchstaben sind keine Buchstaben.  Das erste Licht beleuchtet nicht die Worte,  das erste Wort aber schuf die Welt. Und wir sind hier.  Auf dieser Welt.  Mittendrin.  Zwischen A und O.  Anfang und Offenem.  Arbeit und Osterlachen.  Ordnung und Aufatmen.  Orientierung und Aufbrechen.  Das ist das A und O,  sagen wir,  und meinen: Das ist doch am Allerwichtigsten.  „Ich bin das A und O“, weiß die Johannesoffenbarung von Gott. Ich bin’s: Anfang und Offenes, Arbeit und Osterlachen, Ordnung und Aufatmen, Orientierung und Aufbrechen.  Christi Himmelfahrt ist die Geschichte, in der Gott sich zeigt.  Das klingt widersprüchlich: Denn es wird doch erzählt, dass Jesus gen Himmel verschwindet, unserem Blick gerade eben entzogen ist.  Entzogen sich zeigend.  Eine besondere Zwischenzeit, in der Schwebe.  Ich weiß nicht, was werden wird.  In der Schwebe sein. Werde ich wieder gesund? Wie wird es sein, krank zu bleiben? In der Schwebe sein.  Ob es klappt – mit dem neuen Job, eine neue Aufgabe, ganz anders leben?  In der Schwebe sein. „Sie liebt mich, sie liebt mich nicht.“ Mitten in der Schwebe tauchen diese großen Worte auf: Angst und Hoffnung, Abschied, Verheißenes, Trauer, Vorfreude.  Das steht noch in den Wolken, sagen sie.  Christus kommt mit den Wolken, sagt die Johannesoffenbarung.  Da und doch nicht da.

Wir leben, als sei Jesus bis gerade eben an unserer Seite gewesen. Ganz nah sind uns diese Worte: Selig sind, die reinen Herzens sind. Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Steh auf – nimm dein Bett und geh. Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Senfkorn. Worte, die prägen. Eigentlich. Und dann sind da die Abschiede, Trauer und Angst. Es wird anders. Bleibt alles anders. Wichtiges und Nahes steht auf dem Prüfstand: Personalstellen, Gebäude, Gottesdienstorte.  Leben auf den Prüfstand gestellt. Das der Kirche, und wie viel mehr all das, was mich umtreibt.

Auf-sich-gestellt, allein. Da ist keine, die sagt, wie es geht.  Wir hätten darauf vorbereitet sein können. Jesu Jünger waren es. Seit Gründonnerstag. Diese Tage, an denen man sich doch eigentlich darauf einstellen könnte – auf das, was da kommt. Trotzdem ist jetzt das Entsetzen groß. Wir wissen, was ansteht. Und sind doch bewegt.

Denn es geschieht etwas, was wir selbst nicht in der Hand haben. Ich werde über mich selbst hinausgerissen. Emporgezogen. Hinuntergestoßen. Außerhalb meiner selbst bei mir.  Bis eben noch war alles so wie immer. Nun jetzt? Jetzt ist alles anders. Wie Allein-Sein fühlt sich das an.  Als Christin zu leben. Als Gemeinde zu entscheiden: Das eine oder das andere, gemeinsam oder doch lieber allein.  Christus kommt mit den Wolken. Sagt die Schrift. Seht den Himmel an! Christus bleibt entzogen nicht unsichtbar. Sichtbar – sieh auf! Zu den Bergen, zu Deinem Nächsten, auf Deine Kirche! Erlebbar – sieh auf! Auf Deine Freude, Deine Hoffnung, die Verheißung, auf die Sommersonne, den neuen Tag.

Alle werden ihn sehen.  Die, die jeden Sonntag treu in die Gottesdienste gehen. Niemand kann sagen: Ich habe jemals eine leere Kirche von innen gesehen.  Wenn Du die Glocken hörst und Dich noch einmal im Bett umdrehst.  Die Busfahrerin, die Dich zur Arbeit fährt.  Rudi, der am Pfarrhaus klingelt und an jedem  Monatsletzten dringend ein Rezept für seine kranke Frau einlösen muss.   Die Alte mit dem Kopftuch, die immer im Fenster sitzt und auf der Straße nach dem Rechten schaut.  Die, die alles wissen und die, die nichts wissen.  Die, die mehr sehen als andere und die, denen die Welt die Augen trüb gemacht hat.  Alle werden ihn sehen.

Christi Himmelfahrt ist kein Fest der Kirche.  Es ist für alle.  Mag sein, es ist dafür auch ein Zeichen, dass wir heute mit unserer Musik, unseren Gebeten und der Bibel nach draußen gehen.  Es ist für alle.  Jesus verlässt Wenige, um allen nah zu sein.

Die Johannesoffenbarung erzählt dazu etwas Überraschendes:  Alle werden deshalb klagen.  Wiedersehen macht offensichtlich nicht immer Freude.

Der Trost der Nähe geht mit der Wahrheit Hand in Hand.  Trost und Wahrheit gehen Hand in Hand.   Dieser Wahrheit:  Das Leid, das geschieht, verdunkelt die Würde der Menschen, greift sie an, zieht und zerrt an ihnen. Nicht aber Gottes. Dieses mächtige Bild Gottes in den Himmeln ist all denen Trost, die sich selbst nicht mehr wiedererkennen angesichts des Leides, das ihnen geschehen ist. Die entstellt sind. Verkrümmt. Gebeugt. Blind. Taub. Auf sich geworfen.

Alle werden klagen. Niemand wird mehr Unrecht leugnen, schönreden, verharmlosen. Niemand wird sagen: Das wird schon wieder.

Gottes Trost ist kein kleiner Trost. Gottes Trost ist, wenn unsere ersten Buchstaben keine Buchstaben sind, sondern Stammeln, Ringen, Suchen.  Gottes Trost ist groß. Gottes Wahrheit ist groß.

Lasst uns groß davon reden. Auch in kleinen Gemeinden dem großen Trost trauen. Der Klage Raum geben. Und wissen: Gottes Würde bleibt. Wirkt in dieses Kleine hinein. Großer Trost und große Wahrheit nehmen dein kleines Leben in die Mitte und fassen Dich an der Hand. Und wenn der Stein zu mächtig ist, der in Deinem Weg liegt, dann heben sie dich an und schwingen dich drüber. Und ein bisschen was von den Wolken legt sich – wie früh am Morgen, kurz bevor die Sonne aufgeht, über den Erdboden, über das Kopfsteinpflaster Deines Lebens, damit Du gut landest.

Was wir glauben, werden dereinst alle sehen.  Und wer all dies geschaffen hat, ist A und O.  Die ersten Buchstaben sind keine Buchstaben.  Sie sind Staunenslaute.  Oh! Ah!

Alle werden sehen. Doch sieh Du auf Dein eigenes Leben! Wo bin ich an die Hand genommen, von Trost und von Wahrheit?

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Das Erste, was wir sagen könnten, sind keine Worte. Keine Buchstaben. Staunenslaute: Oh! Ah! – Wenn Sie mögen, können Sie einen Moment lang probieren, wie das für Sie klingt: Vielleicht hören Sie nur in sich diesen Ton, vielleicht ist er ganz leise, nicht mal Ihr Sitznachbar hört ihn, vielleicht ist er aber auch ganz nachdrücklich und laut, so dass es Sie selbst überrascht. Wir haben dafür einen weiteren Moment lang Zeit. Gottes Welt ist groß genug für all dieses Staunen.

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Ganz unbehaust und doch zuhause.  Gottentzogen und doch von Trost und Wahrheit an die Hand genommen. Denn Gott spricht: Ich bin, der da ist und der da war und der da kommt.

Amen.

Perikope
10.05.2018
1,4-8

Die Schlüsselgewalt und die Schlüssel des Lebens - Predigt zu Offenbarung 1,9-18 von Christof Vetter

Die Schlüsselgewalt und die Schlüssel des Lebens - Predigt zu Offenbarung 1,9-18 von Christof Vetter
1,9-18

Es war vor anderthalb Jahren, im Oktober 2016, vielleicht auch Ende September. Es ist spät geworden. Wir kommen nach Hause. Meine Frau hat mich vom Bahnhof abgeholt, wir haben noch etwas gegessen unterwegs und ein Glas Wein getrunken – oder auch zwei. Wir haben uns erzählt, was so gewesen ist, die langen Tage seit ich das letzte Mal zu Hause war. Bei Ihr. Bei mir.

Jetzt kommen wir nach Hause. Es ist schon dunkel, ein schöner Herbstabend. „Ich geh noch 'ne Runde mit Tocto“, sagt Silvia, meine Frau. „Ich geh schon einmal rein,“ Die Tasche voller dreckiger Wäsche schleppe ich in den Flur.

Das Telefon blinkt rot. Da hat jemand angerufen: „Mein Name ist Dr. Ullrich Händchen. Ich bin der Vorsitzender vom Kirchenvorstand in Aerzen und habe gehört, sie würden sich für die Pfarrstelle in Aerzen interessieren.“

Ich bin wie elektrisiert. Wer hat da geplaudert? Klar, interessiert mich die Stelle, aber ich kann doch im Moment nicht wechseln. Das muss ich mit meiner Frau besprechen. Gleich. Das verdient keinen Aufschub. Sofort. Ich weiß ja, wo sie mit dem Hund geht. Ich gehe ihr schnurstracks entgegen. Hinter mir fällt die Tür ins Schloss. Da wird mir sofort klar, nun haben wir zur Frage „Aerzen oder nicht“ noch ein Problem: Der Schlüssel ist drin.

Liebe Gemeinde,
ich könnte jetzt ausführlich weiter erzählen: Wie einbruchssicher unser Haus ist. Wie unerfahren in Sachen Einbrüche ich und meine Frau sind. Wie nett unsere Nachbarin ist, die ein Glas Wein vorbei brachte, während wir auf den Schlüsseldienst warteten. Letztendlich könnte ich auch genau sagen, wie teuer ein Schlüsseldienst am späteren Abend ist und welch schönen und lauschigen Herbstabend ich mit meiner Frau auf unserer Bank vor dem Haus verbracht haben. Ich ahne, das würde Sie alles brennend interessieren – aber etwas anderes ist an diesem letzten Sonntag nach Epiphanias entscheidend:

Nur wer den richtigen Schlüssel hat, kann die Tür öffnen.

Johannes, der Seher, der Visionär war auf der Insel Patmos. Nicht freiwillig. Die römische Staatsmacht hatte das so beschlossen: „Der ist reif für die Insel“. Und sie hatten den Schlüssel, wenn er wieder zurück will. Verbannt, weil die Gemeinden der Christen geschwächt werden soll. Verbannt, weil das Evangeliums von Jesus Christus nicht weitergesagt werden soll. Sie empfand das als beleidigend, dass die Christen einen gekreuzigten Aufrührer als den Herrn der Welt verkündigen.

Verbannt auf Patmos. Eine wunderschöne Urlaubsinsel mitten in der Ägäis Patmos.  Lauschige Hügel, umher ziehende Schafe. Patmos. Dort haben die Menschen Zeit. Und dieses unglaublich blaue Meer umspielt die Insel.

Für Johannes war es kein Urlaub. Eher genau das Gegenteil: verbannt – festgesetzt. Und dann hatte er dort noch diese Visionen: Was er sah, war erschreckend: Einer, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, seine Augen wie eine Feuerflamme seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht. Da kann einer schon Angst bekommen. Und dazu diese Geräusche, diese Lautstärke: Eine Stimme wie von einer Posaune. Eine Stimme wie großes Wasserrauschen. Wer solche Visionen hat, bekommt Angst. Bekommt Panik:

Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

Das ist so eine Sache mit den Schlüsseln. Und noch mehr mit denen, die sie haben. Schlüsselgewalt.

Vor vielen Jahren. Besuch in einer Justizvolzugsanstalt. Die Frauen, die dort einsitzen, bleiben automatisch vor jeder Tür stehen. Warten auf den Schließer, die Schließerin, den Menschen mit Schlüsselgewalt. Auch vor der Tür der Kapelle.
Erstauntes Fragen: „Wie, die Kapelle ist auch abgeschlossen?“ Nein, weiß die Gefängnisseelsorgerin, doch die Menschen hier haben gelernt vor jeder Tür stehen zu bleiben.

Und wie es das mit unseren Türen? Den Türen ins Himmelreich? Den Türen in die Phantasie? Den Türen ins Leben?

Das, was Johannes erlebte, sah und hörte ist eindeutig: Johannes hat keinen Schlüssel, um zu seiner Gemeinde, um ins Leben zurück zu kehren. So seine Gegenwart.

Johannes sieht, hört und weiß aber, die Schlüssel zur Hölle, die Schlüssel zum Tod, hat der Herr des Lebens. So seine Gewissheit.

Dazwischen findet das Leben statt, sein Leben. Wie anders ist da unser Leben, wir haben die Schlüssel zu unserer Wohnung, unserem Haus, wenn wir sie nicht dummerweise liegen lassen. Wir haben die Schlüssel, zu vielen Türen des täglichen Lebens. Aber wie ist es um die Schlüsselgewalt, die Schlüsselgewalt des Lebens bestimmt?

Die Tür, die aufgehen könnte, in eine neue Zukunft, in eine andere Wirklichkeit, in eine Welt wachsender Gerechtigkeit, in eine Wirklichkeit voller Frieden, in eine Existenz unendlicher Liebe?

Unsere Schlüssel nehmen wir jeden Tag in die Hand. Immer haben wir sie dabei. Jeder Schlüssel ein Lebensraum, in dem wir uns bewegen: Unsere Wohnung, unser Arbeitsplatz, sogar unser Auto.

Und die anderen Schlüssel? Der Schlüssel, zu dem Nachbar, mit dem ich seit langem im Clinch liege. Der Schlüssel, zu der Kollegin, mit der ich nur noch den morgendlichen Gruß austausche. Der Schlüssel, zu dem trauernden Freund, dem ich schon so lang aus dem Weg gehe.

Schlüssel, die jede und jeder von uns in sich herumträgt. Schlüssel geprägt von lähmender Ängste, die uns überfallen einfach so; Schlüssel, die einfach so kommen: Krankheiten die plötzlich da sind, schmerzhafte Abschiede ohne Vorwarnung. Das wäre doch einfach: Kein Sinn erkennbar, kein Schlüssel vorhanden!
Oder noch einfacher: Unterschiedlicher Meinung, kein Schlüssel vorhanden! Schlüssel für die verschlossenen Türen unseres Lebens.

Sorry, liebe Gemeinde, diese Schlüssel haben wir alle. Die tragen wir in uns. Die haben wir geschenkt bekommen. Den Schlüssel gegen die Angst und den Schlüssel gegen die Hoffnungslosigkeit. Den Schlüssel gegen den eigenen Stolz und den Schlüssel gegen die eigene Mutlosigkeit. Oder einfach ausgedrückt: Die Schlüsselgewalt für das Leben.

Manche dieser Schlüssel laufen ein wenig schwer, klemmen im Schloss, sind zu selten gebraucht, knirschen und knarren, wenn wir sie umdrehen.

„Fürchte dich nicht“, sagt die Stimme zu Johannes laut wie eine Posaunen, rauschend wie das Meer, das sich nicht einsperren lässt.

„Fürchte dich nicht“, sagt die Stimme in uns, nutz die Schlüssel, die Du hast: den Schlüssel des Lächelns, den Schlüssel der Freundlichkeit, den Schlüssel der Höflichkeit und den Schlüssel, der nie gedachten Gedanken.

„Fürchte dich nicht“ – Gottes Wort an uns, der Engel Gesang für alle Welt. „Fürchte dich nicht“ – die Botschaft des Lebens. „Fürchte dich nicht“ – der Schlüssel zum Leben, der Schlüssel in die Freiheit. Das überraschende Wort voller Frieden an den Nachbarn, der mich schon immer stört. Das liebevolle Kompliment an die Kollegin, die mich bis zur Erschöpfung nervt. Die tröstende Umarmung des Trauernden. „Fürchte dich nicht“, sprich es aus, sing es aus dir heraus, mach es einfach.

Die Erfahrung ist einfach: Wir verändern die Welt. Das Dunkel weicht. Licht leuchtet. Wir haben die Schlüsselgewalt zum Leben.

Und die Schlüssel zu Tod und Hölle wissen wir in guten Händen, in den Händen unseres Bruders, Jesus Christus, des Menschensohns.

Was für eine tolle Verteilung der Schlüssel.

Perikope
21.01.2018
1,9-18

Jesus Christus als Leitbild - Predigt zu Offenbarung 1,9-18 von Bogislav Burandt

Jesus Christus als Leitbild - Predigt zu Offenbarung 1,9-18 von Bogislav Burandt
1,9-18

Bilder, liebe Gemeinde, sind lebenswichtig; überlebenswichtig geradezu. Damit meine ich nicht die Bilder aus dem Fernsehen oder dem Kino. Ich meine damit vielmehr die positiven inneren Bilder, die einem selber kommen und zur Verfügung stehen.

 

Neulich las ich ein wenig über Viktor Emil Frankl.1 Frankl war österreichischer Arzt und Psychologe, er hat die Logotherapie und die Existenzanalyse erfunden. Als Jude wurde er mit seiner Familie von den Nationalsozialisten ins Konzentrationslager gebracht; erst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz. Bilder des Schreckens, der Misshandlung und des Todes griffen ihn an und umgaben ihn. Aber er hielt sich fest an dem Bild, dass er überleben würde und als Wissenschaftler über die Erfahrungen des KZ Vorträge halten würde. Und so geschah es dann auch. Das Bild von einer heilen Zukunft half ihm, an der Gegenwart nicht zu zerbrechen. Dieses Bild war für ihn überlebenswichtig.

 

Von einem anderen Menschen in bedrohlicher Lage haben wir gerade gehört. Ich meine damit den Seher Johannes. Er befindet sich auf der Insel Patmos in Verbannung, an und für sich lebt er mit den christlichen Gemeinden in Kleinasien auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Der Seher Johannes ist Prediger und verkündigt Jesus Christus. Aber nun sieht es für ihn schlecht aus. Die Machthaber haben ihn ihre Macht spüren lassen. Im Zweifelsfall ist Johannes geschlagen und mit Drohungen überschüttet worden. Ungefähr so:

Er solle sich sofort die Rede von Jesus aus dem Kopf schlagen, sonst würde er den seinen nicht mehr lange behalten. Er solle Vernunft annehmen und die Leitkultur des römischen Reiches akzeptieren: d.h. die Gewalt des Kaisers in Rom anerkennen, die Wirtschaft mit der einheitlichen Währung des Denars in jeder Hinsicht fördern und den Kaiser als Gott verehren; egal welche Götter auch immer er sonst noch daneben ehren wolle. Kurz: Johannes solle seinen Blick auf die römische Macht wenden. Die Insel Patmos, auf der es nichts zu sehen gibt, solle ihm eine Hilfe sein zur Besinnung zu kommen.

 

Der Seher Johannes, liebe Gemeinde, weiß wovon er spricht, wenn er sich seinen Glaubensgeschwistern so vorstellt: Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus. Johannes geht nicht auf die Gehirnwäsche der Machthaber ein. Er ertrinkt nicht in Werbung und Broschüren, er lässt sich nicht ablenken von seinen christlichen Gedanken. Er hält sich frei für das Wort Gottes und das Zeugnis von Jesus.

 

Und da wird er an einem Sonntag vom Geist ergriffen, und er bekommt etwas zu sehen und zu hören. Er sieht sieben goldene Leuchter und er sieht einen, der war einem Menschensohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel... er hat sieben Sterne in seiner rechten Hand und aus seinem Munde ging ein scharfes zweischneidiges Schwert.

 

Bilder, liebe Gemeinde, sind nicht eindeutig. Das ist gerade ihre Stärke. Bilder sind flächig, sie bieten mehr Lesarten als ein ausformulierter Text. Dies gilt auch für die Bilder, die der Seher Johannes schaut. Wir dürfen sie nicht mit klaren Aussagesätzen oder mit exakten Photographien verwechseln. 

 

Es gibt freilich eine gepflegte norddeutsche Nüchternheit, die für Bilder nur einen schrägen Blick übrig hat; insbesondere, wenn sie – wie im Fall des Johannes – als Visionen daherkommen. Ich meine damit den fast sprichwörtlichen Satz von Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“2

Ich finde: Der Satz des Ex-Bundeskanzlers ist in seiner Allgemeinheit falsch. Er bringt ein allzu schlichtes und negatives Verständnis von „Vision“ zum Ausdruck. Verstehen wir unter Vision allgemeiner ein Bild, das sich eingestellt hat bei einem Menschen durch wen oder was auch immer, dann werden wir offener. Dann können wir würdigen, dass Visionen Wege eröffnen und retten.

 

Vor 12 Jahren haben wir in unserer Gemeinde einen Basar begangen unter dem Motto: „Der Wind weht wo er will“. Damals kam ein Alternativer zu uns und baute in unserem Lichthof Info-Tafeln auf. Er sagte, dass Deutschland keine Kernenergie brauche, weil alternative Energien wie z.B. Windenergie alles ersetzen könnten. Seine Vision ist Wirklichkeit geworden!

Visionen retten; wie z.B. die Vision eines ‚berichtenden Wissenschaftlers’ damals Viktor Emil Frankl im KZ gerettet hat. 

 

Eine Vision die rettet, das sind für den Seher Johannes die Bilder, die er schaut. Er versteht sie, weil er den Propheten Daniel, in dem von einer Vision des Menschensohnes die Rede ist, genau kennt. Die Vision kommt für den Seher Johannes unerwartet, aber es sind Bilder, mit denen er sich irgendwie in ähnlicher Weise mal befasst hat. Und dann hört Johannes auch noch, was der, vor dem er sich so erschrocken hat, sagt: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

 

Die Worte des Menschensohnes, in ihnen hört Johannes Jesus Christus selbst sprechen. Seine Worte sind das Vorzeichen über die Vision und die Bilder, die er geschaut hat. – Für Johannes bedeutet das: Keine Angst vor nichts und niemandem! Jesus Christus lebt. Jetzt. Und er setzt sich am Ende der Tage durch! Nicht die Machthaber haben die Macht, nicht die Wirtschaft wirtschaftet in Ewigkeit, Kultstatus kommt nur einem zu: Jesus Christus, der für Dich und für mich gestorben, durch die Hölle gegangen und von den Toten auferstanden ist!

 

Herrlichkeit verbürgt nur Gottes Sohn. Auch im Evangelium von der Verklärung Jesu ist davon die Rede. Wenn Jesus Christus allein Herrlichkeit verbürgt, dann bedeutet das:

 

Sein Bild steht für mich an erster Stelle. Dann gibt es zwar die Ansprüche der Machthaber und die Ansprüche des Alltags an mich. Aber sie haben nicht das letzte Wort. Die Vision von Jesus Christus, das Bild von ihm ist die entscheidende kritische Instanz! Das tröstet mich. Und es lässt mich auch auf Distanz gehen zu todesverliebten Untergangsszenarien aller Art...

 

Der Seher Johannes jedenfalls schiebt munter alle Untergangsdrohungen gegenüber seiner Person beiseite und schreibt an sieben Gemeinden in Kleinasien sinngemäß: Jesus Christus ist unser Leitbild!

 

 

Ich schließe mit einem Stück eigener Poesie:

 

Bild’ dir nicht ein

ein Bild allein

sei dein.

 

 

Bilder brauchst Du

für deine Ruh

Immerzu.

 

 

Bild’ dir Bilder,

die geben

und bewegen,

was sie leben!

 

 

Bild’ dir Bilder,

die öffnen und heilen,

- nicht rennen und eilen -

bei Hoffnung verweilen!

 

 

Bild’ dir Christus

            von neuem ins Herz

            als Kraft zum Leben

            in Freude und Schmerz.

 

 

AMEN

 

 


1 I S. GPM 72.1, „Zukunft haben“. Predigtmeditation über Offb 1,9-18, Jula Elene Well, (128-133) bes. S.131/132.

2 I S. GPM 72.1, „Nehmt und trinkt, hungert und dürstet!“. Predigtmeditation über Offb 21,6a, Hans-Ulrich Gehring, (93-99) S.98.

Perikope
21.01.2018
1,9-18