Lebendiges Wasser für dich - Predigt zu Offenbarung 21,6 von Peter Schuchardt
Liebe Schwestern und Brüder,
in vielen Städten gibt es wie bei uns einen Brunnen auf dem Marktplatz. Meist sind diese Brunnen sehr alt. Denn das war früher der Ort, wo die Menschen ihr Trinkwasser her bekamen. Mit großen Eimern holten sie es und brachten es dann in die Häuser. Heute ist das nicht mehr nötig. Heute drehe ich den Wasserhahn in der Küche auf und habe frisches sauberes Wasser. Darum sind heute diese Brunnen oftmals nur zur Zierde da. Der Brunnenrand ist schön eingefasst, eine Figur thront über dem Ganzen. Denkt an die Tine in Husum und an den wohl berühmtesten Brunnen der Welt, an den Trevi-Brunnen in Rom. Touristen lassen sich davor fotografieren. Im Sommer baden die Kinder ihre Füße in dem Wasser. Aber trinken sollte man das nicht. Oftmals ist ein großes Schild angebracht: „Kein Trinkwasser!“. Das Ganze ist nur noch eine Spielerei fürs Auge und für die Touristen. Den richtigen Durst musst du woanders löschen.
Durst gehört zu den quälenden Erfahrungen, die du machst. Ein Sprichwort sagt „Durst ist schlimmer als Heimweh“. Das kann richtig quälend in dir brennen, die Sehnsucht nach einem frischen Schluck Wasser. Bei Kleinkindern und Älteren muss man sorgsam darauf achten, dass sie genug trinken. Dahinter steckt die Erfahrung: Jeder Mensch braucht lebensnotwendig etwas zu trinken. Sonst stirbt er ganz schnell. Ein Mensch kann zwar viele Wochen ohne Essen auskommen. Aber schon nach wenigen Tagen stirbt er, wenn er nichts zu trinken bekommt. Wer auf einer langen ermüdenden Wanderung seine Trinkflasche vergessen hat, der kennt die große Freude, endlich an einen Bach mit frischem klarem Wasser zu kommen, um seinen Durst zu stillen. Ich erinnere mich gut an den Kirchentag in Stuttgart vor wenigen Jahren. Mit einem Mal brach eine Hitzewelle aus. Selbst die Einheimischen stöhnten unter der ungewohnten Wärme. Die Wasserwerke bauten überall in der Stadt Versorgungsstellen auf, wo jeder umsonst Wasser abfüllen konnte. Dieses normale Wasser schätzen wir oft viel zu gering. Denn leider fallen wir immer wieder auf die Versprechungen der Werbung herein und trinken süßes Zeug wie Cola oder Brause. Das aber macht den Durst nur noch schlimmer. Es schmeckt gut, süß und prickelnd, aber es hilft nichts. Das ist dann so ähnlich wie die Brunnen, die schön aussehen, aber kein Trinkwasser enthalten.
Es gibt auch noch einen Durst, der tiefer sitzt. Das ist der Durst nach Leben, nach Liebe und Geborgenheit. In jedem Menschen brennt dieser Durst in seinem Herzen. Es gibt Zeiten, da brennt dieser Durst besonders stark in dir. Unsere Jugendlichen und Konfirmanden machen sich auf den Weg in ihr eigenes Leben. Sie spüren ganz doll diesen Durst. Sie wollen das Leben kennenlernen, wollen Neues ausprobieren und erfahren. Die sind richtig durstig nach Leben. Das ist gut und wunderbar. Manch anderer erlebt sein Leben wie eine Wanderung durch eine unendliche Wüste. Schon so lange hat er nicht mehr gespürt, was das Leben eigentlich ist und wie es schmeckt. Er ist gefangen in Routine, wird zerrieben zwischen dem Druck der Arbeit und der Anforderungen anderer. Trotzdem ist doch der Durst nach Leben weiter da. Der begleitet uns unser ganzes Leben lang. Wie bitter ist es, wenn dieser Lebensdurst nicht gestillt wird, wenn ein Mensch innerlich verdurstet.
Aber es gibt ja bunte Orte und Attraktionen. Die sehen aus wie die Brunnen auf den Marktplätzen der großen Städte. Viele Menschen drängen sich davor. Es scheint genau hier zu sein, wo das Leben wie aus einer großen Quelle sprudelt. Diese Attraktionen heißen Drogen, Alkohol, sie heißen Arbeit und Anerkennung. Auch die Kaufhäuser und die bunten Internetseiten, die so viel versprechen, wirken wie solche Brunnen, an denen ich scheinbar meinen Durst nach Leben stillen kann. Bei meiner Arbeit als Klinikseelsorger treffe ich immer wieder Menschen, die an diesen Brunnen geschöpft haben, weil sie so durstig waren. Immer wieder und jahrelang. Sie haben Alkohol getrunken, haben Drogen genommen, haben ihr Haus wie aus einem Katalog eingerichtet, haben gearbeitet ohne Ende, waren immer bereit, noch mehr zu tun. Sie haben dabei aber immer nur mehr Durst bekommen. Denn alles das ist wie das süße Zuckerzeug, das uns die Werbung als Durstlöscher anpreist. Das hilft vielleicht kurze Zeit. Aber der Durst wird nur größer. Das Bittere dabei ist: Oft wird das Ganze teuer bezahlt. Denn es ist wie so oft: Ganz schnell hast du zu viel davon genommen, vom Alkohol, von der ständigen Arbeit, und dann macht es dich kaputt. Dein Durst nach Leben wird dadurch nicht gestillt, sondern nur für kurze Zeit betäubt. Liebe Schwestern und Brüder, in der Klinik sind ja nur die Menschen, die das gemerkt haben. Unzählige andere machen das auch, ohne es offen zu zeigen oder noch trauriger: Ohne es zu merken!
Denn so wie die Touristenhighlights in Rom und anderswo ziehen diese Brunnen viele andere Menschen an. Es ist ganz schwer einzusehen: Hier bin ich völlig verkehrt, wenn ich meinen Durst wirklich stillen will. Es ist schwer, sich von den anderen Menschen zu lösen und sich auf die Suche zu machen nach dem, was wirklich den Lebensdurst stillt. Die Jahreslosung, das Wort aus der Bibel für das neue Jahr 2018, erzählt uns von der wahren Lebensquelle: Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Dieses Wort steht in der Offenbarung des Johannes im 21. Kapitel. Die Offenbarung ist ein spannendes Buch mit einer geheimnisvollen Sprache. Mancher von euch kennt den Ausdruck „ein Buch mit 7 Siegeln“. So verschlossen erscheint manchem dieses Buch, wenn er zu lesen beginnt. Dazu musst du wissen: Johannes schreibt sein Buch, als seine Mitchristen und er vom römischen Staat verfolgt werden. Er muss so geheimnisvoll reden, weil nicht alle das verstehen sollen. Nur die Christen, die davon lesen und hören, verstehen es. Denn Johannes schreibt davon, dass die Verfolger, so mächtig sie auch jetzt noch erscheinen, von Christus und seiner Liebe besiegt werden.
Am Schluss dann schreibt er: Gott wird uns trösten und heilen. Darum ruft er uns zu sich: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Bei Gott ist die wahre Lebensquelle. In einer Werbung für ein Mineralwasser (Apollinaris) hieß es vor einiger Zeit: Aus dieser Quelle trinkt die Welt! Das stimmt längst nicht mehr, denn diese Firma verkauft nichts mehr ins Ausland. Hier nun wirklich die Quelle, der Brunnen, aus dem die ganze Welt trinken darf. Denn bei Gott ist die Quelle, die niemals versiegt. Das, was uns leben lässt, ist Gottes Liebe. Und die Liebe hört niemals auf (1 Kor 13,8). Seine Liebe ist ein Menschen geworden. In Jesus Christus, Gottes Sohn, bekommt diese Liebe Hand und Fuß. Im Wasser der Taufe können wir dieses Lebenswasser sehen. Ich muss nichts dafür tun, um getauft zu werden. So schenkt uns Gott seine Liebe auch völlig umsonst. Das Reformationsjubiläum im letzten Jahr hat uns das doch wieder in Erinnerung gerufen. Du musst nichts dafür tun, dass Gott dich liebt, keinen Ablassbrief kaufen, keine guten Taten vollbringen. Lass dich einfach beschenken.
Für mich ist das einfach nur tröstlich. Ich darf kommen. Ich darf meinen Lebensdurst stillen. Ich werde erfrischt und gestärkt meinen Weg weitergehen. Und wann immer meine Lasten zu schwer, mein Leben zu verworren, mein Durst zu brennend wird: Ich darf immer wieder kommen. Ich darf aus dieser Quelle immer wieder von Gott nehmen, so viel ich brauche. Da steht nicht: „Kein Trinkwasser!“, sondern „Reinstes Lebenswasser!“ Und sein Lebenswasser lässt mich nicht verbittert und von Durst gequält zurück. Sein Lebenswasser schenkt mir den Trost und die Geborgenheit und die Liebe, die ich so sehr suche. Und wenn ich davon getrunken habe und mich umsehe, dann erkenne ich: Aus dieser Quelle trinkt wirklich die Welt. Alle sind eingeladen, und so viele kommen. Die Starken, die Verwundeten, die Klugen, die Verzweifelten, die Zerbrochenen und die voller Freude. So viel Platz ist an dieser Quelle, und sie sprudelt und quillt ohne Ende. Wenn wir nachher das Abendmahl feiern und aus dem Kelch des Heils trinken, dann bekommt ihr eine Ahnung davon.
Für mich ist das ein gutes Wort für das neue Jahr. Nun kann ich mich getröstet und gestärkt auf die Reise machen. Was immer auch passieren wird, ich weiß ja, wo ich genug zu trinken finde, wenn mein Lebensdurst sich wieder meldet. Bei Christus, meinem und unserem Herrn, der Quelle der Liebe und des Lebens. Und du darfst auch kommen. Jeder von euch. Es ist genug da. Ich wünsche euch allen eine gute Reise durch dieses Jahr.
Amen
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Umsonst ? Jahreslosung 2018 - Predigt zu Offenbarung 21,6 von Claudia Trauthig
I. „umsonst!?“
Heute ist der Reliunterricht anders: Wir machen einen kleinen Ausflug, sagt der Lehrer, zieht eure Jacken an, und nehmt Euren Block und einen Stift mit. Die Klasse 5 freut sich. In eine „Ausstellung“ soll es gehen…? Am Ziel angekommen, gibt es ein Aufgabenblatt, um alles zu erkunden. Schnell legen die Jungen und Mädchen los. Paul aber kramt in seinen Kleidungstaschen: Mist – jetzt hab´ ich den Stift nicht mit. Als der Lehrer seine Suche bemerkt, zieht er einen einfachen Werbekuli aus seiner Jackentasche: Hier, schenk ich dir, den gab´s umsonst. Danke, murmelt Paul und greift zu, aber geschenkt will ich den nicht… Als die Aufgaben gelöst sind, gibt er ihn eilfertig zurück.
An diesem Tag ist es ganz anders auf der Königstrasse (=Haupteinkaufsstraße in Stuttgart). Mitten durch die Fußgängerzone zieht sich ein langer, L A N G E R Tisch: „Der längste Altar der Welt“.
Seltsam, denken Ruth und Gisela, 76 und 77 Jahre alt, was ist das denn? An diesem heißen Sommertag sind sie mit der S-Bahn nach Stuttgart gefahren, um nach schönen („und bequemen!“) Sandalen zu suchen. Jetzt, um die Mittagszeit, brennen ihre Füße allmählich, sind auch ein bisschen dicker geworden, und die Suche macht keinen Spaß mehr. Nehmen Sie doch hier Platz, sagt eine junge Frau in Weiß und deutet auf eine alte Kirchenbank. Quietschbunt bemalt ist die und steht wahrhaftig hier mitten in der Einkaufsmeile. Das ist eine Aktion der Evangelischen Kirche in Stuttgart. Ach – Hinsitzen tut gut. Gisela und Ruth atmen auf, ein Becher Wasser, ein Stück Brot wird ihnen gereicht. Ach, das ist ja nett – und was kostet das? Nichts, lacht die Junge – das ist: umsonst.
Umsonst –
liebe Gemeinde,
das ist vielleicht das wichtigste Wort in der Jahreslosung 2018. Eine ganz ungewohnte Verheißung wird da ausgesprochen: Eine Verheißung - nicht durch die junge Frau, einen Engel oder den Relilehrer. Eine Verheißung durch Gott selbst. Umsonst! gibt Gott und das ist -genau betrachtet, Hand aufs Herz- fast eine Provokation in unseren Kreisen und Zeiten. Schon Kindern wird doch beigebracht: Du sollst nichts einfach so annehmen (schon gar nicht von Fremden!) und wer von uns reagierte nicht zurückhaltend, wo uns einer etwas einfach so, gratis anbietet?
Tief in unserer Seele -und das ist vermutlich ein Infekt, der sich in Wohlstandsgesellschaften schnell ausbreitet- Tief in unserer Seele wohnt der Automatismus des „Ich gebe, weil du gibst“: Ware gegen Geldbetrag. Eine Hilfestellung gegen eine andere. Ein Geschenk zu Weihnachten, das ungefähr dem Wert des erwarteten entspricht. Wo wir etwas einfach so, ohne Gegenleistung und -wert, bekommen, da könnte etwas nicht stimmen, da haben wir nur das Kleingedruckte noch nicht gelesen.
Nimm doch den Kuli, wirklich gern! sagt der Lehrer noch einmal verstärkend - aber Paul hat sich schon weggedreht.
Umsonst – wunderwunderschön, aber für uns gar nicht so einfach!
II. „Wasser!?“
Geht schon mal vor in die Küche, sagt Maja, als sie ihren Freunden und Freundinnen die Tür öffnet, die anderen kommen grad hoch. Maja hat heute etwas zu feiern. Endlich hat sie nicht nur einen guten Job in der Großstadt, sondern sogar eine eigene kleine Wohnung. „Party!!!“ ruft auch der zweite Trupp Freunde, als der Türabsatz erreicht ist. In der Küche hat jemand schon den ersten Sektkorken knallen lassen. Wir haben das mal wörtlich genommen, zwinkert Lars, steht hier ja groß: Save water – drink champagne! - Spart Wasser, trinkt Champagner. Wasser, liebe Gemeinde, vielleicht ist das das wichtigste Wort in der Jahreslosung 2018?? Wie geht es Ihnen mit dieser Verheißung?
Wasser – umsonst? Vielleicht trinken Sie auch lieber Champagner…, ein Viertele, das Bierchen, ayurvedischen Tee, Wodka Martini, geschüttelt nicht gerührt? Kaum einer sagt: Ich trinke am liebsten Wasser. Und wenn doch, heißt es schnell: Der ist ja langweilig! Macht die Diät?
Wenn schon Wasser, dann wenigstens San Pellegrino oder noch besser Perrier – Nein, das ist out, in ist reines Quellwasser aus der Vulkaneifel. Gibt es sogar in todschicken Flaschen – kann man richtig edel auf den Tisch stellen. Wasser – das Kind in mir liebt Wasser. Das Kind in mir denkt zurück an unendlich schöne Sommertage am Strand, oder an den Jubel mit meinen Geschwistern, als wir auf der viel zu langen Wanderung eine sprudelnde Quelle fanden, an das gierige Schöpfen unserer kleinen Hände. Das Kind in mir kann Wasser noch als Kostbarkeit feiern. Auch im Herzen, auch in der Seele. Bei uns Erwachsenen kommt die Erkenntnis, dass Wasser Kostbarkeit ist, immerhin, ganz allmählich im Kopf an. Wenn wir lesen, dass wir alle zu 80 % aus Wasser bestehen…und besonders, wenn wir hören, dass die Kriege der Zukunft Kriege um Wasser sein könnten. Ja, wenn wir erfahren, dass „alle 20 Sekunden“ ein Kind stirbt, nur weil es nicht ausreichend Wasser hat. Wasser ist und bleibt das Allerwichtigste für jeden menschlichen Körper, für diese Erde (die ebenfalls zu über 70% aus Wasser besteht), das Wichtigste für das Leben. Und wussten Sie, dass nicht nur der Pfarrer Sebastian Kneipp dem Wasser besondere Heilkraft zusprach, sondern dass schon Theologen der frühen Kirche Wasser als Symbol für die Heilige Trinität verstanden: Drei in eins wie Gott. Eins in Drei wie das Wasser: als Tropfen als Dampf oder als Eis.
III. „Dem Durstigen!?“
Ganz unbeschwert also feiert das Kind in mir, in uns (?) das Wasser: Lebenselixier und kostbares Element! Und doch - hab´ ich als Kind kaum je wirklich gespürt, dass ich ganz unbedingt Wasser brauche: zum Trinken! Ich gehörte (und gehöre leider noch) zu jenen Menschen, die selten Durst spüren und so das Trinken schnell mal vergessen. Heute weiß ich das - und passe auf mich auf. Aber als Kind bekam ich oft ganz schreckliche Kopfschmerzen - deshalb. Dieses Problem habe ich nicht mehr. Wir alle achten darauf, was wir trinken, und auch wenn es nicht „sexy“ ist, Wasser Champagner vorzuziehen, greifen wir doch oft dazu. Doch – nicht zu schnell, so einfach ist es ja nicht… denn: Um welchen Durst geht es hier eigentlich? „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ Ist nicht mehr gemeint als der körperliche Durst einer trockenen Kehle? Geht es nicht vielmehr um den Durst der Seele? Den Durst nach Sinn, nach Lebendigkeit, nach Liebe - nach Gott? Und könnte es sein, dass wir diesen quälenden Durst (so wie ich als Kind) selten nur begreifen? Und das obwohl die Seele sich meldet - wie mein Körper einst durch den pochenden Schmerz?
- Ich denke an Markus, der nach einem langen Arbeitstag in der Firma, gar nicht mehr abschalten kann. Dessen Gedanken um die Aufgaben kreisen und der schon beim Frühstück am gar nicht wirklich zuhause ist, sondern bei seinem ersten Termin in der Firma.
- Ich denke an Nora, die mit drei Kindern und Teilzeit und dem großen Haus, das ja wirklich toll ist und um das sie alle beneiden, jeden Tag mit einer ellenlangen To-do-Liste beginnt… und die schon ein sich ankündigender Schnupfen beim Jüngsten aus der Spur zu kippen droht.
- Ich denke an Walter, der nach 40 Jahren Ehe mit einem Schlag allein ist, noch dazu in der Freistellungsphase der Altersteilzeit. Am liebsten wäre er gar nicht mehr „frei“, sondern möchte irgendwas arbeiten, damit er die Leere nicht spürt: Die Sehnsucht nach ihr, nach Leben, nach etwas, das doch auch für ihn noch da sein muss?
Im Hamsterrad des Lebens, beim Abhaken der tagtäglichen „to dos“, in Krisen des Übergangs, angesichts der Lebensbrüche und -grenzen, haben wir Durst, einen Durst, der nicht weniger zum Menschen gehört als der alltägliche nach sauberem Wasser. Und es ist genauso wichtig, dass wir ihn auch als solchen erkennen und stillen lassen. Nicht wenige aber nehmen ihn nicht mehr wahr, „haben keine Zeit“, Gott in der Krippe abgestellt und betäuben die Sehnsucht, womöglich durch Sucht! Eine Freundin sagte kürzlich zu mir: Nach so vielen Jahren, in denen ich eigentlich „nur“ funktioniert habe, als Lehrerin, Mutter, Ehefrau, Tochter, Freundin, in der Gemeinde möchte ich mein Leben -auch inmitten von Aufgaben- nicht einfach runterleben, ableben, abhaken, sondern bewusst erleben - auch in Berührung mit Gott, meiner Quelle.“
IV. Darum: Das Wasser ehren, Gott als Quelle feiern
Schöner kann man kaum beschreiben, was die Jahreslosung zuspricht, aber auch aufträgt. „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ Gott stillt den Durst, der uns quält. Sein Wasser des Lebens wird uns gratis geschenkt. Einfach so. Wirklich wahr! Wo wir zu ihm kommen, schenkt er neue Lebendigkeit. Und ist es nicht schön, dass sich das Bild von der Quelle und dem Wasser so wunderbar verknüpft mit ganz alltäglichen Erfahrungen?
- Wenn wir morgens das Wasser für unseren Tee aufsetzen,
- wenn der warme Strahl uns beim Duschen in den Tag einstimmt,
- wenn wir zwischendurch ein Glas Wasser trinken,
- wenn wir die im Sommer die Blumen gießen
oder uns an der frisch gewaschenen Wäsche freuen… oder………… dann wünsche ich uns, dass wir in diesem Jahr nicht nur ökologisch und besonnen mit dem Lebensmittel Wasser umgehen, sondern immer wieder in Gedanken und Gefühlen auch an jene Quelle gehen, um daraus zu trinken. Möge uns das alltägliche Wasser an das heilige erinnern. Mögen wir vertrauen, dass Gott es gibt: aus jener nie versiegenden Quelle. Wir dürfen ihn einfach darum bitten, darauf vertrauen.
Amen
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Weihnachten wie immer ? - Predigt zu Offenbarung 7, 9-12 (13-17) von Bernd Vogel
Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen,
und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm! Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Wesen und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
(Und einer der Ältesten antwortete und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind's, die aus der großen Trübsal kommen und haben ihre Kleider gewaschen und haben sie hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. [Offbg. 7,9-12 (13-17)]
Manch einem drängt sich der Eindruck auf, es sei schon im Gange. Es sei schon im Schwange das große Finale, es sei schon eröffnet das Buch mit den ‚7 Siegeln‘, es habe schon begonnen der große ‚Tag des Zorns‘ (Offbg. 6,17).
Fast zu billig, aber naheliegend, erscheint der Hinweis auf einen fast täglich in den Nachrichten in Szene gesetzten Möchtegern-Imperator der nach außen wie innen verunsicherten Weltmacht USA. Mit ‚America first‘ und seiner neuen nationalen Sicherheitsstrategie ‚Frieden durch Macht‘ hat er die vergangene Weltmacht Rom so dumm wie gefährlich kopiert. In dieser Hinsicht entspricht die weltpoltisch-kulturelle Ausgangslage heute jener für den Seher Johannes gegen Ende des 1. Jahrhunderts nach der Geburt Jesu Christi verblüffend genau.
Der Predigttext aus Kapitel 7 der Offenbarung des Johannes steht vor Kapitel 8, worin – ermöglicht allein durch das ‚geschlachtete Lamm‘ (Offbg. 5,5 in Verbindung mit 5,12) – das ‚siebente Siegel‘ aufgetan wird, daraufhin der Engel Gottes das Feuer vom Himmel auf die Erde schüttet, wonach unter dem Klang von sechs Posaunen weitere finale Schrecken auf die dem Tode geweihte Erde losgelassen werden.
Was nun hat das mit Weihnachten zu tun? Wer will denn zu Weihnachten so etwas hören?
Die gewaltsam ermordeten Christen am Ende des 1. Jahrhunderts in Kleinasien, an der Küste der heutigen Türkei – die wollten so etwas gern hören: „Und sie schrien mit großer Stimme: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächst nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?“ (Offbg. 6,10). Im Nahen Osten, in einigen Ländern Afrikas, in China, in Nordkorea werden heute wieder Christen unterdrückt, teilweise gewaltsam verfolgt. Sie werden zu Märtyrern, weil sich ihr Glaube nicht vereinbaren lässt mit der uneingeschränkten Macht der Machthaber. Der ‚Frieden durch Macht‘ fordert seine Opfer. Wenn diese Christen heute die Offenbarung des Johannes lesen, dann empfinden sie die Sehnsucht an ihrem ganzen Leib, dass Gott nicht erst am Ende, sondern recht bald kommen möge zum ‚Gericht‘, dass Gott ihre Tränen abwischt und – anders erscheint es ihnen kaum möglich – sie ‚rächen‘, d. h. derart ins Recht setzen wird, dass die Peiniger beschämt werden und das Böse in einem Feuerpfuhl versinkt und verbrennt.
Haben wir nicht doch ein Recht darauf, wenigstens einmal im Jahr, an 2 oder 3 von 365 Tagen, abzuschalten, wenn uns über unsere Bildschirme die tägliche Dosis Schrecken, Abscheu und ohnmächtige Wut drohen? Vielleicht gibt es sogar die Pflicht, mit unserer eigenen Seele behutsamer umzugehen, als wir es gemeinhin tun. Gerade an Weihnachten wäre es fahrlässig, unverantwortbar, wenn wir uns nicht wenigstens jetzt einmal freischalteten von dem Weltelend in fernen Ländern oder um die Hausecke. Wo soll das hinführen, wenn wir nun auch im Gottesdienst, im Angesicht von Krippe und Weihnachtsbaum, die Weltprobleme verhandeln müssten, an Verfolgung, Leiden, Gefängnis und gewaltsamen Tod denken müssten, statt einfach einmal abzutauchen in die lange nicht mehr gespürte Tiefe unserer Sehnsucht und des Weihnachtsfriedens? Gefühle sind an sich berechtigt. Wer so fühlt, hat Gründe. Es ist nur wichtig, sich selbst gegenüber ehrlich zu werden, immer wieder einmal hinzuschauen: Was betreibt mich eigentlich? Welchem vielleicht unerkannten Lebensprogramm folge denn ich? Bin ich so frei, Neues zu denken und eines Tages vielleicht auch Neues, Anderes zu empfinden, mein Leben anders zu leben? Oder ist das zu viel verlangt?
Gefangen gehalten im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Berlin Tegel schrieb Dietrich Bonhoeffer an seinen Freund:
„Ich beobachte hier immer wieder, daß es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können; wenn Flieger kommen, sind sie nur Angst, wenn es etwas Gutes zu essen gibt, sind sie nur Gier; wenn ihnen ein Wunsch fehlschlägt, sind sie nur verzweifelt; wenn etwas gelingt, sehen sie nichts anderes mehr. Sie gehen an der Fülle des Lebens und an der Ganzheit einer eigenen Existenz vorbei; alles Objektive und Subjektive löst sich für sie in Bruchstücke auf. Demgegenüber stellt uns das Christentum in viele verschiedene Dimensionen des Lebens zu gleicher Zeit; wir beherbergen gewissermaßen Gott und die Welt in uns“ (29.5.44 an E. Bethge, Widerstand und Ergebung, Dietrich Bonhoeffer Werke Bd. VIII, 453).
Und auch das schrieb Dietrich Bonhoeffer im gleichen Zeitraum:
„Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. […]. Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen.“ (16.7.44, WE, 534 f.).
Dass nur der leidende Gott helfen kann, ist die Lebens- und Glaubenserfahrung eines zu seiner Zeit seinerseits Verfolgten, eines Gefangenen. Dietrich Bonhoeffer hat den ‚leidenden Gott‘ zu lieben gelernt, den am Ende siegreichen Überwinder aller Imperatoren und Volksverführer. In der Offenbarung des Johannes siegt das ‚Lamm‘ durch sein Leiden. Allein das ‚geschlachtete Lamm‘ kann uns helfen, könnten wir in Bonhoeffers gedrängter Sprache sagen.
Aber wie denn ‚hilft‘ es uns? Die Kirche hat über fast zwei Jahrtausende das Geheimnis des siegreichen Lammes in das Geheimnis der Eucharistie umgemünzt: Die Imperatoren, die Dummköpfe und Bösartigen der Welt mochten ihr Unwesen noch eine geschichtlich begrenzte Zeit lang treiben: Mitten in dieser vergehenden Weltzeit gab es doch schon das ganze Heil Gottes auf dem Altar des ‚Lammes‘, ‚geschlachtet‘ ‚für uns‘, ‚wegen unserer Sünden‘, ‚zu unserem ewigen Heil‘ …
Hat das der Seher Johannes gemeint? Meinte das Dietrich Bonhoeffer? Wohl kaum. Johannes sah Gottes Handeln in der Weltgeschichte. Der Kult derer in den weißen Gewändern, mag sie ermutigen. Das Gotteslob auf ihren Lippen mag ihre Herzen weiten. Die Feier des Abendmahls wird sie immer von Neuem gestärkt haben in ihrer Seele und sie gewissermaßen ‚rein gewaschen haben‘ von Sünde, Tod und Teufel. Entscheidend aber war ihnen, dass sie die konkrete Hoffnung festhielten darauf, dass das ‚Lamm‘, das schon gesiegt hat (Offbg. 5,5), sich in einem kosmischen Endkampf siegreich erweisen wird. Unterstützt von den ihm vorausarbeitenden apokalyptischen Reitern, wird Jesus Christus, das einstmals ‚geschlachtete Lamm‘, auf einem Schimmel reitend an der Spitze eines himmlischen Reiterheeres die Mächte des Bösen wirksam besiegen (Offbg. 19). Dann wird Gott seine ‚Hütte‘ bei den Menschen nehmen und alle Tränen abwischen von den Augen derer, die um seinetwillen gelitten haben. Und dann wird Gott für alle Welt den Schmerz, das Geschrei und den Tod beenden, überwinden, abtun.
An all dem haben die Christen jetzt schon Anteil. Das hat Dietrich Bonhoeffer tatsächlich geglaubt. Und der Seher Johannes auch. Das alles wird nicht erst sein: Das war schon – das Lamm ‚hat‘ bereits gesiegt – und das ist je jetzt so; denn die in den weißen Gewändern sind schon hier, in diesem Leben, auf der Erde, im Alltag, Menschen, die sich wenigstens ab und an dadurch auszeichnen, dass sie eine innere Freiheit haben, eine Klugheit auch, die nicht jeder Mensch so einfach hat. Und sie singen! Sie singen ihre Glaubenslieder inmitten von Trostlosigkeiten. Diese Freiheit, diese Stärke kann in Menschen wachsen, die sich in die Nähe des ‚Lammes‘ begeben und bei ihm aushalten. Allein und in Gemeinschaften. Wie es kommt.
Glauben wir das? Vielleicht hilft uns zu diesem Glauben das scheinbare Gegenteil dessen, worum es bisher ging, ein anderer Aspekt des Lebens in dieser Welt. In Bezug auf Weihnachten könnte die große Erlaubnis lauten:
Der Genuss des Lebens, der Festtagsbraten oder das Käse-Fondue, festliche Musik, Posaunenchöre und Gesang, Kerzenschein und abendliche Ruhe, die Feier der familiären Gemeinschaft oder im Kreis der Freunde und Freundinnen können und dürfen uns beglücken und befrieden. Das Kind in der Krippe ist dazu gekommen, dass Menschen ihr Leben annehmen und auskosten, so wie Gott das menschliche Leben angenommen und ausgekostet hat (auch das eine Redewendung von Dietrich Bonhoeffer). Zugleich ist das Kind gekommen, um für andere da zu sein bis zum eigenen, gewaltsamen Tod am Kreuz. Das eine stimmt mit dem anderen. Beides können wir in uns ‚beherbergen‘, schrieb der Gefangene in Tegel. Es ist gerade das ‚Lamm‘, das uns helfen kann und helfen wird.
Gegen die Dummheit und Bosheit in der Welt hilft uns keine Weltflucht, allerdings auch kein Versinken in Mutlosigkeit und Depression. Christen leben aus der Stärke des siegreichen Lammes. Sie sind keine Weltflüchtigen. Christen verschanzen sich nicht in ihren Sorgen und Ängsten. Sie sorgen sich nicht um den Bestand der Kirche und fürchten nicht den Untergang des Abendlandes, wenn aus anderen Weltgegenden Menschen nach Europa und nach Deutschland flüchten und wandern. Ist das Leben dort in Armut und ohne Zukunftsaussichten, macht es junge Menschen mutlos und traurig, so dass manche lieber sterben möchten – wer kann es ihnen verdenken, dass sie ihr Glück bei uns suchen? Christen nehmen das wahr und an und fürchten nicht, sie könnten dabei selbst zu kurz kommen. Christen könnten stattdessen fragen: Was will uns das bedeuten? Fromm gefragt: Was will Gott damit uns sagen? Weniger fromm: Welche Politik müssen wir machen, dass Menschen in Ruanda oder Syrien eine echte Chance in ihrem Heimatland haben?
Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen und riefen mit großer Stimme …
Nachdem zuvor die sprichwörtlichen ‚144.000‘, 12.000 aus jedem Stamm Israels, sich vor dem Thon des Lammes versammelt haben (Offbg. 7,1-8), tritt eine unzählbar große Gruppe Menschen aus allen Völkern auf, angetan mit den weißen Kleidern der Hoffnungsvollen und Geretteten, und huldigt ihm als ihrem messianischen König und Gott. Die Rede ist nun nicht mehr von Religionen und Kultgemeinschaften, die mit einander konkurrierten um ‚Gläubige’, ‚Mitglieder‘, ‚Anhänger‘ und ‚Kunden‘. Das Lamm versammelt die Völkergemeinschaft vor seinem Thron und schafft universalen Frieden.
Friede auf Erden den Menschen, an die sich das göttliche Kind hingegeben hat. Das Lamm, der Löwe aus dem Stamm Juda.
Weihnachtlicher sollte uns gepredigt werden?
Amen.
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Satt und zufrieden – Predigt zu Offenbarung 7,9-12 von Christian Stasch
Liebe Gemeinde!
Satt und zufrieden - das Jesuskind in der Krippe stelle ich mir so vor. Es hat getrunken, nun schlummert es genüsslich, vielleicht mit einem Baby-Lächeln, „Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh“, seine Eltern sind, soweit das im Stall möglich ist, entspannt und guter Dinge. „Maria und Joseph betrachten es froh.“ Ist mir schon klar: das ist Idylle. Satt und zufrieden. Jesus wird, wie jedes Neugeborene, auch aus voller Kehle gebrüllt haben, aber das ist für mich an Weihnachten eigentlich ausgeblendet.
An Weihnachten bin ich, wenn es gut läuft, wie Jesus: satt und zufrieden.
Dieses Kochbuch hier stammt aus der Heimat meiner Frau, ein fränkisches Kochbuch, z.T. auf hochdeutsch, z.T. auf fränkisch geschrieben. Es trägt den hübschen Titel: „Sadd un dsufriedn“ Ein ganz normales Kochbuch, fürs ganze Jahr, aber immerhin doch mit einem kleinen Kapitel zur Advents- und Weihnachtszeit, in dem, strotzend vor Selbstbewusstsein, darauf hingewiesen wird, dass die Stadt Nürnberg natürlich die Wiege des Weihnachtschristentums ist: Christkindlsmarkt, Lebkuchen, Glühwein. Alles fränkisch. Und dass der große Nürnberger Maler Albrecht Dürer sich auf seiner Gesellenwanderschaft im fernen Straßburg befand und sich dort in der Weihnachtszeit vor Sehnsucht und Heimweh verzehrte und seinen Eltern ein von ihm gemaltes Bild schickte: Darauf das Jesuskind – und es hält in seinen kleinen Händen einen runden Lebkuchen mit vier Mandeln. Man könnte denken, den hat Jesus selbst auf dem Christkindlsmarkt gekauft.
„Sadd un dsufriedn“
Was gibt’s denn bei Ihnen an Weihnachten zu essen? Jede du jeder kann diese Frage aus dem FF beantworten. Kaum einer wird sagen: „Weihnachtsessen? Weiß ich noch nicht. Mal gucken.“ Oder: „Ach, ich tu irgendwas in die Mikrowelle.“ Und wohl auch nicht: „Also an Weihnachten, da faste ich am liebsten.“Wir wissen, was Weihnachten Schönes auf den Teller kommen wird. Einmal im Jahr reden wir sogar ausführlicher darüber. Kein Weihnachtsfest ohne Festessen. Was gibt’s? Was gab es? Zwei feine weihnachtliche Mahlzeiten haben Sie schon hinter sich. Heiligabend kommt in vielen Häuern etwas Schlichteres auf den Tisch. Fisch vielleicht? Im Mittelalter ging die adventliche Fastenzeit bis zum Heiligabend, Fleisch war nicht erlaubt, Fisch schon. Heute ist da v.a. das Argument, dass man an Heiligabend nicht ewig in der Küche stehen will. Schnell solle gehen. Kartoffelsalat mit Würstchen, sehr beliebt. Und dann volle Festtagspower am 1. und 2. Weihnachtstag. Gestern. Heute. Was gab es? Was wird’s geben? Ente vielleicht oder Gans? Wild vielleicht oder Lamm? Etwas Vegetarisches mit vielen Gemüsen, Kokos, Nüssen und getrockneten Früchten, exotisch-asiatisch angehaucht? Oder: Raclette?
Ich mag das, nach dem Gottesdienst irgendwelche feine Weihnachtsmusik zu hören und mit anderen zusammen zu kochen. Das weiße Hemd behalte ich an, hochgekrempelt, Schürze drüber. „Jauchzet, frohlocket.“ Ich mag das, einen schönen Wein dazu zu trinken. Riech mal, duftet nach Pfirsich und Apfel, wo ist der her? Lecker! Mosel? Pfalz? Der ist gerade eben noch trocken, oder? Ich mag das, und es macht mich satt und zufrieden, wenn dann viel Zeit ist zum Essen und Trinken, zum Reden, über die Geschenke oder irgendeinen Quatsch. Reden über das Weihnachtsfest vor 10 Jahren, „weißt du noch, mit dem plötzlichen Glatteis am Abend?“. Reden über den Predigttext aus dem Gottesdienst.
Der Seher Johannes schreibt: Ich sah im Himmelssaal eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, und waren angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und sangen mit großer Stimme: „Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!“ Und ich sah Engel, die standen rings um den Thron (…) und sangen auch und lobten Gott. Und einer sprach zu mir: Die große singende Menschenschar, das sind alles Leute, die dem Leiden und der Trübsal entkommen sind. Sie haben ihre Kleider gewaschen und haben sie hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie hier, vor dem Thron Gottes, und dienen ihm Tag und Nacht. (...) Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.
Was wird uns hier aufgetischt? Ein Himmelsbild aus der Johannesoffenbarung, dem letzten Buch der Bibel. Manche Kritiker finden, das sei das allerletzte. Überquellend von fantastischen und manchmal brachialen Bildern. Im Ganzen unbekömmlich. Unverdaulich. Aber das ist nicht fair. Dieser Textausschnitt z.B., gerade gehört, ist weihnachtlicher als man zunächst denken mag. Und enthält Zutaten für ein komplettes 4-Gänge-Weihnachtsmenü plus Absackern.
1. Gang:
„Eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen.“
Die festliche Gesellschaft ist groß und vielfältig. Weihnachten führt Menschen zusammen. Uns hier in Winzlar. Menschen die hier aufgewachsen sind, die hier leben, aber auch Zugezogene, Gäste aus nah und fern. Alte und Junge. Weihnachten führt Menschen zusammen. In den Schützengräben des 1. Weltkriegs war kurz Ruhe an Weihnachten, jedenfalls im ersten Kriegsjahr 1914. Die Waffen schwiegen, ohne Todesangst konnten Geschenke ausgepackt werden. Weihnachten wurde akzeptiert als Zäsur. Frieden, wenn auch leider nur „ein (klein) bisschen“. Weihnachten wird international gefeiert. Urbi et orbi. Das Kind in der Krippe berührt, grenzüberschreitend. Ob jemand durch seine Hautfarbe oder seine politische Einstellung ein Schwarzer, ein Gelber, ein Roter oder anderes ist: Weihnachten verbindet. Ein Beispiel gelingender Inklusion.
2. Gang:
„Die (in der Schar) standen vor dem Thron und vor dem Lamm, und waren angetan mit weißen Kleidern.“ Die himmlische Festgesellschaft ist also nicht nur international, sie kommt auch ganz in weiß. Weiß - Symbol für gewaschen, gereinigt, getauft. Neustart. Egal was war. Das Leben beginnt. Weihnachten werfen wir uns in Schale. Und neben rot ist die klassische Weihnachtsfarbe: weiß. Die weiße Tischdecke zuhause, egal, auch wenn am Ende Bratensaft drauf ist, weiß ist festlich. Und bei der Garderobe darf auch gern weiß dabei sein, wo wir doch Jahr für Jahr von weißer Weihnacht träumen. Am Kleiderschrank können wir es beeinflussen. Das weiße Hemd, ein Klassiker, nicht tot zu kriegen. Man sieht es dem Hemdkragen abends an, dass gut gefeiert wurde: Das weiße Hemd ist reif für die Wäsche, aber das war es wert.
3.Gang:
Und sie sangen mit großer Stimme: „Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!“ Die himmlische Weihnachtsgesellschaft ist nicht nur international und kommt ganz in weiß, sondern sie ist auch eine große Singebewegung. Wie es geklungen hat – wer weiß? Wir haben keine Noten davon. Und es wird nicht nur ein (!) Lied gewesen sein. Ein schwungvoller Walzer war sicher auch dabei. So wie „In dulci jubilo“, zu dem man auch schunkeln und tanzen kann. Nonnen nahmen früher bei diesem Lied gern die Jesusfigur aus der Krippe und wiegten sie hin und her. In dulci jubilo. Ein Mischlied aus zwei Zutaten: etwas Latein, etwas Deutsch. Die alte Kirchensprache Latein wird aufgebrochen, das Deutsche mischt sich mit hinein, ganz spielerisch, und: 100 Jahre vor Luther schon. In dulci jubilo (In süßem Jubel), nun singet und seid froh. O Jesu parvule (O kleinster Jesus), Nach dir ist mir so weh. (Also: ich bin ganz verrückt nach dir.) Tröst mir mein Gemüte, o puer optime (o bester Knabe). Durch alle deine Güte, o princeps gloriae, (o Fürst der Herrlichkeit), trahe me post te, (zieh mich hin zu dir), also so eine Anziehungskraft hat das Kind in der Krippe. Man könnte auch übersetzen: Zieh mich dir nach – also so dass wir in Jesu Fußstapfen treten, seinen Weg weiter gehen.
Geht es Ihnen auch so wie mir? Ich kann die weihnachtlichen Motive und Inhalte gar nicht so gut aussprechen, ich kann sie viel besser und viel lieber - singen. Weihnachten ist zuerst ein Singefest, und erst danach ein Redefest. „Der guten Mär bring ich so viel, davon ich singen und sagen will.“ Das Singen steht an Nr.1. Singen macht auch satt und zufrieden.
Der 4.Gang, nun endlich im engeren Sinne kulinarisch: Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; (…) das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Hunger gestillt, Durst gelöscht, Tränen abgewischt. Die himmlische Weihnachtsgesellschaft ist nicht nur international, kommt ganz in weiß und singt schwungvolle Weihnachtslieder, sondern sie ist auch bei Trost. Sie bekommt zugesagt: „Fürchtet euch nicht. Kommt. Auch wer zur Nacht geweint. Jemand sorgt für euch. Sehet und lasst es euch schmecken.“ Sie wird gut bewirtet. Es wird aufgetischt. Was es oben im Himmelssaal zu essen gibt – wer weiß das schon. Aber da die Festgesellschaft international ist, könnte auch das Essen international sein. Geht es Ihnen wir mir? Ich mag das, wenn sich an Weihnachten die Tische biegen. Es darf gern üppig sein. Wann, wenn nicht an Weihnachten. Kalorien zählen ist tabu. Ernährungswissenschaftler sagen, dass man an Weihnachten und den Tagen danach eh kaum zunimmt, sondern, wenn schon, in der Zeit zwischen Silvester und Weihnachten. Und? Was gibt’s bei euch heute zu Weihnachten?
Nach unserem biblischen 4-Gänge-Menü nun noch die beiden Absacker, ein Grappa und ein Espresso. Der Grappa:Der tut gut, wenn man den Eindruck hat: „Na ja, ich hab doch deutlich mitgeholfen, dass sich der Tisch dann nicht mehr so gebogen hat … „Wenn man nach dem Essen nicht nur satt ist, sondern sehr satt, im schlimmsten Fall: pappsatt. Das fränkische Kochbuch hat dafür den Ausdruck parat:“Allmächd, is mir schlechd!“
Manche haben Weihnachten satt. O, ich hab das so satt … Den Erwartungsdruck, diese aufgesetzte Harmonie, die Unehrlichkeit. Manche merken an Weihnachten verstärkt, dass sie die eigenen Verwandten satt haben. Oder sie haben das Gerödel in ihrem Beruf satt. An Weihnachten schwingt das alles melancholisch mit. Weihnachtsfreude und Weihnachtstraurigkeit, zwei Seelen in der Brust. Oder können wir satt sein, im besten Sinne, „sadd un dsufriedn“ – ohne dass wir es satt haben? Darauf einen Grappa.
Der Espresso zum Schluss: Klein, heiß, intensiv. Vielleicht auch: Türkischer Mokka. Kriegt der deutsche Journalist Deniz Yücel auch einen? Und die deutsche Übersetzerin Mesale Tolu, kriegt die auch einen Mokka? Wie werden die beiden und die anderen gestärkt? Wie werden ihre Tränen abgewischt? Natürlich bekommen sie in ihren türkischen Gefängniszellen zu essen und zu trinken. Aber damit wird ihr wirklicher Hunger und ihr Durst weiß Gott nicht gestillt. Eine von Jesu Seligpreisungen gilt Menschen wie ihnen: „Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.“
Ich wünsche Ihnen und uns allen einen gesegneten 2. Weihnachtstag. Möge das Essen und der ganz Tag Sie in guter Dosierung fröhlich und satt und zufrieden machen. Amen.
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Aufmachen – Predigt zu Offenbarung 5, 1-5 (6-14) von Kathrin Oxen
Heute morgen war es endlich soweit, heute durften sie sie aufmachen. Schon gestern Abend habe ich, wie jedes Jahr, die Adventskalender für meine Kinder aufgehängt. Für jedes Kind und jeden Tag der Adventszeit ein kleines Stoffbeutelchen mit einer Süßigkeit oder einem kleinen Spielzeug, rot und grün und golden eingepackt. Schön sieht das aus in der Küche, bunt und geheimnisvoll. Und in der Adventszeit stehen meine Kinder tatsächlich ein bisschen lieber auf als sonst, obwohl es jetzt morgens so dunkel ist wie zu keiner anderen Zeit im Jahr. Mehr Päckchen, sagen meine Kinder, wir können nicht mehr warten, wir wollen sie endlich aufmachen dürfen.
Mit der Ungeduld der Kinder beginnt die Adventszeit. Eine Zeit der Geheimnisse und Überraschungen, für Kinder manchmal regelrecht quälend. „Ich kann gar nicht einschlafen, ich bin so aufgeregt“, das ist die Entschuldigung für das Getrappel auf dem Flur trotz der strengen Ermahnungen, jetzt besser zu schlafen, weil sonst der bekanntermaßen etwas menschenscheue Nikolaus bestimmt nicht kommt. Die Ungeduld erreicht ihren Höhepunkt dann in der Viertelstunde am Heiligen Abend, bevor die Tür zum Weihnachtszimmer endlich aufgemacht wird. Und dann dürfen sie wieder aufmachen, endlich auspacken, die Geschenke in ihren bunten Umhüllungen, die Pakete, die schon einige Tage vorher angekommen waren und da lagen, verschlossen und geheimnisvoll. Aufmachen, endlich. Heute morgen war es soweit.
Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln. Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimme: Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen? Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen. Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel.
Aufmachen, endlich. Ein Buch mit sieben Siegeln – nicht nur die Neugier der Kinder wird bei diesem Anblick geweckt. Längst ist das Buch mit den sieben Siegeln sprichwörtlich geworden. Etwas, das ich nicht verstehe, etwas, das sich mir nicht erschließt, obwohl ich es doch so gerne aufmachen würde. Das Buch mit den sieben Siegeln reizt wie alles Versiegelte, Verbotene, Verschlossene zu endlosen Spekulationen über seinen Inhalt. Der Inhalt dieses Buches, die großen Visionen aus dem Buch der Offenbarung, geben dazu ja durchaus auch Anlass. Ein Buch, das nur selten gepredigt wird – aber eines der biblischen Bücher, dessen Inhalt auch bei völlig kirchenfernen Menschen noch etwas wachruft. Die Zahlen- und Tiersymbolik, der Löwe, das Lamm, die Siebenzahl, die Zahl des Tieres – da war doch etwas? Das kommt doch in der Bibel vor, da, wo es um das Ende der Zeiten geht?
Längst haben Filme, Musik und Computerspiele sich der Auslegung dieses Buches bemächtigt, auch die zahllosen Internetseiten, die über die Anzeichen und die Stadien des Weltuntergangs philosophieren. Man kann das alles als Spinnerei oder bestenfalls überschießende Phantasie abtun. Und trotzdem: Aufmachen, endlich, dieses Gefühl ist nicht nur den Kindern vorbehalten. Aufmachen und dann Bescheid wissen, was drin ist, ob es so ist, wie ich erwartet habe, ob es mich überrascht oder nicht. Ein Buch, das Offenbarung heißt und da soll etwas drinstehen darüber, wie das einmal alles ausgehen wird mit uns und wo wir jetzt gerade stehen. Seit es aufgeschrieben worden ist, hat das Buch der Offenbarung die Phantasie der Menschen genährt. Nimmt man nur das Bild der vier apokalyptischen Reiter, die beim Öffnen der Siegel losgelassen werden – zu allen Zeiten haben Menschen versucht, ihre Erfahrungen von Verfolgung, von Bedrohung und Not mit diesen Bildern in Übereinstimmung zu bringen. Und sie haben es als Verfolgte, Bedrohte und Notleidende getan, um zu wissen, woran sie sind, um Sinn und Bedeutung in ein ansonsten namenloses Schicksal zu bringen, um nicht überrascht zu werden von schlimmen und noch schlimmeren Erfahrungen. Wenn es in dem Buch steht, dann muss es ja so kommen, dann ertragen wir das in dem Wissen, dass es am Ende doch gut ausgehen wird. Wenigstens ein kleines bisschen Sicherheit, bloß auf Schlimmeres gefasst sein, aber immerhin gefasst sein. Eine ängstliche Erwartung, eine Hoffnung, die ihren Namen nicht verdient, aber eine Hoffnung. Aufmachen, endlich und dann wissen, woran man ist. Wissen, was kommt.
Wissen, was kommt. Ein starker, großer Wunsch. Im Blick auf das Buch mit den sieben Siegeln wird er noch drängender. Denn außen steht ja schon etwas drauf, es ist von innen und außen beschrieben. Einzelne Worte, vielleicht Sätze sind schon zu lesen. So wie der Absender auf einem Weihnachtspäckchen erst recht neugierig macht, steigert das, was da außen auf dem Buch geschrieben ist, die Neugier. Jetzt will ich es aber genau wissen. Aufmachen, endlich und wissen, was kommt.
Heute ist der erste Advent. Was vor uns liegt, ist kein Buch mit sieben Siegeln. Wir wissen ja, was kommt. Die Zeit der Geheimnisse und Überraschungen, zuallererst für die Kinder, aber auch für das Kind in uns. Die Zeit, in der wir mehr oder weniger angestrengt suchen und überlegen und kaufen und einpacken, damit andere aufmachen können und ihre Freude unsere Freude wird. Manchmal ist es schwer, sich aufzuraffen, das „Alle Jahre wieder“ alle Jahre wieder hat ja auch etwas Erschöpfendes. Meine Gedanken beim Befüllen von drei Adventskalendern mit 72 Päckchen sind jedenfalls nicht immer so adventlich. Da wäre es gut, sich manchmal etwas leihen zu können von der unbändigen Kraft der Erwartung, die den Kindern eigen ist. Manchmal wünsche ich mir das, noch einmal so sein zu können, so voller Erwartung. An den Kindern ist aber auch zu sehen, wie quälend die Erwartung sein kann. Dass man nicht schlafen kann vor Aufregung, bis zu Tränen gespannt ist auf das, was da kommt.
Es ist Advent und wir beruhigen uns, dass wir ja wissen, was kommt. Kein Grund für unruhige Nächte, kein Anlass für Tränen. Und doch beginnen wir heute auch ein neues Kirchenjahr, steuern wieder einmal auf Weihnachten zu, auf einen ersten wichtigen Haltepunkt im Lauf der Zeit.
Weißt du noch, letztes Jahr Weihnachten? Schöne Erinnerungen, an das erste gemeinsame Weihnachten, an das letzte Weihnachten zu zweit vor der Geburt des Kindes. Und auch schwere Erinnerungen, an das erste Weihnachten allein, an das letzte Weihnachten, das wir noch zusammen gefeiert haben. So gehen die Gedanken zurück zu den Adventszeiten, zu den Weihnachtsfesten, die wir schon erlebt haben, Haltepunkte im Lauf der Zeit und wir merken auf einmal: Wir wissen ja auch nicht, was kommt. Niemand weiß das. Wir gehen in die Zeit, die auf uns zukommt, voll freudiger Erwartung, auf Schlimmeres gefasst, mit Hoffnung, die den Namen verdient oder auch nicht. Wie ein Buch liegt sie vor uns, die Zeit, die kommt, mit sieben Siegeln. Aufmachen?
Es scheint so zu sein, als sei auch das Buch mit den sieben Siegeln wie der Adventskalender meiner Kinder nur dazu da, die Menschen Geduld zu lehren. Was drin steht, was da kommt, darum geht es gar nicht zuerst. Das alles tritt in den Hintergrund vor der Frage, wer denn überhaupt kommen kann und das Buch öffnen. Ein starker, großer Engel ruft mit lauter Stimme, ganz anders als die zahllosen Engelchen, die schon längst wieder als Weihnachtsdekoration überall herumfliegen. Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen? Aufmachen, das könnte man jetzt, das soll sogar geschehen, aber niemand ist da, der sich das zutraut, der dem starken Engel antwortet und sagt: Hier bin ich, ich mache auf, damit geschehen kann, was geschehen muss und kommen kann, was kommen muss.
Die Frage, was kommt, ist erst die zweite Frage. Die erste Frage ist: Wer kommt? Im Buch der Offenbarung ist bei allem, was mehrdeutig und unklar und endlos interpretierbar ist, eine Antwort klar. Es geht um Jesus Christus, um sein Reich und seine Herrschaft und wir wissen genau, wie es angefangen hat. Wir gehen darauf zu in diese Wochen, wir gehen nach Bethlehem mit Maria und Josef, in den Stall und zur Krippe, alle Jahre wieder, und finden das Kind, Jesus von Nazareth, geboren wie unsere Kinder, genauso klein, schwach, bedürftig.
Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Es kommt einer, der muss Mut haben und Kraft, um die sieben Siegel zu öffnen. Einer, der mit allem fertig wird, was dann kommt. Es ist schwer zu glauben, dass es gerade das Kind, dessen Geburt wir bald feiern, mit allem aufnehmen kann, was die Zukunft bringt. Es ist doch selbst so klein, es ist schwach und bedürftig. Dieses Kind geht den einmal eingeschlagenen Weg immer weiter. Jesus von Nazareth mit seiner Leidenschaft für Armen und seinen absurden Forderungen. Die Wange hinhalten, die Feinde lieben. Nichts besitzen, keinen Einfluss haben. Und am Ende das Kreuz und der Tod. Der König, der auf dem Esel reitet, der ohne Macht und Herrlichkeit einzieht bei uns. Der Löwe, der ein Lamm ist. Er kennt alle, die verfolgt und verzweifelt sind, er hat Schmerz und Not an sich selbst erfahren. Er wird aufmachen und bei uns sein. Mit ihm an der Seite gehen wir durch alle Zeiten. Amen.
Text zum Eingang:
Und die Bewegtheit des Herrn ist ohne Groll
und von großer Dauer
Und seine Gerechtigkeit hört nicht auf
und seine Güte bleibt ewig
Und darum entfernen wir gern die Bitterkeit
wie ein enges Gewand
Und die Trauer legen wir ab
wie einen Mantel im Frühling.
Und mit viel Sorgfalt nehmen wir
die Einsamkeit von unserer Stirn
Und wir weisen unsere Aufmerksamkeit hin
zu den einfachen Dingen
Und wir verlassen uns auf das Dach,
das keinen Regen durchlässt
Und wir vertrauen dem Stuhl,
der fest steht, und der uns trägt
Und die Lieder der Hirten…
und die Gebete der erwachenden Frauen
Und es brechen die Tore auf…
und es treten hervor die Erkennbaren.
Und sie stehen makellos da...
und sie breiten ihre Flügel aus.
(nach Jesse Thor)
Psalmvorschlag: Psalm 24
Evangelium: Mt 21, 1-9
Lesung: Sacharja 9, 9-12
Liedvorschläge:
1,1-4 (Macht hoch die Tür)
4, 1-5 (Nun komm, der Heiden Heiland (Wochenlied)
14, 1-3 und 6 (Dein König kommt in niedern Hüllen)
19, 1-3 (O komm, o komm, du Morgenstern)
20, 1-6 (Das Volk, das noch im Finstern wandelt)
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Was wird aus ihm? - Predigt zu Offenbarung 5, 1-14 von Christian Stasch
Sie reden oft über ihn: Johannes. Der ist besonders. Ein schroffer Typ, kratzbürstig, sogar krawallig. Will mit dem Kopf durch die Wand. Macht sein Ding. Liebt die großgemalten Gesten und die groben, lauten Worte. Gern auch mal eine ausgeschmückte Gewalt-Phantasie mit dabei. Nicht everybody´s darling, kein Weichzeichner. Keiner, der es sich und anderen leicht macht. Man braucht langen Atem, um sich auf ihn einzulassen. Ist das vielleicht sogar pathologisch? Und sie denken: Was aus dem mal werden wird … - Wie wird der seinen Weg gehen? Manches drückt er sprachlich genial aus, aber andererseits ist es nicht immer ganz zu Ende gedacht. Na ja, irgendwie kommt er schon durch. Denn das Beschwerliche ist ja zugleich auch seine Stärke. Dieser Mut, Dinge auf den Punkt zu bringen. Nicht um den heißen Brei herum zu reden. Wenn Johannes z.B. jemanden nicht mag, dann schiebt er nicht Terminprobleme vor oder redet sich raus, sondern dann gilt eben klipp und klar: Dich mag ich nicht. Keine Kompromisse. Egal, welche Folgen das haben mag. Angstfrei ist Johannes. „Fürchte dich nicht.“ Das ist schon stark.
Liebe Gemeinde,
so ähnlich könnten sich die Eltern vielleicht Sorgen und Gedanken gemacht haben um ihren Sohn Johannes, namensgleich mit einem der Jesusjünger und einem der vier Evangelisten. Uns ist allerdings rein gar nichts überliefert von elterlichen Gedanken. Überliefert ist uns nur ein Traum, den der erwachsene Johannes träumte, Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus. Eine Art Vision, die er geschaut in seinem Exil und dann aufgeschrieben hat, kraftvoll, z.T. auch etwas dick aufgetragen, Schwarz-Weiß, Gut – Böse. Nun, es waren stürmische Zeiten, erste größere Christenverfolgungen – da ist für moderate Töne wohl kein Platz, wie so oft in der Untergrund-Literatur, und es gibt nur ein entweder-oder: wer hat letztlich die Macht, der römische Kaiser oder Gott? Unter dem Namen „Offenbarung des Johannes“ hat diese Vision Einzug in die Bibel gefunden, ganz am Ende steht sie. In manchen Ländern haben die Christen allerdings ganz bewusst Bibeln OHNE die Johannesoffenbarung. Und Martin Luther war auch nie ein Fan von ihr: Er könne überhaupt nicht spüren, dass diese Schrift überhaupt vom Heiligen Geist durchdrungen sei, so sagt Luther.
Mal schauen.Jedenfalls eine ungewohnte Stimme und ungewohnte Bilder zum 1. Advent:Ein paar Verse aus dieser Johannesoffenbarung (wir haben sie vorhin in der Lesung gehört). In den geöffneten Himmel lässt Johannes uns blicken: Thronsaal Gottes. Exklusivreportage.Gott ist natürlich nicht wirklich darstellbar, es gibt ja schließlich das Bilderverbot, aber immerhin: Gott sitzt. Auf einem Thron. Von dem Thron gehen Blitze und Donner und Stimmen aus. Zeichen von Macht. In Gottes Händen ein Buch mit sieben Siegeln. Gehaltvoll. Geheimnisvoll. Johannes sieht das alles live. Er scheint geradezu magisch angezogen von diesem Buch. Vielleicht hat er die Hoffnung, dass die Verknotungen und Rätsel des Lebens hier gelöst werden könnten. Und es ist ihm zum Heulen zumute, dass diese verdammten sieben Siegel des Buches einfach nicht zu knacken sind. Wer könnte es? Johannes träumt weiter, wie jemand genau darauf die Antwort gibt: „Der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids wird auftun das Buch und seine sieben Siegel.“ Johannes kann es noch nicht wissen, aber daraus wird später mal ein Weihnachtslied werden: „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart…“
Aus einer kleinen Wurzel wächst Großes! Hier besonders groß: Löwe, König der Tiere. Kraftstrotzend, brüllend, majestätisch. Diese Ankündigung hört der Träumer. Aber er sieht gar keinen Löwen. Zu sehen bekommt er etwas anderes. Ein Lamm. Geradezu eine Korrektur des Löwenbildes. Und es ist kein gewöhnliches Lamm, hier im himmlischen Thronsaal, der so reich ausgeschmückt ist mit religiösen Symbolen. So hat dieses Lamm als Symbol für Gottes Weisheit auch wieder eine Siebenzahl zu bieten. Statt zwei Augen: Sieben Augen. Statt zwei Hörnern wie bei einem Widder: Sieben Hörner. Also dieses Lamm ist deutlich eine Kunstfigur. Wie sie nur im Museum, im Film, oder eben im Traum vorstellbar ist.
Und es hat einen Schnitt am Hals, Todeszeichen. Wie ein Opfer. Blut kommt ins Spiel. Und man kann an die toten Tiere hier bei uns denken, die in der Holzmindener oder Celler oder Diepholzer Gegend von einem Wolf gerissen wurden (manchmal auch von einem Luchs) und die dann in ihrem Blut da liegen, bemitleidenswert, diese Schafe und Lämmer. Und die keine Chance hatten. „Suchen Sie sich ein Tier aus, das Ihnen dabei hilft, Stärke zu gewinnen“, sagt der Coach im Beratungsgespräch zu der Frau gegenüber. Sie ist in ihrer Firma aufgestiegen, aber dennoch bekommt sie es in kniffligen Gesprächen mit der Angst zu tun, fühlt sich unsicher und zu schwach. Da liegen viele verschiedene Tiere in Spielzeuggröße auf dem Tisch, ein Lamm auch. Was wählt die Frau aus? Den Tiger! Den Wolf hätte sie auch nehmen können, aber der hat ja bei manchen ein Imageproblem. Und sie erzählt zwei Wochen später: „Das läuft super mit dem Tiger. Bei schweren Gesprächen mache ich jetzt kurz die Schublade auf, gucke auf den Tiger, und weiß, der ist in meiner Nähe. Ich krieg etwas von seiner Stärke!“ – Was die Frau bei dieser hilfreichen Coaching-Methode jedenfalls links liegen lässt, ist das Lamm.
Das Lamm ist kein Tier der Stärke und der Durchsetzungskraft Genauso wenig wie der Esel, von dem wir vorhin gehört haben, dass er zu Jesu Advent beigetragen hat, zu Jesus Einzug in Jerusalem. Gegen den mächtigen römischen Kaiser, der sich gottgleich verehren lässt, bietet Johannes als Gegenmacht das Bild vom Lamm auf.
Eigentlich tot, dieses Lamm. Aber siehe: es lebt.Gegensätze ganz nah beisammen: Sterben und Leben, schwach sein und stark sein, verlieren und gewinnen. Johannes kann es noch nicht wissen, aber daraus wird später mal ein Abendmahlsgesang werden: „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser.“
Das vom Tod gezeichnete lebendige Lamm übernimmt von dem, der auf dem Thron sitzt, das ominöse Buch. Aus seinen Händen. Wir müssen uns nicht real vorstellen, wie das gehen soll, dass ein Lamm ein Buch festhält. Deutlich ist: Es wirkt wie eine Inthronisation. Als würde eine Krone von einem Herrscher auf den Nachkommen weitergereicht. Oder zumindest: Eine Gewaltenteilung zwischen Vater und Sohn. Johannes kann es noch nicht wissen, aber daraus wird später mal ein Satz im Glaubensbekenntnis werden: „Aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, des Allmächtigen Vaters.“
Und mit Pauken und Trompeten endet diese Traum-Sequenz. Dem Buchöffner-Lamm wird aus tausend Kehlen von Engeln und anderen Wesen ein himmlisches Loblied gesungen: „Das Lamm (…) ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.“
Kleines Lamm. Kommt ganz groß raus.
Johannes kann es noch nicht wissen, aber daraus wird später mal der große, prächtige Schlusschor von Georg Friedrich Händels Oratorium „Der Messias “werden, 1742 in Dublin uraufgeführt. Wobei der Halleluja-Chor einen ja bereits so von den Sitzen reist, dass man denkt, das Stück ist zu Ende (diesen Fehler machte damals schon der englische König Georg II., der wollte nach dem Halleluja nach Hause gehen) - aber nein, das Ende kommt eben erst eine Dreiviertelstunde später: “Worthy is the Lamb (…) - to receive power, and riches, and wisdom, and strength, and honour, and glory, and blessing.”
Vom Löwen sieht und hört man nichts mehr, das Lamm steht im Mittelpunkt. Soweit Johannes, dieser schroffe Typ - und die vielen Auswirkungen seiner tierischen Vision vom himmlischen Thronsaal und dem versehrten und verehrten Lamm.
Johannes kann auch das noch nicht wissen, aber mit dem traumhaften Bild vom Thronsaal hat sich später mal Friedrich Spee beschäftigt und ein sehr inniges und schönes Adventslied geschrieben: „O Heiland reiß die Himmel auf.“ Spee dichtet das so, weil ihm klar ist: Es gibt doch einen gewissen gefühlten Abstand zwischen dem himmlischen und dem irdischen Bereich. Und Menschen, denen es dreckig geht, haben manchmal den Eindruck von Trostlosigkeit. Und empfinden das ganze Leben als einziges verschlossenes Buch mit sieben Siegeln. Und fühlen sich belämmert. Und empfinden dann auch den Himmel als verschlossen. Und schütten ihr Herz aus, und klagen in Richtung Himmel: „Wo bleibst du Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm ach komm vom höchsten Saal, komm tröst uns hier im Jammertal.“
Mit dieser Sehnsucht wird der Thronsaal Gottes adventlich. O komm. Ach komm. Gott möge zu uns kommen. Nicht bei sich bleiben. Die Bilder fließen ineinander: Das Lamm Gottes, verwundet thronend im Himmel, und das Kind in der Krippe, bedürftig und gefährdet. Himmel und Erde berühren sich. „Heut schließt er wieder auf die Tür“ singen wir dann an Weihnachten.
Und? Wovon konnte der schroffe Johannes ebenfalls noch nichts wissen? Von der Weihnachtskrippe in der Jesuitenkirche Heidelberg. Die ist etwas Besonderes. Eine moderne Krippe, bei der Insassen der Justizvollzugsanstalt Jahr für Jahr weitere Figuren der Gegenwart aus Pappmaché hinzu platzieren. Z.B. den Banker Josef Ackermann , die Fußballer Mats Hummels und Thomas Müller, Papst Franziskus, Martin Luther, aber auch Flüchtlinge, die zu ertrinken drohen. Unsere Welt, so wie sie ist, aus Pappmaché in einer Kirche.
Der tiefere Sinn einer jeden Krippendarstellung wird so besonders deutlich: Gott ist da, in Not und Jammertal und auch in den Schönheiten das Alltags. Gott kommt „vom höchsten Saal“ in unser Leben. Und Maria? Maria trägt in ihrem Arm: das Jesuskind. Klar. Aber in der Heidelberger Krippe tut sie das erst ab Weihnachten. In der Adventszeit, sozusagen „vor der Geburt“, trägt sie im Arm: ein Lamm.
„Was aus dem mal werden wird …?“
Amen.
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Sie ist, wie eine kleine graue Katze – Predigt zu Offenbarung 21,4 von Juliane Rumpel
Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. Offenbarung 21,4
Friede sei mit euch und Gnade, von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Sie ist, wie eine kleine graue Katze. Sie kommt, wann sie will, manchmal bleibt sie tagelang weg, manchmal ist sie anhänglich, liegt lange auf meinem Schoß, will gar nicht wieder gehen. Sie ist, wie eine kleine graue Katze. Eine Katze, die ich mir nicht ausgesucht hat, die zu mir kam, ohne, dass ich mitreden durfte, sie war einfach da und ich ahne, dass sie noch lange bleiben wird.
Sie ist, wie eine kleine graue Katze – meine Trauer. Sie kommt, wann sie will, manchmal bleibt sie tagelang weg, manchmal ist sie anhänglich, liegt lange auf meinem Schoß, will gar nicht wieder gehen. Und manchmal, manchmal, da halte ich sie auch fest, die kleine graue Katze, will sie nicht gehen lassen, halte sie fest und lasse den Tränen freien Lauf, den Tränen, von denen ich gar nicht wusste, wie viele ich davon besitze.
Ich weine, weil Du nicht mehr bist. Weil ich Dich für immer verloren habe. Seit Du weg bist, kommt die Katze, seit Du weg bist, kommen die Tränen. Ich weine, weil meine Mutter starb. Ich weine, weil es weh tut, obgleich ich weiß, dass meine Mutter nun dort ist, wo sie ohne Schmerz sein darf, ohne Leid und ohne Tränen. Das weiß ich, das glaube ich – und trotzdem tut es mir weh, trotzdem weine ich, obgleich ich fühle, da, wo meine Mutter ist, der Ort, den ich Gott nenne, da wo sie ist, da werden ihr alle Tränen abgewischt. Jede Träne, die die Krankheit brachte, jede Träne, die ihr ihre Lebensjahre brachten, jede Träne wischt er ihr zärtlich von der Wange. Wie schön! …für sie. Doch für mich, hier, fließen meine Tränen weiter, denn die, die sie abwischte, die die meine Tränen Tag für Tag und Jahr für Jahr abwischte, sie ist nicht mehr und meine Tränen fließen hemmungslos.
Meine Tränen fließen, weil ich unendlich traurig bin und noch nicht so recht weiß, wie es weitergeht. Nur: dass es weitergeht, das weiß ich inzwischen, alles geht weiter, alles geht einfach so weiter, obwohl alles anders ist, geht alles einfach so weiter. Jeden Morgen geht die Sonne auf, jeden Abend geht sie wieder unter. Der Sommer war wieder durchwachsen, der Herbst war wieder golden, der November ist immer noch grau, alles wie immer. Der Bus morgens ist voll, die Schlange an der Kasse ist lang, die Menschen, die immer grüßten, grüßen weiterhin, immer kommen Tage und immer wieder gehen die Tage wieder.
Alles ist wie immer? Nein! Nichts ist wie immer.
Da ist die kleine graue Katze, die kommt, wann sie will und da fehlt die Mutter, die anrief, wann sie wollte. Nichts ist mehr wie immer, denn der Ehemann starb, unerwartet nach jahrzehntelanger Ehe, er war immer da, schraubte und reparierte und tat und machte und nun, ist alles furchtbar still. Nichts ist mehr wie immer, denn die Tochter starb, unerwartet, viel zu früh, noch mitten im Leben, sie lässt ihre Mutter zurück und ihre Tochter, beide haben einander, doch sie, sie haben sie nicht mehr. Nichts ist mehr wie immer, denn die Mutter starb, Anfang des Jahres schon starb und dennoch hört die Tochter noch immer Geräusche im Haus, und sie denkt: Sie ist noch da, meine alte Mutter, gepflegt zuhause bis zum Ende. Nichts ist mehr wie immer, egal wie lange man schon damit rechnete, egal, wie lange der Mann, die Schwiegermutter, die Tochter, der Vater, ganz egal wie lange sie schon nicht mehr sind.
Nichts ist mehr wie immer, denn unsere Liebe ist heimatlos geworden. Unsere Liebe (zu ihnen) hat nun keinen Ort mehr, irrt umher und findet nicht, was sie sucht, unsere Liebe irrt umher, sucht nach ihrer Heimat, irrt und weint und weint und sucht…
Von Zeit zu Zeit findet sie etwas, für einen Moment nur, findet es und hält sich daran fest: den Pullover der Großmutter, sie schlüpft hinein und fühlt sich ihr ganz nahe. Von Zeit zu Zeit findet sie etwas, für einen Moment nur, findet es und hält sich daran fest: das Rezeptbuch der Mutter, sie weiß nun wieder wie der Hefeteig geht. Apfelkuchen kauend ist sie wieder Kind und wieder wischt die Mutter alle Tränen ab. Von Zeit zu Zeit findet sie etwas, für einen Moment nur, findet es und hält sich daran fest: die Drechselbank des Vaters, er kennt fast jeden Handgriff, hatte ihm oft genug zugeschaut, am Ende aber nicht alles gelernt, zu wenig miteinander gesprochen.
Wenn meine Liebe umherirrt, bin ich froh, dass ich weiß, wo ich hingehen kann: Dorthin, wo sie begraben liegt, dorthin, wo er seine letzte Ruhe fand. Und das mach ich nicht nur, mit der grauen Katze im Arm, sondern auch ohne sie, dann wenn Mama Geburtstag hat, dann kaufe ich wie jedes Jahr, einen großen bunten Blumenstrauß. Dann zünde ich wie jedes Jahr eine Kerze an, dann stoße ich wie jedes Jahr mit einem Glas Sekt auf sie an. Mit ihr kann ich nicht mehr feiern, mit ihr kann ich nicht mehr anstoßen, aber auf sie und auf ihr Leben. Dann ist alles wieder ein bisschen wie immer, obgleich doch alles ganz anders ist. Es ist gut, die zu erinnern, die gestorben sind. Es tut gut, ihre Namen zu hören. Es ist gut, der heimatlos gewordenen Liebe wieder Halt zu geben.
Alles ist wie immer und zugleich ist alles anders …Wir wissen, dass die Welt da draußen nicht untergeht, wenn ein Mensch stirbt – aber hier drinnen (auf Herz klopfen) da ist eine Welt zu Ende. Wir wissen, dass die Katze immer seltener kommen wird - aber hier drinnen (auf Herz klopfen) da ist auch die Angst zu vergessen, zu verstummen oder zu erkalten. Wir wissen, dass jeder von uns eines Tages sterben wird - aber hier drinnen (auf Herz klopfen) da ist auch die Freude und die Hoffnung, wieder vereint zu sein, mit denen, die wir jetzt so sehr vermissen wieder vereint zu sein und frei zu sein, frei von Schmerz und Leid, denn dann ist da wieder einer, der die Tränen abwischt
Das glaube und hoffe ich und das wünsche ich uns allen, nicht, weil es uns hilft, leichter zu leben, sondern weil es uns das Schwere ertragen lässt nicht, weil es uns verführt, einfacher zu leben, sondern weil es uns dankbar sein lässt für das, was wir hatten miteinander und weil es uns getröstet auf das zuleben lässt, was wir haben werden, miteinander und mit Gott.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne bei denen, die wir lieben und die wir bei Christus Jesus glauben, unserem Herrn.
Amen
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Konfi-Impuls zum 1. Advent 3.12.2017 - Offenbarung 5,1-5 von Andrea Holm
Nachdem ich den Text den Konfis vorgelesen habe, schauen sie mich mit großen Augen an. „Ich habe nichts verstanden“, war die einhellige Antwort. Nach dieser Rückmeldung konnte ich zumindest hinweisen, woher das gebräuchliche Wort „Das ist mir ein Buch mit sieben Siegeln“ kommt.
Im Text blieb ihnen besonders das Wort: „würdig“. Mit diesem Wort gehe ich mit den Konfis am Predigttext entlang.
- Würdevolles Miteinander
Die Konfis haben ein Gespür für einen würdevollen Umgang, auch wenn dieses Wort nicht aus ihrem Sprachgebrauch kommt und auch wenn man es an ihrem eigenen Verhalten nicht immer ablesen kann.
Idee: Die Konfis können im Gespräch von Situationen erzählen, die sie selbst hatten.
Frage: Überlegt mal, wo ihr in der letzten Zeit Situationen erlebt habt, in denen ihr selber oder andere würdelos behandelt wurden.
- Wer ist würdig genug?
Was macht die Würde des Einzelnen aus? Spannend ist die Diskussion, ob die Konfis die Würde des Einzelnen am Handeln festmachen oder davon abgelöst betrachten.
Frage: Fällt euch jemand ein, den ihr als besonders würdig empfindet?
- Einer ist würdig genug: Jesus
Jesus, Gottes Sohn, ist derjenige, der würdig ist, dass er die Siegel brechen und das Buch öffnen darf und so das Geheimnis der Liebe Gottes sichtbar werden lässt.
Hier bietet sich an, mit den Konfis die Person Jesus Christus in den Blick zu nehmen. Er war ganz Mensch wie wir, war aber doch würdiger als die anderen Menschen.
Die Frage „Warum gerade er?“ kann weiterführen.
- Nun sind wir auch würdig
Jesus behält diese besondere Würde nicht für sich. In der Taufe werden auch wir in dieses Licht getaucht. Wir sind würdig genug Gottes Kinder zu sein - ohne Ansehen unserer Person.
Das alltägliche Miteinander so zu gestalten, dass die Würde des Anderen Grundlage des Miteinanders ist, stellt eine Herausforderung dar, nicht nur für Konfis.
Frage: Wie kann man sich gegenseitig zeigen, dass man die Würde des Anderen, in der Bibel heißt es des Nächsten, respektiert und „würdevoll“ miteinander umgeht?
Idee: Die Möglichkeiten sammeln und entscheiden, welche man als Konfigruppe vielleicht gerade auch in den vier Adventswochen umsetzen möchte.
Zur Gottesdienstgestaltung:
Im Unterricht werden Sätze gesammelt und auf weiße Kartonkarten (DIN A6) geschrieben, die einen spüren lassen, dass man in den Augen Gottes würdig ist, unabhängig wie einen die Anderen sehen. Diese Karten kommen in einen Briefumschlag, der mit Siegelwachs verschlossen wird. Im Gottesdienst verteilen die Konfis dann die Briefe an die anderen Gottesdienstteilnehmer, z.B. an der Stelle der Predigt, wo es um das Aufbrechen des Siegels geht.