Das Geschenk der Freiheit Predigt zu Philipper 1, 15-21 von Anke Fasse

Das Geschenk der Freiheit Predigt zu Philipper 1, 15-21 von Anke Fasse
1, 15-21

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

sie hat mich fasziniert, diese Frau. Sie ist Vorsitzende eines großen Hilfsvereins. Für viele an ALS Erkrankte setzt sie sich ein, hat in den letzten Jahren ein dichtes Netzwerk der Kommunikation und Unterstützung geschaffen. Sie liebt das Leben – und strahlt dies auch aus. Gemeinsam mit ihrem Mann, ihrer Tochter, Hund und Katze ist ihr ein offenes gastfreundliches Haus wichtig. Sie, das ist Nadine, 45 Jahre und seit fünfzehn Jahren an ALS, einer nicht heilbaren, fortschreitenden Erkrankung des motorischen Nervensystems erkrankt. Inzwischen kann sie nur noch ihre Augen bewegen. Sie kommuniziert durch Augenkontakt mit einem Computer, so schreibt sie auch ihre Briefe und Emails als Vorsitzende des Vereins.

Nadine ist vollständig auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Natürlich ist das nicht leicht. Die Diagnose und dann der Alltag mit der fortschreitenden Erkrankung hat das Leben von Nadine und ihrer Familie vollständig verändert.

Es war ein besonderer Weg, den sie gegangen sind, erzählt sie – mit Hilfe ihres Sprachcomputers. Aber sie ist gewachsen auf diesem Weg, hat so viel Neues gelernt und erfahren, Menschen noch einmal neu und anders kennengelernt – und sie ist sicher, dass sie nur so ihre Aufgabe gefunden hat, nämlich sich durch ihre Erfahrungen für andere einzusetzen. Natürlich gab es auf diesem Weg auch Rückschläge und dunkle Zeiten. Aber insgesamt, möchte sie ihr Leben nicht tauschen, das steht für Nadine fest.

Sie hat mich fasziniert, diese Frau. Welche Kraft, ja welche Freiheit von ihr ausstrahlt, und das obwohl sie sich selbst nicht bewegen kann und ganz auf die Hilfe anderer angewiesen ist.

 

Seit Jahrhunderten fasziniert er viele. Zunächst waren ihm die Christen ein Dorn im Auge. Aber dann, seit jenem Erlebnis auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus, veränderte sich alles. Nun war er ein leidenschaftlicher Missionar geworden, gründete Gemeinden, lebte, liebte und sorgte für sie, mehr als für sonst irgendetwas. Der Glaube, das Vertrauen in Jesus Christus, das war für ihn das Entscheidende. Ja, und selbst im Gefängnis, selbst unter Anfeindungen, unter der Gefahr des eigenen Lebens, lässt er nicht davon ab. Weiter schreibt er Briefe an die verschiedenen Gemeinden und erzählt ihnen von seinem Vertrauen in Jesus Christus. Christus ist mein Leben und Sterben ein Gewinn. Er strahlt Vertrauen und Freiheit, Freiheit aus dem Glauben heraus aus, ja sogar eine tiefe Freude, obwohl er sich im Gefängnis befindet und sein Leben in akuter Gefahr ist. An die Gemeinde in Philippi schreibt Paulus:

Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. Was tut’s aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.

Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. (Phil 1, 15-21).

 

Paulus, der voller Freude, Freiheit und Zuversicht ist – durch seinen Glauben, auch in Gefangenschaft. Mich fasziniert dieser Mann.

 

Zwei besondere Menschen, deren Körper in unterschiedlicher Art und Weise gefangen sind; deren Geist und Seele aber in ganz besonderer Art und Weise frei ist. Sie zeichnet ein besonderes Vertrauen aus, dass sie Vieles andere, was Menschen oft beschäftigt und bindet, loslassen lässt. Und dieses Vertrauen, es schenkt Freiheit. Faszinierend!

 

Ja, es gibt sie diese besonderen Menschen, die berühren, die Vorbilder sind. Menschen mit einem besonderen Charisma. Die Mütter und Väter des Glaubens gehören dazu. Ich weiß nicht, an wen Sie dabei denken oder wer Ihnen da vielleicht wichtig geworden ist.

Für mich ist Dietrich Bonhoeffer ganz wichtig. Die vielen Texte und Briefe, die er im Gefängnis schrieb.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen

Und gewiss an jedem neuen Tag.

Er gibt die Erfahrung tiefen Vertrauens in einer Zeit weiter, in der das ganze Leben aus den Fugen geriet und eine Zukunft kaum erkennbar schien. Und wenn Paulus hinter Gefängnismauern schreiben konnte Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn, so sind von Bonhoeffer angesichts des Todes die Worte überliefert: Das ist das Ende, für mich aber der Beginn des Lebens.“

 

Große, faszinierende Menschen – Vorbilder des Glaubens, die mich berühren, aber deren Leben und Ausstrahlung auch ganz besonders und einzigartig bleibt.

Ich brauche, diese Leuchtturm-Menschen. Und ich, ja wir brauchen die Menschen, die sich mit ihrer ganz eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte einbringen und da sind. Hier und heute. Ganz nah und greifbar. Denn diese Menschen machen unsere Gemeinden aus und gestalten Kirche – in den Gemeinden, in Krankenhäusern, an vielen verschiedenen Orten. Kirche mit dir und mir durch unsere Fähigkeiten, mit allen Fragen und Zweifeln – und mit großem Vertrauen und in Freiheit. So ist es ein Grund zur Freude, dass heute in den vielen verschiedenen Gemeinden und Kirchen Gemeindekirchenratswahlen sind. Es gibt viele verschiedene Kandidatinnen und Kandidaten, die trotz vieler anderer Angebote und gegen den Zeitgeist Kirche mitgestalten wollen, weil ihnen ihr Glaube wichtig ist und sie darauf vertrauen. Auch dies, empfinde ich faszinierend und Mut machend.

 

Vertrauen, Glauben, Freiheit und Freude – dies gehört zusammen. Das ist uns verheißen und geschenkt.

Und manches Mal ist es trotzdem schwer die Kraft für den Alltag, für die Aufgabe, für den Glauben zu gewinnen.

Und dazu ist uns mit Blick auf Paulus etwas Weiteres geraten: das Gebet füreinander und der Beistand des Geistes Jesu Christi.

 

So lasst uns dies tun und beten zu Gott,

um Kraft und Segen für unsere täglichen Aufgaben.

Um Schutz und Bewahrung für Menschen, denen wir verbunden sind,

um Vertrauen in Dich, Gott, und Deine befreiende Verheißung für uns,

schenke Du uns Glauben, schenke uns Vertrauen, schenke uns Freiheit,

 jeden Tag neu. Amen

 

Perikope
11.03.2018
1, 15-21

„Ja, aber du auch!“ – Predigt zu Philipper 1,15-21 von Susanne Ehrhardt-Rein

„Ja, aber du auch!“ – Predigt zu Philipper 1,15-21 von Susanne Ehrhardt-Rein
1,15-21

I.

Wofür lohnt es sich, zu leben?

Das ist sicher provokativ, diese Frage hier und euch zu stellen: Mitten in der Seminarwoche. Ihr habt eurem Alltag eine ganze Woche Zeit abgetrotzt. Ihr lasst euch ein auf schwierige theologische Themen. Ihr müsst konzentriert zuhören und sollt euch selbst Gedanken machen und diskutieren. Nach den ersten Seminaren seit letztem Herbst war schon klar geworden: Das wird kein Spaziergang. Das kostet richtig Zeit und Kraft. Und es wird auch noch einige Zeit dauern, bis ihr die Früchte der Anstrengungen und Mühen ernten könnt.

Lohnt sich das alles? Ist das ein gutes Ziel, irgendwann selbst als Prädikantin oder Prädikant zu predigen, Gottesdienste zu leiten? Und wie ist es mit denen, die schon jetzt entschieden haben: Das lasse ich lieber. Soviel Zeit und Motivation habe ich nicht. Oder sogar: Dafür reichen meine Kräfte nicht. Wäre es nicht einfacher, sich solchen Herausforderungen erst gar nicht zu stellen? Man würde sich viel Mühe und auch das Eingeständnis der eigenen Grenzen ersparen.

Wofür lohnt es sich, zu leben? Diese Frage stellt sich natürlich auch in anderen Situationen: Wenn ich Mühe habe, eine Aufgabe zu erfüllen. Aber auch, wenn Leerlauf entsteht und mir nicht klar ist: Was ist eigentlich wichtig? Was soll ich anfangen mit meiner Kraft, meiner Zeit? Wenn ich meine Grenzen spüre, weil Krankheit oder Ängste lähmen. Dann kommen die Dinge auf den Prüfstand: Wenn wir in Grenzsituationen sind, die alles infrage stellen.

 

II.

Als Predigttext hören wir heute, was Paulus in einer solchen Grenzsituation schreibt (Phil 1, 15-2):

„15 Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: 16 diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; 17 jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. 18 Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.

Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; 19 denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, 20 wie ich sehnlich erwarte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. 21 Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“

 

Eine Grenzsituation: Paulus sitzt im Gefängnis. Der Ausgang seines Prozesses ist ungewiss. Die Todesstrafe droht ihm. Steht nun alles infrage? Aber Paulus ist stur, so leicht lässt er sich nicht abbringen von seinem Ziel. Gefängnis? Ja, bitte – dann wird endlich geredet über das, was ich zu sagen habe. Dann sieht man doch erst recht, welche Kraft meine Botschaft hat. Ich predige euch Christus, den Leidenden, den Gekreuzigten. Und wenn sie mich hier einsperren, bin ich doch noch viel glaubwürdiger. Das alles predigt doch besser, als viele Worte, was Christus bedeutet: mein Leiden, meine Schmerzen, meine Angst vor dem Tod.

Er ist unglaublich, dieser sture Apostel. Er fragt nicht: Lohnt sich das? Er sagt: Wenn sie mir den Mund verbieten, predigt mein Leib, mein Leben. Ich bin im Gefängnis, weil ich Christus predige – was kann mir besseres passieren?  Er ist unglaublich, der sture Paulus.

 

III.

„Gelt Sophie, Jesus.“ – „Ja, aber du auch!“

Vor etwa 35 Jahren las ich diesen Wortwechsel zum ersten Mal – besser gesagt: ich hörte ihn, als Dialog in einem Film über die „Weiße Rose“. Ich hatte damals die sozialistische Schule gerade hinter mir. Ich war ratlos, wie es jetzt weitergehen könnte und suchte nach Orientierung, auch nach Orientierung für meinen Glauben. Dieser Dialog brachte es auf den Punkt: Der Glaube an Jesus Christus hat zu tun mit den Beziehungen der Menschen zueinander.

„Gelt Sophie – Jesus.“ Das sagte Magdalena Scholl am 22. Februar 1943 zum Abschied zu ihrer Tochter Sophie. Wenige Minuten später wurde Sophie Scholl hingerichtet. Sie hatte, zusammen mit ihrem Bruder Hand Scholl und anderen Studenten in München Flugblätter gegen den Nationalsozialismus geschrieben und verbreitet. Gegen den Krieg, gegen Hitler – für die Freiheit des Geistes und des Glaubens:

„Gibt es, so frage ich dich, der du ein Christ bist, gibt es in diesem Ringen ein Zögern … ein Hinausschieben der Entscheidung in der Hoffnung, daß ein anderer die Waffen erhebt, um dich zu verteidigen? Hat dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen? Wir müssen das Böse dort angreifen, wo es am mächtigsten ist, und es ist am mächtigsten in der Macht Hitlers.“

So steht es in einem Flugblatt der „Weißen Rose“ vom Sommer 1942. Dann folgt ein Zitat aus dem Buch der Sprüche Salomos: „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne; und siehe, da waren die Tränen derer, so Unrecht litten und hatten keinen Tröster; und die ihnen Unrecht taten, waren zu mächtig, daß sie keinen Tröster haben konnten. …“ „Wir schweigen nicht, wir sind euer böses Gewissen, die Weiße Rose läßt euch keine Ruhe!“1

„Gelt Sophie, Jesus.“ – „Ja, aber du auch!“

Hattest du keine Angst, Sophie? Wolltest du nicht leben? Hat sich das ‚gelohnt‘?

Der Blick auf Jesus, auf den gekreuzigten Christus. Der Blick auf den anderen Menschen, auf die Gesellschaft und das eigene Leben. Und die Frage: Wofür lohnt es sich, zu leben? Diese drei Dinge gehörten für Sophie Scholl, die 21jährige Studentin, offenbar zusammen. Sie ist, so haben es Augenzeugen beschrieben, ruhig und gefasst in den Tod gegangen. Sie hat ihr Leben nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt, sie wollte nicht sterben und sie hatte auch Angst. Ihr Leben und ihr Sterben zeigen auf Christus, den Gekreuzigten, den Leidenden und Mitleidenden:

„Gelt Sophie, Jesus.“ - „Ja, aber du auch!“

 

IV.

Was predigt mein Leben? Das Leben besteht ja meistens nicht aus Grenzsituationen, in denen alles auf einen Punkt kommt. Aber auch im scheinbar einfachen alltäglichen Leben stellt sich die Frage: Was heißt es, als Christ, als Christin, zu leben? Was predigt mein Leben?

Es geht nicht um heldenhaften Mut, nicht um Erfolgsgeschichten, nicht um moralische Bestnoten. Auch Paulus suchte nicht den Heldentod des Märtyrers: „… wie ich sehnlich erwarte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen … Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, sei es durch Leben oder durch den Tod.“ (V. 20) Paulus hält daran fest: Christus, der Gekreuzigte, wird sichtbar an den Erfahrungen seiner Glaubenden. Der einsame, zweifelnde Jesus im Garten Gethsemane erscheint in deiner Einsamkeit und deinen Zweifeln. Der Jesus, der unter dem Kreuzbalken zusammenbricht, erscheint in deinem Scheitern, den Niederlagen und Abbrüchen deines Lebens. Der Sterbende am Kreuz wird sichtbar in deiner Sterblichkeit und Todesangst.

In unseren Lebensgeschichten, im ganz alltäglichen und gewöhnlichen Lauf unserer Tage will Christus sichtbar werden.

 

V.

Was predigt mein Leben? Nicht erst dann, wenn einmal an meinem Grab eine Beerdigungsansprache gehalten wird. Sondern jetzt, mitten im Leben und im Alltag.

Paulus, unser apostolischer Glaubensbruder, ist rigoros und gelassen: „Wenn nur Christus verkündigt wird, auf jede Weise …“ (V. 18)

„Ja, aber du auch!“ – antwortet Sophie Scholl ihrer Mutter, ähnlich rigoros und gelassen. Der Glaube an den gekreuzigten Christus ist keine Versicherung für ein Leben, das „sich lohnt“. Aber er öffnet den Blick für das, was sich um Christi willen lohnt. Und er macht unser Leben durchsichtig für die Botschaft des Evangeliums: Gottes Leben über den Tod hinaus.

Amen.

 

1 I Drobisch, Klaus (Hrsg.), Wir schweigen nicht! Eine Dokumentation über den antifaschistischen Kampf Münchner Studenten 1942/43. Union Verlag Berlin, 1983, S. 101ff.

Perikope
11.03.2018
1,15-21

Hauptsache Christus! - Predigt zu Philipper 1,15-21 von Martin Burger

Hauptsache Christus! - Predigt zu Philipper 1,15-21 von Martin Burger
1,15-21

Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich erwarte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
(Übersetzung: Lutherbibel 2017)

 

I.

Allmählich hat sich Epaphroditus an die Besuche im Gefängnis gewöhnt. Die Wärter kennen ihn schon. Der Weg zu der Zelle ist ihm vertraut geworden. Trotzdem: es bleibt ein mulmiges Gefühl, wenn er die Gefängnismauern betritt. Überall so viel Not und Elend. Die heutige Begegnung mit Paulus geht ihm noch besonders nach. So nachdenklich und grüblerisch hat er den Apostel selten erlebt. Nagt die Zeit, die er im Gefängnis verbracht hat, doch zu sehr an ihm? Bereitet er sich gar auf sein Ende vor? Wie sonst sollte er die Worte deuten, die Paulus gesagt hat: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn“. Sollte das tatsächlich das Ende sein? Hat Paulus mit dem Leben hier auf dieser Erde abgeschlossen? Epaphroditus kann es nicht glauben. Als er abends in seinem Bett liegt, wird er die Worte von Paulus nicht los. Er kann nicht einschlafen. Wälzt sich herum. Er muss daran denken, wie alles angefangen hat. Damals, als er sich von Philippi auf den Weg gemacht hat, um Paulus im Auftrag der Gemeinde im Gefängnis aufzusuchen.

II.

Die Gemeinde in Philippi hat von der Gefangenschaft des Paulus gehört. Da die Gefangenen von den Essensrationen, die ihnen zustanden, mehr schlecht als recht leben konnten, waren sie auf die Unterstützung durch Verwandte und Bekannte angewiesen. In Philippi wurde eine Sammlung für Paulus durchgeführt, um ihm zu helfen. Dieser fühlte sich mit der Gemeinde besonders verbunden. Der Gemeinde ging es finanziell gut und konnte Paulus deshalb, ohne selber Not zu leiden, unterstützen. Deshalb nahm er ausnahmsweise die Spende für sich an. Für Epaphroditus war es eine besondere Ehre, dass er ausgewählt wurde nach Rom zu reisen, um den berühmten Apostel zu besuchen um die Gabe zu überbringen. Und nicht nur das. Er sollte ihn für eine Weile begleiten und ihm, so gut es eben ging, im Gefängnis behilflich zu sein. Der Gedanke, Paulus im Gefängnis eingesperrt zu wissen, nahm Epaphroditus den Atem. Unvorstellbar, dass der, der unentwegt unterwegs war, um den Menschen Gottes Evangelium vom Heil in Jesus Christus zu verkündigen eingekerkert wurde. Und das unter einer fadenscheinigen Anklage. Als wäre Paulus ein Schwerverbrecher, ein gefährlicher Rädelsführer, wenn er bekennt, dass Jesus der Christus der Herr ist. Der sein Reich nach ganz anderen Maßstäben errichtet, wie das römische Herrscher tun. Paulus hatte noch große Pläne. Er wollte noch viele Länder bereisen, um das Evangelium von Jesus Christus bekannt zu machen. Und nun dies: Apostel und Evangelium in Ketten gelegt, zum Schweigen gebracht. Paulus, der große Apostel, der viele Gemeinden gegründet hat, der von Freiheit gepredigt hat, jetzt in Ketten. Schwach und ausgeliefert. Wie soll denn das weitergehen? Sind die Herren dieser Welt so stark und mächtig, dass sie Gottes Wort binden und ohnmächtig machen können? Zwar freute sich Epaphroditus auf die Begegnung mit Paulus, er hatte aber doch auch Angst davor, wie er diesen antreffen würde. Doch die Befürchtungen waren nach der ersten Begegnung mit dem Apostel wie weggewischt. Da saß keiner im Gefängnis, der Trübsal geblasen hat. Keiner, der am Boden zerstört war. Paulus begegnete ihm offen, mit festem Händedruck und klarem Blick. Der, der ihm da in der Zelle gegenübersaß, war trotz der widrigen Lebensumstände voller Hoffnung und Zuversicht. Das hat sich wohl auch im Gefängnis herumgesprochen. Andere Gefangene wandten sich vertrauensvoll an ihn und wurden ermutigt. Selbst die Wärter behandelten ihn mit Respekt. Eine eigentümliche Kraft ging von diesem Mann aus, der doch so geschwächt war. Man hätte den Eindruck gewinnen können, er sei ein freier Mann – und das im Gefängnis!

III.

Nach ein paar Tagen in der Stadt. Epaphroditus versteht die Welt nicht mehr. Immer wieder hört er in den Häusern der Christen Menschen, die Paulus angreifen. Ja, manche verspotteten ihn regelrecht und klagten ihn an. Wenn er der große Apostel ist, warum ist er dann in Ketten? Wenn er wirklich von dem mächtigen Gott redet, warum ist er dann ohnmächtig und ausgeliefert? Seine Position als Apostel wurde massiv in Frage gestellt. Wie können diese Menschen dann trotzdem noch das Evangelium verkündigen? Wie können sie in Anspruch nehmen, im Namen von Christus zu reden? Das passt doch nicht zusammen. Das muss der Apostel erfahren, wie über ihn geredet wird, wie andere über ihn herziehen. Aufgelöst läuft Epaphroditus ins Gefängnis und berichtet Paulus. Dieser hört geduldig zu und bleibt erstaunlicherweise sehr gelassen. Dann sagte er etwas, mit dem Epaphroditus nicht gerechnet hat: „Weißt du, Epaphroditus, es kommt doch nicht darauf an, was die Menschen über mich sagen oder denken. Nicht ich bin die Hauptsache, sondern Christus. Auch wenn andere neidisch sind auf mich, wenn sie Streit mit mir suchen und aus Eigennutz handeln: es ist doch allein wichtig, dass Christus verkündigt wird.“ Epaphroditus traut seinen Ohren nicht. Paulus geht doch sonst nicht so zimperlich mit seinen Gegnern um. Oder besser gesagt, mit den Gegnern des Evangeliums, das er predigt. Epaphroditus merkt, dass Paulus da genau unterscheidet. Es geht nicht um seine Person, sondern darum, dass Christus gepredigt wird. Und das können auch andere, auch wenn sie es auf andere Art und Weise oder aus welchem Grund auch immer tun. Es geht nicht um menschliche Gereiztheiten, um Ansehen, um die eigene Person. Unweigerlich musste Epaphroditus an so manche Auseinandersetzung denken, die sie auch in Philippi hatten. Wie kleinkariert er sich doch vorkam. Wie schnell streitet man sich über geringe Dinge. Wie schnell hat er über andere geurteilt, die anderer Meinung sind oder das in Frage gestellt, wie sie leben oder was sie sagen. Beschämend dagegen, wie großherzig Paulus hier mit anderen Meinungen und Haltungen umgeht. Das hätte er dem Apostel, der auch ganz schön auf den Tisch hauen konnte, nicht zugetraut. Paulus vertraut ganz auf den Heiligen Geist. Er vertraut darauf, dass Gott sein Reich baut. Er vertraut darauf, dass gerade da, wo es „menschelt“, Christus wirkt. Er möchte sich nicht damit aufhalten, die Motive von anderen zu bewerten. Denn wer will schon darüber urteilen, aus welchen Motiven heraus etwas geschieht? Was er nicht halten und verhindern kann und muss, lässt er los. Dieses Vertrauen lässt ihn kleinliche Streitigkeiten ertragen und anderen etwas zugestehen. Da relativieren sich Feindschaften und Gegnerschaft. Da relativieren sich Unterschiede und Veränderungen. Auf das Wesentliche kommt es an!
Auch wenn Paulus das nicht hören will: Epaphroditius bewundert ihn immer mehr. Er ist fasziniert von der Gelassenheit und Gewissheit, die Paulus ausstrahlt. Durch die Gespräche mit dem Apostel ahnt er, woher das kommt. Paulus betont immer wieder, dass er diese Situation nur durch die Gebete der Gemeinde und den Beistand des Geistes Jesu Christi ertragen kann. Dadurch findet er zu einer heiteren Gelassenheit im Glauben. Die Krise verändert ihn. Er kommt zu einer neuen Haltung gegenüber seinen Gegnern. Und er findet eine neue Haltung zum Leben und zum Sterben.

 

IV.
Eine harte Zeit liegt hinter Epaphroditus. In Rom ist er schwer erkrankt. Lange war nicht klar, ob er mit dem Leben davonkommt. Doch jetzt, da alles überstanden war, drängte es ihn nach Hause zu seinen Geschwistern nach Philippi. In seinem Gepäck hatte er einen Brief, den ihm Paulus mitgegeben hatte. Ein Brief, in dem er vieles von dem wiederfand, was er mit dem Apostel so leidenschaftlich diskutiert hatte. Zeilen, in denen Paulus ungewohnt offen über sich sprach. Zeilen, die tief in das blicken lassen, was für den berühmten Apostel existentiell wichtig ist. Epaphroditus liest über die Situation im Gefängnis, über den Umgang von Paulus mit denen, die ihn angreifen und verspotten und er liest das, was ihn im Gespräch besonders betroffen hat. Worte über das Leben und das Sterben. Gedanken am Ende eines Lebens? Wer weiß das schon. Doch Paulus ist nicht lebensmüde. Es ist eher eine Darstellung dessen, was für den Apostel wohl die Summe seiner Erkenntnis und Grundlage seines Glaubens ist: Christus ist sein Leben und Sterben sein Gewinn. Die Philipper wollten wissen, ob es ihm gut geht. Doch für Paulus sind „Gut“ oder „schlecht“ keine Kategorien. Für ihn ist wichtig, dass er in Christus das Leben hat und im Sterben sein Gewinn liegt. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Weil er weiß, dass er in der Hand von Christus ist. Egal was passiert. Das gibt ihm Kraft zu lieben, zu leben und zu hoffen. Über den Tod hinaus. Er ist durch und durch mit Christus verbunden. Das ist eine neue Lebensqualität. Das ist seine Lebensquelle.

Epaphroditus überlegt, was er denn antworten soll, wenn ihn seine Geschwister fragen, wie es Paulus geht. Er ahnt die Antwort, die wohl Paulus geben würde: „Danke, dem Evangelium geht es gut!“

Perikope
11.03.2018
1,15-21

Zu Hause bei Gott - Predigt zu Philipper 3,20-21 von Martin Hein

Zu Hause bei Gott - Predigt zu Philipper 3,20-21 von Martin Hein
3,20-21

Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus, der unsern nichtigen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann.(Phil 3,20f)

Wo sind Sie zuhause? Nein, ich meine nicht den Ort und die Straße, wo Sie wohnen, also Ihre Adresse. Die kann sich jederzeit ändern. Und wahrscheinlich haben die meisten von uns schon einige Ortswechsel im Leben hinter sich. Auch der Geburtsort, aus dem wir stammen, wird in vielen Fällen nicht unser Zuhause sein. Manchmal sagt er recht wenig dazu aus. Da stammen wir her. Wo aber sind wir wirklich zuhause?

Eine Antwort darauf könnte lauten: Wir sind dort zuhause, wo wir ganz und gar wir selbst sind. Das klingt abstrakt, etwas abgehoben. Aber es ist nun einmal so, dass unser Zuhause mehr beschreibt als die Wände, innerhalb derer wir leben. Das Zuhause geht über jede Ortsangabe hinaus und umfasst gleichermaßen unsere Gefühle, Stimmungen und Sehnsüchte. An Weihnachten erleben wir das besonders: „Coming home for Christmas“.

Zuhause zu sein, ganz und gar man selbst zu sein – dafür steht ein schwieriges Wort, auf das alle wahrscheinlich unterschiedlich reagieren: „Heimat“. In den Jahren nach 1968 galt es als ausgesprochen verpönt, weil es zu verklären schien, was eben auch seine negativen, einengenden und ausgrenzenden Assoziationen hat. Und warum ist das ein schwieriges Wort? Es gibt eben nicht nur jenen unbeschreibbaren Ort, an dem wir mit uns in Einklang sind und um den sich niemand streiten muss, sondern es gab auch die „Heimatfront“ und später unendlich viele „Heimatvertriebene“.

Mir selbst fällt es immer noch schwer, von Heimat zu sprechen – trotz aller Rehabilitierung, die dieses Wort inzwischen erfahren hat. Ich rede liebe von Zuhause und weiß zugleich, dass auch dieses Wort nur ungenügend fassen kann, was uns dabei bewegt.

1951 erregte in Deutschland eine Essay-Sammlung zur Literatur ungeheures Aufsehen. Ihr Titel „Der unbehauste Mensch“ drückte das Lebensgefühl der Kriegs- und jungen Nachkriegsgeneration aus. Der Autor war Hans Egon Holthusen, ein Pfarrersohn, zuvor strammer Nazi und Mitglied der SS. Trotzdem konnte er im Nachkriegsdeutschland eine beachtliche Karriere als Essayist und Literaturkritiker hinlegen. Aber das wäre ein eigenes Thema. Mit seinen Beobachtungen zum „unbehausten Menschen“ traf er den Nerv der Zeit: Alles hatte der Krieg zerstört. Alle vermeintlichen Sicherheiten waren geschwunden. Nur mühsam gelang es, auch geistig wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Wer unbehaust ist, an dem zerren die inneren und äußeren Stürme. Der weiß nicht, woher er kommt und wohin es mit ihm gehen wird: Unbehaust sein als Lebensgefühl!

Das ist Vergangenheit – und doch ungeheuer aktuell: Die Flüchtlingsströme, von denen es global in den vergangenen Jahrzehnten mehr gab, als wir uns eingestehen wollten, sind bei uns angekommen. Der „unbehauste Mensch“ ist keine Metapher mehr, sondern steht bei uns: an den Grenzen, in den Erstaufnahmestellen. Und die Folge? Immer stärker bahnt sich ein dumpfes Gefühl seinen Weg, dass die Menschen, die aus Krieg und Elend zu uns geflohen sind, für uns eine Bedrohung sein könnten. Nicht nur die Flüchtlinge sind unbehaust, auch Menschen, die hier leben, empfinden sich so, weil sie sich verunsichert oder bedroht fühlen. Nicht mehr „Herr im eigenen Haus“ zu sein, war für Sigmund Freud eine der drei großen Kränkungen der Menschheit. Politisch gefährlich wird sie, wenn die empfundene Fremdheit und Hilflosigkeit in Radikalismus, Gewalt und Hass umschlagen.

Wenn wir von Heimat und von Unbehaustsein sprechen, hat das inzwischen nichts mehr mit dem Feuilleton zu tun, sondern mit der Politik. Aber es gibt keine schnellen, wohlfeilen Antworten. Was angesichts aller Aufgeregtheiten nottut, ist Besinnung!

Ist es denn wirklich eine so neue Erfahrung, in dieser Welt letztlich nicht beheimatet, nicht zuhause zu sein? Oder kommt durch die gegenwärtige gesellschaftliche Lage in Deutschland etwas zum Ausdruck, das uns immer schon existentiell als Menschen umtreibt? Wo sind wir wirklich zuhause, wenn sich alle scheinbaren Absicherungen auflösen? So lautet doch die Frage, die hinter allen Erfahrungen steht.

Nein, sie ist nicht neu, auch nicht bloß Ausdruck des Erlebens zweier Weltkriege. Schon der Apostel Paulus hat sich damit auseinandergesetzt. Ganz zwangsläufig musste er das. Denn es war der Kern seiner Glaubenserfahrung: Nicht mehr an sich selbst und an die engen Beschränkungen dieser Welt, sondern allein an Jesus Christus gebunden zu sein. Für Paulus war es vollkommen klar, dass durch Christus die uns bestimmenden Beziehungen durchbrochen sind: Es gilt nicht mehr die Begrenzung auf Nationalität und Geographie, nicht mehr die Unterscheidung in Juden und Heiden oder in Freie und Unfreie, in Arme und Reiche. All diese zweifelhaften Festlegungen treten für die außer Kraft, die durch die Taufe in die Gemeinschaft mit Christus aufgenommen sind. Und warum gelten sie nichts mehr? Weil Christus auferstanden ist und, in religiöser Sprache ausgedrückt, im Himmel thront. Wer also zu ihm gehört, gehört rechtlich gesehen – so Paulus – nicht mehr in diese Welt, auch wenn wir in ihr leben. Wir gehören dorthin, wo Christus ist: Da sind wir eingeschrieben, da ist unser „Bürgerrecht“. Vor jeder Staatsbürgerschaft, die uns stets auf ein bestimmtes Land einschränkt, haben Christen ein weit übergreifendes Heimatrecht: das „Bürgerrecht im Himmel“.

Dieses Wort stammt aus dem staatlichen Denken. Nur ein einziges Mal kommt es im Neuen Testament vor: hier bei Paulus im Philipperbrief. Er, der sich später selbst auf sein römisches Bürgerrecht berief, hatte ganz bewusst diese politisch-rechtliche Dimension im Blick: Weil Christus auferstanden ist und bei Gott lebt, haben wir einen unverbrüchlichen Anspruch, zu allererst dort beheimatet zu sein – mit Brief und Siegel. Der Himmel, das Reich Gottes, ist also nicht erst unsere Zukunft: Sie ist unsere Herkunft! Dort, in der unbegrenzten Ewigkeit, sind wir zuhause. Da kommen wir her. Und diese Heimat geht über alles hinaus, was wir uns vorstellen. Einst werden wir sein, was wir rechtlich gesehen schon jetzt sind: Wir werden Mitbürger Christi und ihm gleich!

Man mag das angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, als weltfremd abtun. Oft genug ist das ja auch geschehen. Die Anfragen gehen dahin, was denn daraus konkret folge, dass das entscheidende Recht für uns Christen das Bürgerrecht im Himmel sei.

Um es klar zu sagen: Um Weltflucht geht es nicht. Nicht noch eine Fluchtbewegung – die in die innere Emigration, in das Schneckenhaus der eigenen Sicherheiten.
Sondern es geht um mutige Hinwendung zu all den Problemen, die uns beschäftigen. Und dies in dem Bewusstsein, dass wir tatsächlich „unbehaust“ sind und dass uns nichts in unserer Welt eine letzte Verlässlichkeit gibt. Wir leben im Vorläufigen. Aber wir leben nicht hoffnungslos und tatenlos. Sondern wir bewähren unser himmlisches Bürgerrecht hier auf der Erde. Denn wir sind frei. Wir sind durch die Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus nicht auf die Grenzen fixiert, die uns Sicherheiten vorgaukeln. Als Christen stehen wir vor der Herausforderung, die Unbehaustheit in der Welt ernst zu nehmen und daraus die Freiheit und den Mut zu gewinnen, unsere Gesellschaft in aller Vorläufigkeit menschlich zu gestalten.

Es mag paradox klingen, aber das himmlische Bürgerrecht verweist uns auf diese Erde, um hier den Glauben an das Reich Gottes zu bewähren – das Reich des Friedens, der Gerechtigkeit und der Liebe. Dafür sind wir seine Gesandten.

Der Welt mögen wir manchmal fremd erscheinen und uns selbst in ihr fremd fühlen. Auch bei aller Anpassung an die bestehenden Verhältnisse: Es bleibt für Christen stets ein Rest an Unbehaustsein, an Heimatlosigkeit. Und das ist auch gut so. Denn dann bleibt die Gewissheit in uns lebendig, dass wir eine Heimat haben, die uns niemand nimmt – und die zu betreten uns verheißen ist, wenn wir diese Welt verlassen.

Noch aber leben wir hier – herausgefordert von vielen Ansprüchen. Sie lassen sich bewältigen, weil sie nicht das Entscheidende sind. Der Blick aus der Perspektive der Ewigkeit rückt die Maßstäbe zurecht. Und ich sage sehr bewusst: Das gilt auch in der gegenwärtigen Situation in Deutschland! Es gibt wirklich viel zu tun. Und es gibt – Gott sei Dank! – viele Menschen, die sich nicht entmutigen lassen, darunter ganz viele Christen. Wer sich darauf verlässt, dass uns das Bürgerrecht im Himmel niemals gekündigt werden kann, ist stark genug, ans Werk zu gehen. Damit beizutragen, all jenen Aufnahme zu bieten, die ihre Heimat verloren haben. Diese Freiheit schenkt uns der auferstandene Christus.

Wo also sind wir zuhause? Im Himmel – bei Gott! Amen.

Perikope
30.10.2016
3,20-21

Leben in der Gemeinschaft - Predigt zu Philipper 1,3-11 von Ralph Hochschild

Leben in der Gemeinschaft - Predigt zu Philipper 1,3-11 von Ralph Hochschild
1,3-11

Liebe Gemeinde,

neulich bin ich ihm begegnet. Bei einem Gang durch die Neue Staatsgalerie Stuttgart. Ihm, Paulus, dem Völkerapostel, dem Schriftkundigen, dem Zeltmacher. Auf der Holztafel, auf der ihn Rembrandt van Rijn porträtiert hat. Als Gefangenen, im Dunkel seiner Zelle, um sich seine Habseligkeiten, das Schwert in der Ecke. Das Zeichen für Gericht und Tod, die ihm jetzt drohen, das Symbol für eine ungewisse Zukunft.

Welch ein Kontrast! Hier die weite, helle, monumentale Neue Staatsgalerie, da die kleine, dunkle, bescheidene Gefängniszelle. Welch eine Differenz zu dem dynamischen und streitlustigen Paulus, den ich aus der Apostelgeschichte und manchen seiner Briefe kenne. Jetzt wirkt er schmächtig und gebeugt. Die Riemen seines Schuhs gelöst, den müden Fuß aufgestellt, sitzt er ganz ruhig auf der Pritsche. Licht fällt durch das Zellenfenster. Die rechte Hand am Kinn folgt er seinen Gedanken. Die Bibel liegt auf seinem Schoß, auf diesem festen Grund ein Briefbogen. In der Hand die Feder, mit der er vielleicht gleich ansetzen und die folgenden Worte schreiben wird. Wir lesen sie heute im ersten Kapitel des Philipperbriefes, in den Versen 3-11.

„Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke – was ich allezeit tue in allen meinen Gebeten für euch alle, und ich tue das Gebet mit Freuden –, für eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tage an bis heute; und ich bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu. Wie es denn recht und billig ist, dass ich so von euch allen denke, weil ich euch in meinem Herzen habe, die ihr alle mit mir an der Gnade teilhabt in meiner Gefangenschaft und wenn ich das Evangelium verteidige und bekräftige. Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Christus Jesus. Und ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher werde an Erkenntnis und aller Erfahrung, sodass ihr prüfen könnt, was das Beste sei, damit ihr lauter und unanstößig seid für den Tag Christi, erfüllt mit Frucht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus zur Ehre und zum Lobe Gottes.”

Eigentlich müsste er verzweifelt sein, klagend und jammernd in seiner Zelle liegen. Doch Paulus schreibt nicht von Verzweiflung, sondern von seiner Dankbarkeit. Wir hören ihn nicht klagen, sondern von seiner Freude. Er jammert uns nichts vor, sondern spricht von seiner Zuversicht. Es ist, als siegten die hellen Strahlen, die durch das Zellenfenster fallen, über die Düsternis der Zelle, als erleuchteten sie ihm nicht nur Kopf und Verstand, sondern träfen auch sein Herz, stärkten seinen Mut, richteten ihn auf. Paulus spürt wohl, welche Kraft die Gemeinschaft mit seinen Philippern hat. „Ich danke meinem Gott […] für eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tage an bis heute.”

Paulus hat es verstanden: Wir können uns wohl mit Menschen bekannt machen, anfreunden, Gemeinschaft aber ist nichts, für das wir uns entscheiden könnten. Er kann es nicht und die Philipper nicht. Sie ist mehr als das Resultat eines kühlen Entschlusses. Sie ist nicht selbstverständlich, sie ist ein Geschenk.

Ein Konfirmand erlebt Ähnliches mit seinen Freunden. Wen ich gut finde und in welchem Freundeskreis ich sein möchte – das kann ich noch entscheiden. Aber ob aus diesem Freundeskreis eine Gemeinschaft wird, in der einer für den anderen einsteht, eine Gemeinschaft, die zusammenhält – das ist ein Geschenk.

Wer je einen Mannschaftssport betrieben hat, weiß das: Ich kann mich für eine Sportart entscheiden, weil sie mir gefällt. Ich kann zu einem Verein wechseln, bei dem ich mit meiner neuen Mannschaft Siege feiern und Erfolge haben möchte. Aber ob aus dem Team eine Gemeinschaft wird, die zusammen kämpft, die Rückschläge und Niederlagen überwinden kann, ob aus dem Team eine Gemeinschaft wird, die über das rein Sportliche hinaus auch in den Krisen und Niederlagen des Lebens füreinander da ist – das ist alles Geschenk.

Jeder von uns sieht es an der Gemeinschaft von Eltern und Kindern. Wir haben unsere Eltern nicht gewählt und doch liebten wir sie von der ersten Sekunde unseres Lebens an – so wie unsere Kinder uns von ihrem ersten Atemzug an geliebt haben und uns Eltern mehr an Liebe gegeben haben, als wir es wohl verdient hatten. Gemeinschaft ist ein Geschenk.

Und so klingt es in diesem Abschnitt aus dem Philipperbrief: Als habe Paulus, der in die Gefangenschaft geworfen wurde, wieder Halt gefunden hat. Als habe der aus seinem Leben Gefallene wieder festen Grund unter den Füßen. Als betrachtete er sein Leben nicht im Schatten von Gefängnis und Schwert, sondern im tröstlichen, ermutigenden Licht des Evangeliums. Das Evangelium begründet die Gemeinschaft zwischen Paulus und den Philippern. Durch das Evangelium teilen sie die Gnade und sind durch Jesus Christus verbunden. Bei uns selbst ist es nicht anders. Seit unserer Taufe auf Jesu Namen sind wir Teil unserer Gemeinde und der weltweiten Gemeinschaft der Christen. In jeder Feier des Abendmahles bekräftigen wir, dass wir mit Jesus Christus und untereinander verbunden bleiben.

Aber: Wenn ich mich nicht sehr täusche, denken wir selten über den Wert unserer Gemeinschaft nach. Wir kämen – glaube ich – auch kaum auf die Idee, für unsere Gemeinde dankbar zu sein. Lieber sprechen wir über das, was uns hier fehlt.
Und: Wichtiger als die Gemeinschaft ist uns unsere eigene Freiheit, unsere Unabhängigkeit, unsere Eigenständigkeit. Aber vielleicht lässt sich das jetzt von Paulus lernen: Wieder aufmerksam für das zu werden, was uns trägt. Die Gemeinschaft der Glaubenden. Und widerständig zu werden gegen enttäuschende und entmutigende Erfahrungen in unserem Leben.

Unsere Erfahrungen sind andere als die des Paulus. Wir kennen die Situation eines Gefangenen nicht wirklich. Aber wir wissen, was es heißt, wenn vieles, was wir uns vom Leben erhofft haben, unerfüllt zu bleiben scheint. Manchmal spüren wir den Druck von Anforderungen und Erwartungen, die uns bedrücken und die Lebensfreude rauben. Niederlagen und Misserfolge belasten uns, lassen Unruhe, Unsicherheit und Unfrieden in uns wachsen, verunsichern und entmutigen uns.

Paulus kann dem widerstehen. Er lässt sich von solchen Ängsten nicht gefangen nehmen. Denn er weiß, was ihn trägt, zu welcher Gemeinschaft er gehört. Deshalb kann er diese große Dankbarkeit für seine Philipper zeigen. Deshalb leuchtet diese Freude aneinander in seinem Leben auf. Deshalb wächst in ihm die Zuversicht, dass „der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollenden”. Gott wird vollenden, was er mit Paulus und den Philippern begonnen hat. Sie werden Menschen sein, deren Leben vollendet ist, deren Leben Gott lobt. Darauf vertraut er, das macht ihn, den Gefangenen stark in den Untiefen seines Lebens.

Ob diese Erfahrung und dieser Glaube auch andere stärken kann? Rembrandt jedenfalls scheint das zu glauben. Viele Jahre nach diesem ersten Paulus-Bild hat Rembrandt ein neues Paulusbild geschaffen, dieses Mal für sich selbst. Im „Selbstporträt als Apostel Paulus” identifiziert er sich mit Paulus, mit dessen Erfahrungen und Glauben. Wieder dominieren die dunklen Farben. Sie stehen für die Wunden Rembrandts, die ihm das Leben geschlagen hat, für seine Niederlagen, für seinen geschäftlichen Misserfolg. Rembrandt zeigt uns wieder das Schwert, das Symbol für die ungewisse Zukunft und die Schrift, den festen Grund. Und wie bei „Paulus im Gefängnis” ist auch im „Selbstporträt als Apostel Paulus” das Gesicht des Porträtierten vom Licht erhellt. So, als leuchteten in Rembrandts dunklen Stunden plötzlich die Dankbarkeit, die Freude und die Zuversicht des Paulus auf und stärkten und ermutigten ihn. Und geben ihm innere Ruhe und seinen Frieden. Ich bin überzeugt: Die Erfahrung und der Glaube des Paulus, sie können auch bei uns aufleuchten, uns stärken und uns wie Rembrandt den Frieden erfahren lassen, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Perikope
23.10.2016
1,3-11