Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes – Predigt zu Hebräer 4,9-11 von Dieter Koch
4,9-11

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes – Predigt zu Hebräer 4,9-11 von Dieter Koch

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Es ist noch eine Ruhe vorhanden, Ruhe, Ruhe. Liebe Gemeinde, wie viel bricht hier auf. Ruhe - ersehnte und begehrte Erholung, Ruhe - die ersehnte und begehrte Herauslösung aus Sorgen, Kümmernissen. Freiwerden von  Hektik – für Momente, für immer tiefer reichende Momente. Ruhe ist mehr, mehr als Abwesenheit von Qual und Schmerz, mehr: Sie ist Einkehr in das Glück der Vollendung.

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Es ist noch eine Ruhe vorhanden, Ruhe, Ruhe. Liebe Gemeinde, am heutigen Sonntag, dem Gedenktag der Entschlafenen, bricht der letzte Horizont auf, die Frage: Wo sind unsere Toten? Wo sind sie angekommen? Bei Gott? Im Haus aus Licht, darin viele Wohnungen sind? Bei unserem Herrn und Heiland Jesus Christus? An dessen Herzen wir ruhen dürfen wie einst der Lieblingsjünger Johannes? Sind unsere Toten in der Ruhe angekommen, der ewigen, aller Begrenzungen entnommenen Ruhe? Wir hoffen es ,wir glauben es, denn wir können die, an denen unser Herz hing, die mit uns durchs Leben gingen und die der Tod mit sich nahm, nicht verloren sehen, nicht verloren geben. Wer liebt, sagt: Du wirst nicht sterben, auch wenn soviel Tod um einen steht, soviel Schmerz, soviel Qual. Wer liebt, sagt: Du wirst nicht sterben – um Gottes willen. Er lässt dich nicht vergehen. Du bist sein! Finde heim in seine Ruhe, finde zu Gott selbst. Trete ein in das Haus aus Licht, da viele Wohnungen sind.

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Verheißung wird laut, die Verheißung der Heimat. Ankommen dürfen und Bleiben. Tief geschöpft aus den Grundbildern des Alten Testaments.

Einst ersehnte das wandernde Gottesvolk Israel die so begehrte Ruhe im verheißenen Land. Die Wüstengeneration starb darüber. Aber die nächste Generation kam an, im Land, da es Milch und Honig gab. Das wandernde Gottesvolk in der Hoffnung auf ihr Ziel: Das Land, in dem man zur Ruhe kommen kann, Felder bestellen, Häuser bauen, Kinder zeugen,  und also leben, leben und  feiern und das Glück teilen. Ein Bild vollendeter Erfüllung bricht auf und ist doch irdisch und zeitlich nur sehr bruchstückhaft zu haben. Wir sind schon froh, wenn sich im Rhythmus der Woche wenigstens am Sonntag etwas Ruhe über einen legt und man aufatmen kann, vielleicht im Genuss jener großen Werke unserer Kultur, die wir Requiems heißen, jene Totenmessen, die im Durchgang durch die Schmerzen des Lebens immer wieder neu die inneren Tore öffnen in das Land der Verheißung, das Land der Ruhe, Tonwerke, die uns in der Kraft der Musik vor den Thron der Gnade führen und bei Gott ankommen lassen, der absoluten Ruhe.

Ruhe, Requies, Katapausis, Menucha, es sind erfüllte Worte, die alle um das Eine kreisen: das Geschenk echter Heimat. Menucha, Katapausis, Requies, Ruhe, sie umkreisen das Wunder des Friedens, der bei uns anklopft, dem wir uns öffnen können, jenes Friedens, der nicht in Waffenruhe besteht, sondern in einer inneren, letzthin völlig entgrenzten Harmonie, da wir mit Gott eins geworden sind. Denn er selbst ist unser Frieden, er selbst ist unsere Ruhe, er selbst ist unser Los.

Menucha, ist das hebräische Wort. In ihm erklingt die Verheißung des Landes.

Katapausis ist das griechische Wort. Es taucht eigentlich bis auf eine zu vernachlässigende Stelle in der Apostelgeschichte nur hier im Hebräerbrief auf und bestimmt den Gedankengang, der in Auslegung des Alten Testaments von Christus her und auf Christus hin dem Glauben Weisung gibt, auf die Ruhe, die Christus bereitet hat, fest zu hoffen und ihr würdig zu leben.

Requies, das ist die Ruhe, die sich als Frieden buchstabiert, aus der lateinischen Sprache und dann verdichtet im letzten Gewissensruf gegenwärtig, wenn wir am Grab beten: Requiem aeternam: Requiescat in pacem - Ruhe in Frieden oder Herr, gib ihnen die ewige Ruhe

Und dann Ruhe, das deutsche Wort mit seiner Abendstimmung, dem Anklang der Waldesstille und schließlich der letzten, tiefen Ruhe, dem Schlaf der Gerechten, die ruhen in Gottes Hand.

Menucha, Katapausis, Requies, Ruhe, was hier zur Sprache kommt verbindet der Hebräerbrief mit dem Sabbat, dem göttlichen Sabbat. Es ist eine ganz singuläre Verbindung im Neuen Testament, obwohl im zeitgenössischen Umfeld des damaligen Judentums durchaus bedacht. Der eine große Sabbat, der 7.Tag des Schöpfungsgedichts am Anfang der Bibel, da Gott ruhte von seinen Werken, wie er sah, dass alles sehr gut ward, wird zum Hoffnungsbild für den ewigen Sabbat, dem wir entgegen gehen, der nicht der Zeit angehört, sondern dem, was die Zeit aufbricht, was wir Ewigkeit nennen. Gottes Sabbat – das ist ER selbst in der inneren Ruhe seines Wesens, Gottes Sabbat – das ist ER selbst in der unendlichen Liebe. Dem Glaubenden eröffnet sich diese ewige Liebe. Er kehrt in sie ein. Im Abbruch des Lebens öffnet sich der Anbruch des von Gott erfüllten Lebens.

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Sie ist Raum und Ziel zugleich und  umschreibt doch nur den letzten inneren Grund des Lebens: zur Gemeinschaft  mit Gott selbst im Geist zu finden, in jenem Geist, aus dem Jesus lebte. In seinem Geist, in der Hoffnung des Glaubens erbitten wir für unsere Toten solche Ruhe, den ewigen Sabbat, die nicht mehr aufhebbare Gemeinschaft mit Gott und schließen uns zugleich mit ein: Möge uns der Glaube tragen. Mögen wir schon heute Gottes Gnade vertrauen. Mögen wir schon heute der Verheißung der Ruhe uns öffnen, in der Einkehr des Betens, in erfüllter Gemeinschaft, in der Stille, die am Waldrand blüht, jene Ruhe, da man aller Hektik los, frei ist, würdevoll mit sich selber umgeht, sich Entspannung, Entschleunigung, inneren Genuss gönnt und spürt: Das ist die Wahrheit des Lebens, zur Ruhe zu finden inmitten des Strömens. Es darf sich dann das Geheimnis der echten, erfüllten Ruhe mitten auf unser Tun und Lassen selbst legen. Es ist möglich, wenn wir inmitten der Anforderungen, dem mühseligen Hin- und Hergezerre unseres Alltags um Gott wissen, um den ewigen Sabbat, der schon hier und jetzt anbricht, um das Haus aus Licht, darin viele Wohnungen sind, eine für mich, eine für dich, für jeden eine, für jeden, der es wagt, immer neu wagt, zu glauben, zu lieben, zu hoffen.

Die Totenruhe kommt von alleine. Die Gottesruhe ist sein Werk: Ein Haus aus Licht. „Die Ruhe eines ungestörten Bleibens. Sie kann nur von Gott hineingegossen werden in unser Herz.“(Rainer Strunk)

Wer zu Gottes  Ruhe gekommen ist, der ruht von seinen Werken. Die Gottesruhe gibt es schon hier und jetzt, anfanghaft, keimhaft, im Jenseits des Todes, im Jenseits der Zeit west sie ganz und gar.

Reiner Strunk zitiert nach www.calwer-stiftung.com/cws/predigt/236797