So viel wir brauchen - Predigt zu Ex 16,2-3.11-18 von Christine Schlund
Sabine ist vom Leben gebeutelt. Eine Behinderung schränkt ihre Mobilität stark ein, irgendwann wird sie beim mühsamen Überqueren der Straße von einem Autofahrer angefahren und alles wird noch schlimmer. Sie findet Liebe bei einem Mann, drei wunderbare Kinder werden geboren, aber schon bald ziehen Gewalt, Demütigung und Aggression in die Familie ein, einige Familienmitglieder durchleben schwere psychotische und depressive Phasen, und dazu kommt oft existenzielle Not, die Sorge um das tägliche Auskommen, den Teller Suppe und das Schulbrot jeden Tag. Sabine ist damit auf sich alleine gestellt, komplett.
Als ich Sabine das letzte Mal treffe, ist gerade ihre Tochter beerdigt worden. 25-jährig ist diese innerhalb weniger Wochen an einer fatalen fulminanten Krankheitsentwicklung gestorben – sie war die einzige gewesen, die der Familie so etwas wie Stabilität geben konnte. Mir fehlen die Worte, ganz und gar. „Gott, wie ungerecht kannst Du sein?“, schreit es die ganze Zeit in mir, während ich mir die Geschichte der Krankheit, des Sterbens und der Beerdigung anhöre. Aber dann sagt Sabine den Satz: „Gott gibt mir schon immer die Kraft, die ich brauche – ohne diese Erfahrung und dieses Vertrauen würde ich es nicht schaffen“.
Und dann zitiert sie den Abschnitt aus Dietrich Bonhoeffers Bekenntnis, das in den Konfirmationszeiten ihrer Kinder wohl eine Rolle gespielt hat:
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.
Als sie das sagt, bin ich noch sprachloser als vorher. Denn sie sagt das nicht, weil sie meint, das müsse sie, um der Pfarrerin zu gefallen – so spüre ich ganz deutlich. Eher vielleicht, um mich zu trösten in meiner Hilflosigkeit. Aus dem Besuch gehe ich, die ich doch gekommen war, um zu stärken, getröstet und gestärkt hervor – und voller Ver- und Be-wunderung auch.
Im entscheidenden Moment hat Gott mir immer einen Engel geschickt, sagt Sabine. Jemanden, der die Einkäufe trägt. Das Formular ausfüllt, sich traut, einen bohrenden Anruf zu machen beim Amt.
So viel du brauchst, kannst du finden, vor deinen Augen, täglich, wenn du in der Lage bist, dich darauf einzulassen, darauf vertraust.
Offensichtlich ist dies auch, worum es geht in der Erzählung von Manna und Wachteln in der Wüste im zweiten Buch Mose. In der wir uns, wie ja so häufig in der Bibel, so unfassbar ertappt fühlen, so erschreckend lebendig wie präzise beschrieben als die Menschen, die wir sind, vor Tausenden von Jahren offensichtlich genau so wie heute.
Gerade noch wurde die errungene Freiheit bejubelt, die gelungene Flucht aus der Sklaverei in Ägypten gefeiert – ein großes Fest, Tanz und Musik und Lobgesänge. Doch schon wenige Tage danach setzt Ernüchterung ein und bald Ärger. Erst findet sich nichts zu Trinken für Mensch und Vieh, und Mose muss mit Gottes Hilfe bitteres Wasser trinkbar machen – und kurze Zeit danach beginnt das Volk über die Versorgung mit Essen zu maulen. Wären wir mal in Ägypten geblieben. Hätten wir uns mal nicht von Mose motivieren lassen zum Aufbruch. Hätte, hätte Fahrradkette. Es gibt kaum etwas Sinnloseres und Destruktiveres als so zu reden und zu denken: hätten wir mal besser, wären wir mal nicht… Erlittene Unterdrückung und brutale Gewalt in Ägypten – alles vergessen und verdrängt?
Vage Befürchtungen und Untergangsszenarien, verbunden mit mangelndem Vertrauen und Verklärung der Vergangenheit ergeben immer eine unheilvolle Mischung… Und dabei spielt es dann gar keine Rolle, ob es in Ägypten wirklich Fleischtöpfe gegeben hat (eher unwahrscheinlich für die Sklaven, die sie waren) und auch nicht, ob wirklich Hungertod droht in der Wüste. Entscheidend ist die Befürchtung, dass es so kommen könnte. Ein selektiver Blick nach vorne und zurück, der alles Vergangene schön und alles Gegenwärtige und Kommende unweigerlich schlecht redet. Wer ist schuld an der Misere? Natürlich die politischen Anführer, Mose und Aaron. Die da oben. Grade noch haben wir sie gefeiert, weil sie uns in die Freiheit führten. Aber die neugewonnene Freiheit ist offensichtlich schwer erträglich. Der Verlust des Vertrauten verunsichert, wahrscheinlich gerade weil die Spielräume in Ägypten stark eingeschränkt waren. Wir kennen das – nicht nur – aus der Zeitung und immer wieder: Auf die verheißungsvolle Revolution, auf die Befreiungsgeschichte folgt sehr schnell Ernüchterung und Enttäuschung, die manches Mal in Aggression umschlägt.
Aber Gott lässt sich nicht ein auf das Spiel. Von ihr gibt es keine Retourkutschen, keine Moralpredigt oder Richtigstellungen: „wie undankbar seid ihr doch. Reißt euch mal zusammen!“ Gott schenkt den Menschen, was sie brauchen: Versorgung und Ruhe. Eine Unterbrechung in ihrer frenetischen Sorge. Denn – was im Lesungstext ausgespart blieb: Am Freitag durften die Israelit:innen eine doppelte Portion sammeln, damit sie auch für den Samstag, den Ruhetag genug hatten. Das Manna lehrt Israel den Sabbat.
Und das Manna lehrt auch, auf das zu sehen, was vor uns liegt.
Denn Manna – wahrscheinlich getrockneter Tamariskensaft – am Morgen und Wachteln am Abend sind natürliche Erscheinungen auf der Halbinsel Sinai – Gott lenkt den Blick auf die Möglichkeiten, die der Alltag bietet. Direkt vor mir, buchstäblich vor meiner Nase. Ich muss gar nicht weit schauen, um etwas finden, um etwas tun zu können. Wenn es drauf ankommt, finden sich auf einmal ungeahnte Hilfsbereitschaft und Solidarität. Achtsamkeit und Zuwendung tun sich auf, wenn der Tau des Morgens geschmolzen ist. Schau nur genau hin!
Jeder sammelt, so viel er braucht und möchte – am Ende haben alle gleich viel. Darin besteht das Wunder der göttlichen Versorgung in der Wüste. „Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.“
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie uns nicht im Voraus…
Dietrich Bonhoeffers Bekenntnis quillt aus im Glauben interpretierter Erfahrung. Die kann ich niemandem vorschreiben. Das Erleben „am Ende hat es immer gereicht“ führt zu Vertrauen in die Zukunft, zu Vertrauen in Gottes Begleitung auf allen Wegen, in der Wüste und im finsteren Tal. Sabine hat mich das gelehrt, und die Israeliten in der Wüste auch.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Meine innenstädtische Berliner Kirchengemeinde mit Predigthörenden, die Lust an biblischen Details, Geschichte und Literatur haben – und auch mit biblischen Zusammenhängen zum Großteil – und für mich immer wieder auch überraschend – gut vertraut sind.
Der Predigtentwurf geht davon aus, dass der Text als Lesung bereits im Gottesdienst gelesen und gehört wurde.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das im Eingangsteil der Predigt beschriebene Erlebnis mit „Sabine“ hat mich tagelang beschäftigt. Die Erkenntnis, dass hier eine ähnliche Grundhaltung zu finden ist, wie sie den Israelit:innen das Auffinden des Mannas ermöglichte, hat den Predigtprozess in Schwung gebracht.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Das eigentliche „Wunder“ besteht nicht im Auffinden von Manna und Wachteln, sondern darin, dass jeder genau so viel sammelt, wie er braucht, und am Ende haben alle gleich viel.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Narrative Entschleunigung und Konkretisierung im alltäglichen Heute. Vielen Dank dafür!
Link zur Online-Bibel
Eine Halsstarrige lernt beten - Predigt zu Ex 32,7-14 von Anika Mélix
Predigttext: Ex 32,7-14 (Elberfelder)
7 Da sprach der HERR zu Mose: Geh, steig hinab! Denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, hat schändlich gehandelt.
8 Sie sind schnell von dem Weg abgewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht, sind vor ihm niedergefallen, haben ihm geopfert und gesagt: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben!
9 Weiter sagte der HERR zu Mose: Ich habe dieses Volk gesehen, und siehe, es ist ein halsstarriges Volk.
10 Und nun lass mich, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und ich sie vernichte! Dich aber will ich zu einer großen Nation machen.
11 Mose jedoch flehte den HERRN, seinen Gott, an und sagte: Wozu, HERR, entbrennt dein Zorn gegen dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus dem Land Ägypten herausgeführt hast?
12 Wozu sollen die Ägypter sagen: In böser Absicht hat er sie herausgeführt, um sie im Gebirge umzubringen und sie von der Fläche des Erdbodens zu vertilgen? Lass ab von der Glut deines Zornes und lass dich das Unheil gereuen , das du über dein Volk bringen willst!
13 Denke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und denen du gesagt hast: Ich will eure Nachkommen so zahlreich machen wie die Sterne des Himmels, und dieses ganze Land, von dem ich gesagt habe: »Ich werde es euren Nachkommen geben«, das werden sie für ewig in Besitz nehmen.
14 Da gereute den HERRN das Unheil, von dem er gesagt hatte, er werde es seinem Volk antun.
Predigt
Eins
Liebe Gemeinde,
wenn ich es mit eigenen Augen sehen könnte.
Wenn ich die biblischen Wunder erleben würde.
Wenn sie heute geschähen. Heute, hier in meinem Alltag.
Dann, ja dann wäre es so viel einfacher.
Am Ball zu bleiben, an diesem Gott, an diesem Glauben, am Gebet.
„Sie sind schnell von dem Weg abgewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht, sind vor ihm niedergefallen, haben ihm geopfert und gesagt: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben! Ich habe dieses Volk gesehen, und siehe, es ist ein halsstarriges Volk.“
Ein Wunder scheint nicht zu helfen.
Nicht einmal ein großes. Vielleicht das größte.
Gott hat sein Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Er hat das Meer geteilt.
Ich meine: WOW!
Und dem Volk fällt nichts Besseres ein, als sich einen Gott aus Gold zu gießen und ihn für die Meer-Sache anzubeten. Das ist absurd! „Halsstarrig“ ist da noch ein freundlicher Ausdruck.
((lange Pause aushalten))
((leise))
Sagt die, die es nach einem bewegenden Gottesdienst manchmal nicht einmal für fünf Minuten schafft, des Erlebten zu gedenken.
Sagt die, die oft vergisst, am Tag auch nur ein Wort an den zu richten, von dem sie auf der Kanzel erzählt, dass er der Grund ihres Seins sei.
Sagt die, die in schweren Stunden Stoßgebete um Hilfe gen Himmel richtet und dann in dem Moment, in dem sich die Situation löst, sich selbst, dem Zufall oder irgendwelchen Einzelpersonen dankt.
Sagt die Halsstarrige.
Zwei
„Und nun lass mich, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und ich sie vernichte! Dich aber will ich zu einer großen Nation machen.“
Was ist Zorn?
Meine Tochter brüllt das Haus zusammen. Sie hat Durst. Einen furchtbaren, quälenden, nicht aushaltbaren Durst. So legen zumindest ihre verzweifelten Schreie nahe. Es ist nicht so, dass sie noch nichts zu trinken bekommen hätte. Genau genommen ist der letzte Schluck fünf Minuten her. Da war ich bei ihr. Das war das letzte von sechs Malen. Innerhalb der vergangenen Viertelstunde. Jedes Mal trinkt sie einen winzigen Schluck, dreht sich zur Seite und schließt die Augen. Dieses Mal reicht es mir. Ich reiße die Kinderzimmertür auf, reiche ihr die Wasserflasche (warum sie da nicht selbst ran darf, ist eine andere, sehr sehr nasse Geschichte) mit einem zischenden „Danach will ich nichts mehr hören!“. Sie explodiert sofort: „Ich will doch nur trinken! Darf ich nicht mal trinken? Gar nichts darf ich! Immer machen wir das, was Du willst. Ich bin Dir doch sowieso egal!“ Ich merke, wie mir heiß wird. Ich denke an den vergangenen Tag. Ich bin um halb 6 aufgestanden, um ihr noch für eine Stunde zurück in den Schlaf zu helfen. Ich habe geduscht, ein gesundes Frühstück gerichtet, sie geweckt und in die Betreuung gebracht. Ich habe die Mittagspause durchgearbeitet, weil sie gebeten hatte, früher abgeholt zu werden. Ich war pünktlich bei der Einrichtung. Ich habe ihr ein Eis spendiert und danach habe ich ihr den Rücken gekrault, während sie mir unter Tränen vom Streit mit einer Freundin erzählte. Wir haben ein Spiel gespielt und gemeinsam die Wäsche zusammengelegt. Wir haben zu Abend gegessen und ich habe ihr noch fünf Mal geduldig etwas zu trinken gebracht. „Ich bin Dir doch sowieso egal!“ Das tut weh. Zorn steigt in mir auf. Das nehme ich nicht an. Nicht heute. Nicht an diesem Tag. So nicht!
Was ist Zorn?
Wikipedia sagt: „Im Vergleich zur Wut entzündet sich der Zorn vornehmlich an falsch oder ungerecht empfundenen Verhaltensweisen oder Verhältnissen und hat zum Ziel, diese zu verändern. Wut kann auch ziellos auftreten und unkontrolliert nach allen Seiten explodieren.“
Ich muss bei diesen Worten an all die Zornigen der letzten Wochen und Monate denken. Die Bauernprotestler, die Klimakleber. Da scheint es einige zu geben, die so tief verletzt sind, dass ihr primäres Anliegen ist, diesen Schmerz zu teilen. Da scheint es einige zu geben, die so wütend sind, dass man den Eindruck gewinnt, sie wüteten um der Wut willen. Aber da gibt es auch viele, die nicht nur verletzt und wütend sind, sondern zornig. Die wirklich etwas verändern wollen. Die hoffen, endlich nicht mehr zornig sein zu müssen.
Was ist Gottes Zorn?
Diese Gedankenkreise um den Zorn, öffnen mir eine kleine Tür, zu dem zornigen Gott in unserem Text.
Vielleicht ist hier ein Gott, dessen Zorn aus Verletztheit rührt. Seine Zuwendungen – einfach vergessen. Und vielleicht ist hier noch dazu ein Gott, der hofft, nicht mehr zornig sein zu müssen?
Drei
„Mose jedoch flehte den HERRN, seinen Gott, an und sagte: Wozu, HERR, entbrennt dein Zorn gegen dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus dem Land Ägypten herausgeführt hast?“
Es ist Krieg in Israel und Palästina.
Es ist Krieg und ich bete.
Es bleibt Krieg und je länger er währt, desto seltener bete ich. Desto fader schmecken die Fürbitten in meinem Mund. Wie soll man da beten?
Die Gewaltorgie des siebten Oktobers schnürt mir die Luft ab. Und auch die unbeschreiblichen Taten der Hamas, ihr strategischer Missbrauch der „eigenen“ Bevölkerung für ihr erklärtes Ziel, Jüd:innen vom Angesicht der Erde zu vertilgen, ändern nichts daran, dass sich mir bei den Bildern unterschiedslos sterbender Palästinenser:innen der Bauch zusammenzieht.
Schlimmer noch: Manchmal erwische ich mich dabei, dass mir beim Gedanken an den 07. Oktober die Luft nicht mehr wegbleibt und die Bilder der sterbenden Palästinenser:innen in den Nachrichten meinen Bauch nicht mehr bewegen.
Je länger, je mehr: Ich habe keine Lösung und muss sie nicht haben. Aber beten, beten will ich, beten muss ich. Doch wie nur? Wie?
Ob der heutige Predigttext hier Antwort geben kann? Ich kann und will den aktuellen Konflikt nicht in die Logiken des Textes von Befreiung und Zorn, von Halsstarrigkeit und Vertrauensbruch einzeichnen.
Aber ich kann und will von Mose lernen. Er hört gut zu, als Gott sich - auch sprachlich! - von seinem Volk distanziert:
„Da sprach der HERR zu Mose: Geh, steig hinab! Denn dein Volk, [Mose], das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, hat schändlich gehandelt.“
Es scheint, als ließe Mose Gott diese Formulierung nicht durchgehen, wenn er antwortet:
„Wozu, HERR, entbrennt dein Zorn gegen dein Volk, [HERR], das du mit großer Kraft und starker Hand aus dem Land Ägypten herausgeführt hast?“
Mose spricht das Volk wieder in Gottes Hand.
Mose kennt die Geschichte Gottes mit seinem Volk, deshalb kann er Gott dabei behaften.
Von Mose lerne ich beten.
Wieder will ich vorsichtig sein. Das erwählte Volk Gottes mit dem modernen Staat Israel gleichzusetzen, führt in eine Sackgasse. Keine konkrete gegenwärtige Größe mit dem erwählten Volk zu identifizieren ebenfalls.
Aber vielleicht so:
Ich flehe, im Gedenken an die von diesem Konflikt geschundenen Jüd:innen im Land und weltweit, dass Gott daran denkt, dass sie SEIN sind. Dass er sie schon einmal mit großer Kraft befreit hat.
((Pause aushalten))
Und die anderen?
((Pause aushalten?))
Gott hat nicht Dich und mich aus Ägypten befreit. Diese Geschichte ist weder für noch über Dich und mich geschrieben. Aber in diesem monumentalen Befreiungsakt hat Gott auch Dir und mir gezeigt, wer er ist. Er hat seinen Charakter zu erkennen gegeben als einer, der Befreiung schenkt, der Leben liebt, der Hilfe bringt.
Ich flehe, im Gedenken an die von diesem Konflikt geschundenen Palästinenser:innen im Land und weltweit, dass Gott ihnen zum dem Befreier wird, von dem ich weiß, dass er es ist.
Von Mose lerne ich beten.
Vier
„Mose jedoch flehte den HERRN, seinen Gott, an und sagte: Wozu, HERR, entbrennt dein Zorn gegen dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus dem Land Ägypten herausgeführt hast? Wozu sollen die Ägypter sagen: In böser Absicht hat er sie herausgeführt, um sie im Gebirge umzubringen und sie von der Fläche des Erdbodens zu vertilgen? Lass ab von der Glut deines Zornes und lass dich das Unheil gereuen ⟨, das du⟩ über dein Volk ⟨bringen willst⟩! Denke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und denen du gesagt hast: Ich will eure Nachkommen ⟨so⟩ zahlreich machen wie die Sterne des Himmels, und dieses ganze Land, von dem ich gesagt habe: »Ich werde ⟨es⟩ euren Nachkommen geben«, das werden sie für ewig in Besitz nehmen.“
Ein verletzlicher Gott befremdet. Ein Gott, dessen Verletzung in Zorn umschwingt allemal.
Wie reagiert Mose?
Zwar scheint er auf den ersten Blick sachlich zu argumentieren:
„Du hast sie doch selbst befreit!“
„Was sollen die anderen denken?“
„Du hast es doch selbst versprochen.“
So ließe sich das knapp zusammenfassen.
Doch bei genauerem Hinsehen trägt er hier keine Sachargumente vor. Er reagiert nicht auf den vordergründigen Zorn. Er reagiert auf die hintergründige Verletzung. Er beginnt, mit der Theologin Magdalena Frettlöh gesprochen, Gott zu ent-zürnen. Ihm die Zornesfalten aus dem Gesicht zu streicheln. Seine vor Wut verzerrten Gesichtszüge zu glätten. Ihm zuzusprechen: Ich lasse dich nicht!
„Ich denke daran, was Du für uns getan hast.“
„Für alle war es sichtbar!“
„Ich vertraue auf die Verlässlichkeit deines Versprechens.“
Von Mose lerne ich beten.
Fünf
Es fällt mir schwer so von Gott zu sprechen: Zu erzählen, wie er sich von einem Menschen bewegen lassen muss.
Oder vielleicht: Bewegen lässt?
Oder vielleicht: Bewegen lassen will?
((Pause))
Wieso lässt sich Gott eigentlich von Mose ent-zürnen?
„Dein Volk hat schändlich gehandelt.“
„Sie sind schnell vom Weg abgewichen.“
„Sie haben sich ein goldenes Kalb gegossen.“
Diese Ursachen des göttlichen Zorns – sind sie plötzlich einfach vergessen?
Wenn göttlicher Zorn auf Veränderung zielt, wäre dann Besänftigung nicht einzig möglich, durch die Umkehr der Halsstarrigen?
Die Verse des heutigen Predigttextes beantworten mir diese Frage nicht. Aber sie erzählen davon, dass einer, der zu Gott spricht (und ihm vorher sehr gut zuhört!) einen Unterschied macht!
((Pause))
Wir feiern heute den Sonntag Rogate. „Betet!“ Diese Aufforderung zum Gebet ergibt für mich nur dann Sinn, wenn ich an einen Gott glauben darf, der hofft, nicht mehr zürnen zu müssen.
Ich will so beten, als sei es möglich, Gott durch ein Gebet zu ent-zürnen. Ihn umzustimmen, auch wenn es um Geschicke ganzer Völker geht. Ihm die Zornesfalten aus dem Gesicht zu streicheln.
Ich will so beten, als machte Gebet einen Unterschied.
Von Mose lerne ich, dass Gebet einen Unterschied macht.
„Da gereute den HERRN das Unheil, von dem er gesagt hatte, er werde es seinem Volk antun.“
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Leipziger Stadtkirche. Tendenziell gebildet, bürgerlich, Alter vornehmlich 50+ sowie junge Familien. Hier wird politisch gepredigt und gebetet. Gleichzeitig nehme ich wahr (mich eingeschlossen), dass zwar Krise um Krise weitergebetet wird, die Erwartung, dass dies Gott WIRKLICH bewegen könnte, aber schwindet.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
So ein spannender und spannungsreicher Text. So viele unterschiedliche Spuren. So ein sperriges Gottesbild. So viel bleibt ungelöst. Beflügelt? Ich weiß nicht… Herausgefordert, gereizt, nicht losgelassen, an mir gearbeitet… Oh ja!
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Gebet wirklich etwas bewegt, dass Gott einer ist, der sich bewegen lassen will: Das ist nicht neu. Mir aber neu ins Herz gefahren.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Widerspenstigkeit des Textes und die vielen Spuren, die er legt (zur Halsstarrigkeit, zum Zorn, zum Volk Gottes, zur Befreiungserfahrung, zur Verheißung, zum Vernichtungswillen, zum Gebet), haben es schwer gemacht, die Predigt wirklich „rund“ werden zu lassen. Den Impuls, noch einmal nach einer Gesamtaussage und dem „roten Faden“ zu suchen, verdanke ich meinem Predigtcoach. Vielen Dank!
Link zur Online-Bibel
Fröhlich soll mein Herze springen - Christus ist geboren! Predigt zu Ex 2,1-10 von Matthias Rein
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus!
Liebe Gemeinde,
„Fröhlich soll mein Herze springen
dieser Zeit, da vor Freud alle Engel singen.
Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft:
Christus ist geboren.“
So jubelt Paul Gerhard in einem Weihnachtslied, gedichtet 1653.
„Fröhlich soll mein Herze springen – Christus ist geboren.“
So klingt Weihnachten. In diesem Klang feiern wir heute das Fest der Geburt Jesu.
Wie es bei Jesu Geburt zuging, haben wir gerade vom Evangelisten Matthäus gehört.
Eine ungewöhnliche, eine besondere Geburtsgeschichte. Es geht um Zweifel und Furcht, aber auch um den Gehorsam des Josef. Es geht um Gottes Verheißung und Gottes Wirken. Es geht um den Namen Jesus und den Namen Immanuel. Gott rettet. Gott ist mit uns.
Wir schauen heute am 1. Tag des Christfestes von dieser besonderen Geburtsgeschichte zu einer anderen Geburtsgeschichte.
Sie erzählt von der Bedrohung eines neugeborenen Kindes. Sie erzählt von mutigen Frauen und von Gottes verborgenem Handeln. Eine Rettungsgeschichte.
Folgen Sie mir bitte zum Volk Israel vor mehr als 3000 Jahren in Ägypten.
Es geht um den ersten Josef. Um den Sohn der Erzeltern Jakob und Rahel. Er wurde nach Ägypten verkauft. Und dort erlebte er den wunderbaren Aufstieg vom Sklaven zum Minister. Er holte seine 11 Brüder mit ihren Familien ins Land. Sie flohen vor Hunger und Not. Sie erlebten gute Zeiten in Ägypten. Ließen sich dort nieder, wurden heimisch. Die Familien wuchsen. Dann kam ein neuer König an die Macht und alles änderte sich. Sie galten nun als Fremde, als Bedrohung, als zu einflussreich und zu mächtig. Der König unterdrückte und verfolgte das Volk Israel in Ägypten.
Wir hören die Geschichte von der Geburt des Mose. Sie steht im 2.Buch Mose im 2. Kapitel.
21Es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm eine Tochter Levis zur Frau.2Und sie ward schwanger und gebar einen Sohn. Und als sie sah, dass es ein feines Kind war, verbarg sie ihn drei Monate. 3Als sie ihn aber nicht länger verbergen konnte, nahm sie ein Kästlein von Rohr für ihn und verklebte es mit Erdharz und Pech und legte das Kind hinein und setzte das Kästlein in das Schilf am Ufer des Nils. 4Aber seine Schwester stand von ferne, um zu erfahren, wie es ihm ergehen würde.5Und die Tochter des Pharao ging hinab und wollte baden im Nil, und ihre Dienerinnen gingen am Ufer hin und her. Und als sie das Kästlein im Schilf sah, sandte sie ihre Magd hin und ließ es holen. 6Und als sie es auftat, sah sie das Kind, und siehe, das Knäblein weinte. Da jammerte es sie, und sie sprach: Es ist eins von den hebräischen Kindlein.7Da sprach seine Schwester zu der Tochter des Pharao: Soll ich hingehen und eine der hebräischen Frauen rufen, die da stillt, dass sie dir das Kindlein stille? 8Die Tochter des Pharao sprach zu ihr: Geh hin. Das Mädchen ging hin und rief die Mutter des Kindes. 9Da sprach die Tochter des Pharao zu ihr: Nimm das Kindlein mit und stille es mir; ich will es dir lohnen. Die Frau nahm das Kind und stillte es.10Und als das Kind groß war, brachte sie es der Tochter des Pharao, und es ward ihr Sohn, und sie nannte ihn Mose; denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.
Dramatisch geht es zu, liebe Gemeinde. Es geht um Leben und Tod.
Hören wir der Geschichte noch einmal genauer zu.
Eine Mutter in höchster Not. Sie bringt ein Kind zur Welt. Es ist ein feines Kind, wie es in der Luther-Übersetzung heißt. Aber jedes Kind ist fein in den Augen der Mutter, der Eltern. Gerade geborgen, schwebt es in Todesgefahr. Die Mutter will ihr Kind retten. Sie versteckt es. Und sie weiß sich nicht anders zu helfen, als das Kind aus der Hand zu geben. Sie legt es in ein Körbchen und versteckt das Körbchen im Schilf.
Schrecklich. Herzzerreißend.
Ich habe die jungen Frauen vor Augen, die mit ihren Kindern in kleine Boote steigen und aufs Meer fahren in der Hoffnung auf Rettung und besseres Leben. Ich habe die Frauen in Israel und in Gaza vor Augen, die sich vor ihre Kinder werfen, um sie vor Angriffen, Schüssen und Bomben zu schützen.
Die Mutter hofft, ihr Kind irgendwie zu retten. Sie hat einen Plan. Sie sorgt dafür, dass ihr Kind gefunden wird und dass es in gute Hände kommt.
Die Pharaostochter findet das weinende Kind, das Kind in Todesgefahr. Sie sieht: dieses Kind soll sterben. So der Befehl ihres Vaters, des Königs. Sie sieht das weinende Kind, 3 Monate alt. Sie erbarmt sich. Sie widersetzt sich der Anordnung des Königs.
Gefährlich! Mutig!
Und dann die mutige Schwester des Knaben. Sie schaut von Ferne. Sie fasst sich ein Herz und spricht die Königstochter an. Im richtigen Moment. Sie macht einen klugen Vorschlag: Ich kenne eine hebräische Frau, die kann das Kind stillen.
Alle stimmen zu. Die Frauen handeln gegen den Befehl des Königs. Jede trägt dazu bei, dass das Kind weiterleben kann.
Geistesgegenwärtig, mutig, widerständig gegen den Tod.
So wächst der Junge bei seiner leiblichen Mutter auf. Offiziell gilt er als Sohn der Königstochter. Das bedeutet Schutz und Rettung. Als der Junge groß ist, nimmt die Königstochter ihren adoptierten Sohn auf und gibt ihm einen Namen: Mose.
Das heißt übersetzt: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.
Das kann man aber auch anders übersetzen: Er wird uns aus dem Wasser ziehen.
Und in Ägypten bedeutet der Name einfach Kind.
Mose hat zwei Mütter: seine leibliche Mutter, die ihn stillt, und die Pharaostochter, die ihm den Namen gibt. Zwei Mütter, zwei Familien, zwei Kulturen. Und ein Name, der von Rettung erzählt und Rettung ankündigt. Mose wird sein Volk durch das Schilfmeer führen. So befreit Gott sein Volk.
Gott kommt in dieser Geburtsgeschichte nicht vor. Nicht im Vordergrund. Aber im Hintergrund! Gott bewegt die Frauen zum Widerstand gegen den Tod für das Leben. Gott rettet Mose. Mit ihm hat er noch einiges vor.
Kehren wir zur Weihnachtsgeschichte zurück:
Unter widrigen Umständen kommt Marias Kind zur Welt. Im Stall, mit einem zweifelnden Vater. Und dann erfährt König Herodes von der Geburt eines neuen Königs der Juden. Er befiehlt, alle Kinder in Bethlehem zu töten. Vorsorglich. Josef und Maria fliehen - nach Ägypten.
Wirkt Gott auch hier? Man kann da so seine Zweifel haben. Gottes Geist wirkt die Entstehung des Kindes. Sein Name verspricht Rettung. Die Weisen aus dem Morgenland beten das Kind an.
Aber dann: Todesgefahr, Hilflosigkeit, Flucht.
Gott rettet – durch Mose, durch Jesus.
Was bedeutet dies für uns zu Weihnachten 2023?
Drei Gedanken, liebe Gemeinde:
Ein Kind wird geboren. Neues Leben kommt zur Welt. Dramatisch geht es dabei zu. Für Mutter und Kind Schwerstarbeit. Aber das Kind ist da. Ersehnt, bestaunt, geliebt.
Ein Kind bedeutet: Lebendigkeit, neuer Anfang, Zukunft, Hoffnung.
Gott kommt mit den Kindern in die Welt. Gott kommt als Kind in unsere Welt.
Israels Gründungsgeschichten und die Weihnachtsgeschichte erzählen von der großen Kraft der Frauen. Sie kämpfen für das Leben. Sie leisten Widerstand, sie setzen sich durch. Sie retten das Leben des Kindes.
Gott kommt durch die Kraft der Frauen in die Welt. Sie haben ihren Teil an der Rettung vor Tod und Verderben.
Und das Dritte:
Gott segnet. Oft verborgen, oft im Hintergrund. Aber doch dabei. Durch andere Menschen. Manchmal auch über Umwege. Aber immer für das Leben, für das Ende von Tod und Unterdrückung.
Weihnachten 2023, liebe Gemeinde, trotz allem hören wir den Klang der Lieder, freuen wir uns. Denn das Kind ist da, Maria und Josef werden es beschützen, so gut sie können. Gottes Segen durchwirkt uns und trägt.
„Fröhlich soll mein Herze springen – Christus ist geboren.“
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt halte ich in einem musikalisch reich gestalteten Abendmahlsgottesdienst im Ev. Augustinerkloster Erfurt am 1. Weihnachtsfeiertag. Die Gottesdienstgemeinde besteht aus 50 Teilnehmer*innen einer Weihnachtsfreizeit im Augustinerkloster, Menschen, die regelmäßig zum Gottesdienst ins Kloster kommen, und Gästen der Stadt. Wir feiern im Kapitelsaal, der 100 Menschen Platz bietet und gut gefüllt sein wird.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat die subversive Widerstandskraft der Frauen aus der Geschichte von Moses Geburt beeindruckt. Gott wirkt im Hintergrund u.a. durch die Frauen. Das ermutigt!
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Geschichte von Moses Geburt und Jesu Geburtsgeschiche sind verbunden. Es geht um Erzählmotive, Themen und Namen. Gott rettet – das steht in beiden Geschichten im Zentrum. Hier schließen sich grundsätzliche und aktuelle Fragen an: Gibt es eine Kontinuität des rettenden Handelns Gottes durch die Geschichte? Wie rettet Gott heute? Wo wird Gottes verborgendes Handeln heute sichtbar und erfahrbar?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Für die Predigt war wichtig: Die Mosegeschichte muss ausführlich erzählt werden. Nicht alle Erzählmotive können aufgenommen werden (z.B. die Geschichte von den mutigen hebräischen Hebammen). Die Predigt soll einen fröhlichen und ermutigenden Grundton haben, trotz schrecklicher Nachrichten von Krieg, Gewalt und Demokratie-Erosion in Deutschland und in der Welt. Sie soll offen und doch grundsätzlich klar von Gottes rettendem Handeln in der Welt künden.
Link zur Online-Bibel
14.07.2024 - 7. Sonntag nach Trinitatis
Gebote - Predigt zu Ex 20,1-17 von Manfred Wussow
Auswendig
Es ist lange her. Die Zehn Gebote musste ich einmal auswendig lernen. Das gehörte zum Konfirmandenunterricht. Es gab sogar eine Prüfung. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war. Würde ich die Reihenfolge richtig hinbekommen? Geübt habe ich. Ständig. Ich wollte auch alles richtig sagen.
Der Pfarrer schaute einen an: Drittes Gebot. Oder sechstes. Oder erstes. Natürlich – durcheinander. Wenn wir Konfirmanden ins Stocken gerieten, ging der Pfarrer einfach ein paar Bänke weiter und fragte die „Gemeinde“, die überwiegend aus Eltern und Großeltern bestand. Ein Erfolgserlebnis war das für ihn wohl nicht. Für uns aber ein kleiner Trost. Und ein schönes Spiel. An einem Samstagnachmittag.
Jahre sind ins Land gegangen. Heute lernen Konfirmandinnen und Konfirmanden die Zehn Gebote nicht mehr auswendig. Die anderen Stücke auch nicht. Spielerisch kriegen wir es gelegentlich in der Gruppe hin, die Gebote irgendwie „richtig“ zu legen. Wir haben sie einfach auf Papierstreifen geschrieben. Ein Puzzle? Vielleicht auch. Ein Puzzle. Dann aber auch wieder nicht so dumm: Wenn wir den Geboten eine Ordnung geben, machen wir uns unsere eigenen Gedanken, wie sie zusammenhängen, was sie verbindet, was uns wichtig ist. Die Gebote können dann sogar für Überraschungen gut sein.
Ist es ein Verlust, dass viele Menschen die Zehn Gebote nicht mehr auswendig aufsagen können?
Und ist es ein Gewinn, den Zehn Geboten eine neue Ordnung zu geben?
Die Fragen sind, zugegeben, sehr spannend, für Bibelkenner eher befremdlich, für Menschen, die mit Kirche nichts mehr am Hut haben, vielleicht aber auch eine Entdeckung.
Die Geschichte hinter den Geboten
Erzählen wir uns doch noch einmal die Geschichte! Sie kennen sie schon? Mögen Sie sich an sie erinnern?
Das Volk Israel ist auf einem ziemlich langen Weg. Durch die Wüste! Durch Niemandsland! Ägypten, das Land der Knechtschaft, haben sie hinter sich gelassen. Nein, ich muss schon genauer hinschauen: Gott hat sie da rausgeholt. Und ihnen ein Land versprochen, in dem Milch und Honig fließen. Aber zwischen den beiden Polen – Knechtschaft in Ägypten und geheimnisumwobenes Land in der Ferne – liegt eine beschwerliche Strecke. Wobei das Beschwerlichste ist, mit sich ins Reine zu kommen. Das Volk Israel wird als halsstarrig dargestellt, als gottlos, ja, als gottlos. Ohne Vertrauen. Die Leute murren nur. Man kann es nicht mehr hören. Irgendwann verfluchen sie sogar den Tag, an dem sie aufgebrochen sind. Aus der Sicherheit ihrer Sklaverei. Das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: aus der Sicherheit! Aus der Sicherheit ihrer Sklaverei! Die Sicherheit wird gegen die Freiheit ausgespielt. Die Sicherheit – ein Traum. Die Freiheit – ein Verhängnis.
Nur: ein Zurück gibt es nicht, aber ein Vorwärts wohl auch nicht. Die alten Geschichten erzählen denn auch, dass sich die Leute nur noch im Kreise drehen. Vierzig Jahre! Vierzig Jahre Drehen um sich selbst. Nein, damit keine Missverständnisse aufkommen: Das mit den „vierzig Jahren“ muss keiner wörtlich nehmen, aber im übertragenen Sinn steht tatsächlich das ganze Leben, die ganze Zukunft, das ganze Glück auf dem Spiel. Und das – in der Wüste. Weit und breit – nichts. Die Schönheit der Weite ist längst dem Fluch des Immergleichen gewichen.
Und dann, mitten drin: der Sinai. Auf alten Karten haben Menschen immer schon versucht, den Weg des Volkes Israel in Gedanken nachzugehen. Fein mit dem Finger auf der Karte. So ganz wollte das noch nie klappen. Die Karte ist zwar genau, ziemlich genau, aber keine Karte bildet die Herzen der Menschen ab, die Wege, die sie gehen, die Wege, auf denen sie sich verlieren. Doch jetzt spricht Gott. Haust er auf der Höhe des Berges? Hat er sich hier kurzfristig zurückgezogen? Lädt er hier - zum Rapport? Gar zur großen Abrechnung?
Nein, zum Rapport lädt er nicht. Er hat die Menschen in sein Herz geschlossen. Er hat ihnen zugehört und ihre Klagen verstanden. Er war immer dabei. Jeden Tag. Jede Nacht. Unerkannt. Inkognito. Er war mit ihnen auch schon in Ägypten. Da hat er ihr Seufzen gehört, ihre Enttäuschungen gesehen. Als er sein Volk sozusagen in die Freiheit schickte, umgab auch ihn die Wüste. Die Hitze tagsüber, die Kälte in der Nacht.
Jetzt muss es sein: eine Verheißung, eine Zusage von Zukunft. Für Menschen, die schon lange keine Heimat mehr haben. Und keine Worte. Vierzig Jahre fangen an, klein zu werden.
Was Gott redet
Stellen wir uns doch dazu! „Und Gott redete alle diese Worte:
Ich bin der Herr, dein Gott. Aus Ägyptenland habe ich dich geführt, herausgeführt aus der Knechtschaft. Du brauchst keine anderen Götter mehr, die dir sagen, was du tun und lassen sollst, die dich gefangen nehmen, die dir Angst machen.
Von mir musst du dir auch kein Bild machen. Ich möchte mich nicht festlegen lassen. Von dir nicht, von keinem Menschen. Auch von deinen Stimmungen, deinen Träumen nicht. Ich bin so viel mehr als du dir vorstellen kannst – meine Liebe umfasst Himmel und Erde, die Meere, die Inseln, die ganze Welt. Mir ist kein Mensch fremd, egal, wo er lebt, wo seine Erinnerungen zu Hause sind, wie er mich nennt.
Viele Menschen meinen, sie könnten mich vor ihren Karren spannen, mich für ihre Zwecke einsetzen, mit mir sogar Geschäfte machen. Immer dieses Geld! Sie glauben, sie wären mit mir auf „du“ und „du“, selbst, wenn alles nur Unheil ist, was sie über andere Menschen, über die Natur, über meine Geschöpfe bringen. Nein, meinen Namen gebe ich nicht her! Du kannst mich anrufen – in meinem Namen hast du nichts zu reden. Mein Name ist: Ich warte auf dich. Ich gehe mit dir. Ich führe dich in mein Reich. In mein Reich!
Mein Reich kannst du in jeder Woche schon einmal spüren! Einen Tag der Ruhe habe ich dir geschaffen. Deine Arbeit geht nicht einfach weiter. Sie wird unterbrochen. Du kannst ausspannen – du kannst feiern – du darfst ruhen. Nicht nur du: Deine Kinder, deine Mitarbeiter, die Menschen in deiner Nähe sollen aufatmen."
„Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.“
Rhythmus des Lebens
So hören sich die ersten vier Gebote an! Sie beginnen mit dem Auszug aus der Knechtschaft – und führen in die große Freiheit. Gott selbst outet sich – auf einem Berg, aber in der Wüste – als der Anführer ins Leben. Im Rhythmus von 7 Tagen, im Rhythmus unserer Lebenszeit, im Rhythmus von Arbeit und Ruhe, von Anspannung und Ausatmen, bekommt unser Leben Konturen.
Doch: Die Krone der Schöpfung ist nicht der Mensch, schon mal gar nicht der Mann: Die Krone der Schöpfung ist die große Ruhe, die von Gott ausgeht, die ihm umgibt, in die er führt. Gott hat den einen Tag – in jeder Woche – heilig gemacht. Für uns.
Martin Luther hat den Schabbat, diesen siebten Tag, mit dem Sonntag zusammengesehen. Dem ersten Tag der Woche. Dem Tag der Auferstehung Jesu.
Wie es weitergeht
Das Volk Israel ist tatsächlich angekommen. Ob das Land, in das sie kamen, wirklich nur Milch und Honig war? Nein, in der Fremde mussten sie noch einmal neu anfangen und auch ihren Weg finden. Da ist auch manches gründlich schief gelaufen.
Wir könnten, bei anderer Gelegenheit, diesen verwickelten und verzwickten Geschichten nachgehen. Aber es genügt auch, von unseren kleinen und großen „Aufbrüchen“ in unser Leben zu erzählen. Die großen Erwartungen, die ersten Enttäuschungen und die unbändige Hoffnung.
Auf ihrem Weg in die neue Heimat haben die Menschen, die damals so lange unterwegs waren, nicht nur diese vier „Gebote“ (oder Zusagen) Gottes erhalten – er hat ihnen Weisungen mitgeben, die überhaupt erst ein Zusammenleben, Glück, möglich machen. Da spielt ein Mensch eine besondere Rolle: der Nächste. Zunächst: Der Nächste ist der andere. Neben mir. Vielleicht auch zusammen mit mir. Aber immer: der andere. Nehme ich nur mich in den Blick, kenne ich nur meine Geschichte, will ich nur mit mir zu tun haben – dann ist das Unheil nicht weit. Ein anderer Mensch kann dann ausgenommen, Interessen geopfert und meinem Größenwahn dienstbar gemacht werden. Nicht nur Gott wird missbraucht – jeden Tag werden Menschen missbraucht. Von Menschen. Der sexuelle Missbrauch ist einer unter vielen anderen.
In sechs Geboten, den Tagen gleich, die vor der Ruhe kommen, wird dem Nächsten von Gott Achtung und Ehre zuteil: Vater und Mutter – und jedem Menschen. Sein Leben ist zu schützen. Ihm darf nichts weggenommen werden. Weder Frau noch Mann, weder Geld noch Gut, weder Hoffnung noch Arbeit.
Die üble Nachrede, die bewusste Irreführung, die hinterhältige Verlogenheit – sie haben keinen Raum bei dir. Und immer: Du sollst nicht …
Einprägsam ist das. Wie in einer Litanei. Aber an den Fingern abzuzählen. Du sollst nicht … Doch gemeint ist, positiv: Du darfst, du kannst einen Menschen lieben, ihn mit Achtung begegnen, dich seiner annehmen – und dann darfst du „du“ sein. Deinen eigenen Weg gehen. Eigenen Träumen nachhängen. Eigene Geschichten schreiben. Dann wird es dir auch gelingen.
Du sollst nicht im Schutz der Anonymität über einen Menschen herfallen.
Du sollst nicht in deiner Blase Verschwörungstheorien entwickeln.
Du sollst nicht in deiner Community Ängste schüren.
Du sollst nicht Migranten ihre Würde nehmen.
Du sollst nicht hassen.
Manchmal muss auch diese Form gewahrt bleiben: Du sollst nicht! Und: Ich bin der Herr, dein Gott – der ich dich geliebt habe, der dich liebt, der seine Liebe nicht zur Disposition stellt.
Die eigene Reihung
Es ist lange her. Die Zehn Gebote musste ich einmal auswendig lernen.
Jahre sind ins Land gegangen. Heute lernen Konfirmandinnen und Konfirmanden die Zehn Gebote nicht mehr auswendig. Spielerisch kriegen wir es gelegentlich in der Gruppe hin, die Gebote irgendwie „richtig“ zu legen.
Das ist eine tolle Möglichkeit: Eine Liebesgeschichte erzählen. Gottes Liebesgeschichte. Und die Geschichte einer großen Befreiung. Es könnte wie Schuppen von den Augen fallen: Das „du sollst“ verwandelt sich in ein „ich kann“.
Vielleicht ist eine einfache Übersetzung auch: Ich kann einen Menschen – in Ruhe lassen.
Da bin ich Gott sehr nahe. An ihn will ich denken.
Im Brief an die Gemeinde zu Ephesus (5,19f.) heißt es:
Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen
und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserem Herrn.
Link zur Online-Bibel
08.10.23 - 18. So. n. Trinitatis
15.12.23 - 2. Sonntag nach Epiphanias
Abgeschirmter Glanz, der durchstrahlt - Predigt zu Ex 34,29-35 von Markus Kreis
29Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte. 30Als aber Aaron und alle Israeliten sahen, dass die Haut seines Angesichts glänzte, fürchteten sie sich, ihm zu nahen. 31Da rief sie Mose, und sie wandten sich wieder zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde, und er redete mit ihnen. 32Danach nahten sich ihm auch alle Israeliten. Und er gebot ihnen alles, was der Herr mit ihm geredet hatte auf dem Berge Sinai. 33Und als er dies alles mit ihnen geredet hatte, legte er eine Decke auf sein Angesicht. 34 Und wenn er hineinging vor den Herrn, mit ihm zu reden, tat er die Decke ab, bis er wieder herausging. Und wenn er herauskam und zu den Israeliten redete, was ihm geboten war, 35sahen die Israeliten, wie die Haut seines Angesichts glänzte. Dann tat er die Decke auf sein Angesicht, bis er wieder hineinging, mit ihm zu reden.
Liebe Gemeinde,
mit Mose als hellster Kerze auf der Festtorte hat das Volk so seine Probleme. Er ist ein schlechter Redner und braucht einen anderen als Sprecher. Was dann sein Bruder Aaron wird. Und das Volk widersetzt sich gerne, wenn ihm zuwider ist, was der von Mose überbringt. Es ist so gut wie laufend am Murren. Schätzt offen oder verdeckt die Ansagen des Moses anders ein. Wie versprochen so gebrochen, heißt der stumme oder laute Vorwurf. Nichts ist so wie angesagt. Erst mit Pomp frei gelassen, dann doch von den Ägyptern gejagt. Und schon tauchen da Gedanken auf, sich zu ergeben. Danach von Durst und Hunger geplagt, und sofort riechen die Leute die Fleischtöpfe Ägyptens. Darauf von Krankheiten gepeinigt. Warum jetzt das? Dachte, so was wäre für die Ägypter reserviert! Außerdem fühlt das Volk sich von Mose immer wieder allein gelassen. Zuletzt verlängert er stillschweigend die Reisezeit, ohne das zu besprechen.
Um zu zeigen, dass er die Wahrheit sagt, bietet Mose eine Menge auf: die Ägypter besiegt, Durst und Hunger gestillt, Krankheiten geheilt. Und er sucht wie am Dornbusch ein Stelldichein mit Gott. Von Angesicht zu Angesicht, wie es gebührt. Um auf dem Berg endlich die Sache mit Gott und dem Volk geregelt zu kriegen. Mose sieht Gottes Angesicht natürlich wieder nur um die Ecke. Immerhin, als er zurückkehrt ins Lager, hat das Volk darauf verzichtet, aus Gold ein Kalb zu gießen. Ob seine Leute inzwischen ernsthaft glauben, obwohl sie nichts sehen? Ob sie annehmen, dass er, statt zu irren, die Wahrheit sagt? Das wäre ja mal was Neues! Aber warum gucken die mich denn so merkwürdig an? Was ist denn los mit denen? Nach einem Gespräch versteht Mose. Das Volk ist mit Recht verwirrt. Glauben, ohne zu sehen, ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Das hat er durch die Wüste wieder und wieder von ihnen verlangt. Klar, dass die krass erstaunt sind, wenn er hier mit so einer Aura aufkreuzt. Von der er übrigens selbst nichts mitgekriegt hat. Gott bewahre, dass sie am Ende ihn anbeten statt den HErrn. Also Schleier vors Gesicht, und gut ist.
Was mochte Aaron und die Leute am Glanz des Moses gestört haben? Eine Möglichkeit: Vielleicht hatten die einfach ein schlechtes Gewissen. Sie hatten Mose offensichtlich falsch eingeschätzt. Von wegen nicht die hellste Kerze und so. Vermutlich hatten sie das mehr gedacht als gesagt. Und wenn so abfällig gesagt, dann nur hinten rum. Und jetzt kriegt der von Gott persönlich so ein Leuchten verliehen. Volltreffer in die Herzkammer, mit Gewissensblitz.
Eine andere Möglichkeit: Gott ist einfach zu grell. Sogar dann, wenn er sich nur indirekt zeigt, wie hier bei Mose. Schon das mag aufstoßen. Und wie reagiert einer, wenn er geblendet oder irritiert ist? Der wendet sich entweder ab, vielleicht eher impulsiv erschrocken, vielleicht auch reflektiert und gefasst. Oder er ist so verzaubert, dass er Glanz und Wort für seine Zwecke vereinnahmt. Am fremden Glanz mit aller Gewalt teilhaben will.
Um dem vorzubeugen, lässt sich Gott quasi nur per Filter wahrnehmen. Denn wichtig ist allein sein heiliges Wort. Sein Wort, das bewirkt, was es einem mitteilt: In welche Lage Du auch immer geraten bist oder Dich verfahren hast: Ich befreie Dich daraus. Und ich richte Dich auf Neues aus. Dass die heiligen Buchstaben diese Bedeutung in uns gewinnen, das schafft Gott auch ohne äußeren Glanz. So führt er einen zu seiner Wahrheit. Und dazu, dass wir aus dieser Wahrheit leben.
Mose geht hier mit gutem Beispiel voran. Er befreit die Leute von ihrem schlechten Gewissen ihm gegenüber. Denn er folgt ihrem Einwand, gibt ihnen Recht und verdeckt sein Glänzen. Denn Gottseidank haben die endlich kapiert: Was zählt, das sind die Worte, die Gott ausrichtet. Deren Buchstaben gewinnen für unser Leben Bedeutung. Nämlich, dass Gott von alten Fehlern befreit und zu Neuem ausrichtet. Das ist der Fokus. Was von dem ablenkt, das kann oder das muss sogar am besten ganz weg. Was im Falle der Aura von Mose mit dem Schleier noch einfach zu lösen war. Das kann auch viel schwieriger zu machen sein.
Was zählt, das sind die Worte, die Gott ausrichtet. Weniger die Menschen, die sie weitergeben. Also mal schön halblang machen mit der Heiligkeit bei Menschen. Das haben Mose und sein Volk schon damals kapiert. Alles andere lässt Menschen leicht irren über Gott und fehlgehen.
Nehmen wir mal Christen, deren Ansehen für viele glänzt wie bei Mose damals. Die als Vorbilder des Glaubens herhalten. Die Gottes Liebe in besonderer Weise verkörpern: weil sie diese sehr eindrucksvoll aussagen oder tätig und erfolgreich weitergeben. Mutter Theresa, Dietrich Bonhoeffer oder Christen, die, weshalb auch immer, ins Rampenlicht geraten sind. Einerseits wird da teilweise eine Menge Respekt gezollt, andererseits ist da noch was anderes zu sehen.
Es wird in ihrem Leben gegraben. Und man versucht dabei, ihr Leben bloßzustellen, ans Licht zu bringen, was ihre Christlichkeit verdunkelt, in Zweifel zieht. Kurz gesagt, wenn sich so jemandes Andenken besudeln lässt, dann geschieht das auch. Und, oh, welche Überraschung! Da findet sich auch immer was. Immer wieder neu für Beobachter, die sich über fremden Schaden freuen. Keinerlei Wunder für jeden, der an Gott glaubt. Und der weiß, dass er alles ihm verdankt und aus seiner Vergebung lebt. Der gerade darum weiß: Ich muss für mein Sagen und Tun vor einem irdischen Gericht Rede und Antwort stehen, wenn es das Recht will. Heiligenschein hin oder her. So jemand weiß sogar, dass die Medien gerade das gerne einfach rausschneiden und hinten runterfallen lassen: wenn er sagt, alles Gott zu verdanken, was seine guten Reden und Taten angeht. Oder seinen Anteil Schuld bekennt und hofft, dass Gott ihm seine Fehler vergibt. Das lässt man lieber weg, das verschandelt die Botschaft. Die Bibel aber kennt so einige zwielichtige Typen, die Gottes Tun bezeugen. Denken sie mal an David und was er in seinem Leben alles angestellt hat.
Die heilsame Bedeutung, die die Schrift Gottes in uns gewinnt, das allein zählt. Was so alles davon ablenken kann! Ich sprach von Freude am Schaden anderer. Auch von der Lust an Macht über andere. Und von der Freude, sich jemandem fraglos unterordnen zu können. Es gibt unzählige Motive allein in dem, was wir fühlen. Ansonsten kann nahezu alles in der Welt ablenken, besonders Unglücks- oder Glücksfälle, die einem widerfahren.
Nun zum Guten am Glanz, ganz ohne Vorbehalt: Gott bringt seine Zeugen zum Glänzen. Das geschieht verdeckt, innerlich. In Gottes Augen und Vorsehung gelangt ein Glanz nach außen. Der den Augen des Glänzenden entgeht. Erinnern wir uns an die Geschichte der Weih-Nacht. Von außen gesehen ein Ereignis, das sich völlig im Dunkeln abspielt. Nicht nur, weil es des Nachts vor sich geht. Irgendein Stall in irgendeinem Kaff in irgendeiner der letzten Ecken des Römischen Reiches. Irgendein von Staatswillkür verbrachtes, sozial schwaches No Name Paar, weit weg von seiner Heimat. Zu all dem kommt, dass die Geburt ihres Babys vor der Tür steht. Und so suchen sie einen Raum mit Tür, hinter der sie dafür Ruhe finden können. Bekommen aber nur eine zugige Bleibe. Ganz dunkle Aussichten für das Leben des Kleinen. Das ist die eine Seite, die Maria in ihrem Herzen bewegt. Endet schließlich auch als großer Verbrecher, der Kleine. Mit einer Sonnenfinsternis!
Sicher, es leuchten in dieser Weih-Nacht die Sterne am Himmel ohne Wolken. Die Milchstraße ist gut zu sehen. Übers tiefdunkle Blau schweift vielleicht auch das Licht eines Kometen. Eine Standardnacht eben. Dass diese dunkle Geburt in Licht und Glanz erstrahlt, das liegt an der Bedeutung, die sie unter Menschen gewinnt. Der Glaube bringt erst Licht in die dunkle Sache. Auch heute noch. Marias Herz wird neben dem Dunkel auch vom Licht darin bewegt. Die Sterndeuter, die eine Nacht wie unzählige andere zu der einen besonderen wahren Nacht machen. Die Engelsschar, die finsteren Gesellen ein Licht aufgehen lässt. Lämmern und Gebären, das ist für Hirten nur Routine. Und eine recht müh- und arbeitsame dazu, ach, hör´ mir bloß auf damit, jedes Mal dasselbe. Dieses Mal ist es anders. Einmal nur so bei der Geburt helfen, nur hingehen und anschauen. Die glänzenden Augen von Vater, Mutter, Kind. Da leuchten auch die finsteren Gesellen.
Die gute Botschaft unseres Bibeltexts heißt also: Wer sich für glanzlos hält, der kann glanzvoll ankommen bei seinen Mitmenschen - mit Gottes Augen gesehen und auch mit denen der Menschen. Und er bekommt es manchmal sogar gesagt. Auf dass er was zu strahlen hat und sich weniger matt und stumpf fühlt. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Text ist am grünen Tisch entstanden. Intuitiv habe ich wahrscheinlich meine Schülerschaft in Informationstechnik im Hinterkopf gehabt, meist männlich, eher wenige mit Realschulabschluss, viele mit Abitur, einige davon sogar mit Erfahrung im Studieren.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Es hat diesmal eine ganze Weile gedauert, bis ich mir den erzählten Vorgang mit Aufleuchten und Abschirmen und die Kommunikation darum auch auf theologischer Ebene plausibel machen konnte.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass auch Gottes abgeschirmter Glanz Welt und Menschen zu durchstrahlen vermag.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Dank der Rückmeldung habe ich inhaltlich gestrafft und vieles aussortiert, was beim theologisch ungeschulten Hörer oder Leser im besten Fall ein Anspielungsfeuerwerk ausgelöst hätte.