Auf Adelers Fittichen sicher - Predigt zu 2. Mose 19,1-6 von Matthias Loerbroks
Im dritten Monat nach dem Auszug der Söhne und Töchter Israels aus dem Land Ägypten, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai. Sie zogen aus Refidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten in der Wüste. Dort lagerte Israel, gegenüber dem Berg. Und Mose stieg hinauf zu Gott – und der Ewige rief zu ihm vom Berg und sprach: So sprich zum Haus Jakobs, melde den Söhnen und Töchtern Israels: Ihr habt selbst gesehen, was ich getan habe an Ägypten; ich trug euch auf Adlerflügeln und ließ euch zu mir kommen. Und jetzt: Wenn ihr hört, hört auf meine Stimme und haltet meinen Bund, dann werdet ihr mir ein Sondergut aus allen Völkern. Denn mein ist die ganze Erde. Ihr aber, ihr sollt mir werden ein Königreich von Priestern, ein heiliges Volk. Dies ist die Rede, die du zu den Söhnen und Töchtern Israels reden sollst.
Ganz akribisch, mit genauen Zeit- und Ortsangaben wird hier von den ersten Schritten Israels nach der Befreiung aus der Sklaverei erzählt: Diese Befreiungsgeschichte ist keine zeitlose Wahrheit, nicht Bild, Symbol, Illustration für alle möglichen inneren und äußeren Befreiungserfahrungen, jedenfalls nicht nur. Sondern eine besondere Geschichte. Sie spielt in einer bestimmten Gegend, nämlich im Nahen Osten, auf der Halbinsel Sinai zwischen Ägypten und Israel. Deutlich wird auch: Israels Gott hatte sich bereits als Befreier und beschützender Begleiter seines Volkes bewährt, ehe er nun am Sinai einen Bund mit ihm schließt und ihm seine Gebote gibt. Erst die Befreiung, dann die Gebote. Oder, mit den theologischen Begriffen, die Martin Luther sehr beschäftigt haben: das Evangelium, die frohe Botschaft, hat Vorrang vor dem Gesetz. Das gilt für beide Teile der christlichen Bibel, für das Alte wie für das Neue Testament: Jesus beginnt seine Bergpredigt mit den froh und frei machenden Seligpreisungen, ehe er dann in derselben Rede auch Weisung gibt. Hier, in der Exodusgeschichte, wurde das Volk Israel auf erstaunliche Weise aus der Sklaverei befreit. Es hatte dann zwei Monate lang die Erfahrung gemacht, von dem Gott, der es befreit hatte, versorgt zu werden mit Essen und Trinken. Es hatte, offensichtlich mit Hilfe dieses Gottes, den Überfall von Banditen abgewehrt. Israel hatte Gott kennengelernt als einen, der befreit und der mitgeht mit seinem Volk, zeichenhaft sichtbar als Wolke und Feuersäule.
An diese Vorgeschichte erinnert Gott nun: Ihr habt gesehen, was ich getan habe an Ägypten. Israel hat etwas zu sehen bekommen – freilich nicht Gott selbst, aber seine Taten; Israel wurde durch mächtige Taten freigepresst. Und auf dem Weg zwischen Schilfmeer und Sinai hat sein Gott sich erwiesen als der, der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet. Das Bildwort von den Adlerflügeln wurde in jüdischer Tradition verschieden gedeutet. Raschbam, Rabbi Schmuel ben Meir, paraphrasiert im Mittelalter: Schnell und sicher habe ich euch über das Meer und trockenes Land getragen, wie ein Adler über die Meere fliegt. Raschi, Rabbi Schlomo Itzchaki, ebenfalls im Mittelalter, einer der größten Theologen der jüdischen Geschichte, betont hingegen Gottes Hingabe und Opferbereitschaft: Alle anderen Vögel tragen ihre Jungen in ihren Klauen, weil sie Angst haben, ein anderer Vogel könnte über sie hinweg fliegen. Der Adler hat nur Angst vor dem Pfeil des Jägers, weil kein anderer Vogel höher fliegen kann als er. Deshalb nimmt er seine Jungen auf seine Schwingen: Soll der Pfeil lieber mich treffen als meine Kinder. Im 20. Jahrhundert deutet der Philosoph, Pädagoge und religiöse Sozialist Martin Buber das Bild als Einübung von Freiheit und Selbständigkeit: Adler bringen ihren Jungen das Fliegen bei, indem sie sie auf den eigenen Flügeln in die Höhe tragen, sie auffangen, wenn sie fallen. Kräftige und sichere Führung, Bewahrung und Schutz, pädagogische Leitung und Anleitung zum Selbstständigwerden – all das schwingt mit in diesem Bild von den Adlerschwingen.
Nun sind sie am Sinai angelangt. Hier hatte Gott aus einem brennenden Dornbusch heraus zum ersten Mal mit Mose gesprochen. Hatte ihn beauftragt, ihm seinen Namen erklärt. Alles, was Israel bisher erlebt hatte, war eine Auslegung, ein Erweis dieses Namens: Ich werde da sein, als der ich da sein werde; werde mit euch sein, wie immer ich mit euch sein werde. Das ist gemeint mit seinem Namen, der in Luthers Bibelübersetzung mit „HERR“ umschrieben wird. Der Name bezeichnet das Besondere an diesem Gott: das, was ihn von anderen Göttern und Mächten unterscheidet. Bereits bei dieser ersten Begegnung hatte die Stimme gesagt: Hier, an diesem Berg, werdet ihr mir dienstbar. Aus dem Frondienst der Sklaverei, aus dem Haus der Dienstbarkeit wird Israel befreit, um stattdessen diesem Gott zu dienen. Die Befreiung und Erwählung Israels ist Befreiung und Erwählung zum Dienst: Gottesdienst statt Sklavendienst. Der HERR, der Gott Israels, hat sich als Bundesgenosse dieses Volkes erwiesen, um dieses Volk zum Bundesgenossen zu gewinnen: Ich will euer Gott sein, ihr sollt mein Volk sein. Aus der Sklaverei befreit ist Israel bereits. Doch bevor es in das versprochene Land gelangt, erhält es hier am Sinai Weisung, damit es im neuen Land nicht zu ägyptischen Verhältnissen kommt. Weisung zum Leben, zum Bewahren der Freiheit. Die Freiheit besteht darin, diesem Gott zu dienen. Worin dieser Dienst im Einzelnen besteht, erfährt Israel hier, wenn es auf diese Stimme hört. Die Befreiung geschah bereits in Ägypten und am Schilfmeer. Zum Gottesvolk, zum kollektiven Bundesgenossen dieses Gottes wird es erst hier am Sinai.
Doch was mag das sein, ein Gottesvolk? Wozu braucht Gott ein Sondergut, ein besonderes Volk? Ihm gehört doch, wie er im selben Satz sagt, die ganze Erde; er ist es, der Himmel und Erde geschaffen hat. Alle Menschen aller Völker sind seine Geschöpfe. Warum und wozu erwählt er eines dieser Völker besonders und macht es zu etwas Besonderem? Und was haben wir aus den anderen Völkern mit dieser Geschichte zu tun? Was geht sie uns an?
Gott hat bei der Erwählung Israels, bei seinem Bund mit diesem Volk auch uns, die anderen Völker im Blick. Er zeigt in dieser besonderen Geschichte, wie er im Allgemeinen, im Ganzen ist. Er liebt alle Menschen, indem er Israel liebt. Diese besondere Geschichte geschieht stellvertretend für die Weltgeschichte, ist ihr roter Faden, ihre Mitte. Gott sagt selbst, wozu er Israel erwählt hat, wozu er ein besonderes Volk braucht, ein Sondergut; und auch, was das ist: ein Gottesvolk, ein heiliges, also ausgesondertes Volk: Ihr werdet mir sein ein Königreich von Priestern.
Das Wort Königreich verweist auf den Bereich der Politik. Dieser Gott interessiert sich nicht nur für Glaubensinhalte, nicht nur für Einzelne, nicht nur für Seelisches. Er strebt eine bestimmte Art gesellschaftlichen Zusammenlebens an. Er will Recht und Gerechtigkeit verwirklichen. Ein Königreich bedeutet: Die Art und Weise der Politik soll zeigen, wer regiert. Er hat darum ein Volk erwählt, nicht eine Religion, und hat ihm ein Land versprochen als materielle Grundlage einer neuen Gesellschaft.
Und diese Besonderung und Aussonderung geschieht stellvertretend für das Ganze: Dieses Volk soll ein Königreich von Priestern sein. Priester, für uns Protestanten ein fremdes Wort, das sind Menschen, die zwischen Gott und den Menschen vermitteln. Ein Priester vertritt Menschen vor Gott, distanziert sich nicht von den Gottlosen, sondern solidarisiert sich mit ihnen, spricht und handelt stellvertretend für alle. Er vertritt aber auch Gott bei den Menschen, tut seinen Willen kund, macht seinen Einfluss geltend. Vor allem: Er spricht Menschen Segen zu, Gottes fördernde, helfende und schützende Begleitung. Israel als ganzes, als Volk soll ein kollektiver Priester sein, soll vermitteln zwischen diesem Gott und allen Menschen, Kontakt herstellen. Die Völker kommen mit Gott zusammen, indem sie mit diesem Volk zusammen sind. Sie lernen diesen Gott kennen, indem sie auf diese besondere Geschichte aufmerksam werden.
Jedenfalls war das Gottes Ziel. Schon Abraham hatte er versprochen, seine Nachkommen werden ein Segen sein für alle Völker. Und im 5. Buch Mose wird in Aussicht gestellt, die anderen Völker werden aus dem Staunen gar nicht rauskommen angesichts Israels und seiner anderen Art des Zusammenlebens, seiner gesellschaftlichen Organisation. Die Propheten Jesaja und Micha, auch viele Psalmen künden an, die Völker werden zum Zion ziehen, um dort Weisung, Tora zu lernen.
Das jüdische Volk hat immer wieder versucht, die Last seiner Erwählung, diese Sonderrolle abzuschütteln. Es wollte lieber ein Volk wie alle anderen sein – was ihm aber nie ganz gelungen ist. Und die anderen Völker haben sich keineswegs von diesem besonderen Volk aufklären lassen über seinen besonderen Gott. Sie haben feindselig reagiert, es bekämpft, haben in seiner Erwählung keinen Segen gesehen. Sie waren gekränkt und eifersüchtig, nicht selbst erwählt zu sein. Und erwählten sich auch selbst – kaum ein Nationalismus kommt ohne Judenhass aus. Die Völker verstanden die Erwählung Israels als Ausdruck einer ungeheuren Arroganz dieses kleinen Volkes: als Erwählungsgedanken, Erwählungsbewusstsein, Auserwähltheitsanspruch. Israel fand und findet zwar in der Tat große Beachtung in fast allen Völkern, steht unter besonderer Beobachtung, aber nicht als Gottesvolk, als Segen und Licht der Völker, sondern als besonders verhasstes Volk.
Durch das Evangelium von Jesus Christus wurden Menschen aus vielen, aus fast allen Völkern auf die besondere Geschichte, auf die Beziehung zwischen Gott und diesem Volk aufmerksam. Doch auch die Christen aus den Völkern ärgerten und rieben sich an der Besonderheit Israels. Sie behaupteten, als Gottesvolk sei Israel abgelöst und ersetzt worden durch die Kirche. Juden als Juden bräuchte es nicht mehr zu geben, denn wenn sie in Jesus den Messias Israels erkennten, würden sie ja Christen werden und in der Kirche aufgehen. Das Kommen des Messias sei das Ziel, aber damit auch das Ende der besonderen Geschichte Israels.
Am heutigen Israelsonntag nehmen wir dankbar wahr, dass wir das nicht mehr glauben und denken. Wir haben entdeckt: Die Erwählung Israels ist ein wichtiges Thema unserer christlichen Bibel. Der Bund zwischen Gott und seinem Volk ist nicht gekündigt. Gott hält Israel die Treue – neben der Kirche, auch gegen sie. Die schiere Existenz des jüdischen Volkes, allen Versuchen, es auszulöschen, zum Trotz, ist uns ein sichtbares Zeichen der Treue Gottes, der auch wir trauen. Das ist eine frohe Botschaft – so viele sichtbare Zeichen dieser Treue haben wir ja nicht.
Wir wissen nun, dass wir durch unsere Abwertung alles Jüdischen, unsere Klischees von Juden beigetragen haben dazu, dieses Volk in aller Welt verächtlich und verhasst zu machen. Und wir haben uns auch selbst geschadet: Aus dem besonderen Gott der Bibel wurde ein Allerweltsgott, farblos und blass, ein Gott ohne Eigenschaften, ohne Ziele, ohne Geschichte. Doch nun haben wir erkannt: Der Versuch, Israel zu verdrängen, zu ersetzen und abzulösen, war ein Irrweg. Die kirchliche Rede vom Ende Israels, von seiner Beerbung durch die Kirche als neues Israel ist eine verhängnisvolle Irrlehre. Und die Rede von einer Überbietung des Alten Testaments durch das Neue ist das auch. Wir verstehen den Ort und die Aufgaben der Kirche nicht mehr anstelle, sondern an der Seite Israels.
So entdecken wir Christen aus den Völkern nun unsererseits eine priesterliche, eine vermittelnde Aufgabe. Wir werden zu Dolmetschern zwischen Israel und den Völkern, bitten die Völker an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott – und mit seinem Volk. Und diese Aufgabe ist dringlicher geworden. Das wurde im Frühjahr nicht zum ersten Mal, aber besonders dramatisch deutlich.
Alles, was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen! Er ist dein Licht.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Christen, die die Erwählung Israels als narzisstische Kränkung empfinden und darum leugnen, weghaben wollen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Hass auf Juden in unserer Gesellschaft wird offener und tätlich, besonders deutlich während des Kriegs zwischen Chamas und Israel im Frühjahr. Auch in den Kirchen sind antijüdische Ressentiments nicht etwa nur noch da, sondern wachsend. Der nicht christlich motivierte Hass auf Juden hat nicht nur seine Wurzeln in der christlichen Judenfeindschaft, sondern findet da auch seinen Stoff.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Gottes Treue zu Israel, die Existenz dieses Volkes außerhalb der Kirche und auch gegen sie ist frohe Botschaft für Christen aus den Völkern.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Kurze Sätze statt langer Sätze. Freundlich mit der Gemeinde reden: ihr zu Herzen.
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Von Tischdecken und Schutzräumen - Predigt zu 2. Mose 12,1-4 von Frank Nico Jaeger
Ihr sollt diesen Tag als Gedenktag haben und sollt ihn feiern als ein Fest für den HERRN, ihr und alle eure Nachkommen, als ewige Ordnung.
Die Welt verläuft in geregelten Bahnen als Dietrich Bonhoeffer 1906 in Breslau zur Welt kommt. Alles hat seine Ordnung. Preußisch und pflichtbewusst gestaltet die Familie ihren Alltag. Pflegt die Traditionen. Dazu gehören auch die Familienfeiern an den großen Feiertagen. Die Kinder zählen gerne die Tage bis zum nächsten großen Fest. Freuen sich auf die festliche gedeckte Tafel. Das gute Essen. Das Beisammensein.
Über die Jahre begehen die Bonhoeffers alle Feste und vielleicht stehen zu Ostern auch gelbe Tulpen in einer Vase auf dem großen, sechseckigen Tisch, um den sich die Familie zu versammeln pflegt. Die kleinen Frühlingsboten bilden einen schönen Kontrast zu der weißen Tischdecke und sie weisen voraus auf das was noch kommt. Das Gute. Das Licht.
Die ewige Ordnung ist gestört.
Auch über die Kriegsjahre hinweg pflegt die Familie diese Tradition. Als Dietrich Bonhoeffer später ins Gefängnis kommt, weil er sich aktiv im Widerstand gegen Hitler engagiert hat, helfen ihm die Erinnerungen an diese Zusammenkünfte.
Es fällt Bonhoeffer nicht leicht, von der Familie getrennt zu sein. Auch wenn Familie für ihn immer schon mehr war als nur Vater, Mutter und die Geschwister. Zur Familie gehören für Dietrich Bonhoeffer nicht nur die Blutsverwandten. Aber die gemeinsamen Feste nehmen in seinen Erinnerungen einen besonderen Platz ein.
Weiß ist die gute Tischdecke auf dem sechseckigen Tisch, um den sich die Familie versammelt. Weiß ist auch die Farbe dieses Abends. In der Kirche und ihrer Liturgie steht weiß für Licht und Reinheit. Aber der heutige Gründonnerstag wird nicht rein weiß bleiben. Auch auf dem Weiß dieses Tages gibt es Flecken. Spuren von Menschen. Verrat liegt in der Luft.
Der Abend bleibt nicht makellos.
Weiße Tischdecken.
Die meiste Zeit des Jahres liegt die weiße Tischdecke wahrscheinlich gestärkt in einer Schublade, aber an hohen Feiertagen ist sie Pflicht.
Und wenn man genauer hinsieht, sieht man hier und da auf der Tischdecke auch Soßenspritzer oder einen alten Rotkrautfleck. Kleine Ausrutscher. Verblasst, aber noch zu sehen.
Die Tischdecke ist nicht makellos.
Keine der Tischdecken, die ich kenne, hat im Laufe ihrer Nutzung nicht auch Spuren davongetragen. Fast so, wie die Menschen, die sich immer wieder um den Tisch herum versammeln, auf dem sie liegt. Wir kennen Ärger und Liebe. Sind schon mal verletzt worden und haben selber schon andere verletzt.
Jede Gemeinschaft ist zerbrechlich.
Zerbrechlich, weil sie gefährdet ist. Im Mittelpunkt des Gründonnerstags steht das gemeinsame Mahl. Die Israeliten nehmen es an dem Abend ein bevor sie aus der Sklaverei fliehen.
Jesus und seine Jünger nehmen es ein an dem Abend bevor er stirbt.
Es ist jedes Mal ein widersprüchlicher Augenblick. So wie die Farbe weiß für diesen Abend. Der Abschied steht kurz bevor, der Tod Jesu ist längst beschlossen. Es gibt kein Entrinnen. Keine Flucht.
Heute ist es noch ein weißer Abend, aber schon morgen hängt hier schwarz. Leben und Licht vor dem Leiden und der Dunkelheit. Das Problem Dietrich Bonhoeffers war nie die Frage, wie zuverlässig Gott ist. Für ihn ist klar, Gott ist mit ihm.
Und die Erinnerungen an die Tischgemeinschaft der Familie tragen ihn durch die Dunkelheit hindurch.
Dieses innere Erbe stärkt ihn, hilft ihm auszuhalten. In einem Brief an die Eltern schreibt er: „Das Bewusstsein, von einer geistigen Überlieferung getragen zu sein, die durch Jahrhunderte reicht, gibt einem, allen Bedrängnissen gegenüber, das sichere Gefühl, geborgen zu sein. Ich glaube, wer sich im Besitz solcher Kraftreserven weiß, braucht sich auch weicherer Gefühle nicht zu schämen. […] Gott behüte uns: in großer Dankbarkeit und Liebe seid herzlich gegrüßt!“
Der heutige Abend ist ein Schutzraum. Allen Bedrängnissen zum Trotz. Gemeinsam Essen, gemeinsam trinken. Zusammen sein. Mit allen Kränkungen beieinandersitzen.
Sich mit der eigenen Angst, mit meinen Sorgen gut aufgehoben fühlen in dieser Runde.
Und mittendrin Jesus, der sich weigert zu hassen. Bis zum Ende wird er Vergebung und die Bereitschaft zu verzeihen durchbuchstabieren.
Er weiß, was kommt. Er hat auch Enttäuschungen erlebt, zuletzt die schlafenden Freunde im Garten, wenn er ihren Beistand am nötigsten gebraucht hätte. Er ahnt den bevorstehenden Verrat des Judas, weiß um das Einknicken des Petrus, der lieber seine eigene Haut retten will.
Der heutige Abend ist ein Schutzraum. Ein inneres Erbe, wie Bonhoeffer schreibt. Denn im Angesicht der Dunkelheit steht eine andere Macht neben uns. Gott.
AMEN.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Besucherzahlen am Gründonnerstag sind rückläufig. Seit ein paar Jahren stagnieren sie. Es kommt „die Kerngemeinde“. Bunt gemischt. Die Witwe, deren Mann ich beerdigt habe, ein paar Konfis, Vertreterinnen und Vertreter aus der kommunalen Politik. Kon-firmierte. Alles in allem sehr unterschiedlich, aber alle gemeinsam auf der Suche nach Trost und Halt „in Bedrängnis, Not und Ängsten.“
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Bild des Schutzraumes am Tisch an diesem Abend. Und die Vorlage von
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Gott hält die Ordnung aufrecht. Er ist da, ganz egal, wo ich bin. Gott ist ein „inneres Erbe“ das gemeinsame Mahl ist ein Schutzraum.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Konzentration auf ein gutes Bild: Schutzraum.
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Brennen, aber nicht verbrennen - Predigt zu 2. Mose 3,1–8a.9–14 von Frank Fuchs
Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt (…). Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.
Liebe Gemeinde,
der Dornbusch brennt, ohne zu verbrennen. Es gibt aber auch Menschen, die scheinen für etwas zu brennen, ohne zu verbrennen. Sie setzen sich ganz für etwas ein, geben alles dafür. Ein solcher Mensch war auch Mose.
Wie es dazu gekommen ist, dass er so wurde, das erfahren wir aus der Geschichte vor unserem Predigttext (2. Mose 1-2). Hineingeboren wurde er in den Konflikt zwischen Ägyptern und Israeliten. Als die Israeliten drohten, ein zu starkes Volk in Ägypten zu werden, erging der Befehl des Pharaos, dass die männlichen Neugeborenen zu töten und in den Nil zu werfen sind. Aus Verzweiflung war Mose von seiner Mutter in einem Binsenkorb auf dem Nil ausgesetzt worden. Eine ägyptische Prinzessin fand ihn und ließ ihn aus Mitleid am Königshof aufziehen. Seine leibliche Mutter durfte ihn stillen. Als Mose ein Mann wurde, sah er, dass ein ägyptischer Aufseher auf einen israelitischen Sklaven einprügelte. Mose packte der Zorn und er erschlug den Ägypter. Daraufhin floh er in die Wüste. Auf der Flucht half er an einem Brunnen einigen Frauen, die von Hirten vertrieben werden sollten. Er heiratete eine von ihnen und hatte mit ihr zwei Söhne. Inzwischen starb der Pharao, doch die Israeliten litten weiter unter der Sklavenarbeit.
Nun wird Mose berufen, wie es im Predigttext erzählt wird. Er sieht den Dornbusch, der brennt, aber nicht verbrennt. Er hört die Stimme des Engels, die ihn beruft. Mose ist zögerlich. Warum sollte ausgerechnet er zum Pharao gehen? Ausgerechnet er, der nicht gut reden kann. (2. Mose 4,10) Doch Gott verspricht, dass er mit ihm sein wird. Moses Bruder Aaron soll an seiner Stelle vor dem Pharao sprechen. Mose vertraut ihm und übernimmt die Aufgabe, die Israeliten aus Ägypten zu führen.
Nach anfänglichem Zögern brennt Mose für diese Aufgabe. Die Widerstände, die er zu überwinden hat, sind gewaltig. Denn Arbeitssklaven lässt man nicht gerne ziehen. Sie sorgen für den Wohlstand des Landes. Der Pharao verspricht immer wieder, das Volk ziehen zu lassen, doch überlegt er es sich im letzten Moment anders. Durch die vielen Rückschläge lässt Mose sich nicht entmutigen. Nach den vielen Plagen, die die Ägypter getroffen haben, gelingt endlich die Flucht durch das Schilfmeer. Doch weitere Schwierigkeiten stehen noch bevor. Das Volk ist unzufrieden über das Leben in der Wüste und sehnt sich zurück. Mose ist desillusioniert und enttäuscht von seinem Volk. Sie widersetzen sich und leisten Widerstand. Doch Mose bleibt standhaft und ist erfüllt davon, seinen Auftrag mit ganzer Kraft zu erfüllen.
Manche Menschen wachsen an den Aufgaben, die unmöglich erscheinen. Für Mose erschien es unmöglich, zum Pharao zu gehen und ihn um etwas zu bitten. Doch sein Glaube, die Begegnung mit Gott gibt ihm die nötige Kraft dafür. Der Name Gottes ist auch ein Versprechen. Sein Name ist „Ich werde sein“. In der Zukunft wird sich erweisen, dass Gottes Plan, das Volk durch Mose von der Knechtschaft zu befreien, gelingen wird.
Vor einer gewaltigen Aufgabe steht in diesen Tagen die englische Premierministerin. Sie will ihr Land aus der EU führen. Dafür verwendet sie alle ihre Kraft. Die Aufgabe scheint in diesen Tagen fast unmöglich zu schaffen zu sein. Denn da gibt es diejenigen, die ihr Land nur unter Bedingungen ziehen lassen, die vielen auf ihrer Insel sehr hart erscheinen. Deshalb hat ihr Parlament den Vertrag abgelehnt. Die andere Seite lässt keine Nachverhandlungen zu. Eine Lösung ist derzeit nicht in Sicht. Ein Misstrauensvotum gegen sie hat sie überstanden.
Die Vorbereitungen auf den Tag X laufen auf Hochtouren. Es werden Lebensmittel auf der Insel von Privathaushalten und Bedarfsmittel von Logistikfirmen gehortet. Schiffe wurden gechartert für den Fall, dass der Warenfluss zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zum Erliegen kommen könnte. Es wird erwartet, dass das Volk murren könnte, wenn Waren, die zuvor selbstverständlich waren, nicht mehr geliefert werden können. Die Gesellschaft ist gespalten über die Frage, ob der Brexit die richtige Entscheidung war und wie er umzusetzen ist. Es könnte so kommen, dass sich das Volk nach der Zeit in der EU zurücksehnt. Ein Weg zurück wird für lange Zeit nicht möglich sein.
Wenn Menschen vor einer schier unbewältigbaren Aufgabe stehen, dann liegt es nahe, Kraft aus dem eigenen Glauben zu schöpfen. Die englische Premierministerin Theresa May ist Tochter eines Pfarrers der Church of England. Sie selbst gilt als regelmäßige Gottesdienstbesucherin und lebt so ihren christlichen Glauben. Der Glaube kann eine große Kraftquelle sein.
In der Geschichte von Mose brennt der Dornbusch, aber verbrennt nicht. Mose wird neugierig und geht auf diese Erscheinung zu. Gott erscheint als Kraft, die sich nicht aufzehrt. Sein Wirken bleibt beständig erhalten. Wie in dieser Erscheinung zu sehen, so ist Gott. Er erhält das Leben und trägt es. Doch bleibt die Begegnung mit Gott unverfügbar. Gott erscheint da, wo überhaupt nicht damit zu rechnen ist. Bei der alltäglichen Arbeit, beim Hüten der Herde kommt ihm Gott ganz nahe.
Manche Menschen brennen für ihre Aufgabe, aber es kann auch zu viel werden und ein Mensch kann ausbrennen. Wenn ein Mensch erschöpft ist und nicht mehr kann, dann ist das schmerzlich, weil es wie Schwäche nach außen wirkt. Aber nur ein Mensch, der alles gegeben hat, kann ausbrennen. Die Zeit der Schwäche kann zu neuer Stärke werden. Manche suchen die Ruhe und Stille von Klöstern und finden Hilfe in ihrem Glauben.
Gottes Kraft kann in uns wirken. Sie kann uns beflügeln. Sie kann helfen, Widerstände zu überwinden. Sie kann uns ermöglichen, dass wir für etwas brennen, aber nicht ausbrennen. Sie kann Halt geben und Hoffnung. Auf seinen heilsamen Willen für unser Leben können wir vertrauen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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Konfi-Impuls für den letzten Sonntag nach Epiphanias, 2. Mose 3,1-15 von Christina Hirt
Ein Vorstellungsgespräch
Wie heißt du? Wie alt bist du? Woher kommst du? Auf welche Schule gehst du? Was machst du in deiner Freizeit? Wer einen anderen Menschen kennenlernen will, stellt solche Fragen, und erzählt auch selbst etwas zu diesen Themen.
In der Geschichte vom brennenden Dornbusch führt Gott ein Vorstellungsgespräch mit Mose.
Der Text eignet sich hervorragend dazu, mit den Jugendlichen gemeinsam zu forschen:
Wie stelle ich mir Gott vor? Und wie stellt er sich selbst vor?
Vorschläge für eine Bearbeitung im Konfi-Unterricht. Die Ergebnisse können in den Gottesdienst einfließen.
1. Wen ich gerne einmal kennenlernen würde: Jede/r schreibt den Namen einer Person auf einen Zettel, faltet ihn zusammen und übergibt den Zettel an die Pfarrerin. Die liest anschließend die Namen vor. Alle raten mit: wer hat diesen Namen wohl aufgeschrieben? Jede/r zeigt auf eine Person aus der Gruppe. Nach der „Auflösung“, ist es natürlich reizvoll, wenn es noch eine kurze Auskunft darüber gibt, was an dieser Person so fasziniert.
2. Was braucht es, damit du jemand wirklich gut kennenlernen kannst? Im Gespräch werden die Antworten der Konfirmanden auf einzelne Papierstreifen geschrieben.
Beispiele aus unserer Gruppe waren: gegenseitiges Interesse, miteinander reden, sich treffen/ ein Date haben, etwas miteinander machen, Zeit verbringen.
In einem zweiten Schritt die Frage anschließen: Was davon ist möglich, um Gott kennenzulernen?
Damit kann eine gesprächsbereite Gruppe ganz schön in Bewegung kommen!
Die Pfarrerin kann weitere Impulse geben: Wie und wo kann man Gott treffen?
Ich kann im Gebet mit ihm reden, aber redet er auch mit mir?
Gibt es Interessen, die Menschen und Gott teilen? Welche?
Wie gut kennst du Gott? Gibt es Menschen, die ihn sehr gut kennen?
Warum ist es gut, Gott zu kennen? Warum vermeiden es Menschen vielleicht auch, Gott kennenzulernen?
3. Miteinander den Bibeltext lesen und herausfinden: Wie stellt sich Gott vor?
In unserer Gruppe ist der Wechsel vom Engel Gottes in V 2 zu Gott höchstpersönlich V 4 aufgefallen.
Dann die Frage danach, warum Gott im Feuer erscheint. „Feuer hat Macht“, meinte ein Konfirmand. „es ist gefährlich …“ ein anderer. „Aber es ist auch sehr nützlich und gut“.
Interessant fanden die Jugendlichen das Verhalten von Mose. Er ist zuerst neugierig und will herausfinden, was da mit dem Busch los ist. Und dann erschrickt er doch sehr, als er erfährt, wen er da kennenlernt.
Dass Gott Interesse am Ergehen seines Volkes hat, ist aufgefallen. Aber auch, dass das ja zum Krieg führen könnte, wenn er dieses Volk in ein Land führen wird, in dem schon Leute wohnen.
Dass Gott nicht einfach Smalltalk mit Mose führt, war auch noch eine Erkenntnis. Wenn er sich vorstellt, dann hat er auch etwas vor!
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27.01.2019 - Letzter So. nach Epiphanias
Aufbruch - Predigt zu 2. Mose 13, 20-22 (Silvester) von Monika Waldeck
Manche wandern entschlossen mit festem Blick in die Ferne. Manche bleiben immer wieder zögernd stehen und schauen zurück. Manche gehen mit müden Schritten und schmerzenden Gliedern. Manchen steht die ängstliche Ungläubigkeit noch ins Gesicht geschrieben, tatsächlich auf dem Weg zu sein. Manche tänzeln voller Vorfreude allen voraus. Manche müssen getragen werden. Manche strahlen zuversichtliche Gelassenheit aus.
Es muss eine bunte Truppe gewesen sein, die da unterwegs war, aus der Sklaverei in Ägypten auf dem Weg ins gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen. Männer, Frauen, Kinder in jedem Alter. Unterwegs auf einer langen Wanderung durch Wüste und Meer, aus der Zeit gefallen, zwischen den Fronten, zwischen dem alten und einem ersehnten neuen Leben.
Was sie in Ägypten gehabt haben, das wissen sie. Auch ein Leben in der Sklaverei kann Sicherheit geben. Was sie erwartet, können sie sich noch nicht vorstellen. Aber nun sind sie tatsächlich aufgebrochen. Sie haben sich auf den Weg gemacht. Sie wagen es, sich der Führung Gottes anzuvertrauen. Das ist der bewegende und bewegte Beginn der Glaubensgeschichte Israels mit seinem Gott.
Kann es auch eine Glaubensgeschichte für Menschen auf der Schwelle zum Jahr 2018 sein? Kann es uns helfen bei unserer Frage danach, wo Gott auf den Wanderungen unseres Lebens spürbar ist, besonders in den Situationen, in denen wir uns heimatlos und entfremdet fühlen?
Aufzubrechen bedeutet einerseits extreme Verunsicherung, Angst, Zweifel. Andererseits kann ein Aufbruch erwartungsvoll und neugierig stimmen. Und manchmal erleben Menschen in solchen Situationen alles gleichzeitig. Ein Hin- und Hergerissensein zwischen den unterschiedlichsten Gefühlen.
Das Volk Israel muss auf seiner Wanderung viel aushalten, Hunger, Durst und Verfolgung, es muss sich organisieren, um zu überleben und nicht alle werden es am Ende schaffen. Eine aufregende, eine anstrengende, eine lebensgefährliche Zeit mit ungewissem Ausgang liegt vor ihnen.
Gott weiß das. Er rechnet mit dem Zweifel, er rechnet mit der Überforderung und Schwäche der Menschen. Er übernimmt die Führung. Bei Tag zieht er in einer Wolkensäule, bei Nacht in einer Feuersäule vor ihnen her, damit sie weitergehen können. Niemals lässt er sie allein. Niemals weicht er von seinem Volk. Manchmal sind sie sich der Führung Gottes sicher, manchmal zweifeln sie an ihr. Kaum sind sie unterwegs, bereuen es Einige schon, überhaupt losgezogen zu sein, weg von den Fleischtöpfen Ägyptens. Die Wanderung ist lang und führt durch die Öde der Wüste. So wenden sich viele murrend von ihm ab und beginnen den Tanz um das goldene Kalb.
Einfach lässt sich der Abstand zwischen Gott und seinem Volk dann nicht überspringen. In der Wolke und im Feuer zeigt er sich, aber manchmal reicht es nicht, um die Zweifel am Sinn und Ziel der Wanderung zu zerstreuen.
So sind wir Menschen, zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag. Gott kann uns so fremd und fern erscheinen wie wir uns selbst oft genug. Ich jedenfalls finde mich in diesen alten Geschichten wieder. Ich weiß nicht, wie es ausgeht, was mich sorgt und belastet. Ich weiß nicht, ob ich morgen noch da sein werde. Ich weiß nicht, wie ich die Krisen, die mir das Leben zumutet, durchstehe und wo ich dann sein werde und wer ich dann bin. Dann wünsche ich mir Gewissheit, dass Gott alles so macht, wie ich es benötige. Aber Gewissheit gibt es im Glauben nicht. Gott kann ich mir nicht zunutze machen wie ein Werkzeug, das darauf wartet, gebraucht zu werden. Glauben heißt, in der Sehnsucht, in der Hoffnung zu bleiben, auf Gott zu vertrauen, auch wenn alle äußeren Umstände dagegensprechen.
Gerade jetzt in der Weihnachtszeit frage ich mich: Ist nicht auch im Licht des Sterns über der Krippe von Bethlehem der Schein von Gottes Feuersäule enthalten? Wenn wir Gottes Verheißung ernst nehmen, dann sind wir auf dem Weg in die Freiheit und den Frieden des gelobten Landes, - aber wir sind noch nicht da. Hier auf der Welt sind wir nie ganz zu Hause, sondern unterwegs, in unseren ganz unterschiedlichen Stimmungen und mit ganz unterschiedlichen Schritten.
Ein Mann, der vor 25 Jahren aus Russland eingewandert ist, erzählt im Seelsorgegespräch kurz vor Weihnachten, dass er nach 13 Umzügen in Russland und Deutschland nun endlich sesshaft geworden ist. Er hat ein kleines Haus gebaut, auf das er stolz ist. Mittlerweile haben sich Enkelkinder eingestellt. Es sind nur noch ein paar Jahre bis zur Rente, die ihm nach einem arbeitsreichen Leben etwas mehr Zeit für seine verschiedenen Interessen schenken würde. Aber dann verstirbt seine Frau nach einem kurzen schweren Krankheitsverlauf. Seither ist nicht mehr arbeitsfähig und darum belastet ihn auch finanzielle Unsicherheit. Er sagt, er habe den Eindruck, dass ihm sein Leben immer schneller entgleite.
Und während er so erzählt und seinen Lebensspuren noch einmal folgt, fällt sein Blick auf das kleine Kreuz mit dem Bibelvers auf dem Tisch und er sagt: „Das ist immer mein liebster Spruch gewesen. Der hat mir früher oft die Perspektive zurechtgerückt. Vielleicht sollte ihn auch jetzt wieder öfter lesen und bedenken.“ Er liest das Wort aus dem Hebräerbrief: “Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr. 13,14)
Und dann fällt ihm ein, dass er noch Handlungsmöglichkeiten hat. Unter dem Eindruck seines Bibelwortes überlegt er, dass er ja nicht unbedingt an seinem Haus festhalten müsse, nach so vielen Umzügen in seinem Leben werde er auch eine neue Bleibe finden. Vielleicht solle er einfach akzeptieren, dass er im Augenblick einfach nicht arbeiten könne und sich nicht selbst weiter unter Druck setzen.
Was das Lesen eines Bibelverses alles bewirken kann! Seitdem kommt mir dieses Wort häufiger in den Sinn. Auch wir Christen sind ein wanderndes Gottesvolk. Die Verheißung Gottes setzt uns in Bewegung. Wir sollen uns nicht auf falsche Sicherheiten verlassen. Die zerbrechen schnell, wenn wir in eine Krise geraten.
Die Dichterin Hilde Domin, die im Nationalsozialismus als Jüdin Erfahrung mit Exil und Fremdheit machen musste, nimmt in wunderbar treffenden Bildern auf, was für sie diese Verheißung bedeutet:
Ich habe Heimweh nach einem Land
in dem ich niemals war,
wo alle Bäume und Blumen
mich kennen,
in das ich niemals geh,
doch wo sich die Wolken
meiner
genau erinnern,
ein Fremder, der sich
in keinem Zuhause
ausweinen kann.
Ich fahre
nach Inseln ohne Hafen,
ich werfe die Schlüssel ins Meer
gleich bei der Ausfahrt.
Ich komme nirgends an.
Mein Segel ist wie ein Spinnweb im Wind,
aber es reißt nicht.
Und jenseits des Horizonts,
wo die großen Vögel
am Ende ihres Flugs
die Schwingen in der Sonne trocknen,
liegt ein Erdteil
wo sie mich aufnehmen müssen,
ohne Pass,
auf Wolkenbürgschaft.
In diesen paradoxen Bildern vom Land, in dem das Ich niemals war, wo aber doch alle es kennen, kann sich das biblische Land der Verheißung wiederfinden lassen. Es ist fremd, aber doch vertraut, es ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig. Ich bin eine Fremde, die kein Zuhause hat und sich selbst fremd bleibt. Die Schlüssel zum Zuhause werden nicht mehr gebraucht. Und wie fühlt sich das an? Das Bild vom Segel erzählt davon. Es ist wie eine Spinnwebe, zart, angespannt, verletzlich, scheinbar leicht zu zerreißen, aber hat doch eine Stärke, die den Stürmen trotzt.
Das Land der Sehnsucht „jenseits des Horizonts“ liegt zwischen Diesseits und Jenseits, Sein und Nichtsein, Bekanntsein und Fremdsein. Es ist ein Land des „Zwischen“ mit allein der Sicherheit einer „Wolkenbürgschaft“. Unsicherer geht es nicht, aber sicherer auch nicht. 1 Das Land der Verheißung kann nur erreicht werden, wenn wir unsere Zerrissenheit ernstnehmen. So sind wir unterwegs auf unserer Wanderung durch die Zeit und unser Leben. Die wir zurücklegen mit forschem Schritt, oder zweifelnd und zögernd. Manchmal tragen wir Schwächere, manchmal müssen wir selbst getragen werden.
Eins aber ist gewiss an der Schwelle zum neuen Jahr: Gott wird wieder an unserer Seite sein, in einer Wolkensäule oder im Licht des Sterns von Bethlehem.
Amen.
1 I Stephanie Lehr-Rosenberg: „Ich setzte meinen Fuß in die Luft, und sie trug.“ Umgang mit Fremde und Heimat in Gedichten Hilde Domins, Würzburg 2003, S. 144-147
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Sich auf den Weg machen - Predigt zu 2. Mose 13, 20-22 von Peter-Michael Schmudde
Ich fange heute anders an als sonst: Ich erzähle Euch eine sehr persönliche Geschichte. Sie passt zum Ende eines Jahres. Und sie passt zum Beginn eines neuen. Und sie hat etwas mit mir, mit Euch und mit mir und mit einem dunklen Silvester zu tun. Und auch mit Gott. Ja, mit Gott.
Vor drei Jahren haben wir Silvester ziemlich leise und klein gefeiert. Das konnte nur so sein, weil ich gerade eine Entscheidung gefällt hatte. Es war eine harte Entscheidung. Es war eine Entscheidung gegen das, was wir an einem geliebten Ort schon seit einer langen Zeit als Familie hatten. Es war die Entscheidung für einen Wechsel von Ort und allem Gewohnten. Es war wirklich eine harte Entscheidung, glaubt mir. Denn eigentlich haben wir uns alle wohl gefühlt, dort, wo wir waren. Wir hatten Freunde. Wir hatten Familie um uns herum. Eigentlich hätte alles gut sein müssen. Eigentlich.
Nur mein Berufliches war im Laufe eines Jahres qualvoll gestorben. Nach und nach. Kein Wiederbelebungsversuch hatte etwas gebracht. Zwischendurch war ich vom Kämpfen in ein depressives Funktionieren gefallen.
Um es kurz zu machen: Obwohl ich immer dachte: ‚Du bist ein guter Pfarrer!’, genügten zwei Menschen, um mir und vielen anderen einzureden, dass genau das nicht stimmt. Mit kaum merklichen Nadelstichen und geschickten Beinstellaktionen hatten sie es am Ende geschafft. Sie stichelten über meine Predigten. Über meine Art Abendmahl zu feiern. Über meine Art, mit Menschen zu reden. Sie führten Listen über meine mangelnde Kompetenz und über alle meine Fehler. Am Ende habe ich nur noch versucht, es allen recht zu machen – vor allem den beiden. Es war keine gute Zeit zum Kämpfen. Und es war keine gute Zeit, harte Entscheidungen zu treffen. Und es war nicht die Zeit, auf die Meinung von anderen zu hören. Es war die Zeit, in der ich mir meiner eigenen Werte wieder sicher werden musste und in der ich mir mühsam wieder die Freiheit erkämpft habe, auf mich selbst mehr zu achten als auf die Meinung der anderen.
Natürlich habe ich Hilfe gehabt. Es gab eine Supervisorin, eine kluge, lebenserfahrene Frau, die mir mein eigenes Ich wieder aus dem Wust von Erwartungen und Hamsterradfunktionieren wieder auszugraben half. Es gab einen guten Personalchef, der mir nüchtern meine Möglichkeiten dargelegt hat. Es gab meine Familie, die mich meinen eigenen Wert immer wieder spüren ließ. Dafür bin ich allen unendlich dankbar. Auch den vielen Freunden, die mich im Gebet begleitet haben und die manchmal für mich mit den Löwen gekämpft haben. Vor allem aber bin ich ihnen dankbar dafür, dass sie alle mir die Kraft wiedergegeben haben, mich für mich zu entscheiden. Und für das, was mir wichtig und richtig erscheint. Unter dem Druck der Verhältnisse war das kaum noch zu erkennen gewesen.
Am Silvesterabend vor drei Jahren war vieles noch unsicher. Aber mir war klar: Ich musste gehen, wenn ich nicht vollständig als Person verschwinden wollte. (Und wer will das schon?)
An jenem dunklen Winterabend war ich traurig. Alles war wie von einer Wolke verdeckt. Ich konnte mir nicht vorstellen, was kommt. Aber es war auch so, als hätte ich wieder mein altes Feuer zurück, das mich wieder den Menschen sein ließ, der ich bin – besser gesagt: Den Menschen, der ich sein wollte: Frei in seinen Entscheidungen und frei von allen Erwartungen und überbordenden Forderungen von Leuten, die es nicht gut mir meinten.
Und wenn sich tagsüber immer eine Wolke über meine Zukunft legte, hatte ich doch in manchen Nächten wieder das Feuer vor mir, das mir Licht für meinen Weg gab.
Ich hatte aufgehört, mich treiben zu lassen. Sondern ich ging wieder selbst. Aus dem scheinbar Bequemen in die unklare Freiheit.
Das alles hat mich anders gemacht. Nicht unbedingt besser. Aber ich kann seitdem besser zu dem stehen, was ich bin. Ich muss mich nicht treiben lassen. Ich habe die Freiheit, aufzustehen und meine Entscheidungen zu treffen und selbst zu gehen. Es hat mich kritischer gemacht gegenüber dem, was andere für das Beste halten. Und genau das halte ich für ein Geschenk des Himmels.
Und GOTT zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
Eine Geschichte ist mir in dieser Zeit wichtig geworden: Sie erzählt davon, wie eine Gruppe ägyptischer Sklaven über Jahrhunderte jeden Tag willenlos getrieben wurde von denen, die über sie bestimmten. Eines Tages sind sie daraus aufgebrochen. Denn es war ihnen klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Mitten in der Nacht sind sie aus ihren sicheren Siedlungen losgegangen. Sie hatten nur eine Wüste vor Augen und eine völlig dunkle Zukunft. Was sie zurückließen, war nicht alles schlecht: Es gab immerhin zu essen und zu trinken. Aber etwas ließ sie wissen, dass die Freiheit und die eigene Würde wichtiger ist als das, was sie hatten. In einer Nacht haben sie ihre Entscheidung gefällt, hatten sich aus allem befreit, was sie abhängig machte, hatten den Mächten Adieu gesagt, die ihnen einreden wollten, dass es ohne sie nicht ginge. Adieu – auf Gott. Auf die Macht der Freiheit hatten sie sich ab jetzt zu verlassen. Der zeigte sich ihnen: Bei Tag als Wolke und bei Nacht als Feuer. Und es ist ein langer Weg gewesen mit unklarem Ausgang. Bis heute sind sie unterwegs und hoffen auf die Ankunft – dort, wo es gut ist. Zwischendurch haben sie viele Durststrecken durchstehen müssen. Zwischendurch haben sie auch gefunden, was einen Vorgeschmack von dem gibt, was sie ersehnen: Es gab die blühenden Landschaften und die große Herrschaft. Und auf ihrem Weg durften wir mit ihnen gehen. Es gab einen, der uns Hoffnung gemacht hat, dass wir auch dazugehören dürfen. Seitdem folgen wir ihnen und der Wolke und dem Feuer. Ich bin sicher: Wir werden ankommen. Denn ich glaube, jeder der sich diesem Weg anschließt, darf die Hoffnung haben: Dieser Aufbruch ist richtig.
Obwohl man manchmal ganz schön müde werden kann. Und weil es immer welche gibt, die immer schon alles wissen: Die wissen, dass wir in der Wüste bleiben und, dass das alles mit uns nichts mehr wird. Manchmal habe ich auch Angst. Angst davor, dass alles Finstere, was wir uns ausmalen, irgendwie doch auch stimmen könnte.
Als ich zu Silvester vor drei Jahren in meiner Dachkammer wach im Bett gelegen bin, habe ich auch ganz oft denken müssen: Was wird sein? Was wird kommen? Was, wenn es keinen guten Ort für Dich geben wird? Es war, als setzte sich die Wolke auf meine Gedanken. Ich war manchmal entsetzt davor, dass ich hier alles aufgeben muss, um ich auf einen Weg zu machen, den ich doch weder sehen noch so richtig glauben kann. Eine neue Stelle, ein neuer Weg – die Frage danach, ob ich überhaupt noch wieder so arbeiten und so fröhlich mit der Welt würde umgehen können, wie ich es gewohnt gewesen bin… Es gab die dunklen Zeiten. Da war nichts mehr gut. Aber im entscheidenden Moment habe ich daran gedacht, dass da welche für mich mit dem reden, der die Freiheit ist. Da ist ein Feuer für mich angegangen – so eins, das auch die bösen Geister bannt. Und ich konnte dann wieder schlafen mit dem guten Gedanken, dass es wird – was auch immer.
Und GOTT zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
Ich habe heute hier eine gute Station erreicht. Ich bin gern, wo ich bin. Manchmal packt mich noch die Trauer darüber, was ich verloren habe, was wir verloren haben. Aber ich bin sicher: Es war gut zu gehen.Manchmal haben die Sklaven aus Ägypten auch gute Stationen erreicht. Manchmal haben sie dazu gehört. Manchmal haben sie gewusst: Hier war Gott am Werk. Feuer und Wolke haben uns den richtigen Weg gezeigt. Aber oft mussten sie auch wieder aufbrechen und trauernd alles zurücklassen. Ich weiß auch: Da wo ich bin, werde ich nicht stehenbleiben. Ich weiß, dass Zeiten kommen und Zeiten gehen. Verrückterweise bringen mir mein Geburtstag und gerade dieser Silvesterabend mit den düsteren Erinnerungen von vor drei Jahren das Kommen, das Bleiben und das Vergehen besonders nah. Ich werde es nicht ändern können: Der Weg geht weiter. Und solange ich die Wolke und das Feuer sehe, habe ich nur eine Bitte: Lass mich durch Dein Feuer entflammen mitten in der Nacht und lass mich auch am unklaren Tag hinter der Wolke Deine Zukunft glauben!
Ein altes Gebet sagt: "Gepriesen seist Du, der Du uns diese Zeit hast erreichen lassen."
Seien wir also dankbar für das, was wir haben! Für ein Jahr, in dem trotz Unordnung und Baustellen auch Schönes entstand, in dem es Ordnung und Beständigkeit gab inmitten politischer Ungewissheit, ein Jahr, das in Menschen Kraft weckte, FÜR etwas zu kämpfen, ein Jahr, das neben Leid auch Freude, Glück und Zusammenhalt brachte - und viel Konfetti. Ein Jahr voller Entscheidungen und Entwicklungen, die nicht immer einfach, sondern auch hart gewesen sind. Und seien wir froh über einen Gott, der uns die Freiheit zum Aufbruch schenkt. Und die Freiheit zur selbst entscheidenden Sicht auf die Welt. In diesem Sinne: Ein frohes neues Jahr!
Amen