Glaube vor dem Tribunal der Philosophen - Predigt zu Apostelgeschichte 17, 22-34 von Rudolf Rengstorf

Glaube vor dem Tribunal der Philosophen - Predigt zu Apostelgeschichte 17, 22-34 von Rudolf Rengstorf
17, 22-34

Liebe Leserin, lieber Leser!

Eine weite Reise wird uns heute zugemutet - eine Reise in das alte römische Weltreich, in dem der Apostel Paulus unermüdlich unterwegs war, um das Evangelium unter die Leute zu bringen. Drei Städte hatten auf seinen Missionsreisen eine ganz besondere Bedeutung. Einmal natürlich Jerusalem - der Mittelpunkt des Volkes Israel, Ort des Leidens und Sterbens wie der Auferstehung Jesu und der Ausgangspunkt der christlichen Kirche. Deshalb kommt Paulus immer wieder nach Jerusalem zurück, um die Verbindung zu Israel und zur Mutterkirche nicht abreißen zu lassen. Und als Ziel seiner Reisen hatte Paulus natürlich Rom im Auge - die Hauptstadt der damaligen Welt. Dort im Zentrum der Macht wollte er dafür einstehen, dass Jesus Christus zum Weltgericht kommen und er allein über das Wohl und Wehe der Menschheit entscheiden wird. Und ziemlich auf der Mitte zwischenm dem Anfang und dem Ziel seiner Reisen liegt die dritte wichtige Stadt - nämlich Athen.

Athen war so etwas wie der geistige Mittelpunkt des römischen Weltreiches. Die Stadt der großen Philosophen Sokrates und Plato und Aristoteles. Das waren damals schon große Denker der Vergangenheit, aber noch ganz lebendig in den philosophischen Schulen, die Studenten aus aller Welt anzogen. Gleichzeitig war Athen auch so etwas wie eine Hochburg der Religionen. Nicht nur der griechischen Religion, die selber ja schon eine Fülle von Göttern hatte, Neben ihnen gab es damals eine Menge von religiösen Kulten, die sich mit Sicherheit auch im Stadtbild bemerkbar machten. Und so war die Stadt voll von Tempeln, , Götterbildern und Altären.Ja, man  scheint es geradezu darauf angelegt zu haben, möglichst alle bekannten Gottheiten der damaligen Welt in der Stadt darzustellen. Um sicher zu sein, dass  dabei kein Gott übersehen war, hatte man auch einen Altar mit der Aufschrift „Dem unbekannten Gott“ errichtet. Und merkwürdigerweise vertrug sich in dieser durchaus überschaubaren Stadt: das aufgeklärte Geistesleben mit Akademien, Professoren und Studenten mit dem religiösen Betrieb von Prozessionen, Beschwörungen, Orakelsprüchen, Tieropfern. In dieser Hinsicht war Athen gar nicht so furchtbar weit weg von uns. Denn das kennen wir ja auch: das schiedlich-friedliche Nebeneinander von wissenschaftlicher Rationalität auf der einen Seite und der Anziehungskraft von Esoterik, Okkultismus und Verschwörungstheorien auf der anderen: der Hang nach dem Verborgenen, Geheimnisvollen, Dunklen, nach all dem, was sich klarer geistiger Durchdringung und wissenschaftlicher Analyse entzieht.

Auf diese Atmosphäre traf Paulus in Athen. Als er beim Streifzug durch die Stadt sah, was da alles verehrt und angebetet wurde, ergrimmte er. Nichts hielt ihn im geheimnisvollen Dunkel der Tempel und Kapellen. Ihn zog es samstags in  die Synagoge und  am Alltag auf den Marktplatz, wo er das Evangelium von Jesus Christus verkündigte. Natürlich hörten ihn auch Anhänger der verschiedenen philosophischen Schulrichtungen, Die einen taten ihn ab als Schwätzer, andere meinten, der Mann käme mit etwas Neuem. Und da – wie Lukas erzählt – alle Athener bekannt waren für ihre Neugier, nahmen sie ihn mit auf den Areopag, das politische Zentrum der Stadt. „Sei so gut“, sagten sie zu ihm, „und erzähl uns, was du an Neuem in die Stadt bringst.“ Und so kam Paulus zu der Ehre im erlauchten Kreis der Philosophen die folgende Rede halten zu können:

Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch,was ihr unwissend verehrt.

Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts. Da wir nun göttlichen Geschlechtes sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.  

Na, das muss die Philosophen überrascht haben, die Paulus eben noch für einen Schwätzer gehalten hatten.  Diese Predigt vertrug sich gut mit dem, was die Philosophen über die Religion dachten.  Dass es unsinnig ist, sich ein Bild von Gott machen und ihn darstellen zu wollen. Denn Gott transzendiert. überschreitet alles Denken und Begreifen. Mit dem ganzen religiösen Betrieb der Stadt konnten die Philosophen genauso wenig anfangen wie Paulus. Aber der eine Altar mit der Aufschrift: Dem unbekannten Gott, der Altar, mit dem die Religiösen sich dagegen absichern wollten, möglicherweise einen Gott nicht berücksichtigt

zu haben, mit diesem einen Altar hatten sie unbeabsichtigt dem Gott der religionskritischen Philosophen einen Platz eingeräumt. Und das hatte ausgerechnet dieser fremde Prediger entdeckt! Den Blick dafür hatte Paulus aus dem Judentum, in dem er aufgewchsen war, mitgebracht. Der Gott Israels hatte sich stets jedem menschlichen Zugriff entzogen. Einen Tempel hatte er nur bauen lassen, damit die Juden einen Platz hatten, an dem sie Gott  in großer Gemeinschaft anrufen konnten.  Der Raum, der sonst im Tempel als das Allerheiligste galt und in dem das Bild des Gottes, der dort verehrt wurde, stand, im Tempel des Gottes Israels war dieser Raum leer, Die Kritik der Religion, die von  den Philosophen betrieben wird, haben die Juden sozusagen im Blut. Und das ist ein Erbe, das wir Christen im Umgang mit Religion sorgsam bewahren wollten. Bei aller gebotenen Toleranz gegenüber anderen Religionen und religiösen Praktiken in unseren Kirchen darf es keinen Zweifel daran geben, dass es dem Menschen nicht gegeben ist, Gott aus dessen Hand wir kommen, in unsere Hand zu nehmen und dingfest zu machen. Und wir haben keinen Grund, religionskritischen Philosophen aus dem Wege zu gehen. Mit Juden und Muslimen haben wir vieles gemeinsam mit ihnen.

Freilich ist das nicht alles, was Paulus zu sagen hatte. Was ihn auf seine Weltreisen triib, ist, dass er sich gesandt weiß von dem, an dem das Wohl und Wehe der Menschheit hängt. Und davon redete er jetzt:    

Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

Also: Dass wir über Gott letztlich nichts sagen können, unser Leben lang in Skepsis oder auf der Suche nach ihm bleiben müssen, dabei hat Gott es nicht bewenden lassen. Er hat einen Menschen dazu bestimmt, uns Gott so nahezubringen, dass wir unser Leben in Verantwortung vor ihm führen können. Das gilt nicht nur für die Lebenszeit dieses Menschen, sondern für alle Zeit, weil Gott ihn von den Toten hat auferstehen lassen und alle von seinem Leben mitbekommen. Den Namen Jesu Christi lässt Paulus hier unerwähnt. Offenbar hat er auf die Neugier seiner Höhrer setzt und damit gerechnet, dass sie nachfragen würden und er ausführlich von Jesus erzählen könnte. Doch weit gefehlt:

Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, so b erichtet Lukas weiter, begannen die einen zu spotten, die andern aber sagten: Wir wollen dich darüber ein andermal hören

Kommt uns das nicht bekannt vor? So allgemein lässt sich ganz gut über Religion reden. Und zumindest unter klugen Leuten macht man sich damit nicht lächerlich. Doch wenns darum geht, dass wir unseren Glauben an diesem einen Menschen festmachen und wir in ihm auch heute den Platzhalter Gottes sehen, dann setzen wir uns leicht der Lächerlichkeit aus, zumindest stellt sich Distanz ein. Ich jedenfalls kenne das nur zu gut: Da öffne ich mein Herz, versuche, deutlich zu machen, worum es mir im Innersten geht: um  diesen Menschen Jesus,  der mir  in  seinem einprägsamen Reden und beispielhaften Tun Gott so nahe bring t, dass sich dabei eigentlich alle Fragen von selbst erledigen. Und dann merke ich, wie Gesprächspartner oder auch Predigthörerinnen und –hörer auf Distanz gehen. Das ist zutiefst enttäuschend. Doch dann tröstet es mich, dass es Jesus und seinen Aposteln nicht anders gegangen ist. Und dennoch haben Menschen sich ja auf den Glauben eingelassen. Denn, das war bei mir ja nicht anders, das Herz braucht seine Zeit, braucht Abstand Einsicht, bevor es sich festzumachen vermag.

Davon ist am Ende etwas zu spüren.

Er ging von ihnen fort. Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig. Unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

„Er ging von Ihnen fort“. In diesen Worten steckt: „aufrecht, erhobenen Hauptes“. Weil er ihn, den er gerade verkündigt hatte, an seiner Seite wusste. Er ist die Kraft, die Paulus hielt.  Das müssen die paar Männer, unter ihnen Dionysios, der spätere Bischof der Gemeinde, und eine Frau namens Damaris, gespürt haben. Sie schlossen sich ihm an, bekamen etwas mit nicht nur von seiner Lehre, sondern auch von seinem Leben und kamen zum Glauben. Und dass dieser Text für den Sonntag Jubilate ausgesucht wurde, hat wohl seinen Grund zum einen darin, dass christlicher Glaube den Dialog mit den Klugen dieser Welt nicht zu scheuen braucht. Zum andern aber auch und wohl vor allem darin, dass der Glaube an Jesus Christuser auch unter Spott und Skepsis Früchte trägt. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Mir steht vor Aaugen, dass meine Predigt von Menschen gelesen wird, die ich nicht ken-ne, die  offenbar  Interesse an einer  Predigt für diesen Sonntag haben.. Einige von ihnen sind möglicherweise KollegInnen, dioe Anregungen für ihre Predigt am Sonntag suchen. Ich hoffe, dass ich ihnen mit dieser Predigt dienen kann, weise allerdings daraufhin, dass Veränderungen fürs Hören vorgenommen werden müssen, vor allem durch Kürzen der der  längeren Sätze.0

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Nähe des Gottes Iaraels, von dem kein Bild zu machen ist, und philosophischer Religionskritik.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Das religiöse Diskurse wie auch PredigtenEleicht auf Distanz stoßen, gerade  wenns um den Kern  des christlichen Glaubens geht.Mich darauf einzustellen, dass Glaube Ab-stand, einsicht, Zeit braucht, um  sich in den Herzen zu verankern.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das Coaching hat mir geholfen, gerad diesen Punk t am Ende deutlich herauszuarbeiten.

Perikope
25.04.2021
17, 22-34

Einer pöbelt für mich - Predigt zu Apostelgeschichte 6,1-7 von Katharina Loh

Einer pöbelt für mich - Predigt zu Apostelgeschichte 6,1-7 von Katharina Loh
6, 1-7

mit Paul Niemand von Falk Richter.

(ZWISCHENRUF)
Das Universum schwieg. Das Universum hatte noch nicht bemerkt, dass ich da war. Aber ich war da. Ich war ein kleiner Junge unter der Sonne, und ich redete in tausend Stimmen, denn keiner wollte mit mir zusammensein, keiner wollte mit mir spielen. Also war ICH all diese Menschen, die ich brauchte, um zu überleben.
Ich war nicht mehr allein, ich war die ganze Welt, alles, was ich brauchte, und ich sprach zu mir, und ich kämpfte mit mir, und ich war alle Menschen und alle Gedanken, ich war alles!


I
Sie mussten selbst gucken, wo sie bleiben. Keiner sah sie, keiner interessierte sich für sie.  Helft euch selbst! Und den Witwen in Jerusalem hängt der Magen in der Kniekehle. Nicht den einheimischen Witwen, sondern den zugezogenen Witwen. Sie wurden bei der täglichen Versorgung übersehen. Sie mussten selbst gucken, wo sie bleiben. Ein handfester Skandal. Zumal in einer christlichen Gemeinde, denn hier vermutet man soetwas doch eigentlich nicht. Aber auch hier gab es Lager. Es gab die, die schon immer hier lebten und hebräisch sprachen. Und die, die jahrelang weg waren und jetzt zurück gekommen sind und griechisch  sprachen. Und ein Murren erhob sich unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.


(ZWISCHENRUF)
Ist da jemand? Hallo! Hallo! Ist da jemand?  Hört mich hier wer? Paul Niemand, das bin ich. Zu alt für einen Neuanfang, zu jung, um sich schon aufzugeben, in ein paar Jahren ist das alles vorbei, in ein paar Jahren bin ich einer dieser Männer, die diese schlabbernden Cordhosen tragen und dummes Zeug reden im Hausflur,  während sie den Müll raustragen, denen niemand mehr zuhört, weil es sowieso egal ist, was die sagen, denen alle immer zustimmen und jaja sagen und weitergehen. Einer dieser Männer, die auch nicht wirklich stören, weil es egal ist, ob sie da sind oder nicht da sind, weil es gar keinem so richtig auffällt. Ist da jemand? Hallo! Hört mich hier wer?


II
Übersehen werden.  Das Gefühl kennt - einer Studie zufolge - jeder Dritte. Unter uns lebt also ein unsichtbares Drittel. So viele Menschen haben, zumindest in bestimmten Lebensbereichen, das Gefühl, unsichtbar zu sein. Wie Luft. Alleinstehende Frauen etwa. Sie sind bis heute die am meisten armutsgefährdete Gruppe  unserer Gesellschaft. Wie die Witwen damals. Angewiesen, aber nicht gut versorgt. Mit Kindern oder ohne. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Die anderen kriegen ja auch nichts geschenkt. Aber auch Menschen mit auskömmlichem sozialen Status und sicherem Job, kennen solche Gefühle. Du kommst durchs Leben, du bewerkstelligste deinen Tag Hast aber das Gefühl, einfach nicht gesehen zu werden. Nicht wahrgenommen. Nicht so wirklich.
(ZWISCHENRUF)
Ich buche mir jetzt regelmässig Flüge. Und da sitze ich dann am Gate und warte. „Paul Niemand bitte zum Boarding.“ rufen Sie. Aber das mache ich nicht. Ich bleibe einfach sitzen. „Paul Niemand, bitte, Paul Niemand.“ Und ich sehe, wie alle unruhig werden, weil sie Angst haben, zu spät zu kommen, Und dann erklingt über alle Lautsprecher immer wieder mein Name. PAUL NIEMAND. Und keiner kann los, weil ich noch nicht da bin.


III
Wie gut den Witwen das wohl getan hat. Als andere für sie auf die Hinterbeine gegangen sind. Das Murren FÜR SIE. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie gut das tut. Wenn ich gesehen werde und wenn ich mir nicht ständig selber die Brücke vertreten muss. Und wenn ich mir nicht ständig selber die Butter auf meinem  rot verteidigen muss. Wie gut das tut, wenn einer mir gönnt und gibt, Wenn einer nach mir fragt, wenn einer mir auch mal die Brücke vertritt. Wenn EINER PÖBELT FÜR MICH!


IV
Und DIE MURRER haben etwas bewegt. Das Leitungsgremium der Gemeinde kann die LAUTSPECHER nicht überhören. Also haben sie die Menge zusammengerufen und gesagt: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und zu Tische dienen. 3 Darum, liebe Brüder, seht euch um nach sieben  Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Geistes und Weisheit sind, die wollen wir bestellen zu diesem Dienst. Sie haben etwas bewegt. Sieben Menschen werden zum Dienst bestellt. Und die Witwen sind versorgt.


V
Durch Organisation gelöst. Das machen wir bis heute. „Wenn du nicht mehr weiter weisst, gründe einen Arbeitskreis.“ Ein Satz- gemischt aus Ironie und Wahrheit. Kein Gremium kann alles alleine machen, man muss sich schon aufteilen, Aufgaben delegieren. Das gilt für Unternehmen, Kirchengemeinde, sogar Familien. Man muss sich schon aufteilen, wenn jeder bedacht werden soll und sich keiner dafür totmachen will. Viele Schultern. Und so glaube ich, will die Entscheidung in Jerulsam verstanden sein. Die Zwölf  sind sich nicht zu fein für den Tisch Dienst, sie wissen nur: Alleine geht es nicht. Man muss sich schon aufteilen! Wer geht einkaufen? Wer schreibt den Brief? Oder wie in Jerusalem: Wer hat Tischdienst und wer ist für die geistlichen Reden zuständig?


VI
Wir teilen uns auf! Das tun wir als Kirche und Diakonie schon viele Jahre. Und jeder hat hier seine Aufgabe. Wir haben uns auch aufgeteilt, als wir als Kirche ein Schiff gekauft haben, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Die einen gaben Geld, die anderen Zeit und ihr Gebet. Und unsere Kirche wird dafür angefeindet.
Warum wir uns um solche kümmern, Kirchgelder verschleudern, um Menschen aus Nöten zu helfen, in die sie sich doch selbst gebracht haben: in die Hände der Schlepper. Die wollen sich eine Zukunft in Europa erzwingen! Ja natürlich! Was denn sonst?! Es hagelt Briefe und Austritte. Und ich denke mir, das ist auch gut so, dass Menschen frei sind, zu gehen, denn wer in dem Ansinnen, Leben zu retten, seine Kirche nicht findet - der ist vermutlich auch noch nie so ganz in ihr angekommen.


VII
Wir haben uns aufgeteilt. Auch ihr habt euch aufgeteilt, liebe Julia und Sebastian, mit der Taufe eurer Tochter. Denn es ist gut, wenn da noch mehr sind, als nur Mutter und Vater. Darum Paten und Zeugen, darum ein Segen und eine ganze Gemeinde. Weil es ist gut, wenn welche da sind. Die helfen, die hinschauen, die im Zweifel für einen murren und lautsprechen. Keiner sollte alleine sein. Keiner sollte sich alles selbst sein müssen.


(ZWISCHENRUF)
Mein Name wird immer wieder durch den Lautsprecher gerufen. Jetzt bewege ich mich, aber ganz langsam. Ich will diesen Namen noch ein paar mal hören. Ganz langsam bewege ich mich Richtung Gate, Gate 1, 2, Gate 3 und 4, ich dreh mich noch mal um, schaue noch eine Weile nach draussen, Gate 5, Gate 6, Gate 7,
die warten auf mich, das weiß ich, ist viel zu aufwändig, meinen Koffer wieder auszuladen, Gate 8, Gate 9, Gate 10, PAUL NIEMAND PAUL NIEMAND BITTE ZU GATE 17 die werden alle zu spät kommen, wenn ich abwesend bin, bemerkt mich jeder.


VIII
Es gibt Niemande in der Geschichte. Und jeder von Ihnen hat einen Namen. Und ein Recht auf Achtung und Wahrung der Würde. Und trotzdem passiert es. Dass Menschen übersehen werden. Ungeschützt, unbeachtet. Ihrer Rechte beraubt. Es passiert uns. In uns. Und durch uns. Es passiert. Jede Gemeinschaft, tut gut daran, das nicht zu leugnen und zu üben, dass wir das besser machen, Wir müssen heute vielleicht mehr den je Lautsprecher der Übersehenen sein. und so lange fragen: Wer machts? Wer kümmert sich hier? Bis einer sagt:

Ich!

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Katharina Loh

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich sehe vor mir eine Gruppe tendentiell älterer Menschen, die den biblischen Text schon einmal gehört haben dürften. Daneben sehe ich eine Tauffamilie, die mit der „Gottes-dienstgemeinde“ nicht bekannt ist und ich weiss um - analog zum biblischen Text -  aus-schliessendes Verhalten auch in unserer eigenen Gemeinde. Menschen, die übersehen werden und jene, die übersehen.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Hilfreich war mir die Anerkennung des Skandals, der in dieser Situation des Überse-hens begründet liegt und die Tatsache, dass eine Lösung des Konfliktes schon in der Organisation beginnt und zwar auch im Delegieren. Nicht einer muss alle in den Blick nehmen, sondern viele sehen einen Ausschnitt. Es braucht eben soviele Ämter, bis alle gesehen sind. Das wäre auch für mich rechtverstanden -  Priestertum aller Gläubigen.  

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Nicht leugnen, dass wir (bisweilen) ignorante Herzen sind. Sich selbst wie eine Fliege vorm inneren Gesicht herumschwirren und sich davon abhalten, sich einzurichten in dieser Ignoranz gegenüber dem Leid anderer. Das nehme ich mit.
(Gut zusammen fasst das ein Gebet von Nadja Bolz-Weber): Gott, bitte hilf mir, mich nicht wie ein Arschloch zu verhalten.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Eine Nacht drüber schlafen.

Perikope

Erinnere uns an den Anfang - Predigt zu Apostelgeschichte 4,32-37 von Anne-Kathrin Kruse

Erinnere uns an den Anfang - Predigt zu Apostelgeschichte 4,32-37 von Anne-Kathrin Kruse
4,32-37

Ein Traum von Abi- Klasse

Weißt du noch? Wie frisch verliebt waren wir alle miteinander. Ein Herz und eine Seele.
Unsere kleine, feine Oberstufen-Klasse, Altsprachlicher Zweig. Gerademal zwölf waren wir noch. Sechs Schülerinnen, sechs Schüler. Ständig hingen wir zusammen. Konnten uns blind aufeinander verlassen. Eine verschworene Gemeinschaft.
Konkurrenz war ein Fremdwort, Strebertum undenkbar. Bewundert haben wir einander für das, was die Andere konnte. Stolz waren wir auf den Erfolg des Anderen.
Und eine genial funktionierende Arbeitsteilung: eine Stunde vor Unterrichtsbeginn verteilte der jeweilige Fachexperte die fertigen Hausaufgaben an den Rest der Klasse. Niemand behielt etwas für sich. Alles wurde geteilt. Täglich traf man sich nach der Schule bei Theo, dem Kneipenwirt um die Ecke. Teilten, was es gab. Weißt du noch, damals?

32 Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. 33 Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. 34 Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte 35 und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte. 36 Josef aber, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das heißt übersetzt: Sohn des Trostes –, ein Levit, aus Zypern gebürtig, 37 der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen.

Erinnere uns an den Anfang.
Am Anfang, als Leben begann,
sprachst du zu uns: ihr seid willkommen,
hast du an die Hand uns genommen.

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

Ein Herz und eine Seele – damals in Jerusalem

Weißt du noch? Erinnerung an den Anfang. Als alles begann. So war es einmal – oder mag es gewesen sein… Ein Herz und eine Seele waren sie, diese kleine jüdische Gemeinde in Jerusalem, die an Jesus, ihren Messias, glaubte. Von seiner Auferstehung ging eine ungeheure Kraft aus. Niemand war dabei gewesen, und doch glaubten sie daran. Wie frisch verliebt! Ständig hingen sie zusammen, konnten sich blind aufeinander verlassen. Eine verschworene Gemeinschaft, zu der jeder das beitrug, was er konnte. Da gab es keine Konkurrenz, keinen Neid auf das, was die Nachbarn hatten. Auf Privatbesitz verzichteten sie, teilten, was es gab. Es war ihnen alles gemeinsam. Und das fiel nicht einfach vom Himmel… oder doch?!

Erinnerung an Gottes Weisung fürs Leben

Auch sie in der Jerusalemer Gemeinde erinnerten sich an den Anfang: Du weißt doch noch: Unsere Vorfahren damals in der Wüste Sinai! Weit und breit nichts als Sand und Steine. Und ein hoher felsiger Berg, den Gipfel in Wolken gehüllt. Mose war hinaufgestiegen, ganz allein. Um mit Gott zu reden. Mit Gott persönlich!
Nicht wohl war ihnen bei dem Gedanken. Wer wusste schon, ob er da heil wieder runter kam…
Gewartet haben sie, Stunde um Stunde. Als sie schon nicht mehr mit ihm gerechnet hatten und aufbrechen wollten, tauchte er plötzlich auf, ganz klein, kaum zu sehen in dieser gigantischen Felswand. Mit zwei Tafeln im Arm. Gottes Tora, seine Weisung. Sie hat unsere Vorfahren und auch uns selbst begleitet, und soll das auch weiterhin tun. Jesus hat uns darin immer wieder bestärkt, Gottes Weisung wie einen Schatz hochzuhalten, dass sie uns Orientierung gibt, hilft, tröstet - fürs Leben.
Und du weißt doch: das wichtigste Gebot in der Tora heißt: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ Mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele – Gott lieben und den Nächsten. Darin sind wir eins. Ein Herz und eine Seele.

Das Land gehört uns nicht

Auch nicht einer von uns sagt von seinen Gütern, dass sie ihm gehören, sondern es ist uns alles gemeinsam. Auch das haben wir uns in unserer kleinen jüdischen Gemeinde in Jerusalem nicht ausgedacht. Erinnerst du dich? Denn Gott sagte schon unseren Vorfahren in seiner Tora: Ihr sollt das Land nicht auf Dauer verkaufen, denn es ist mein Land, ihr sei meine Gäste.
Das Land gehört uns nicht.
Immobilien bergen die Gefahr, andere abhängig zu machen. Aber: Reichtum verpflichtet – nämlich dazu, dass es niemanden geben soll, der verarmt. Deswegen wird bei uns alles verkauft und der Erlös der Gemeindeleitung übergeben. Damit keiner unter ihnen ist, der Mangel hat.

Erinnere uns an das Staunen.
mit staunendem offenen Blick
hast du uns als Kinder gesegnet,
sind wir allem Neuen begegnet.
 

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

So viel haben, wie jede und jeder braucht

Und noch etwas, woran sich die kleine jüdische Gemeinde, die an ihren Messias Jesus glaubte, gehalten hat: Man gab einem jeden, so viel er brauchte.
Zurück zu den Vorfahren in der Wüste. Jeden Tag dieser Sand! Er knirscht zwischen den Zähnen. Verstopft die Ohren. Außerdem haben sie Hunger. Und schlechte Laune. Dabei hatte Gott ihnen ein Land versprochen, in dem nicht nur wenige mehr als genug haben und der Rest leidet Hunger, sondern alle sind glücklich. In dem jede und jeder so viel hat, wie er und sie braucht. Zuneigung. Brot. Frieden.
Plötzlich fängst es an zu knistern. Es regnet… es regnet Krümel, die süß schmecken. Manna.
Nimm, so viel, wie du brauchst, sagt Gott. Nicht: Nimm, so viel Du kriegen kannst. Dann nehmen die einen viel, und für die anderen bleibt nichts übrig. Darum beten wir: Unser täglich Brot gib uns heute…täglich neu, so viel, dass alle genug haben, und die Preise durch Warentermingeschäfte nicht künstlich hoch gehalten werden. Das, was zu viel ist, verdirbt - auch den Charakter.
Deshalb das, was du wirklich brauchst, gibt Gott uns täglich neu – Himmelsbrot – Brot und Himmel, Güte und Segen, Wasser und Liebe. Alles, was ich nicht festhalten kann. Denn festhalten verdirbt. Bringt aus dem Gleichgewicht. Den Körper, die Seele, die Liebe. Ja, auch die ganze Erde. So viel Müll. So viel Ungerechtigkeit. So viel Gezocke. So viel Gewissenlosigkeit.

Dabei ist doch genug da! Das Himmelsbrot – leise fällt es uns in die Hand. Nähe, die wärmt. Arbeit, die satt macht.
(Nach Anregungen von Kirsten Fehrs, Predigt zur Kirchentagslosung Ex 16 im Eröffnungsgottesdienst zum Hamburger Kirchentag 2013)

Erinnere uns an Erfahrung.
Erfahrung, die uns heute prägt,
hat uns auch durch Trauer geleitet,
hat unseren Glauben geweitet. 

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

Wann werden wir endlich so, wie wir nie waren? (nach J.M. Modeß, GPM 74, S.332)

Das Leben Israels in der Wüste, Gottes gute Gebote, die zum Leben in Gerechtigkeit helfen, das Leben der kleinen Gemeinde in Jerusalem, die an ihren Messias Jesus glaubte und alles miteinander teilte…War das alles nur ein Traum? Eine Utopie, die sowieso nicht funktioniert?
Damals – wie frisch verliebt? Es gab ja auch das Murren, die Sehnsucht zurück in die Sklaverei an den Fleischtöpfen Ägyptens. Vielleicht waren sie nie ein Herz und eine Seele.
Umso drängender die Frage: Wann werden wir endlich so, wie wir nie waren? Wann verlernen wir das Festhalten, und lernen abzugeben? Wann werden wir endlich so gerecht, wie wir nie waren?
Und zwar so, dass alle etwas einzubringen haben. Dass wir Güter und Lasten, Schulden und Ideen nicht für uns behalten, sondern teilen. Wahrscheinlich wohl nie.
Die Corona-Krise hat uns überdeutlich gezeigt, wo unser Zusammenleben im Argen liegt. Dass wieder einmal die Ärmsten der Armen besonders gefährdet sind, auch in Deutschland. Und die Berufsgruppen, die am dringendsten gebraucht wurden - die Pflegekräfte, die Verkäuferinnen, die Leiharbeiter – mit am schlechtesten bezahlt werden.

Aber ohne die Sehnsucht nach einer gerechten Welt gäbe es die vielen kleinen Schritte nicht, die es jetzt schon gibt: In neue Technologien investieren, die unser Klima nicht weiter zerstören. Klimaziele verfolgen, die verhindern, dass die schweren Klimaveränderungen zuerst die Armen der Ärmsten treffen…Arbeit und Brot teilen, soviel jeder und jede braucht. Ganz kleine Schritte hin zu einer gerechten Welt, wie Gott sie gewollt hat. Dazu gehört hinzuschauen, mitzufühlen, aufstehen gegen den Hass und die Hetze - Himmelsbrot, gerecht geteilt, denn es ist genug da, aber es lässt sich nicht festhalten.

Erinnere uns an das Ende,
ans Ende, wenn du zu uns sprichst:
Willkommen seid ihr. Euer Bangen
Ist gänzlich in Liebe umfangen. 

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

Verliebt in die Zukunft

Weißt du noch? 40 Jahre ist das Abi her. Eine lange Zeit – so lange wie Israel nach seiner Befreiung durch die Wüste gezogen ist. Kaum erkennen wir uns wieder. Ergraut, beleibt. Nach und nach entdecken wir altvertraute Gesichtszüge, ein bekanntes schelmisches Lächeln blitzt auf, immer noch strahlende Augen. Neugierig aufeinander, entdecken wir uns wieder.
War eigentlich wirklich alles so traumhaft? Was ist aus uns geworden? Die kleine Fachwerkstadt bleibt uns. Noch immer sind wir verliebt, aber nicht mehr in die Vergangenheit. Frisch verliebt in die Zukunft! Denn die Verheißung bleibt. Macht Lust auf neues Leben, auch wenn wir nicht mehr taufrisch sind. Die Verheißung, sich an Gottes Wort als Weisung zum Leben zu halten. In der Gemeinschaft zu bleiben. Himmelbrot zu teilen mit denen, denen es nicht so gutgeht wie uns. Gott zu loben. Gesicht zu zeigen.

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

So soll es sein. Das heißt: Amen.

Das Kirchentagslied „Erinnere uns an den Anfang“ kann zwischen den Abschnitten gesungen bzw.in Coronazeit gespielt und mitgelesen werden.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Anne-Kathrin Kruse

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die St. Michaelskirche in Schwäbisch Hall gilt unter den selbstbewussten Haller Bürger*innen als ihr „Wohnzimmer“, vorzugsweise zu den Hoch-Zeiten städtischer Events. Während die Gottesdienstgemeinde sich sonst aus der ganzen Region einschließlich der Tagestouristen zusammensetzt, hat sich seit der Coronazeit ein neues Gemeinschaftsgefühl etabliert. Man schaut nacheinander und freut sich, sich wieder zu sehen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Menschen tauschen Erinnerungen aus und verklären diese mitunter kräftig. Gleichwohl verraten diese Verklärungen etwas von der Verheißung und den daraus resultierenden Hoffnungen, von denen der Glaube lebt. Diese Hoffnungen, Träume, Visionen von einer gerechten Welt im Sinne von Gottes Gerechtigkeit, die eben nicht blind ist, möchte ich stark machen. Denn sie machen uns lebendig. 

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Besondere Freude haben mir die Entdeckungen im Text gemacht, die sich auf Quellen und Parallelen im Alten Testament rückbeziehen und mir dadurch den Zugang zum Text wie zu heutiger Lebenswirklichkeit erleichtert haben. Sie helfen mir auch, biblische Texte nicht vorschnell zu individualisieren oder zu spiritualisieren. 

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Monika Hautzinger hat mir wichtige Hinweise v.a. zu Predigtstruktur und Perspektiv-wechseln gegeben – vielen Dank! 

Perikope

Schaue den Himmel mit meinem Gesicht – Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-21 von Kirstin Müller

Schaue den Himmel mit meinem Gesicht – Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-21 von Kirstin Müller
2,1-21

Der Titel entstammt dem Paul Gerhardlied: Die güldne Sonne EG 449,1-4  

(Ob Pfingsten gesungen werden darf? Vielleicht ist es möglich, die Melodie des Liedes zu spielen und die Strophen zu lesen, vor allem die erste mit der schönen Zeile: Schaue den Himmel mit meinem Gesicht. Die Predigt hat zwei Teile, einen erzählerischen Teil 1 und einen meditativen Teil 2. Zwischen beiden Teilen kann das Lied O Heilger Geist kehr bei uns ein, EG 130,1+2, gespielt (gesungen) werden. Ich habe einen Teil für Gottesdienst drinnen und Gottesdienst draußen ersonnen. Ich setze den Bibeltext als gelesen voraus. Bibelzitate sind kursiv)

Teil 1

Drinnen

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Wie hören Sie die Pfingstgeschichte heute – hier im Kirchraum, mit Abstand und Atemschutz? Versammelt mit manchen (wahrscheinlich nicht allen) an diesem Ort?  Die Pfingstgeschichte bringt ja einiges an Menschenmenge,  Lautstärke und Bewegung mit: volle Häuser und Straßen, lautes Stimmengewirr. Das Brausen von Geistkraft! Da ist richtig was los:  Gottes Wort will Gehör finden. Will mit Macht hinaus – in die weite Welt hinein. Etwas will neu und anders werden. Lassen wir sie heute unter uns wirken.

Draußen

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Wie hören Sie die Pfingstgeschichte heute hier draußen? Gemischt mit dem Rauschen der Blätter und Geräuschen der Straße? Mit Augen und Ohren bei all dem, was draußen zu sehen und zu hören ist? Pfingsten erzählt eine Geschichte vom Draußen: Gottes Wort strebt nach draußen. In die Welt hinein.

Vorbei ist die Zeit des kleinen, abgeschlossenen 12er/Jünger_innenkreises. Vorbei ist die Exklusivität. 120 Menschenwesen sind es schon, die sich zu den Geschwistern zählen. Viele sind es, die 50 Tage nach Ostern in Jerusalem in einem Haus zusammenkommen. Eng stelle ich es mir vor. Aufregend. Und nicht still.  Schon recht früh am Morgen, zur dritten Stunde, um 9 Uhr also, tost und braust es gewaltig im Haus. Wie bei einem Sturm. Und auf jede und jeden im Haus setzt sich eine Feuerzunge. Da ist richtig was los – laut und machtvoll werden die Versammelten gepackt und ergriffen.  Außerdem fangen alle gleichzeitig an, in allen möglichen Sprachen drauflos zu reden. Das entwickelt eine eigene Lautstärke.  Kein Wunder, dass hier etwas aus dem Haus nach draußen dringt und gehört wird. Kein Wunder, dass viele herbeigelaufen kommen und sich wundern.

Das Gotteswort dringt nach draußen in die Straßen Jerusalems. Es ist Wochen-Ernte-Festzeit. Viele Menschen aus aller Welt sind in Jerusalem versammelt. Die herbeigelaufen sind, hören und verstehen was gesprochen wird. Jede und jeder in der ihnen vertrauten Muttersprache. Die mit Geistkraft durchwirkte Sprache der  Versammelten macht das möglich. Fantastisch!  50 Tage nach Ostern gibt es kein Zurückhalten mehr: Die Jesusnachfolgenden öffnen Mund, Herz und Verstand, alle sprechen und predigen drauflos. Sie reden von den großen Taten Gottes. Sie bringen sie – durch die Fenster und Türen des Hauses hinaus - zur Welt! Das wirkt. Viele laufen herbei, bleiben stehen, wundern sich. Nachdem sie zunächst vielleicht nur sprachlos gestaunt haben, tauchen jetzt Fragen auf: Was ist denn da los? Sind die besoffen? Das gibt’s doch gar nicht, das geht doch nicht – höre ich sie durch die Fenster und Türen in das Haus hineinrufen. „Doch, das gibt es. Doch, das geht“, sagt diese Geschichte.

Jetzt ist es Zeit, ans Fenster, an die Tür, vor das Haus zu treten. Die 12 tun das. Wie früher. Jedenfalls fast. Denn Judas ist nicht mehr dabei. Für ihn ist Matthias ausgelost worden. Diese 12 treten auf. Petrus ergreift das Wort. Ordnet das Durcheinander der Sprachen, indem er ein altes Prophetenwort zur Hilfe nimmt: (Joel 3,1-5)

„So wird es sein in den letzten Tagen – spricht Gott – da will ich meine Geistkraft ausgießen auf alle Welt. Eure Söhne und Töchter sollen prophetisch reden, Eure Jugendlichen Visionen haben und Eure Alten Träume träumen. Selbst die Unfreien, Sklavinnen und Sklaven, werden weissagen können. Am Ende der Zeit wird alles feurig und blutig, rauchig und finster werden. Dann aber wird der Tag Gottes kommen, groß und glanzvoll und die Gottes Namen anrufen, werden gerettet werden.“

Es ist in all dem Lärm und Sprachgewirr gut zu hören, dass es um Rettung geht. Um Träume und Visionen als Weg zu Gott. Geistvoll. Wirklich. Die, die Petrus zuhören, fragen: „Was sollen wir tun?“ Petrus antwortet: „Ändert Euch. Lasst Euch taufen auf Jesu Namen. Dann werden Eure Sünden von Euch genommen und  ihr werdet die Heilige Geistkraft empfangen.“ (Apg 2, 37-41) Petrus war überzeugend. An jenem Tag kamen noch 3000 Personen dazu.  So war es - erzählt die Geschichte von Pfingsten – als die Jesusnachfolgenden von Geistkraft ergriffen wurden und das geistdurchwirkte Wort Gottes nach draußen, in die Welt kam.

 

Lied: EG 130 1+2 O Heilger Geist kehr bei uns ein – auch hier ist es möglich, die Melodie zu spielen und die Strophen zu lesen

Teil 2: (meditativ - drinnen)

O Heilger Geist kehr bei uns ein und lass uns Deine Wohnung sein … Wie können wir an dieses erste Pfingstfest anknüpfen? An Gottes rettendes Wort, das der Geist verteilt.

Ein erster Anknüpfungspunkt ist ja, dass wir damit beschäftigt sind, uns um Rettung zu bemühen. Abstand, Atemschutz, Desinfektion. Neue Formen von Kontakt ausprobieren. Und wir haben in den letzten Wochen Erfahrungen gesammelt, was uns rettet, wenn uns die Decke auf den Kopf fällt, der Raum zu eng wird, wir Menschen vermissen, uns angesteckt haben oder vom Virus bedroht fühlen.

Was hat uns gerettet? Ein Telefonat, ein Winken durchs Fenster, Hausputz, puzzeln, Lieder singen…… Das kleine alltägliche Tun verbindet uns mit dem großen Traum von Rettung. „So wird es sein – spricht Gott – ich will meine Geistkraft ausgießen auf alle Welt. Eure Söhne und Töchter sollen prophetisch reden, Eure Jugendlichen Visionen haben und Eure Alten Träume träumen.“  Sind Träume gesprossen – in den letzten Tagen? Wochen? Haben sie sich verändert? Und: welche Träume nähren nicht die Angst, sondern dass Vertrauen? Finde ich in ihnen Antworten auf die große Frage im Außen der Pfingsterzählung:  Was will das werden? Wie kann ich das, was mein Vertrauen nährt, teilen? Dass etwas davon durchdringt. Von drinnen nach draußen. Vielleicht indem ich nicht aufhöre zu erwarten, dass das, was werden will, gut ist.  Von Gott her steht immer Rettung aus.  Vielleicht indem ich den Dingen da draußen ihren Lauf lasse, aber immer mal  wieder aus dem engen Raum meiner Angst und Sorge heraustrete.  Mich der Weite Gottes, die ich nicht ganz verstehe, anvertraue. Und mich der Größe des Verstehens durch Gottes Geist überlasse, in allen Sprachen der Welt und der Herzen.  Gottes Geist ermutigt mich zu träumen von Nähe und Gesang, von Begegnungen und Berührungen.

Ohne Gefahr.Und damit dem Rettenden, dem, was kommen und sein wird, von Gott her, schon jetzt in und bei mir einen Raum zu bewahren. Damit es in der Welt bleiben und wachsen kann. Ich will nicht aufhören, den Himmel mit meinem Gesicht zu schauen. Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir mit unserem Verstand begreifen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Teil 2: (meditativ - draußen)

O Heilger Geist kehr bei uns ein und lass uns Deine Wohnung sein … Wie können wir an dieses erste Pfingstfest anknüpfen?

Ein erster Anknüpfungspunkt ist ja, dass wir auch draußen sind. Und mit uns das Gotteswort. Und andere Menschen. Wir zeigen unseren Gottesdienst her – andere können uns sehen und hören. Sie können sich über uns wundern oder uns nach unserem Glauben befragen (über den Zaun hinweg): „Was ist da los?“

Und wir können schauen. Wir können den Himmel mit unserem Gesicht schauen – wie es im Anfangslied hieß.  Das Schauen verbindet uns mit der alten Prophezeiung, an die sich Petrus damals gehalten hat. Schauen bedeutet biblisch gesehen auch träumen, Visionen haben, weissagen, prophezeien. Schaue den Himmel mit meinem Gesicht….

Spüren Sie: Sonne auf der Haut, Luftzug und Wind, Regentropfen… Schauen Sie sich um: Draußen gibt es viel zu sehen.  (Zeit, das konkrete Draußen wahrzunehmen. Bestimmt wird es frisches Grün, allerlei Lebensgeräusche u.ä. zu sehen geben) Gibt es ein Schauen für mich, einen Traum, einen Blick in die Zukunft,  etwas, wonach ich mich sehne? Etwas, das Lebenskraft entfalten soll. Etwas, das ich hege und pflege, damit es wächst. Oder heilt. Etwas, das mich stärkt ……

Wenn ich den Himmel mit meinem Gesicht schaue, spüre ich auch, „wohin“ Gott mich sehnt?  Eine Bewegung, in meinem Leben, auf etwas oder jemanden zu? Ein Vertrauen(können), dass es so gut weitergeht?  Was ist jetzt da?

Geistkraft verbindet das, was ich träume und sehne und wünsche mit anderen. Um mich herum.  Es wird verstehbar, besprechbar und dadurch wirksam. Selbst wenn alles durcheinander geredet wird, manches nicht klar ist und viele verschiedene Meinungen im Raum stehen. Geistkraft verbindet uns mit Gott. Und bei Gott ist es möglich, dass alles  bunt durcheinander und doch klar ist, in vielen Sprachen gesprochen, gefühlt, gehofft und doch eindeutig. Weil Gott uns zutraut, dass das, was retten kann, durch unsere Träume und unser Tun zur Welt kommt. Nicht immer fehlerfrei, nicht immer gleich zu verstehen. Aber wirksam. 

Geistkraft hält den Glauben daran lebendig, dass das geht. Und dass unser Schauen des Himmels unser gemeinsames Gebet und unser Vertrauen verbindet, sodass Kraft davon ausgeht. Und etwas nach außen dringt, was himmlisch ist und die Kraft hat, die Welt zu verwandeln. Die Kraft, der Schwung dieser Geistkraft seit damals, breite sich in uns aus und durch uns in der Welt.  Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir mit unserem Verstand begreifen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrerin Kirstin Müller

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Hilfreicher als Zahlen und Fakten zu Ihrer Gemeinde sind Hinweise dazu, welche Men-schen Sie beim Predigtschreiben vor Augen hatten. Notieren Sie bei Bedarf auch Beson-derheiten zu Anlass, Zeit oder Art des Gottesdienstes, die den Leser/innen den Zugang zu Ihrer Predigt erleichtern.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Bitte beschränken Sie sich auf einen Gedanken; beispielsweise einen Hinweis auf Ihre Schreibstrategie, eine lebensweltliche Wahrnehmung, eine Einsicht, die Ihnen der Pre-digttext erschlossen hat.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Es geht um die alte Einsicht: Predigende sind zuerst Hörende. Bei der Vorbereitung der Predigt gehen einem viele Entdeckungen durch den Kopf und durch das Herz. Welche ist für Sie besonders bedeutsam? Welche Erkenntnis über Gott, Ihre Gemeinde, den Gang der Dinge… wird Sie weiter begleiten?

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Predigten redigieren: Das ist ein wichtiger Arbeitsschritt beim Predigtschreiben, egal ob mit oder ohne Predigtcoach. Beschreiben Sie einen Schritt aus Ihrer Überarbeitung dieses Predigtmanuskripts, den Sie besonders hilfreich fanden.

 

 

Perikope

Unter Menschen - Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-35 von Barbara Bockentin

Unter Menschen - Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-35 von Barbara Bockentin
10,21-35

Dilara umarmte ihre Mutter, bevor sie die Wohnungstür hinter sich schloss. Draußen atmete sie noch einmal tief durch. Sie strich durch ihre Haare. So nervös war sie schon lange nicht mehr gewesen. Heute war ein wichtiger Tag für sie. Das Aufnahmegespräch in der Altenpflegeschule stand an. Die Berufswahl war ihr leicht gefallen. Denn sie genoss es, mit alten Menschen zusammen zu sein. Dilara reckte den Kopf in die Höhe und begann energisch auszuschreiten. Nach einer kurzen Busfahrt, einem noch kürzeren Fußweg öffnete sie die Tür der Schule. Andere waren schon vor ihr da, sie musste warten.

Am Nachmittag erzählte sie von dem Gespräch. Ihre Familie war neugierig und stellte Fragen über Fragen. Dabei schwang leichte Skepsis mit, denn Dilara hatte sich für die evangelische Altenpflegeschule entschieden. Christentum und Islam ging das überhaupt zusammen? Dilara sprudelte nur so mit ihren Antworten heraus. Sie freute sich. Die Bedenken ihrer Familie teilte sie nicht.

 

Im August würde es losgehen. Einen Platz für ihre praktische Ausbildung hatte sie auch schon. Es war eine Einrichtung der Diakonie, in der sie arbeiten würde. Sie war überglücklich. Nun fieberte sie dem ersten Schultag entgegen.

Dann war es soweit: Dilaras erster Schultag. Das Fach Religion gehörte ebenso zu ihrem Schulalltag wie pflegerische oder medizinische Themen. Vor allem bei den Themen, die sich mit dem Umgang mit alten Menschen beschäftigten, lebte sie regelrecht auf. Vieles war ihr vertraut, denn der Respekt vor alten Menschen wurde in ihrer Familie gelebt. Lebhaft diskutierte sie mit den anderen in ihrer Klasse über ethische Fragen. Dabei empfand sie keinen so großen Unterschied zu dem, was ihre Religion zu sagen hatte.

Damit beschäftigte Dilara sich auch außerhalb der Schule weiter. Sie suchte das Gespräch mit ihrer Familie. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um diese beiden Fragen: „Ist es wichtig, woher der Mensch kommt oder an welchen Gott er glaubt? Oder ist es wichtiger, dass er Menschen liebt?“

 

Einige Wochen später stand Dilara pünktlich morgens um 6 Uhr im Stationszimmer ihres Altenpflegeheims. Sie wartete. Gerade hatte keiner Zeit für sie. Aufmerksam schaute sie sich um. Neben dem Stationszimmer saß eine alte Frau im Sessel. Sie war eingenickt. Hinter ihr kam ein alter Mann mit einem Rollator über den Flur geschoben.

Im nächsten Moment stand eine Altenpflegerin vor Dilara. Fragend schaute sie Dilara an. „Du bist die neue Schülerin? Ich bin Jutta. Wir sagen hier alle Du zueinander.“ Dilara nickte. „Dann komm mal mit. Ich zeig dir, wo du deine Sachen lassen kannst.“ Bis zur Pause verging die Zeit wie im Flug. Jutta zeigte ihr die Station, auf der sie arbeiten würde. Dilara versuchte sich zu merken, was sie hörte. So viele Einzelheiten. Ihr schwirrte der Kopf. Dann war endlich Pause.

Jetzt war Gelegenheit, die anderen ein wenig kennenzulernen. Sie frühstückten mitten auf dem Stationsflur. Einige Bewohner saßen um sie herum. Dilara stand unvermittelt auf. Ihr war aufgefallen, dass einer Frau ein kleiner Zettel aus der Hand gefallen war. Sie hob ihn auf und reichte ihn der Frau. Die anderen hatten das gar nicht mitbekommen.

Später half Dilara beim Mittagessen. Jutta zeigte ihr einen alten Herrn, der Hilfe beim Essenanreichen braucht. Sie setzte sich neben ihn. „Hallo, ich heiße Dilara. Ich möchte ihnen gerne helfen. Darf ich?“ „Ich bin Leo Bremer. Sie sind wohl nicht von hier?“ Dilara ging innerlich auf Abstand. Solche Sätze kannte sie zur Genüge. „Doch, ich bin hier geboren.“ „Aber ihr Name.“ „Meine Eltern sind Türken.“ „Hab‘ ich mir´s doch gedacht.“ Dilara schluckte. Sie lächelte Leo Bremer an. „Was?“ „Na, dass sie nicht von hier sind.“ Dann deutete Leo Bremer auf seinen Teller. „Was ist nun? Ich habe Hunger. Da ist es doch vollkommen egal, wer mir hilft. Hauptsache, es tut jemand.“

 

Inzwischen sind einige Wochen vergangen. Dilara geht immer noch mit viel Freude zu ihrer Arbeit. Viele neue Eindrücke jeden Tag. Das was sie bislang in der Schule gelernt hat, kann sie jetzt hier anwenden. Die Skepsis, die ihr anfangs entgegenschlug, ist geringer geworden. Sicher, hin und wieder gibt es Bemerkungen. Aber im Großen und Ganzen geht alles gut. Jutta ist eine aufmerksame Mentorin. Sie erklärt gut und beobachtet genau. Ihr ist nicht entgangen, dass Dilara sehr aufmerksam ist. „Du machst das sehr gut. Die Bewohner mögen dich. Sie spüren, dass du sie in dein Herz geschlossen hast.“ „Ich bin doch irgendwie dafür verantwortlich, dass sie sich wohl fühlen. Für mich ist das selbstverständlich.“

Heute ist Freitag und in dieser Woche hat sie Spätdienst. Die Beschäftigungstherapeutin hat sie gebeten, sie zu unterstützen. Dabei ist sie sehr vorsichtig. „Das macht dir doch nichts aus? Den Bewohnern ist der Gottesdienst wichtig.“ „Nein. Das ist in Ordnung. Fragst du, weil ich Muslima bin?“ Ella nickt. „Ja, ich möchte nicht, dass du dich unwohl fühlst. Andere Kolleginnen machen das nur ungern. Die frage ich inzwischen nicht mehr.“ „Mich kannst du fragen und ich tu es gerne. Den alten Leuten ist es wichtig, zum Gottesdienst zu kommen. Alleine schaffen es die meisten von ihnen ja nicht. Ich finde, das können sie von uns erwarten, dass wir da helfen. Das hier ist doch ein christliches Haus. Da gehört das einfach dazu.“ Ella schaut sie erstaunt an. Mit so einer langen Antwort hat sie nicht gerechnet. Sie überlegt. Dann sagt sie nur: „Gut, um viertel nach drei müssen die ersten nach unten gebracht werden.“ Beim Gehen dreht sie sich noch einmal um: „Wäre schön, wenn du dann bei Frau Schiller sitzen bleiben könntest. Wenn niemand ihre Hand hält, wird sie immer so unruhig. Früher ist sie nämlich immer mit ihrem Mann gemeinsam in den Gottesdienst gegangen.“ Dilara lächelt. „Gerne.“

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Barbara Bockentin

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
In Delmenhorst gibt es eine evangelische Altenpflegeschule und ein Altenpflegeheim, beide sind in Trägerschaft  der  Kirchengemeinden in Delmenhorst. Das Altersheim ge-hört zu der Kirchengemeinde in der ich tätig bin. Aufgrund des Personalmangels wer-den immer wieder Fragen laut, nach welchen Kriterien Pflegekräfte  eingestellt werden. Gerade bei muslimischen Bewerber*innen taucht die Frage auf, ob das in einer evange-lischen Einrichtung geht. Für die Schule ist diese Frage allerdings nicht relevant.
 

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Bei der Vorbereitung hat mich die Frage bewegt, wie sich denn das spezifisch Christliche in der Pflege äußert. Messen wir da nicht vielmehr mit zweierlei Maß, indem bei auslän-dischen Kräften genau darauf geschaut wird, bei den anderen hingegen nicht? Mit solchen oder ähnlichen Fragen beschäftigen sich auch Bewohner*innen und deren Angehörige.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ganz überrascht war ich, wie der Bibeltext  und die Situation in der Pflege miteinander zu versprechen waren. Nachdem ich darauf gestoßen war, war es auch einfach, die Predigt zu formulieren. Die Frage, wie das, was für den christlichen Glauben entscheidend ist  in die-sem Fall Nächstenliebe), im Alltag - und gerade in diesem sensiblen Umfeld – gelebt und gestaltet werden kann, bleibt. Darauf gibt es keine einfache Antwort. Dass es vor Gott auf unser Handeln ankommt, ist mir hier wichtig geworden.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Besonders hilfreich fand ich die Anregungen, die sich mit der Ausgestaltung der von mir gewählten Form der Erzählung befasst haben. Doch auch die Anregungen, die sich auf das Sichtbarmachen der Person der Predigerin bezogen, haben mich beschäftigt und dazu ge-führt, mich aus anderer Perspektive mit der von mir gewählten Predigtform zu beschäfti-gen.

 

Perikope