Singen befreit! - Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23-34 von Jasper Burmester

Singen befreit! - Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23-34 von Jasper Burmester
16,23-34

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen ! Amen

Liebe Gemeinde !

Der Name des heutigen Sonntags hat einen fröhlichen Klang: Kantate, singet ! Und gesungen haben wir und singen werden wir noch weiter in diesem Gottesdienst, singen zu unserer Freude und zu Gottes Lob. Ein Lobgesang bildet auch den Mittelpunkt einer Geschichte, die dem Apostel Paulus und seinem Freund und Gefährten Silas einmal widerfahren ist, und die eigentlich eher betrüblich anfängt. Paulus und Silas hielten sich in der Stadt Philippi auf, es war das erste Mal, dass sie von Kleinasien herüber nach Europa gekommen waren. Da trafen sie eine stadtbekannte Sklavin, die einem reichen Bürger geghörte. Sie wurde, so heißt es, von einem unguten Geist geplagt, der sie als Wahrsagerin reden ließ. Damit verdiente ihr Besitzer viel Geld. Paulus und Silas gelang es, diese Frau von dem sie quälenden Geist zu befreien. Darüber aber waren die Bürger so erbost, dass sie mit Hilfe der römischen Stadtherren Paulus und Silas zuerst auf offener Straße demütigten, ihnen die Kleider herunterrissen und sie schlugen und sie dann ins Stadtgefängnis sperrten, in die dunkelste Zelle, in ein finsteres Kellerloch, dazu wurden ihre Füße noch in einen Holzblock verschlossen. Nun geschah, was Lukas in der Apostelgeschichte so schildert: Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und stimmten Gott einen Lobgesang an, die übrigen Gefangenen aber hörten ihnen zu. Da geschah plötzlich ein gewaltiges Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses erschüttert wurden. Sogleich aber öffneten sich alle Türen, und von allen fielen die Fesseln ab. Da schreckte der Gefängniswärter aus dem Schlaf hoch, und als er die Türen des Gefängnisses offen stehen sah, zog er sein Schwert und wollte sich töten, da er der Meinung war, die Gefangenen seien entflohen. Paulus aber rief mit lauter Stimme: "Tue dir kein Leid an, wir sind ja alle hier!" Da rief er nach Fackeln, sprang hinein und fiel zitternd vor Paulus und Silas nieder. Dann führte er sie hinaus und sagte zu ihnen: "Ihr Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden ?" Sie aber sprachen: "Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig werden." Und sie sagten ihm das Wort Gottes samt allen in seinem Hause. Und noch zur gleichen nächtlichen Stunde nahm er sie zu sich und wusch ihnen die Striemen ab und gleich darauf ließ er sich mit seinem ganzen Hause taufen. Dann führte er sie in sein Haus hinauf und setzte ihnen ein Mahl vor und jubelte mit seinem ganzen Hause darüber, dass er zum Glauben an Gott gekommen war. Soweit der Bericht aus der Apostelgeschichte.

Liebe Gemeinde,

innerlich oder auch deutlich hörbar seiner Freude in einem schönen Augenblick Ausdruck zu verleihen, zu singen, zu jubeln, zu jauchzen, zu lachen in den Momenten, in denen es uns gut geht und Lebensfreude uns erfüllt, das können wir uns vorstellen, das ist uns vertraut, auch wenn solche Momente vielleicht selten sind in unserem Leben. Ebenso umgekehrt: In Augenblicken großer Angst, Not, Wut oder Trauer steht uns ein breites Instrumentarium lauter oder leiser Klage zur Verfügung. Aber diese Situation ist dann doch ungewöhnlich: Im Gefängnis, in Finsternis und Schrecken und unter der Folter des Fußblocks ausgerechnet Lobgesänge anzustimmen - täten wir, täte ich das auch, nächtens, in so einem Loch? Das widerspricht doch unseren Erfahrungen und auch unserem Gefühl, was "richtig" ist. Aber: In diesem Widerspruch von Gefangenschaft und Lobgesängen befinden allerdings auch wir uns. Bevor wir über diesen Widerspruch weiter nachdenken, singen wir. „Du verwandelst meine Trauer in Freude, du verwandelst meine Ängste in Mut.“ (Kanon 2-Stimmig)

Auch wenn wir uns dessen nicht immerzu bewusst sind: wir befinden uns im Widerspruch zwischen Realtität und Lobgesang aufgrund unseres Glaubens. Es ist ja dieses geradezu die Grundsituation jedes Christen: Leben im Widerspruch. Es geht um den Widerspruch zwischen dem, was wir vom Glauben her erhoffen und - sozusagen im Voraus, auf diese Hoffnung hin - besingen und wofür wir Gott loben und preisen, und dem, was unsere Wirklichkeit ist, was wir in unserer Gegenwart vorfinden und wo wir oft genug Grund zur Klage haben. Beides gehört zusammen, und wir dürfen nicht versuchen, es voneinander zu trennen, auch wenn es schwerfällt, ein solches Leben im Widerspruch auszuhalten.

Ein Lob Gottes, das die Wirklichkeit ausklammert, die Opfer eines ungezügelten Kapitalismus zum Beispiel, ein für die Leiden dieser Zeit blindes Gotteslob also lobt nicht Gott, sondern unter Ausblendung der Wirklichkeit die Zufälligkeit des eigenen Gutgehens und ist damit egoistisch, lieblos und gottlos. Und umgekehrt: Die Klage ohne die Absicht, ohne die  Hoffnung auf Veränderung, Klage ohne Glauben also, bewirkt nichts als das Abgleiten in Depression und Gejammer; oder wie es in einem alten Choral heißt: "Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit".

So sind wir eigentlich immer mitten drin im Spannungsfeld von Gefängnis und Lobgesang, von Klage und Hoffnungslied. Dass dieses Spannungsfeld in der Geschichte von Paulus und Silas im Gefängnis zu Philippi so deutlich wird, macht ihren bleibenden Wert aus, selbst wenn sich ihre Befreiung historisch nicht so zugetragen haben sollte und nur eine fromme Legende ist. Der Lobgesang, den sie anstimmen, erklingt zur Ehre Gottes und ebenso zur Ermutigung der Mitgefangenen, die wunderbare Befreiung der beiden hat eben nicht nur ihre persönliche Freiheit zum Ergebnis, sondern mindestens genauso die Befreiung ihres Wärters, der ja auch als Gefängnisaufseher eigentlich ein Gefangener ist, ein Gefangener des Systems, dem er dient.

Ihn hat das Geschehen weit mehr erschüttert als es das Erdbeben mit den Gefängnismauern vermochte: Seine Rolle im System der gewalttätigen Unterdrückung und des scheinheiligen Geschäftemachens wird ihm in dem Moment deutlich, wo Paulus und Silas sich völlig unerwartet verhalten, also nicht abhauen, wie es eigentlich von Gefangenen zu erwarten wäre, sondern die um seinetwillen da bleiben: Menschen, die ihre Freiheit nicht auf Kosten anderer durchsetzen.

Diese Erschütterung seines gewohnten Welt- und Menschenbildes führt den Gefängnisaufseher zu der Frage, wie denn er gerettet, wie denn er befreit werden könne, befreit zu der inneren Freiheit, die Paulus und Silas so offensichtlich zu eigen ist. Die Antwort, die er von den Aposteln erhält, ist der kürzest mögliche Taufunterricht: Glaube an den Herrn Jesus, dann wirst du und dein Haus selig werden. Daran schließt sich an: Eine biblische Unterweisung im Hause des Aufsehers und die Taufe der ganzen Familie.

Auch der Anfang und das Ende der Geschichte von Paulus und Silas bilden wieder diese Spannung ab: Am Anfang stehen Schläge und Demütigungen, am Ende ein fröhliches Mahl zusammen mit der Familie des aus seiner Rolle befreiten Aufsehers. Aus einem Vertreter eines Gewaltsystems wird ein Glaubensbruder. Das ist für diesen Menschen und sein Umfeld ein großer Schritt, aber nicht mehr als ein Anfang: Seine Bewährungsprobe kommt ja erst noch: Diese Umkehr wird ihre Wirkung noch zu beweisen haben, denn auch ein christlich gewordener Folterer bleibt ein Folterer, wenn er denn seinen Glauben nur als Privatsache ansieht.

Und: Wie wird seine bisherige Obrigkeit, die römische Justiz, darauf reagiert haben, als sie bemerkte, daß einer ihrer treuen Diener "ausgestiegen" war ?

So gradlinig und mit einem glücklichen Ende wie hier von Lukas erzählt, geht es selten zu. Und nicht immer ist die Geschichte der Befreiungen so rasant wie hier. Manche "Beben" wirken erst sehr viel später. Wenn auf den Lobgesang und das Gebet der Apostel hin in Philippi die Erde und die Grundmauern des Gefängnisses erschüttert wurden, dann wirkte sich diese Befreiung für die unmittelbar Betroffenen sofort aus. Wie viele Erschütterungen aber müssen beispielsweise noch geschehen, bis sich Israelis und Palästinenser als Nachbarn akzeptieren können, oder wie viele Spezies müssen noch aussterben bis endlich konsequente Schritte zur Erhaltung der Schöpfung unternommen werden? Was muss noch geschehen an immer deutlicheren Folgen des Klimawandels, bis endlich die ökonomisch und ökologisch nötigen Verringerungen unseres CO2 Ausstoßes kommen?

Es gibt noch sehr viel Notwendigkeit für solche befreienden Beben in dieser Welt. Es gibt auch noch viel zu viele, deren Gesang durch Kerkermauern gedämpft wird. So können wir in den Lobgesang der Apostel nur einstimmen, wenn wir zugleich mit dem Lobe Gottes ebenso lauten Protest erheben gegen jede Kerkermauer, gegen gefesselte, geschlagene Menschen, gegen gestohlene Freiheit und gebeugtes Recht, gegen gebrochenen Frieden, gegen die Vernichtung unserer ökologischen Lebensgrundlagen.  Beides gehört zusammen: Wer nicht für die Juden schreit, darf auch nicht gregorianisch singen, lehrte Dietrich Bonhoeffer 1936 die jungen Vikare, die er unterrichtete. Das gilt heute - im Blick auf die Konflikte dieser Welt und ihre Opfer- nicht weniger als damals. Aus dieser Spannung kommen wir Christen nicht heraus. In sie geraten wir hinein, sobald wir uns auf Gott einlassen. In dieser Spannung bleiben wir bis zum jüngsten Tag: Zwischen Klage und Lobgesang, zwischen Not und Befreiung. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Perikope

Sie singen für dich - Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23-34 von Lars Hillebold

Sie singen für dich - Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23-34 von Lars Hillebold
16,23-34

Von schiefen Bahnen und Tönen

Seit zwei Jahren singt er im Chor und wenn nichts dazwischenkommt, wird er noch lange weiter dort singen. Es gibt ihm Kraft und Halt. Er fühlt sich verbunden mit allen anderen, die auch seine Lieder singen. An einem anderen Ort. Seine Frau. Seine Kinder. Seine Freunde. Wenn er die Texte hört, ist es ihm manchmal, als wäre ein Lied über sein Leben geschrieben. Freiheit, Freiheit, ist die einzige, die zählt. Freiheit, Freiheit, ist die einzige die fehlt. Dann muss er schon schlucken.

 

Manchmal ist es nur die Melodie, die seine Gefühle trifft, aber er fühlt sich verstanden. Dann steigen ihm die Tränen in die Augen; was keiner sehen soll. Manchmal wippt sein Bein wie von selbst mit. Manchmal, heimlich, wenn keiner zusieht - und das gibt es eigentlich kaum in seinem Leben - wird aus ihm ein beweglicher Tänzer.

 

Ja, seit drei Jahren singt er in diesem Chor. Und wenn nichts dazwischen kommt -  was er sich aber erhofft - singt er noch mindestens einige Jahre weiter dort, wo er ist. Er hofft auf gute Führung. Dann kommt er vielleicht früher heraus. Im Gefängnis proben sie jede Woche:  Betrüger, Einbrecher, Mörder. Der Knastchor, wie sie sagen. Wenn andere Chöre sich auf den nächsten Auftritt vorbereiten, dann ist genau das natürlich tabu. Aber eine Stunde in der Woche dürfen sie in den großen Saal. Dann lassen sie ihrer Stimme freien Lauf. „Aus vollem Herzen. Voll schief.“, sagt er und fährt fort: „Na ja, wir sind ja auch auf die schiefe Bahn gekommen. Wir singen, was die da draußen auch singen. So sind sie alle hier bei mir: Meine Frau. Meine Kinder. Meine Freunde. Mein Glauben auch. Ich sing für sie und ich sing für mich.“

 

Wir sind alle für dich hier

Etwas so erkennbar tun und ein Zeichen setzen, obwohl alles offensichtlich dagegenspricht: Im Gefängnis von „Freiheit“ singen, denn „sie ist die einzige, die fehlt. Freiheit, Freiheit, ist das einzige, was zählt.“ Etwas so erkennbar tun und ein Zeichen setzen, obwohl alles offensichtlich dagegenspricht: Im Gefängnis sitzen bleiben, obwohl alle Türen offen sind. Und so dem Aufseher das Leben bewahren, der sich umgebracht hätte, wenn Paulus und Silas wie alle anderen Gefangenen geflohen wären. Sie setzen ein Zeichen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Sie bleiben sitzen. Das ist weder in der Schullaufbahn, noch in Gefängnissen ein erstrebenswertes Ziel. Doch hier ist es so.

 

Während die sichere Verwahrung der unschuldigen und schuldigen Verbrecher zusammenbricht, und alle das normalste erwarten, nämlich den Ausbruch. Da bleiben sie sitzen. Völlig unerwartet. Freiheit ist doch das einzige, das zählt. So unerwartet, dass der Aufseher gar nicht nachschaut, sondern sich gleich selber bestrafen will. So unerwartet, dass auch unsere Rechtsprechung Verständnis für den unwiderstehlichen Drang nach Freiheit hat, so dass Gefängnisausbruch in Deutschland nicht strafbar ist. Sie bleiben sitzen. Paulus. Silas. Sie setzen ein Zeichen für die anderen Gefangenen. Von denen wird nicht berichtet, dass sie geflohen wären, sondern fast nebenbei bemerkt; mit einem kleinen Satz: wir sind alle hier! Tu dir nichts an. Bestraf dich nicht.

Warum machst du dir 'nen Kopf?
Was gibt's da zu grübeln?
Was hast du gegen dich?
Ich versteh' dich nicht
Immer siehst du schwarz und bremst dich damit aus.
Nichts ist gut genug, du haust dich selber raus.
Wann hörst du damit auf?

Wie ich dich sehe, ist für dich unbegreiflich.
Komm' ich zeig's dir.
Ich lass' Konfetti für dich regnen.
Ich schütt' dich damit zu.
Ruf deinen Namen aus allen Boxen.
Der beste Mensch bist du.
Ich roll' den roten Teppich aus.
Durch die Stadt, bis vor dein Haus.
Du bist das Ding für mich.
Und die Chöre singen für dich.

(nach Mark Forster, Chöre)


Und Paulus und Silas rufen für ihn: „Tu dir nichts an. Wir sind alle hier.“ Sie waren geblieben, um den einen zu bewahren. Gerade den, der ihnen doch den Weg in die Freiheit versperrt hatte. Den retteten sie. Alle Gefangenen waren geblieben. Erstaunlicherweise. Paulus und Silas hatten gebetet. Die Mitgefangenen hatten sie gehört. Es hatte wohl Wirkung gezeigt. Die beiden haben vorgesungen. Die anderen stimmten mit ihrem Handeln zu. Ein Gefangenenchor war es geworden. Viele unterschiedliche Stimmen sagen das gleiche. „Tu dir nichts an. Wir sind alle hier.“ Ihr Zeichen ist hörbar. Wie ein neues Lied für den Aufseher. Noch nie gehört?! Woher kommt die Musik? Dieser Klang? Diese Stimmung? Und der, der ja die Freiheit hatte, der als Aufseher ja kommen und gehen konnte, der fragt nun: Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?

 

Gott für dich

„Tu dir nichts an. Wir sind alle hier.“ Das hatte er verstanden. Die anderen tun dir Gutes an. Sie erheben ihre Stimme für dich. Sie rufen für dich. Sie singen für dich. Sie bitten dich nur eines: glaube.

 

Da verkörpert der Aufseher mit all seinem Tun, das, was Kirche ist. Er feiert seine Taufe. Er lädt ein. Er bringt seine Frau, seine Kinder und seine Freunde mit. Ja, sein ganzes Haus. Er wird diakonisch und pflegt die Wunden der ehemals Gefangenen. Er wird zur Gemeinschaft. Er deckt den Tisch. Und am Ende ist er fröhlich. So als hätte er ein Lied auf den Lippen:

 

Wie Gott mich sieht, ist fast unbegreiflich.
Komm, ich zeig's dir:
Gott lässt Wasser über mich regnen.
Schüttet mich damit zu.
Ruft meinen Namen aus allen Boxen, durch alle Mauern:
Mein Mensch bist du.
Er rollt den roten Teppich aus.
Durch die Stadt bis vor mein Haus.
Du bist Mensch für mich.

 

Und die Chöre singen für mich.
Paulus und Silas beten für mich.
Und die Trompeten ertönen für mich.
Und die Trommeln klingen für mich.

 

Und die Orgel spielt für uns.
Und die Chöre singen mit uns.

 

Da Capo al fine

Er zittert heute noch, wenn er daran denkt. Wie gesungen wurde, als er nach Hause kam; nach den Jahren im Gefängnis. Alle waren sie da: seine Frau, seine Kinder, seine Freunde. Alle im Haus. Nun war es so: Er konnte ein Lied davon singen, wie Freiheit zählt, wenn sie fehlt. Er wusste, wie es sich anfühlt und klingt, wenn andere auf ihn warten. Er konnte ein Lied davon singen, was Rettung meint. Dieses fromme, fremde Wort war für ihn hörbar geworden, machte wieder Sinn und hatte jetzt einen guten Klang. Gerettet.

 

Er würde weiter singen. Neue Lieder. Er würde üben müssen. Es klang schon oft noch schief. Es galt noch einiges gerade zu rücken. Um Verzeihung zu bitten. Sich vielleicht sogar zu versöhnen. Reinen Tisch zu machen. Es würde vielleicht noch lange dauern. Aber ein erster Ton war erklungen, in Freiheit und andere würden folgen.

 

Bis ein ganzes, ein neues Lied erklingt:

Gott rollt den roten Teppich aus.

Durch die Stadt bis vor dein Haus.

Gott singt für dich:

Du bist und bleibst Mensch für mich.

 

Amen.

 

 

Perikope

„Purpur-Lydia“ – Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Rainer Claus

„Purpur-Lydia“ – Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Rainer Claus
16,9-15

Purpur

Sie schließt die Augen und greift in den Stoff. Seidenstoff. Wallend weich und purpurfarben. Die Seide knistert, knirscht, ein Geräusch, wie erste Schritte am Morgen durch unberührten Schnee. Sie öffnet die Augen. Purpur hat die Seide durchdrungen. Ihr prüfender Blick sieht die Feinheiten, Purpur ist nicht gleich Purpur. Lydia, die Purpurhändlerin kennt die Uneinigkeit dieser Farbe zwischen blauem Rot und rotem Blau. Gerade diese Farbreize am Rande des Sichtbaren faszinieren Lydia. Es ist ihre Seelenfarbe. Lydia, die Suchende am Rande des Sichtbaren. Eine Gottesfürchtige, so wird sie genannt. Sie weiß, welche Götter in ihrer Stadt verehrt werden. In Philippi sind viele Religionen zu Hause. Noch steht sie am Rande. Sie hat den einen Gott im Blick, den die Juden verehren. Einen Gott der Freiheit, der die Sklaven durch die Fluten geführt hat. Vielleicht ist es das, was sie anrührt. Sie war einmal selbst Sklavin, verkauft auf einem Markt, verschleppt fern der Heimat, im Dienst eines Purpurhändlers. Sie ist die Frau aus Lydien. Lydia benannt nach einer Landschaft in Kleinasien, denn Sklaven tragen keinen eigenen Namen. Die Frau ohne Namen und mit einer verlorenen Heimat.

Lydia nimmt den Seidenschal und legt ihn über das weiße Kleid. Alle sollen es sehen. Lydia, die Purpurhändlerin wird getauft. Der Schal liegt wie eine Stola über ihrem Kleid. Lydia ist längst keine Sklavin mehr. Jetzt handelt sie selbst mit Purpur. Ein Luxusgut. Es ist die Farbe der Mächtigen. Sie wird gewonnen aus Purpurschnecken. Die Farbe ist so kostbar wie Gold. Die Senatoren tragen diese Farbe, Könige und später Kardinäle. Lydia ist Händlerin, Hausherrin und wird schon bald die erste Christin in Philippi. und somit erste Christin in Europa. Paulus hat sie getauft. Und das kam so:


Lesung

Lesung Predigttext Lektor

In der Nacht hatte Paulus eine Erscheinung. Ein Mann aus Mazedonien stand vor ihm und bat: »Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!« Gleich nachdem Paulus die Erscheinung gehabt hatte, suchten wir nach einer Möglichkeit, um nach Mazedonien zu gelangen. Denn wir waren sicher: Gott hatte uns dazu berufen, den Menschen dort die Gute Nachricht zu verkünden. Von Troas aus setzten wir auf dem kürzesten Weg nach Samothrake über. Einen Tag später erreichten wir Neapolis. Von dort gingen wir nach Philippi. Das ist eine bedeutende Stadt in diesem Bezirk Mazedoniens und römische Kolonie. In dieser Stadt blieben wir einige Zeit.

Am Sabbat gingen wir durch das Stadttor hinaus an den Fluss. Wir nahmen an, dass dort eine jüdische Gebetsstätte war. Wir setzten uns und sprachen zu den Frauen, die an diesem Ort zusammengekommen waren. Unter den Zuhörerinnen war auch eine Frau namens Lydia. Sie handelte mit Purpurstoffen und kam aus der Stadt Thyatira. Lydia glaubte an den Gott Israels. Der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie die Worte des Paulus gerne aufnahm. Sie ließ sich taufen zusammen mit allen, die in ihrem Haus lebten. Danach bat sie: »Wenn ihr überzeugt seid, dass ich wirklich an den Herrn glaube, dann kommt in mein Haus. Ihr könnt bei mir wohnen!« Und sie drängte uns förmlich dazu.

Paulus und Lydia

Paulus hatte geträumt. Ein Hilferuf: „Komm herüber“. Europa war bisher nicht im Blick von Paulus gewesen.  Er nahm diesen Wegweiser in seiner Seele ernst, bestieg ein Schiff und kam schließlich nach Philippi. Und hier kommt Lydia in die Geschichte. Hier wird es ihre Geschichte. Paulus und sein Begleiter wohnten einige Zeit in der Stadt. Eine Stadt voller Götter und Versprechen. Eine römische Kolonie. Die etablierten Religionen hatten Häuser und Statuen aus Marmor. Paulus aber ging vor die Stadt, an die Grenze. Dort am Fluss trafen sich Frauen zum Gebet. Ohne festes Haus, das Fließen im Ohr. Ein Fluss als Treffpunkt, der sich ständig verändert vor ihren Augen. Du kannst nie zweimal in denselben Fluss steigen. Ein guter Ort für die suchenden Frauen. Ein guter Ort, für die mit offenen Herzen. Die Worte des Paulus trafen auf fruchtbaren Boden, bei Lydia. In ihrem Herzen wächst der Glaube. Es fügt sich etwas zusammen, Fäden verknüpfen sich. Sie wird Christin und will sich taufen lassen.

Taufe

Lydia ist bereit für die Taufe. Sie ist zu Paulus in den Fluss gestiegen. Das Wasser im Fluss umfließt ihren Körper, die Enden des purpurnen Seidenschals wimmen auf der Wasseroberfläche. Lydia, die ehemalige Sklavin. Lydia, die Purpurhändlerin Lydia, die Suchende, Gottesfürchtige Egal, was sie war und woher sie kommt. Hier beginnt etwas Neues, dass schon längst begonnen hat. In Christus ist weder Heide noch Jude, Sklave noch Freie. Lydia wird getauft.


Spurensuche

Was ist aus ihr geworden? Sie und ihr Haus werden eine große Rolle gespielt haben in Philippi. Ihr Haus, das meint die Menschen, mit denen sie gelebt hat und die sich auch haben taufen lassen. Eine erste Hausgemeinde entsteht. Haus meint aber auch ganz konkret ein Gebäude, ein Dach über den Kopf für Paulus und alle die noch  kommen werden. Lydia öffnet nicht nur ihr Herz, sondern auch ihr Haus für den neuen Glauben. Lydia könnte die Gemeinde mitgeleitet haben oder war vielleicht so eine Art erste Bischöfin. Ihre Geschichte bleibt so uneindeutig wie Purpur und ihre Spur verliert sich. Aber gerade das, macht sie für mich so spannend.

Lydia ist ein Bild für Menschen, die nach Gott fragen. Ein Bild für Gemeinden, die sich fragen, wie geht es mit uns weiter. Ein Bild für die Kirche, die sich gerade so verändert. Das Christentum in Europa ist wieder bei Lydia angekommen: suchend und tastend.  Lydias Anleitung für Suchende Ich stelle mir vor, Lydia hätte eine Anleitung geschrieben für Fragende. Für alle, die die ersten Schritte durch frischen Schnee lieben. Für alle, die es mögen, wenn es knistert, wenn fein und zart etwas passiert, wie beim Griff in Seide.

(von zwei Lektorinnen gelesen:)

Lydias Anleitung für alle Suchenden:

Verlass die Stadt. Geh an den Fluss. Dorthin, wo etwas in Bewegung ist, wo du es fließen hörst. Lass deine Statuen auf ihrem Sockel stehen. Sie tun dir nichts und können nichts für dich tun. Triff dich am Fluss mit anderen. Redet miteinander, hört zu, schweigt und betet. Meinetwegen auch die ganze Nacht, solange bis die Wolken wieder lila sind.  Öffne dein Herz. Richte es aus. Sei achtsam für die behutsamen Wegweiser Gottes am Tag und in der Nacht. Wenn es nicht mehr weiter geht, kann es sein, dass sich etwas Neues anbahnt.
Stell dich in den Regen. Schließ die Augen und stell dir vor: es wäre Purpur.

Wenn du die Augen schließt, klingt der Purpur-Regen wie Applaus. Für Dich Du geliebtes Kind Gottes.

Sei geduldig mit dir und deinem Glauben. Es braucht 12000 Schnecken für 1,5 Gramm Purpur. Alles braucht seine Zeit. Glaube ist kein Kraftakt.  Öffne dein Lebens-Haus für den Glauben. Trink mit Gott morgens einen Kaffee und frage ihn, was er sich bei diesem neuen Tag gedacht hat. Verabrede dich am Mittag mit Christus, indem du einfach dein Gesicht in die Sonne hältst. Ein Moment genügt. Mach am Nachmittag die Fenster auf und lass den Heiligen Geist durch dein Haus wehen. Kann sein, dass einige Quittungen und deine offenen Rechnungen durcheinander geweht werden. Macht nichts. Sieh hin! Sieh in dich hinein. Purpur ist nicht eindeutig. Du trägst mehr Farb-Nuancen in Dir als du denkst. Trage heute mal innerlich einen Streifen Purpur. Zeichen der Kraft, kannst du sie spüren? Sage dir: ich vermag alles durch den, der mir die Kraft dazu gibt, Christus.

Amen

Anmerkung: Zur narrativen Idee mit dem Seidenschal hat mich ein Roman inspiriert: Josef Spiegel: Lydia. Die Purpurhändlerin in Philippi

Perikope

Sailing – Predigt zu Apostelgeschichte 16,6-10 von Frank-Nico Jaeger

Sailing – Predigt zu Apostelgeschichte 16,6-10 von Frank-Nico Jaeger
16,6-10

Ich stehe hinter dem großen Steuerrad und gebe mein Bestes, um das Schiff auf Kurs zu halten. Neben mir steht Michael, mein Pfarrer, und ich versuche möglichst locker rüberzukommen, aber innerlich bin ich total angespannt. Ich will alles richtig machen,  das Schiff auf Kurs halten. Ich bin 15 Jahre alt und ich bin Kapitän. Ich könnte platzen vor Stolz. Michael ist der Jugendpfarrer in der Gemeinde. Er fährt mit uns auf Freizeiten und gestaltet in der Gemeinde die Jugendarbeit. Mit ihm kann man reden, er hat immer ein offenes Ohr. Bei ihm hat man das Gefühl, angenommen zu sein. Er ist endlich ein Erwachsener, der sich wirklich gerne mit uns beschäftigt. Dabei will er eigentlich gar nicht hier sein. Er hatte sich woanders hin beworben. Auf keinen Fall in die münsterländische Provinz, zu diesen Leuten, die fast alle Platt sprechen und auch sonst eher eigen sind. Das Ruhrgebiet wäre es gewesen. So viele Möglichkeiten.  Aber jetzt ist er hier, steht neben mir und hat sich damit abgefunden. Er raucht eine Zigarette und traut mir ernsthaft zu, das Schiff in den Hafen zu steuern. Eigentlich traut er es jedem auf dem Schiff zu, jeder darf mal ans Steuerrad, wenn sie oder er es möchte.

Warum Michael hier ist und nicht in seinem geliebten Ruhrgebiet kann ich nicht sagen, aber ich bin dankbar dafür dass er da ist. Mit ihm erlebe ich unglaublich schöne Freizeiten. Ich erinnere mich an Segeltouren, zwei Wochen auf einem Plattbodenschiff im Ijsselmeer. 12 Kinder und ein Pfarrer. Ohne viel Gepäck, auf dem Schiff ist kein Platz und abends kochen wir zusammen in der viel zu kleinen Schiffsküche. Danach gehen wir hoch an Deck und schauen zu, wie die Sonne im Meer versinkt.

Wir singen jeden Abend „I am sailing“ und es ist überhaupt nicht peinlich. Der Pfarrer spielt auf der Gitarre und wenn die Sterne über uns aufgegangen sind, gehen wir zurück ins Schiff, legen uns in die Kojen und schlafen mit einem unglaublichen Gefühl der Geborgenheit ein. Später knüpfen wir aus Schiffstau Armbänder. Wir sind keine Gruppe, wir sind eine Einheit.

Teenager, die ein Schiff segeln. Wir helfen uns aus mit Sonnencreme LSF 50, wir haben auch kein Problem damit, die Tische zu decken und für die anderen das Klo zu putzen. Es funktioniert einfach. Als wir wieder zurückkommen sind wir andere als vorher. Die Zeit auf dem Schiff hat uns verändert: Unsere Haare sind heller, die Sommersprossen sind mehr geworden und wir alle sind glücklicher, selbstbewusster und stärker.

Und auch nach dieser seligen Zeit, nach der Segelfreizeit auf der ich beinahe minütlich das Gefühl hatte, eine Gotteserfahrung nach der anderen zu machen bleibt mein Kopf in den Wolken. Noch lange zehre ich von der Erinnerung an Sonnenuntergänge und denke an Küsse auf Deck unter einem unbeschreiblichen Sternenhimmel.

Nicht auszudenken, das wir all das beinahe nicht erlebt hätten. Wäre Michael an uns vorbeigelotst worden, wäre er in sein bevorzugtes Ruhrgebiet gekommen, hätten wir alle was verpasst. Denn er hat uns damals etwas nahe gebracht, von dem wir gar nicht wussten, dass wir es brauchten. Gott.

Schicksal? Fügung? Zufall? Warum nicht einfach Gottes Führung! So wie in der Geschichte um Paulus und seine Missionsversuche.

[Apg 16,6-10, Basisbibel]

Dann zogen Paulus und Timotheus weiter durch Phrygien und das Gebiet von Galatien. Denn der Heilige Geist hinderte sie daran, die Botschaft in der Provinz Asien zu verkünden. Als sie schon fast in Mysien waren, wollten sie nach Bithynien weiterreisen. Doch der Geist, durch den Jesus sie führte, ließ das nicht zu.  Also zogen sie durch Mysien und stiegen zum Meer hinab nach Troas. In der Nacht hatte Paulus eine Erscheinung. Ein Mann aus Mazedonien stand vor ihm und bat: »Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!« Gleich nachdem Paulus die Erscheinung gehabt hatte, suchten wir nach einer Möglichkeit, um nach Mazedonien zu gelangen. Denn wir waren sicher: Gott hatte uns dazu berufen, den Menschen dort die Gute Nachricht zu verkünden.

Paulus und Timotheus wollen gar nicht nach Mazedonien. Sie haben ganz andere Pläne. Aber die Routenänderung ist kein Zufall. Es ist Gottes Geist, der sich einmischt und die beiden führt, wohin sie gar nicht wollen. Es ist Gottes Geist, der die beiden daran hindert, ihrem eigenen Weg zu folgen. Es ist die Mischung aus „menschlichem Plan und göttlichem Durchkreuzen“, aus dem „Geführt-Werden, wohin wir nicht wollen“ und „wohin zu kommen wir uns niemals geträumt hätten.“ Das macht diese Stelle so besonders. Auch weil alles so beiläufig, so undramatisch geschieht, dass es fast untergeht: Das Mitlaufen Gottes. (C. Stäblein, GPM I/1, Göttingen 2018, S. 137).

Ich habe meiner Kirche nie den Rücken gekehrt, auch weil ich durch diesen einen Pfarrer das Gefühl bekommen habe, dass ich dazugehöre und der Glaube ein schützendes Schiff ist auf dem großen weiten Meer meines Lebens. Ich war und bin Willkommen hier. Das war eine mächtige Zusage und ist immer noch ein großartiges Gefühl.

Aber das ist wohl die Ausnahme. Viele der anderen Mitfahrer von damals sind nicht mehr an Bord. Haben das Schiff längst verlassen. Sie konnten in der Kirche und im Glauben nicht andocken. Als wir vor drei Jahren silberne Konfirmation gefeiert haben, waren wir nur noch acht von insgesamt über 50. Die Kirche hat nicht mehr zu den Anderen gepasst. Gehört nicht mehr zu ihrem Leben. Vielleicht war kein Raum für sie da oder niemand hat nach ihnen gefragt.

Als Paulus und Timotheus Gottes wenig raffiniert vorgebrachtem Vorschlag folgen und doch nach Mazedonien ziehen, fragen sie sich zuerst, wo sich die Menschen treffen und gehen dann dorthin, wo die Menschen sind. Und dort reden sie mit ihnen - nicht über sie. Nebenbei beginnt so, mit einem Gespräch auf Augenhöhe, die Christianisierung Europas. Ganz beiläufig an einem Fluss.

Das Leben hält sich nicht an Planungen, das wusste schon Bertolt Brecht: „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch’nen zweiten Plan. Gehn‘ tun sie beide nicht.“  (B. Brecht, Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens, Dreigroschenoper1928).  Das Leben hält sich nicht an Pläne. Nicht an die von Paulus und Timotheus und auch nicht an Michaels. Und ich bin dankbar dafür, denn sonst hätte ich diesen Pfarrer wohl nie kennenlernen dürfen. Ich bin dankbar für alle Erfahrungen, für die gemeinsame Zeit. Für die Leichtigkeit mit der er uns zugetraut hat, dass wir ein Schiff steuern können. Und ich bin dankbar für das Bild von Kirche, dass er uns angeboten hat.

Wenn ich mir heute eine Kirche wünschen dürfte, dann wäre sie so wie eine Sommerfreizeit auf einem Plattbodenschiff mitten im Ijsselmeer: Jeden zweiten Tag gibt’s Nudeln und abends an Deck singen wir mit Gitarrenbegleitung voller Inbrunst „Laudato si“ und etwas später etwas stiller „Sailing“.  Und dazwischen erzählen wir einander von unseren Hoffnungen, von unseren Träumen, von unseren Plänen. Und erst recht von unseren Ängsten und Sorgen. Morgens kocht Michael dann Kaffee und weckt uns mit der Schiffsglocke. Wenn das Wetter gut ist, springen wir von der Reling ins Wasser und wenn es regnet, spielen wir Karten oder segeln weiter. Wir sind zusammen unterwegs und freuen uns auf neue Bekanntschaften, wenn wir abends in einen Hafen einlaufen. Wir teilen unser Leben und heilige Momente. Wir machen eine Gotteserfahrung nach der anderen. Unsere Köpfe in den Wolken. Und wir singen. Immer wieder „I am sailing“ und vertrauen darauf, dass es Gott ist, der hinter uns steht und das Ruder mit-führt.

So ist das, wenn Gott sich einmischt. Dann können Pläne scheitern. Das kann auch manchmal wehtun. „Aber das Leben geht weiter und manchmal sehr viel besser, als alle Planungen das zu hoffen wagten.“ (M. Josuttis, Wirklichkeiten der Kirche, Gütersloh 2003, S. 97-100).

AMEN.

Perikope

Mission ist Hinhören und Hingehen – Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Christoph Hildebrandt-Ayasse

Mission ist Hinhören und Hingehen – Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
16,9-15

Die Apostelgeschichte des Lukas 16, 5-15

Der Ruf nach Makedonien

Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Makedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Makedonien und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Makedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Makedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. Am Sabbattag gingen wir hinaus vor das Stadttor an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen. Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.

 

Liebe Gemeinde,

Gott selber sucht sich den Weg in unser Herz. Das nennt man Mission. Das ist die Mission Gottes.

Aber: wenn es um „Mission“ geht, dann kann man sich ja herrlich streiten.

Für die einen ist die christliche Mission den Kolonialmächten hinterher marschiert und hat mit der Bibel in der erhobenen Hand die zum christlichen Glauben gezwungen, die vorher mit den Waffen der Kolonialisten in die Knie gezwungen worden waren.

Für andere ist Mission wahre Nächstenliebe, die Unterdrückte vor Ungerechtigkeit bewahrt, sich für ihre Rechte gegenüber den Machthabern einsetzt, Armut bekämpft und hilft, Bildung und medizinische Versorgung zu entwickeln.

Für beides finden sich reichlich Beispiele in der Missionsgeschichte. Mancher möchte das Wort Mission schon gar nicht mehr in den Mund nehmen, weil er nur Missverständnisse oder Widerstände befürchtet; eine andere, weil sie Mission nur negativ besetzen können.

Aber reden wir heute einfach einmal über Mission; und zwar so, wie es unser Bibelabschnitt hier in der Apostelgeschichte tut.

Und da musste ich erst einmal einen liebgewonnenen Gedanken beiseiteschieben, der mir gleich zu dem Abschnitt aus Apostelgeschichte 16  in den Kopf kam: hier, bei dem Bericht von der Bekehrung der Lydia in der Stadt Philippi, geht es um den Übergang des Christentums von Asien nach Europa. Das hatte ich irgendwann einmal so gelernt oder gehört und behalten: der Apostel Paulus bringt hier das Christentum von Asien nach Europa. Apostelgeschichte 16 beschreibe den Beginn des christlichen Abendlandes. Hier werde Europa zum ersten Mal „der Stempel des christlichen Abendlandes aufgedrückt“, das las ich dann kürzlich auch noch irgendwo bei der Vorbereitung der Predigt.

Aber das ist eigentlich eine recht seltsame Vorstellung. Gott schickt den Paulus doch nicht nach Europa, damit er dann auf seiner Weltkarte die europäischen Länder als christlich missioniert anmalen kann. Solche Weltkarten, solche Missionsatlanten gaben die Missionsgesellschaften um das Jahr 1900 herum heraus. (Ich habe eine kleine Sammlung davon.) Auf so einem Missionsatlas konnte man wie auf der strategischen Karte eines Feldherrn sehen, wie sich das Christentum siegreich auf allen Kontinenten und in allen Ländern ausbreitete. Und heißt es denn nicht im Missionsbefehl: Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker? (Mt. 28,19)

Gott aber denkt nicht geografisch, sondern menschlich. Ihm geht es nicht um die Völker, sondern um die einzelnen Menschen, denen er sich zuwenden will, ganz persönlich; denen er nahe sein will alle Tage bis an der Welt Ende. (Mt. 28, 20)

Zudem: für den Apostel Paulus war seine Bootsfahrt von Troas nach Neapolis und die kurze Weiterreise von dort nach Philippi, wo er dann die Lydia traf, ja kein Übergang von dem asiatischen Kontinent auf den europäischen, keine Reise von Asien nach Europa. Für Paulus als Staatsbürger des römischen Weltreiches war dies lediglich eine Schiffsreise von der römischen Provinz Mysien in die römische Provinz Mazedonien. Er dachte sich nicht: Oiweiwoi, jetzt hat mich Gott sogar nach Europa geschickt!

Nein Paulus wusste nur: Gott hat mich in diese andere Provinz, hierher in die Stadt Philippi geschickt. In den Versen vor unserem Predigttext erfahren wir, dass er vorher in dem Gebiet Asias, durch das er gereist war (das ist in etwa da, wo heute die westliche Türkei liegt) so gar nichts hatte bewirken können. Da wo er zu missionieren versucht hatte, war ihm kein Erfolg vergönnt. Ja, er merkte: Gott will nicht, dass ich hier bin. Mir ist es hier verwehrt, in seinem Geist zu wirken.

Gott selber sucht sich den Weg in unser Herz. Das nennt man Mission. Das ist die Mission Gottes.

Es fällt auf, wie wenig unser Missionar Paulus hier selber ausrichten kann. Wie wenig er dem Bild entspricht, das viele Menschen von einem Missionar im Kopf haben.

Was tut Paulus denn schon: er schläft und er redet, unterhält sich. Er hat keine besonderen Pläne und Strategien. Er ist offen für das, was Gott ihm vor die Füße legt. Er hält in Philippi keine ausführliche Missionspredigt von einer Kanzel herab oder an einem öffentlichen Platz. Er vertraut, dass Gott ihm seinen Weg zeigen wird; und er spricht zu anderen und mit anderen über Gott. Er hört die Bitte des Menschen aus Makedonien im Traum. Bitte, komm, und hilf uns. Und er leistet dieser Bitte Folge.

Mission, so kann man sagen, hört auf das, was andere sagen. Sie geht nicht einfach los, weil man missionieren will. Um Gottes Willen hört sie, worum andere bitten, was andere brauchen. Und Mission nimmt den anderen wirklich als anderen wahr. Paulus erkennt im Traum, dass er von einem Menschen aus Makedonien angesprochen wird. Woran Paulus das erkennt, wird nicht gesagt. War es die Kleidung oder die Sprache, ein besonderer Dialekt? Paulus hat auf seinen Reisen durch das römische Weltreich sehr viele unterschiedliche Provinzen mit ihren je eigenen Kulturen und Sprachen kennen gelernt.

Mission achtet andere Sprachen und Kulturen. Ihre Aufgabe ist es nicht, die eigene Kultur zu exportieren und anderen überzustülpen. Ihre Aufgabe ist, zuzuhören auf das, was andere sagen, bitten, raten und loszugehen im Namen Gottes; nicht im eigenen Namen.

In Philippi trifft Paulus auf Lydia. Er setzt sich zu ihr und den anderen Frauen. Er begegnet ihnen auf Augenhöhe. Am Fluss vor der Stadt Philippi treffen sich am Sabbat die Frauen zum jüdischen Gebet. Unter diesen jüdischen Frauen ist auch Lydia. Sie ist eine Gottesfürchtige, und das heißt, sie ist keine geborene Jüdin, aber sie möchte zur jüdischen Gemeinde dazu gehören. Sie kennt die jüdische Bibel, unser Altes Testament, und sie vertraut dem Gott, den sie aus der Bibel und den jüdischen Gebeten kennt.

Mit ihr spricht Paulus über Jesus Christus, den Messias, der aus dem Volk Israel herkommt und allen Menschen nahe sein will. Der hilft, der zu Recht bringt, der heilt an Leib und Seele, der vergibt und der den Tod überwand.

Und ganz unspektakulär wird dann berichtet, dass Gott der Purpurhändlerin Lydia das Herz auftut, dass sie glaubt und dass sie sich taufen lässt. Nicht nur sie lässt sich taufen; nein, sie ist wirkich überzeugt von ihrem Entschluss sich auf den Namen Jesu Christi taufen zu lassen. Und sie sagt das ihrer ganzen Familie und allen, die zu ihrem Haushalt gehören: es ist auch gut für euch; es tut euch gut, wenn ihr euch taufen lasst. Und aus diesem Anfang mit Lydia wird eine Gemeinde in Philippi entstehen.

Gott selber sucht sich den Weg in unser Herz. Das nennt man Mission. Das ist die Mission Gottes.

Und wenn man bedenkt, dass diese Lydia eine reiche Purpurhändlerin war und wenn man sich zugleich daran erinnert, dass Jesus einmal sagte, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als eine Reiche in das Reich Gottes, dann wird das hier noch zusätzlich eine ganz besondere Missionsgeschichte. Diese Lydia war keine arme, an den Rand gedrängte oder unterdrückte Frau. Sie war Asiatin, denn sie stammte aus Tyatira, der Gegend, in der Paulus zuvor nichts hatte bewirken können. Sie war reich, erfolgreich und aus Asien. Und Gott tat ihr das Herz auf.

Was ist Mission? Mission ist hinhören und hingehen. Auf Augenhöhe. Und offen für jede Begegnung.

Gott selber sucht sich den Weg in unser Herz. Das nennt man Mission. Das ist die Mission Gottes.

Amen

Perikope

Die Befreiung des Petrus – Predigt zu Apostelgeschichte 12,1-11 von Christiane Borchers

Die Befreiung des Petrus – Predigt zu Apostelgeschichte 12,1-11 von Christiane Borchers
12,1-11

Liebe Gemeinde!

Diese Geschichte ist eine Wundergeschichte. Gibt es das im wirklichen Leben, dass jemand aus einer aussichtslosen Lage befreit wird? Sind Sie schon einmal in eine Situation hereingeraten, woraus es kein Entrinnen gab? Glaubten Sie jedenfalls? Aber irgendwann ging es dann doch weiter?

Petrus hat so etwas erlebt. Er sitzt im Gefängnis, ihn erwartet der sichere Tod. König Herodes hat felsenfest vor, ihm nach dem Passahfest hinzurichten, sowie Jesus kurz vor dem Passahfest hingerichtet wurde. Jedenfalls führt kein Herrscher eine Hinrichtung während des Passahfestes durch. Das widerspricht dem religiösen Codex, wird das Passahfest doch zum Andenken aus der Befreiung aus Ägypten jedes Jahr begangen. Errettung durch Gott passt nicht mit einer Hinrichtung zusammen. Das spürt jeder. Also muss eine Hinrichtung nach den Feiertagen geschehen. So jedenfalls plant es Herodes und es spricht alles dafür, dass es auch so geschieht. Petrus ist doppelt und dreifach gesichert, damit er nicht doch noch durch einen dummen Zufall entwischen kann. Er ist mit zwei Ketten gefesselt, möglicherweise eine an den Händen, die zweite an den Füßen.  Zwei Soldaten sind direkt neben ihm in seinem Verlies postiert, zwei weitere bewachen vorsichtshalber die Gefängnistür. Ein Entkommen ist unmöglich, dachte Herodes. Aber Gott denkt anders und schickt Rettung. Er schickt seinen Engel, der Petrus befreit. Die Befreiung wird ausführlich beschrieben: Der Engel erscheint in der Gefängniszelle, in der Petrus eingekerkert ist und erleuchtet den Raum. Es ist also dunkel in der Zelle. Petrus sitzt im Dunkeln, kann sich nur schwer oder gar nicht orientieren. Dunkelheit und Orientierungslosigkeit verstärken die Ängste und ersticken Hoffnung. Es hat Methode, Menschen mürbe zu machen. Es genügt einem Herodes nicht, die Todesstraße durchzuführen, dem Verurteilten soll die Würde und jeder Wille zum Leben gebrochen werden. Damit ganz klar ist, wer es hier zu sagen hat und dass Widerstand zwecklos ist. 

Petrus schläft, als der Engel erscheint. „Steh schnell auf“, fordert er ihn auf und stößt ihn dabei in die Seite. Die Ketten fallen wie von selbst von Petrus ab. Der Engel gibt weiterhin Befehle, wie er sich verhalten soll: Güte dich, zieh deine Schuhe an, wirf deinen Mantel über, folge mir.“ Das geschieht in zügiger Geschwindigkeit, Petrus soll sich in aller Eile  für seine Befreiung rüsten. Es gilt, keine Zeit zu verlieren, so wie bei den Israeliten in Ägypten, als sie in ihre Freiheit aufgebrochen sind. Es ist nicht immer noch Zeit, dringende und drängende Angelegenheiten müssen jetzt angegangen werden. Ohne Nachzudenken folgt Petrus den Anweisungen. Zweifel kann er sich nicht leisten, dazu ist seine Lage zu prekär. Ihm ist, als ob er träumt, Petrus ist gar nicht mehr richtig in der Realität verankert. Seine Sinne sind durch die Ausweglosigkeit seiner benebelt. Ihm ist längst der Boden entzogen. Er glaubt, dass er sich seine Rettung eingebildet hat. Der Engel weiß, was er zu tun hat. Er geht unbeirrt und zielsicher durch die erste und zweite Wache. Traumwandlerisch geht Petrus hinterher. Niemand hält die beiden auf. Die beiden durchschreiten das eiserne Tor des Gefängnisses. Petrus weiß nicht, wie er da durchgekommen ist. Das Tor tut sich irgendwie von selber auf. Engel und Petrus gehen eine Straße weit, dann sieht Petrus sich allein. Petrus muss erst einmal zu sich kommen, er hat automatisch das gemacht, was der Engel vom ihm verlangt hat. Benommen von der Erlebnis erkennt er aber doch bald: Gott hat ihm einen Engel geschickt, der ihn vom sicheren Tod bewahrt hat und ihn in die Freiheit geholfen.

Wohin soll Petrus jetzt gehen? Hier kann er nicht bleiben. Instinktiv entfernt er sich von diesem schrecklichen Ort und geht schnurstracks zu der Mutter des Johannes. Hier trifft er auf weitere Jünger Jesu. Die haben sich hierher zurückgezogen aus Angst vor den Verfolgungen des Herodes. Sie stärken und verbinden sich, beten für ihre verfolgten Schwestern und Brüder.

Petrus ist noch einmal davon gekommen. Er hat Gottes große Hilfe erfahren. Kennen Sie auch solche existentiellen Erlebnisse? Erlebnisse, die Sie nie für möglich gehalten hätten, Erlebnisse, die Sie befreit haben aus einer ausweglosen Lage? Dazu müssen wir nicht im Gefängnis sitzen und vom Tode bedroht sein. Wir sind auch dann aus der Bahn geworfen, wenn unser Lebensgebäude ins Wanken gerät und wir keinen Boden unter den Füßen haben. Schwere nicht zu bewältigende Umbrüche können zum Tod führen. Meistens aber schickt Gott doch einen Engel, der uns die Sonne wieder sehen lässt.

Da ist Anna. Sie hat ihr Leben eingerichtet, bald bricht eine neue schöne Lebensphase an. Sie freut sich auf die Zeit nach ihrer Berufstätigkeit und die ihres Mannes. Beide werden mehr Zeit für einander haben und füreinander da sein können. Anna freut sich auf glückliche Jahre, die sie und ihr Mann genießen werden. Sie sieht sich morgens gemeinsam mit ihm frühstücken, nachmittags gemütlich bei einer Tasse sitzen, so wie ihre Eltern das machen. Sie möchte die eine oder andere Reise unternehmen, Ziele gibt es genug, sie möchte gemeinsam mit ihrem Mann Kontakte zu befreundeten Ehepaaren verstärkt pflegen, mit ihm sich in einem ehrenamtliches Projekt engagieren. Anna möchte ein schönes erfülltes Leben führen, ohne Stress, ohne Druck. Sie hat Ziele, sie hat Visionen. Sie ist begeistert ihrem Mann gefolgt, hat ihm vertraut, hat seine Träume geteilt, mit ihm Pläne geschmiedet. Es kommt zur Krise, ihr Mann wendet sich ab, will nicht länger an der Ehe festhalten, will eine neue Frau. Anna gerät in eine schreckliche Situation. Angst und Unsicherheit bringen sie zum Verzweifeln. Was wird aus mit ihr? Ihr Leben ist verwirkt. Sie sieht für sich keine Zukunft mehr. Ihr Leben ist sinnlos geworden. Ihr Mann ist ihr Leben gewesen.

Die Verlassenheit frisst sie auf. Was folgt, ist schlimm. Jeden Tag geht Anna neu durch Tiefen, jede Nacht weint sie um ihr verlorenes Glück. Sie erlebt höchste Nöte über einen langen Zeitraum. Plötzlich lichtet sich die Dunkelheit, sie weiß nicht wie, plötzlich tut sich eine Tür auf, plötzlich zeigt sich die Sonne. Anna findet den Weg ins Leben.  

Es gibt Situationen, da sind wir gefangen in unserer Angst. Wir sitzen im Dunkeln und haben keine Hoffnung. Wer hilft uns heraus aus der Not? Aus eigener Kraft schaffen wir das nicht.  

Gott hilft, er rettet aus Angst und Verzweiflung, führt heraus aus Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit, zeigt einen Weg. Ich stelle mir vor, dass Petrus froh gewesen ist, als der Engel ihm Anweisung gegeben hat, was er tun soll. Manchmal ist es gut, wenn uns jemand führt und leitet und uns sagt, was wir tun müssen. Es kann passieren, dass sich Türen öffnen und wir einen Weg sehen, den wir zuvor nicht gesehen haben. Gott schickt einen Engel, der hilft, wenn wir nicht weiter wissen. Wenn wir uns selber nicht mehr helfen können, sind wir froh, wenn Hilfe von außen kommt.

Petrus ist aus dem Gefängnis befreit und vor dem sicheren Tod bewahrt worden. Rettung aus aussichtsloser Situation ist möglich gegen allen Anschein, auch heute noch. Es gibt Menschen wie Anna, die sich aufgegeben haben und die dennoch einen neuen Weg finden. Ich bin gewiss: Gott überlässt uns nicht der Dunkelheit. Er sendet einen Engel und führt uns ins Licht. Amen.

Perikope

Die Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen – Predigt zu Apostelgeschichte 12,1-10 (11-17) von Barbara Bockentin

Die Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen – Predigt zu Apostelgeschichte 12,1-10 (11-17) von Barbara Bockentin
12,1-10

 

Winter 1990/1991: Ich stehe in einer kleinen Stadt inmitten einer Menschenkette. Sie zieht sich durch die Fußgängerzone. Alle tragen ein Glas mit einer Kerze in den Händen. Nicht alle gehören überhaupt zu einer Kirche. Alle eint, dass sie ein Mahnmal angesichts des drohenden Golfkriegs gegen den Irak, der im August Kuwait annektiert hatte, setzen wollen. Am 17. Januar 1991 beginnt die Operation „Wüstensturm“.

In der Stadt, in der ich heute arbeite, gibt es seit Anfang des Monats wieder ein Friedensgebet.

Die politische Situation gebietet die Einrichtung eines solchen Gebetes, sind sich alle im Vorbereitungskreis einig. „Wir müssen informieren, anklagen und bekennen.“ Das ist der Grundtenor.

Am 21. September, dem internationalen Friedenstag, werden zwischen 18.00 und 18.15 Uhr die Glocken vieler Kirchen läuten. Die Kirchengemeinden sind dazu aufgerufen worden. „Glocken rufen zu Andacht und Gebet,“ heißt es im Anschreiben an die Gemeinden.

„Beten verändert“ – das ist die Hoffnung hinter den Friedensgebeten. Diese Hoffnung stimmt nicht unbedingt mit den Erfahrungen überein. Trotzdem wird immer wieder zu Friedensgebeten und ähnlichen Aktionen aufgerufen.

Gebeten wird einerseits nicht viel Kraft und Wirkung zugetraut. Fragt man jemanden, ob er daran glaubt, hört man: „Ich glaube nicht daran, es wird aber auch schon nicht schaden.“ Andererseits werden immer wieder Kerzen in Kirchen angezündet.  Gebetsanliegen werden aufgeschrieben und an dafür vorgesehenen Stellen abgelegt. Die Möglichkeit, eigene Anliegen vor Gott zu bringen, wird nicht nur im Gottesdienst gerne genutzt.

Beten – das scheint auch die einzige Möglichkeit für die kleine Gemeinde in Jerusalem zu sein. Ihre Existenz ist bedroht. Jakobus, einer der Apostel, ist hingerichtet worden. Petrus ist im Gefängnis. Ihm droht dasselbe Schicksal. Alle in der Gemeinde haben das Gefühl, dass sich die Schlinge um ihn und um sie immer enger zieht. „Die Gemeinde betete Tag und Nacht für ihn (Petrus) zu Gott.“

„Not lehrt beten“ – hin und wieder höre ich es: damals nach dem 2. Weltkrieg waren die Kirchen voll, wie auch einige Zeit nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York. Das Gefühl der Ohnmacht lässt Menschen die Hände falten und sich an Gott wenden.

Beten – wenn nichts Anderes mehr hilft. Wenn eine schwere Operation bevorsteht, wenn die Gefahr für Leib und Leben unausweichlich erscheint.

Was wie eine moderne Befindlichkeit erscheint, ist zutiefst menschlich. Die Psalmen geben dem wortgewaltig ihre Stimme. Selbst Kirchenräume erzählen auf ihre Art davon.

Beten ist gewaltfreier Widerstand. Wer betet, will sich nicht mit dem abfinden, was ist. Wer betet, weiß zugleich, dass sie es nicht allein schaffen kann. Wer betet, nimmt das Leben wie unter einem Brennglas wahr.

Oft genug habe ich den Eindruck, dass ich nichts tun kann. Was soll ich als einzelne schon bewirken können? So passiv das Beten auf andere wirken mag, so sehr ist es doch in Wirklichkeit ein aktiver Vorgang. Wenn ich meine Hände falte oder sie geöffnet vor mich halte, dann werde ich wehrlos. Gefaltete Hände sind eben keine geballten Fäuste. Beten ist für mich wie ein Eingeständnis dafür, dass ich nicht weiter weiß. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Ich gebe ab, was ich selbst nicht erreichen kann.

Es tröstet und trägt mich, wenn ich weiß, dass andere mein Anliegen teilen. Wenn ich zweifle, ob mein Beten etwas nützt und meine Stimme zaghafter und leiser wird, dann sind da noch die anderen Stimmen, in die ich mich fallen lassen kann.

Sicher, ich habe keine Garantie dafür, dass mein Beten so ausgeht, wie ich es mir wünsche. Aber soll ich deshalb aufhören, mit Gott zu rechnen? So, wie es in der Apostelgeschichte von der Befreiung des Petrus erzählt wird, ist es viel zu schön, um wahr zu sein. Es mutet wie ein Märchen an. Bevor das geschieht, muss die Gemeinde damit umgehen, dass ihr Gebet für Jakobus ohne Erfolg war. Dennoch hören sie mit dem Beten nicht auf. Sie hören nicht auf, Gott in den Ohren zu liegen. Sie ergeben sich nicht der Macht der Mächtigen. Sie finden sich  nicht mit dem scheinbar Unabdingbaren ab. Sie hören nicht auf, daran zu glauben, dass Gott das Leben will.

Mit den dann folgenden Ereignissen haben die Christen in der Jerusalemer Urgemeinde dann nicht gerechnet. Mit viel Humor wird geschildert, dass sie selbst ihre Gebetserhörung unglaublich finden. Es ist einfach zu verrückt. Es ist ein Wunder.

Mit dem Unwahrscheinlichen rechnen. Das haben Menschen zu jeder Zeit wieder neu lernen dürfen. Die Hoffnung, dass Gott mein Gebet erhört, zugleich mit meinen Worten quasi vor mich her zu werfen. Dann kann ich mich von dieser Hoffnung tragen lassen.

Das Unwahrscheinliche wagen: darauf setzen, dass Ohnmacht sich machtvoll wandelt. Dazu braucht es Mut. Das, was ich mir erhoffe, für mich selbst, für andere, für die Welt, Gott vor die Füße zu werfen. An Gott abgeben, was ich nicht selbst erreichen kann. Das ist Beten.

Solches Beten wird gehört.

Von dieser Gewissheit werden die Gebete genährt. Wer betet, webt mit an dem Klangteppich der vielen Gebete, die seit Menschengedenken vor Gott gebracht werden. Diese Vorstellung ist es, die mein Beten trägt. Deshalb kann ich nicht aufhören zu beten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mächtigen dieser Welt die Oberhand behalten. Wer betet, ist nicht allein. Er verbindet Lob, Dank und Klage mit dem, was schon immer Gott überlassen worden ist. Das macht stark und mutig. Das wird gehört. Von Gott und von Menschen.

Die Friedensgebete werden unser Bewusstsein schärfen. Wir schauen hin. Wir erkennen, was wir ändern können. Wir geben in Gottes Hand, was wir loslassen müssen. Ich bin nicht allein. Andere beten ohne Unterlass mit mir.

 

Liedvorschlag nach der Predigt: „Klüger“ freitöne 93

Perikope