Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Elisabeth Tobaben

Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Elisabeth Tobaben
16,9-15

9. In der Nacht hatte Paulus eine Erscheinung. Ein Mann aus Mazedonien stand vor ihm und bat: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“
10. Gleich nachdem Paulus die Erscheinung gehabt hatte, suchten wir nach einer Möglichkeit, nach Mazedonien zu gelangen. Denn wir waren sicher: Gott hatte uns dazu berufen, den Menschen dort die Gute Nachricht zu verkündigen.
11. Von Troas aus setzten wir auf dem kürzesten Weg nach Samothrake über. Einen Tag später erreichten wir Neapolis.
12. Von dort gingen wir nach Philippi. Das ist eine bedeutende Stadt in diesem Bezirk Mazedoniens und römische Kolonie. In dieser Stadt blieben wir einige Zeit.
13. Am Schabbat gingen wir durch das Stadttor hinaus an den Fluss. Wir nahemn an, dass dort eine jüdische Gebetsstätte sei.
Wir setzten uns und sprachen zu den Frauen, die an diesem Ort zusammengekommen waren.
14. Unter den Zuhörerinnen war auch eine Frau namens Lydia. Sie handelte mit Purpurstoffen und kam aus der Stadt Thyatira.
Lydia glaubte an den Gott Israels. Der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie die Worte des Paulus gerne aufnahm.
15. Sie ließ sich taufen zusammen mit allen, die in ihrem Hause lebten. Danach bat sie: „Wenn ihr überzeugt seid, dass ich wirklich an den Herrn glaube, dann kommt in mein Haus. Ihr könnt bei mir wohnen!“ Und sie drängte uns förmlich dazu. (Basis-Bibel)

Liebe Gemeinde!

Das hört sich an wie ein Reisebericht, was wir da gerade gehört haben.
Ich habe den Eindruck, ein Atlas wäre ganz praktisch gewesen heute, um besser zu verstehen, in welche Gegend uns denn diese Erzählung aus der Apostelgeschichte entführt!
Vielleicht ist es Ihnen beim Zuhören aber auch so ähnlich ergangen wie mir, und Sie haben über all die geographischen Angaben erstmal mehr oder weniger weggehört.
Das ist das ja oft so, wenn irgendwo so viele Namen von Städten oder Landschaften vorkommen, gerade wenn sie einem eher fremd sind: sie rauschen an einem vorbei.
Wenn plötzlich etwas Vertrautes  dazwischen auftaucht, ist das was anderes, und man sagt vielleicht: „Oh ja, das kenn ich, da war ich auch schon mal!“
Und mit einemmal hat man ein Bild vor Augen;  man weiß, wie es da aussieht und kann sich viel besser vorstellen, was erzählt wird.
Erstmal ein Reisebericht also.
Die Geschichte ist aber zugleich auch eine Bekehrungsgeschichte.
Die Geschichte von Lydia, der Purpurhändlerin, die mit ihrem ganzen Haus, mit ihrer Familie, ihren Mitarbeiterinnen und Angestellten getauft wird und sich zu Christus bekennt, wie jemand anfängt zu glauben:
Verbunden mit der Frage: Wie kommt es denn eigentlich dazu?
Und hier - bei Lydia- gibt es eine ganz klare und eindeutige Antwort:
Der Herr öffnete ihr das Herz, dass sie aufmerksam den Worten des Paulus lauschte.“  (V.14)
Gott selbst ist in Aktion, von ihm kommt der entscheidende Anstoß, sowohl bei Lydia - als auch bei Paulus!
Denn auch Paulus hat seinen Weg ja keineswegs von vornherein klar und eindeutig erkannt!
Er ist auf der Suche und probiert herauszufinden, wo er als nächstes das Evangelium verkünden soll.
Der entscheidende Punkt auf den es ankommt, im Reisebericht wie in der Bekehrungsgeschichte ist: Gott greift ein, er lenkt die Wege von Paulus und seinem Missionstrupp und er öffnet Lydia das Herz.
Und bei uns?
Oder anders gefragt: Was können wir denn aus dieser Geschichte gewinnen für unseren Glauben und unsere Gemeinde?
Dazu zunächst noch einmal zum Reisebericht zurück: ich denke, der Verfasser hat mit Bedacht so viele Einzelheiten zur Reiseroute zusammengetragen.
Wie gesagt: es sind ungeheuer viele Namen von Landschaften und Städten, die Paulus und seine Mitarbeiter durchstreifen, vor unserer Geschichte wird schon davon berichtet:
Aus der Provinz Asien geht es über Phrygien nach Galatien, d.h. sie laufen also einmal längs  durch die heutige Türkei.
Dann den weiten Weg zurück und  vorbei an Mysien nach Bythinien;
Sie wollen gehen nach Nordosten, um dort ihre Arbeit fortzusetzen und fragen sich, ob sie dort Erfolg haben mit dem Evangelium.
Aber überall fühlen sie sich an der Verkündigung gehindert,
„...der Geist Jesu erlaubte es ihnen nicht...“, heißt es in V. 7.
Und so ziehen sie schließlich immer an der Küste entlang bis hinunter nach Troas.
Und da stehen sie und sind ratlos sind und wissen nicht, wie es weitergehen soll!
Denn nun liegt vor ihnen nur noch das offene Meer, und auf die Idee, dass sie ja auch in ein Schiff steigen könnten und hinüberfahren nach Griechenland, dieser Gedanke liegt ihnen offenbar so fern, dass sie darauf überhaupt gar nicht kommen!
Da drüben ist Europa, ein anderer Kontinent.
Da ist nicht mehr ihre Welt.
Nicht, dass es dorthin keine Kontakte gegeben hätte!
Im Gegenteil, es wird eifrig Handel getrieben zwischen den asiatischen und den europäischen Städten am Mittelmeer.
Und auch Lydia, die Purpurhändlerin, stammte - wie wir hören-  ursprünglich aus Asien, aus Thyatira und sie lebt und arbeitet jetzt in Philippi, in Griechenland, in Europa.

Paulus  braucht eine göttliche Weisung zum Sprung übers Meer!
Eine Erleuchtung! Er hat eine nächtliche Vision, einen Traum.
Und im Traum erscheint ihm ein Mazedonier, der ihn bittet: „Komm herüber und hilf uns!“
Damit ist die Sache klar, sofort   brechen sie auf, anscheinen noch mitten in der Nacht, völlig sicher, dass Gott sie dazu berufen hat.
Alles ist wieder offen.
Die Grenzen, die eben noch so dicht waren, spielen offenbar keine Rolle mehr.
Grenzen.
Jetzt im Februar ist bei uns auf der Insel auch immer die Zeit der Jahresplanungen.
Und dazu solch ein Predigt-Text, das ist schon spannend!
Auch wir haben in unserer Gemeinde längst Gottesdienste und Veranstaltungen in einen großen Übersichtskalender eingetragen und geguckt:  Was steht schon fest, z.B. wann kommt welcher Kurpastor/in, Freizeithelferin, wie passt alles zusammen, wann feiern wir das 50-jährige Jubiläum unserer Inselkirche?  Was fehlt vielleicht noch.
Und passiert es denn schon manchmal, dass der Satz fällt: „Nee, um die Zeit? das geht gar nicht, da kommt sowieso keiner!“
Es könnte ja sein, dass wir auch viel zu sehr auf Grenzen starren, von denen wir denken, dass sie da wären, wo wir sie sehen.
Haben wir damit womöglich gar nicht im Blick, dass Gott vielleicht etwas ganz anderes bewirken will bei uns?
Es kann ja sein, dass es auch bei uns irgendwo Menschen gibt, die wir gar nicht anzusprechen wagen, weil wir denken: Das hat ja sowieso keinen Zweck?
Übrigens: was ist, wenn z.B. die  plötzlich die Norderneyer  oder Borkumer im Traum erschienen und zu uns sagen: „Kommt herüber und helft uns?“
Und ich habe mich auch nochmal kritisch gefragt, wie  das denn  mit den Zahlen ist.
Wenn eine Veranstaltung kein Massenauflauf zu werden verspricht, halten wir uns ja gern sehr bedeckt.
„Das lohnt sich doch gar nicht“, sagt sich dann leicht mal.
„Lohnte“ sich denn Paulus‘ Einsatz in Philippi?
Immerhin ist das Ergebnis doch eigentlich relativ kümmerlich, wenn man‘s nüchtern betrachtet!
Ein einziges Haus, eine Familie, eine Betriebsbelegschaft wird getauft.
Eine Riesenmenge dürfte das nicht gerade gewesen sein, und ob sie eigentlich alle wirkliche selbst angefangen hatten zu glauben, darüber erfahren wir gar nichts.
Nur von Lydia selbst wird die Bekehrung berichtet.
Und sie zieht alle andern nach sich, gründet eine Hausgemeinde und sorgt für die Taufe aller.
Eine Frau also, die mehr wissen will, eine einzige, die fragt, zuhört, der Gott das Herz auftut.
Und das ist ausgerechnet auch noch eine Ausländerin!
Das Spannende ist: sie kommt genau aus der  Gegend, in der auch  Paulus und seine Leute gerade waren, und wo sie so erfolglos waren mit seiner Predigt, nicht verkündigen durften!
Es kann ja sein, dass Lydia auch erst in der Fremde ihr religiöse Interesse entdeckt hat.
Als „Gottesfürchtige“   beschreibt die Apostelgeschichte sie.
Das ist ein feststehender Begriff für Leute aus dem engsten Umkreis der jüdischen Gemeinde, keine Voll-mitglieder sozusagen, aber sehr interessiert und gebildet.
Oft Leute, die sich darauf vorbereiteten, der Gemeinde richtig beizutreten.
Und so trifft Paulus‘ Predigt eigentlich schon auf offene Türen bei ihr.
Das gibt es ja oft, dass Menschen fern von zu Hause viel offener sind für die Frage nach dem Glauben!
Dazu muss man nun  nicht gleich im Ausland leben und arbeiten, vielleicht merken Sie es auch an sich selbst, wenn Sie z.B. im Urlaub oder sind oder in den Ferien - wenn Sie da in eine fremde Kirche kommen, braucht es manchmal nur einen kleinen Anstoß - ein Bild, Musik, ein Wort oder einfach der Eindruck des Raumes - und Ihnen geht das Herz auf...

So passen sie denn gut zusammen, der Reisebericht und die Bekehrungsgeschichte!
Das Ermutigende an beiden Geschichten ist, finde ich, dass sie hier ja nicht zu Ende sind.
Mit Lydia fängt es erst an, dass das Evangelium sich in Europa ausbreitet.
Das offene Herz - es führt für Lydia dazu, dass sie auch ihr Haus öffnet!
Die kleine Hausgemeinschaft in Philippi wird so etwas wie eine Keimzelle des neuen Glaubens.
Ich glaube, dass es auch heute in unserer Kirche nicht in erster Linie um ausgeklügelte Sparmaßnahmen und auch nicht ausgefeilte Missionsstrategien mit irgendwelchen Leuchtfeuern gehen sollte.
Sondern was wir brauchen, das sind vielmehr einzelne Menschen –so wie Lydia-, denen das Herz aufgegangen ist, die mit beiden Beinen im Leben stehen und da von ihrem Glauben erzählen, von dem, was sie trägt und hält.
Lydia zwingt Paulus und seine Leute förmlich dazu, ihre Gäste zu sein.
„Wenn ihr kommt,“ sagt sie, „dann erkennt ihr damit an, dass ich jetzt richtig dazugehöre, dass ich fest an den Herrn glaube!“
Manchmal, denke ich, brauchen wir Menschen das, dass uns ein anderer sagt: ich sehe deinen Glauben, ich erkenne ihn an - gerade in Momenten des Zweifels, oder der Unsicherheit ganz am Anfang; wenn man sich selbst (noch) gar nicht so sicher ist, ob denn der eigene Glaube wirklich (schon) so tragfähig  ist, wie man selber möchte oder sich erträumt.
Deswegen feiern wir mit unseren Konfirmanden einen festlichen Gottesdienst zum Abschluss des Unterrichtes.
Die Geschichte von Lydia und Paulus kann uns Mut machen, unterwegs zu bleiben:
innerlich, und manchmal vielleicht auch buchstäblich:
- offen dafür, unsere inneren Weisungen und Traum-Bilder zu verstehen und
- und im Vertrauen darauf, dass wir herausfinden werden,  wohin Gottes Geist uns lenkt. Amen.
 

Perikope

Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-36 von Søren Schwesig

Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-36 von Søren Schwesig
10,21-36

Liebe Gemeinde,

wenn immer in der Weltpolitik etwas geschieht, was für das Leben der Menschen entscheidende und weitreichende Konsequenzen hat, dann bemühen Politiker gern den Satz: „Wir erleben einen historischen Augenblick.“ Meist haben diese sogenannten historischen Augenblicke zu tun mit einem Regierungswechsel, dem Fall von Mauern oder der Beseitigung anderer, trennender Schranken.

Versuchen sie sich einmal zu erinnern an einen solchen historischen Augenblick. Viele werden an die Novembernacht 1989 denken, als zum ersten Mal nach Jahrzehnten der Trennung Deutsche aus Ost und West auf der Berliner Mauer ein Freudenfest feierten. Diese Nacht mit all den nachfolgenden revolutionären Veränderungen war sicher ein Augenblick, das das Prädikat `historisch´ wirklich verdient hat.

Historisch in seinen Folgen war sicherlich auch die Terroranschläge des 11. September 2001. Die Welt ist – so kann man das wohl sagen – tatsächlich eine andere geworden seit diesen Ereignissen.

Unser heutiger Predigttext lässt uns ebenfalls an einer historischen Stunde teilnehmen. Es geht um eine historische Begegnung, auch wenn diese Begegnung äußerlich ohne jede Dramatik verlief. Unser Predigttext lässt uns Zeuge einer Begegnung werden, der wir im Grunde die Existenz unserer Kirche zu verdanken haben. Denn in dieser Begegnung wurde eine Grenze überwunden zwischen Menschen, die bisher als Fremde und als Ungläubige galten. Aber der Reihe nach.

Wir hören von einem Cornelius, seines Zeichens römischer Offizier in Cäserea. Cornelius gilt als "gerecht und gottesfürchtig". Einer, der sich ernsthaft für religiöse Fragen interessiert. Einer, der auf der Suche ist nach Gott. Als Anhänger des Judentums Cornelius sympathisiert Cornelius mit dem jüdischen Glauben. Aber er zieht nicht die Konsequenz, zum Judentum überzutreten und sich beschneiden zu lassen. Damit gilt er strengen Juden als unrein.

Cornelius empfängt in seiner Heimatstadt eine Engelsvision. Ein Engel befiehlt ihm, aus der Stadt Joppe einen Mann namens Simon mit dem Beinamen Petrus holen zu lassen. Dieser habe ihm Wichtiges zu sagen. Gott habe seine, des Cornelius, gottesfürchtige Haltung gegenüber den Juden und ihrem Glauben gnädig angesehen.

Zur selben Zeit hat Petrus, der in Joppe ist, ebenfalls eine Vision. Er sieht ein riesiges Bündel aus dem Himmel herniedersinken, in dem alles Getier, das auf Erden existiert, ihm zur Nahrung angeboten wird, Reines und Unreines durcheinander. Petrus als ein frommer Jude, der sich an die Speisevorschriften der Bibel hält, lehnt das dreimalige Angebot dreimal ab: Er habe noch nie Unreines gegessen und wolle es auch diesmal nicht tun. Die Vision schwindet und lässt ihn ratlos zurück.

Und nun der Predigttext. Worte aus dem 10 Kp der Apostelgeschichte:

[21] Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin's, den ihr sucht; warum seid ihr hier? [22] Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast. [23] Da rief er sie herein und beherbergte sie. Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm. [24] Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen. [25] Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an. [26] Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch. [27] Und während er mit ihm redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren. [28] Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll. [29] Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen. [30] Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand [31] und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. [32] So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. [33] Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist. [34] Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; [35] sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.

Wir haben es gehört: Als Petrus noch über die Bedeutung seiner Vision grübelt, wird ihm die Einladung des Cornelius überbracht. Petrus folgt ihr, obwohl er doch als Jude heidnische Häuser keinesfalls betreten darf. Als er zu Cornelius kommt, wird ihm der Sinn seiner Vision klar: Gott selbst hat diese Begegnung mit Cornelius inszeniert, damit der heidnische Römer in die Gemeinde aufgenommen werde. Petrus beginnt seine Verkündigung des Evangeliums im Haus des Cornelius mit dem Schlüsselsatz der ganzen Geschichte: "Nun erfahre ich in Wahrheit, daß Gott nicht danach fragt, welchem Volk ein Mensch angehört; sondern wer Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm."

Im weiteren Verlauf seiner Predigt fällt der Heilige Geist auf alle Hörer, die Heiden eingeschlossen, und Petrus läßt sie taufen.

Die Bedeutung, ja Dramatik dieser Begegnung ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, wenn man nicht um die damaligen Barrieren zwischen Juden und Heiden weiß. Fromme Juden mieden Heiden. Sie sahen in ihnen Unreine; Menschen, die man zu meiden hatte, wollte man sich nicht verunreinigen. Die ersten Christen waren ja nichts anderes als fromme Juden, die sich von ihren Glaubensgenossen nur darin unterschieden, dass sie in Jesus den verheißenen Messias erkannten. Natürlich galt auch für sie die Devise galt: Mit Heiden wollen wir nichts zu tun haben!

Gott hat durch die Vision mit den reinen und unreinen Tieren sowie durch die Begegnung mit Cornelius gezeigt, wie er über diese Grenzen zwischen Menschen denkt: Für das Evangelium, für die Botschaft der Bibel, für den christlichen Glauben gibt es keine Reinen und Unreinen. Allen gilt die Botschaft Jesu. In Jesu Nachfolge kann es keine Grenzen zwischen Menschen geben.

Petrus hat verstanden, dass die biblische Botschaft nicht in Grenzen eingesperrt werden darf, sondern dass sie allen Menschen offensteht. Und nun kann aus der bisher jüdischen Sekte der Christen eine christliche Kirche entstehen, eine Gemeinschaft, die allen offensteht, egal welcher Herkunft, Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit. Die biblische Botschaft hat ihren ersten großen Befreiungsprozess durchlebt.

Der Glaube der Christen hat im Laufe seiner Geschichte immer wieder Grenzen erkennen und sprengen müssen, in denen er sich zu verfangen drohte. Denn immer wieder haben Menschen die biblische Botschaft mit Grenzen umgeben.

Ich denke daran, wie Martin Luther versuchte, eine Kirche zu reformieren, in der nicht mehr die biblische Botschaft maßgebliche Richtschnur des Handelns und Glaubens war, sondern wo getan wurde, was eine irregeleitete Kurie vorgab. Das Evangelium sprengte in der Reformation damals die Grenze, die Menschen ihm gezogen hatten - aber zu welchem Preis! Zum Preis der Kirchenspaltung. Heute leben wir in konfessioneller Zerrissenheit. Lassen wir uns nicht davon täuschen, dass der Ton zwischen Protestanten und Katholiken inzwischen geschwisterlicherer geworden ist. Lassen wir uns nicht davon einlullen, dass wir mit unseren katholischen Geschwistern dieses Haus teilen, dass wir gemeinsam ökumenische Kreise anbieten. Alles schön und gut. Aber es wäre erschütternd, würden wir uns mit diesem Zustand zufrieden geben.

Denn zwischen unseren beiden Kirchen gibt es Grenzen, gewichtige Grenzen, die Menschen voneinander trennen. Ich denke an das Abendmahl. Daran, dass uns Evangelischen noch immer die volle Abendmahlsgemeinschaft verweigert wird. Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass Gott nicht will, dass Christen andere Christen vom Abendmahl ausschließen. In der Frage des Abendmahles stelle ich mit Bitterkeit und Trauer fest, dass bis heute Gottes Einladung an Petrus zu einem Mahl ohne alle Grenzen nicht Einzug gehalten hat in das Abendmahlsverständnis unserer Schwesterkirche.

In der Geschichte der Christenheit ist das Evangelium immer wieder dadurch in Grenzen eingesperrt worden, dass Menschen ausgegrenzt wurden, sei es wegen ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder ihrer Religion. Ja, das Evangelium wurde sogar von solchen in Grenzen gesperrt, die ihm eigentlich dienen wollten. Paulus irrte, als er den Frauen in der Gemeinde den Mund verbieten wollte. Luther irrte, als er glaubte vom Evangelium her begründen zu können, dass aufständische Bauern, Juden und Andersgläubige verfolgt werden dürften. Die Bekennende Kirche irrte, als sie sich im Dritten Reich - bis auf wenige Ausnahmen - stärker für ihre eigene Freiheit einsetzte, als ihre Stimme zu erheben für Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma und Kommunisten.

Immer dann wurde der christliche Glaube in Grenzen eingesperrt, wenn Menschen ausgegrenzt wurden. Und das Evangelium befreite sich immer dann aus dieser Gefangenschaft, wenn Grenzen zu Menschen geöffnet wurden, wenn man sich klar machte, die Gemeinschaft der Glaubenden steht allen offen - unterschiedslos, weil Gott keine Unterschiede macht.

Ich glaube, dass diese Begegnung von Petrus und Cornelius uns, die wir mit Ernst Christen sein wollen, reichlich Anlass gibt, darüber nachzudenken, wo wir uns durch Vorurteile von anderen abgrenzen. Wo wir uns hinter Grenzen zurückziehen, um diejenigen zu meiden, die wir als störend empfinden, als lästig, als unsympathisch. Über solche Abgrenzungen sollten wir Rechenschaft ablegen. Aber nicht nur das - wir sollten auch versuchen, diese Abgrenzungen zu überwinden. Weil Gott ohne Vorbehalt Menschen in seine Liebe einschließt. Eröffnet das nicht neue Perspektiven für unser Tun?

Amen.

Perikope

Rein und unrein - Predigt zu Apostelgeschichte 10,1-2.(15b).21-35 von Thomas Bautz

Rein und unrein - Predigt zu Apostelgeschichte 10,1-2.(15b).21-35 von Thomas Bautz
10,21-35

Rein und unrein 

Liebe Gemeinde!

„In Cäsarea aber lebte ein Mann namens Kornelius, ein Hauptmann bei der sog. Italischen Kohorte; er war fromm und gottesfürchtig mit seinem ganzen Hause, tat dem (jüdischen) Volke viel Gutes durch seine Mildtätigkeit und betete (flehte) ohne Unterlass zu Gott.“

Ein römischer Hauptmann: „fromm“ und gottesfürchtig. Was aber meint „fromm“? Die lateinische Übersetzung (Vulgata) schreibt „religiosus“, hier wohl synonym mit „pius“. Diese und andere Begriffe aus der römischen Religion und Kultur bedeuten meist etwas anderes, als dies in modernen Sprachen der Fall ist.

Als exemplarisch für „pietas“ gilt der sagenhafte Stammvater Aeneas, der bei seiner Flucht aus dem brennenden Troja die Statuetten der Hausgötter und den Vater auf dem Rücken trägt und den Sohn an der Hand führt; mit ihm verbindet sich das Wort „pius“ seit Vergils Aeneis. „Frommsein“ (pius) ist bei den Römern also weniger eine Eigenschaft, sondern eher eine Grundhaltung und eine Verpflichtung zum Handeln.

Pietas deckt ein korrektes Verhältnis zu Eltern, Freunden und Mitbürgern ab, wie auch eine angemessene Haltung gegenüber den Göttern. Pietas dient als eine Form von Verteilungsgerechtigkeit, d.h. der Gerechtigkeit von Verteilungsregeln und ihren Ergebnissen; entsprechend gibt es eine Ergebnisgerechtigkeit als ein Gerechtigkeitskonzept, das solche Zustände einer Gesellschaft als gerecht definiert, in denen allen Mitgliedern der Gesellschaft der Nutzen aus der Gesellschaft („Ergebnis“) in grundsätzlich gleichem Maße zukommt.

Pietas ist Gerechtigkeit im Hinblick auf die Götter (Cicero: Über die Natur der Götter, 1.116). Dabei geht es um eine gegenseitige (reziproke) soziale Tugend, denn die Götter haben auch ihre Pflichten zu erfüllen. Pius, „Frommsein“ bedeutet also, im engeren wie auch im weiteren Umfeld der Gesellschaft - im Hinblick auf die Götter - nach Gerechtigkeit trachten.

Ich weiß nicht, inwieweit der griechisch schreibende Verfasser der „Taten der Apostel“ (Acta, Praxeis), Lukas, Religion, Kultur und Sprachgebrauch der Römer vor Augen hat. Als Arzt ist er jedenfalls gebildet genug, um diese Grundkenntnisse bei ihm voraussetzen zu dürfen.

Vom Hauptmann Kornelius erzählt Lukas, dass er in jeder Hinsicht ein frommes, gerechtes Leben führt: gesellschaftlich und religiös integer (aufrichtig, pflichtbewusst, rechtschaffen). Ich frage mich: Was fehlt diesem Menschen noch? Gibt es einen verborgenen Mangel oder gar einen Makel, der ihn vielleicht als einen unehrenhaften Mann oder gar als zwielichtige Gestalt und als Scharlatan entlarvt?

Nichts dergleichen wird von Lukas erwähnt; im Gegenteil: Kornelius ist gottesfürchtig, spendet freigiebig dem Volk Almosen und ist auch ein Mann des Gebets. Regelmäßig betet er, fleht zu „Gott“; wir wissen nicht, worum er bittet. Doch in Gestalt einer Vision wird ihm die Gewissheit zuteil, dass „Gott“ seine Gebete erhört hat; wiederum erfahren wir nicht, worin diese Erhörung besteht. Während ich noch darüber nachdenke, wie der Römer Kornelius (ein „Heide“) gebetet haben mag, lese ich eine Art Meditation über das Gebet von Yuval Lapide: „Das Herz der Kabbala“ (Sohn des leider verstorbenen Pinchas Lapide):

„Es ist aber nicht etwa so, als werde nur des Gerechten (auch des „Heiden“; Th.B.) Gebet von Gott empfangen und als sei nur dieses lieblich in seinen Augen.
 
Kein Beten ist gnadenstärker und dringt in geraderem Fluge durch alle Himmelswelten als das Beten des Einfältigen, der nichts zu sagen und nur das ungebrochene Müssen seines Herzens Gott darzubringen weiß.
 
Gott nimmt es an wie ein König das Singen der Nachtigall in der Nacht seines Gartens, das ihm süßer klingt als die Huldigung der Fürsten im Thronsaal.
 
Gott, der in die verborgenen Tiefen des Beters hinabsieht, begehrt die Einfalt und Unvoreingenommenheit des Ungeschulten und Unkundigen, weil dieser ein hohes Maß an Hingabe und anspruchsloser Echtheit, Schlichtheit und Wahrhaftigkeit demonstriert.
 
Die chassidische Legende weiß nicht genug der Beispiele für die Gunst, die dem Ungebildeten (auch dem „Heiden“; Th.B.) leuchtet, und für die Macht seines Dienstes.“

Später wird Kornelius nochmals als gerecht und gottesfürchtig vorgestellt: „ein gerechter und Gott fürchtender Mann, mit gutem Zeugnis von der ganzen Volksgemeinschaft der Juden …“. Wenn Lukas diese ehrenhafte Position vor der jüdischen Gesellschaft einfügt, führt er uns schon an die in seiner Erzählung dargestellte Problematik heran, nämlich was es einerseits damals bedeutet, wenn Juden Umgang mit „Heiden“, mit Unreinen haben, und wie absurd sich das Ganze von einer höheren Warte aus darstellt.

Nun führt Lukas Petrus als zweite Hauptperson in seine Erzählung ein. Als Jude, der Christus (Messias) als Erfüllung jüdischer Verheißungen verkündet, hält Petrus an den Speise- und Reinheitsgeboten der Tora fest. Doch in einem Traum erhält er Gottes Auftrag zur Tischgemeinschaft mit Kornelius, dem „gottesfürchtigen“ Römer.

Viele Ausleger behaupten, mit Petrus begönne die urchristliche „Heidenmission“. Sie löst zunächst Konflikte mit anderen Judenchristen aus, die von Nichtjuden das Einhalten jüdischer Gebote verlangen. Petrus verteidigt die Nichtjuden und seine Tischgemeinschaft mit ihnen damit, dass auch sie den Heiligen Geist empfangen haben. Dies müssen seine Jerusalemer Kritiker dann anerkennen.

Um die bereist erwähnte Absurdität und Unmöglichkeit vor Augen zu führen, Menschen wie Kornelius auf der einen Seite als gerecht und gottesfürchtig wertzuschätzen, auf der anderen aber Menschen wie ihn auf Grund ihrer Herkunft als „Heiden“ und Unreine auszugrenzen, wird Petrus im Traum unreines Getier gezeigt, begleitet von der Aufforderung, dieses zu schlachten und zu essen - für Petrus ein wahrer Alptraum. Doch er hört eine Stimme:

„Was Gott für rein erklärt hat, heiße du nicht gemein!“ Petrus kann sich später darauf berufen:

„Ihr wisst, wie streng es einem Juden verboten ist, Kontakt mit jemand zu haben, der zu einem anderen Volke gehört, oder gar bei ihm einzukehren. Gott hat mir aber gezeigt, keinen Menschen gemein oder unrein zu nennen.“ Seine nächste große Rede beginnt er mit dem Bekenntnis, dass er eine wichtige Lektion gelernt hat:

„Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott keine Unterschiede macht! Er liebt alle Menschen, ganz gleich, zu welchem Volk sie gehören, wenn sie ihn nur ernst nehmen (fürchten) und tun, was vor ihm recht ist.“

Mag Petrus nach der Einschätzung des Lukas zumindest kurzfristig diese tolerante Einstellung gepflegt haben, bei Paulus lässt sich beobachten, dass er sprachlich „Heiden“ im Gegensatz zu Juden voneinander abgrenzt. Alttestamentlich bezeichnet das hebräische Äquivalent (gojim) zunächst „Völker“, „Nationen“ im neutralen Sinne. Nach dem babylonischen Exil verschiebt sich aber die Bedeutung zunehmend zu einem religiösen Verständnis; fortan versteht man aus der Sicht Israels darunter „heidnische Völker“, „die Jahwe nicht dienen, ohne die Tora leben und einen frevelhaften Lebenswandel führen“ (Ulrich Heckel).

„Schließlich fühlte man sich als das erwählte und von Jahwe geliebte Volk weit erhaben über die gojim und sah auf sie herab; es sind die Ungläubigen, die ‚Heiden‘.“ (U. Heckel)

Hinwendung („Bekehrung“) zum Judentum und zum Christentum ist zwangsläufig verbunden mit Lossagung oder Abkehr von „heidnischen“ Göttern („Götzen“), Kulten und Ritualen. Für die polytheistische römische Religion ist die Aufspaltung in „christlich“ und „heidnisch“ zum einen dennoch tragbar, zum anderen führt sie durch das separatistische Verhalten der Christen zu Irritation und Missbilligung.

Vereinfacht gesagt, kommt es im 4. Jh. durch Kaiser Konstantin d. Gr. geschicktes Taktieren zu einer Vermischung römischer („heidnischer“) religiöser Elemente und christlicher Inhalte. So dienen Konstantin die Verehrung des Sonnengottes (Helios, Sol invictus und Apollon) und der etablierte Herrscherkult zu einer Parallelisierung mit der Verehrung des unbesiegten und triumphierenden Christus.

Zunächst gibt es Christen, die an römischen, „heidnischen“ Kulthandlungen teilhaben, aber die radikale Religionspolitik Kaiser Theodosius d. Gr. verfolgt im Unterschied zu Konstantin (I.) die Zerstörung paganer („heidnischer“) Heiligtümer und Kultgegenstände. Christen wird deren Verehrung strikt untersagt. Mit der Zementierung des Christentums als Staatsreligion wächst die Intoleranz gegenüber  „Heiden“ als Andersdenkenden und Andersglaubenden.

Ich fürchte, bei dieser m.E. arroganten, ignoranten Haltung ist es (mal stärker, mal schwächer) über fünfzehnhundert Jahre hinweg bis heute geblieben. Staatsbürger, die nicht getauft, nicht konfirmiert und nicht kirchlich getraut sind, werden bis ins 20. Jh. hinein noch als Menschen zweiter Klasse, eben als „Heiden“ behandelt. Freilich bekennt sich manch ein Zeitgenosse, nicht nur ein Bürger aus den neuen Bundesländern, selbstironisch zum „Heidentum“.

Wer innerhalb der Kirchengemeinschaft sein eigenes Kind nicht taufen lässt, wird heute noch beargwöhnt. Wer in einer Kirchengemeinde seine Meinung sagt zu Gottesdienstformen, Bekenntnissätzen und Glaubensformeln, wird mit Befremden angeschaut und meist gemieden. Der „reine“ Glaube steht fest und wird kollektiv bekannt. Für individuelle oder gar kritische Anschauungen ist selten Platz.

Die Zugehörigkeit zu einer Kirche (römisch-katholisch, evangelisch, freikirchlich) wird in ihrer Bedeutung m.E. immer noch überhöht, metaphysisch übersteigert. Wenn katholische Eltern z.B. fürchten (müssen), ihr Säugling käme nicht „in den Himmel“, wenn er nicht getauft ist, walten hier dogmatische Irrlehre und magischer Aberglaube, aber auf keinen Fall die nüchterne, frohgemute Gelassenheit eines Rabbi von Nazareth:

„Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen ist (gehört) das Reich Gottes.“ - „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, habt ihr keinen Anteil am Reich Gottes.“

Das Königreich Gottes, das Reich der Himmel, ist (Gott sei Dank) nicht identisch mit einer der großen Kirchen, auch nicht mit allen zusammen (Alfred Loisy), auch wenn im Mittelalter das Papsttum solche Wahnvorstellungen aus Machtbesessenheit vertreten hat.

Wer in der Nachfolge Jesu steht, betet mit jedem Vaterunser: „Dein Reich komme …“; in der Kirche geschieht das sehr oft, vielleicht sogar zu häufig, weil es bei allzu viel Wiederholung an Wert verlieren könnte. Wir sollen aber auch für das Kommen des Himmelreichs arbeiten; es hört sich für mich in der Bergpredigt wie eine Lebensregel an (Mt 6,33):

„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch all das andere obendrein gegeben werden.“

Bergpredigt (bei Mt) und Feldpredigt (bei Lk) des Nazareners und die vielen Gleichnisse Jesu beinhalten viel Lebenspraktisches und Erbauliches, und es wundert mich, dass sie in Kirchen heutzutage eine vergleichsweise geringe Rolle spielen. Das betrifft das Thema Reich Gottes insbesondere, obwohl dies beim Rabbi aus Nazareth zentral ist.

Könnte es nicht sein, dass sich dieser gottesfürchtige römische Hauptmann Kornelius, von dem Lukas erzählt, im Rahmen seiner Religion an der Gerechtigkeit orientiert hat, die auch im Judentum von entscheidendem Gewicht ist, die Jesus verkündet hat, und die das Christentum versucht zu verwirklichen?

Für das Königreich Gottes arbeiten, bedeutet auch, Menschen nicht mehr nach äußeren Kriterien, sondern nach inneren Werten zu beurteilen; das Anderssein, das Fremdsein nicht mehr als bedrohlich einzuordnen; das für mich Unverständliche nicht gleich mit Bausch und Bogen abzulehnen. Gesprächs- und Konfliktbereitschaft sind eine unverzichtbare Basis für echte, lebendige, gelebte, ungeheuchelte Gemeinschaft und größtmögliche Offenheit.

Gemeinsamkeit, vieles gemeinsam haben, gemeinsam feiern, singen, lesen, beten usw. - das ist sicher alles wunderbar, aber es könnte rein äußerlich bleiben, wenn die Grundlagen für die Gemeinschaft nicht geschaffen oder geweckt werden.

Für mich spielt auch eine große Rolle, ob eine Gemeinschaft oder besser jeder Einzelne davon wirkliches, ehrliches Interesse an einem Fremden hat, um ihm mit zweckfreiem Interesse zu begegnen. Ist mir an diesem Menschen um seiner selbst willen gelegen; bin ich für ihn so offen, dass ich ihn kennenlernen kann? Wird es zu einem echten Austausch auf Augenhöhe kommen? Bin ich bereit, etwas von ihm zu lernen oder meinen Horizont zu erweitern?

Oder möchte ich in erster Linie für die Institution Kirche werben, und alles andere ist letztlich Beiwerk, Nebensache oder gar Geplänkel? Ist dieser fremde, durchaus interessierte Mensch für mich (in bewusster Wahrnehmung oder zumindest unbewusst) ein „Heide“?!

Ich wünsche mir und allen christlichen, kirchlichen Mitarbeitern, dass die Erzählung vom Hauptmann Kornelius uns die gleiche Lektion erteilt, wie sie dem Petrus zuteil geworden ist, nämlich die Aufhebung der Unterscheidung von „reinen“ und „unreinen“ Menschen.

Ohne dass ich das näher kommentieren könnte, muss ich wiederum unwillkürlich an einen weiteren Spitzensatz aus der Bergpredigt (Mt 5,45 - im Kontext des Gebots der Feindesliebe:)  denken: „… damit ihr euch als Kinder eures himmlischen Vaters erweist. Denn er läßt seine Sonne über Böse und Gute aufgehen und läßt regnen auf Gerechte und Ungerechte.“

Im Aramäischen und Hebräischen (Jesus sprach kein Griechisch) sind solche Gegensatzpaare sprachlich sehr beliebt; so heißt es z.B. (von „Gott“): „Jakob hat er geliebt, Esau gehasst.“ Was etwa bedeutet: Den einen hat er bevorzugt, den anderen hinten anstehen lassen; Gründe zeigt der Zusammenhang. Oder (Bergpredigt) die Rede vom „guten Baum“, der gute Früchte, und vom „faulen Baum“, der faule Früchte hervorbringt; die Polarität ist natürlich nicht deckungsgleich auf Menschen anwendbar: „Niemand ist gut, außer Gott allein!“

Ergo: Kein Mensch ist weder gut noch böse, weder gerecht noch ungerecht; Menschen sind entweder mal das eine oder das andere, mal überwiegend gut oder böse, mal überwiegend gerecht oder ungerecht. In jedem Fall sollte sich jeder bemühen.

Zum Thema „unrein“ zitiere ich zum Schluss nochmals den Nazarener (Mt 15,11.17-20):

„Begreift ihr nicht, daß alles, was in den Mund hineingeht, in den Leib (Magen) gelangt und auf dem natürlichen Wege wieder ausgeschieden wird? Was dagegen aus dem Munde kommt, geht aus dem Herzen hervor, und das ist es, was den Menschen verunreinigt. Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken: Mordtaten, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, Verleumdungen und Lästerungen. Das sind die Dinge, die den Menschen verunreinigen; dagegen das Essen mit ungewaschenen Händen macht den Menschen nicht unrein.“

Amen.

Literatur

Rudolf Pesch: EKK V/1. Die Apostelgeschichte (Apg 1-12) (1986), 326-342.

Wilfried Paschen: Rein und Unrein. Untersuchung zur biblischen Wortgeschichte (1970).

Ulrich Heckel: Das Bild der Heiden und die Identität der Christen bei Paulus, in: Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden, hg.v. Reinhard Feldmeier/ U. Heckel. Einl. v. Martin Hengel (1994), 269-296.

Christine Mühlenkamp: „Nicht wie die Heiden“. Studien zur Grenze zwischen christlicher Gemeinde und paganer Gesellschaft in vorkonstantinischer Zeit (2008).

John Scheid: An Introduction to Roman Religion (1998, 2003): (I) Questions of Methodology (2) Definitions, concepts, difficulties (18-29): 22ff, 26ff.

Mary Douglas: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu (Purity and Danger, 1966; 1985, 1988). 

Perikope

Predigt zu Apostelgeschichte 10, 21- 35 von Michael Rambow

Predigt zu Apostelgeschichte 10, 21- 35 von Michael Rambow
10,21-35

Liebe Gemeinde!

Diese Begegnung zwischen dem römischen Besatzungsoffizier Kornelius und Petrus in Cäsarea hat eine eigentümliche Vorgeschichte. Alles beginnt so:
Bei Kornelius erscheint eines Nachmittags ein Engel mit der Botschaft, er solle Petrus zu sich nach Hause holen lassen, der sich gerade in Joppe aufhält.
Und Petrus sieht um die Mittagszeit wie auf einem Tischtuch allerlei Tiere und eine Stimme trägt ihm auf davon zu essen.

Bei solchen Bildern sagt sich mancher vielleicht: Na, da hat wohl der Mittagsschlaf dem einen und zu großer Hunger dem anderen ganz schön was vorgegaukelt.
Aber nach dieser seltsamen Vorgeschichte treffen die Kornelius und Petrus tatsächlich im Haus des Offiziers zusammen und Petrus erzählt dort, was Gott durch Jesus Christus getan hat.
Komisch ist das. Kann man so etwas glauben? fragt sofort die Skepsis des 21. Jahrhunderts.

Und genau das will Lukas mit dieser Erzählung in der Apostelgeschichte erreichen: Gibt es für Gottes Heil und Macht in der Welt eigentlich eine Grenze? Nein, antwortet er mit dieser Erzählung. Gott erreicht vielmehr  jeden Menschen auf wundersame Weise über alle Grenzen von Beruf, gesellschaftlicher Stellung oder Religion hinweg. Das lässt sich allein mit menschlichen Regeln nicht erklären.

Die Apostelgeschichte illustriert als Missionsbuch, welche enorme grenzenlose Wirkung das Heil hat, das Gott mit dem Kind in der Krippe Weihnachten in die Welt leuchten ließ.  In ganz normalen Menschen begegnet Gott mit seiner befreienden wunderbaren Botschaft des Heils.
Das sollen die Christen wissen und stets beherzigen.

Die Geschichte des Christentums ist von Anfang an eine Missionsgeschichte. Geleitet von dem Ruf und Auftrag Gottes die frohe Botschaft überallhin zu tragen überschritten Frauen und Männer die Grenzen von Religion, Nationalität, Beruf und Geographie.
Als Missionarinnen und Missionare verkünden sie fremden Menschen das Heil durch Jesus Christus.
Sie gaben fremden Völkern mitunter ihre Schriftsprache und damit häufig erst ein Stück volle Identität. Ich kenne selbst einen Missionar, der in dieser Weise in Äthiopien bei einem indigenen Volk gearbeitet hat. Mit christlicher Mission untrennbar verbunden ist oft die Bildung von Jungen und Mädchen einhergegangen und damit ein wichtiges Stück Selbstfindung sowie persönliche und berufliche Entwicklung. Christliche Mission sorgte für  Gesundheitsentwicklung und -vorsorge in fremden Völkern.
Christliche Missionare kamen nicht selten mit den staatlichen Eroberern. Leider geschah die Ausbreitung und Vermittlung des christlichen Glaubens oft mit Feuer und Schwert. An die Taufe wurden Vergünstigungen geknüpft. Fremde Kulturen wurden zerstört oder unterdrückt. Ein bitteres Kapitel der christlichen Missionsgeschichte ist das.

Aber es gibt auch die berühmte Geschichte des Dominikanerpaters Las Casas, der im Mittelalter bereits gegen die brutale Unterdrückung der Eroberer protestierte und dafür eintrat, die Rechte der Indios zu wahren. Wie er taten es laut oder leise viele.  Und nicht wenige bezahlten ihren Dienst, den sie im Namen Gottes den Fremden schuldig zu sein glaubten mit ihrem Leben oder dem Verzicht auf ihre eigene Entwicklung. Das ist die andere Seite.

Heute ist Mission wegen der unleugbaren Missbräuche in der Vergangenheit leider oft ein Unwort geworden. Wird da nicht ein Stück urchristliche Identität preisgegeben?
Es geht heute nicht mehr zuerst darum, auszuziehen und Fremden von Jesus Christus zu erzählen. Haben wir uns daran gewöhnt, dass das mit der Religion sich auf niedrigem Niveau einpendeln wird? In Deutschland scheint ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten zu sein, dass christlicher Glaube und Glaubensbindungen zurückgehen und heute eben aufgrund der Mitgliederzahlen z.B. die eine oder andere Kirche entwidmet und verkauft werden muss. Es wäre doch gar nicht falsch, daran zu erinnern, dass der christliche Glaube mehr als soziales Engagement und Gutsein ist. Nicht selten betonen christliche Einrichtungen, dass ihr Engagement nicht auf Mission zielt. Es wäre doch nicht übertrieben, wenn die christlichen Kirchen ab und zu drauf hinweisen würden, dass Jesus Christus, nach dem sie sich nennen, gesagt hat „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Es könnte doch auch mal appelliert werden,  die viele freie Zeit an Wochenenden oder zu großen Festen für Gottesdienstbesuche zu nutzen. Zu oft und zu schnell wird nach dem Zeitgeist gesehen, populistischer Aktivismus angestrengt und geredet, was opportun scheint und womit eben ein bestimmtes Image erstellt oder erhalten wird, in dem man sich selbst gern sieht.

Die Korneliusgeschichte wagt einen anderen Blick. Die Begegnung von Kornelius und Petrus macht den Weg frei zu einem neuen Lebens- und Dienstverständnis. Mission ist Befreiung in die Weite der Zuwendung Gottes.  Hier steht etwas von dem jede menschliche Existenz tragenden Grund:  den Erlöser und den Vater aller Menschen und menschlichen Erwartungen zu erkennen.

Hätte Lukas für wert gehalten, dieser missionarischen Begegnung fast ein ganzes Kapitel in seinem theologischen Werk einzuräumen, wenn das nicht der Kern christlichen Handelns wäre? Christsein muss fragen, was unter bestimmten Bedingungen nötig ist. Wer Gott fürchtet und das Rechte tut lebt gerecht. Mehr braucht es nicht, sagt Petrus dem Kornelius.

Die Geschichte hebt die grenzenlose Bedeutung des Weihnachten in die Welt gekommenen Lichtes hervor. Sie preist den Menschen, der ergriffen von diesem Schein, sich selbst und die Welt in einem neuen Licht sehen lernt und daraufhin dem Leben und Gott eine Chance in der Welt öffnet.

Im Grunde ist die Begegnung dieser beiden Männer Petrus und Kornelius eine anstößige Zumutung. Das Heil liegt außerhalb unserer Grenzen und Vorstellungen. Diese Grenzüberschreitung haben Petrus und nach ihm christliche Missionarinnen und Missionare immer wieder auf sich genommen und gewagt, in einer fremden Umgebung, fremden Menschen gegenüber und um den Preis missverstanden oder abgewiesen zu werden die Botschaft Gottes zu sagen. Petrus verlässt die ihm erlaubten Wege. Im Umgang mit Ungläubigen verletzt er damals wichtige Grundregeln allgemeiner Glaubensüberzeugung und Moral. In der Ausbreitung des Glaubens gibt es diesen Anstoß immer wieder, die Grenzen der Moral, der Norm, der guten Sitten zu überschreiten.

Einmal wurde ich gefragt, warum ich die gottesdienstlichen Abkündigungen stets mit dem Spruch schloss: „Der Herr segne seine Gemeinde und alle Mitglieder nach dem Reichtum seiner Gnade“. Er drückt aus, wozu wir alle eingeladen sind: Mit-Glieder zu sein am Leib Christi in dieser Welt unabhängig von gesellschaftlicher Stellung, politischer Überzeugung, beruflichem Auftrag, nationaler Herkunft. Davon sollte berichtet werden. Die Botschaft öffnet Ohren und Herz und Augen für Gottes Licht unter den Völkern. Wir entdecken Menschen, die durch Jesus Christus zu Mit-Gliedern berufen sind.

Perikope

Über den eigenen Schatten springen - Predigt zu Apostelgeschichte 10, 21-35 von Claudia Krüger

Über den eigenen Schatten springen - Predigt zu Apostelgeschichte 10, 21-35 von Claudia Krüger
10,21-35

Über den eigenen Schatten springen

Liebe Gemeinde,

ist es Ihnen schon jemals gelungen, über Ihren eigenen Schatten zu springen?

Im wörtlich sportlichen Sinne wird uns das wohl schwerlich gelingen, selbst wenn wir noch so kühne Verrenkungen machen und womöglich einen Sturz riskieren.

Im übertragenen Sinne könnte es uns aber durchaus einmal gelingen – oder ist es uns womöglich schon einmal gelungen?!

Es lohnt sich, darüber nachzudenken.

Was aber bedeutet es, über den eigenen Schatten zu springen?  Es bedeutet,  sich einen kräftigen Ruck zu geben, ungewöhnlich und einmal ganz anders zu handeln, als es sonst unserer Überzeugung, unserer Gewohnheit oder unserem Charakter entspricht. Ja, das kann auch heißen: für eine richtige Sache sogar einmal einen eigenen strengen Grundsatz zu ignorieren. Dazu gehört Mut, denn man betritt einen bisher unbekannten unsicheren Weg – wie eine schwankende Brücke. Man kann jedoch auf diesem Weg  überraschend zu neuen schönen Ufern gelangen. Und es können sich dabei freundliche befreiende Horizonte auftun, die unser Bewusstsein erweitern. Genau das geschieht in unserem heutigen Predigttext:

Die Hauptpersonen sind zwei ganz unterschiedliche Männer:

Da ist einerseits Petrus, der uns bekannte Jünger, der mit Jesu eng verbunden und mit ihm unterwegs war,  und der auch nach dessen Tod und Auferstehung die Botschaft Jesu verkündigt.

Da ist auf der anderen Seite ein Hauptmann der römischen Besatzungsmacht, ein Heide, der sich zwar sehr für den jüdischen Glauben und die Gottesdienste interessiert, der betet und sogar Almosen gibt,  der aber doch ein Fremder ist und bleibt und keinesfalls richtig dazu gehört.

Und stellen wir uns einmal vor, welcher Mensch uns in unserer näheren oder weiteren Umgebung so absolut fremd wäre, dass wir mit ihm oder ihr nicht an einem Tisch sitzen wollten, dann rückt uns die damalige Situation in der Apostelgeschichte erstaunlich nahe.

Für den Juden Petrus ist es jedenfalls undenkbar, mit dem Heiden Kornelius Kontakt zu haben, denn Heiden galten als unrein, und es war nach jüdischem Gesetz sogar verboten, Umgang miteinander zu haben.

Und wer könnte oder wollte da nun über seinen eigenen Schatten springen – bis hinüber zu einem so ganz anderen fremden Menschen?!

Wo solch ein unüberwindbarer tiefer Graben die Menschen voneinander trennt, da muss Gott selbst eingreifen. Und so schickt er einen Engel zu Kornelius um ihm zu sagen, er solle Petrus zu sich einladen. Wenn aber ein Engel kommt, dann folgt man natürlich dessen Anweisungen. Und so schickt Kornelius sofort zwei Vertraute zu Petrus.

Aber auch Petrus muss zuerst von einer göttlichen Eingebung bewegt werden: Während er oben auf seinem Hausdach, dem Himmel nahe, sein Gebet spricht, bekommt er eine seltsame Vision: der Himmel tut sich auf, und es kommt ein

großes leinenes Tuch vom Himmel, an vier Zipfeln wird es niedergelassen. Darin befinden sich vielerlei kriechende krabbelnde Tiere und Vögel. Eine himmlische Stimme fordert Petrus nun auf, diese Tiere zu schlachten und zu essen. Petrus aber widerspricht vehement und angeekelt, hat er doch noch nie etwas Verbotenes Unreines gegessen. Die Stimme aber weist ihn zurecht: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten!“  Dreimal muss der Engel kommen. Und wir erinnern uns: dreimal hat er, der doch zuverlässig wie ein Fels sein sollte, seinen Herrn verraten. Dreimal musste er wieder einen neuen Auftrag bekommen: „Weide meine Schafe!“ Petrus ist ratlos, was dies nun wieder für ihn bedeuten soll. Es folgt eine weitere himmlische Anweisung,  er solle die drei Männer begleiten, die ihn jetzt gleich besuchen werden, denn Gott selbst habe sie geschickt. Und dann heißt es in unserem Predigttext:

Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: siehe, ich bin´s, den ihr sucht, warum seid ihr hier? Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast. Da rief er sie herein und beherbergte sie.

Drei wildfremde Männer zu beherbergen, das ist zwar im Judentum durchaus Sitte und göttliches Gebot, aber hier auch ein erster Schritt, um dem himmlischen Auftrag Folge zu leisten und dabei über den eigenen Schatten zu springen.

Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm.

Petrus nimmt den Weg zu dem Fremden auf sich, ohne auf den Gedanken zu kommen, diesen stattdessen zu sich her zu bestellen. So weiß er sich ganz im Auftrag Gottes unterwegs und zögert nicht, sich auf einen Grenzen überschreitenden Weg zu machen. Ob wir das so ohne weiteres tun würden?

Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen.

Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an. Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch.

Welch´ ein befreiender Satz! Keiner muss sich vor dem anderen beugen. Keiner ist geringer als der Andere. Der Einheimische will auf Augenhöhe mit dem Fremden sein. Ein provozierender Gedanke, mitten hinein gesprochen in unsere Klassengesellschaft, wo manche gesellschaftliche Schicht mit der anderen schon fast keine Berührungspunkte mehr hat. Hier aber stehen sich zwei Menschen auf Augenhöhe gegenüber. Und wer sich auf Augenhöhe begegnet, der sieht mehr, sieht tiefer, sieht im Gegenüber den Menschen, das geliebte Geschöpf Gottes. Und allein mit einem solchen Blick beginnt schon ohne Worte eine bewegende Kommunikation. Denn mit einem Blick in die Augen eines Menschen, ist der Fremde mit einem Mal nicht mehr befremdend oder gar bedrohlich, sondern da erkennt man womöglich einen Menschen mit Gefühlen, mit Ängsten, mit Hoffnungen, mit Sorgen und auch mit Humor, mit Heimweh und einer Familie, die er liebt. Mit einem Glauben, der ihm kostbar ist. Und mit einem Mal entdecke ich  im Gegenüber einen Menschen, der mich unglaublich bereichern kann, dem ich zuhören kann, den ich verstehen kann, der meinen Horizont erweitert und sich auch für mich und mein Leben interessiert, und mit dem ich mich über unsere Verschiedenheit und über die Vielfalt der Geschöpfe Gottes von Herzen freuen kann!

Und während Petrus mit Kornelius redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren. Und er sprach zu ihnen: ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll. Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde.

Keinen Menschen meiden oder ihn unrein nennen – das ist eine Lektion Gottes, die selbstverständlich sein sollte, die wir aber alle immer wieder von neuem zu lernen haben. Wir würden es freilich nie zugeben, dass wir manchen Menschen aus dem Weg gehen und nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Weil sie uns im besten Falle einfach gleichgültig sind, oder weil sie uns nicht ebenbürtig oder zu fremd scheinen in ihrem Verhalten, ihren Neigungen, ihrem Glauben, ihrem Aussehen. Dass Gott hier den Petrus sogar veranlasst, ein ganz altes Verbot zu überspringen, das ist in der Tat bemerkenswert! Und wohl dem, der noch ein offenes Ohr hat für Gottes Weisung und für die Fingerzeige seiner Boten. Wohl dem, der noch Freude hat, auch an den unkonventionellen Wegen Gottes!

So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen.

Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und sieh, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. Da sandte ich sofort zu dir, und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist.

Gott erhört also auch Gebete Fremder, wenn sie von Herzen kommen. Er nimmt auch den wahr, der anders ist. Er sieht tief ins Herz und erkennt, wie ernst es einem betenden suchenden Menschen ist.

Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.

Auf diese Erkenntnis läuft alles hinaus! Gott sieht die Person nicht an. Er fragt nicht, woher einer kommt, welche Geschichte oder Heimat eine hat, ob er arm oder reich, fromm oder zweifelnd ist. Was hier beginnt mit der Überwindung der Grenzen zwischen Judenchristen und Heidenchristen, ist der Weg des Evangeliums, der frohen Botschaft von der Grenzen überwindenden Liebe Christi, die allem Volk widerfahren wird. Der Apostel Paulus drückt es mit anderen Worten aus: „Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus. …Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesu. Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Kinder und nach der Verheißung Erben.“ 

 

Anschließend erzählt Petrus allen Versammelten von Jesu Taufe durch den Heiligen Geist, von seinen Heilungen, Begegnungen und Taten, und schließlich von Jesu Tod und seiner Auferstehung. Zuletzt gibt er den Auftrag zum Verkündigen weiter. Und dann müssen wiederum manche ganz kräftig über ihren eigenen Schatten springen, denn am Ende der Ausführungen geschieht noch einmal Unvorstellbares:

Der Heilige Geist wird gleichermaßen über Judenchristen wie über Heidenchristen ausgegossen. Die Judenchristen sind darüber entsetzt, aber Petrus erkennt und spricht: Kann auch jemand denen das Wasser zur Taufe verwehren, die den Heiligen Geist empfangen haben ebenso wie wir? Und er befahl, sie zu taufen in dem Namen Jesu Christi.

Ja, woher wollen wir es denn so genau wissen, über wen der Geist Gottes ausgegossen ist! Wer wirklich zu den Kindern Gottes gehört und von ihm gebraucht wird, um seine Liebe in diese Welt zu tragen und die Menschen zu einem friedvollen Zusammenleben zu bringen, an dem Gott seine wahre Freude hat?! Sind nicht alle Gottes Geschöpfe, von ihm geschaffen, gewollt und unendlich geliebt?

Die Hiesigen und die „Reigschmeckten“, die Früh- und die Spätaussiedler, die Gastarbeiter und die vielen, die wir so dringend als Fachkräfte und Mitmenschen in unserem Land brauchen. Unsere Urgroßväter und Urgroßmütter, die einst ausgewandert sind, um dem Hunger zu entfliehen und über dem Teich Glück und Wohlstand zu finden. Die Kinder der ehemaligen Gastarbeiter, die inzwischen nicht nur Klassensprecher in unseren Schulklassen werden, sondern selbstverständlich auch Ministerinnen und Minister! Die Menschen, die eine bittere Fluchtgeschichte hinter sich haben, die sie bis heute prägt und mitunter auch traumatisch einholt. Und ebenso die Menschen, deren Hoffnungen mit ihren Familienangehörigen in überfüllten Booten ertrunken sind. Die Asylsuchenden vor unseren Kommunen, denen eine Riesenwelle aus Angst, Misstrauen und Überforderung entgegen schlägt. Wer weiß, was Gott uns Christenmenschen zu sagen hätte, wenn er erneut einen Engel zu uns senden würde? Vielleicht eben doch, dass auch wir über unsere Schatten springen sollen, weil sein lebendiger Geist unsere engen Denkmuster durchwehen und den Horizont unseres Geistes und unserer Herzen weit machen will? Wer weiß?! Gott hat seine ganz eigene Weise, um unsere Welt göttlicher und dadurch menschlicher zu machen und sie mit seiner grenzenlosen Liebe zu füllen! Schotten wir uns also nicht ängstlich ab, und verbarrikadieren wir nicht unseren Verstand mit Vorurteilen. Sondern öffnen wir weit unsere Herzen und Sinne dem lebendigen Geist, denn wer weiß, was für Gott noch alles möglich ist, wenn wir Menschen seinen Engeln nicht das Wort verbieten?! 

Hanns Dieter Hüsch hat in seinem „Segen für Versöhnung“ gesagt:

„Im übrigen meine ich, dass Gott uns alle schützen möge auf unserem langen Weg zur Versöhnung mit allen Menschen und mit allen Völkern….

Er möge von seiner Heiterkeit ein Quentchen in uns hineinpflanzen, auf dass sie bei uns wachse, blühe und gedeihe, und wir unseren Alltag leichter bestehen. ... und dass er uns fähig mache, weiterhin zu glauben an seine Welt, die nicht von unserer Welt ist…Er möge … uns beflügeln, Freiheit und Phantasie zu nutzen, um Feinde in Freunde zu verwandeln. Er lösche langsam in uns jedes Vorurteil, langsam, denn wir stecken bis über beide Ohren voll davon. Er schenke uns von seiner Vielfalt ein Stückchen Großmut und führe uns nicht in Haarspaltereien, Gedankenenge und Geistesnot.

Er erhalte uns unseren Eigensinn, …und gebe uns … die Kraft, am Ende aufzustehen für einen neuen Anfang. …

Darum bitten wir ihn um seinen Trost, um seine Hilfe, um seinen Verstand und um seine Gnade…, dass alle sich mit allen versöhnen. Dass der Hass die Welt verlasse und die Liebe in allen Menschen wohne, um uns von Gottes Zukunft zu erzählen. Amen.“

(Hanns Dieter Hüsch, in: „Das Schwere leicht gesagt“, S. 146f)

Perikope

Grenzen überschreiten - Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-35 von Christoph Dinkel

Grenzen überschreiten - Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-35 von Christoph Dinkel
10,21-35

Grenzen überschreiten

Im heutigen Predigttext begegnen sich zwei Männer aus völlig verschiedenen Lebenszusammenhängen. Ihr Weg führt sie auf wundersame Weise zusammen. Was ihnen widerfährt, ändert nicht nur ihr Leben, es ändert nicht nur ihren Glauben, es ändert die Weltgeschichte. Wir werden Zeuge der Entstehung des Christentums als einer globalen Religion.

Der eine Mann ist Petrus. Er ist uns bekannt als Fischer vom See Genezareth und Jünger Jesu. Petrus ist einer der zwölf Apostel, der mit Jesus durch Galiläa zieht. Ihn verbindet ein besonderes Vertrauensverhältnis mit Jesus, auch bei dessen gewaltsamen Ende ist er dabei. Petrus ist einer der ersten Zeugen der Auferstehung, er gilt als Säule der nachösterlichen Gemeinschaft, die sich zum Christentum hin entwickelt. Selbst der Apostel Paulus stimmt sich bei seiner Mission gezielt mit Petrus ab, denn Petrus’ Urteil hat entscheidendes Gewicht.

Der andere Mann heißt Kornelius. Er ist römischer Zenturio und mit seiner Hundertschaft in Caesarea stationiert. Caesarea liegt am Mittelmeer, zeitweilig hatte die Stadt bis zu 120.000 Einwohner. Sie war zur Zeit unserer Geschichte Residenzstadt des römischen Prokurators. Einer dieser Prokuratoren war Pontius Pilatus. Sein Name ist dort durch eine Inschrift belegt.
(Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Caesarea_Maritima)

Kornelius, so wird berichtet, hatte Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Caesarea. Er zählt zu den sogenannten Gottesfürchtigen. Sie sind Sympathisanten der jüdischen Religion, weil sie vom Alter, vom hohen Ethos und vom Monotheismus des Judentums beeindruckt waren. Von diesen Sympathisanten gab es in der Antike eine ganze Menge. Den vollständigen Übertritt zum Judentum scheuten sie, teils wegen ihrer gesellschaftlichen Stellung, teils wegen der für Männer obligatorischen Beschneidung, teils weil ihnen die 613 jüdischen Gebotsregeln denn doch zu detailliert waren. Aber auch ohne vollständigen Übertritt verehrten sie den Gott, den auch die Juden verehrten, als den einen Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat. Sie hielten sich an die Zehn Gebote und gaben Almosen an bedürftige Menschen.

Ein solcher Sympathisant ist der Hauptmann Kornelius. Eines Tages hat Kornelius am Nachmittag eine Erscheinung. Ein Engel betritt sein Zimmer. Der spricht ihn mit Namen an und erklärt ihm, dass Gott seine Gebete gehört hat. Kornelius erschrickt zunächst, wie das bei Begegnungen mit Engeln die Regel ist. Doch der Engel beschwichtigt ihn. Er fordert Kornelius auf, Leute in die Stadt Joppe zu schicken. Dort sei ein Mann namens Simon Petrus, den solle er zu sich holen lassen. Kornelius mag über die wundersame Anweisung verdutzt gewesen sein, aber er folgt dem Vorschlag und schickt drei Männer zu Petrus.

Szenenwechsel. Wir sind mit Petrus zusammen in der Stadt Joppe. Die Gesandtschaft von Kornelius ist noch vor den Toren der Stadt, da steigt Petrus in der Mittagszeit aufs Dach des Hauses um sein Mittagsgebet zu verrichten. Nach dem Gebet will er essen, doch dazu kommt es erst einmal nicht, denn Petrus hat eine Vision. Er sieht den Himmel offen und vom Himmel herab kommt etwas wie ein großes Tischtuch. Es sinkt vor ihm auf den Boden. Auf dem Tischtuch wimmelt es von Tieren und jetzt muss Petrus sich vorkommen wie die Kandidaten im Dschungelcamp: Sämtliche Tiere auf dem Tuch gehören in die Kategorie: Bäh, pfui, eklig und verboten. Nach den Regeln der jüdischen Religion sind sie unrein, ungenießbar und von Gott nicht für den menschlichen Verzehr zugelassen: Vögel wie zum Beispiel Hühner, kriechende Tiere wie zum Beispiel Echsen, vierfüßige Tiere wie zum Beispiel Schweine. Von Kindheit an, hatte Petrus gelernt, sich vor solchen Tieren fernzuhalten und sie zu verabscheuen, so wie wir uns davor scheuen Kakerlaken, Spinnen oder Quallen zu essen.

Keine schöne Vision für Petrus: Er ist hungrig und vor ihm liegt ein Tuch mit lauter Tieren, die bäh, pfui, eklig und verboten sind. Aber es kommt noch schlimmer: Vom Himmel erklingt die göttliche Stimme und fordert Petrus auf: „Steh auf, Petrus, schlachte und iss!“ – Petrus schüttelt es und er kontert: „O nein, Herr; denn ich habe noch nie etwas Verbotenes und Unreines gegessen.“ Doch die göttliche Stimme ist unerbittlich: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten.“ Petrus schüttelt es weiterhin, auf keinen Fall will er der Anweisung Folge leisten. Doch die göttliche Stimme ist hartnäckig. Sie wiederholt die Anweisung noch zweimal. Es gibt kein Vertun. Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten. Damit endet die Vision und das Tuch entschwindet wieder in den Himmel. Petrus bleibt verwirrt zurück und rätselt, was die Vision nun genau bedeuten soll.

In dem Moment steht die Gesandtschaft von Kornelius vor der Türe und fragt, ob Simon Petrus hier zu Gast sei. Petrus ist immer noch verwirrt und weiß nicht, was er tun soll. Da hilft der Heilige Geist nach und erklärt Petrus, dass er die Gesandtschaft geschickt habe und Petrus den Besuch gefälligst empfangen solle. Und hier setzt unser Predigttext ein. Ich lese Apostelgeschichte 10,21-35:

Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin's, den ihr sucht; warum seid ihr hier? Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast. Da rief er sie herein und beherbergte sie. Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm. Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen. Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an. Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch. Und während er mit ihm redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren. Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll. Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen.
Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist. Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.

Liebe Gemeinde!
Grenzen zu überschreiten ist keine einfache Sache. Manche Grenzen sind mit Zäunen und Mauern befestigt. Da liegt es auf der Hand, dass sie nicht leicht zu passieren sind. Aber es gibt Grenzen, die nur in den Köpfen existieren, und die doch so undurchlässig sind wie Grenzen aus Beton und Stahl. Eine solch massive, nur in den Köpfen existierende Grenze, hat die nachösterliche Jesusbewegung überschritten, als sie sich für Menschen öffnete, die bis dahin Heiden waren. Unsere Geschichte von Petrus und Kornelius dokumentiert diesen schwierigen Prozess der Grenzüberwindung. Wie schwierig und wie bedeutsam er ist, wird an mehreren Punkten sichtbar: 1. ist die Kornelius-Erzählung die längste Einzelerzählung in der ganzen Apostelgeschichte ist, 2. ist sie eine zentrale Schaltstelle im ganzen Buch, 3. wird auf die Erzählung beim Apostelkonzil, der ersten großen Kirchenversammlung, von der fünf Kapitel später berichtet wird, Bezug genommen und 4. weist die Erzählung eine extreme Dichte verschiedenartiger göttlicher Erscheinungen auf: Der Engel bei Kornelius, die Vision des Petrus mit den Tieren im Tuch, die göttliche Stimme vom Himmel, die Petrus dreimal zum Essen auffordert, der Heilige Geist, der Petrus zu den Gesandten des Kornelius schickt – alles, was die Bibel an göttlicher Autorität zu bieten hat, wird aufgeboten, damit am Ende der Grenzübertritt tatsächlich gelingt.

Grenzen überwinden ist keine einfache Sache. Gerade Grenzen der Tradition und des Herkommens sind besonders hart. Über Weihnachten habe ich die Goethe-Biografie von Rüdiger Safranski gelesen. Mancher hier wird das gewusst haben, mir war aber nicht so klar, dass Geheimrat Goethe seine Geliebte Christiane Vulpius lange Jahre deshalb nicht geheiratet hat, weil es die Regeln der ständischen Gesellschaft verboten haben. Obwohl Goethe mit Christiane Vulpius fünf Kinder hatte, von denen allerdings vier früh starben, obwohl Goethe Vulpius herzlich liebte und dies in zahlreichen Gedichten dokumentierte, war die Ablehnung des Hofes gegenüber der Heirat mit einer Bürgerlichen lange Jahre so unüberwindlich, dass Goethe den Schritt zur Heirat nicht wagte. Geändert hat sich das erst, als Weimar im Jahr 1806 von französischen Truppen besetzt wurde. Als Goethe von marodierenden Soldaten bedroht wird, tritt Christiane Vulpius beherzt dazwischen und rettet Goethe das Leben. Fünf Tage später heiratet Goethe sie und ignoriert die von Menschen gemachten Grenzen. Da waren die beiden schon 18 Jahre ein Paar gewesen. Um die gesellschaftliche Ächtung seiner Frau zu überwinden, bittet er die vermögende Witwe Johanna Schopenhauer, Christiane zum Tee einzuladen. Das hat dann allmählich geholfen, damit Christiane als Frau Geheimrätin akzeptiert wurde.
(Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Christiane_Vulpius)

Grenzen überwinden ist keine einfache Sache. Wir erleben das derzeit bei der Frage nach der Akzeptanz von Homosexualität. Die Landesregierung von Baden-Württemberg will bei der Überarbeitung der Bildungspläne die Akzeptanz homosexueller Menschen stärker als bisher in den Blick nehmen. Gegen dieses Vorhaben gibt es in Teilen der Bevölkerung massive Widerstände, die sich in einer öffentlichen Petition kundtun. Im Gegenzug wiederum gibt es eine Petition gegen diese Petition, die die Position der Landesregierung unterstützt. Die Kirchen in Baden-Württemberg haben sich vor zwei Wochen in einer gemeinsamen Erklärung ebenfalls zum Thema geäußert, nur leider taten sie das nicht besonders geschickt, so dass der Eindruck entstand, die Kirchen hegten Sympathien für die Petition gegen die Akzeptanz homosexueller Menschen. In der Öffentlichkeit hat das zu heftigen Reaktionen geführt. Spiegel-Online titelte: „Kirchen lehnen sexuelle Vielfalt im Unterricht ab“. (http://www.spiegel.de/schulspiegel/homosexualitaet-im-unterricht-debatte-weitet-sich-aus-a-942877.html)
Zeit online schrieb: „Die Kirchen in Baden-Württemberg stellen sich an die Seite der Gegner von mehr Aufklärung über Homosexualität im Unterricht.“ (http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2014-01/baden-wuerttemberg-schulen-homosexualitaet-streit-kirchen)
Es kam zu wütenden Protesten und Kirchenaustritten von enttäuschten Kirchenmitgliedern. Die ersten Versuche die Sache klarzustellen vergrößerten dann das Desaster noch weiter. Erst spätere Pressemeldungen machten deutlich, dass die Kritik der Kirchen am Bildungsplanentwurf sich eher um pädagogische Fragen drehte und nicht das Ziel der Akzeptanz homosexueller Menschen in Frage stellen wollte. Landesbischof July sagte es in einem Interview so: „Es wurde der Eindruck erweckt, als sei die Kirche gegen Toleranz und für Ausgrenzung homosexueller Menschen. Das ist blanker Unsinn! Die staatliche Bildungsplanung hat dort die Kirchen an ihrer Seite, wo es um Toleranz auf dem Schulhof, Initiativen gegen Ausgrenzung und Abwehr von Vorurteilen geht.“
(http://www.elk-wue.de/arbeitsfelder/kirche-und-menschen/menschen-im-interview/frank-otfried-july/)

Grenzen überwinden ist keine einfache Sache. Der Streit um die Frage der Akzeptanz von Homosexualität macht das deutlich. Auch hier gibt es eine betonharte, unüberwindliche Grenze in vielen Köpfen. Machen wir uns klar, wo wir herkommen: Unter den Nationalsozialisten wurden homosexuelle Männer verfolgt, sie wurden mit einem rosa Dreieck gekennzeichnet, analog zum Judenstern, und ins KZ gesteckt. Viele wurden ermordet.
(Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kennzeichnung_der_Häftlinge_in_den_Konzentrationslagern)
Bis 1969 war Homosexualität in Deutschland strafbar. Erst mit dem Outing einiger wichtiger Politiker und Künstler in den letzten zehn Jahren hat sich die gesellschaftliche Akzeptanz Homosexueller deutlich verbessert. Vor zwei Wochen hat sich dann mit Thomas Hitzlsperger endlich der erste Fußballprofi geoutet. Aber noch immer liegt die Selbstmordrate bei homosexuellen Jugendlichen viermal so hoch wie bei heterosexuellen Jugendlichen. (http://www.freitag.de/autoren/cyterion/suizidversuch-bei-jedem-fuenften-schwulen)
Nach einer Studie der Universität Zürich aus dem Jahr 2013 hat jeder fünfte Schwule schon einen Suizidversuch hinter sich.
(http://g-blick.de/Homosexualitaet-3/Suizidversuch_bei_jedem_fuenften_Schwulen/)
„33 % derjenigen Schwulen, die sich mit Suizidgedanken plagen, tätigen tatsächlich den Versuch, sich umzubringen. Bei Heterosexuellen sind es lediglich 3%.“ (ebd.)
Die hohe Suizidneigung homosexueller Menschen wird mehrere Gründe haben, aber ein entscheidender Grund ist die weiterhin erlebte Diskriminierung, bei jugendlichen Homosexuellen speziell die Diskriminierung auf dem Schulhof. Eine der gängigsten ablehnenden Bemerkungen auf dem Schulhof lautet: Das ist schwul. Die Sprecher denken sich dabei nicht viel, weil es gängige Jugendsprache ist. Auch in der Musik von Jugendlichen, speziell im Rap, ist die Verachtung von Homosexualität allgegenwärtig. Für die sogenannten „Normalen“ ist diese Verachtung ohne Belang, aber für jene, die homosexuell empfinden, ist diese Verachtung demütigend. Die Wirkungen sind fatal. Sie können tödlich sein und deshalb ist die Landesregierung auf dem richtigen Weg, wenn sie für mehr Akzeptanz von homosexuellen Menschen gerade in der Schule sorgen will, wie immer das dann im Einzelnen im Bildungsplan untergebracht wird.

Grenzen überwinden ist keine einfache Sache. Auch mir ist es nicht an der Wiege gesungen worden, dass Homosexualität eine normale Neigung vieler Menschen ist. Lange Zeit wusste ich gar nicht, was Homosexualität ist und worum es da überhaupt geht. Erst als ich 21 Jahre alt war, begegnete ich bewusst jemandem, der als Homosexueller galt. Das war für mich zunächst etwas Kurioses. In den 90er Jahre lernte ich dann zum ersten Mal jemanden näher kennen, der mit seiner sexuellen Orientierung massive Diskriminierungen erlebt hatte und zwar in kirchlichen Kreisen. Der Mann war psychisch ein Wrack, berufsunfähig und Dauerpatient in der Psychiatrie. Wohlmeinende fromme Kreise, die Homosexualität für Sünde halten, haben ihn zu diesem Wrack gemacht.

Ein anderer Fall. In meiner Jugend hatte ich einen Klavierlehrer, den ich sehr schätzte. Besonders begabt war ich nicht beim Klavierspielen, aber über Musik habe ich viel von ihm gelernt. Später habe ich mitbekommen, dass es ihm psychisch nicht gut geht. Noch viel später habe ich dann erfahren, dass er schwul ist und dabei wurde mir auch gesagt, dass das ja eine schlimme Sache sei und wie arm die Mutter jenes Klavierlehrers dran sei, dass sie so einen Sohn hat und so etwas mitmachen muss. So in etwa war der Ton, in dem mir davon berichtet wurde. Später hat sich mein ehemaliger Klavierlehrer dann umgebracht. Ob in diesem einzelnen Fall wirklich die erlebte Diskriminierung als Homosexueller Ursache für den Selbstmord war, lässt sich aus der Ferne nicht sagen. Aber den Verdacht werde ich nicht los, zu genau habe ich noch den Ton im Ohr wie über seine Homosexualität geredet wurde.

Grenzen überwinden ist keine einfache Sache. Die Grenze, die es aktuell in unserer Gesellschaft niederzureißen gilt, ist die fortdauernde Diskriminierung homosexuell oder sexuell anders empfindender Menschen in unserer Gesellschaft. Homosexuelle Neigungen sind Teil der Schöpfung, sie sind keine Sünde. Auch gelebte Homosexualität ist keine Sünde. Das gilt es zu lernen, gerade auch für die Christenheit und vor dem Hintergrund unserer zum Teil homophoben Vergangenheit. Immerhin: viel ist in den letzten zehn Jahren in unserem Land und in unserer Kirche geschehen, aber von einem Ende der Diskriminierung sind wir noch weit entfernt. Der Schulhof, der Profifußball und konservative Kreise der Kirche sind noch wichtige Rückzugsgebiete der alten, tödlichen Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit. Aber auch hier werden die Mauern fallen. Daran arbeiten wir. Denn auch bei der Frage der sexuellen Identität gilt, was die göttliche Stimme in der Vision zu Petrus sagt: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten.“ – Amen.

Perikope

Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-35 von Christiane Borchers

Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-35 von Christiane Borchers
10,21-35

Liebe Gemeinde!

Haben Sie das schon einmal erlebt, dass Sie Ihre festen Überzeugungen hinter sich lassen und sich Ihren neuen Einsichten stellen mussten? Haben Sie das schon einmal erlebt, dass Sie aufgrund des­sen einen völlig neuen Weg beschritten und dass sich Ihre Einstellungen radikal geändert haben?

Petrus hat das erlebt. Er ist zu Gast bei einem Gerber namens Simon in der Stadt Joppe. Zu der fest­gesetzten Zeit am Mittag möchte er sein Gebet halten und steigt dazu auf das flache Dach seines Gastgebers. Ein Flachdach hat fast jedes Haus im alten und heutigen Orient. Das ist die übliche praktische Bauweise. Ein flaches Dach ist zu vielerlei Zwecken geeignet und ist eben auch ein guter Ort für ein Gebet. Als Petrus hungrig wird, möchte er etwas essen. Plötzlich gerät er in Verzückung, er erlebt eine Vision. Der Himmel tut sich auf und etwas wie ein großes leinenes Tuch mit vier Zip­feln wird heruntergelassen. Darin sind Tiere der Erde und des Himmels. Eine Stimme, die Petrus als Gottes Stimme deutet, spricht: „Schlachte und iss!“ Petrus, von Hause aus ein Jude, durch die Beru­fung am See ein Jünger Jesu geworden, vertraut mit den jüdischen Speisegeboten, traut seinen Oh­ren nicht. Er soll die heiligen jüdischen Speisegebote missachten und unreines Fleisch essen? Er wehrt sich und beteuert, dass er noch nie etwas Verbotenes getan und Unreines gegessen habe. Die Stimme spricht abermals zu ihm: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten (Apg 10,15).“

Petrus kommt wieder zu sich, das Tuch und die Verzückung entschwinden. Noch benommen und ratlos von dem Gesehenen und Gehörten, fragen zur gleichen Zeit Soldaten nach, ob es im Hause des Simon einen gewissen Petrus gebe, der hier zu Gast sein solle. Sie haben den Auftrag, ihn nach Cäsarea zu ihrem Hauptmann Kornelius zu bringen. Soldaten fragen nach Petrus, das könnte ihm Angst einjagen. Wenn Soldaten in der damaligen Zeit nach einem Menschen fragen, bedeutet das oft nichts Gutes. Wollen sie ihn verhaften, werfen sie ihm etwas vor, bedrohen sie ihn gar mit dem Tode? Alles ist möglich. Petrus braucht keine Angst zu haben, sie wird ihm von einem himmlischen Stimme genommen: „Geh mit ihnen, zweifle nicht, denn ich habe sie gesandt (Apg 10,20).“

Petrus darf aufatmen. Gott führt ihn. Er nimmt einige Brüder aus der judenchristlichen Gemeinde in Joppe mit, so reist er nicht allein mit den Soldaten. Gleichzeitig kann Petrus auf Zeugen verweisen, falls er welche braucht. Er wird sie benötigen; von den eigenen Leuten wird er für sein späteres Ver­halten von einigen frommen judenchristlichen Gläubigen in Jerusalem zur Verantwortung gezogen. Die Reisegruppe macht sich auf den Weg, erreicht die Hafen- und Garnisonsstadt Cäsarea am Mit­telmeer, betritt das Haus des römischen Hauptmanns Kornelius. Dieser ist kein Jude, gehört aus jü­discher Sicht zu den Heiden, aber weil er ein gottesfürchtiger Mann ist, der betet und den Armen Almosen gibt, hat er beim jüdischen Volk einen guten Ruf.

Der Hauptmann hält schon Ausschau nach der Reisegruppe. Er kann es kaum erwarten, den Apostel zu treffen. Es ist für ihn ein wichtiges Ereignis, Petrus persönlich zu begegnen. Kornelius hat sich vorbereitet, möchte, dass seine Freunde und Verwandten mit dabei sind, wenn Petrus zu ihnen spricht. Auch er hat während des Gebets eine Vision gehabt. Ein Engel in leuchtendem Gewand ist ihm erschienen und hat ihm gesagt, dass er seine Männer nach Joppe schicken soll, damit sie einen Mann im Hause des Gerbers Simon aufsuchen und ihn nach Cäsarea führen sollen. Der Mann habe eine Botschaft für ihn. Kornelius hat der Vision getraut, hat nach Petrus schicken lassen. Wissbegie­rig möchte er hören, was Petrus zu sagen hat. Als dieser  sein Haus betritt, fällt der Hauptmann ehr­fürchtig vor dem Apostel auf die Knie und betet ihn an. Der Kniefall ist eine ehrfürchtige Geste, die einem Höhergestellten, vor allem einer Gottheit geschuldet war. Es wird berichtet, dass Philippus von Mazedonien sich jeden Morgen zurufen ließ: „Philippus, du bist ein Mensch!" Kornelius hatte von Petrus in einer Vision durch einen Engel erfahren. Er will in Petrus Gott ehren. Petrus aber möchte das nicht, er ist ein Mensch und kein Gott. „Steh auf", spricht er zu dem Hauptmann, „ich bin auch nur ein Mensch.“

Kornelius hat Petrus in sein Haus geholt, und der ist gekommen, obwohl er als Judenchrist gehalten ist, die jüdischen Reinheits- und Speisegebote zu beachten. In den frühen christlichen Versammlun­gen hielten sich die Gläubigen selbstverständlich an die jüdischen Gebote. Es hat gedauert, bis das Christentum sich zu einer eigenständigen Religion mit eigenen Regeln entwickelte. Die ersten Christinnen und Christen verstanden sich als eine Gruppe innerhalb des Judentums. Für Petrus ist es eine überwältigende Erfahrung, als er durch die Vision erkennt, dass er die jüdischen Gebote nicht mehr einzuhalten braucht. Das soll nicht heißen, dass sie überholt und nutzlos sind, sondern Petrus soll durch das strenge Einhalten der Reinheits- und Speisegebote nicht behindert werden, das Evan­gelium zu verkünden.

Zunächst kann er offenbar mit der Vision nichts anfangen. Erst als er mit Kornelius spricht und dessen Haus betritt, wird ihm plötzlich die Bedeutung der Vision klar, die er auf dem Dach des Gerbers Simon in Joppe gehabt hat. „Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll.“ Für ihn ist das ein bedeutender Schritt. Wir können das kaum nachvollziehen, was dieser Traditionsbruch für Petrus bedeutet hat. Er soll das Haus eines römischen Hauptmanns, also eines Heiden betreten und das Evangelium verkünden. Das bedeutet automatisch, dass er mit ihm essen und trinken wird. Der Gastgeber wird es sich nicht nehmen lassen, ihn zu bewirten. Jeder Jude kommt dabei in Bedrängnis, allein das Betreten des Hauses eines aus jüdischer Sicht Unreinen ist ein Problem. Petrus betritt dieses Haus im Widerspruch zu allem, was  ihm bisher sehr am Herzen lag und er verinnerlicht hat. Wenn er den Fuß über die Schwelle setzt,  überschreitet er eine Grenze und begibt sich auf verbotenes Terrain. Dass wir als Christinnen und Christen in eine vergleichbare Situation geraten könnten, erscheint mir unvorstellbar.

Petrus hat der Vision vertraut und ist bereit, den Soldaten zu folgen. Das Betreten eines heidnischen Hauses birgt riskante Gefahren in sich. Trotzdem geht Petrus los. Vor sich selber wird er möglicher­weise sein Handeln noch vertreten können, aber vor der Gemeindeleitung in Jerusalem kann das zu Problemen führen. Er wird sich rechtfertigen müssen. Tatsächlich wird er, als er nach Jerusalem zu­rückkehrt, von den Leitenden in der Gemeinde deswegen angeklagt werden. Mit seinem grenz-über­schreitenden Schritt in das Haus des Kornelius macht er sich Feinde. Die stärksten Kritiker kommen aus den eigenen Reihen. Die ganze Tradition steht gegen ihn. Und trotzdem betritt Petrus das Haus.

Was dann geschieht, ist schnell erzählt. Petrus verkündet Kornelius und allen, die vom Hauptmann zusammengerufen worden sind, die Botschaft von Jesus Christus. Die Versammlung hat gottes­dienstlichen Charakter. „Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen … .“  Vor Gott haben sie sich ver­sammelt, um das Evangelium zu hören. Unser Predigttext gipfelt in der Erkenntnis des Petrus: „Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ 

Mit dieser Geschichte wird die Heidenmission begründet. Einem Apostel ist es erlaubt, die jüdi­schen Traditionen zu vernachlässigen, um den Heiden, die einen völlig anderen Hintergrund haben, das Evangelium zu verkünden. Nicht die Volkszugehörigkeit zum auserwählten Volk Israel und das Einhalten der Reinheits- und Speisevorschriften sind entscheidend, sondern jedes Volk ist Gott recht, das Gerechtigkeit übt. Die Gelegenheit zur Mission ist von einem Heiden selbst bereitet. Der Glaube verlässt die Grenzen eines Volkes und geht in die Welt. Die alte Verheißung bricht sich Bahn. Der Bund, den Gott mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossen hat, weitet sich auf andere Völker aus. Hatte Jesus sich noch meistens an seine jüdischen Landsleute gewandt, so er­reicht die Botschaft jetzt die Heidenwelt. 

Die Evangelien überliefern bereits einzelne Erzählungen, in denen Jesus mit Menschen außerhalb des Judentums in Berührung kommt. Da ist die syro-phönizische Frau, die um Heilung für ihre kranke Tochter bittet und Jesus überzeugt, dass er nicht nur zu dem Haus Israel gesandt ist, wie er selbst glaubt, sondern auch zu den Menschen über Israels Grenzen hinaus. Da ist die Begegnung mit der Samariterin am Brunnen, die Jesus als Christus bezeugt. Ferner macht Jesus den Knecht eines römischen Hauptmanns gesund. Diese Menschen wissen um die Erwählung Israels, obwohl sie nicht jüdischen Glaubens sind. Die  syro-phönizische Frau weiß, dass Israel - im Bild gesprochen - das Brot zusteht und ihr nur die Krumen. Aber das reicht aus: Ihre Tochter wird gesund. Der Hauptmann, dessen Knecht von Jesus geheilt wird, liebt das jüdische Volk und baut ihm eine Synagoge (Lk 7,5). Kornelius, der römische Hauptmann in unserm Predigttext, genießt beim jüdischen Volk einen guten Ruf und gibt Almosen. Diese Menschen sind dem auserwählten Volk zugeneigt. Die Botschaft von Jesus Christus weitet sich über die Grenzen Israels aus; Petrus wagt den grenzüberschreitenden Schritt; der Hauptmann Kornelius in Cäsarea ist der erste, der sie außerhalb Israels annimmt.

Petrus ist überwältigt von der Vision, die dazu führt, dass er einen Teil seiner bisherigen religiösen Vorstellungen, die ihm lebenswichtig waren, hinter sich lässt. Auf religiöser Ebene kann ich mir et­was Vergleichbares für uns Christinnen und Christen nicht vorstellen. Aber auf anderer existentieller Ebene kann es geschehen, dass besondere Ereignisse mein Leben völlig aus der Bahn werfen und in eine neue Richtung lenken. 

Es gibt Momente, da müssen wir unsere Vorstellungen, die so etwas wie ein Treppengeländer für uns waren, an dem wir uns festhalten konnten, aufgeben. Sie taugen nicht mehr als Lebenskonzept. Das bringt zunächst Verunsicherung mit sich, auch Enttäuschung, kann aber letztlich in die Freiheit führen. Neue Möglichkeiten tun sich auf, Erstarrungen lösen sich auf, aus Stillstand entsteht Bewegung. Worauf wir bis vor kurzem noch nicht zu hoffen gewagt haben, wird wahr. Andere Menschen treten in unser Leben, verändern uns, bereichern, bringen weiter. Es gibt Dinge, die sind zunächst befremdlich, sie sind unbekannt und flößen uns Angst ein.

Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass es gut war, dass wir den Schritt gewagt haben. Natürlich gibt es auch das andere, dass sich herausstellte, dass dieser Schritt, den wir gewagt haben, sich nicht als hilfreich für uns erwies. Es tauchten Probleme auf, die nicht in die Freiheit führten, sondern in neue Abhängigkeiten. Wenn wir uns neu auf dem Weg machen, bleibt immer ein Risiko. Petrus nimmt das Risiko auf sich, überwindet Grenzen und trägt reichen Lohn davon. Er kann das Evangelium verkünden, Menschen lassen sich taufen. Kornelius hört, was ein Fremder ihm zu sagen hat, vertraut ihm, lässt sich auf ihn und seine Botschaft ein. Beider Mut und Vertrauen sind nicht enttäuscht worden. Ihr Leben hat sich verändert. Kornelius ist Christ geworden, Petrus missioniert fortan bei den Heiden.

Haben Sie das schon einmal erlebt, dass sich Ihre Einstellungen radikal verändert haben und dass das Konsequenzen für ihr Leben hatte? Was ist nötig, damit dieser Weg gelingt? Vertrauen in Gott und seine Botschaft. Er findet einen Weg und zeigt uns die Quelle zum Leben.   

Perikope

Predigt zu Apostelgeschichte 9,43;10,21-35 von Heinrich Braunschweiger

Predigt zu Apostelgeschichte 9,43;10,21-35 von Heinrich Braunschweiger
9,43;10,21-35

Liebe Gemeinde!

Die Kirchen haben zur Zeit keine besonders gute Presse. Von uns Protestanten hört man eh nicht viel. Und die deutschen Katholiken mussten  im vergangenen Jahr vor allem so manch Seltsames über ihren Limburger Bischof  in den Zeitungen lesen.
Aber ein Ereignis wurde fast durchweg positiv kommentiert, und das ist die Wahl des neuen Papstes, der sich den Namen Franziskus gegeben hat. Auch mich hat das elektrisiert und lässt mich für die Christenheit hoffen.
Obwohl der Papst ja nicht mein Chef ist.
Aber durch sein bescheidenes Auftreten hat er auch bei Nichtkatholiken Sympathien geweckt und aufhorchen lassen durch das, was er bisher gesagt und geschrieben hat.

Offensichtlich auch bei solchen, die mit Religion eigentlich gar nichts am Hut haben. So las ich neulich in einer Tageszeitung von einem Altgewerkschaftler aus Mailand, der einem Reporter sein Leid klagte:
„Seit Jahrzehnten ist er aktiv, immer bei den Linken. Ganz früher war er bei der glorreichen Kommunistischen Partei Italiens eingeschrieben, dann machte er unter leisem Murren den Wandel mit, die Wende erst zu den Linksdemokraten, die Gründung der Partito Democratico. Doch letztes Jahr war Schluss, „ich habe den Mitgliedsausweis nicht erneuer“t, erzählt er mit finsterem Gesicht, „links ist bei denen ja gar nichts mehr“, doch sofort hellen sich seine Züge auf. „Dafür trete ich jetzt in die katholische Kirche ein, auch wenn ich total ungläubig bin – unter Franziskus wird das ja ein richtig linker Verein!“

Das ist jetzt keine Werbung für die katholische Kirche, liebe Gemeinde, aber eine Werbung für das Evangelium unseres Herrn und Meisters Jesus Christus. Der ist zwar weder links noch rechts. Aber er nimmt Partei für die Armen, für die Bedrückten, die Ausgeschlossenen. „Die Gewaltigen stürzt er vom Thron und erhöht die Niedrigen“, singt deshalb Maria, noch bevor sie seine Mutter wird.
Und Franziskus, der neue Papst, steht genau in dieser Tradition, wenn er in seinem apostolischen Schreiben den gnadenlosen Kapitalismus, die Gesellschaft der Ausschließung geißelt und schreibt: „Die Ausgeschlossenen sind nicht mal nur ‚Ausgebeutete‘, sondern ‚Müll‘, ‚Abfall‘.“
Wie gesagt, ich werbe nicht für die katholische Kirche, sondern fürs Evangelium.
Und man darf gespannt sein, was Franziskus in Zukunft noch zu uns Protestanten zu sagen hat, die ja bisher auch in gewisser Weise Ausgeschlossene sind, jedenfalls ausgeschlossen von der Abendmahlsgemeinschaft.

Aber hören wir nun auf diesem Hintergrund, was uns der heutige Predigttext aus der Apostelgeschichte zu sagen hat. In der Schriftlesung haben wir schon die Vorgeschichte gehört, von Kornelius, der einige Abgesandte zu Petrus schickt. Nun heißt es weiter:

Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin’s, den ihr sucht: warum seid ihr hier?
Die aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf beim ganzen Volk der Juden, hat Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast.
Da rief er sie herein und beherbergte sie.

Des anderen Tages machte er sich auf und zog aus mit ihnen, und etliche Brüder von Joppe gingen mit ihm.
Und des anderen Tages kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte zusammengerufen seine Verwandten und nächsten Freunde.
Und als Petrus hineinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel zu seinen Füßen nieder und betete ihn an.
Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Stehe auf, ich bin auch nur ein Mensch.

Und indem er mit ihm sprach, ging er hinein und fand ihrer viele, die zusammengekommen waren.
Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll.
Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen.
Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist.
Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott keinen Günstling kennt; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, der ist ihm willkommen.

Liebe Gemeinde!

Um die Überwindung von Grenzen, von Ausschließung, von Apartheit geht es in diesem Text. Der Autor ist Lukas. Er ist der Sozialkritiker unter den Evangelisten. Und er erzählt  ja auch die nur scheinbar so idyllische Weihnachtsgeschichte: Von den in der damalige Gesellschaft ganz unten rangierenden Hirten auf den Feldern, denen der Engel als erste die frohe Botschaft von der Geburt des Kindes verkündet. In einem Viehstall kommt der von Gott gesandte Heiland, der Retter, zur Welt. Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge, heißt es bei Lukas.
Gottes Geist, Gott selbst, überwindet die von unserer Seite nicht zu überschreitende Grenze aus der Ewigkeit in die Zeit, er nimmt Wohnung in diesem Menschenkind – und wird ausgeschlossen. Er wird ortlos, im griechischen Text heißt das: Er hatte ouk topos, keinen Topos in der Herberge: Gott wird u-topisch.
Er kam in sein Eigentum, heißt es bei Johannes, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Und ihm blieben nichts als die Krippe und das Kreuz.
Gott, wenn er kommt, erleidet das radikale Geschick des Ausgeschlossenen. Gott wird zur Utopie.

Jener Italiener, der, wie er sagt, total ungläubig ist, will offensichtlich die Utopie nicht aufgeben, dass diese Welt eine bessere, eine gerechtere, eine menschenwürdigere wird.
D.h., wenn man es recht bedenkt, er will, obwohl Atheist, nicht von Gott lassen, der ja für all das steht, wonach auch wir uns sehnen: Frieden, Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe.

Nehmen wir einmal an, liebe Gemeinde, dieser ehemalige Kommunist ist nicht nur politisch links gewickelt, will also nicht nur gerechtere Verhältnisse in seinem Land, sondern ist selber ein aufrechter Mann, der versucht, seinen Mitmenschen gerecht zu werden.
Dann ist auch er, davon bin ich überzeugt, Gott willkommen.
Dann hat er etwas von diesem Kornelius aus unserer Geschichte an sich. Auch der will ja in die Kirche eintreten, lässt deshalb den Petrus holen.
Und offensichtlich ist auch Kornelius zuvor ein  Atheist geworden. Er hat nämlich den heidnischen Göttern den Abschied gegeben. Er war also ein aufrechter, ein frommer Atheist.

Dazu muss man wissen: Die ersten Christen wurden ja  im römischen Reich „atheoi“ genannt,  Atheisten also, weil sie nicht den Göttern opferten, z.B. nicht dem Gott Pluto, der für Reichtum und Wohlstand zuständig war, oder der großen Mutter Kybele, von der Fruchtbarkeit und Wachstum erbeten wurde. Oder Mars, dem Kriegsgott.
Übrigens: diese heidnische Welt ist nicht untergegangen, liebe Freunde, sie ist sehr lebendig. Und die Menschen opfern diesen Göttern nach wie vor. Und behaupten dann, sie seien nicht religiös.
O heilige Einfalt! Nur weil diese Götter keine Namen mehr tragen, glauben wir, diese Götterwelt sei nicht mehr existent. Höchst lebendig ist sie, liebe Gemeinde, höchst virulent! Und die Menschen opfern und opfern. Und dabei werden Millionen zu Opfern. Das sind die Folgen von heidnischer Religion, des Mammonismus vor allem.

Zurück zu unserer Geschichte, die eigentlich weniger eine Kornelius- als eine Petrusgeschichte ist.
Denn es geht ja in der Apostelgeschichte um das Gestaltwerden der Kirche.
Und Petrus steht für die Kirche als Ganze. Petrus heißt übersetzt „Fels“. Meistens macht aber dieser Felsenmann in den Evangelien keine besonders gute Figur. Als Jesus ankündigt, dass er leiden muss, um seinen Auftrag zu erfüllen, da will Petrus ihn davon abbringen. Als Jesus den Jüngern zum Zeichen seines Dienens die Füße waschen will, wehrt sich Petrus wieder.
 In Gethsemane, als Jesus in Ängsten ist und die Unterstützung seiner Freunde bräuchte, da schläft er. Und im Hof des Hohepriesters verrät er seinen Meister, dem er doch Gefolgschaft bis in den Tod geschworen hatte: „Ich kenne diesen Menschen nicht“, war seine Antwort, als er nach Jesus gefragt wurde.

Petrus liegt fast immer ziemlich zielsicher daneben. Und gerade so symbolisiert und repräsentiert er die Verfassung der Kirche, die Schwierigkeit und Schwerfälligkeit kirchlicher Prozesse. Darin spiegelt sich die tiefe Glaubenserfahrung, dass die Gemeinschaft der Glaubenden als Ganze stets fehlbar, irrend und geistbedürftig ist.
Und nun also hat ihm der Geist Gottes heimgeleuchtet, hat ihm sozusagen einen visionären Tritt gegeben, damit er in Bewegung kommt und den Grenzübertritt schafft: vom Judentum zum Heidentum, zur Heidenmission.
Er muss lernen umzusetzen in die Praxis, was seinem Urvater Abraham schon verheißen war: dass in ihm alle Geschlechter der Erde gesegnet sind.
Dass in Jesus, dem Messias Israels, diese Verheißung wahr wird. Dass sich nun der Segensstrom in alle Welt ergießen soll.
Dass in Christus alle Mauern, die Menschen gegeneinander aufgerichtet haben, abgetragen sind, die zwischen Rassen und Klassen, zwischen Völkern und Geschlechtern: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt in Christus Jesus“, so Paulus in seinem Brief an die Galater.

Übrigens wirft Paulus in selbigem Brief dem Petrus vor, er sei kein Fels in der Brandung, sondern wie ein Fähnchen im Winde.
 In Cäsarea habe er doch mit den Heiden an einem Tisch gesessen und mit ihnen als Jude gegessen, auch noch in Antiochien habe er kein Problem gehabt, mit Heiden zu verkehren und mit ihnen zu essen. Aber als einige  jüdische Hardliner aus Jerusalem gekommen seien, habe er sich zurückgezogen und abgesondert;
 etwas salopp gesagt, als es brenzlig wurde und er sich hätte zu seiner neuen geistlichen Erkenntnis bekennen müssen, habe er quasi den Schwanz eingezogen.
Das ist Petrus, liebe Gemeinde, und so agiert die Kirche und agieren Glaubensgemeinschaften  immer wieder. Dass sie sich abkapseln, sich einigeln in ihrem scheinbar so frommen Mief,
dass sie behaupten, die allein seligmachende Wahrheit zu besitzen,
dass sie anderen den rechten Glauben absprechen.             Wie lange hat es doch gedauert, bis Katholiken und Protestanten einander akzeptierten!
Lange galten die anderen bei uns im Schwäbischen noch als die Wüstgläubigen. Und einen oder eine mit dem  jeweils anderen Gesangbuch zu heiraten, konnte bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts noch zu Familientragödien führen.

Diese Zeit ist, soweit ich sehe, Gott-seid-Dank bei uns vorbei. Wenn auch die Einladung zum Abendmahl von katholischer Seite noch aussteht. Warten wir mal ab, was hier noch vom neuen Papst zu erwarten ist.
Von beiden Seiten hat man übrigens immer wieder mit Humor auf die gegenseitige Ausschließung reagiert.

Von protestantischer Seite z.B. mit der Geschichte vom Papst, der gestorben ist und ans Himmelstor kommt; doch es ist verschlossen. Aber kein Problem. Der Papst als Stellvertreter Christi hat ja die Himmelsschlüssel. Er probiert den einen, er probiert den anderen. Keiner passt. Da klopft er wütend ans Himmelstor. Nach einiger Zeit öffnet sich ein kleines Fenster, und der Pförtner schaut nach, wer da ist. Ach, der Papst, sagt er. Und dieser schon etwas aufgebracht:Warum passen denn meine Schlüssel nicht?“ „ Ja, weißt du“, sagt da der Pförtner, „als damals Luther hochkam, da hat er gleich alle Schlösser auswechseln lassen.
Liebe Gemeinde,
wenn sich Glaubensgemeinschaften abschließen, werden sie zu Sekten. Und da ist auch der Geist Gottes ausgeschlossen. Und es herrschen fremde, meistens diktatorische Geister, die behaupten, sie hätten die Schlüssel zum Himmel in der Hand.
Gott sei Dank verfügt da oben ein anderer über die Schlüssel des Himmelreiches.
In der Offenbarung des Johannes sagt Christus:
„Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“

Und Jesus, der Nachkomme Abrahams, durch den der Segensstrom zu allen Menschenkindern fließt, dieser Jesus hat auch die Schlüssel zu den Menschen anderer Religionen, auch zu denen, die glauben, absolut ungläubig zu sein, wie zu jenem Altkommunisten aus Italien.
Der hatte zwar keine Engelsvision wie Kornelius, aber die Vision einer besseren, einer gerechteren  Welt.

Und „Gott kennt keine Günstlinge, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, ist Gott willkommen.“

 Gott fürchten, das heißt zuerst und zuvorderst, das 1. der  10 Gebote zu achten: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich von den Mächten dieser Welt befreit hat, du wirst keine anderen Götter neben mir haben.
Das heißt also den anonymen Götter dieser Welt den Abschied geben, die eine Welt der Ausschließung, der Apartheit schaffen, in der Millionen von Menschen zu Müll, zu Abfall erklärt werden, wie der Papst sagt.

Lasst uns deshalb in diesem Jahr immer wieder neu zu atheoi, zu Atheisten werden, die allein auf Gott, den Herrn vertrauen. So, liebe Gemeinde, geben wir Gott auch Raum in dieser Welt. So kann er Wohnung bei uns nehmen und bleibt nicht eine Utopie. Amen

Perikope
26.01.2014
9,43;10,21-35

KONFI-IMPULS zu Apostelgeschichte 10,21-35 von Steffen Kaltenbach

KONFI-IMPULS zu Apostelgeschichte 10,21-35 von Steffen Kaltenbach
10,21-35

Predigttext: Apg 10,21-35

„Grenzüberschreitung“ titelt das Herausgeberteam von „Lied trifft Text“ zum Wort der 6. Predigtreihe unseres Sonntags. Primär ist an die Ausbreitung des Glaubens an den Christus über die Grenzen des jüdischen Glaubens hinaus gedacht. Kornelius wird zum Mittler der Botschaft des Evangeliums, indem er Petrus in sein Haus einlädt. Und mit Petrus kommt die Botschaft vom Heiland der - ganzen - Welt (V. 36: πάντων κύριος). Die Universalität des Anspruchs Gottes in Christus verwirklicht sich in der Überschreitung der jüdischen Glaubenswelt.

Schon Kornelius selbst ist als Sebomenos (hier φοβούμενος τὸν θεὸν) eine Scharnierperson. Den Proselytenstatus (Beschneidung) hat er für sich nicht als seinen Weg gesehen; er bleibt auf der Ebene der seiner Synagoge angeschlossenen Sympathisanten. Binnenjüdisch betrachtet im Kern ein „unreiner Heide“ (Pesch, Apostelgeschichte, EKK Studienausgabe 2012, S. 336).

Petrus wiederum darf man als Hin- und Hergerissenen bezeichnen. Der Streit mit Paulus (Gal 2, 11 ff) offenbart einen, der genau an der Frage der „Grenzüberschreitung“ wankelmütig, unauthentisch, unsicher und dann für die Andern, die „Paulaner“ heuchlerisch daherkommt.

Die dritte Gruppe sind die von Kornelius Eingeladenen. Offenbar reicht die Beziehungsebene der Freunde und Verwandten aus, einen angekündigten Missionseinsatz, bzw. einen Religionskurs für Erwachsene abzuwarten, dem Kornelius einen Rahmen verschafft. Was Kornelius seinen Gästen ankündigt, ist nicht weniger als Konfi kompakt im Hauskreis der Familie. Am Ende klärt sich die Konsequenz: Die Unterweisung war eine Taufkatechumene mit dem Ziel, den bisher Draußenstehenden Vollmitgliedschaft in der Gemeinde Jesu Christi zu vermitteln (10,47f).

Von diesem Prozess der Entgrenzung des Evangeliums gehe ich aus im Gespräch mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden.

Ich sehe mir Petrus zunächst an, der Schwerpunkt liegt auf seiner Binnenpsychologie. In Kleingruppen/Halbplena lesen wir verschiedene seiner Stationen:

a)       Der zu allem Entschlossene? Mt 26,31-35 und Joh 18,1-17 und Mt 26,69-75

b)       Der Christ auf der Grenze: Apg 11,1-18 und Gal 2,6-14

Eine kurze Schilderung des in den Gruppen Gelesenen folgt im Plenum.

Zunächst klären wir die Frage: „Wer ist Petrus, welchen Auftrag hat er? Wer ist der Auftraggeber?“

Unter der Frage: „Was für ein Typ ist dieser Petrus eigentlich?“ diskutieren wir dann die Frage um Klarheit, Mut, Standing, Entschiedenheit.

Anschließend kommt unsere Geschichte zu Wort: Apg 10 komplett.

Schließlich versuche ich eine Identifikation mit den Freunden des Kornelius:

Wer würde sich zuhause bei einem Freund einladen lassen, wenn er wüsste, dass ein Prediger zu Gast sein soll?

Unter welchen Voraussetzungen würde ich mich einladen lassen?

Was ist eigentlich mein derzeitiger Standpunkt im Glauben?

Hier eignet sich eine Linienaufstellung: Ganz links im Raum: „Ich glaube zur Zeit nicht an Gott“, ganz rechts: „Ich glaube zur Zeit an Gott“, in der Mitte: Ich weiß nicht recht, ob ich an Gott glaube, oder ich will es jetzt nicht zeigen“.

Ich könnte auch fragen: Angenommen: Niemand unter uns wäre getauft. Wer würde sich taufen lassen? (Aufstellung: Ja, ich würde mich taufen lassen – Ich weiß nicht, oder ich will es nicht zeigen – Nein, Taufe wäre jetzt nichts für mich).

Eine kurze Auseinandersetzung oder eine grundsätzliche Erarbeitung dessen, was Konfirmation will, könnte sich anschließen.

Dann komme ich zurück zu Petrus: Ich inszeniere ein Standbild: Petrus will eigentlich nicht wirklich zu Kornelius kommen (Abwehr). Dann: Petrus lädt die Boten ein (Einladung). Dann: Petrus tritt über die Schwelle des Hauses von Kornelius: Innen alles fremde „Ungläubige“ (Wackliges Zögern, Blick zurück hinaus). Dann: Petrus staunt über das Wunder des Glaubens. Schließlich: Petrus kapiert etwas Neues.

Zum Schluss komme ich auf den Kern der Geschichte: Was, wenn Christus für alle da ist? Was könnte das bedeuten für unsere Konfigruppe, für unsere Gemeinde, für die Randständigen, Halbfertigen, Ungläubigen, für mich? Aber auch: Was heißt das für die Katholiken neben uns? Was heißt das für die türkischen Mitschüler, die aus der Kirche Ausgetretenen …

Und auch: Was heißt das für mich angesichts der hungernden Christen im Sudan? Was heißt das für mich angesichts der bedrängten Minderheiten auf den Philippinen, in China, andernorts in der Welt?

V. 35 endet mit der Ethik.

Zur Darbietung im Gottesdienst:

Zwei Standbilderseiten wären spannend: Hier Petrus auf der Schwelle im Zweifel, im schwanken. Dort die Zuhörerschar (vielleicht drei Beispiele: Der, der die Begegnung mit dem Christus sehnlichst erwartet; die, die nicht recht weiß, was sie hier soll; der, der dieser Einladung grundsätzlich ablehnend gegenübersteht.)

Und dann die Frage in den Raum: Könnte es nicht sein, dass hier unter uns jede der drei Haltungen anwesend ist? Halten wir diese Spannung zwischen den ganz entschlossenen und den eher ablehnenden aus? Und: Welches Bild geben wir ab, um andere zur Taufe, zur Konfirmation, zum Glauben an Christus zu ermutigen? Wie einladend ist unsere Gemeinde und wie einladend wirken wir selbst?

Auch spannend für Zuhörende: Ein inneres Selbstgespräch des Petrus (Wankelmütig zwischen Öffnung des Glaubens und Exklusivität, zwischen Hingehen und Bleiben, zwischen Zaudern und Staunen), es könnte mittwochs aus der Arbeit der Gruppen heraus entstehen.

Liedideen:

Ins Wasser fällt ein Stein, EG 637. Damit aus Fremden Freunde werden, EG 657. Aus Gottes guten Händen, EG 646. Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder NL 94. Da berühren sich Himmel und Erde. Wenn das Brot, das wir teilen, NL 86.

 

Perikope