Weberunruhen und Gottes BND: Gewölle oder neue Masche? - Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-34 von Markus Kreis
Weberunruhen und Gottes BND: Gewölle oder neue Masche?
Liebe Gemeinde,
Weberunruhen gab es nicht nur in Schlesien und in Westeuropa zu Anfang der Industrialisierung. Weberunruhen gab es schon weitaus früher; und nicht nur im Westen, sondern auch im Südosten Europas. Da lebte der Zeltplanenweber Paulus. Der war unruhig und ruhig zugleich. Und er beunruhigte andere.
Und es gab die Athener, oder besser gesagt, einige Athener, so etwas wie der damalige Rotary Club der Stadt, die Sahnehäubchen in Person. Die waren auch beunruhigt. Gut, Weber waren die allermeisten nur im übertragenen, bildhaften Sinn. Im Sinn der in unserem Predigttext überlieferten Zeile aus einem Text jener Zeit: in ihm leben und weben und sind wir.
Die klugen Athener verstanden sich eher als Eulen. Und was Eulen als Stoff so produzieren, das kennen wir, das ist allerhöchstens als Gewölle zu bezeichnen. Als ein verfilzter Ballen aus Totmaterial und Fasern, etwas das man nicht verdauen oder ohne Aufhebens aus dem Leben entsorgen kann.
Sicher haben sich diese vornehmen Eulen mehr als Kopfarbeiter gesehen. Verstanden sie sich doch als die Wappenlebewesen der Weisheitsgöttin Athene. Sie webten Gedanken zu einem fein gearbeiteten literarischen Stoff, auf keinen Fall Gewölle, eher einem äußerst kostbaren Teppich vergleichbar.
Wahrer Wunderwirkstoff, ihre Götter- und Heldensagen oder ihre philosophischen und rechtlichen Textstoffe. Und die Athener knüpften Bündnisse mit anderen griechischen Metropolen. Und zu den Fremden, zu den Barbaren hin, da machten sie einen radikalen Schnitt. So viel zu ihrem Weberleben.
Die Athener waren beunruhigt vom Zeltplanenweber und Apostel Paulus. Freilich kaum elementar beunruhigt - eher so, wie eine Schulklasse unruhig wird, wenn ein Mitschüler oder Lehrer, ohne dass er es weiß, etwas Dummes anstellt und die Schüler deshalb in Grinsen, Kichern und Tuscheln ausbrechen.
Die neue Masche des Zeltplanenwebers Paulus kam bei vielen nicht so recht an. Sein Kunstgriff mit dem unbekannten Gott, der hat ihnen noch gefallen. Denn ein unbekannter Gott kann nur um den Preis der Widersprüchlichkeit als lokalisierbar oder beeinflussbar oder als außerkosmische Person gedacht werden.
Warum verhält es sich so? Was ist des Zeltwebers Unterlegstoff? Paulus ist sich gewiss: Ein Gott, der bisher nicht erkannt worden ist, der will das so. Seine Unbekanntheit ist von ihm gewollt. Wenn seine Unbekanntheit nicht von ihm beabsichtigt wäre, dann hätte er keine Macht, sich bekannt zu machen. Und so wäre es sehr fraglich, ob er überhaupt ein richtiger Gott ist, so ein Gott ohne PR.
Bleibt darauf noch eine sich daraus ergebende Frage zu beantworten. Nämlich die nach dem Grund der von ihm gewollten Unbekanntheit. Nun, da gibt es etwas: So ein unbekannter Gott will seine Macht allein aus sich heraus, ungestört, stets von sich aus zuvorkommend ausüben. Größtmögliche Souveränität, das ist es. Frei von fremden Gesetzen, nur dem eigenen Willen gehorchend.
Ein solcher Gott hat natürlich kein Interesse daran, an Altären von Menschen festgesetzt und durch dortige Opfer beeinflusst zu werden. Und größtmögliche Nähe ist die beste Tarnung. Deshalb gefällt es ihm, als Geist eines Menschen in den Herzen und Hirnen von Menschen zu leben. Da ist seiner Unbekanntheit und Souveränität am besten gedient. Dass größtmögliche Nähe die beste Tarnung ist, das wusste Judas; nur dass der es zum Verrat statt Bündnis ausgenutzt hat.
Diese Argumentation haben die athenischen Rotarier und Eulen noch ganz schick gefunden: Wenn es einen unbekannten Gott gibt, dann hat der ganz bestimmte Gründe dafür, und diese Gründe machen die gesamte Altarverehrung seitens der Menschen unmöglich. Andernfalls verlöre er seine Souveränität. Nur den eigenen Gesetzen und der eigenen Vernunft gehorchen, das gefiel ihnen: als jenes höhere Wesen, das wir verehren.
Dass Gottes Souveränität sogar die Auferstehung eines Menschen von den Toten bewirkt, das fanden die allermeisten Athener dann nicht mehr so gut, diese alten Hadeskenner. Mit dieser Masche den ewigen Gesetzen und dem Tod zu entschlüpfen, das hat sie unruhig werden lassen, die einen so, die anderen so: Spott und Lachen oder ein kühles britisches very interesting, let us talk about it another time.
Mit dieser neuen Masche kommt er ihnen nicht bei, der alte Zeltplanenweber. Vor ihren klugen Eulenaugen und -ohren zu behaupten, dass ihre berühmten Vernunftgesetze der Souveränität dieses Gottes verfallen sind. Ihre ewig geltenden, schönen Ideen, die sollen diesem Tod bringenden und neues Leben schenkenden Gott unterliegen? Da hat er dann doch einen ganz schön undurchsichtigen Stoff fabriziert, der gute. Ob diese Reaktion den Zeltplanenweber Paulus beunruhigt hat?
Nur wenige Athener haben befunden, dass der dichte Stoff des Webers von Zeltplanen mehr Wirklichkeit zeigt als verdeckt. Die genannten Personen weisen darauf hin, dass die souveräne Auferstehungsmacht Gottes im Leben, also in Geist und Körper einiger Menschen wirkt.
Kommen wir zum anderen Teil der Predigtüberschrift, kommen wir zu dem, was Paulus Ruhe in aller Unruhe verliehen hat: Gottes BND - will sagen: Gottes Bundesnachrichtendienst - der mobilisiert ungeahnte Einsichten mit ersichtlicher Wirkung – das ist die gute Nachricht für Paulus und für uns.
Gottes Bundesnachrichtendienst, der hat zunächst nichts mit dem Geheimdienst des deutschen Staates zu tun - der heißt auch BND. Gottes BND, was bedeutet das? Zäumen wir die Sache von hinten auf. Gottes BND, das heißt bezogen auf das Wort Dienst: Gott ist am Schaffen und Machen, er arbeitet für uns, Gott versieht einen Dienst für uns. Auch in diesem Gottesdienst übrigens. Auch damals, vor den Athenern, mit Hilfe von Paulus.
Springen wir weiter zum ersten Wort. Das Wort Bund ist in seiner Bedeutung zu erläutern. Warum nicht allein Nachrichtendienst, sondern mit dem Zusatz Bund, also Bundesnachrichtendienst? Die Erklärung dazu lautet: Gott schafft und macht das, er dient uns so, weil er sich dazu aus eigenem Antrieb in seinem Bund verpflichtet weiß. Deswegen BND und nicht nur ND. Gott hält sich an den Bund, den er mit uns geschlossen hat.
Aber arbeitet Gott im Verborgenen für uns, leistet er seinen Dienst im Geheimen? Wie die Stasi, der Secret Service, der KGB oder die NSA? Einerseits richtet er sein machtvolles Wort an jedermann und jedefrau, also an die Öffentlichkeit. So wie Paulus in unserem Text zu versammelten Athenern redet.
Andererseits - das ist alles lange her - wer weiß schon, was damals geschah? Und wer weiß, was an dem in der Bibel erzählten Geschehen original, und was dazu erfunden ist - auch wenn Paulus ziemlich sicher fast den gesamten Mittelmeerraum bereist und mit einiger Wirkung bepredigt hat.
Wie es auch damals zugegangen ist – heutzutage scheint Gott im Geheimen zu wirken - wenn überhaupt. Gottes Wort trifft entweder auf Gleichgültigkeit, bloßes Desinteresse, taube Ohren. Oder wenn es denn gehört wird, dann scheint es religiös musikalischen Leuten wenig überzeugend zu sein.
Andererseits: ausgerechnet ein Mann namens Dionys und eine Frau namens Damaris schienen damals interessiert und angetan. Warum ausgerechnet? Damaris bedeutet übersetzt Kalb oder Junggattin, Dionys ist benannt nach dem Gott der Lebensgier und des Rausches. Ja, die Namen! Klingelt es da bei Ihnen, ausgerechnet die zwei?
Arbeitet Gott nun im Verborgenen für uns, leistet er seinen Dienst im Geheimen? Wie verhält es sich damit? Beides zugleich ist der Fall. Gottes Macht – und Auferstehungswort ergeht öffentlich, und doch wirkt es zugleich im Verborgenen, persönlich nämlich. Wie das? Ich erkläre mir das mit dem sogenannten blinden Fleck!
Jeder Mensch hat einen blinden Fleck. D.h.: Jedermann und jedefrau besitzt eine persönliche Seite, die ihm oder ihr unbekannt sind, seien es persönliche Stärken oder Schwächen. Das gilt aber keineswegs für einige ihrer Mitmenschen. Die kennen einige dieser persönlichen Stärken oder Schwächen manchmal ganz gut.
Jeder Schüler kennt Marotten eines Lehrers, bestimmte winzige Artikulierungen, oder Gesten, mimische Entgleisungen, die sich in bestimmten Situationen schön regelmäßig wieder einstellen. Die betroffene Lehrkraft kennt sie oft nicht, übrigens nicht immer zu ihrem Schaden. Lehrer können auch blind für ihre eigenen Stärken sein, nicht nur für ihre Marotten. Auch hier nicht unbedingt ein Schaden.
Neben blinden Flecken besitzt jeder Mensch Privates, also etwas, das nur ihm bekannt ist, aber nicht seinen Mitmenschen. Außerdem gibt es Öffentliches, also all das, was einem Menschen und seinen Mitmenschen zugleich bekannt ist. Und es gibt schließlich Unbekanntes, also all das, was weder ein einzelner noch seine Mitmenschen kennen.
Was das Unbekannte angeht, da gilt also: Jeder Mensch kennt also weder ganz sich selbst, noch ganz seine Umwelt mitsamt den Mitmenschen. Dies gilt auch für die klugen alten Griechen, die wie die Eulen im Dunklen zu sehen und den Kopf im Halbkreis nach rechts und links zu drehen wissen.
Gott kennt nun unsere blinden Flecken, den für unser eigenes Leben, und unseren blinden Fleck für unsere Umwelt. Er kennt also auch unseren blinden Fleck für ihn.. Er weiß, was uns unbekannt ist, sei es das, was unser eigenes Tun und Lassen betrifft, sei es das, was Gott und unsere Mitmenschen betrifft. Und wie ein echter Nachrichtendienst beschafft er sich, ohne dass wir es merken, Informationen über unser Menschenleben.
Und wie ein echter Geheimdienst beschafft er sich die Informationen zu einem bestimmten Zweck, nämlich um zu handeln. Denn Gott will uns in seinem Wort Informationen über unser Leben und das unserer Mitmenschen zukommen lassen. Und das tut er, auch im Verborgenen. Deshalb Geheimdienst.
Und das ist Gottes BND für uns: Gott macht uns mit seinem Wort wieder einsichts- und handlungsfähig. Gott klärt dazu unsere blinden Flecken auf, die für uns unbekannten eigenen Stärken und Schwächen, aber auch die für uns unbekannten Stärken und Schwächen der Mitmenschen
Und da nicht nur einzelne an diesen blinden Flecken leiden, sondern viele einzelne zusammen an ein und demselben, da also ganze Gruppen an ein- und demselben blinden Fleck leiden, arbeitet Gottes BND auch ganzen Gruppen in die Hände.
Einsicht ist Macht, das wusste schon König Salomo im Traum und nicht nur da. Sein Urteil zu dem Baby, um das zwei Neumüttermägde streiten - das beweist seinen Sinn für die Realitäten. Wer ein Kind wahrhaft liebt, der gibt es lieber weg, als es in den sicheren Tod zu schicken, egal ob man biologisch gesehen Elternteil ist oder nicht.
Gewonnene Einsicht ist Macht, neu gewonnene Einsicht ist mehr Macht, Aufklärung ist anregend, Erkenntnis ist erregend - yda, erkennen und lieben - für die zwei sehr verschiedenen Sachen benutzen die Israeliten ein und dasselbe Tunwort und Verb: yda. Und auch in der griechischen Philosophie hängen Wissen und Liebe untrennbar zusammen, nicht nur in der platonischen Liebe.
Kein Wunder, dass Gottes BND ungeahnte Einsichten mobilisiert. Heißa, da verketten sich die Neurotransmittermoleküle, Serotonin schwemmt aus, Dopamin dopt, und neue Einsicht drängt, ganz legitim und legal, nix nada, neue Nerven bahnen neue Nahtstellen an, Hirnmasse webt neue Maschen, und Herz schlägt neue Gassen ein, die souveräne Saite der Auferstehung schwingt, in unhörbarem Tiefenton, aber es summt. Amen.
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Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-28a von Thomas Bautz
Liebe Gemeinde!
Es mag harmlos erscheinen, wenn Paulus im antiken Athen vor dem Areopag die Gelegenheit gegeben wird, sich zu seiner, offenbar neuen Religion zu äußern, die für die meisten Athener, die er seit seinem Eintreffen während seiner Stadtbesichtigung getroffen hat, sehr befremdlich ist. Befremden (und Neugier?) weckt er bereits vorher - auf der Agora (Marktplatz), die früher zu Heeres-, Gerichts- und Volksversammlungen diente: Dort verkündet er nämlich „Jesus“ und „Anastasis“ („Auferstehung“), was die Athener - und nicht nur die Philosophen - prompt an zwei neue Götter denken lässt. Verständlich, dass sie darüber gern mehr erfahren möchten!
Nun führen sie ihn aber vor den Areopag, vor die wichtigste Behörde im Athen der Kaiserzeit. Sie wacht über Angelegenheiten der Verwaltung, der Regierung, der Gerichtsbarkeit und auch über sakrale, religiöse Belange. Dabei müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass weder die Griechen noch die Römer die strikte Trennung von Religion und Staat kennen. Die Regierung entscheidet über die angemessene Verehrung der Götter - auch welcher Götter.
Wer von der offiziellen Religion, auch wenn diese polytheistisch geprägt ist, abweicht und auch sonst als Philosoph neue und fremde Anschauungen verbreitet, wird vor Gericht gestellt. Er erhält die Gelegenheit, sich zu verteidigen, riskiert aber die Todesstrafe, wenn es ihm nicht gelingt, das Gericht zu überzeugen. Manch ein Angeklagter, meist Philosoph oder Literat, entgeht der Todesstrafe durch Flucht oder Verbannung. Andere trifft es hart und endgültig.
Erinnert sei an Sokrates, der demütig, aber souverän seine philosophischen und religiösen Ansichten vorgetragen und sie auch nicht unter Androhung einer Verurteilung widerrufen hat. Wichtigster Anklagepunkt: Sokrates halte nicht am Kult der in Athen traditionell verehrten Götter fest. Ihm wird vorgeworfen, er wolle die herkömmliche Religion durch einen neuen Kult von „Daimonischem“ ersetzen. Dies zielt auf das „Daimonion“, eine innere, „göttliche“ Stimme, von der sich Sokrates tatsächlich beraten lässt.
Einer der Hauptgegner (Meletos) verstrickt sich, wie Sokrates zeigt, in einen Widerspruch. Er bezichtigt den Angeklagten, gottlos zu sein, also keine übermenschliche Wesen zu verehren und Sonne und Mond für Steine statt für Gottheiten zu halten, andererseits stellt er ihn als Anhänger einer „daimonischen“, übermenschlichen und somit göttlichen Macht dar.
Wenn die Bedingung für einen Freispruch lautete, er müsse seine philosophische Betätigung aufgeben, würde er diese Auflage missachten und weiterhin öffentlich diskutieren. Dies gebiete ihm der Gott. Damit erweise er der Stadt die größte Wohltat, denn er fördere die Tugend, welche die Grundlage aller anderen Güter bilde. Den Tod zu fürchten, sei unweise, auch wenn man nicht wisse, was danach folge. Er hat sich im Kreis seiner Kinder und engsten Freunde bewusst aus dieser Dimension verabschiedet. Das Urteil wird 399 v.d.Z. vollstreckt.
Vor diesem Hintergrund mögen das Auftreten des Paulus und seine Rede vor dem Areopag nicht mehr ganz so harmlos erscheinen. Vermutlich hat sie nie stattgefunden, zumal ein Altar mit der Inschrift: Einem unbekannten Gott (geweiht) weder archäologisch noch literarisch belegt ist. Diese Rede des Paulus, gewissermaßen eine Predigt, ist in der Apostelgeschichte und im NT insgesamt beispiellos. Dass der Verfasser sie dennoch eingefügt hat, wird seine besondere Bewandtnis haben.
Gesetzt der Fall, Paulus habe tatsächlich diese „Predigt“ gehalten: Der athenische Rat hätte ihn ebenso gut zum Tode verurteilen, zumindest aber in die Verbannung schicken können. Der Verfasser der literarischen, fiktiven Rede hat das freilich im Blick; deshalb verwendet er Anspielungen und Zitate aus der antiken Philosophie und Literatur (Poesie), vornehmlich aus der Stoa. Dabei kann es sich um ein rhetorisches Mittel handeln, um die Aufmerksamkeit auf sich und den Inhalt der Ansprache zu lenken. Es mag aber auch die Funktion haben, die Hörer gnädig zu stimmen.
Das hat Paulus auch nötig, wenn man bedenkt, wie er auf der Agora (vermutlich) über die vielen „Götzenbilder“ herzieht, die den Athenern lieb und teuer sind - über die er jedenfalls zuvor überaus ergrimmte. Vor dem Areopag schlägt er einen diplomatischen Ton an, redet ganz geschickt von „Heiligtümern“, die er in der Stadt wahrgenommen hat und die auch in seinen Augen von tiefer Religiosität zeugen. Besonders lobt „Paulus“ an dieser literarischen Stelle die Aufschrift des Altars: Einem ungekannten Gott. - Bekannt waren und sind lediglich Inschriften im Plural: Den unbekannten Göttern.
Die Anknüpfung bei der Verehrung „eines unbekannten Gottes“ ist nicht nur Fiktion, sondern auch reine Rhetorik; sie findet keinen fruchtbaren Boden; es sei denn, Paulus wollte einen neuen, zusätzlichen, tatsächlich noch unbekannten „Gott“ verkünden - aber dies hat er nun gerade überhaupt nicht im Sinn. Ganz im Gegenteil: Die Athener, Paganismus („Heidentum“) überhaupt, sind für Paulus „Unwissende“; er verkündet nun den ihnen (!) unbekannten „Gott“: In ihm (durch ihn) leben, weben, sind wir; („in ihm leben wir, bewegen wir uns, sind wir“; „in ihm ist Leben, Bewegung, Sein“) – „seines (Gottes) Geschlechts sind wir ja.“
Die bruchstückhafte Heranziehung stoischer Anschauungen, mit Hilfe derer er die Zuhörer gewinnen möchte - darf er doch einen Konsens, eine Übereinkunft mit ihnen voraussetzen -, dieses rhetorische Mittel wird bald durchschaut.
Schlicht überflüssig ist, wenn er mahnend darauf hinweist, das Göttliche sei nicht mit Gold, Silber und Stein identisch, sei kein Gebilde der Kunstfertigkeit und Erfindung von Menschen; damit trägt er sprichwörtlich „Eulen nach Athen“. Das weiß man dort! Apropos Glaube an die „Götter“ oder Götzendienst: Der Historiker Paul Veyne hat einmal die Frage aufgeworfen, ob die Griechen in der Antike überhaupt an ihre „Götter“ (als solche) glauben, und ob sie sich nicht vielmehr genau bewusst sind, dass sie nur Anthropomorphismen darstellen: menschliche Eigenschaften, Tugenden, Handlungen werden auf eine höhere, für Menschen selten oder gar nicht zu erreichende Ebene übertragen.
Zwei Anschauungen aus der stoischen Philosophie, auf die in der Areopagrede angespielt wird, finde ich nicht akzeptabel: der Gedanke der Verwandtschaft des Menschen mit „Gott“, einer „Gottheit“ oder mit „Göttlichem“ und die Bedürfnislosigkeit „(eines) Gottes“.
„Gottesverwandtschaft“ ist philosophisch und poetisch bei Griechen als Vorstellung bekannt; Paulus interpretiert „schöpfungstheologisch“, wobei die Erzählung(en) von der Erschaffung des Menschen in der hebräischen Bibel für stoische Philosophen vermutlich komplizierter zu verstehen wären als ihre eigenen Traditionen.
Ich finde es ziemlich hochmütig - ob stoisch, jüdisch oder christlich -, den Menschen so nah an „Gott“, eine „Gottheit“, „Götter“ zu rücken: „Gottesverwandtschaft“, „Ebenbildlichkeit“, Mensch als „Abbild Gottes“ (imago Dei). Ein realistisches Menschenbild muss dann auch die negativen menschlichen Eigenschaften im Blick haben: Destruktivität, Habgier, Egozentrik, Hybris, Größenwahn, Lieblosigkeit, Ungerechtigkeit, Verlogenheit. Wenn das dazugehörige „Gottesbild“ jeweils das positive Gegenstück beinhaltet, ist der Anthropomorphismus perfekt. Wenn ich auf eine (ehrliche) Antwort hoffen dürfte, würde mich interessieren, wer heute in christlichen Gemeinden „Gott“ negative Eigenschaften zuschreibt.
Im Übrigen erledigt sich mit der Idee der „Gottesverwandtschaft“ jegliche Unterstellung mangelnder Gotteserkenntnis: Wer mit „Gott“ verwandt ist, wer ihm ähnlich ist, wird ihn auch erkennen; die Athener mögen hinzufügen: Auch ohne „Schwätzer“ wie dieser Paulus!
Schwierig finde ich auch den Gedanken der „Bedürfnislosigkeit Gottes“: Der Schöpfer „wohnt nicht in handgemachten Tempelhäusern noch läßt er sich von Menschenhänden bedienen, als ob er etwas brauchte, da er doch selbst allem Leben und Odem und alles gibt.“
Auch hierin vermögen mich weder antike griechische Philosophie (z.B. Platon) noch biblische Traditionen zu überzeugen. Eine Gottheit, die völlig bedürfnislos ist, braucht auch keinerlei Berührung mit ihren Geschöpfen; sie bräuchte noch nicht einmal Blickkontakt zu dem, was sie so wunderschön, originell, vollkommen, vielfältig und doch jeweils einzigartig geschaffen oder zumindest ins Leben gerufen, ermöglicht hat. Ein solcher Gott bräuchte keine Verehrung durch Menschen; er wäre nicht nur nicht darauf angewiesen, er oder sie könnte gar nichts damit anfangen, weil ihm jedes Bedürfnis danach fehlt. Ein solcher Gott ist weder der Liebe noch des Leidens fähig, weil er kein Bedürfnis nach Liebe und erst recht keines nach Leiden empfindet; er fühlt rein gar nichts. Ein solcher - hoffentlich fiktiver - „Gott“ ist gefühllos und lieblos.
Angesichts zum Himmel schreienden Unrechts, aber millionenfach gequälter, gefolterter und sinnlos abgeschlachteter Kreaturen, Tiere wie Menschen, eröffnet sich gar ein düsteres Bild eines solchen „Gottes“ - das Kaleidoskop (schon der griech. Antike bekannt) bunter, vieler Gottesbilder verfinstert sich, man trifft mit seinen schlimmsten Befürchtungen ins Schwarze!
Wenn wir zugäben, dass unsere „Gottesbilder“ Projektionen unserer ureigensten Wünsche, Befürchtungen und sogar Eigenschaften sind, wären „Gott“ und Mensch zumindest in der Vorstellung, in der Phantasie untrennbar: Wir könnten nichts über „Gott“ sagen, was sich nicht auch schon vom Menschen aussagen ließe. Menschen streben oder verlangen aber seit Menschengedenken nach „Gotteserkenntnis“, vermutlich auch noch heutzutage; jedenfalls wenn man gerade nicht zufrieden ist mit vorgegebenen „Gottesvorstellungen“ in Gestalt sog. Glaubenssätze, Bekenntnisse oder Dogmen. Man sucht nach alternativen Möglichkeiten der „Gotteserkenntnis“, findet sie z.B. in stoischem Denken - mit pantheistischen Anklängen. Ein namhafter zeitgenössischer Theologe (Wilhelm Gräb) meint:
„Gott existiert nicht, wie all das existiert, was es in der Welt gibt. Er ist der, der uns und alle Welt trägt, der uns die Kraft gibt, uns Ziele für unser Leben zu setzen und auf einen guten Ausgang aller Dinge zu hoffen. Deshalb verfehlen wir ihn, wenn wir zu direkt Bekanntschaft mit ihm machen wollen. Gott lässt sich nicht erkennen. Aber wir alle fühlen seine lebendige Gegenwart, denn er ist in uns und um uns, ist wie die Luft, die wir atmen. In ihm leben und weben und sind wir, wie Paulus treffend sagt. Er erfüllt uns mit unerschöpflichem Lebensmut, mit dem Glauben an den Sinn, den unser Leben hat und mit einer unvergänglichen Hoffnung. Gott ist ein einziger Grund zur Freude.“
Das Ringen um „Gotteserkenntnis“ wird immer zwiespältig, widersprüchlich, fragwürdig bleiben; aber solange dieser innere Kampf - manchmal auch öffentlich angesprochen - aufrichtig ausgefochten wird, verstehe ich dieses Ringen (ähnlich dem Ringen um Wahrheit) als etwas zutiefst Menschliches. Dazu gehören auch Ungereimtheiten, die im Idealfall in einem offenen, ehrlichen Gespräch ausgetauscht werden sollten, damit dieses Fragen, dieses Suchen nach „Gott“ nicht in der Einsamkeit mancher Menschenherzen verhallt.
Religiosität, wenn ich sie als bescheidene, ehrliche, offene Sehnsucht und Suche nach „Gott“ begreifen will, hat mit „Kirchenglauben“ zunächst wenig zu tun. Ein tief religiöser Mensch kann sich nur dem anvertrauen, das er wenigstens annähernd versteht; das ihn oder sie nicht nur im Verstand, sondern wesentlich im Herzen anspricht, anrührt und Kraft spendet für das zumeist schwierige, ungerechte, widersprüchliche, aber auch wunderschöne Leben. Der junge Nietzsche hat mit ca. 20 Jahren (1864) ein wunderbares Gedicht verfasst, das ich aufgrund der ausgedrückten Sehnsucht, Authentizität und Ausstrahlungskraft gelegentlich genieße:
„Noch einmal, eh ich weiterziehe
und meine Blicke vorwärts sende,
heb ich vereinsamt meine Hände
zu dir empor, zu dem ich fliehe,
dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
daß allezeit
mich deine Stimme wieder riefe.
Darauf erglüht tiefeingeschrieben
das Wort: Dem unbekannten Gotte.
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
auch bis zur Stunde bin geblieben:
sein bin ich – und ich fühl die Schlingen,
die mich im Kampf darniederziehn
und, mag ich fliehn,
mich doch zu seinem Dienste zwingen.
Ich will dich kennen, Unbekannter,
du tief in meine Seele Greifender,
mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender,
du Unfaßbarer, mir Verwandter!
Ich will dich kennen, selbst dir dienen.“
Amen.
Literatur
Eduard Norden: Agnostos Theos (Vierte, unveränderte Auflage 1956).
Martin Dibelius: Paulus auf dem Areopag, SHAW.PH 1938/39 (1939), S. 3-56.
Rudolf Pesch: Die Apostelgeschichte (Apg 13-28), EKK V/2 (1986), 127-144.
Pieter W. van der Horst: Hellenism - Judaism - Christianity (1994): The Altar of the ‚Unknown God‘ in Athens (Acts 17:23) and the Cults of ‚Unknown Gods‘ in the Graeco-Roman World (1989), 165-200.
Alfons Reckermann: Den Anfang denken. III: Vom Hellenismus zum Christentum (2011).
Friedrich Nietzsche: Gedichte (Insel-Bücherei Nr. 361, o.J.), S. 5.
Predigtstudien 2013/ 2014. Perikopenreihe VI. Zweiter Halbband (2014), 28-35.
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Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-31 von Eugen Manser
Liebe Schwestern und Brüder,
fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in IHM leben, weben und sind wir.
Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch der Mutter:
"Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?"
"Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden groß und stark für das, was draußen an der frischen Luft kommen wird."
"Ich glaube, das hast du eben erfunden! Es kann kein Leben nach der Geburt geben- und wie soll denn 'frische Luft' bitte schön aussehen?"
"So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller sein als hier. Und vielleicht werden wir herumgehen können und mit dem Mund tolle Sachen essen?"
"So einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns nährt. Und wie willst du herumgehen? Dafür ist doch die Nabelschnur viel zu kurz."
"Doch, das geht ganz bestimmt. Es wird eben nur alles ein bißchen anders sein."
"Du träumst wohl! Es ist doch noch nie einer zurückgekommen von 'nach der Geburt'. Mit der Geburt ist das Leben einfach zu Ende! Punktum!"
"Ich gebe ja zu, daß keiner genau weiß, wie das Leben 'nach der Geburt' aussehen wird. Aber ich weiß, daß wir dann unsere Mutter sehen werden und sie wird sicher für uns sorgen."
"Mutter??? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo soll denn DIE nun sein, bitteschön?!"
"Na hier - überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie.
Ohne sie könnten wir gar nicht sein!"
"So ein Blödsinn! Von einer Mutter habe ICH noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht! Schluß damit!"
"Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du SIE leise singen hören.
Oder spüren, wenn SIE unsere Welt ganz sanft und liebevoll streichelt..."
Zwillinge im Bauch ihrer Mutter. Die Fruchtblase ist ihre Welt. Gut haben sie es da. ‚Es wird immer so bleiben’, denkt die eine. ‚Es wird noch etwas viel Schöneres kommen’, glaubt die andere. Die Geburt wird ihnen beiden nicht erspart. Die eine wird schauen, was sie geglaubt hat, die andere wird staunen. Aber beide werden geboren ins neue Leben!
Wir leben also im Mutterschoß Gottes. Und unser Problem ist nicht, dass er uns zu fern ist, sondern zu nah, zu selbstverständlich. So selbstverständlich wie in einer alten Ehe, wo der Mann auch mal aus Versehen seine Frau am Autobahnrastplatz vergessen und stehen lassen kann. Wo der Ältere im Gleichnis vom verlorenen Sohn sich beim Vater beklagen kann: „Mir hast du nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre!“ Und der Vater ihn erinnern muss: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.“
Bekomme ich das hin? Gott mir einmal nicht vorzustellen als das große GEGENÜBER, von dem Gutes und Böses kommen – „schenkst das Leben, schenkst den Tod…“, „Ist auch ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tue?“, also nicht als lohnenden und strafenden Vater; sondern ihn mir einmal vorzustellen als Mutter, die die Schöpfung in sich trägt?
Was da auch heranwächst an Glaubenden und Zweifelnden, an Guten und Bösen, an Engagierten und Gleichgültigen- geboren werden sie einmal alle als Kinder mit dem genetischen Erbe ihrer Mutter, Gott.
Eine erste solche Geburt hat es schon gegeben, die geschah zu Ostern.
Der, dem sie geschah, der lebte auch so selbstverständlich in Gottes Mutterschoß. „Sehet die Vögel unter dem Himmel…, sehet die Lilien auf dem Feld…seht, in welchem Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Schöpfung sie leben! Ihr könnt zu Gott ‚Abba’, Väterchen, sagen. Er wohnt ganz nahe hinterm Zaun.“
Gott ist uns nahe wie die Luft zum Atmen, wie das Wasser zum Trinken, wie das Brot zum Essen. Mein Leben ein Wachsen und Werden in Gottes Mutterschoß.
Und mein Sterben? Mein Sterben ist meine Geburt als Kind Gottes.
Dieses schöne Bild vom Leben im Mutterschoß Gottes – man möchte es immer vor Augen haben – dieses Bild wird immer wieder bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt durch die Schmerzen und das Leiden in dieser Welt, also im „Mutterschoß“ Gottes. Georg Büchner sagt es so: „Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz: Nur der Verstand kann Gott beweisen. Das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es: Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes…macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten.“
Der Schmerz in der Welt lässt nicht nur zweifeln an der Güte Gottes, sondern an seinem Dasein.
Deshalb wollen wir heute nicht nur das Bild von den Menschen im Mutterschoß Gottes mit nach Hause nehmen, sondern auch das andere, das zum Zentralbild der Christen geworden ist: Das Bild vom Schmerzensmann am Kreuz, von Gott in der Gottverlassenheit. Gerade diesen hat Gott von den Toten auferweckt.
So können wir doch auf seine Güte vertrauen, darauf, dass wir von einem mütterlichen Gott umgeben sind auch im Schmerz.
Denn in ihm leben weben und sind wir.
Amen.
Das Gespräch der Zwillinge im Bauch der Mutter habe ich im Internet gefunden. Der Verfasser ist mir unbekannt.
Das Zitat von G.Büchner stammt aus „Dantons Tod“.
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KONFI-IMPULS zu Apostelgeschichte 17,22-34 von Frank Zeeb
Die Geschichte soll als narratives Element ernst genommen werden, deshalb werden die eingeklammerten Elemente des Predigttextes einbezogen. Für die Konfirmandinnen und Konfirmanden sehe ich als mögliche Themenschwerpunkte:
· Die Wahrnehmung des Fremden ruft verschiedene Gefühle hervor.
· Menschen sind neugierig.
· Wer anders ist als die Mehrheit, wird oft vorgeführt.
· Was ist der wahre Gott?
In der Vorbereitung kann man z. B. folgende Schritte gehen. Ich setze dabei voraus, dass die Jugendlichen am Ende der Konfirmandenzeit mit den Inhalten des christlichen Glaubens vertraut sind:
· Was ist „Kult“?
o Die Jugendlichen tragen zusammen, was sie als „Kult“ empfinden.
o Sie versuchen, eine Definition zu finden.
· Ohne was kann ich nicht leben=
o Anhand einer Bildergalerie stellen die Jugendlichen dar, was für sie unverzichtbar ist.
o In einem kurzen Gespräch wird zusammengetragen, warum diese Gegenstände, Veranstaltungen so wichtig sind. Das wird mit Luthers Definition abgeglichen „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“
· Der dritte Denkschritt fragt danach, wie Kirche sich heute präsentieren müsste, dass sie attraktiv ist. Welche Inhalte wären herauszustellen? Welche Methoden und Formen „taugen für den Marktplatz“?
Im Gottesdienst könnte man einen oder mehrerer dieser Schritte der Gemeinde darstellen.
· Das Thema „Kult“ eignet sich dazu, als Sprechmotette oder Rap dargeboten zu werden. Dazu die gefundene Definition in eine griffige und rhythmische Fassung bringen, die als Kehrvers fungiert. Die „Kultobjekte“– jeweils mit ein paar Adjektiven -- benennen. Mädchen- und Jungenstimmen gut mischen!
· Die Bildergalerie kann ausgehängt und von Jugendlichen erläutert. Evtl. kann man sie erweitern und Menschen aus der Gemeinde beteiligen.
· Die Frage nach der Präsentation von Kirche und den wichtigsten Inhalt eignet sich – wenn an dem Sonntag „Katechismusgottesdienst“ ist – zur Grundlage für eine Sprecherfolge, an der sich alle Jugendlichen beteiligen.
Mit den genannten Elementen kann man auch einen Konfirmationsgottesdienst gestalten. Dann würde ich in der Predigt hauptsächlich auf die verschiedenen Möglichkeiten legen, dem Leben Sinn zu geben, das Schwergewicht auf V. 27b+28 legen und am Schluss auf „ein andermal weiter hören“ eingehen: Wir sprechen den Jugendlichen zu, dass ihr Leben trotz allen Verlockungen und möglichen Irrwegen von Gott begleitet ist und laden sie ein, immer neu auf Gottes Wort zu hören.
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Predigt zu Apostelgeschichte 10,34-43 von Christian Stasch
Liebe Gemeinde,
1.
Was wird an Ostern gefeiert? Das wurden in einer repräsentativen Umfrage gut 1000 Menschen gefragt.
Fünf Prozent meinen, dass der Frühlingsanfang gefeiert wird.
Vier Prozent sagen, zu Ostern sei Jesus Christus zu seinem Vater zurückgekehrt.
Für die Geburt Jesu - stimmen drei Prozent,
auf die Entsendung des Heiligen Geistes tippt ein Prozent der Teilnehmer.
Neun Prozent mussten komplett passen oder machten keine Angaben.
Gut drei Viertel der Befragten (78 Prozent) wussten, was beim höchsten Fest der Christenheit gefeiert wird: die Auferstehung Jesu von den Toten. Na ja, immerhin denn doch 78 %. Das ist ja so schlecht nicht.
Hier bei uns in der Kirche werden es mehr als 78 % sein, ich nehme stark an: 100%.
Ostern, Osterglaube, Jesu Auferstehung – Sie wissen das im Grunde schon, mit diesem Wissen, mit dieser Erwartung sind Sie hier.
Ihr wisst schon… - so beginnt auch Petrus seine Kurzpredigt über einige wichtige Lebensstationen von Jesus.
Das passiert im Hause eines Mannes namens Kornelius.
Kornelius, ein römischer Hauptmann, hat mit seiner Familie schon einiges gehört über Jesus, ist schon sehr interessiert, wenn auch noch nicht getauft.
Bekommt mit, dass einer der Apostel, also Petrus, in der Nähe ist, bittet ihn zu sich in sein Haus, so eine Chance bekommt man schließlich nicht oft.
Und Petrus, als er kommt und zu den Leuten spricht, muss nicht bei Null anfangen, kann an Bekanntes anknüpfen.
Petrus tat seinen Mund auf und sprach: Gott hat das Wort dem Volk Israel gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus, welcher ist Herr über alle.
Ihr wisst, was in ganz Judäa geschehen ist, angefangen von Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte, wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm. Und wir sind Zeugen für alles, was er getan hat im jüdischen Land und in Jerusalem.
Den haben sie an das Kreuz gehängt und getötet.
Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen, nicht dem ganzen Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten. Und er hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten. Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.
2.
Liebe Gemeinde: „Das Ding ist durch, oder?“
Dieser Satz stammt vom 2.April. Und sorgte für einen Eklat in Fußballdeutschland.
Was ist geschehen? Borussia Dortmund ist gerade im Championsleague – Viertelfinal-Hinspiel bei Real Madrid böse unter die Räder gekommen. 0:3. Eine denkbar schlechte Ausgangslage für das Rückspiel. Gleich nach Abpfiff steht Trainer Jürgen Klopp beim ZDF zum Interview bereit. Das führt Jochen Breyer. Der ist nicht nur jünger als Klopp, sondern sieht auch jünger aus. Und dann gegen Ende stellt Breyer diese eine zugespitzte Frage, die den schwarz-gelben Coach auf die Palme bringt: "Sind wir ehrlich, Herr Klopp, das Ding ist durch, oder?". Mit sichtlich genervtem Minenspiel ätzt der BVB-Trainer zurück: "Wie könnte man mir Geld überweisen für meinen Job, wenn ich heute hier sagen würde, die Sache ist durch. Das wäre genauso doof, als wenn ich sagen würde, wir hauen die sicher weg".
Es folgt dann noch Klopps Nachsatz: "Auf doofe Fragen kann man auch doof antworten." Und er als er kurz darauf geht, ist er so angesäuert, er knallt das teure Mikro auf den Tisch, statt es dort vorsichtig abzulegen.
„Das Ding ist durch.“ Also mit anderen Worten: das kann man abhaken, keine realistische Chance mehr, vergiss es – das eine Woche vor dem Rückspiel so zu sagen, das hat Klopp genervt, da ist er gegen angegangen, wenn auch nicht ruhig souverän, sondern eher aggressiv.
Das Ding ist durch?
3.
Fußball hat er nicht gespielt, Petrus, die anderen Jünger auch nicht. Soweit wir wissen.
Aber es gibt eine Phase in seinem Leben, wo dem Petrus klar ist: „Das Ding ist durch“. Da kann man nichts mehr machen. Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Alles verloren. Alles aus.
Petrus, einer der Jünger von Jesus.
Stammt aus Galilä, wie Jesus.
Ein Fischer von Beruf. Und eigentlich „Simon“ mit Namen.
Verheiratet (anders als Jesus, der Single ist).
Als er Jesus begegnet, ist sein Leben von heute auf morgen ganz neu ausgerichtet, neu sortiert.
Er ist fasziniert von Jesus. Von dessen Worten und Taten.
Es ist, als ob eine neue Welt heraufzieht, sich ganz neue Lebensmöglichkeiten eröffnen.
Einmal heilt Jesus die schwerkranke Schwiegermutter von Petrus.
Petrus selbst - leidet nicht gerade an zu viel Bescheidenheit.
Er ist ein Wortführer. Er nimmt den Mund voll. Er prescht vor.
Unter den 12 Jüngern ist er durchaus herausragend.
Als es für Jesus nach zwei Jahren brenzlig wird, in Jerusalem, legt Petrus sich fest in seiner Treue zu Jesus, ganz selbstbewusst: Er sagt. „Auch wenn alle anderen vielleicht schwächeln werden – ich nicht.“
Jesus ist da eher skeptisch: „Noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“
Aber Petrus setzt noch eins drauf:
„Und wenn ich mit dir sterben müsste – ich werde dich nie verleugnen.“
Kurz darauf: Jesus bittet, nicht alleingelassen zu werden, aber Petrus pennt ein. Es ist schließlich schon spät.
Wieder nur kurz darauf, als Jesus gefangen genommen und verhört wird, sitzt Petrus draußen vor dem Tor am Feuer, und wartet ab, wie sich die Dinge entwickeln.
Die Situation ist angespannt.
Petrus wird erkannt: „Du gehörst doch auch zu Jesus, diesem Gotteslästerer, stimmt´s ? Komm, gib´s zu, dein Dialekt verrät dich.“
Und dreimal sagt Petrus: „Ich weiß gar nicht, was ihr da redest. Ich kenne diesen Menschen gar nicht.“ Da kräht der Hahn. Petrus weiß was los ist und macht sich weinend davon.
Einen halben Tag danach: Kreuzigung und Tod Jesu - für Petrus, und nicht nur für ihn, ein Zusammenbruch. Ein Desaster. „Ich hatte gehofft, dass Jesus es sei, der Israel erlösen würde.“ (Lk 24,21). Und nun das: Jesus, offensichtlich gescheitert, gestorben und begraben. Die Hoffnungen gleich mit.
Hand aufs Herz, Petrus. Das Ding ist durch, oder?
4.
Vielleicht ist es bei Ihnen ein Gemisch, liebe Gemeinde, an diesem Ostermontag. Es gibt Dinge, die Ihnen das Herz leicht machen, ein Feiertag, Vorfreude auf ein gutes Oster-Essen vielleicht, Gäste, etwas Gelungenes.
Und zugleich auch Schweres, das Sie belastet; ungelöste Aufgaben, die nach den Osterferien anstehen; Niederlagen, die Ihnen wehtun.
Für den niedergeschlagenen Petrus kommt an diesem Punkt die Erfahrung von Ostern.
Osterglaube, Osterfreude.
In der Predigt, die Petrus im Hause des Kornelius hält, teilt er das so relativ nüchtern, sachlich mit: Einige Stationen aus dem Leben von Jesus, dann Tod, dann Auferstehung.
Und wir sprechen das so ähnlich ja auch im Glaubensbekenntnis.
Aber eigentlich ist Ostern mehr als nur eine festgefügte Zeile in einem Text oder einer Rede.
Ostern ist viel bewegender.
„Liebe lebt auf, die längst erstorben schien.
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.“
Anders gesagt: Die Sache Jesu ist nicht zu Ende, sondern geht weiter.
Jesus – ist nicht gescheitert, sondern von Gott bestätigt, erhöht.
Und: Der lebendige Geist Jesu weht wo er will und begeistert Menschen.
Auch den Petrus.
Und der wiederum erzählt es freudig weiter und weiter und weiter.
Das führt zu: Osterfreude in Jerusalem, Kapernaum, Cäsarea,
Das führt zu: Osterfreude in Würzbug, Hamburg, Winzlar.
„Christ ist erstanden von der Marter alle,
des solln wir alle froh sein,
Christ will unser Trost sein.
Kyrieleis.“
Das Ding ist ganz und gar nicht durch – sondern das Blatt wendet sich. Österlich.
5.
Zwischenfrage:
Der gestorbene Jesus am dritten Tage auferstanden von den Toten.
Ist das
- schwer zu glauben?
- nicht zu glauben?
- Zentrum unseres Glaubens?
- wörtlich zu verstehen?
- symbolisch zu verstehen?
Wie geht es Ihnen damit?
Die Bibel schildert an keiner Stelle den Vorgang von Jesu Auferstehung direkt, so dass man sagen könnte: „Ach schade, dass das nicht im Bild festgehalten und vielleicht live übertragen wurde.“
Die Bibel erzählt das alles vielmehr indirekt.
Erzählt davon, dass Jesus nach seinem Tod einzelnen Menschen erschienen ist, zuerst Frauen, dann Männern. Die ihn oftmals nicht sofort erkannt haben. Manchmal z.B. erst beim gemeinsamen Essen (wie wir vorhin von den Emmausjüngern gehört haben).
Oder auch: dass das Grab leer gewesen ist: „Ihr sucht Christus, er ist nicht hier.“ So dass man sich also auf die Suche machen muss.
Kritiker sagen: „Na ja, das mit den Erscheinungen war eine Art Trauerarbeit der Jünger. Die mussten diesen Frust verarbeiten, dass Jesus nicht mehr da war, da hatten Sie halt Visionen von einem Auferstandenen.“
Und zum leeren Grab sagten manche schon damals: „Der gekreuzigte Jesus ist von seinen Anhängern nicht nur ins Grab hineingelegt sondern auch wieder herausgenommen, also geklaut, worden. Um behaupten zu können: das Grab ist leer.“
Oder man sagt: „Jesus ist schlicht und ergreifend im Grab geblieben. Eine Wiederbelebung Toter ist unmöglich. Das Ding ist durch.“
Ich persönlich finde diese historischen Fragen nicht am allerwichtigsten.
Mir ist anderes wichtiger:
Erfahre ich Jesus hier und heute als einen Toten - oder als einen Lebendigen?
Geht von seinem Weg hier und heute Resignation aus oder gar nichts mehr - oder Hoffnung?
Und ist Glaube nur ein Rückblick auf irgendwelche früheren Ereignisse - oder geht es da um eine unendlich gütige Lebensmacht, die mich jeden Tag begleitet und die mir Zukunft eröffnet?
6.
Das Ding ist ganz und gar nicht durch.
Der BVB hatte eine dreiprozentige Chance im Rückspiel. Hat begeistert gespielt und mit 2:0 gewonnen, sehr achtbar, das fand sogar die spanische Presse. Zum Weiterkommen hat es nicht ganz gereicht. Aber viele neue Sympathien sind dem BVB zugewachsen.
Das Ding ist ganz und gar nicht durch.
Ostern ist Gottes Rückspiel.
An Ostern gelingt Gott der Ausgleich.
Ja, sogar mehr: der entscheidende Treffer:
Gegen tödliche Strukturen, gegen Beziehungsabbruch.
Das Leben siegt über den Tod.
Und der auferstandene Jesus ist in unseren Herzen und in unserer Mitte,
hier heute an diesem Ostermontagmorgen.
Amen
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Predigt zu Apostelgeschichte 10,10,34a.36-43 von Wolfgang Vögele
Der Predigttext für den Ostermontag steht Apg 10,34a.36-43:
„Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit (…): Er hat das Wort dem Volk Israel gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus, welcher ist Herr über alle. Ihr wisst, was in ganz Judäa geschehen ist, angefangen von Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte, wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit Heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm. Und wir sind Zeugen für alles, was er getan hat im jüdischen Land und in Jerusalem. Den haben sie an das Holz gehängt und getötet. Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen, nicht dem ganzen Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten. Und er hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten. Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.“
Liebe Gemeinde,
eine Kanzel, eine Bibel und ein Altar machen das Predigen leichter. Denn der Ort des Gottesdienstes bestimmt die Worte, die der Prediger spricht. Kein unbefangener Zuhörer erwartet von dem Mann auf der Kanzel, der dort im schwarzen fußlangen Talar steht, etwas anderes als auferbauende, tröstende, segnende Worte. Wenn sie gelingt, holt die Predigt die Zuhörerinnen und Zuhörer in ihrem Alltag ab. Sie erzählt von wunderreichen Lebensgeschichte des Jesus von Nazareth, die weit über seinen Tod am Kreuz hinausreicht. Der Prediger entläßt die Zuhörer mit der Verheißung neuen Lebens in die bevorstehende Woche.
Die Prediger auf der Kanzel könnten sich aber für ihre Worte auch an ganz andere, fremde und ungewöhnliche Orte stellen, wo sie ihre Zuhörer überraschen, verblüffen oder gar verärgern würden. Auf dem Marktplatz, im Fußballstadion, auf dem Bahnsteig oder im Supermarkt erwartet niemand einen Menschen im schwarzen Talar oder gar eine Predigt. Der Apostel Paulus immerhin hat sich in Athen auf den Marktplatz, den Areopag gestellt, und den athenischen Bürgern eine Predigt über den unbekannten Gott gehalten. Petrus, sein Apostelfreund, besucht nach einer komplizierten Vorgeschichte, auf die ich gleich noch komme, das Haus eines römischen Hauptmanns und predigt dort.
Der Evangelist Lukas sagt: Petrus öffnet seinen Mund und fängt an zu predigen. Bis zum Amen dauert die Predigt nur ganz kurz. Jedem Zuhörer verschafft das Erleichterung. Schön, wenn sich alle Prediger der Weitschweifigkeit enthalten würden: von der Taufe zur Auferstehung in wenigen, lakonischen Sätzen. Das ist viel leichter zu schlucken als langwierige Erläuterungen mit rhetorischen Umwegen und eleganten Finessen.
Johannes tauft Menschen in der Wüste. Jesus wird getauft. Jesus zieht heilend in Galiläa umher und rettet Menschen vor dem Bösen. Jesus wird ans Kreuz, ans Holz geschlagen. Er stirbt. Gott erweckt ihn auf am dritten Tage. Weil er auferstanden ist, predigen nun seine Jünger. Der Rest ist Mission und Osterfreude, der warme, erfrischende Frühlingsregen des Glaubens, der die Gemeinden wachsen läßt.
In der Mitte der Predigt des Petrus steht die Auferstehung. In der Auferstehung überwindet Gott das Kreuz: Dieses Ereignis wendet die Geschichte der Menschen zum Guten. Deswegen steht die Auferstehung in allen Geschichten und Briefen des Neuen Testaments im Mittelpunkt, selbst dort wo sie nicht erwähnt wird. Aber die Auferstehung ist eben nicht alles. Richtig verstanden wird sie nur, wenn wir die biblische Vorgeschichte und die evangelische Nachgeschichte mit einbeziehen.
Die Vorgeschichte geht keineswegs in der „irdischen“ Geschichte des Jesus von Nazareth auf. Die Vorgeschichte des Auferstandenen kann darin zusammengefaßt werden: Gott kämpft in der Welt gegen das Böse. Die Taufe des Johannes im Jordan rettet die Menschen vor ihrer Verstrickung in böse Interessen, Selbsttäuschung und verquerer Moral. Die Taufe des Johannes ruft die Menschen zur Buße und zurück zu Gott. In diesem heilenden Blickwinkel Gottes ist auch das Handeln, Predigen und Wirken Jesu zu verstehen. Jesus will nicht durch „übernatürliche“ Wunder auffallen, er ist kein Magier, der mit Zaubertricks beeindrucken will. Es kommt darauf an, daß er mit allen Mitteln des Predigens und Tuns gegen das Böse, gegen den Teufel, gegen das Widergöttliche kämpft. Die Heilung eines Kranken ist nicht um ihrer selbst willen wichtig, sondern sie ist ein Zeichen, ein kleiner Sieg im großen, kosmischen Kampf Gottes gegen das Böse, das Unrecht, das Leid und das Lieblose. Ob man dieses als das Böse sieht oder im Teufel zu einer Person macht, das ist gar nicht so wichtig. Mit jedem geheilten und getrösteten Menschen erringt Jesus einen kleinen Sieg des Glaubens. Diese bereiten in der Summe Gottes Reich vor. Die Geschichten und Gleichnisse der Evangelien berichten davon. Deswegen widerspricht das Hinrichtungskreuz dem Willen Gottes. Derjenige, der für sein Reich gekämpft hatte, muß sterben. Das sehen auch die Jünger zuerst als einen vermeintlichen Triumph des Bösen, als einen Sieg der zufälligen Wirklichkeit über den Willen Gottes, den er in den Propheten und ihren Verheißungen zum Ausdruck gebracht hatte. Die Jünger sind angesichts dieser schrecklichen Hinrichtung geflohen. Diese Vorgeschichte des Leidens wäre nun an den unbeachteten Rändern der Weltgeschichte verpufft, wenn mit dem Kreuz, mit der Trauer über den hingerichteten Jesus von Nazareth alles zu Ende gewesen wäre.
Daß Gott diesen hingerichteten Jesus von Nazareth nach drei Tagen auferweckt, ist das zentrale Ereignis des christlichen Glaubens. Ohne Ostern wäre alles nichts. Gottesdienste, Predigten, Abendmahlsfeiern, Choräle, Bekenntnisse und Bußgebete würden im Leeren verpuffen. An Ostern triumphiert der Glaube, Gott siegt über die Zufälle und Sachzwänge der Wirklichkeit. Eine Predigt, in der die Osterfreude des Glaubens nicht mindestens indirekt zur Sprache kommt, schießt blind und ziellos in den Himmel.
Aber, liebe Gemeinde, so ist es nicht. Die Vorgeschichte endet nicht mit der Hinrichtung am Kreuz, und die Nachgeschichte besteht nicht nur aus leeren Spekulationen über den Himmel und das Reich Gottes. An jedem siebten Tag, dem Sonntag einer Woche feiern wir nicht nur den Ruhetag der Schöpfung Gottes, sondern dazu auch den Tag der Auferstehung des gekreuzigten Herrn.
Ostern ist der Ursprung, das Zentrum und die Quelle des Evangeliums und des Glaubens. Darum kommen in der Nachgeschichte der Ostererfahrung Menschen zum Glauben, durch seelsorgliche Gespräche und Predigten, durch die stärkende Feier des Abendmahls, durch den Segen Gottes, mit dem alle Glaubenden seit Jahrhunderten die Gottesdienste am Sonntag verlassen. Die Ostererfahrung setzt sich in der Gegenwart fort, selbstverständlich nicht in der klerikalen Bürokratie, wohl aber überall da, auch jenseits der Gemeinden, wo sich Erfahrungen des Trostes, des Osterlachens und der Barmherzigkeit finden. Davon gleich mehr.
Es macht Sinn, erst noch an den Anfang der Nachgeschichte von Ostern zu gehen und von Cornelius erzählen. An ihn richtet sich die kurze, verdichtete Predigt des Apostels Petrus. Cornelius war nach der Erzählung des Neuen Testaments einer der ersten nicht-jüdischen Christen. Der Römer war Hauptmann in Caesarea, Zenturio einer römischen Armee-Einheit, und Lukas bezeichnet ihn als frommen, gottesfürchtigen Mann, der großzügig Spenden und Almosen verteilen ließ. Diesem Cornelius erscheint der heilige Geist, wie er auch Petrus, dem Apostel erscheint. Petrus hält sich im fünfzig Kilometer entfernten Joppe auf. Und Cornelius läßt nach ihm schicken. Petrus zögert zu Anfang, denn er weiß, daß es sich für einen frommen Juden eigentlich verbietet, Kontakt zu einem Hauptmann der Besatzungsmacht zu pflegen, geschweige denn sein Haus zu betreten. Aber dann geht er doch. Und Lukas stellt das so dar, als sei es untrennbar beides: die realistische Einsicht in die Freundlichkeit und Aufrichtigkeit des römischen Hauptmanns und das Wirken des Heiligen Geistes.
Petrus hält also im Haus des Hauptmanns die Predigt, die wir heute als Predigttext gehört haben. Das ist das Außergewöhnliche an dem Vorgang: Paulus wird sich später grundsätzlich als Missionar der „Heiden“ verstehen, für ihn ist das etwas ganz Normales und Selbstverständliches. Aber Petrus fühlte sich trotz seines Glaubens an das Evangelium noch an die Regeln der jüdischen Religion gebunden. Mit dem Betreten des Hauses des römischen Hauptmanns geht der Apostel den Schritt über die Grenze des Judentums hinaus. Das ist das Erstaunliche, und es ist kein Wunder, daß Lukas diesen Schritt über die Grenze umfassend als Wirken des Heiligen Geistes beschreibt.
Als Cornelius, seine Familie und die häuslichen Mitarbeiter diese kurze Predigt gehört haben, singen sie keineswegs einen Choral, wie es heute im Gottesdienst nach der Predigt üblich ist. In der Apostelgeschichte heißt es: „Während Petrus noch diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten. Und die gläubig gewordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, entsetzten sich, weil auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde; denn sie hörten, dass sie in Zungen redeten und Gott hoch priesen.“ (Apg 10, 44f.) Und nur wenig später folgt der Taufgottesdienst. Cornelius und seine Familie vertrauen auf Gott, sie glauben dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Darum lassen sie sich taufen.
Ostern ist keineswegs ein Geschehen in der Vergangenheit. Ostern ist eine Predigt. Ostern ist das Essen mit dem Auferstandenen im Abendmahl. Ostern ist der Heilige Geist. Ostern ist Taufe. Ostern ist Teilhabe an der Auferstehung. Die christliche Gemeinde heute wird in das evangelische Geschehen damals mit hineingenommen. Es ist nicht entscheidend, ein Geschehen in der Vergangenheit für wahr zu halten. Es geht darum, die evangelischen Auswirkungen eines vergangenen Geschehens in der Gegenwart zu spüren. Auferstehung bedeutet Überwindung der Sachzwänge, Trost und Barmherzigkeit, Gnade und Rechtfertigung. Wenn wir das als Gemeinde heute so empfinden, so stehen wir in einer langen Reihe getaufter, glaubender, getrösteter Menschen, die sich über die Jahrhunderte hinweg in die Bewegung der Auferstehung hineinnehmen ließen.
Ostern ist deswegen so wichtig, weil es neben der Vorgeschichte eine gewaltige und wirksame Nachgeschichte besitzt. Und die Taufe des Hauptmanns Cornelius steht am Anfang der gemeindlichen Nachgeschichte. Sogar heidnische, im Judentum als unrein geltende Römer lassen sich taufen. Und dieser Römer ist noch dazu ein Militär und Offizier, Teil der verachteten und verhaßten Besatzungsmacht. Nach dem Hauptmann Cornelius folgen die vielen anderen Familien, die Paulus auf seinen Reisen im Mittelmeerraum trifft, denen er predigt, die er bekehrt und tauft. Die Nachgeschichte der Auferstehung ist die Fortsetzung der Vorgeschichte: Die Menschen erleben in der Gegenwart Jesu Christi Barmherzigkeit, Trost und Heil. Sie spüren, wie das Böse zurückweicht. Die Nachgeschichte der Auferstehung ist die Vorgeschichte des Reiches Gottes, das bereits angebrochen, aber noch nicht vollendet ist.
Die Nachgeschichte der Auferstehung läßt sich an vier Wirkungen ablesen: an der Ausbreitung und Erweiterung des Glaubens, an der Taufe, am Abendmahl und am Wirken des Heiligen Geistes.
Die Auferstehung sprengt die Grenzen naturalistischer Wirklichkeitssicht und ebenso die Grenzen konventioneller Religion. Sie geht einfach darüber hinweg. Jeder Glaubende muß damit rechnen, daß Gott an Personen und Menschen wirkt, von denen er es nie für möglich gehalten hätte. Das Evangelium breitet sich nach Ostern in der ganzen Welt aus. „Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, 20 und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt 28,19f.) So sagt es der auferstandene Jesus am Ende des Matthäusevangeliums. Auferstehung sprengt alle Grenzen: Alle Menschen, gleich welchen Geschlechts, welcher Rasse, welchen Glaubens sind zu Jesus Christus gerufen.
Wer sich rufen läßt, der wird auch gerettet. Ich bin gerettet, das heißt: Ich bin wie Jesus auserwählt für ein Leben, das mit dem Tod nicht zu Ende ist. Das Zeichen dafür ist die Taufe. Wer getauft ist, ist gerettet, auch wenn er das in diesem Leben nicht immer spüren mag. Dieses Zeichen bleibt gültig, es läßt sich nicht abwischen wie ein Stempel oder eine Markierung. Die Taufe ist der Anfang der Auferstehung. Und diese Verheißung begleitet einen Menschen durch ein ganzes Leben hindurch bis zum Tod – und darüber hinaus.
Das zweite Zeichen neben der Taufe ist das Abendmahl. Wir gehen zum Altar und nehmen Brot und Wein. Christus hat verheißen, daß er in dieser Feier geistlich gegenwärtig ist. Dabei sollten wir uns nicht durch tiefsinnige Überlegungen ablenken lassen, wie sich Brot und Wein zu Leib und Blut Christi verändern. Es kommt nicht darauf an, wie das geschieht, sondern es kommt darauf an, daß es geschieht. Das Abendmahl ist das Zeichen der Gegenwart Jesu. Wir können uns dieser Gegenwart gewiß sein, des tröstenden, barmherzigen und auferstandenen Herrn Jesus Christus.
Ostern ist die Nachgeschichte der Auferstehung, weil der Heilige Geist wirkt. In der Geschichte von Petrus und Cornelius bereitet der Heilige Geist alles vor, was die Menschen dann ausführen: die Reise nach Caesarea, die Missionspredigt, die abschließende Taufe. So muß man sich das Wirken des Heiligen Geistes in der Gegenwart vorstellen: Er bereitet die Menschen auf Glauben und Trost, auf Auferstehung und Reich Gottes vor. Das ist im übrigen keine Tätigkeit für eine geschlossene Gesellschaft von Glaubenden. Dieser Glaube an die Auferstehung sprengt mit Hilfe des Heiligen Geistes jede Milieugrenze. Am besten und angemessensten zeigt sich das im Abendmahl. Wir alle nehmen Brot und Wein unterschiedslos als begnadigte Sünder. Vor Gott und Jesus Christus sind alle Menschen gleich, gleich als Sünder und gleich als Gerechte, die trotzdem noch des Trostes bedürfen. Ostern ist Freude über die vergangene Auferstehung Jesu Christi. Auferstehung – das bedeutet Trost und Gnade in der Gegenwart. Amen.
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Predigt zu Apostelgeschichte 10,36-44 von Bernd Vogel
Exegetische Vorbemerkung: Die Zusammenfassung des Lebens Jesu in VV 36-44 verliert seinen Kontext, seine Spannung, seinen Beziehungsreichtum ohne die erzählte Geschichte vorher (Vision des Kornelius und Vision des Petrus) und nachher (Geist für die Völker und Taufe).
Lukas hat die beiden Erzählstränge um Kornelius und Petrus kunstvoll als die Geschichte des wechselseitigen Übergangs zu einander und über den geistigen Status quo hinaus gestaltet. Diese Erzählung ist das Medium der 'Botschaft'.
Wenn Erzähltexte der Apostelgeschichte gepredigt werden, dann kann es jedenfalls nicht vor allem um die Explikation von dogmatischen Formeln gehen. Der Tief – Sinn der von Lukas erzählten Geschichte ginge verloren.
1 Es war aber ein Mann in Cäsarea mit Namen Kornelius, ein Hauptmann der Abteilung, die die Italische genannt wurde.
2 Der war fromm und gottesfürchtig mit seinem ganzen Haus und gab dem Volk viele Almosen und betete immer zu Gott.
3 Der hatte eine Erscheinung um die neunte Stunde am Tage und sah deutlich einen Engel Gottes bei sich eintreten; der sprach zu ihm: Kornelius!
4 Er aber sah ihn an, erschrak und fragte: Herr, was ist? Der sprach zu ihm: Deine Gebete und deine Almosen sind vor Gott gekommen und er hat ihrer gedacht.
5 Und nun sende Männer nach Joppe und lass holen Simon mit dem Beinamen Petrus.
6 Der ist zu Gast bei einem Gerber Simon, dessen Haus am Meer liegt.
7 Und als der Engel, der mit ihm redete, hinweggegangen war, rief Kornelius zwei seiner Knechte und einen frommen Soldaten von denen, die ihm dienten,
8 und erzählte ihnen alles und sandte sie nach Joppe.
KURZE MUSIK
Wann hatten Sie Ihre letzte Erscheinung?
Nachmitttags um drei. Todesstunde Jesu.
Finsternis über dem Land. Die Sonne verweigert sich.
Wir schalten das Licht an.
Im Fernsehen zeigen sie Ben Hur.
Keine Erscheinung .
9 Am nächsten Tag, als diese auf dem Wege waren und in die Nähe der Stadt kamen, stieg Petrus auf das Dach, zu beten um die sechste Stunde.
10 Und als er hungrig wurde, wollte er essen. Während sie ihm aber etwas zubereiteten, geriet er in Verzückung
11 und sah den Himmel aufgetan und etwas wie ein großes leinenes Tuch herabkommen, an vier Zipfeln niedergelassen auf die Erde.
12 Darin waren allerlei vierfüßige und kriechende Tiere der Erde und Vögel des Himmels.
13 Und es geschah eine Stimme zu ihm: Steh auf, Petrus, schlachte und iss!
14 Petrus aber sprach: O nein, Herr; denn ich habe noch nie etwas Verbotenes und Unreines gegessen.
15 Und die Stimme sprach zum zweiten Mal zu ihm: Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten.
16 Und das geschah dreimal; und alsbald wurde das Tuch wieder hinaufgenommen gen Himmel.
KURZE MUSIK
Zur Mittagszeit kreuzigten sie ihn. Petrus betet.
Ob er sich erinnert - oder ist es Gewohnheit?
Gleich viel: Da betet sich einer hungrig!
„Und sah den Himmel aufgetan“ und ein Tischtuch vom Himmel kommen.
Kein Vegetarier, dieser Simon.
Und wehrt sich mannhaft gegen Gottes Gebot. Zwei Mal: Ist nicht, Gott, nicht mir mir!
Drei Mal krähte der Hahn. Da stand er auf und hatte begriffen.
Er schritt über die Grenzen seiner Gewohnheiten und Standpunkte.
Er ließ die Richtigkeit hintan, die Mehrheitsmeinung, den Halt der Gruppe.
Wann, Gott, werde ich aufstehen und einfach hinschauen und sehen, was ich sehe,
denken, was mir wirklich einfällt, sagen, was ich sagen will, und handeln mir gemäß?
Wann, Gott, werde ich aufstehen aus der Macht meiner Herkunft?
Wann, Gott, werde ich anfangen zu leben?
Wann werde ich den Mut haben, auch einmal allein zu stehen; denn du gehst ja mit ..
17 Als aber Petrus noch ratlos war, was die Erscheinung bedeute, die er gesehen hatte, siehe, da fragten die Männer, von Kornelius gesandt, nach dem Haus Simons und standen an der Tür,
18 riefen und fragten, ob Simon mit dem Beinamen Petrus hier zu Gast wäre.
19 Während aber Petrus nachsann über die Erscheinung, sprach der Geist zu ihm: Siehe, drei Männer suchen dich;
20 so steh auf, steig hinab und geh mit ihnen und zweifle nicht, denn ich habe sie gesandt.
21 Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin's, den ihr sucht; warum seid ihr hier?
22 Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast.
23 Da rief er sie herein und beherbergte sie. Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm.
KURZE MUSIK
24 Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen.
25 Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an.
26 Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch.
27 Und während er mit ihm redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren.
28 Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll.
29 Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen.
30 Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand
31 und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott.
32 So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer.
33 Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist.
KURZE MUSIK
Zur sechsten Stunde: Weltennacht. Sonnenfinsternis mitten am Tag. Und der Vorhang im Tempel zerreißt mittig in zwei Stücke. Das innerste Heiligtum Israels steht ungeschützt, verwundet und verwundbar und weit geöffnet zur Welt. Petrus bekommt eine göttliche Aufforderung, die ihn herausführt aus allem, was ihm heilig war: „Steh auf! Schlachte und iss!“
Zur neunten Stunde: „Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, hauchte er seinen Geist aus.“. Zur neunten Stunde, erfüllt der Geist des Jesus den römischen Hauptmann Kornelius. Ein „Mann im leuchtenden Gewand“ erscheint ihm. Durchscheinende Wirklichkeit. In dem „Mann“ der „Engel“, ja: der auferstandene Jesus. Was für den Soldaten als Befehl daherkommt, daher kommen muss, ist in Wahrheit eine Lockung ins Weite, in die Freiheit von Befehl und Gehorsam, auch von frommen Taten, die etwas bezwecken: Gebete und Almosen. Nun heißt es von ihnen: „Gott hat ihrer gedacht“. Gott lässt sich beides sozusagen durch den göttlichen Kopf gehen und durch sein göttliches Herz. Und dann entschließt sich – um im menschlichen Bild zu bleiben – .. dann entschließt sich dieser Gott Israels und der Welt, diesem Menschen sozusagen persönlich zu erscheinen und ihn einzuladen auf eine geistige Reise in die Zukunft der Menschheit.
Zusammen haben sie ihre Zukunft. Der traditionsverhaftete Jude und der neugierige römische Soldat. In ihrer Begegnung führt Gott die Weltgeschichte voran. Auferstehung mitten hinein in die Leben zweier Menschen, die zu einander geführt werden.
Gottes Geist in uns:
Mut zur Begegnung
Lust auf Ungewohntes und Grenzüberschreitung
Sinn für Zeiten der Offenheit, der Wahrnehmung dessen, was ist
Zutrauen, dass in den kleinen Alltagsgeschichten Gott Weltgeschichte weitet, öffnet, mit uns als Beteiligten, als Akteuren,
das jedenfalls zeitweilige Gefühl, die trotzige Gewissheit, dass Gott gerade mich aufsucht, mich braucht, mich begeistern und erfreuen will, dass ich in Gott Zukunft habe – und die anderen auch
Gott in mir und ich in Gott …Nicht von außen bricht Gott in diese Welt ein und verlässt uns wieder. Was wir Gott nennen, geschieht hier unter uns, zwischen uns, in uns.
34 Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht;
35 sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.
36 Er hat das Wort dem Volk Israel gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus, welcher ist Herr über alle.
37 Ihr wisst, was in ganz Judäa geschehen ist, angefangen von Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte, 38 wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit Heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm.
39 Und wir sind Zeugen für alles, was er getan hat im jüdischen Land und in Jerusalem. Den haben sie an das Holz gehängt und getötet.
40 Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen,
41 nicht dem ganzen Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten.
42 Und er hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten.
43 Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.“
44 Während Petrus noch diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten.
45 Und die gläubig gewordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, entsetzten sich, weil auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde; 46 denn sie hörten, dass sie in Zungen redeten und Gott hoch priesen. Da antwortete Petrus:
47 Kann auch jemand denen das Wasser zur Taufe verwehren, die den Heiligen Geist empfangen haben ebenso wie wir?
48 Und er befahl, sie zu taufen in dem Namen Jesu Christi. Da baten sie ihn, noch einige Tage dazubleiben.
Auch uns steht ER auf. Vielleicht gibt sich etwas heute zu erfahren. Ein neuer Blick. Ein Moment. Ein Hunger. Ein Wort. Eine Begegnung. Da tut sich doch was.
Amen.
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Anfänge sind prägend - Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Titus Reinmuth
Anfänge sind prägend.
Liebe Gemeinde,
(1) Wie hat das eigentlich angefangen? War „aller Anfang schwer“ – oder wohnte schon dem Anfang „ein Zauber inne“? Oft sind die ersten Erfahrungen entscheidend. Paare können zurückblicken: Wie hat es angefangen mit uns? Da ist etwas, das wir heute noch spüren. Oder hin und wieder entdecken. Vieles wird sich im Lauf der Jahre geändert haben, manches ist längst verschüttet, anderes ist hinzugekommen – aber es gibt Zeiten, da spürt ein Paar die Kraft des Anfangs.
Auch andere Anfänge können prägend sein. Eine Kirchengemeinde feiert das 20jährige Jubiläum ihres diakonischen Projekts, den Aufbau eines Heilpädagogischen Zentrums in Pskow, Russland. Wer war am Anfang dabei? Was waren die ersten Ideen, die bis heute tragen? Damals kamen zur richtigen Zeit die richtigen Leute zusammen. In dieser Arbeit mit behinderten Kindern und Jugendlichen gelang es auch, das Evangelium ins Gespräch zu bringen, ein Bild vom Menschen, das von der Liebe Gottes geprägt ist – einer Liebe, die nicht danach fragt, ob einer gesund ist oder krank, reich oder arm, voll leistungsfähig oder in irgendeiner Hinsicht behindert. Anfänge sind prägend. In anderen Gemeinden ist es die Tafel oder der Hospizdienst oder der Projektchor. Menschen kommen zusammen und fangen an.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist auch eine Anfangsgeschichte. Sie erzählt davon, wie es in Europa mit unserer Kirche angefangen hat. Diese Anfangserzählung hat Lukas aufgeschrieben, sie steht in der Apostelgeschichte, im Kap. 16, Verse 9-15. Da heißt es:
9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! 10 Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. 11 Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis 12 und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. 13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen. 14 Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, so dass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. 15 Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.
(2) Ein historischer Moment. Paulus und seine Mitarbeiter gehen von Kleinasien nach Europa. Davor ist berichtet, wie Paulus mit seinen Leuten in einigen Orten Kleinasiens abgewiesen wurde. Die Menschen dort wollten vom Evangelium nichts hören. In mehreren Orten ging das so, die Lage war einigermaßen aussichtslos. Paulus und seine Mitarbeiter schlugen jetzt eine neue Richtung ein: von Kleinasien nach Europa. Aber nicht, weil sie in der letzten Zeit in der Region keinen rechten Erfolg hatten mit ihrer Sache, sondern weil sie sich irgendwie von Gott zu diesem Schritt beauftragt wussten. Paulus hatte einen Traum, so wird es erzählt. Im Traum erscheint ihm ein Mann aus Mazedonien und der bittet ihn: Komm herüber und hilf uns!
Paulus spürt, dass Gott ihn beruft, nach Europa zu gehen. Er landet in der Provinzhauptstadt Philippi, einer römischen Kolonie. Eine lebendige Stadt mit viel Kultur, in der auch das wirtschaftliche Leben blüht. Die Männer um Paulus bleiben einige Tage dort, heißt es.
Und dann ist erzählt, wie in Philippi eine erste Gemeinde entsteht. Merkwürdig unspektakulär und leise geht das vor sich. Es beginnt am Ufer eines Flusses mit einer Gruppe von Frauen. Da im Freien, wo die kleine jüdische Gemeinde ihre Gebetsstätte hat. Keine starken Führungspersönlichkeiten treten hier auf, sondern ein etwas angeschlagener, weil zuletzt nicht sonderlich erfolgreicher Paulus hat sich auf den Weg gemacht. Keine kämpferische Großveranstaltung auf dem Marktplatz wird hier organisiert, sondern gleichsam am Wegesrand ergibt sich ein ruhiges Gespräch mit einer Handvoll Frauen. Es ist Sabbat und die Frauen sind runter zum Fluss gegangen, um dort zu beten. Paulus und die seinen kommen hinzu und kommen mit den Frauen ins Gespräch. Wahrscheinlich über Gott und die Welt. Über Jesus Christus und den Sinn des Lebens. Das Evangelium kommt ins Gespräch. Irgendwie fängt es an zu wirken bei den Frauen unten am Fluss. Sie haben sich Zeit genommen, die Arbeit ruhen lassen, Abstand gefunden vom Trubel dieser quirligen Stadt.
Die Frauen hören zu, und eine von ihnen, Lydia, achtet besonders auf das, wovon Paulus redet. Gott hat ihr das Herz geöffnet, heißt es. So fängt das an. Kaum zu glauben, aber das Gespräch am Fluss mündet in eine Taufe. Sie zeigt Lydia und allen anderen, die sich taufen lassen: Ich gehöre dazu. Gott sieht mich neu an. Bei allem, was mich umtreibt: die Sorge um mein Haus, um Handel und Geschäfte; die Sorge um die Menschen, für die ich verantwortlich bin; die Sorge um das, was ich leisten kann und was nicht; bei allem, was mich umtreibt: Gott sieht mich an. Ich gehöre dazu. So fing das an - damals in Philippi.
Ein prägender Anfang. Sanft und unauffällig breitet sich das Evangelium aus. Allein der Schluss der Erzählung verblüfft. Lydia, die Frau, Muss Paulus und die anderen Männer bedrängen, in ihr Haus zu kommen und zu bleiben. Sie nötigt Paulus und seine Mitarbeiter, zu bleiben, heißt es. Was soll das bedeuten? Wir können nur noch ahnen, was dahinter stand. Es ging wahrscheinlich darum, ob das Haus einer Frau die Basis einer christlichen Gemeinde sein kann. Also die Anlaufstation für die Wanderprediger auf ihren Missionsreisen und die Mitte der christlichen Gemeinde am Ort. Unsere Geschichte erzählt: Nachdem Lydia getauft ist, lädt sie Paulus und die anderen in ihr Haus ein. Der Text spricht von ihrem Haus. Das heißt: ein erwachsener freier Mann, der sonst der Hausherr wäre, gehört offenbar nicht zu diesem Haushalt. Lydia ist selbständig. Sie geht als Purpurhändlerin ihrer eigenen Arbeit nach und steht ihrem eigenen Haus vor. Wenn sie Paulus nötigt, dazubleiben, geht es offenbar nicht nur um eine vorübergehende Gastfreundschaft. Es geht um mehr. Es geht um die Ansiedlung der ersten christlichen Gemeinde in Philippi. Die christlichen Männer weigern sich zunächst, dem Haus der Lydia die entsprechende Anerkennung zuteil werden zu lassen. Sie haben sie gerade noch getauft, aber die Rechte, die sich aus der Taufe ergeben, wollen sie Lydia nicht zuerkennen. Gut möglich, dass Lydia mit einem alten Taufbekenntnis argumentiert hat, das wir aus dem Galaterbrief kennen. Oft wurde es bei Taufen gesprochen. Es lautet:
Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus.
Wer also aufgenommen ist in die Gemeinschaft mit Gott, der darf erleben: Ich bin ein Kind Gottes, wie alle anderen auch. Jetzt zählt nicht mehr, woher ich komme: Ob ich Jude oder Grieche bin. Es spielt auch keine Rolle, wo ich in dieser Gesellschaft stehe: Ob ich Sklave bin oder frei. Und es zählt auch nicht mehr, ob ich Mann bin oder Frau. Das Evangelium hat Folgen für das Leben.
So entwickelt sich eine zunächst unauffällige Begegnung am Rande der Stadt zu einer kleinen Revolution – eine etwas andere Gemeinschaft entsteht. Lydias Glaube war zwar etwas sehr Persönliches, eine Sache des Herzens, aber dieser Glaube blieb überhaupt nichts Privates, sondern er hatte Folgen für eine ganze Gemeinschaft. Und davon musste Lydia den Paulus und die seinen wohl erst überzeugen. Die Gemeinde wird zu einer Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, das heißt von Nahen und Fremden, von Armen und Reichen, von Männern und Frauen. Dafür hat am Anfang Lydia gesorgt, als sie den Männern um Paulus sagte: Wenn ihr anerkennt, dass ich glaube, so kommt in mein Haus und bleibt.
(3) So hat es damals angefangen. Was ist prägend an diesem Anfang? Was sind die Wurzeln einer christlichen Gemeinde?
Es ist zum einen die persönliche Begegnung zwischen Menschen. Da ist Paulus. Paulus stellt sich nicht auf den Marktplatz, sondern geht zu einer Gruppe von Frauen am Rande der Stadt. Denen erzählt er vom Glauben. Das Evangelium kommt ins Gespräch. Und da ist Lydia. Lydia kann zuhören. Durch all ihr Geschäftsleben hindurch, durch all ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen hindurch kann sie hören. Die Worte des Paulus werden ihr wichtig: Sie öffnen, setzen etwas in Bewegung, sorgen für eine Veränderung. Lydia und ihr Haus lassen sich taufen. Sie werden zur Keimzelle einer christlichen Gemeinde.
Und an dieser Gemeinde ist ein zweites abzulesen, das von Anfang an prägend war. Sie wird zu einer Insel inmitten dieser geschäftigen Stadt, sie ist ein offenes Haus, in dem es geschwisterlich zugeht, inmitten einer Gesellschaft, in der ganz andere Spielregeln herrschen. Eine gastfreundliche Gemeinde mit offenen Türen und Menschen, denen man abspürt: Denen ist das Herz aufgegangen. Und weil das so ist, gehen sie etwas anders miteinander um. Da zählt nicht, was einer war oder ist oder hat oder kann, sondern da heißt es: Du gehörst auch dazu.
Die Kraft des Anfangs: Wo sind heute die Orte, an denen das Evangelium ins Gespräch kommt, nicht nur im Gottesdienst, sondern irgendwo am Rand, in persönlichen Gesprächen? Und woran kann man heute sehen, wie dieses Evangelium Menschen verändert, so dass nicht mehr zählt, ob einer arm ist oder reich, einheimisch oder fremd, Mann oder Frau, gesund oder krank, voll leistungsfähig oder behindert? Beides gehört zusammen: das Wort Gottes und die Gemeinschaft, zu der es anstiftet. Amen.
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Komm herüber und hilf uns! - Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Michael Nitzke
9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! 10 Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.
11 Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis 12 und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. 13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.
14 Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr d.as Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde. 15 Als. sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.
Liebe Gemeinde,
Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht. Das steht da so einfach in der Apostelgeschichte. Diese Geschichte, ist der zweite Buch was ein Autor geschrieben hat, den wir Lukas nennen. Das erste Buch, dass er geschrieben hat, ist uns gut bekannt. Es erzählt die Weihnachtsgeschichte und all das was Jesus getan hat, bis zur Himmelfahrt. In der Apostelgeschichte, erzählt Lukas, wie es weitergegangen ist. Was haben, die Jünger Jesus aus ihren Erlebnissen gemacht, wie haben sie die Lehre Jesu umgesetzt?
Lukas wagt das, was kein anderer Evangelist gewagt hat, und was selbst heute nicht immer funktioniert. Er lässt seinem Erfolgswerk einen zweiten Teil folgen.
Jesus, die Hauptrolle, erscheint in diesem Werk zwar nicht mehr als Person, aber er ist unsichtbar, unterschwellig immer mit dabei, denn um ihn und um seine Mission geht es hier. Und unsichtbar greift er auch in das Geschehen ein. Kurz vor dem Abschnitt, den ich verlesen habe, steht, dass der Geist Jesu den Paulus und seine Leute daran hinderte, durch die Landschaft Bithynien zu reisen. Das war noch mal ein Versuch in Asien das Wort Gottes zu predigen. Aber daran hatte sie schon der Heilige Geist gehindert. Was man damals Asien nannte, ist nicht etwa heutige der Ferne Osten. An China oder Japan, hätte man damals noch nicht einmal im Traum gedacht, gemeint war Klein-Asien das Gebiet, wo heute die Zentraltürkei ist. Die geballte Kraft Gottes stellte sich also einer Mission in Anatolien entgegen, so zog man nach Troas, da wo mal das Trojanische Pferd von sich reden machte. Das liegt Richtung Westen am Meer, mit Blick auf die Ägäischen Inseln.
Und wieder kommt eine übernatürliche Macht, dies mal nicht der Heilige Geist oder der Geist Jesu, diesmal erscheint ein Mann in der Nacht. Und er steht da und bittet höflich aber deutlich: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!
Jetzt werden, die biblischen Landschaftsbezeichnungen für uns schon etwas bekannter. Mazedonien oder Makedonien, kennen wir aus den Nachrichten, und als "Frühere Jugoslawische Republik" aus diversen Sportveranstaltungen. So weit ist Paulus aber nicht gekommen. "Sein" Mazedonien ist das Gebiet zwischen der heutigen Türkischen Grenze zu Griechenland und der Stadt Thessaloniki, genauer gesagt West-Thrakien. Umstritten waren diese Gebiete zu allen Zeiten, und die Herrschafts- und Besiedlungsverhältnisse, waren immer schwer zu entwirren, und ziemlich durcheinander. Vielleicht nennen deshalb die Italiener ihren Obstsalat "macedonia": ein Tutti Frutti der Völker also, das fing schon mit Alexander dem Großen an, der aus diesem Landstrich kam. Gut dreihundert Jahre vor Christi Geburt rechnete zu seinem Makedonien, allerhand Völker, die er so unterwegs eroberte.
Nun denken manche, das ist keine Predigt, sondern eine Geographiestunde. Ja, verzeihen Sie, aber heute ist das vielleicht mal nötig. Denn dieser Abschnitt, der Bibel wird oft, mit einer geographischen Bezeichnung überschrieben.
So überschriebt nämlich die Gute-Nachricht-Bibel diesen Abschnitt mit den Worten: "Der Ruf nach Europa". Und die gute Purpurhändlerin Lydia, die hier genannt wird, ist dann die erste Christin in Europa.
In heutigen Zeiten fühlen wir uns ja sofort zu Hause, wenn von Europa die Rede ist. Mit der Bekehrung der Lydia, klopft also das Christentum an unsere Haustür. Lydia wird dann zur Mutter aller Christen im Abendland. Neugegründete Gemeinden werden gerne nach ihr genannt, und damit wird Lydia auch zu einem Symbol für eine moderne Kirche, die heute in der Mehrheit vielfach von Frauen getragen wird.
Lydia, die erste Christin in Europa! Allerdings wird das Wort Europa in der ganzen Bibel gar nicht erwähnt, obwohl der Begriff in der Zeit schon bekannt war. Damals war jedoch das Römische Reich die maßgebende Einheit, und die umfasste das ganze Mittelmeer, das "Mare nostrum", unser Meer. So ist es für Paulus auch viel erwähnenswerter, dass die Stadt Philippi, wo er Lydia traf, eine römische Kolonie war. Ihm kam es nicht darauf an, den christlichen Glauben vom Morgenland ins Abendland zu bringen, oder von Vorderasien nach Europa, allenfalls legte er Wert darauf, das Römische Reich, als dessen Bürger er sich auch verstand, mit dem Glauben an Jesus Christus vertraut zu machen. Darauf musste die Kirche aber noch dreihundert Jahre warten, und Paulus hat darüber sein Leben in Rom verloren.
Lassen wir es an dieser Stelle genug sein mit der historischen Einordnung. Versuchen wir lieber etwas für uns heute aus dem Text zu erkennen, als in historischen Erinnerungen der Christianisierung Europas zu schwelgen, die heute ja immer mehr im schwinden ist.
Eins doch noch, und vielleicht ist das ja auch schon der Übergang. Haben sie genau zugehört, wie ich Lydia genannt habe? "Lydia, die erste Christin in Europa." Nicht etwa, die erste europäische Christin. Lydia stammt aus Lydien, aus der Stadt Thyatira, die man aus der Offenbarung des Johannes vielleicht kennt. Heute findet man diese Ausgrabungen etwa 90 Kilometer nordöstlich von Izmir. Damals mitten in der Provinz Asien, also da, wo Paulus auf dieser Reise nicht den Leuten den Glauben nicht nahe bringen konnte.
Wir lernen dadurch zweierlei. Erstens: So wirklich europäisch war unsere Lydia also gar nicht. Die erste Christin in Europa war eine Migrantin. In ihrer Heimat, die berühmt für Textilien und Purpur war, hat sie gelernt ihren Lebensunterhalt mit den Gütern der Region zu verdienen. Zweitens lernen wir noch was, und damit verlassen wir jetzt wirklich den geographischen Teil: Wenn die eine Möglich, den Glauben zu verbreiten, nicht klappt, dann schenkt Gott uns eine andere Möglichkeit. In Asien konnte Paulus nicht landen, in Europa traf er aber auf die Menschen, die er zuvor nicht erreichen konnte.
9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!
Manchmal sollten wir auch in der Nacht die Augen und Ohren offen halten. Oder auch anders gesagt, in manchen Träumen, wird uns auch eine Realität vor das innere Auge gehalten, die wir so noch nicht wahrgenommen haben. Kürzen wir die geographischen Angeben weg, dann hört Paulus die Stimme: Komm herüber und hilf uns!
Und genau das, möchten wir auch heute in unserer Kirche ausrufen. Komm herüber und hilf uns!
Diesen Satz könnten wir ausrufen, mit lauter Stimme. Da stehen wir nun in unserem wohlhabenden Europa, uns geht's in großen Teilen gut. Und wenn wir uns mit denen vergleichen, die an den Grenzen an unsere Türen klopfen, dann geht es uns prächtig. Aber als Kirche, scheint es, dass wir langsam mit dem Rücken zur Wand stehen. Die fetten Jahre sind vorbei. Dieser Satz mag für die wirtschaftliche Situation weniger richtig sein, als für die geistliche. Noch fließen unsere Einnahmen. Aber die Zeiten, in denen man sie uns bedenkenlos anvertraut hat sind vorbei. Bedrückender, ist aber vor allem, dass die Zeiten im Schwinden sind, in denen man uns zugetraut hat, dass wir etwas für die Seelen und die Herzen tun können.
Da geht es uns scheinbar wie Paulus, der mit seinen Leuten durch die Provinzen zog, und merkte, dass er hier und da nicht landen konnte, mit dem was er an geistigem Rüstzeug mit hatte.
Aber was er hatte war Vertrauen. Er gab nicht auf. Er hatte das Ziel, den Glauben, den er hatte mit den Menschen, die er als seine Geschwister bezeichnete, zu teilen. Und er empfand schienbare Niederlagen, als göttliche Fügung und geistliche Führung. Er hörte die Bitte um Hilfe, der Erscheinung in der Nacht. Er sagte, nicht: "Das ist doch sicher auch wieder nichts, das geht doch sowie so wieder schief, genau wie in Asien!" Nein, er machte sich auf zu neuen Ufern. Und als er dort ankam, dachte er nicht: Jetzt muss sich doch der Himmel auftun, und mir die Lösung vor Augen halten. nein er ging ganz planmäßig vor. Er dachte: 'Wenn hier bei den Römern in Philippi überhaupt irgendwelche Menschen sind, die sich auf den Glauben an Gott ansprechen lassen, dann muss ich zum Fluss gehen, dort wo sich fromme Juden waschen, bevor sie am Sabbat beten.' Dort wo sich Menschen treffen, die ihren Glauben bewahrt hatten. Und er traf dort auf Frauen, die ihm zu hörten, er ging auf sie zu und redete mit Ihnen. Und er sprach so über seinen Glauben, dass ihnen das Herz aufging.
Und seine bekannt gewordene Zuhörerin Lydia, war wirklich begeistert, und wurde vom Geist Gottes erfüllt, durch das was Paulus redete. Sie wird als gottesfürchtig bezeichnet, das heißt, sie war auf der Suche nach Gott, hat sich der jüdischen Gemeinschaft angeschlossen, weil sie hier am ehesten, etwas für ihre Seele fand, aber sie gehörte wohl nicht vollständig zu ihnen, so dass ihr die Entscheidung leichter fiel, sich dem neuen Glauben anzuschließen. Sie ließ sich taufen. Der Rituelle Waschung der Taufe war ihr nicht so fremd, weil sie das ja bei den jüdischen Menschen am Fluss auch erlebte. Was ihr vielleicht aufgefallen ist, ist dass nun diese eine Waschung der Taufe ausreicht, um wirklich rein vor Gott zustehen. Sie lud alle dazu ein, die zu ihr gehörten sich auch taufen zu lassen, und dann wollte sie auch gastfreundlich sein, zu den Menschen, die ihre Seele bereichert haben.
Was können wir von Lydia lernen, für unserer Situation heute. - Es gibt weiterhin Menschen, die nach Gott suchen, die ansprechbar sind, und Futter für ihre Seele suchen. Und wir werden sie finden, wenn wir an die Orte gehen, an denen sie suchen. Das mögen für uns heute ganz andere Orte sein. Wie viele Leute sagen uns: "Beten kann ich auch im Wald, dafür muss ich nicht in die Kirche!" Welche Möglichkeiten sehen wir, an solchen Orten wie einem Wald, unseren Glauben zu leben, und dazu einzuladen. Ja, das kann der Freiluftgottesdienst sein. Es gibt Gelegenheiten, wo wir das tun, und manche Menschen, lassen sich dann auch spontan einladen, mitzufeiern.
Wichtig ist nur, dass wir uns über die nicht ärgern, die kopfschüttelnd oder leise spöttelnd vorbei gehen. Vielleicht habe ich für die andere Möglichkeiten, die sich ergeben. Wichtig ist nur, dass ich nicht aufgebe. Und vielleicht höre ich eine innere Stimme, die mich bittet: Komm herüber und hilf uns!
Als Paulus diesen Ruf gehört hat, ist er mit seinen Leuten einen neuen Weg gegangen. Auch wir müssen neue Weg einschlagen, um für Menschen ansprechbar zu sein für den Glauben. Menschen, müssen die Möglichkeit haben, uns zu entdecken, damit ihnen auch das Herz aufgehen kann, so wie bei Lydia am Fluss. Dazu sind auch Begegnungen nötig, die so nicht unbedingt geplant waren.
Ich habe bei unserem Amt für missionarische Dienste (www.amd-westfalen.de) einmal geschaut, was es für Möglichkeiten geben könnte, einer ungeplanten Begegnung etwas nachzuhelfen, wie Paulus es am Fluss auch getan hat.
Ein zufällige Begegnung am Wegesrand, vielleicht sogar am Fluss, ist heute mehr denn je möglich. Viele Menschen, sind in der Freizeit und im Urlaub gerne mit dem Fahrrad unterwegs. Die klassischen Radweg führen an Donau Mosel oder der Weser entlang. Aber auch Kirchen abseits der großen Radautobahnen können zu Radwegekirchen werden. Radfahrer, wollen nicht nur Kilometer abspulen, sondern auch etwas fürs Auge und für die Seele. Kirchen sind dabei beliebte Anlaufpunkte. Auch eine Kirche in der kein Gottesdienst ist, lädt zur Besinnung ein. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeiten zu bestimmten Zeiten spirituelle Angebote zu machen, und zusätzlich zum geistigen Auftanken auch noch etwas für das leibliche Wohl zu bieten. So kann Kirche auch wieder ein Pilgerort werden, der nicht nur für Radfahrer interessant ist, sondern außerhalb der Gottesdienste ein Ort ist, an dem das Herz aufgeht.
Kirche kann auch sich anders zeigen als man gewöhnlich von ihr erwartet. Wir haben ja bei der Nacht der offenen Kirchen gute Erfahrungen gemacht (www.kirchen-nacht.de). Wir laden ein zu Musik und Kultur, und auch wenn es manchmal "nur" unterhaltend ist, dann schafft solche Unterhaltung, doch Menschen den Zugang zur Kirche, die ihn sonst nicht gefunden hätten.
Wie finde ich nun die Möglichkeit, dem aufgegangenen Herz, eine Heimat zu geben. Lydia hat damals den Weg spontan zur Taufe gefunden, und danach hat sie die Prediger in ihr Haus eingeladen. Vielleicht ging es heute eher umgekehrt. Nachdem Interesse für die Inhalte der Kirche geweckt wurde, muss ein Angebot, da sein, diese zu vertiefen. Wir können einladen zu Glaubenskursen. Das Wort mag manchen zunächst abschrecken. Aber viele Menschen besuchen "freiwillig" Sprachkurse oder nehmen an Bildungsangebote teil, die sie weiter bringen. Warum nicht auch im Glauben weiter wachsen. So ein Kurs muss nicht nach Schule aussehen. Wir haben ja da mit unserem "Schnupperkurs" Glauben gute Erfahrungen gemacht. Eine Einladung in die Gemeinde, bei der ich mich wie zu Hause fühle, unter Menschen bin, denen ich vertrauen kann, und wo ich darauf Acht haben kann, was da vom Glauben gesagt wird. Auch in Hauskreisen kann so ein Glaube vertieft werden, da ist uns die Einladung der Lydia in ihr Haus ein gutes Vorbild. (www.amd-westfalen.de)
Komm herüber und hilf uns! Viele Hilfen werden angeboten von Leuten, die sich Gedanken machen, wie Kirche ihre Inhalte wieder zum Menschen bringen kann. Wir müssen uns nur bewusst sein, dass wir Hilfe brauchen, bevor wir sie geben können. Und solche Hilfe kommt nicht nur vorn kirchlichen Werken, sondern oft auch vom Heiligen Geist selbst, indem er uns manche Wege verwehrt und dafür andere Wege öffnet. Komm herüber und hilf uns! So sprach der Mann aus Mazedonien in der nächtlichen Erscheinung. Wir müssen versuchen, unsere Ohren und Herzen für solche Stimmen zu öffnen. Denn einfach so, werden wir den verlorenen Boden nicht mehr gut machen und weiter mit dem Rücken zur Wand stehen. Hören wir auch, was Gott uns im Wochenspruch sagt: Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht. (Hebr 3,15) Amen.
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Predigt zu Apostelgeschichte 16,9-15 von Wolfgang v. Wartenberg
Der Apostel Paulus gehörte zu den ersten, die in frühchristlicher Zeit im Bereich der heutigen Türkei die christliche Botschaft weitergaben. Als er in Troas weilte, gar nicht weit weg von dem Ort, an dem Heinrich Schliemann das alte Troja entdeckte, sah er eine Erscheinung bei Nacht. Dies wird in der Apostelgeschichte erzählt.
9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! 10 Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.
11 Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis 12 und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. 13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.
14 Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde. 15 Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.
Liebe Gemeinde,
was ist geschehen? Wie und warum hat Lydia zu ihrem Glauben finden können? Lukas, der diese Begegnung in der Apostelgeschichte festgehalten hat, schweigt. Er analysiert nicht. Der Bericht des Lukas ist kurz und bündig. Da wird keine lange Geschichte erzählt, sondern nur das Ergebnis – wir haben es gehört:
Die gottesfürchtige Lydia ließ sich taufen und ihr ganzes Haus dazu.
Dabei war diese Taufe ein bemerkenswertes, ein historisches Ereignis. Die Purpurhändlerin Lydia war die erste Frau, ja, darüber hinaus, der erste Mensch überhaupt auf dem europäischen Festland, der sich zu Jesus Christus bekannte. Das Haus der Lydia wurde zur Geburtsstätte der christlichen Gemeinde in Europa.
Lydia wird „gottesfürchtig“ genannt. Das Wort hatte damals eine besondere Bedeutung: Sie war keine geborene Jüdin, aber sie hatte sich der jüdischen Gemeinde in Philippi angeschlossen. Damit wird sie als eine Frau beschrieben, die für religiöse Fragen offen und am jüdischen Glauben interessiert war. Sie war, so dürfen wir annehmen, auf der Suche nach dem, was wirklichen Halt versprach.
„Der Lydia tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde.“ Vielleicht tut Gott auch unsere Herzen auf, sodass wir Acht haben auf das, was uns wirklichen Halt geben kann.
Liebe Gemeinde, was gibt uns Halt - inneren, seelischen Halt? Die Antwort: Halt gibt uns die gute Botschaft Jesu, dass Gott uns liebt. Davon hat Jesus noch und noch mit vielen Worte und durch sein Leben erzählt. Jesus öffnete unsere Augen für seine Vision eines guten Lebens, ein wahres, gerechtes, menschliches Leben voller Güte und Barmherzigkeit. Er warb dafür, in Gott nicht den Richter und den allmächtigen Herrscher zu sehen, sondern den himmlischen Vater, der die Armen liebt, den Gefangenen Freiheit schenken, den Blinden das Licht geben und die Misshandelten erlösen will. Und er erzählte davon, dass Gott uns Gnade und Liebe erweisen will.
Liebe Gemeinde, vor diesem Hintergrund hat es sein Recht, von einer Liebesgeschichte zu reden, wenn wir von Gott und Mensch reden. Ich nehme diese Geschichte zum Anlass, von einer anderen Liebesgeschichte zu erzählen, und erläutere am Schluss der Geschichte, warum ich sie erzähle.
Eine ältere Frau, schon lange verheiratet, erzählte mir einmal, wie sie ihren Mann kennen gelernt hatte. Sie war noch Schülerin, und sie ging in die Schule, die seiner Schule benachbart war. Irgendwann hat ihr Mann, damals noch ein Schüler, ein Auge auf sie geworfen. Er brachte ihr täglich vor dem Unterricht oder in der großen Pause einen Apfel mit aus dem häuslichen Garten. Das war damals noch etwas Besonderes! Sie nahm den Apfel nach anfänglichem Widerstreben. Der Schüler entsprach so gar nicht ihren Vorstellungen. Sie stammte schließlich aus gutbürgerlichen Verhältnissen und er kam vom Land und war etwas altbacken gekleidet.
Aber, wie die Dinge sich so entwickeln: Mit der Zeit konnte sie sich seinem Einfluss nicht entziehen. Irgendwann überzeugte er sie, sie kamen sich näher, schließlich haben sie geheiratet. Und vier Kindern das Leben geschenkt.
Nicht wahr, liebe Gemeinde, eine schöne Liebesgeschichte! Vermutlich könnten einige von Ihnen eine ebenso schöne Geschichte erzählen.
Liebe Gemeinde, es geht mir in der Geschichte um Folgendes: Bei Lydia genügte, wenn wir dem Bericht des Lukas folgen, ein Tag, um sich dem christlichen Glauben zu öffnen. Viele Menschen aber brauchen eine längere Zeit, manchmal ein Leben lang, um in den christlichen Glauben hineinzufinden. Es entwickelt sich dann wie bei jenem Liebespaar: Langsam von Tag zu Tag bildet sich ein immer stärker werdendes Interesse, eine wachsende Zuneigung und schließlich ein tief gehendes Zutrauen zu Gott.
Liebe Gemeinde, unsere je eigene Liebesgeschichte mit Gott - gibt es die? Vermutlich hat sie ja schon längst begonnen in unserem Leben. Vielleicht steht sie noch aus – oder wir haben noch nicht genug Acht gehabt auf die Zeichen, die auf eine solche Liebesgeschichte hindeuten.
Ich denke, es sind ganz elementare Erlebnisse, die unsere Gewissheit stärken können, dass Gott auf uns achtet, zu uns Ja sagt und uns mit Liebe begleitet:
Gute, positive, von Liebe und Respekt bestimmte Erlebnisse mit der Mutter, dem Vater, den Geschwistern stützen uns weit über unsere Kindheit hinaus.
Bei manchen ist es die Erinnerung an die guten Erlebnisse in einer Jugendgruppe, bei anderen das Mitsingen in einem Kirchenchor, bei wieder anderen der Besuch einer eindrucksvollen Kirche oder die Erinnerung an einen bewegenden Gottesdienst, die etwas davon in uns aufleuchten lassen, wie gut es Gott mit uns meint.
Wenn wir es genau nehmen: Jedes Stück Brot, jeder Schluck Wasser und an jedem Abend das Dach über unserem Kopf erinnern uns dankbar daran, wie wenig selbstverständlich es ist, dass wir leben und behütet sind.
Liebe Gemeinde, diese guten, wunderbaren Erlebnisse können die Gewissheit stärken, dass Gott uns trägt und wir ihm wichtig sind.
Aber wir können die Augen und die Ohren nicht davor verschließen, dass sich uns die Güte Gottes nicht immer so eindeutig erschließt. Mancher erfasst den gütigen Gott erst nach langen Kämpfen. Manchem bleibt sie wohl auch ein Leben lang verschlossen.
Ich denke an einen Patienten, den ich im Krankenhaus besuchen durfte. Er hatte einen schweren Verkehrsunfall überlebt. Er erzählte mir, wie es zu dem Unfall kam: Er war im Gottesdienst gewesen und mit seinem Auto auf dem Weg nach Hause. Da sah er ein anderes Auto mit Motorschaden am Straßenrand stehen. Als ein bewusst lebender Christ hielt er an, um seine Hilfe anzubieten. Er stellte sich zwischen beide Autos, um in den Motorraum des liegengebliebenen Autos zu blicken. In diesem Moment fuhr ein anderes Auto ungebremst auf die beiden Autos auf. Der Mann flog durch die Luft. Er war am Kopf und am ganzen Körper schwer verletzt. Zwei Wochen schwebte er zwischen Leben und Tod. Seitdem war einige Zeit vergangen. Er hatte mehrere Operationen hinter sich und noch mehrere vor sich.
Gegen Ende des Krankenbesuches verabschiedete ich mich mit dem Segenswunsch „Behüt` Sie Gott.“ Als ich behutsam hinzufüge, ich würde verstehen, wenn er nach diesem Schicksal an der guten Führung Gottes zweifle, rief er aus: „Ganz im Gegenteil. Mir ist heute unerklärlich, wie ich habe überleben können. Gott will mir zeigen, dass ich noch viel mehr als bisher auf ihn vertrauen kann.“
Liebe Gemeinde, ich habe viel gelernt von diesem Patienten. Zum Beispiel dieses, dass wir auch im Unglück vertrauensvoll an Gott festhalten können.
Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Zu den guten Gottes Gaben in diesem Leben gehört auch das Wissen, dass wir nicht allein sind.
Gott hat uns nicht nur dieses unser Leben geschenkt, sondern auch die Menschen neben uns, die Kinder, die Geschwister, die Eltern, die Großeltern, die Freunde, die Menschen in der Gemeinde, in der Stadt und in der weltweiten Ökumene.
Wie können wir Gott dankbar sein für diese Menschen, mit denen wir leben! Diese Menschen sind es doch, denen wir verbunden sind, die unser Herz füllen, die in unseren Gedanken ständig gegenwärtig sind, mit denen wir weinen und lachen, mit denen wir bangen und hoffen, für die wir uns verantwortlich wissen. Liebe Gemeinde, diese Menschen tragen zu unserem Glück bei, ohne sie wären wir vermutlich einsam und unglücklich. Wir leben miteinander und füreinander. Wir brauchen uns gegenseitig für unseren inneren Seelenhaushalt. So schenken wir uns die Gewissheit, dass wir erwünscht und willkommen sind, dass wir gebraucht werden.
Das scheint alles so selbstverständlich zu sein. Aber es ist nicht selbstverständlich, zumal dann nicht, wenn es uns Mühe bereitet, für andere da zu sein.
Ich denke an die Mutter, die mir von ihrem behinderten Kind erzählte. Wie anstrengend die Zeit war, als sie und ihr Mann für das Kind gesorgt haben. Und trotzdem, so erzählte sie, sei diese Zeit im Rückblick die wertvollste Zeit ihres bisherigen Lebens gewesen.
Ich denke an den Mann, der seine kranke Frau pflegte. Er sei in dieser Zeit kaum zur Ruhe gekommen und dennoch, so sagte er, sei er von Herzen dankbar dafür, dass ihm das möglich war.
Ich denke an die alte Frau, die mir einmal klagte: „Ich kann für meine Kinder gar nichts mehr tun. Ich komme ja nicht mal aus dem Haus. Aber“, fügte sie dann zögernd hinzu, „ich kann noch für sie beten.“ Liebe Gemeinde, auch auf diese Art und Weise können wir füreinander da sein.
Ich denke an die vielen anderen, die Mädchen und Jungen, an die Frauen und Männer, die sich täglich auf den Weg machen zur Schule, zu den Kaufhäusern, zu den Büros, obschon sie es dort nicht leicht haben. Solch eine regelmäßige Arbeit, die Disziplin, die in jeder Arbeitsstelle erwartet wird, der Leistungsdruck, die körperlichen und geistigen Mühen, manches Mal sogar große Gefahren sind sehr, sehr anstrengend. Wir kennen das doch alle. Dazu kommen möglicherweise noch schwelende Konflikte. Sie zehren an den Kräften. Sie können auf die Dauer krank machen.
Warum tun wir das? Natürlich: Weil wir Geld verdienen, für unseren Unterhalt sorgen müssen, weil wir uns verpflichtet fühlen, für unsere Angehörigen da zu sein. Gewiss, liebe Gemeinde, das alles auch. Aber in vielen Fällen habe ich den Eindruck, schwingt noch ein anderes Gefühl mit, ein Gefühl der Verantwortung, ja, sogar noch mehr: auch ein Gefühl der Liebe – nicht zu den Mühen ihrer Tätigkeit, sondern zu den Menschen, für die wir da sein können oder einmal da sein werden. Diese Liebe, liebe Gemeinde, ist sie nicht auch von Gott und ein Zeichen dafür, dass er uns nicht allein lässt?
Auf die Frage, warum wir das, was so viel Mühe bereitet, tun, würden viele der Zeitgenossen mit der Gegenfrage antworten: „Wer soll das denn sonst tun, wenn nicht ich, der ich die Großmutter, der Vater, die Mutter, der Sohn oder die Tochter bin? Oder auch: Wer denn sonst, der ich doch für diesen Beruf ausgebildet bin, mich auskenne und den Menschen wirklich helfen kann?“
An dieser Stelle möchte ich die vielen Menschen würdigen, die sich ehrenamtlich für andere engagieren. Derer gibt es inzwischen so viele, dass ich sie gar nicht aufzählen kann.
Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen: Viele finden in diesen Aufgaben, in diesem Für- andere- da- sein ihr Glück. Sie erfassen instinktiv, dass ihr Leben dadurch einen tiefen Sinn erfährt.
Liebe Gemeinde, diese Fähigkeit, füreinander da zu sein, ist von Gott.
Die Liebesgeschichte von Gott und Mensch, die vermutlich Lydia dazu bewegt hat, sich taufen zu lassen, setzt sich fort in unserem Leben und hält an darüberhinaus.
Wir dürfen uns geborgen wissen in allen Zeiten.
Amen