Hast du schon bemerkt - Predigt zu Jakobus 4,13-17 von Eberhard Schwarz
Hast du schon bemerkt ...
Hast Du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze? Und hast du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze? Und hast du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze?
Eine Kreiselfrage des Züricher Erzählers Hans Manz - geschrieben für Kinder. Eine Kreiselfrage heute für uns geschrieben am Beginn dieses neuen Jahres 2016.
Der Predigttext: Jakobus 4, 13-15
13 Und nun ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen -,
14 und wisst nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.
15 Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.
Liebe Gemeinde,
"Inschallah" sagt man in der arabischen Welt, "Deo volente" im alten Latein. Früher hat man hierzulande die Briefe beendet mit den Buchstaben "s.c.j": sub conditione jacobea, oder mit "sGw" - zu deutsch: "So Gott will" - eben mit dem berühmten Vorbehalt des Jakobusbriefes: "So Gott will und wir leben!“
"Inschallah, Deo volente. So Gott will und wir leben!“ Heute begleitet uns dieser Satz hinein in das neue Jahr. Was will er uns sagen?
Noch liegt dieses Jahr vor uns wie ein unbeschriebenes Buch, das darauf wartet, mit unserer Lebensgeschichte und mit der Geschichte dieser Welt gefüllt zu werden. Was erwarten wir? Was erwartet uns? Manches können wir bewirken. Anderes wird sich ohne unser Zutun ereignen. Wie gehen wir damit um? Was wird sich verändern? Werden wir uns im Kreis drehen, wenn es um Dinge geht, die verändert werden müssten? In unserem eigenen Leben? In der gewaltsamen Dynamik dieser Welt?
Der Jakobusbrief, so scheint es, gibt eine empörend lapidare Antwort: "Inschallah, Deo volente.“ „Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun“. So sollen wir sagen. So sollen wir denken. So sollen wir in das neue Jahr gehen.
Der Jakobusbrief ist geschrieben auf der Schwelle zum zweiten christlichen Jahrhundert; vielleicht in einer der großen Hafenstädte rund um das Mittelmeer, deren Namen uns wieder neu bekannt sind durch das Schicksal der vielen tausend Flüchtlinge – Kinder, Erwachsene jeden Alters auf der Flucht vor Gewalt und Fanatismus, vor verantwortungsloser Politik und vor nicht weniger verantwortungsloser Wirtschaft.
Äußerlich lesen wir an diesem ersten Tag des neuen Jahres das alte ‚Memento Mori‘, das zu den Lebensweisheiten so vieler Kulturen und Zeiten gehört. "Torheit ist es, über ein ganzes Leben zu verfügen, ohne auch nur des morgigen Tages Herr zu sein“. So räsoniert Zeit die Stoa, diese römisch-griechische Lebensphilosophie zurzeit des frühen Christentums. So sagen es bis heute die Skeptiker und Kritiker der menschlichen Vernunft: Seid doch nicht blind! Lebt doch nicht töricht! Den Weg und Fortgang Eures Schicksals bestimmt am Ende niemals ihr. Setzt nicht auf falsche Sicherheiten.
Hast Du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze?
Der Jakobusbrief hat es deutlich bemerkt. Er zeigt uns Menschen, die in die großen Welt des Handels, des Kaufens und Verkaufens gehören, die sich rastlos drehen und bewegen in den Gesetzmäßigkeiten und Spielregeln einer Kultur, in der weit hinaus geplant wird, in der Gewinn und Risiko Gegenstände der Berechnung sind. In der sogar der Mensch ein Rechnungsfaktor ist. Damals nicht weniger als heute.
Wie Karikaturen sehen wir Kaufleute, die sich irgendwo für eine Weile niederlassen mit ihrem Handelsgut, um dort Filialen zu bauen und um dann wieder aufzubrechen. Immer wieder und immer wieder. „Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen". So sagen sie voller Optimismus und mit ökonomischem Sachverstand.
So müssen sie sogar sagen und handeln, sonst verstehen sie als Kaufleute ihr Geschäft nicht. Im Grunde sind sie nur das Exempel für die planende Vernunft, mithilfe derer der Mensch sich seiner und seines zeitlichen und ewigen Schicksals mächtig zeigen will.
Solche Vernunft nimmt immer schon die Wirklichkeit vorweg. Sie muss sogar zukunftsmächtig sein und „Transzendenz“ produzieren. Das ist ihre große Begabung und zugleich ihre lächerliche Tragik. Denn das Leben funktioniert bekanntlich doch immer wieder nach eigenen Regeln – unvorhersehbar, es ist endlich, bewegt sich nicht wie der Kreisel.
Wie ein Spielverderber, so scheint es, schaltet sich der Apostel ein und sagt, was wir alle eigentlich schon wissen: „Ihr wisst nicht, was morgen sein wird“. „Was ist euer Leben?“ scheint er sauertöpfisch zu fragen und scheint sogleich die Antwort in der Tradition der großen Pessimisten zu geben: „Ein Dunst, ein Rauch seid ihr“. „Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.“
„Ich weiß schon, was mich, außer Regen, im November erwartet“, schreibt Michael Krüger, der Münchner Dichter und Übersetzer in seinem Gedichtband ‚Kurz vor dem Gewitter‘. „Die Zukunft kennt keine Lücke, auch die Sonntage belegt bis in den September. Man muss ein Kind sein, um sich auf den April zu freuen, und auch der gemessene Mai ist voll von falschen Erwartungen. Der Juni? Vollgeschmiert von den Skrupeln, den Begleitumstanden des Lebens. Stundenweise verbraucht sich meine Zeit, auch im August. Bleibe ich am Leben, werden wir uns im Dezember sehen, vergiss nicht, was du mich fragen wolltest. Ein Tag ist noch frei, kurz vor dem Ende des Jahres. Immer wird der Wunsch bleiben, nicht wissen zu wollen, wann uns das Unglück erreicht, das nicht im Kalender steht.“
Liebe Gemeinde,
auch wenn es vielleicht so scheint: es ist nicht die Botschaft und auch nicht die Absicht des Jakobusbriefes, uns das Leben sauer zu machen! Nach dem Motto: freut euch nicht zu früh. Es kommt alles sowieso anders. „Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun“.
Zuerst kaum erkennbar, aber dann doch in allen Äußerungen dieses Briefes greifbar, steht über diesem Satz ein anderer Satz und ein anderer Gedanke. Es ist kein Bedingungssatz, sondern es ist eine unumstößlich österliche Aussage. Sie heißt: Wir sollen leben! Der Kyrios will (!), dass wir leben.
Der Autor des Jakobusbriefes ist selber Zeuge dieses Willens und dieses Lebens: „Jakobus, ein Diener Gottes und des Herrn Jesus Christus.“ Er ist nichts weniger als ein Botschafter und Zeuge des Auferstandenen! Was er schreibt, ist alles andere als pessimistisch und sauertöpfisch.
Es ist voller Achtsamkeit, Wahrnehmungsfähigkeit und Respekt für das Leben und ganz besonders für Menschen, die im Mangel und in Armut leben, für Kranke und für Sterbende.
Mehr als in vielen anderen Texten des Neuen Testaments hören wir in diesem Brief nicht den Pessimisten, sondern Jesu ureigene hoffnungsvolle Stimme. Allem voran die Botschaft der Bergpredigt!
„Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
…
Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?“ (Matthäus 6,25f)
Das ist es, was hinter den Worten des Jakobus steht, was er hineinruft in unsere Kreiselexistenzen. Das ist nicht nur "Inschallah, Deo volente. So Gott will“.
Es ist Jesu Gottvertrauen hereingeholt in den Alltag von Menschen, die leiden unter sozialen Spannungen, die erschüttert sind von Gewalt, von Ungerechtigkeit, von Mechanismen, denen sie nicht mehr entfliehen können.
Lasst euch nicht von diesen Kreisläufen lähmen, sondern lebt in dem Vertrauen, dass Gott uns ins weite Leben führt.
Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Das ist die Hintergrundmusik der Worte des Jakobus. Es ist Jesus selber: Bedenke, dass du leben sollst!
Liebe Gemeinde,
Die russische Dichterin Marina Zwetajewa, auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert, hat auf berührende Weise beschrieben, dass es nicht einfach eine Schwäche, sondern im Tiefsten eine Stärke ist: Dinge meines Lebens aus den Händen zu geben. Wir begegnen uns dabei auf eine unvorhergesehene Weise selber. Mehr noch: Wir begegnen dabei einer anderen Lebendigkeit, die über uns hinausreicht:
„Mein „ich kann nicht“ ist am allerwenigsten Schwäche. Im Gegenteil: es ist meine Hauptstärke. Es gibt also etwas in mir, das trotz all meinem Wollen (meiner Gewaltanstrengungen mir selbst gegenüber!) dennoch nicht will, trotz all meinem wollenden Willen, der gegen mich selbst gerichtet ist. Das nicht will, um meiner selbst willen; es gibt also (außer meinem Willen!) ein „in mir“, „mein“, „mich selbst“, - es gibt mich.“
Es gibt mich! Ja, es gibt mich. Es gibt mich, auch weil ich meine Ohnmacht spüren kann und weil ich meiner eigenen Geschichte nicht mächtig bin. Es gibt mich, weil ich mich immer wieder selbst empfange. Es gibt mich, weil ich mir immer wieder neu begegne. Es gibt mich – nicht, weil ich mich selber erfunden oder geschaffen habe, sondern, weil ich mir geschenkt bin.
Darum geht es an einem Tag wie diesem ganz besonders. Darum geht es in diesen pessimistsich anmutenden Worten aus dem Jakobusbrief.
"Öffnen, öffnen, öffnen", hat Peter Handke Ende der Neunziger Jahre in seine Wege-Notizen notiert. Und er hat damit gemeint, dass wir die Weisheit des Fragens wieder entdecken müssten. Dass wir uns öffnen: unsere Augen, unsere Horizonte, unsere Sprache, unsere Sinne; damit wir uns nicht vom Sorgen lähmen und uns so das Leben stehlen lassen.
Er war übrigens der Ansicht, dass solches Fragen so etwas wie ein Schütteln am Phänomen Gottes sei.
Hast Du schon gesehen? Hast Du bemerkt? Bitten, Beten und Fragen - das ist eine einzige Lebensbewegung. In diese Lebensbewegung zieht uns der Jakobusbrief am Anfang dieses Jahres hinein.
Hast Du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze? Und hast du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze? Und hast du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze?
Haben wir es bemerkt? Und haben wir bemerkt, dass es ein anderes Leben gibt als sich im Kreis zu drehen. Und dass dieses Leben mit Ostern zu tun hat? Und mit der gesammelten Hoffnung, die wir als Christinnen und Christen in dieser Welt bezeugen.
Fragen wir am Anfang dieses Jahres. Befragen wir diese törichte Welt, befragen wir unsere eigene angefochtene Lebendigkeit mit der Weisheit Jesu Christi, mit seinem Gottvertrauen, mit seiner Zuversicht. Wir werden durch ihn sehen: Gott will, dass wir leben.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Literatur:
Hans Manz, Hast du schon bemerkt..., http://www.lyrikline.org/de/gedichte/hast-du-schon-bemerkt-167#.VoF4Sfk4gyI
Michael Krüger, Kurz vor dem Gewitter. Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003
Marina Zwetajewa, aus: Lektüre zwischen den Jahren. Rainer Weiss (Hg.), Frankfurt 1994
Link zur Online-Bibel
Gute Vorsätze - Predigt zu Jakobus 4,13-17 von Sibylle Reh
Gute Vorsätze
Liebe Gemeinde,
Nun ist das Jahr 2015 vergangen, es hat das Jahr 2016 angefangen. Haben Sie es geschafft, gute Vorsätze des Vorjahres einzuhalten? Ich muss sagen, dass ich das selten geschafft habe.
Mir geht es meist so wie Lucy von den Peanuts, Sie wissen schon: das kratzbürstige kleine Mädchen, das der Sonntagschullehrer Charles M. Schulz erschuf. Als ihr jemand ein frohes neues Jahr wünschte, schrie sie: „Neues Jahr? Was denn für ein neues Jahr, ich bin doch mit dem alten noch nicht fertig!"
Es kommt doch auch alles meist ganz anders, als ich denke. Ich kann nicht von mir behaupten, eins der wichtigen Ereignisse von 2015 vorausgesehen zu haben, weder im öffentlichen noch im privaten Bereich.
Trotzdem mache ich, wie die meisten Menschen, Pläne. Menschen möchten ihr Leben in der Hand haben.
Die Psychologinnen Ellen J. Langer und Judith Rodin fanden bereits 1976 heraus, dass Bewohner eines Seniorenheimes wesentlich aktiver und gesünder waren als die einer Kontrollgruppe -und auch länger lebten-wenn sie ihre Zimmerpflanze selbst versorgen mussten und mitentscheiden durften, wann und wo sie Besuch erhielten und welche Filme sie wann sehen durften. Ein gewisses Maß an Selbstbestimmung ist also für Menschen - zumindest in unserem Kulturkreis- lebenswichtig. Alles, was uns die Macht zur Entscheidung aus der Hand nimmt, schwächt uns.
Man sagt, die moderne Wissenschaft bereite der Menschheit drei große Kränkungen: Kopernikus fand heraus, dass sich das Universum nicht um die Erde, d. h. um den Menschen dreht, Darwin behauptete, dass die Menschheit sich aus dem Tierreich heraus entwickelt habe und Freud schließlich postulierte, dass der Verstand nicht alle Handlungen des Menschen steuere.
Jakobus, dieser unbequeme Apostel, trifft natürlich genau diesen Nerv der Menschheit: Er erinnert uns, dass der Mensch nie ganz Herr seines Schicksals ist. Und dies schrieb er fast 2000 Jahre vor Freud.
„Der Mensch denkt, Gott lenkt.“ Alle meine Pläne sind z.B. davon abhängig, dass ich mich bei guter Gesundheit befinde. Ein Unfall, eine Viruserkrankung kann alle meine Pläne zunichte machen.
Bert Brecht reimte in dem „Lied von der Unzulänglichkeit
des menschlichen Strebens“ aus der Dreigroschenoper:
„Ja; mach nur einen Plan/ sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan/ gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht genug:
doch sein höch´res Streben ist ein schöner Zug ".
Die alten Griechen kannten den Glauben an das allmächtige Schicksal. Das Schicksal ist in der Mythologie mächtiger als die Götter. Es gibt zahlreiche Mythen und Geschichten, vom aussichtslosen Kampf der Menschen gegen ihr Schicksal. Das von König Ödipus ist das bekannteste.
Das Schicksal konnte als eine oder drei weibliche Gottheiten gesehen werden, war wie die Rachegöttinnen unerbittlich und mächtiger als selbst Zeus.
Die hebräische Bibel kennt kein von Gott unabhängiges Schicksal, allerdings kann Gott ebenso unergründlich oder unerbittlich sein wie das Schicksal. Aber Gott steht denn Menschen nicht so kalt gegenüber. Er will eine Beziehung zu den Menschen, in der auch Gefühle eine Rolle spielen.
Der Jakobusbrief ist nach Luther eine „stroherne Epistel“, in einer Tischrede soll er sogar gesagt haben, er würde einmal mit dem „Jeckel“ den Ofen heizen.
Das lag daran, dass Jakobus die Wichtigkeit guter Werke betont, ja predigt, Glaube ohne Werke sei tot. (Jakobus 2, 20).
Hier besteht nun eine Spannung im Brief. Jakobus fordert zwar gute Werke, an dieser Stelle aber betont er, dass der Mensch gar nicht Herr seines Schicksals ist, und daher gar nicht tun kann, was er will.
Das ist kein Widerspruch für Jakobus Er möchte, dass wir all unsere Kraft für ein Leben nach Gottes Gerechtigkeit ausrichten sollen. Aber er erinnert uns, wie klein die Kraft ist im Vergleich zur Macht Gottes.
Luther fürchtete, der Jakobusbrief könnte zu dem führen, was er "Werkgerechtigkeit" nannte, das heißt, Christen könnten meinen, kraft ihrer Werke gerecht zu erscheinen vor Gott und glauben, Gnade nicht nötig zu haben. Aber gerade das wollte Jakobus nicht sagen. Er wollte Christen von jedem hohen Ross und jedem selbstgebauten Thron herunterholen.
In diesem Sinne schrieb später Brecht: „Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht gut genug.“ (so im oben zitierten Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens).
Nur Gott ist vollkommenen nach Jakobus, und wissen kann ein Mensch höchstens, wie er anderen helfen kann. Das heißt: Gute Werke soll der Mensch nicht tun, um gerecht zu werden vor Gott, sondern weil das nun mal sein Platz und seine Aufgabe in diesem Leben ist.
Liebe Gemeinde, es ist eine schwierige Balance, zwischen Selbstbestimmung des Menschen und Allmacht Gottes, die Jakobus uns da zumutet. Aber er behauptet ja auch nicht, es sei leicht. Die Bestimmung des Menschen ist es seiner Meinung nach, anderen nach seinen Möglichkeiten Gutes zu tun. Den Lauf der Welt oder auch nur den Verlauf des eigenen Lebens zu planen, steht hingegen nach Jakobus nicht in unserer Macht.
Liebe Gemeinde, wenn ich nun über gute Vorsätze nachdenke, nicht nur die von 2016, sondern auch die von 2015, 2014 und die aller Vorjahre, so geht es mir wie Lucy von den Peanuts: ich bin eigentlich in keinem Jahr richtig fertig geworden.
Es ist die Erkenntnis Luthers: Wir sind Sünder vor Gott und Bettler, können nichts aus eigener Kraft.
Dennoch befreit uns das nicht von der Verantwortung, wenigstens zu versuchen, anderen etwas Gutes zu tun. So Gott will und wir leben, können wir einige der guten Vorsätze verwirklichen.
Link zur Online-Bibel
Zeitgewinn - Predigt zu Jakobus 4,13-15 von Martin Schmid
Zeitgewinn
Und nun ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen - , und wisst nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet. Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.
Liebe Gemeinde!
Auf der Fahrt von einem Jahr zum andern haben wir Halt gemacht in der Kirche. So wie manche es tun bei einer Urlaubsreise, wenn sie ein Gotteshaus aufsuchen und eine Kerze anzünden und ein Gebet zum Himmel schicken für sich selbst und für die Ihren. Heute tun wir das auch, in Gedanken zumindest. Denn „wir wissen nicht, was morgen sein wird“. Da möchten wir uns dem Licht gern anvertrauen. Wenn es seinen Schein hinaufschickt, sind wir dabei mit unserem Hoffen und Sorgen und senden das mit. Wir senden unseren Glauben und unsere Zweifel mit, unser Glück und unsern Kummer. Wir schicken unsere Bitte mit: nimm alles mit hinauf und brenne tapfer in der Dunkelheit. Nimm uns selber mit, nimm das, was uns prägt und kennzeichnet.
Wir haben Halt gemacht, haben eine Kerze angezündet, wir schauen sie an. Wir gleichen ihr ja. Im Grund sind wir selbst diese Kerze. Man könnte darum auch sagen: Wir sind ein Gebet. Wenn nämlich all das, was uns ausmacht, wenn das Wesentliche von uns einfließt in die Bewegung nach oben, dann wäre es nicht falsch zu sagen: wir sind ein Gebet und können uns wiedererkennen in einer Kerze. Unsere Seele glüht. Unser Herz verlangt. Unsere Hände strecken sich aus. Unser ganzes Wesen sehnt sich danach, dass uns einer hört.
Doch nun müssen wir uns plötzlich sagen lassen: „Ein Rauch seid ihr!“
Wie, nur ein Rauch und keine Flamme? Nur dieses Verlöschen und nicht das, was aufleuchtet und hinaufträgt? Wir beten doch! „Dein Reich komme“, beten wir. Und „Dein Wille geschehe.“ Im alten Jahr haben wir gebetet „Unser täglich Brot gib uns heute“, und wir beten es genauso im neuen. „Und vergib uns unsere Schuld“, beten wir, und wir bitten Gott, er wolle uns nicht in Versuchung führen.
Wir beten. Das kennzeichnet uns. Allerdings kann es sein, dass wir dem Gebet nicht recht trauen und heimlich befürchten, unsere Gebete könnten womöglich nicht ganz so lichthell und ungestört aufsteigen. Wir rechnen damit, dass unser Flämmchen ins Flackern kommt. An eine solche Störung denkt auch der Jakobusbrief. Gleich am Beginn des Briefes spricht er davon und verwendet dabei das alte Wort ´Anfechtung´. Eine Anfechtung ist es, wenn sich in unser Wesen etwas einmischt, was eigentlich nicht zu uns gehört. Der Jakobusbrief beobachtet eine solche Einmischung . Er bringt sie in Zusammenhang mit unserem Streben nach Gewinn.
Nun wird man in der Tat kaum etwas finden, was für uns und unsere Zeit so charakteristisch ist wie das Streben, unser Können zu verbessern, unsern Besitz zu mehren und unsern Gewinn zu steigern. Sollte sich das Gewinnstreben auch schon in unser Beten eingemischt haben? Dann müssten beim Beten das Gesagte und das Gemeinte immer wieder auseinander treten. Beim Vaterunser zum Beispiel würde dann gesagt „Dein Reich komme“, aber gemeint wäre vielleicht, es möge kommen, was uns bereichert. Gesagt würde „Dein Wille geschehe“ und gemeint wäre womöglich, Gott wolle alles so wenden, dass es uns Gewinn bringt. Gebetet würde „Unser täglich Brot gib uns heute“, es wäre aber nur mein Brot gemeint und mein Vorteil. Auch würde gebetet „Vergib uns unsere Schuld“, aber gemeint wäre unser Wunsch, selbst dann zu gewinnen, wenn wir schuldig geworden sind.
Wirklich nur ein Rauch sind wir und wahrhaftig kein leuchtendes Licht, wenn es sich so oder ähnlich bei uns verhält. Der Jakobusbrief kennt uns natürlich nicht. Er kennt nur seine Zeitgenossen. Denen sagt er aber: „Ihr seid solche, die nichts anderes im Sinn haben, als in die Stadt zu gehen und Handel zu treiben und Gewinn zu machen.“
Wer Handel treibt, muss auch Gewinn machen. Es gibt aber Fälle, wo das Gewinnstreben das Vertrauen auf Gott ersetzt. Wenn das Gebet vom Zweifel begleitet ist; wenn wir nicht wissen, ob das, was wir zu Gott senden, auch irgendwo ankommt; wenn wir uns fremd fühlen auf der Erde und nicht wie Kinder im Elternhaus, dann suchen wir Ersatz. Mutter Gewinn muss dann trösten und Vater Gewinn muss dann schützen, die Sonne Gewinn muss uns lachen und der Himmel Vermehrung des Wohlstands muss sich über uns wölben.
Doch dann brennt die Kerze nicht mehr. Dann raucht sie nur und qualmt. Und der Jakobusbrief ist geneigt, auch uns zuzurufen: „Ein Rauch seid ihr.“
Den Mann freilich, der die Anfechtung besteht, sieht der Jakobusbrief schon fast im Himmel und sagt von ihm: „Selig der Mann!“ Sein Zweifel muss gewichen, sein Gebet muss angekommen sein, und er selbst ist nun dort, wo er hingehört. Wie schafft er das? Wie kann der Rauch weichen, und wie kann sein Licht brennen, ohne dass er dem Streben nach materiellem Gewinn allein es zutraut, sein Leben zu erhellen?
Es dürfte ihm jedenfalls das Sternschnuppenglück, bei dem man schnell, schnell einen Wunsch sagen muss, ebenso wenig genügen wie jedes andere Glück, das nur kurz aufleuchtet und dann schon abgelöst werden muss durch das nächste Event, den nächsten Treffer, den nächsten Triumph.
Das Glück aus materiellem Gewinn ist ein solches Sternschnuppenglück. Darum gleicht es dem kümmerlichen Licht, von dem das arme „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zehren musste. Das Märchen erzählt, dass niemand ihm seine Schwefelhölzchen abkaufen wollte. Niemand schenkte ihm nur auch ein bisschen Wärme. In der kalten Nacht zündete es ein Streichholz an, um sich wenigstens daran zu wärmen. Nach und nach leuchtete von den Hölzchen eins nach dem anderen auf, bis sie alle abgebrannt waren. Immer, wenn das Licht aufschien, hatte das Kind einen kurzen, glücklichen Traum. Am Ende der Nacht war es erfroren. – Es ist eine Geschichte voller Traurigkeit. Hinter dem Glück unserer Tage, das an dem schnellen Gewinn hängt und am schnellen Haschen nach einem Traum, ist auch eine Traurigkeit zu spüren. Denn die Jagd nach Gewinn hat immer die Angst vor Verlust als ihren Schatten bei sich. Es ist die Angst, hergeben zu müssen, die Angst, seinen Gewinn teilen zu müssen, die Angst, am Ende nicht bei den Gewinnern zu stehen, sondern bei den Verlierern. Es ist die Angst, die umgeht in unserem Land. Es ist die Angst unserer Tage.
Aber der heutige Tag muss nicht traurig sein und steht nicht im Zeichen der Angst. Nach dem großen Feuerzauber der vergangenen Nacht liegt über dem Neujahrstag zwar nur ein bescheidenes Leuchten, ein Funkeln, könnte man sagen. Allerdings verlischt es auch nicht gleich wieder. Sein Funkeln hält an. Die Christenheit hat seit alters den Neujahrstag begangen als den Namenstag Jesu. Es ist der Name Jesu, der für uns und unseren Glauben leuchten will: „In meines Herzens Grunde dein Nam und Kreuz allein funkelt all Zeit und Stunde, des kann ich fröhlich sein.“
Der Name ist das, was uns erreichbar macht. Wir können bei unserem Namen gerufen werden. Weil wir ihre Namen wissen, können wir am Neujahrstag unsere Lieben anrufen und unsere Verbundenheit damit ausdrücken. Der Name Jesu aber ist es, der Gott für uns erreichbar macht. Durch den Namen Jesu wird der Himmel blank für uns und weicht das bedrückende Gefühl, allein auf der Welt zu sein, allein in die Zukunft gehen zu müssen, allein mit seinem Hoffen und Wünschen und Befürchten bleiben zu müssen, das Gefühl also, ein Gebet zu sein ohne Adresse.
Nun aber glüht in uns eine Flamme. Da brennt ein Licht, das nicht abhängt von unserem Erfolg. Es kann den qualmenden Rauch unserer Ängste und Zweifel vertreiben. An uns ist es nur, diese Flamme zu nähren und zu hüten. Dazu gibt uns der Jakobusbrief einen Ratschlag, der eigentlich zwei Empfehlungen enthält: „Ihr solltet sagen: Wenn der Herr will, - werden wir leben.“ Denn die Flamme in uns wird genährt, wo sie sich hineinziehen lässt in den Sog des Gotteswillens und wir sagen: „Wenn der Herr will.“ Und die Flamme wird gehütet, wenn nichts Lebensfeindliches sie mehr anhaucht und wir glauben: „Wir werden leben.“
Das Ziel, das uns dabei vor Augen gestellt wird, ist nun doch ein Gewinn.
Aber es ist weder der Sternschnuppengewinn, den man sich ganz schnell erhaschen muss, und es ist auch nicht der Gewinn eines gleich wieder verglühenden Traums. Der Gewinn, den Jakobus für uns erhofft, ist ein Zeitgewinn. Denn wenn ich sage „so Gott will“, dann kann weder meine eigene innere Unruhe mich durch die Zeiten hetzen, noch dürfen es die von außen aufgezwungenen Terminansprüche mit ihrem Druck. Wenn ich sage „so Gott will“, kann ich gelassen bleiben. Vielleicht ertrage ich dann sogar, dass mein Konkurrent einmal schneller ist als ich. - Und noch ein weiterer Gewinn deutet sich an. Man könnte ihn Stabilitätsgewinn nennen. Weil mich nichts so stabilisiert wie die Gewissheit, meiner inneren Stimme zu folgen bzw. dem, was still in mir leuchtet. Ich weiß, was in mir glüht; ich weiß, wofür ich glühe; ich weiß, wozu ich bestimmt bin. Das ist sozusagen das Glück der geraden Flamme. Manchen Menschen spürt man dieses Glück an.
Aber nicht nur genährt werden will die Flamme in uns, sondern es muss das, was unsere Lebendigkeit bedroht, auch abgewehrt werden. Wenn wir sagen so Gott will – dann werden wir leben. Wir werden dann unser eigenes Leben führen. Wenn ich erst gewiss bin, was meine Bestimmung ist, kann ich mich wehren gegen jede Fremdbestimmung, ob sie nun von außen kommt, wo andere über mich verfügen möchten, oder von innen, wo ich in Gefahr bin, mich ablenken zu lassen.
Ich bete nicht immer. Oft zweifle ich auch. Aber es betet in mir. Da funkelt und brennt eine Flamme. Gott hat sie entzündet. Ich darf sie hüten. Drum spreche ich gerne mit am Beginn dieses neuen Jahres: „So Gott will – werden wir leben und ganz gelassen tun, was zu tun ist, sei es dies, sei es das.“ Amen.
Link zur Online-Bibel
Gerechtigkeit ist kein leeres Versprechen - Predigt zu Jakobus 5,7-8 von Wilhelm v. der Recke
Gerechtigkeit ist kein leeres Versprechen
I. „ … von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Jesus kommt wieder, so sprechen wir es jeden Sonntag mit dem Glaubensbekenntnis. Es wäre zu viel gesagt, dass wir das Kommen Jesu kaum erwarten können. Anders zu Zeiten des Jakobusbriefes: Verliert nicht die Geduld! In den beiden Versen fällt das Wort Geduld dreimal: Geduldet euch. Macht euch keine Sorge. Stärkt euch gegenseitig das Herz! Auch wenn es nicht danach aussieht – er kommt bestimmt. Er kommt bald. Ihr könnt euch darauf verlassen. So beschwört der Brief seine Leser.
Unsere Situation ist eine vollkommene andere. Damals, wenige Jahrzehnte nach Tod und Auferstehung Jesu, können es die Menschen gar nicht erwarten, dass er wiederkommt. Im Triumphzug wird er zurückkehren, und alles wird gut. – Wir heute können uns schwer vorstellen, dass Jesus überhaupt wiederkommt. Dass er plötzlich wieder da ist, so unverhofft wie ein Blitz, der die Dunkelheit zerreißt. Dass er reinen Tisch macht. Dass er die Treuen und Geduldigen in seine Arme schließt und die Bösen zur Rechenschaft zieht. Er, der ebenso gerechte wie barmherzige Richter.
II. Das passt nicht in unser Weltbild. Wir können uns nicht vorstellen, dass Gott persönlich eingreift und Ordnung schafft. Dass er alles neu und gut machen wird. Wir können es uns nicht vorstellen – schlimmer noch: Wir können nicht einmal die Sehnsucht danach mitempfinden. Es sagt uns nichts, es lässt uns kalt. Ja, vielleicht wäre es ganz schön, aber es berührt uns nicht wirklich. Der eine oder andere fühlt sich davon angesprochen. Aber insgesamt entspricht es nicht unserer Gefühlslage hier in Westeuropa. Ein echtes Dilemma.
Wenn wir überhaupt an das Weltende denken, dann aus einem anderen Grund. Einen eindeutig selbst verschuldeten. Aus Übermut, aus Egoismus, aus Gedankenlosigkeit führen wir den Kollaps unseres Planeten herbei. Langsam, aber irgendwann unabwendbar. Ja, wir können uns heute vorstellen, dass es eines Tages kein höheres Leben mehr auf dieser Erde gibt. Wir leben von der Substanz, wir zerstören die Grundlage unseres Lebens.
Das können wir uns vorstellen. Aber noch sind es nächtliche Albträume, die wir am Tage verdrängen. Es steckt uns nicht wirklich in den Gliedern. – Was uns nahe geht, den Älteren naturgemäß mehr als den Jüngeren, ist der Gedanke an unser persönliches Ende. Wenn unsere Kräfte schwinden, wenn wir immer häufiger an unsere Grenzen stoßen, wenn wir unsere Erwartungen niedriger schrauben müssen. Der Gedanke an ein langes Siechtum, an ein schweres Sterben ängstigt uns. Der Gedanke an den Tod, der ebenso sicher ist wie er unbegreiflich bleibt. Vielleicht auch die Frage nach dem, was danach auf uns wartet.
Wenn wir an das Ende denken, gehen wir von uns aus. Wir denken aus unserer individuellen begrenzten Perspektive: Was passiert mit mir? Vielleicht: Was passiert mit uns, mit unseren Kindern und Enkeln? – Der Jakobusbrief schaut von einer höheren Warte aus: Was hat Gott mit uns vor, mit allen Menschen, mit der ganzen Welt? Doch der Brief stellt keine Frage, er weiß die Antwort: So gewiss, wie Jesus auf diese Erde gekommen ist, wie er gestorben und auferstanden ist, so gewiss wird er auch wiederkommen. Nicht nur zu den Frommen, nein zu aller Welt (EG 409, 7).
Für viele von uns ist das ein echtes Dilemma. Mit dem einen Bein stehen wir in der vertrauten christlichen Tradition, mit dem anderen in unserer Zeit, wir teilen das heutige Lebensgefühl. Viele haben diesen Glauben mit der Muttermilch aufgesogen: Jesus kommt wieder! Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Gleichzeitig leben wir völlig selbstverständlich in einer Welt, die von Gott nur in Anführungszeichen spricht, in der ein Bekenntnis zu Jesus peinlich wirkt, die bei der Rede von der Wiederkunft Jesu nur nachsichtig lächeln kann. Darüber aufregen könnte sich niemand mehr.
III. Ein Dilemma. Der berühmte Zeitgeist ist wie ein unsichtbares, geruchloses Gas, das durch alle Ritzen und Löcher in uns eindringt. Wir fühlen uns ohnmächtig. Und doch kann man sich gegen ihn wehren. Es gibt die Redensart „Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt ist bald verwitwet.“ Dieser Geist ist höchst flüchtig. Er kommt und geht. Morgen behauptet er vielleicht ganz ungeniert das Gegenteil von dem, was heute unumstößlich zu sein scheint. Der Gipfel der Erkenntnis, den der Zeitgeist angeblich erklommen hat, ist keineswegs der letzte und höchste. Ganz abgesehen davon, dass der Zeitgeist immer nur regional herrscht. Der größere Teil der Menschheit teilt nicht den europäischen Glauben an den Unglauben.
„Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, sondern wir müssen uns nach der Wahrheit richten,“ schreibt Matthias Claudius an seinen Sohn. Wenn man sich das klar macht und sich Verbündete sucht, kann man sich jenem so selbstsicher auftretenden Geist entziehen.
An dieser Stelle muss aber deutlich gesagt werden, dass wir nicht zurück in das finstere Mittelalter wollen und sollen. Wenn wir ehrlich und redlich sind, können wir nicht hinter die Erkenntnisse der Aufklärung zurück. Doch auch die Vernunft ist uns von Gott gegeben. Wir sollen uns ihrer bedienen. Wir brauchen keine Angst davor haben, dass sie uns den Glauben streitig machen will. Auch die Vernunft lehrt uns, dass wir über Gott nicht verfügen können, auch nicht mit unseren Gedanken. Er ist außerhalb unserer Reichweite. Unser Verstand kann ihn weder beweisen noch widerlegen – so wenig wie es der Glaube kann. Selbst das einst so geschlossene Weltbild der Naturwissenschaften scheint heute offener denn je zu sein. Mit jeder Antwort, die sie findet, stellen sich ein Dutzend neuer Fragen.
IV. Doch dem Jakobusbrief – und mit ihm dem ganzen Neuen Testament – geht es nicht um ein bestimmtes Weltbild, um keine Theorie, um kein Dogma. Am Leben ist er interessiert. Mit Leidenschaft setzt er sich für Gerechtigkeit ein: Es kann doch nicht sein, dass die Reichen immer und überall auf Kosten der Ärmeren leben, dass sie ihnen das Lebensnotwendige vorenthalten. Es kann nicht sein, dass die Großen und Gewalttätigen sich rücksichtslos über das elementare Recht der Kleinen und Hilflosen hinwegsetzen. Es kann nicht sein, dass die Gerissenen die Redlichen und Arglosen ungestraft übervorteilen und um ihr gutes Recht bringen.
Es kann nicht sein! Und tatsächlich geht es anders. Jesus hat das vorgelebt. Er hat es verkündigt, er hat es in die Tat umgesetzt. Er hat klar gestellt, dass Gott nicht auf Seiten der Rücksichtslosen ist. Er nimmt ihr Verhalten nicht hin. Er steht auf Seiten der Mühseligen und Beladenen. Ihnen gibt er recht, ihnen will er Recht verschaffen. Was Jesus angekündigt, was er in Gang gesetzt hat, ist nichts anderes als eine Revolution. Eine Revolution von oben, die als Revolution von unten durchgesetzt wird.
Unsere schlechten menschlichen Verhältnisse werden grundlegend verändert. Nicht nur das, auch das Verhältnis von Leben und Tod. Denn es ist zutiefst ungerecht, wenn kleine Kinder auf der Flucht über das Mittelmeer ertrinken – ehe ihr Leben überhaupt richtig begonnen hat. Wenn sie wegen schlechter Politik verhungern oder Seuchen zum Opfer fallen, die anderswo längst ausgerottet sind. Die Frage nach der Gerechtigkeit macht vor dem Tode nicht halt. Diese Überzeugung ist verankert in Jesu eigenem Schicksal. Er stirbt als Opfer der Justiz und überlebt seinen eigenen Tod. Für immer und ewig. Weil Gott eingreift, weil Gott den Tod, den absolut gleichgültigen mörderischen Tod, außer Kraft setzt. Der Tod besiegelt nicht mehr alle irdische Ungerechtigkeit.
Darum geht es in dem Bibelwort, über das wir nachdenken. Gott schafft Gerechtigkeit. Das ist jetzt nicht immer so sicher. Aber der Tag ist nicht mehr fern, an dem wir nicht mehr an ihm vorbei kommen. Dann wird alle Welt zur Verantwortung gezogen und muss Rechenschaft ablegen. Keine Rechnung bleibt offen. Aber nicht wir richten, sondern Gott. Nicht wir dürfen unser Mütlein kühlen und unseren Rachephantasien freien Lauf lassen – Gott ist der Herr. Er, der gerechte und barmherzige Gott. (Manche Verwünschungen, manche Drohungen mit dem ewigen Höllenfeuer im Neuen Testament stammen kaum aus dem Munde Jesu. Es handelt sich wohl eher um die nur allzu verständlichen, aber auch allzu menschlichen Wunschträume der gequälten Kreatur.)
Doch weder der Jakobusbrief noch das übrige Neue Testament vertrösten auf den Jüngsten Tag. Nein, seit Jesus unter uns gewirkt hat, kann man an die Gerechtigkeit glauben. Sie ist keine schöne, aber leider irreale Idee. Sie ist begründet, und sie hat eine echte Chance. Es ist keine vergebliche Liebesmüh, sich der Gerechtigkeit hier und heute zu verschreiben. Denn die Zukunft gehört ihr. Wenn wir Jesus Glauben schenken, dann können wir nicht anders, als uns ihm anzuschließen, als es ihm nachzumachen. Darum heißt es an anderer Stelle im Brief: Seid Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst (1, 22). Lebt die Gerechtigkeit und fangt bei den Menschen an, mit denen ihr zusammenlebt.
V. Die lange Geschichte der Christenheit ist auch eine große Geschichte der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit. Heute wird im öffentlichen Gespräch gerne – und gelegentlich hämisch – an das furchtbare Leid und Unrecht erinnert, das Christen im Namen ihres Glaubens begangen haben. Ja, diese dunklen Seiten gab es und gibt es. Da helfen keine Ausreden und Entschuldigungen. Aber diese Abwege sind die Ausnahme. Sie sind schlimm genug, trotzdem dürfen wir uns an abertausend Gegenbeispiele erinnern, die meistens nicht an die große Glocke gehängt werden. Wer dagegen auf den negativen Seiten des Christentums herumreitet, weiß es nicht besser, oder er will es nicht besser wissen. Der Wind steht uns Christen heute mehr als früher ins Gesicht.
Tatsächlich hat der Glaube an die Gerechtigkeit Gottes in der Bibel – im Alten wie in Neuen Testament – eine unglaubliche Dynamik entfaltet. Sie wirkt bis heute nach, oft losgelöst von ihren ursprünglich religiösen Wurzeln. Gerechtigkeit gehört zu den elementaren Voraussetzungen für alles Zusammenleben. Das ist uns vielleicht heute stärker bewusst als früher. Dafür muss man kämpfen. Die zahlreichen NGOs*, die heute überall auf dem Globus für eine bessere, gerechtere Welt eintreten, haben ihre Wurzeln fast ausnahmslos in unserer abendländischen Kultur, und die ist ganz wesentlich vom Christentum geprägt. Das trifft auch für die vielen Gruppen zu, die sich seit Jahrzehnten für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Ohne ihr Engagement wäre der Weltklimagipfel dieser Tage nicht denkbar. Gott hat uns diese Erde anvertraut. Wir tragen mit an der Verantwortung für alle Kreatur, für alles, was mit uns auf diesem Planeten lebt oder in Zukunft leben soll, zum Beispiel unsere Kinder und Enkel. Auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Der Gedanke ist unerträglich, dass unsere Generation auf Kosten zukünftiger die Erde ausplündert.
Gegen allen Augenschein – der Einsatz für mehr Gerechtigkeit ist eine Erfolgsgeschichte, und die weiteren Aussichten sind gut. Am Ende der Zeiten wird Gott sichtbar die Zügel in die Hand nehmen. Er wird die Tränen trocknen und die tiefen Wunden heilen. Alles, ja alles wird gut werden.
Gebt die Geduld nicht auf – schreibt uns der Jakobusbrief. Glaubt an Gottes Gerechtigkeit. Stärkt euch dabei gegenseitig das Herz. Der Herr ist nahe.
* Organisationen, die unabhängig von jeglicher Regierung handeln
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Jakobus 5,7-8 von Angelika Überrück
Liebe Gemeinde,
warten Sie gerne? Ich nicht und ich vermute, die meisten von Ihnen auch nicht.
Beim Arzt, wenn noch zehn Patienten vor einem dran sind, an der Kasse im Geschäft, wenn ich wieder die längste und langsamste Schlange erwischt habe, oder auf der Autobahn, wenn der Stau genau dann beginnt, wenn man an der Ausfahrt vorbei ist. Und bei allen, die mit warten müssen, merkt man schon an den Gesichtern, dass sie auch nicht erfreut sind. Die Stimmung ist gereizt.
Warten fällt schon Kindern schwer. Besonders natürlich jetzt in der Adventszeit. Erst ist da das Warten auf das Öffnen des ersten Türchens am Adventskalender. Dann beginnt das Warten auf den Nikolaus und seine Überraschungen. Und dann auf den Heiligen Abend und die Bescherung. Sie sind ungeduldig, weil sie auf den Besuch der Großeltern oder anderer Verwandter warten oder auf den Besuch bei der Familie.
Warten fällt uns schwer, andererseits durchzieht Warten unser Leben. Es gehört zu unserem Leben dazu: Wir warten jedes Jahr wieder auf die Ferien, auf den Urlaub. Als Kinder warten wir endlich in die Schule zu kommen, später dann auf einen Ausbildungs- oder Studienplatz. In der letzten Phase des Arbeitslebens wartet man auf die Pensionierung, um noch ein paar Jahre zu zweit das Leben zu genießen. Und viele alleinstehende alte Menschen warten darauf, dass ihre Kinder oder Enkel mal zu Besuch kommen. Es gibt unendlich viele Situationen in unserem Leben, in denen wir warten müssen. Jeder und jedem von Ihnen fällt da sicherlich sofort etwas ein.
Wir müssten also eigentlich alle Spezialisten im Warten sein, so oft wie es in unserem Leben vorkommt. Trotzdem fällt es uns schwer. Warum eigentlich?
Ich denke, es hat etwas mit unserem Lebensgefühl zu tun.
Da ist das verbreitete Gefühl, nicht untätig sein zu dürfen. So setzen wir uns unter Druck. Termine reihen sich aneinander und wenn der erste ins Rutschen gerät, geraten alle anderen auch durcheinander.
Deshalb warten wir auch nicht mehr, ohne dabei tätig zu sein. Smartphone, Handy und IPad bestimmen die Wartezeit.
Außerdem möchten wir immer alles und sofort haben. Ein Forscher hat dieses moderne Lebensgefühl mit dem Begriff „Sofortness“ beschrieben. Was das bedeutet, möchte ich an ein paar Beispielen verdeutlichen, die Sie sicherlich alle problemlos ergänzen können. Wer ein Geschenk sucht, der bestellt es im Internet und erwartet, dass es innerhalb weniger Stunden da ist. Wer in den Geschäften etwas kauft, möchte es auch sofort mitnehmen. Telefonieren wird nicht auf eine ruhige Minute verschoben, sondern zwischendrin beim Spazierengehen erledigt und wenn das nicht geht, dann wird eben schnell eine SMS geschrieben. Wenn sich jemand nicht sofort zurückmeldet, werden wir ungeduldig.
Und wir möchten auch immer alles „sofort“ über andere wissen. So wird jede Handlung, jeder Weg gepostet. Auch Nachrichten, aktuelle Ereignisse werden in den sozialen Medien verbreitet, schon während etwas geschieht. Manchmal sehr zum Nachteil oder Leidwesen der Beteiligten. Das alles ist „Sofortness“.
Und nun dieser Predigttext: „So seid nun geduldig“. Was für ein Ratschlag. Und das mitten in der Adventszeit. Was muss nicht noch alles erledigt werden bis Weihnachten? Wie viele Termine gilt es noch abzuarbeiten? Die Zeit rennt. Und dann dieser Ratschlag: „Seid geduldig.“
Wie soll das gehen? Wie können wir Geduld lernen?
Wir waren im Frühjahr in Kalifornien im Urlaub. Da habe ich erstaunt festgestellt, dass es nie Drängeleien in Schlangen gab, keine genervten Gesichter. Selbst, wenn man eine Stunde und mehr anstehen musste, waren alle gut gelaunt und fingen einfach mit den Menschen um sie herum ein Gespräch an. Die Zeit verging schnell beim Klönen.
Auch beim Autofahren: Jeder wartete an der Kreuzung geduldig, bis er dran war zu fahren. Es gab kein Hupen, kein Überholen von hinten. Auf Fußgänger wurde auf jeden Fall Rücksicht genommen. Von Hektik keine Spur. Mich hat das ins Nachdenken gebracht, warum es gerade uns so schwer fällt zu warten.
Wozu soll es überhaupt gut sein, warten zu können und geduldig zu sein? Ist das nicht verlorene Zeit? Psychologen haben festgestellt, dass warten zu können gerade in unserer Zeit wichtig ist. Denn Warten ist ein Moment der Pause, ein Moment, die Welt auf sich wirken zu lassen. Warten hat mit Selbstdisziplin zu tun. Solche Phasen des Nichtstuns sind wichtig, um dann wieder kreativ sein zu können. Denn während man wartet, sieht man auch genauer hin und nimmt auch besser wahr. Deshalb ist es wichtig, mal seine Seele baumeln zu lassen, zu träumen und nachzudenken. Eben Geduld zu üben, um dann umso besser wieder tätig sein zu können.
Ob der Schreiber des Jakobusbriefes das alles im Hinterkopf hatte, weiß ich nicht. Denn als er seine Zeilen an die christlichen Gemeinden schrieb, war sicherlich noch nicht so viel los wie heute bei uns, und schon gar nicht wie bei uns in der Adventszeit. Dennoch gibt er den Rat: „Seid geduldig.“ Ihr müsst auf das Kommen Jesu warten können. Auch er hat damals also mit der Ungeduld seiner Mitmenschen zu tun.
Dabei handelte es sich um eine spezielle Ungeduld: Die Christinnen und Christen in den ersten Gemeinden gingen davon aus, dass Jesus noch zu ihren Lebzeiten wiederkommen würde. Aber das passierte nicht. Die ersten, die sich zum christlichen Glauben bekannt hatten, waren bereits gestorben. Und als der Jakobusbrief entstand, war schon die nächste Generation herangewachsen. Manche fragten sich, ob sich der Herr überhaupt noch zu ihren Lebzeiten zeigen würde.
Die Menschen damals warteten also auf das Wiederkommen Jesu und waren nicht im Weihnachtsstress. Deshalb schreibt der Verfasser des Jakobusbriefes das ganz eindringlich: Seid geduldig, wartet, der Herr kommt bald! Versucht nichts zu beschleunigen. Denn niemand kann etwas dafür tun, dass Jesus wiederkommt. Es bleibt Gott überlassen zu handeln.
Und dann benutzt der Briefschreiber Jakobus ein Beispiel, um deutlich zu machen, wie richtiges Warten aussehen kann. Er nimmt ein Beispiel, das jeder damals kannte. Ihr müsst Geduld haben wie ein Bauer, so rät er.
Ein Bauer, wir sagen heute Landwirt, der bestellt sein Feld. Er tut eine ganze Menge für seine Ernte. Er sät aus. Er nimmt gutes Saatgut und unempfindliche Sorten. Er wird düngen – gezielt, je nachdem, was die Saat braucht. Keimende Saat kann durch Kunststofffolien vor Wind und Kälte geschützt werden. Er wartet auf Regen, der Samen vor dem Vertrocknen schützt. Wobei er bei ausbleibendem Regen auch unterstützend eingreift, indem er Wassersprenger einsetzt. Er tut etwas gegen Unkraut und Schädlingsbefall. Er wartet auf Wärme, die den Keim aus dem Boden lockt. Er wartet wieder auf Regen, der die Pflanze tränkt und wachsen lässt. Er wartet bis unter Frost und Hitze, Sonnenschein und Regen die Ernte heranreift. Bei all dem, was er tut, hat er trotzdem nicht alles in der Hand. Denn der Zeitpunkt der Ernte muss geduldig abgewartet werden. Ein Landwirt kann nicht bestimmen, ob Ähren, Äpfel, Kartoffeln, Mais oder was immer er angebaut hat, vierzehn Tage früher oder später reif sind, ob sie reichlich oder wenig Frucht tragen. Ungeduldig sein oder die Hoffnung aufgeben, nutzt da nichts. Und wenn ein Unwetter kurz vor der Ernte alles zerstört, kann er auch nichts dagegen tun.
An diesem Bild des Bauern, des Landwirtes, der handelt, aber auch Geduld haben muss, sollte den Menschen damals, und natürlich auch uns heute, deutlich werden, wie richtiges Warten aussehen kann. Wie Geduld haben aussehen kann. Geduld ist eine Fähigkeit, es ist eine Kraft, die man bekommt, wenn man ein Ziel hat. Wenn man weiß, worauf man wartet. Zur Geduld gehört also auch Hoffnung. Und es gehört die Gewissheit dazu, dass es sich lohnt zu warten. „Der Herr kommt bald.“ So beschreibt der Jakobusbrief unsere Hoffnung, unser Ziel. Und bis dahin, so sein Rat: „Seid geduldig.“
Die Vorstellung von der Wiederkunft Christi am Ende der Zeit ist bei uns aus der Adventszeit fast verschwunden. Wir begegnen ihr noch in den Lesungstexten im Gottesdienst. Aber auch auf das Weihnachtsfest, auf das Kommen Gottes in diese Welt in einem Kind im Stall, warten wir ja nicht mehr geduldig, sondern gestresst.
In den Worten des Jakobusbriefes wird deutlich, dass wir im Advent Geduld vielleicht ganz neu lernen müssen.
Die Adventszeit war, so habe ich es als Kind noch kennen gelernt, eine Fastenzeit, in der viel vorbereitet wurde. Selbstgebackene Kekse, Stollen, Süßigkeiten gab es erst am Heiligen Abend, zu Weihnachten. Dann wurde gefeiert. Das geht heute leider nicht mehr durch die vielen Weihnachtsmärkte, durch Weihnachtsfeiern und andere Aktivitäten. Aber dadurch haben wir auch verlernt zu warten, uns zu freuen.
Auch andere Bräuche, mit denen wir mal Warten gelernt haben, die uns das Warten erleichtert haben, sind inzwischen sinnentleert.
Adventskalender wurden eingeführt, um warten zu lernen. Zunächst für Kinder, dann auch für Erwachsene. Leider sind sie zu einem Selbstzweck geworden. Jede Spielzeug- und Süßwarenmarke gibt einen Adventskalender heraus, Parfüm, Bier, Baumärkte, Apotheken, alle haben einen Adventskalender, der den Umsatz steigern soll. Jeden Tag ein Türchen des Kalenders zu öffnen, hinter dem nur ein zur Adventszeit passendes Bild und vielleicht auch ein Stückchen Schokolade war, machte deutlich: wir nähern uns Weihnachten, wir nähern uns der Geburt Christi, aber noch ist nicht Weihnachten. Noch sind wir nicht am Ziel.
Auch der Adventskranz mit seinen Kerzen ist entstanden, um die Vorfreude, das Warten auf das Weihnachtsfest zu gestalten. Mit jeder Kerze am Adventskranz wurde es ein wenig heller und man näherte sich Weihnachten, wo es durch die Geburt Christi richtig hell wird im Leben, weil Gott Mensch wird, weil Gott uns nahe kommt. Symbolisch wurde es deutlich durch die vielen Kerzen am Weihnachtsbaum.
Bei uns gibt es inzwischen zu viel Licht in der Wartezeit, die Tannenbäume brennen von Beginn der Adventszeit an, die Geschenke in den Adventskalender sind so groß, so dass es eigentlich kein Warten mehr gibt und keine Steigerung am Heiligen Abend. Am Heiligen Abend sind viele froh, dass die Adventszeit vorbei ist. Dabei sollte Weihnachten doch das Ziel der Adventszeit sein, unsere Hoffnung: Gott wird Mensch. Gott kommt zu uns in diese Welt.
Wissen wir vielleicht gar nicht mehr, auf was wir warten? Oder erwarten wir vielleicht gar nichts mehr von Weihnachten? Ich lasse diese Fragen bewusst stehen. Nehmen Sie sie mit auf den Nachhauseweg zum Nachdenken. Auch darüber, wie wir wieder lernen können, geduldig auf Weihnachten zu warten.
Unsere Jugendlichen haben letzten Sonntag einen Gottesdienst gestaltet über das, was wir brauchen in der Adventszeit und sie haben dann „Smileys“ an alle verteilt. Vielleicht würde das schon genügen, einmal freundlich durch den Tag, durch den Advent zu gehen. Denn wer sich freut, nimmt sich Zeit und hat Geduld. Wir können uns freuen, dass Gott uns so nahe kommen will. Wir müssen das nicht machen. Gott kommt. Amen
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Jakobus 5,7-8 von Hanna Hartmann
Liebe Gemeinde!
Heute ist 2. Advent. Und es ist gleichzeitig auch Nikolaustag. Ab einem bestimmten Alter beginnt man das leider manchmal zu vergessen – was schade ist. Denn wie wunderbar aufregend ist es, am Abend den Stiefel hinauszustellen und sich darauf zu freuen, dass er am Morgen gefüllt auf einen warten würde. Diese Rituale sind zwar klein, aber sie sind sinnvoll und v.a. sinnlich, d.h. mit allen Sinnen erfahrbar. In so einem Stiefel lässt sich die Vorfreude so richtig sehen und mit Händen greifen, ja sogar zu riechen gibt es: allerlei verheißungsvolle Düfte (oder auch andere Gerüche) …. Und wie schön ist es zu erleben, dass sich manches Warten und Hoffen auf ganz einfache Weise erfüllt!
Wie arm wird das Leben, wenn wir nichts und niemanden mehr zu erwarten oder zu erhoffen haben! Sicher – die Ziele und Inhalte der Hoffnung ändern sich. Mit sechs ist es ein rosaroter Schulranzen, der das Herz höher schlagen lässt; mit 16 die ersehnte SMS-Antwort eines Schwarms auf dem Handy; mit 26 die Informatiker-Stelle, auf die ich mich beworben habe…. – bis dann der/die Partner/in fürs Leben gefunden, das Häuschen gebaut oder die Familie gegründet ist. Aber was, wenn dann dieser gewisse Sättigungsgrad eingetreten ist? Wo man nichts mehr groß braucht? Wo alles so seinen Platz oder sein Maß gefunden hat? Das hat ja auch was! Gerade heutzutage, wo viele junge Leute nur noch Zeitverträge bei der Arbeit angeboten bekommen, ist das sogar ein großer Wert.
Aber was erwarte ich? Was erwarten, erhoffen, ersehnen Sie? Für sich persönlich oder auch für andere…
Die Adventszeit ist ja die Zeit des Wartens und der Hoffnung. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass das adventlich-weihnachtliche Warten bei vielen leer geworden ist; so dass sie mehr darauf warten, dass das Ganze bald wieder vorbei sei, als darauf, dass da etwas zu ihnen komme und mit ihnen mache. Wie es Ihnen da wohl ergeht?
Ja, wer alles hat, der ersehnt nichts mehr. Der hat aber auch nichts, auf das er sich noch freuen könnte. Das ist das Schicksal der Reichen und manchmal auch der Alten. Sie erwarten nichts mehr. Und das ist traurig, um nicht zu sagen: ein Jammer.
Wie anders da der greise Simeon, von dem wir vorhin in der Lesung gehört haben. Bis ins hohe Alter hinein war er ein Wartender geblieben. Und ein sensibel Tätiger in seinem Warten. Denn auf Anregen des Geistes, so heißt es, war er in den Tempel gekommen. Wie oft war er da schon vorher gewesen? 100mal oder gar 1000mal? Doch heute sollte es geschehen. Heute sollte es für ihn anfassbar, sichtbar und wahr werden: in diesem Kindchen Jesus durfte er das Heil in Händen halten, ja sogar liebvoll in seine Arme nehmen.
Liebe Gemeinde, der Predigttext des heutigen Sonntags lädt uns ein, Wartende zu bleiben, ein Leben lang – oder es wieder zu werden. So lesen wir im Brief des Jakobus, im 5. Kapitel:
So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. Jak 5,7-8
Nun, dieser Abschnitt zeigt mal wieder, dass wir in dieser neuen Predigtreihe, die mit dem 1. Advent angefangen hat, unsere Nase in anderer Leute Briefe stecken. Denn wenn Jakobus an die Tübinger geschrieben hätte, hätte er wahrscheinlich ein anderes Beispiel als das eines Bauern genommen. Vielleicht hätte er von Chorleiterinnen geschrieben oder von Lehrern; von Krankenschwestern oder Chirurgen. Aber es soll ja auch noch Tübinger geben, die einen Garten oder irgendwo ein Gütle haben und durchaus wissen, was es heißt, nach dem Pflanzen „auf die kostbare Frucht der Erde“ zu warten. Denn was die Bauern mit denen verbindet, die – sei es lehrend oder pflegend – an und mit Menschen arbeiten, ist dass sie Geduld brauchen. Geduldig müssen sie darauf warten, dass da etwas wächst, anwächst, zusammenwächst, heilt. Und so gut jede/r von uns weiß, dass man das Wachsen und Gedeihen nicht machen kann, ebenso gut weiß auch jede/r, dass es mit Warten allein nicht getan ist. Das Pflegen und Üben gehört genauso dazu. Und Musiker wissen das ganz besonders. Vom Warten allein kommt nichts. Ebenso muss der Chirurg seine Platten und Schrauben, Schnitte und Nähte gut gesetzt und sauber gearbeitet haben, damit das Zusammenwachsen und Heilen gelingen kann. Auch alle Erziehung, ob zu Hause, im Kindergarten oder in der Schule: Da steckt viel Arbeit und Mühe drin, von durchwachten Nächten bis zum Aushalten pubertärer Machkämpfe. Oder was muss man nicht alles tun, bis so ein Rosenbeet prachtvoll in Blühte steht?
Doch alle Mühe und Arbeit ist umsonst, wenn die nötige Geduld und das Gespür für den richtigen Zeitpunkt fehlt. Ganz fatal ist es, wenn da jemand dem Wachstum auf unangemessene Weise nachhelfen will. Sehr anschaulich geschildert ist dies in einer chinesischen Parabel, wo ein Bauer seiner ausgebrachten Saat beim Wachsen helfen will. Jedem Halm wendet er sich hingebungsvoll, fast liebevoll zu. So zieht er einen nach dem andern ein Stückchen aus der Erde. Doch was geschieht, ahnen (nein: wissen) wir: „Das Korn fiel um, der Mann war dumm, in jedem Haus / lacht man ihn aus.“ Darum: Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.
Liebe Mitchristen! Auch wenn dieses Wort ursprünglich nicht an uns heute, sondern an die Christen im 2. Jahrhundert gerichtet war, so ist es doch aktueller denn je. Denn woran es uns in dieser schnelllebigen Zeit heute mangelt, wo alles zackzack und just in time gehen muss, ist vielfach die Geduld. Mit uns selbst, mit den Menschen, die uns anvertraut sind, und auch mit Gott. Und der lässt sich am allerwenigsten beschleunigen oder erzwingen. Sein Kommen ist versprochen, - ich weiß nicht wie viel Mal in der Bibel. Aber wann er kommen wird, wann er Himmel und Erde für alle sichtbar und spürbar neu schaffen wird – das ist und bleibt uns verborgen. Und doch sollen wir die Hoffnung darauf nie aufgeben, denn damit würden wir ein Herzstück unserer Identität als Christen aufgeben. Christen sind Leute, die Ausschau nach Christus halten.
Geduldig und beharrlich. Denn er kommt. Und er kommt immer von vorn. Er kommt uns entgegen. Aber wir müssen Geduld mit ihm haben….
Darum: stärkt eure Herzen! Stärkt sie durch die biblischen Verheißungen; stärkt sie durch Lieder und Melodien, die diese Hoffnung in euerm Herzen weitersingen; stärkt sie durch die Gemeinschaft mit anderen, die in dieser Hoffnung leben!
Wie toll ist es, Menschen zu begegnen, die hoffnungsvoll in die Zukunft sehen und mit Weitblick leben, weil sie wissen, dass sie Christus entgegen gehen!
Schwierig wird es nur dann, wenn man vor lauter Weitblick das unmittelbar Nahe übersieht. Allen Autofahrern ist diese Gefahr wohlbekannt. Vorausschauen ist gut, aber nicht alles. Sonst kann es schnell mal rumpeln. Und das gilt, wenn auch in anderer Weise, für Glaubende: Wer vor lauter Christuserwartung nicht sieht, dass der Mensch neben ihm ein gutes Wort, einen freundlichen Blick oder eine helfende Hand braucht – der hat etwas gründlich missverstanden. Der muss erst wieder auf den Boden kommen. Gottesliebe ohne Menschenliebe ist wie eine vorbeiziehende Wolke, die einem die Sonne stiehlt und doch keinen Regen bringt. Christuserwartung oder ein offenes Herz für die Not des Nächsten ist Schwärmerei.
Ich komme zurück zum Anfang, zu Nikolaus, dem „Schutzpatron der Wartenden“. Er hielt Ausschau nach dem kommenden Christus. Doch dies schärfte seinen Blick für den Christus, der vor der Tür schon auf ihn wartete: der Christus in den Armen und Bedürftigen. Für die Kinder, die er vor dem Verkauf als Sklaven rettete. Für die mittellosen jungen Frauen, denen er die Aussteuer besorgte, damit sie heiraten konnten. Die Armen waren für ihn der wahre „Schatz der Kirche“; denn die Armen sind es, die unser Herz weit und weich und zur Barmherzigkeit bereit machen. Ob das jetzt in der Weihnachtszeit ist. Oder im neuen Jahr in unserer Vesperkirche. Oder in vielen kleinen, vielleicht ungesehenen Taten. Auf das Wie kommt es weniger an; auf das Dass aber durchaus!
Vielleicht lassen wir uns auch anregen, denen, die sowieso schon viel oder gar zu viel haben, nur eine Kleinigkeit zu schenken, um mit einer großen Weihnachtsgabe die Not irgendwo in der Welt zu lindern. Die Sehnsucht kann uns ja erfinderisch machen…
Oder wie Hinrich Westphal sinniert:
„Eigentlich könnte es uns egal sein, dass einst der Bischof
einer hungernden Hafenstadt Kinder mit Essen versorgte.
Aber es ist die Erinnerung an Ängste und Träume,
Beten und Wunder, Schiffe und Sehnsucht,
die uns diese Geschichte, gerade im Advent,
nächtens und liebevoll vor die Tür und in die Schuhe schiebt.“
Amen
Lied 8 (1-6) Es kommt ein Schiff
Link zur Online-Bibel
Menschliche Triebfedern und Gottes Liebe als Halt - Predigt zu Jakobus 1,12-18 von Christian Bogislav Burandt
„Menschliche Triebfedern und Gottes Liebe als Halt“
Liebe Gemeinde,
„Ohne Eitelkeit gibt es kein Schreiben“, hat der unvergessene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki einmal gesagt. Ohne Eitelkeit gibt es keine Literatur; Goethe, Schiller, Thomas Mann und andere lassen grüßen. Ich gestehe, dass ich im ersten Moment mit Entsetzen jenen Satz gelesen habe: „Ohne Eitelkeit gibt es kein Schreiben.“ Denn zugegeben. Ich kann weder das Wort leiden noch den dahinter stehenden Sachverhalt. Wer sich eitel in den Vordergrund drängt, um sich im Beifall zu sonnen, stößt bei mir auf wenig Gegenliebe. Aber andererseits: Was spricht gegen die wunderbare Literatur, die wir Goethe, Schiller und Thomas Mann verdanken? Ist eine solche Eitelkeit nicht unvergleichlich besser als die der Fernsehstars und Talkshow-Besucher, die gar nichts zu sagen haben?
Ich bin über den Satz von Reich-Ranicki richtig ins Grübeln gekommen. Offensichtlich gibt eine ruhmsüchtige Triebfeder, einen eitlen Hang zur Selbstdarstellung, der etwas Positives auf die Welt bringen kann: Literatur, die bis heute Menschen entzückt, sie ins Nachdenken bringt, ermutigt und aufbaut.
Menschliche Triebfedern, menschliches Verlangen, darum geht es dem Jakobus im Predigttext für den heutigen Sonntag. Ein jeder wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt, haben wir gehört. So ist es nun einmal: Der Mensch ist nicht eine seelenlose Rechenmaschine oder die wandelnde Vernunft schlechthin. Der Mensch ist bei aller Vernünftigkeit auch eine Triebnatur. Siegmund Freud etwa, der Begründer der Psychoanalyse, hat dies immer wieder beschrieben. Eitelkeit, Macht, Sexualität, Wohlstand, der Wunsch nach Anerkennung und Sicherheit - jeder von uns wird von seinen oder ihren eigenen Triebfedern bewegt. Und das muss von vornherein auch noch nicht unbedingt schlecht sein. Wie gesagt: „Ohne Eitelkeit gibt es kein Schreiben.“
Allerdings kann durchaus Böses dabei herauskommen, wenn wir schrankenlos unseren Trieben nachgeben: Wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod. Die Triebfedern des Menschen an sich, oder wie Jakobus sagen würde, die Begierden an sich, sind nicht das Problem. Aber aufgepasst: Triebfedern sind das Einfallstor für die Sünde, die den Tod mit sich bringt.
Die Gier nach Macht und Herrschaft; so manchen machtgierigen Diktator oder Despoten hat es in den letzten Jahren erwischt…
Gier nach Sexualität. Seit den wilden 68er Jahren werden die Kirchen massiv angegriffen wegen ihrer angeblich veralteten Sexualmoral. Und heute stehen die Kirchen am Pranger, weil sie sich angeblich an ihre eigene Sexualmoral zu wenig gehalten haben! Das Stichwort vom Kindesmissbrauch hat jedenfalls deutlich gemacht, wie gefährlich schrankenlose Sexualität ist: Sie ist ein Verbrechen! Ein solches Verbrechen ist eine Sünde, die den ewigen Tod der Seele bedeutet: Das zumindest würde Jakobus sagen und uns auf diese Weise mit ganzem Ernst fragen: Wie wollt ihr euer Leben mit Vernunft und allen Trieben gestalten?
Ob wir wollen oder nicht: Die Menge an Triebfedern, die uns in Bewegung setzt, führt dazu, dass wir immer wieder in Gefahr stehen, uns für Abwege zu entscheiden: für Irrtümer, die weder uns noch unseren Mitmenschen gut tun. Und das entfernt uns vom Gott des Lebens!
Die Gefahr, dass wir unseren Trieben in schlechter Weise nachgeben und uns auf Abwege begeben, nennt die Bibel Versuchung. Wer mit der Versuchung zu kämpfen hat, der empfindet sich als ein Angefochtener, als ein Mensch im Zwiespalt mit sich selbst, seinen Gefühlen und seinen Sehnsüchten. Da liegt es nahe, einen einfachen Ausweg zu wählen: Gott ist an allem schuld, heißt es dann. Jakobus wehrt so einen einfachen Ausweg entschieden ab: Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott selbst versucht niemand! Irrt euch nicht! Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts.
Die eigene Verantwortung beim Kampf gegen Versuchungen, gegen das Fehlverhalten der eigenen Triebfedern, die eigene Verantwortung dürfen wir nicht abwälzen, meint Jakobus. Zugleich sollen wir uns klarmachen, dass Gott schlechthin Güte und Liebe ist; selbst wenn wir in Momenten der Anfechtung das nicht wahrnehmen.
Liebe Gemeinde, heute ist der erste Sonntag der Passionszeit. Es beginnt die Zeit der Vorbereitung auf Karfreitag und Ostern. Es ist die Zeit, in der die Kirche das Leiden Jesu bedenkt. Zu diesem Leiden gehören Versuchungen und Anfechtungen. Wir haben im Evangelium davon gehört. Nichts Menschliches ist Jesus fremd gewesen, auch nicht Triebfedern und Begierden. Was hat ihm geholfen gegen die Versuchungen, gegen Esssucht, Spielsucht und Herrschsucht?
Jesus hat sich immer wieder an Gottes Verheißungen und an Gottes Liebe erinnert. Das hat ihm Halt gegeben inmitten von Verlockungen und Anfechtungen. Und daran dürfen auch wir uns orientieren! Auch uns hat Gott wirksam seine Liebe zugesagt. Bleibendes und gültiges Zeichen der Liebe Gottes ist unsere Taufe. Die ist in Kraft! Wir sind nicht irgendwie achtlos auf die Erde verstreute menschliche Wesen sondern Gottes geliebte Kinder! Jakobus sagt: Gott hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.
Wenn wir uns auf Gottes Liebe besinnen, wenn wir uns von ihr tragen lassen, dann weicht das Dunkel, dann sinkt die Gefahr, dass wir Versuchungen erliegen! Selig der Mensch, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.
Die Passionszeit, die vor uns liegt, die Fastenzeit mit der Aktion ‚Sieben Wochen Ohne’ ist eine gute Gelegenheit, den eigenen Triebfedern nachzuspüren und sich selber einen Verzicht oder eine Verhaltensänderung aufzuerlegen; damit uns neu zu Bewusstsein kommt, was wesentlich ist für unser Leben und was nicht. Die Passionszeit ist eine gute Gelegenheit, eingefahrene Gewohnheiten in Frage zu stellen, damit sie uns nicht zur Anfechtung werden. Die Passionszeit ist eine gute Gelegenheit, über den Satz nachzugrübeln: „Ohne Leiden und Sterben Jesu keine Erlösung für uns.“
Gott, lieber himmlischer Vater,
der du uns tröstest wie einen seine Mutter tröstet,
du wendest uns in Jesus Christus Deine Liebe zu:
Lass uns spüren, dass Du uns trägst,
Steh uns bei in der Anfechtung,
Hilf uns, wenn Sucht und Versuchung
uns zuschaffen machen.
Eröffne uns Wege und Auswege zum Leben.
Das bitten wir Dich im Namen Jesu Christi.
AMEN
Link zur Online-Bibel
Anfechtung im Glauben – Predigt zu Jakobus 1,12-18 von Matthias Riemenschneider
Anfechtung im Glauben
12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.
13Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.
14Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt.
15Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.
16Irrt euch nicht, meine lieben Brüder.
17 Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.
18Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.
Liebe Gemeinde,
über das Buch des apostolischen Zeugen Jakobus wird in der evang. Kirche selten gepredigt. Schon Martin Luther hat sich über diese „stroherne Epistel“ beschwert. Für uns heute kommt noch hinzu, daß wir diese Sprache des Jakobus eher als Zumutung verstehen. Eine Sprache, die uns das Verständnis zusätzlich erschwert. Worte wie „Sünde“, „Begierde“, „Anfechtung“ gehören in unserer Alltagssprache eher zu den verlorenen Begriffen, deren Sinn uns, weil sie moralisch einseitig belastet sind, fragwürdig geworden ist. Aber mit den Begriffen haben wir auch die Thematik verloren und unseren Glauben um eine wichtige menschliche Seins- und Erfahrungsebene ärmer gemacht. Davon etwas wieder zu gewinnen, kann der Predigttext uns bei allen Barrieren anleiten.
In meiner Auslegung möchte ich mich auf die Thematik der Anfechtung konzentrieren.
Beginnen wir mit der guten Nachricht.
1) Alles Gute kommt von oben
„Alle guten Gaben kommen von oben, von dem Vater des Lichtes“ - so will Jakobus von Gott sprechen und nicht anders. Von dem Gott, bei dem kein „Wechsel zwischen Licht und Finsternis“ ist. Also nicht von einem Gott, bei dem wir nicht genau wissen, woran wir sind, keinem launenhaften Gott, wie die Götter der alten Griechen, nicht von einem manchmal guten und manchmal bösen Gott. Sondern eindeutig, ganz eindeutig klingt es aus den Worten des Predigttextes heraus: Bei Gott gibt es keine Veränderung, kein Zu- und Abnehmen des Lichtes und auch keine Verfinsterung (V.17).
Gottes Liebe und Treue halten sich also durch in unerschütterlicher Beständigkeit, und die Zielstrebigkeit, in der Gott das Heil des einzelnen und der Welt verfolgt, kennt keine Ermüdung und keine Resignation.
Von diesem Gott ist unser Text bewegt, leidenschaftlich bewegt und geprägt. Wenn wir diesen Gott verkündigten und an ihn glauben lernten, dann gäbe es kein verbogenes und neurotisches Christsein, keine Vergiftungen unserer Kinder mit einem finsteren, launischen und strafenden Gott.
Nur, klingt dies nicht fast zu schön, um wahr zu sein? „Jakobus“ möchten wir ihm entgegenrufen, „unser Leben ist anders.“ Da gibt es nicht nur gutes, sondern auch Schmerzen und Not. Und es fällt uns dann schwer, Gottes Stimme zu hören. Es ist dann eher so, daß wir sein Schweigen und seine Verborgenheit vor uns erfahren.
‚Deine seelsorgerliche Rede‘, Jakobus, ‚von Gottes Güte und seinen Wohltaten an uns, sie hilft uns nicht gegen unsere Zweifel und negativen Erfahrungen‘.
Deshalb gilt als zweites:
2) Das Leben ist anders - die Anfechtung im Glauben
Unser Leben ist tatsächlich anders. Wir sollten die dunklen Seiten dieses Lebens nicht verdrängen. Und wir sollten sie uns genauso wenig schönreden lassen. Wenn wir auf die Worte von Jakobus hören, dann gilt es einem doppelten Missverständnis zu wehren.
Der Glaube an Gott bedeutet nicht automatisch Glück, Wohlergehen und Harmonie. Das Leben der Gläubigen enthält Krisen und Konflikte genauso wie das Leben von Ungläubigen. Weil Glaubende in sich das Bild einer anderen Welt haben, das Bild von Gottes guter Schöpfung, darum ist ihr Blick auf die Lebensverhältnisse scharf ausgeprägt. Krisen und Konflikte sind nicht nur Konflikte der äußeren Welt, sondern sie bedeuten auch eine Infragestellung der guten Ordnung Gottes für diese Welt. Gläubige Menschen sind daher eher angefochten von den Problemen und Nöten in dieser Welt.
In der ersten seiner großen Invokavit - Predigten von 1522 hat Martin Luther diesen Sachverhalt so beschrieben:
„Zum vierten ist uns auch die Geduld nötig. Denn wer den Glauben hat, Gott vertraut und seinem Nächsten die Liebe erweist, in der er sich täglich übt, der kann ja nicht ohne Verfolgungen sein, denn der Teufel schläft nicht, sondern macht ihm genug zu schaffen; aber die Geduld bewirkt und bringt Hoffnung, welche sich frei ergibt und sich zu Gott aufschwingt. So nimmt durch viel Anfechtung und Anstöße der Glaube immer zu und wird von Tag zu Tag gestärkt.“ [ 1, S. 272, ]
Anfechtung, so wie Luther hier von ihr redet, setzt Glauben voraus. Glauben, der bestritten, angefochten, infrage gestellt wird. Gott ist nicht eindeutig, nicht beweisbar in unserem Leben. Darum können alle unsere Erfahrungen, die gegen Gottes Existenz gerichtet sind, zur Anfechtung, zur Bestreitung Gottes werden. Der Glaube ist strittig in der Welt, genauso wie Gott selber in der Welt strittig ist.
Darum spricht der einleitende Vers unseres Predigttextes von den Versuchungen, dem auf die Probe stellen. „12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.“ (V. 12)
Christen leben in Konflikten und Krisen. Sie verlassen sich auf Gottes Güte und deshalb erkennen sie besonders scharf das der Güte Entgegenstehende innerhalb und außerhalb ihrer selbst. Nicht Harmonie und Glück sind die Kennzeichen des Glaubens, sondern Standhaftigkeit, Mut und Courage gegen die widerstreitenden Erfahrungen des Lebens.
Anfechtungen gehören zum Glauben hinzu. Ganz nüchtern stellt dies Jakobus fest, ohne jede Tabuisierung. Sie sind gewissermaßen die Schattenseite des Lebens und des Glaubens. Sie gehören dazu, und doch drohen sie unseren Glauben zu zerstören. Das macht ihre eigenartige Ambivalenz aus. Man sucht sich diese Anfechtungen nicht selber aus, sondern wird in sie hineingestellt.
Wer es mit Gott versucht, der wird versucht. Und wer seinen Weg ins Leben sucht, auch wer ihn mit Gott sucht, der verläuft, versucht sich immer wieder, und er wird versucht. Aktiv und passiv gehen eine eigenartig schillernde Mischung ein. Daß dem so ist, hat mit unserem Menschsein zu tun, mit der Spannung von Vertrauen und Mißtrauen, von Glaube und Zweifel. Aber was haben Anfechtungen mit Gott zu tun?
'Nichts', sagt Jakobus klipp und klar. „Gott kann nicht zum Bösen verführt werden und er selbst verführt keinen (zum Bösen).“ (V. 13)
Jakobus tritt entschieden der Versuchung entgegen, die Anfechtungen ausschließlich auf Gott abzuschieben und so sich selbst zu entschuldigen und entschulden wollen, als wäre alles, was in der Welt passiert von Gott gewirkt und verursacht.
Allerdings finde ich diese Antwort nicht sehr überzeugend. Denn Gott selbst hält sich nicht heraus aus dem verwickelten Geschehen in unserer Welt, weder aktiv noch passiv. Paulus formuliert diesen Sachverhalt darum auch etwas realitätsnäher. Im 1. Korintherbrief sagt er: „Gott lässt euch nicht versuchen über euer Vermögen...“ (10,13). Das ist ja gerade das Schreckliche an der Anfechtung, dass man nicht mehr weiß, ob man es mit Gott oder dem Teufel, mit dem Gott der Verheißung oder dem Deus absconditus, dem verborgenen Gott zu tun hat.
Martin Luther, der diese Anfechtungen selber zur Genüge kannte und dem vermutlich dieses verzweifelte Fragen nach Gott zur Triebfeder seines theologischen Forschens geworden ist, er hat einmal dem Menschen in der Anfechtung einen sehr klugen und seelsorgerlich sehr sinnvollen Ratschlag gegeben. Luther schrieb: „In allem Leiden und aller Anfechtung soll der Mensch zu allererst zu Gott laufen und er soll seine Anfechtung erkennen, als sei sie ihm von Gott zugeschickt, auch wenn sie vom Teufel oder vom Menschen komme. .... Auf diese Weise lernt er Geduld und Gottesfurcht. Wer sich selber ansieht und sich nicht von Gott annimmt, der wird ungeduldig und Gottes Verächter.“ (Auslegung der Bußpsalmen, zu Psalm 6, 1517, WA 1, 159, 16ff)
Die Anfechtung, so meint Luther sehr weise, soll also zu aller erst vor Gott gebracht werden und dort als von Gott 'zugeschickt' angenommen werden, nicht weil Gott anficht oder Verursacher dieser Anfechtung ist, sondern weil keine Anfechtung außerhalb Gottes ist. Nicht als der Verursacher der Anfechtung kommt Gott ins Spiel, sondern als das Gegenüber, vor dem die Anfechtung klagend zur Sprache gebracht werden kann, von dem sie angenommen werden kann und vor dem die Standhaftigkeit und Geduld gegen die Anfechtung wächst.
Ein weiser Ratschlag, den nur jemand zu geben vermag, der selber erfahren hat, wovon er spricht. Keine Anfechtung ist außerhalb Gottes, egal vom wem sie kommt und wie schwer sie wiegt. Keine Anfechtung ist außerhalb Gottes, und darum ist sie auch nicht größer und stärker als Gott. Keine Anfechtung ist außerhalb Gottes, darum bleiben auch Gottes Verheißungen gültig. Auch die dunkelste Gottverlassenheit trennt nicht endgültig von Gott, sondern bleibt von Gott umschlossen. Dies erfahren in ganz unterschiedlicher Weise Abraham und Hiob. Und beide haben in der Anfechtung ihre Anklage gegen Gott gerichtet und um eine Antwort gerungen. In diesem Ringen ist auch die Geduld enthalten, von der Luther spricht. Nur wer ungeduldig ist, verliert Gott und wird zum Gottesverächter.
In dieser Geduld bekommen wir freilich keinen Hinweis nach dem „Warum“ des Leidens und der Widrigkeiten. Diese Frage hat ihren Platz in der Anklage gegen Gott, aber ohne Aussicht auf eine erschöpfende Antwort. Die Frage nach dem „Warum“ muss in der Klage offen gehalten werden.
Jeder menschliche Versuch einer Antwort oder einer Erklärung verbietet sich da. Es ist ja gerade das Kennzeichen der Anfechtung, dass sie „Sinn-los“ ist. Darum sollten wir nicht nach irgendeinem Sinn in ihr suchen, ihr auch keine Absicht und keine Funktion zuweisen. Weder ist das Leiden eine pädagogische Unternehmung Gottes, wie es die Freunde Hiobs verstehen, noch steckt in irgendeinem Krieg oder in irgendeiner Krankheit eine versteckte Absicht Gottes, mit der Menschen für ihre Vergehen bestrafen will.
Leiden hat keinen Sinn, auch keinen höheren, von Gott kommenden Sinn. Aber dem mit seinem Leiden zu Gott laufenden Menschen erwächst neue Kraft, auch wenn er nicht weiß, warum er leidet. Es erwächst ihm neue Kraft, weil er sich ganz auf den Lebenswillen Gottes ausrichtet.
Wer sich von diesem Lebenswillen Gottes getragen weiß, der erfährt vielleicht auch ein anderes: die Bewährung – durch die Bewahrung Gottes. Ich möchte damit nicht einer Leidensmystik das Wort reden, wie wir sie von Meister Eckart oder auch von anderen aus der Neuzeit kennen. Keiner soll das Leiden suchen oder über solche Erfahrungen glücklich sein. Ihr Ausgang ist allemal ungewiß. Aber wer der Anfechtung standgehalten hat, sich bewährt und von Gott bewahrt wurde, der darf dankbar sein, und vielleicht darf er sich auch selig nennen.
Daß jemand gereift aus der Anfechtung hervorgeht, davon erzählt die Bibel und das erleben wir auch immer wieder im Leben; in unserem eigenen, oder bei Menschen, die solches durchgemacht haben. Kein christliches oder ethisches Heroentum soll damit beschrieben werden. Aber durchgestandene Versuchungen und Anfechtungen machen stärker im Leben und im Glauben.
In diesem Sinne sagt unser Predigttext: „12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat.“
Amen
Lied nach der Predigt: EG 351, 1-3+5: Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich
Link zur Online-Bibel
„Wir dürfen menschlich sein!“ - Predigt zu Jakobus 1,12-18 von Reiner Kalmbach
„Wir dürfen menschlich sein!“
Wie gut, dass Martin Luther nicht an der Zusammenstellung des Neuen Testaments mitgewirkt hat. Dann wüssten wir wahrscheinlich nichts von der Existenz des Jakobusbriefes. Denn Luther hielt nicht sehr viel von diesem Brief und seines Inhalts. Er hielt ihn für eine „stroherne Epistel“, die das Gnadenhandeln Gottes ignoriere und stattdessen grossen Wert auf die menschlichen Werke lege.
Um das Wohlwollen Gottes zu erlangen, müssen wir mühevoll die steile Leiter erklimmen, und oben angekommen, zeigen wir dann die ganze Liste unserer „guten Werke“, „...siehst Du, lieber Gott, ich habs verdient, nun mach schon die Tür auf...!“, so, oder ähnlich, hat die Kirche es den Menschen jahrhundertelang gepredigt..., bis dann Martin Luther kam und die Gnadenbotschaft des Apostels Paulus (wieder)entdeckte. Die steht, dem Anschein nach, nämlich ganz im Gegensatz zu unserem Jakobus. Das Studium der Schriften des Paulus führte bei Luther zu einer tiefen Glaubenserfahrung, und die wiederum gab den Anstoss zur Reformation: endlich war er von den Fesseln des Gesetzes befreit, ja erlöst. Unser Handeln, die guten Werke, nicht als Eintrittsbedingung für das Paradies, sondern als eine Frucht, eine Konsequenz des Glaubens, der von Luther als ein Geschenk (Gnade) Gottes erfahren wurde.
Aber ob es uns (Lutheranern) nun gefällt, oder nicht, der Brief des Jakobus ist Teil des Neuen Testaments. Und selbst Luther musste schliesslich die Epistel „...doch für gut...“ halten, auch er, der grosse Reformator, konnte sich irren und dazu stehen, was ihn ehrt...
Ein guter Freund und Theologe sagte einmal: „...wenn man sich lange genug von Paulus ernährt hat, dann tut einem Jakobus richtig gut...“
Und es ist ja wahr: in unseren evangelischen Gottesdiensten wird die Gnade Gottes praktisch jeden Sonntag verkündet und der Apostel Paulus ist uns durch seine Briefe ein guter Bekannter. Also wollen wir heute hören, was der einst so umstrittene Jakobus uns zu sagen hat.
Wir hören aus dem 1. Kapitel die Verse 12 bis 18
Textlesung
Es menschelt sehr...
Was ist eine Versuchung?, sie ist auf jeden Fall etwas sehr attraktives, etwas, das mir den Kopf, die Sinne verdreht...und manchmal sogar aus der Bahn wirft. In meinem langen Leben als Seelsorger habe ich es nicht selten erlebt, wie Menschen sich aus den Fallstricken der Versuchung nicht mehr befreien konnten. Man muss nicht unbedingt die Klatschspalten diverser Zeitschriften durchblättern, um zu erfahren, welche Macht das Geld auf einen Menschen ausüben kann. Bei uns in Argentinien ist diese Gier nach Geld noch mit dem Hunger nach politischer Macht gepaart. Ein junger Mann, intelligent, durch familiäre Schicksalsschläge schon früh selbständig geworden und für viele seiner Mitmenschen „vielversprechend“, lässt sich von einem wichtigen Lokalpolitiker „anwerben“. In einem Gespräch sagte er mir: „...so komme ich am schnellsten zum Ziel...“ In meinen Gedanken fragte ich mich „welches Ziel denn...?“, trachtet er etwa danach, zu jenen aufzusteigen, die sich die Taschen mit dem Geld anderer füllen? Die Korruption „frisst“ in unserem Land fast ein Drittel des Staatshaushaltes, Geld das zum Bau von Strassen, Schulen und Krankenhäusern fehlt. Minister, Staatssekretäre, Funktionäre aller Ränge, von ganz oben bis ganz nach unten, deren Vermögen sich in wenigen Jahren auf wunderbare Weise hundertfach vermehrt.
Und dann reise ich nach Deutschland, in die „Heimat“, und sehe diesen unglaublichen Überfluss und selbst die Armen, die es ja auch gibt, würden hier in Lateinamerika zur unteren Mittelschicht gehören. Und man sieht es überall, auch in den Gemeinden: mit Geld kann man (fast) alles erreichen. Mal ganz ehrlich: unser Leben wird vom Geld bestimmt. Wir können es abstreiten, wir können es versuchen zu rechtfertigen, aber an der Tatsache ändern wir nichts: dem Wohlstand, immer und immer höher gedreht, wie eine Spirale, werden Werte geopfert die so alt sind wie die Menschheit selbst. Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Verzicht, Geradlinigkeit, bedingungslose Sorge und Einsatz für den Nächsten.
Dann bin ich wieder hier, umgeben von Korruption, Gewalt und sinnloser Armut. Und an der nächsten Strassenecke werde ich angepredigt: „hör auf zu leiden!, komm zu uns!, Jesus wird alle deine Probleme lösen...“ Natürlich füllen sich die Säle dieser Gruppen, klar, dass sie ungeheuren Zulauf haben. Es ist kaum zu glauben, aber diese „Kirchen“ bekennen sich dazu ein „Wohlstandsevangelium“ zu verkünden. Materieller Wohlstand gleich Segen, Armut gleich Fluch..., so einfach ist das. Wer möchte da nicht auf der richtigen Seite stehen...?!
In unserer Gemeinde arbeiten wir mit Jugendlichen die aus einem schwierigen Umfeld kommen. Oft handelt es sich um Familien in denen seit Generationen niemand einer geregelten Arbeit nachgeht, nicht selten sind sie von staatlicher Unterstützung abhängig. In ganz kleinen Schritten versuchen wir den jungen Menschen positive Werte nahezubringen, damit sie in der Lage sind Verantwortung zu übernehmen, für sich selbst und für andere. Wir geben ihnen zu verstehen, dass es sich lohnt, Durststrecken durchzustehen, dass Schule abbrechen, um ans schnelle Geld zu kommen, eben nicht die Lösung ist. Da es hier keine Lehre gibt die man absolvieren könnte, wäre ein Universitätsabschluss das Sprungbrett zu einem neuen Leben. Aber nur in ganz seltenen Fällen gelingt uns dies. Die Verlockungen der Konsumgesellschaft sind stärker. Man strebt nicht nach einer besseren Lebensqualität, denn man weiss ja gar nicht, was das ist, sondern man gibt den Versuchungen des schnellen Geldes nach, selbst wenn dies für die Zukunft eine Art Sklavendasein bedeutet.
Die Versuchung ist eine ständige Begleiterin, sie gehört zum Leben, sie ist ein Teil des Lebens. Welche Eltern sorgen sich nicht um die Zukunft ihrer Kinder?, sie investieren Zeit, Geduld, Liebe, Geld in die Erziehung, um sie damit in die Lage zu versetzen den eingeschlagenen (guten) Weg alleine fortzusetzen. Und doch: die Sorge bleibt, Sorge genährt aus eigener Erfahrung und weil man eben weiss, das die Versuchung stets am Wegesrand lauert.
...auch Christen menscheln...
was für die Welt im Allgemeinen gilt, betrifft uns Christen im Besonderen: auch wir werden versucht. Jesu Versuchung in der Wüste dürfte wohl das „populärste“ Beispiel sein. Schon als Kind versuchte ich mir die Situation vorzustellen: „...bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Wäre das nicht das Ende allen Hungers in der Welt?, aller Armut, des Elends...?, wäre damit nicht vielen Konflikten der Boden entzogen...?, das Ende aller sozialen Unterschiede...?, was wäre daran falsch?
Als Christen wissen wir, oder sollten es wissen, dass Jesus dieser übermächtigen Versuchung widerstand und gerade deshalb das wohl wertvollste Gut, das einem Menschen geschenkt werden kann, gewonnen hat: die Freiheit!
Und darum geht es: die Versuchung hat nur ein Ziel: uns der Freiheit zu berauben, Freiheit des Gewissens, Freiheit ohne Angst, ohne Druck entscheiden zu können, Freiheit nein sagen zu können, Freiheit Fehler einzugestehen, um Vergebung zu bitten, Vergebung zu leben.
Der Autor des Briefes, manche meinen, es handelt sich um den „Herrnbruder“, also dem Bruder Jesu, will uns keine Moralpredigt halten. Es geht ihm nicht um „Angstmache“, so nach dem Motto „wenn ihr nicht..., dann...!“ Jakobus weiss, dass die Versuchung Teil des Lebens ist, auch des christlichen Lebens!, ja vielleicht könnte man sogar sagen: gerade des christlichen Lebens.
Wenn ich mein eigenes Leben betrachte, mein Glaubensleben, dann frage ich mich: gibt es Glaube ohne Anfechtung? Immer wieder staune ich über das „Selbstbewusstsein“ der Anhänger der neuen Kirchen und Sekten, für die alles klar zu sein scheint: du stehst entweder auf unserer Seite...und bist gerettet, d.h. du stehst jenseits des Kreuzes, es betrifft dich nicht mehr..., oder du stehst auf der anderen Seite und bist draussen. Zweifel, Anfechtungen, kann es nicht geben, denn diese sind vom Teufel. Bei einem solchen „Glauben“ bedarf es im Grunde des Wortes Gottes nicht mehr, es ist doch alles klar!
Nein, dann doch lieber mit Luther, der an seinen Zweifeln beinahe zerbrochen ist und der sich, am Ende seiner Kräfte, in die Arme Gottes fallen lassen konnte. Glaube ohne Zweifel, ohne Anfechtung gibt es nicht!, denn der Glaube wächst an den Zweifeln. Diese Erfahrung macht wohl jeder der sich seines Glaubens bewusst ist.
Mensch und Christ: geborgen in Gottes Hand
Unser Abschnitt ist eingebettet in ein Trost - und Verheissungswort. Wir sind als Christen in erster Linie Menschen und als solche den Versuchungen dieser Welt ausgesetzt. Wir wissen dies, wir sind uns dessen bewusst. Wir können und sollen! uns nicht aus dieser Welt zurückziehen, uns heraushalten, damit wir uns die Hände nicht schmutzig machen..., ganz im Gegenteil! Es ist eben diese christliche Freiheit die es mir möglich macht, die mich treibt..., mich ins „Getümmel“ zu stürzen, dem „Rad der Geschichte in die Speichen zu greifen...“, wie Bonhoeffer es formuliert hat. Dabei kann es passieren, dass ich schuldig werde, dass mein Gewissen belastet wird. Und oft genug muss ich meine ganze Kraft aufwenden, um standhaft zu bleiben. Vor vielen Jahren war ich für eine sehr arme Gemeinde im Nordosten Argentiniens zuständig. Wir hatten nur eine kleine und halbzerfallene Holzkapelle. Dann kam die Wahlkampagne. Einer der Mitglieder des Vorstandes kam mit einer tollen Idee: eine politische Partei versprach uns die Mittel für den Bau einer neuen und grösseren Kirche..., natürlich nur im Falle ihres Wahlsieges. In der Sitzung ging es hin und her. Wer könnte es diesen armen Bauern übel nehmen?, sie haben sich eine neue Kirche, weiss Gott, „verdient“. Ich sagte nichts, war aber hin und hergerissen, die Versuchung war gross..., und es wäre ja für einen guten Zweck...(versuchte ich mir einzureden...). Dann bat einer der ältesten Mitglieder um das Wort: „...lieber arm bleiben, als in die Fänge der Politiker zu geraten...“. Das war unsere Versuchung in der Wüste.
Mensch und Christ, und als solcher geborgen in Seiner guten Hand. Die Versuchung ist so wirklich, wie die Verheissung des Reiches Gottes wirklich ist.
Amen.
Link zur Online-Bibel
Begierde und Versuchung oder Lebenslust und Glaube - Predigt zu Jakobus 1,12-18 von Christoph Maier
Begierde und Versuchung oder Lebenslust und Glaube
Liebe Gemeinde,
„Versuchung du bist grell geschminkt,
verwegen lächelst du mich an,
und wenn´s dir erst einmal gelingt,
dass mich´s zum Widerlächeln bringt,
dann bin ich dran.
Oh, wärst du nicht so schön,
es wär so leicht, dir zu widerstehn.“
Seit gut drei Wochen probt der Chor jetzt an dem Josefmusical von Jürgen Werth. Einmal im Jahr finden sich junge Menschen zu einem Musikprojekt zusammen, ob sie dem Glauben nahe stehen oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Allerdings reizt der biblische Stoff, der in den Vertonungen zum Klingen kommt regelmäßig zum Gespräch und sorgt im Anschluss an die Proben immer wieder für angeregte Diskussionen. So auch an diesem Abend:
„Die muss ja hübsch gewesen sein, die Frau vom Pharao, dass der Josef so in Versuchung gekommen ist.“
„Und zielstrebig dazu. Die wollte den Burschen unbedingt vernaschen.“
„Also ich hätte da wahrscheinlich gar nichts dagegen gehabt. Ihr Christen seid da echt verspannt. Der Josef war doch solo, da ist doch gegen ein kleines Abenteuer nichts einzuwenden. Ich finde, ihr holt da viel zu schnell die große Sündenkeule aus der Tasche. Versuchung! Versuchung überall! - nur keinen Spaß haben im Leben. Das geht mir echt auf die Nerven.“
„Wir vertreten halt klare Werte und haben unsere Prinzipien. Das würde dir auch gut stehen, Klaus. Versuchs doch zur Abwechslung mal mit Treue!“
„Lass gut sein, Vera. Klaus hat ja irgendwie auch recht. Wer nicht irgendwann einmal auch in die Nähe der Versuchung kommt, hat nicht gelebt. Wer sich immer ängstlich aus allem raus hält, weil hinter jedem Baum die Sünde lauert, kann sich gleich auf dem Sofa zu Hause einsalzen lassen. Hat nicht Luther mal gesagt: Sündige tapfer?“
„Mag schon sein, dass Versuchung auch was mit Abenteuer und Lebenslust zu tun hat. Aber ich denke, in der Geschichte von Josef steckt noch mehr dahinter. Es geht doch nicht darum, ob ich mal ´ne Schokolade mehr oder weniger esse, oder ob ich mich mit Keuschheitsgelübde, Armut und Enthaltsamkeit selbst kasteie und dann schwach werde. Ich glaube, im Kern geht es nicht um Moral oder Gebote, sonder um Vertrauen. Der Pharao hat Josef doch vertraut und Josef hat Gott vertraut, dass er auf dem richtigen Weg ist, auch in der fremden Umgebung.“
„Stimmt, du hast recht. Vielleicht sollte man wirklich nur dann von Versuchung sprechen, wenn es ums Ganze geht. Um unsere Lebenshaltung, unser Vertrauen auf Gott, unseren Glauben.“
Begierde und Versuchung oder Lebenslust und Glaube? Hören wird den heutigen Predigttext aus dem Brief des Jakobus im 1. Kapitel:
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.
Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.
Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.
Irrt euch nicht, meine lieben Brüder.
Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.
Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.
Als müsste das Mal klargestellt werden: Gott führt nicht in Versuchung. Immer wieder hören wir in der Bibel die Verheißung, dass Gott mit uns geht, uns führt und uns mit seiner Gegenwart segnend begleitet. [So haben wünschen Sie sich das, liebe Eltern, ja auch für M. Der Taufspruch, den Sie ausgewählt haben, macht das deutlich: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir und will dich segnen.“ (Gen 26,24b)
Wer sich Gottes seiner Führung anvertraut, dem ist Segen verheißen und nicht Anfechtung und Versuchung. „Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde.“(V. 13)]
Und trotzdem wird sich der aufmerksame Bibelleser an dieser Stelle über Jakobus wundern. Wenn man die Bibel liest, finden sich neben den zahlreichen Segensgeschichten auch ebenso zahlreiche Versuchungsgeschichten. Es scheint fast so, dass Glaubensgeschichte und Versuchungsgeschichten eng miteinander verknüpft sind. Jesus wird genauso wie das Volk Israel in der Wüste versucht. Abraham soll seinen Sohn opfern, den Einzigen, dem der Segen Gottes verheißen war. Im 22. Kapitel des 1. Mosebuches heißt es im ausdrücklichen Widerspruch zum Jakobusbrief: „Gott versuchte Abraham“. Und schließlich beten wir im bekanntesten Gebet der Christen immer auch: „… und führe uns nicht in Versuchung?“
Hier ergibt sich eine Spannung, die es sich lohnt anzuschauen, denn wo Spannungen sind, wird es spannend. Beim zweiten Blick auf den Predigttext des Jakobusbriefes fällt mir auf, dass schon der Texte selbst eine gewisse Spannung in sich birgt. Da ist die Versuchung einerseits ein tödliches Spiel mit der Sünde andererseits Grund zur Seligpreisung: „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet“, - der ihr über bleibt (upomenei). Noch deutlicher ist Jakobus gleich zu Anfang seines Briefes. Dort heißt es im 2. Vers: „Meine lieben Brüder, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallt“.
Martin Luther hat hier in unserer deutschen Übersetzung versucht, diese Spannung etwas abzubauen. Immer dort, wo Jakobus im positiven Sinn von der Bewährung in der Versuchung spricht, verwendet Luther in seiner Übersetzung das Wort „Anfechtung“. Aber dort, wo die negativen Folgen aufgezählt werden, übersetzt er mit Versuchung. Im griechischen Text ist aber an beiden Stellen dieselbe Wortgruppe verwendet – peirasmos die Versuchung, von der auch im Alten Testament berichtet wird und die auch im Vaterunser vorkommt.
Sollen wir uns nun über die Versuchung freuen, weil sie - wenn wir sie bestehen - Geduld und Seligkeit bewirkt, oder sollen wir uns vor ihr in acht nehmen, weil sie Sünde und Tod bewirkt? Irgendwo in der Spannung zwischen unserer irdischen Begierde - die nach Jakobus den Tod gebiert - und unserer himmlischen Neuerschaffung in der Taufe: „nach Gottes Willen durch das Wort der Wahrheit“ - wie Jakobus später weiter schreibt - entspannt sich die Möglichkeit der Bewährung.
Versuchung, Lebenslust, Glaube und Anfechtung. Irgendwo hier dazwischen läuft der Grat, auf dem wir in unserem Leben im Vertrauen auf Gottes Führung leben.
Gottesvertrauen schließt Lebenslust keinesfalls aus. Jedoch sind Lust und Gier enge Nachbarn. Gier aber führt in die Versuchung und Versuchung gefährdet Glauben.
Wer die Versuchung vermeiden will, der will es vermeiden zu leben. Und doch gebiert die Versuchung den Tod.
Bewährung! Das ist der Perspektivwechsel, zu dem uns Jakobus einlädt. Bewährung mit diesem Blickwinkel können wir vertrauensvoll auf die Versuchungen des Lebens blicken und die Klippe zwischen Versuchung und Lebenslust, zwischen Glaube und Anfechtung meistern. Nicht der lähmende Blick des Kaninchens auf die Schlange, sondern der vertrauensvolle Blick der Getauften auf das, was uns das Leben zu bieten hat, dazu ermutigt uns Jakobus.
Pecca fortiter: „Sei ein Sünder und sündige kräftig, aber vertraue noch stärker und freue dich in Christus, welcher der Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt!“ (Martin Luther)[i]
Bewährung in der Versuchung bedeutet, um noch einmal mit Luther zu sprechen in die Taufe kriechen. Unsere Begierden, die Versuchung bewährt sich dann, wenn wir spüren, wie uns die Versuchung als Lebenslust und Lebenskraft auf Gott verweist, wie wir durch die Versuchung in eine tiefere Beziehung zu ihm geworfen werden. Das können wir erfahren, wenn wir unseren Versuchungen begegnen, wenn wir sie nicht leugnen, sondern für wahr nehmen und vor ihr und mit ihr und in ihr in unsere Taufe kriechen.
Die Passionszeit ist eine gute Zeit, um sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Sich einmal zu fragen: Was macht eigentlich die Versuchung bei mir aus. Sich einmal in dieses Spannungsfeld der eigenen Begierden hineinzubegeben und zu spüren welche Kräfte auf der einen, wie auf der anderen Seite wirken. Viele tun das ja in der Fastenzeit, indem sie ganz bewusst auf etwas verzichten, sich den eigenen Begierden stellen und versuchen, für 40 Tage Herr über sie zu sein. Der eigentliche Sinn des Fastens ist ja weder der, dass man den Winterspeck abhungert, noch sich selbst die Lebenslust zu verbieten. Fasten in der Passionszeit als religiöse Übung soll erfahrbar machen, wie wir im Vertrauen auf Gott, den eigenen Begierden und Begehrlichkeiten die Stirn bieten können. Die Passionszeit soll uns helfen einzuüben, wie das geht, im Gebet in die Taufe zu kriechen, in der Anfechtung auf Christus und seine Anfechtung zu schauen. Die Bewährung seiner Anfechtung, die Auferstehung, gilt in der Taufe auch mir.
1943 verfasst Dietrich Bonhoeffer in dem Essay „Nach zehn Jahren“ ein Glaubensbekenntnis, das eindrucksvoll von Bewährung, vom vertrauensvollen Blick auf Gott in schwierigen Zeiten voller Anfechtung, spricht. Eberhard Bethge stellt es der Sammlung von Briefen Bonhoeffers aus dem Gefängnis voran und macht diesen Text damit auch zum Zeugnis für die Glaubensgewissheit eines Menschen, der überzeugt war, „dass Gott kein zeitloses Fatum ist“, der Versuchung und Prüfung oder Glück und Segen blind über uns schüttet, sondern dass Gott auf unsere „aufrichtigen Gebete und verantwortlichen Taten wartet und antwortet.“[ii]
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
soviel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.
Amen
[i] Martin Luther in einen Brief an Philipp Melanchthon vom August 1521 zitiert nach Wikipedia: http://de.wikipedia.org/?title=Liste_lateinischer_Phrasen/P#Pecca
[ii] D. Bonhoeffer: Nach zehn Jahren. In: Widerstand und Ergebung. Hrsg von Eberhard Bethge. Kaiser Taschenbücher, 16. Aufl. 1997, S.19.