Es liegt an uns - Predigt zu Lk 13,10-17 von Barbara Bockentin
Immer am Sabbat lehrte Jesus in einer der Synagogen. Und sieh doch: da war eine Frau. Seit achtzehn Jahren wurde sie von einem Geist geplagt, der sie krank machte. Sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Als Jesus sie sah, rief er sie zu sich. Er sagte zu ihr: „Frau, du bist von deiner Krankheit befreit!“ Und er legte ihr die Hände auf. Sofort richtete sie sich auf und lobte Gott.
Aber der Leiter der Synagoge ärgerte sich darüber, dass Jesu die Frau an einem Sabbat geheilt hatte. Deshalb sagte er zu der Volksmenge: „Es gibt sechs Tage, die zum Arbeiten da sind. Also kommt an einem dieser Tage, um euch heilen zu lassen – und nicht am Sabbat!“ Doch der Herr sagte zu ihm: „Ihr Scheinheiligen! Jeder von euch bindet am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Futterkrippe los und führt ihn zur Tränke. Aber diese Frau hier, die doch eine Tochter Abrahams ist, hielt der Satan gefesselt – sieh doch: achtzehn Jahre lang! Und sie darf am Sabbat nicht von dieser Fessel befreit werden?“ Als Jesus das sagte, schämten sich alle seine Gegner. Und die ganze Volksmenge freute sich über die wunderbaren Taten, die Jesus vollbrachte.
Es liegt an uns
I. Unsichtbar sichtbar – die Geschichte einer Namenlosen
Sie steht am Rand. Fast unsichtbar. Die Blicke der anderen gehen über sie hinweg. Trifft sie doch mal einer, versucht sie sich instinktiv noch kleiner zu machen. Über die Jahre ist es für sie eine Gewohnheit geworden. Eine, die sie sich nicht ausgesucht hat. Eine, die andere ihr zugeschrieben haben.
Das, was sie erlebt hat, haftet wie ein Makel an ihr. Sie kann es nicht abschütteln. Zu fest sitzt es. Unfrei fühlt sie sich.
Anfangs – wie lange ist das her? – da hat sie versucht, sich Gehör zu verschaffen. Doch niemand hat sie hören wollen. Dass ihr jemand Glauben schenkt, darauf hofft sie schon gar nicht mehr. Statt Zuspruch Widerspruch. Ihr Empfinden, ihre Erinnerungen, ihr Leid – all das zählt nichts.
Was sie sich erhofft: Gesehen und gehört werden. Gerechtigkeit.
Weshalb sie die Gemeinschaft nicht von sich aus verlässt? Die anderen sollen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Als ob nichts passiert sei. Als ob es sie nicht gäbe. Sie will weiter Stachel im Fleisch bei ihnen sein. Auch wenn es anstrengend ist. Viel Kraft kostet. So wie jetzt gerade: Sich am liebsten unsichtbar machen.
II. Gesehen – gerufen – Jesus greift ein
Einer sieht sie doch. Ruft sie in die Mitte. Sie muss sich einen Ruck geben. Es ist nicht so einfach. Sie geht in dem Vertrauen, ja mit welchem eigentlich? Sie hat gelernt, nichts zu erwarten. Er sieht sie und ruft sie zu sich. Sieht mehr, tiefer. Augen, die wie erloschen sind. Einen Mund, der verstummt ist. Er sieht sie. Voller Wärme und Zuneigung. Das erreicht sie. Als er sie berührt, kann sie zunächst ein Unbehagen nicht leugnen. Schließlich hat sie um nichts gebeten. Selbst ihn nicht. Natürlich hat sie von ihm gehört. Von seiner Macht zu heilen. Aus tiefstem Herzen wünscht sie das auch für sich. Trotzdem bleibt das Unbehagen.
Als ob sie etwas zurückhält. Als ob sie sich fürchtet. Vor dem, was sich ändern wird.
Gemeinsam mit seinen Worten verändert sie sich durch die Geste. Sie richtet sich auf. Zu voller Größe. Das erste Mal seit vielen Jahren. Wirbel für Wirbel. Langsam. Überrascht. Nicht nur ihr Körper, auch ihr Herz wird frei.
Sie macht einen Schritt. Dann noch einen. Geht voran. In der Hoffnung, nicht allein zu bleiben. Sie macht sich selbst Mut. Jetzt muss sich doch etwas ändern. Kann sie jetzt sagen, was geschehen ist? Was sie zu der gemacht hat, die sie heute ist? Wie sie das Verhalten der anderen empfunden hat?
III. Hinsehen und handeln – so fängt Veränderung an
Jesus fragt nicht. Er handelt. Zunächst. Damit stellt er sich an ihre Seite. Wehrt Angriffe ab. Lässt nicht gelten, was gesagt wird. Rückt zurecht. Macht unmissverständlich klar, dass alles getan werden muss, was dem Leben dient. Erinnert daran. Macht damit möglich, dass die anderen das auch sehen. Dem zustimmen können. Veränderung ist angesagt. Veränderung, die der Menschenliebe Gottes Rechnung trägt. Nichts anderes muss folgen.
Ja, sie wird stärker. Und wir? Trauen wir uns. Trauen uns hinzusehen. Ergreifen Partei, wo immer es nötig ist. Erinnern auch dann, wenn es unbequem wird. Vergessen die nicht, die gern im Dunkel gelassen werden. Trauen wir uns zu handeln. Ziehen wir Konsequenzen, wann immer sie nötig sind. Belassen wir es nicht nur bei Worten.
Jesus hat es getan. So fängt es an und zieht Kreise, Gott sieht sie, sieht mich, sieht uns an. Sein Blick verändert.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Sommerferien liegen hinter uns. Der Alltag ist wieder eingekehrt. im Gottesdienst mischen sich die, die aus dem Urlaub zurückgekehrt sind, und die, die daheim geblieben sind. Die Gottesdienstbesucher*innen gehören zu verschiedenen Altersgruppen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Immer wieder beschäftige ich mich zurzeit mit den Ergebnissen der Forumstudie. Vor allem das Thema des „Dunkelfeldes“ lässt mich nicht los. Der Predigttext stellte schon beim ersten Lesen eine Brücke zu diesem Thema her. Betroffene zu sehen – zu ahnen, dass vielleicht Betroffene in der Gottesdienstgemeinde sitzen – hat mich herausgefordert.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich bin erschrocken, als mir aufgefallen ist, dass Jesus in dieser Geschichte übergriffig geworden ist. Einerseits. Andererseits: Ohne sein Eingreifen wäre die Frau nicht sichtbar geworden. Jesus handelt, weil er unter die Oberfläche sieht. Wahrnehmen, was da ist. Verborgen, im Dunkeln. Sich nicht täuschen lassen von dem, was sichtbar ist.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Meine Predigtcoach hat mich ermutigt, genauer zu werden. Deshalb konnte ich das Unbehagen der Frau besser beschreiben. Die Zielrichtung der Predigt auf uns, die wir lesen und hören, ist exakter formuliert.
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Der Ruf der Freiheit - Predigt zu Lk 15,1-3.11b-32 von Andreas Schwarz
1 Es nahten sich Jesus aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
11 Ein Mensch hatte zwei Söhne. 12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie. 13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. 14 Als er aber alles verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben 15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. 16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm. 17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich einem deiner Tagelöhner gleich! 20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. 22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße 23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. 25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen 26 und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre. 27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. 29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. 32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.
Der Ruf der Freiheit.
Ich muss raus. Raus aus der Geborgenheit.
Ich will lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.
Ich möchte mich ausprobieren, eigene Wege gehen, ohne zu wissen, wohin mich das führt.
Und ob ich ankomme, wo ich will, oder ganz woanders hingeführt werde, das Risiko gehe ich ein.
Ich möchte gehen, ohne jemandem sagen zu müssen, wohin
oder wann ich nachhause komme.
Wenn ich nachts nachhause komme, möchte ich niemanden wecken und ich möchte auch nicht gefragt werden, wo ich war und warum ich erst jetzt komme.
Ich möchte nicht, dass jemand sich Sorgen macht.
Ich will Freiheit erleben, wie ich sie mir wünsche.
Ich möchte selbst überlegen und entscheiden.
Ich bin bereit, die Konsequenzen meines Tuns zu tragen.
Der Vater kritisiert das Verhalten des Sohnes nicht.
Kein mahnendes Wort, dass der sich auszahlen lässt.
Es steht ihm zu. Er ist der Jüngere. Den Hof des Vaters bekommt er später ohnehin nicht. Er erhält, was ihm zusteht, und verliert damit jeglichen Erbanspruch.
Mehrere Familien kann der Hof sowieso nicht ernähren.
Der Jüngere ist genötigt, sich anderswo den Lebensunterhalt zu verdienen.
Der Vater lässt seinen jüngeren Sohn gehen.
Ohne ein böses Wort.
Ohne ihm ein schlechtes Gewissen zu machen.
Ohne Ratschläge und Verhaltensmaßregeln.
Mit ganz viel Vertrauen und viel Hoffnung, sicher.
Und es ist gut, dass die Eltern nicht alles wissen, was geschieht.
Wie der Sohn sein Leben führt und wie es ihm ergeht.
Dass er sein Erbteil verschleudert.
Dass eine Wirtschaftskrise ausbricht, Menschen Hunger leiden.
Dass er in der schweren Zeit nicht arbeiten und seinen Lebensunterhalt verdienen kann.
Dass es bergab mit ihm geht, in jeder Hinsicht.
Gut, dass sie nicht wissen, was noch alles kommt.
Er verliert alles, was für ihn wichtig war, was sein Leben bestimmt hat:
sein Erbe hat er verschleudert, seine religiösen Grundlagen gehen vor die Hunde, oder besser: zu den Schweinen,
und für sein Leben gibt es keine Sicherheit mehr.
Er ist am Ende. Das ist eine entwürdigende Situation.
Gut, dass die Eltern all das nicht wissen.
Und du, Sohn?
Selbst fühlst du dich keineswegs wohl dabei, du kannst dich selbst nicht mehr riechen, wenn du bei den Schweinen lebst. Du würdest Schweinefraß fressen, wenn du dürftest, aber nicht einmal das ist erlaubt. Tiefer geht es nicht mehr.
Und bevor du überhaupt mit jemandem redest, hörst du schon die Vorhaltungen. „Siehst du, so geht das, wenn man meint, frei sein zu wollen. Jetzt hast du deine Freiheit. Ich hätte es dir ja gleich sagen können, aber du hast ja nicht auf mich gehört“.
Ach, diese unglaublichen Besserwisser. Die haben ja wahrscheinlich alle nur darauf gewartet, dass es so kommt.
Die wussten ja schon immer, dass man seine Sicherheiten nicht weggibt, dass man sein Erbe nicht verschleudert.
„Keine Verantwortung, diese jungen Leute, kein Gespür für das, was im Leben und seiner Zukunft wirklich wichtig ist. Bleibe im Lande und nähre dich redlich – das wusste schon die Weisheit Israels; und die Eltern wissen auch, wo es langgeht. Hör doch auf die Lebenserfahrung der Alten. Aber nein, alles besser wissen. Das hast du jetzt davon“.
Als ob du große Lust hättest, nachhause zu gehen und dir das anhören zu wollen.
Du weißt ja alles selbst am besten.
Ja, ihr habt ja Recht. Es gibt nichts zu beschönigen, nichts zu entschuldigen.
Ich habe nichts mehr, ich stinke, niemand will mit mir zu tun haben. Das trage ich nun.
Und auch die zahlreichen Belehrungen und Vorhaltungen.
Da ich sowieso überall untendurch bin, vor allem bei mir selbst, kann ich auch zu meinem Vater gehen. Arbeiten kann ich und will ich ja auch, dann kann ich wenigstens leben und nicht vegetieren. Ich bin nicht mehr ganz unten, bei den Schweinen.
Vieles habe ich verloren, im Grunde genommen alles. Aber ich kann arbeiten und ich will leben. Ich werde zu meinem Vater gehen, sagen, dass ich mich falsch verhalten habe, dass ich Fehler gemacht habe, dass ich keinen anderen Weg mehr weiß, als zu ihm zu gehen.
Nicht leicht zu sehen: Ich bin gescheitert.
Und das auch anderen gegenüber einzugestehen.
Dem Vater, der Mutter, den Geschwistern.
Was werden sie denken.
Ob sie mich vergessen haben? Abgeschrieben?
Das Herz des Vaters ist voller Sehnsucht.
Was immer der Sohn an Gedanken seines Vaters gemutmaßt hat, der Vater sehnt sich nach seinem Sohn.
Sowie er seinen Sohn von Weitem sieht,
läuft er auf ihn zu und nimmt ihn in die Arme.
Und wenn er noch so dreckig ist und stinkt, er drückt ihn an sein Herz.
Da nämlich gehört er hin – und war er wohl auch immer – am Herz des Vaters.
Die Sehnsucht erfüllt sich.
Durch nichts konnte der Sohn die Liebe des Vaters zu seinem Sohn zerstören.
Liebe zu ihren Kindern auch dann, wenn sie ganz anders denken und handeln, als sie es für richtig erachten.
Kinder, um die sie sich Sorgen machen, auch wenn sie längst erwachsen sind. Kinder, die immer willkommen sind.
Türen und Herzen und Arme stehen ihnen offen, wo immer sie waren, was immer sie erlebt haben.
Der Vater nimmt seinen Sohn in die Arme: Du bist mein Sohn.
Du kannst in deinem Leben viel kaputt machen, du kannst so viel verspielen, du kannst deine Zukunft riskieren, deine Gesundheit, dein Ansehen, deine moralischen Prinzipien. Aber mein Sohn zu sein verlierst du nicht.
Du bist nicht deshalb wieder Sohn, weil du deine Fehler bekannt hast, weil du deine Reue ausgedrückt hast, weil du zugegeben hast, dass du versagt hast.
Du bist mein Sohn, weil ich dich liebe.
Ich freue mich, dass du wieder da bist.
Deswegen möchte ich ein Freudenfest feiern.
Und alle auf dem Hof sollen sich mitfreuen.
Aber nicht jeder will sich mitfreuen.
Der ältere Sohn ist entsetzt, dass es für seinen Bruder, den er im Gespräch ‚dein Sohn‘ nennt, ein Fest gibt, dass der Vater sich freut.
Ob Vater und Sohn nie miteinander geredet haben?
Ob der Sohn nie gesagt hat, was er möchte, worüber er sich freut?
Ob er geschwiegen hat, treu und zuverlässig, aber offensichtlich ohne Freude seine Arbeit gemacht hat?
Und jetzt kommt raus, wie unzufrieden er ist.
Jahrelang hat er es mit sich herumgetragen – und jetzt ist die Heimkehr des kleinen Bruders der Anlass, es dem Vater vorzuwerfen.
Der auch diesen Sohn liebt.
Warum kannst du dich nicht mitfreuen?
Du warst doch frei, warst zuhause, hattest jede Chance und jedes Recht zu sagen, was du möchtest, zu tun, was du wolltest.
All die Jahre wäre es leicht gewesen, darüber zu reden. Jetzt ist es schwer. Jetzt geht es um eine innere Überwindung. Das Gefühl, falsch, schlecht, ungerecht behandelt worden zu sein, verhindert die Mitfreude. Aber der Vater hört nicht auf, genau darum zu bitten.
Unglaublich - eine neue Chance; es ist nicht alles vorbei.
Das Leben kann neu beginnen und es ist um mehrere Erfahrungen reicher.
Die vorher getrennte Wege gegangen waren, feiern nun gemeinsam ein Fest.
Und sie lebten glücklich und zufrieden miteinander ihr ganzes Leben. – Wäre es ein Märchen, könnte dieser Satz folgen.
Aber es ist kein Märchen, es ist das Leben.
Und das hat keinen Schluss. Es ist offen.
Jesus sieht die Menschen, wie sie leben und wie sie miteinander umgehen.
Er lässt sie Neues erleben.
Die Geschichte erzählt keinen Schluss, kein Happy End, sie löst den Konflikt nicht.
Darum wird es auch unsere Geschichte,
sie ist offen für unsere ungelösten Konflikte.
Untereinander und mit Gott.
Der sehsüchtig wartet – auf den, der umkehrt.
Gemeinsames Feiern ist ein wunderbarer erster Schritt auf dem Weg zu einer fröhlichen Gemeinschaft zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Gemeinde ist größtenteils traditionell geprägt, dazu gehören jeweils auch Erfahrungen, dass das Leben klare Regeln hat und braucht und die auch deutlich zu benennen sind. Auch aufgrund sehr unterschiedlicher Herkunft spielen Frage nach Obrigkeit und Gehorsam eine große Rolle, genau so wie traditionelle Ehe- und Familienbilder. Freiheit ist auch ein ambivalenter Begriff. Der Wunsch nach klar biblischer Verkündigung ist deutlich zu spüren.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Diese Erzählung prägt wie kaum eine andere mein Gottesbild. Selbst sehr streng religiös erzogen, auch mit dem Hinweis: Der liebe Gott sieht alles, habe ich diese Geschichte aufgesogen. Sie ist so etwas wie meine Grundlage von Glauben und Vertrauen. Beziehung ohne Kontrolle, ohne Vorwürfe und Strafen, das wirkt wie aus einer anderen Welt und hat doch die Kraft, Menschen (mich) zu erreichen und zu bewegen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Gegen den auch in mir wohnenden Impuls, zu wissen, zu erforschen und auf Fehler hinzuweisen möchte ich gerne in allen meinen Beziehungen von dieser Barmherzigkeit lernen, also im wahrsten Sinn des Wortes, mit einem offenen, warmen Herzen auf andere Menschen zugehen. Ich bin nicht Richter oder Ankläger.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Eine wunderbare Ansprache, verständnisvoll und wertschätzend konnte auf theologische und sprachliche Hürden hinweisen. Ich wurde ermutigt, zu kürzen, nicht alles sagen zu müssen. Weniger ist mehr. Zudem habe ich klarer sortieren können, Bausteine verschoben. Die Predigt ist nun deutlicher strukturiert und sinnvoller aufgebaut als zuvor. Ich bin dafür sehr dankbar, weil alles an Kritik sehr hilfreich war.
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Weihnachten bewegt die Menschen - Predigt zu Lk 2,1-20 von Isolde Karle und Christoph Dinkel
Liebe Gemeinde,
Weihnachten bewegt die Menschen. Zunächst werden Maria und Josef ganz wörtlich in Bewegung gesetzt. Ein kaiserliches Dekret zwingt sie zur Reise nach Bethlehem, so erzählt es uns Lukas. Auf Marias Schwangerschaft wird dabei keine Rücksicht genommen. Als die beiden in Bethlehem ankommen, bleibt ihnen nur ein Stall als Bleibe, „denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ Dort im Stall kommt das Kind zur Welt. Das ist nicht so romantisch, wie wir uns das oft vorstellen und es in unseren Wohnzimmerkrippen aussieht. Im Stall ist es kalt und schmutzig – man mag sich nicht vorstellen, was Maria während der Geburt durchmachte. Doch Maria bekommt das Kind auf die Welt, das Neugeborene wird in Windeln gewickelt und in eine Futterkrippe für Tiere gelegt. Welch ärmliche Verhältnisse! Für Maria und Joseph ist es eine Erfahrung größter Gefährdung und extremen Ausgeliefertseins. Nur knapp schrammen sie an einer Katastrophe vorbei.
Weihnachten bewegt die Menschen. Die Hirten auf dem Feld bei Bethlehem hatten sich auf eine ruhige Nacht eingestellt. Doch daraus wird nichts. Mitten in der Dunkelheit wird es hell. Der Engel Gottes tritt zu ihnen, sie werden von göttlicher Klarheit umleuchtet. Für uns, die wir die Geschichte kennen, ist der Auftritt des Engels etwas Schönes, für die Hirten war er zunächst aber ein gewaltiger Schrecken. Strahlendes Leuchten mitten in der Nacht. Die Hirten „fürchteten sich sehr“ – so beschreibt Lukas die Reaktion der Hirten. Aber es bleibt nicht beim Schrecken. Der Engel bringt die Freudenbotschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Da löst sich die Erstarrung der Hirten und sie geraten in Bewegung. Sie sind ergriffen von der Botschaft und vom Licht der Engelschar und wollen „die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.“ Schnell machen sie sich auf und finden „Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen“ im Stall von Bethlehem. Die Erwartung der Hirten wird nicht enttäuscht, der nächtliche Aufbruch hat sich gelohnt. Was sie von den Engeln gehört und im Stall gesehen haben, hält die Hirten weiter in Bewegung: „Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.“ Die Hirten werden zu den ersten Boten der Christusbotschaft. Sie halten die weihnachtliche Bewegung in Gang und sind die Evangelisten der ersten Stunde.
Weihnachten bewegt die Menschen, aber nicht nur die Menschen, auch die Engel im Himmel geraten in Bewegung. Zunächst ist es nur ein Engel, der vom Himmel herab aufs Hirtenfeld nach Bethlehem kommt. „Fürchtet euch nicht!“, sagt der Engel. „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“. Doch kaum hat der eine Engel seine Botschaft verkündet, hält es auch die übrigen Engel nicht mehr. Das ganze Engelsheer setzt sich in Bewegung und bevölkert das Hirtenfeld von Bethlehem. Die Menge der himmlischen Heerscharen tritt auf, alle guten Geister Gottes sind da. Sie bilden einen Chor, der die Welt mit himmlischem Gesang erfüllt. Sie loben Gott, der die Welt verwandelt und mit Weihnachten einen Neuanfang setzt. „Ehre sei Gott in der Höhe“ singen die Engel. Sie verkünden den Frieden Gottes „bei den Menschen seines Wohlgefallens“. An Weihnachten setzt sich der ganze Himmel in Bewegung, diese Bewegung erfüllt die Erde und breitet Hoffnung und Frieden aus.
Weihnachten bewegt die Menschen. Weihnachten bewegt ganz besonders Maria. Was die Hirten wohl berichtet haben? Sicherlich haben sie von den Engeln auf dem Feld und ihrer wunderbaren Botschaft erzählt. Von Maria heißt es: Sie aber „behielt all diese Worte (der Hirten) und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Das ist die Stelle, die mich am Weihnachtsevangelium besonders berührt. Maria hört genau zu, sie ist aufmerksam und achtsam, so würden wir heute sagen. Obwohl sie gerade eine Geburt unter besonders schwierigen Umständen hinter sich gebracht hat, ist sie nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern offen für das, was die Hirten erzählen. Ihr Herz wird davon ergriffen und erfüllt. Maria lässt den Wärmestrom in ihr Herz, sie ist empfänglich für das Wunder der Heiligen Nacht, für die Liebe inmitten der Kälte und Dunkelheit. Vielleicht erinnert sie sich an das Magnificat, das sie nach der Ankündigung der Geburt gesungen hat: „Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.“ Die junge Maria sieht sich von Gott wahrgenommen und beachtet – Gott hat große Dinge an ihr getan (Lk 1,49). Sie weiß und fühlt: Gott geht wohlwollend und barmherzig, in verschwenderischer Liebe und Güte mit uns Menschen um, Gott will nicht unseren Schmerz, sondern unser Glück.
An Weihnachten bewegen sich nicht nur Menschen und Engel, auch die Worte und Herzen geraten in Bewegung. An Weihnachten breitet sich ein ganz eigener Zauber aus. Ganz am Rande der damaligen Zivilisation, beim jüdischen Volk, von römischen Besatzungstruppen geschunden, mitten im Elend eines Stalles und mit ärmlichen Hirten als Zeugen beginnt die Welt mit der Geburt des göttlichen Kindes neu zu werden. In der Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit des Neugeborenen strahlt diese andere Welt auf, auf die die Menschen warten, die Welt ohne Krieg und Hass, die Welt ohne Hunger und Unterdrückung, die Welt, in der Kinder behütet groß werden können. All das scheint im Stall von Bethlehem auf, ganz zart und vorsichtig, sehr unscheinbar und in jeder Hinsicht gefährdet. Marias Herz wird davon berührt und verwandelt. Und auch die Hirten geraten in Bewegung.
Weihnachten bewegt die Menschen. Auch Sie haben sich von Weihnachten in Bewegung setzen lassen. Seit Wochen waren Sie und wart Ihr unterwegs, um Geschenke zu besorgen und das Fest vorzubereiten. Und jetzt sind Sie und seid Ihr zum Gottesdienst in die Kirche gekommen. Die Bewegung von Weihnachten hat auch Sie und Euch ergriffen und hierher in den Gottesdienst geführt. An Weihnachten werden wir hineingenommen in die Geschichte von der Geburt des Heilands. Mit den Hirten zusammen gehen wir nach Bethlehem und sehen das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Wir hören auf den Gesang der Engel und stimmen ein in den Gesang ihrer Lieder.
Lassen wir uns dabei anstecken von Gottes neuer Welt. Vertrauen wir diesem kleinen, gefährdeten und zerbrechlichen Anfang im Stall von Bethlehem. Seien wir bereit, unser Herz zu öffnen und uns bewegen zu lassen von Gottes zarter, verwandelnder Macht.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist Christnacht und damit einer der Höhepunkte im Kirchenjahr. Anders als bei der Christvesper kommen Menschen in den Gottesdienst, die die Weihnachtsfeier im engeren Sinn schon hinter sich haben und gerne nochmals zuhören und nachdenken und sich vom weihnachtlichen Glanz berühren lassen wollen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Weihnachten bewegt die Menschen – diese Predigtidee, die mein Mann vor zwei Jahrzehnten entwickelte und zu einer Weihnachtspredigt ausarbeitete, hat mich sehr inspiriert. Ich habe das Skript übernommen und überarbeitet. Deshalb ist es auch eine gemeinsame Predigt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Das bewegende Moment von Weihnachten – im konkreten Sinn, weil so viele Menschen zusammenkommen, aber natürlich vor allem im übertragenen Sinn: Weihnachten bewegt mein Herz, insbesondere Maria, die die Worte der Hirten achtsam und offen in ihrem Herzen bewegt.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mein Mann und ich haben das Schlussmanuskript wechselseitig redigiert. Dadurch ist die Predigtidee nochmals klarer geworden.
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18.08.2024 - 12. Sonntag nach Trinitatis
16.06.2024 - 3. Sonntag nach Trinitatis
»Bleib nicht sitzen« - Predigt zu Lk 12,15-21 von Michael Greßler
Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen.
I. Habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut
Lauter Segen.
Früchte, Brot und Wein am Altar.
Und wir sitzen im Erntedankgottesdienst,
wieder einmal – wieder ein Jahr.
Es ist geschmückt, so, wie es auch nur einmal im Jahr ist:
Mit Blumen. Und mit Liebe.
Erntedank.
Schön, dass wir hier sind.
Erntedank in ……………….
»Liebe Seele … habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut«.
Ja, »liebe Seele, habe nun Ruhe«.
Das ist schön und das find’ ich gut.
Jedes Jahr ein großes Erntedankfest.
Ernte-Dank.
Dank sei allen, die für unsere Nahrung arbeiten.
Auf den Feldern, mit den großen Landmaschinen,
Menschen, die sich Gedanken und Mühe machen,
die arbeiten und ihr Bestes tun.
Und Dank sei Gott: Von dem kommt ja alles.
Unsere Arbeitskraft. Und Sonne und Regen –
zum Glück mal etwas mehr Regen in diesem Jahr.
Gott ist gut und schenkt uns lauter Segen
Rundherum.
Erntedank.
Da sitzen wir – vor uns die Erntegaben.
Und es ist schön so.
Aber dann geht weiter!
Wenn der Gottesdienst zu Ende ist,
dann bleibt nicht sitzen.
Schaut Euch nochmal alles an und freut Euch.
Und dann geht los!
Die Gaben am Altar sind wunderschön.
Aber du kannst nichts mitnehmen.
Darum geh weiter.
Denk nicht, das wars schon.
Häng dich nicht daran.
Es kommt noch etwas.
Es kommt noch mehr.
Viel mehr.
Noch viel mehr Leben.
Noch viel mehr Zukunft.
Und noch viel mehr Segen.
II. Dessen Feld hatte wohl getragen
»Es war ein reicher Mensch,
dessen Feld hatte wohl getragen.«
Lauter Segen. Rundherum.
Die Felder waren fruchtbar.
Gott hat die Saat gedeihen lassen.
Die Scheunen werden zu klein, so reich ist die Ernte
»Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun?
Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.
Und sprach: Das will ich tun:
Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen,
und will darein sammeln all mein Korn und meine Güter
und will sagen zu meiner Seele:
Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre;
habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!«
Er ist gesegnet. So reich, wie noch nie.
Wo ist das Problem?
Es ist doch schön, wenn du gesegnet bist.
Dein Feld hat wohl getragen.
Du hast einen Betrieb oder einen Arbeitsplatz.
Oder eine Rente, von der du leben kannst.
Du hat ein Haus oder eine schöne Wohnung.
Du hast zu essen und im Winter drehst du die Heizung auf.
Und wenn deine Scheunen zu klein werden,
dann handelst du klug und baust größere.
Du bist gesegnet.
Du hast soviel, dass du sogar teilen kannst.
Und heute sitzt du im Festzelt und feierst Erntedank.
»Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr!
Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern;
und wes wird’s sein, das du bereitet hast?«
»Liebe Seele,
habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut.«
Ja. Tu das. Von Herzen gern.
Aber dann geh weiter.
Bleib nicht sitzen auf deinen vollen Scheunen.
Arbeit, Betrieb, Erfolg, schönes Haus, kleines Glück
Genieße es. Habe Ruhe, iss und trink.
Aber mach es nicht wie der reiche Kornbauer.
Da sitzt er auf seinen Gütern fest.
Und er denkt: Das ist alles. Das wars. Das reicht.
Ich habe genug für morgen und übermorgen.
Für viele Jahre und für immer.
Dabei konnte er auch nichts mitnehmen.
Nicht ein Weizenkorn. Nicht eine einzige Traube.
»Du Narr!
Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern;
und wes wird’s sein, das du bereitet hast?«
III. Geh los
Mach es anders.
Geh los, liebe Seele.
Und wenn du das tust,
dann siehst du, was da noch alles ist.
Es ist viel mehr da als deine vollen Scheunen.
Mehr als die Gaben am Altar.
Es gibt mehr als das, was du hast.
Geh los, liebe Seele
Dann siehst du auch die anderen.
Die vielleicht deine Hilfe brauchen.
Mit denen du teilen sollst.
Oder mit denen du dich freuen kannst.
Die dich brauchen. Und die du brauchst.
Dann siehst du, was zu tun ist.
Und was du sagen musst,
damit diese Welt menschlich bleibt.
Oder es wird.
Schau dich noch einmal um
Freu dich an dem, was da ist.
Aber bleib nicht sitzen auf deinem Segen.
Denk nicht, das war alles.
Schön ist es.
Aber mitnehmen kannst du es nicht.
Darum:
Geh los und sei gespannt, was noch kommt.
Genieße deine Felder und dein Leben,
deine Zeit und allen Segen, den Gott dir gibt.
Teile den Segen mit denen, die ihn auch brauchen.
Und danke Gott, dass ihr gemeinsam gesegnet seid.
Du wirst staunen:
Es gibt so viel mehr.
Segen rundherum.
Es gibt sogar mehr als deine gesegnete Zeit.
Denk nicht, die ist schon alles gewesen.
Du wirst nichts von deiner Zeit mitnehmen können.
Aber wenn du zurücklässt,
was du nicht mitnehmen kannst, wirst du viel mehr finden.
Größeres. Und das Schönste kommt ja überhaupt erst noch.
Am Ende kommt sogar das ewige Leben.
Vergiss das nicht.
Geh los. Bleib nicht sitzen. Mach dich auf.
So geht Ernte-Dank.
Amen.
Der Friede Gottes,
der höher ist, als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus.
Amen.
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Angeschlagen und aufgerichtet - Predigt zu Lukas 17,11-19 von Rudolf Rengstorf
Lukas 17,11-19
Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne 13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.
Liebe Leserin, lieber Leser!
Von zehn Kranken haben wir eben gehört, die durch eine Begegnung mit Jesus wieder gesund geworden sind. Die damit wieder teilhaben konnten an dem, was als die Hauptsache im Leben gilt: Auch bei uns. Denn das versichern wir einander ja bei jeder sich bietender Gelegenheit; Hauptsache gesund. Darüber mag man in geistlichem Hochmut die Stirn runzeln. Doch dann ist einem vermutlich die Erfahrung bisher erspart geblieben, wie verheerend Krankheit und Leiden wirken können. Wie sie plötzlich ein Minus vor alles das setzen, was einem am Leben wertvoll und kostbar ist.
Das gilt in ganz besonderer Weise für die Menschen, bei denen damals zur Zeit Jesu Aussatz wie etwa Lepra entdeckt worden ist Sie waren nicht nur mit dem körperlichen Leiden von juckendem, schmerzhaftem, eiterndem Hautfraß geschlagen. Dazu kamen ekliger Geruch und entstelltes Aussehen, das sie nicht verbergen konnten und ihnen das nahm, worum wir uns nach Kräften bemühen: Ansehnlichkeit.
Noch schlimmer war die Ansteckungsgefahr, die ihre Mitmenschen dazu zwang, auf Abstand zu bleiben zu diesen Kranken. Keiner wollte mehr mit ihnen zu tun haben. Draußen vor den Dörfern und Städten mussten sie in armseligen Hütten vegetieren. Denn arbeiten und Geld verdienen war ihnen ja auch verwehrt. Sie mussten von dem leben, was ihnen von mitleidigen Verwandte und Freunden zugeschoben wurde, Und jeden, der ihnen nahe kam mussten sie mit dem Ruf „Unrein; unrein!“ warnen. Als Unreinen war ihnen auch der Zutritt zum Tempel verwehrt. Was für eine elende Existenz: Sie ekelten sich vor sich selbst, hatten so gut wie keine Aussicht auf Besserung, erlebten sich als auch von Gott verstoßen und verzweifelten daran, dass es auf die Frage Warum keine Antwort gab. Was Wunder, dass da auch der letzte Rest von Gottvertrauen flöten ging.
Da hörten sie, dass Jesus vorbeizog, dem der Ruf des Wunderheilers vorausging. Zu Recht, denn dieser Mann hielt eben nicht wie die anderen frommen Juden auf Abstand zu den Kranken. Anders als sie meinte er nicht: Gott hat die Kranken gestraft, und man soll ihm dabei nicht ins Handwerk pfuschen. Die Begegnung mit Kranken löste in ihm kein Tabuverhalten aus Nein, das ging ihm an die Nieren und mobilisierte Hilfsbereitschaft. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Krankheit nicht länger als unabänderliches gottgewolltes Übel hingenommen, sondern etwas dagegen getan wird. Nur so kann auf lange Sicht medizinisches Wissen und Können sich entwickeln. Zudem muss Jesus auf Kranke eine enorm heilsame Ausstrahlung gehabt haben, ohne dass wir darüber Näheres sagen könnten. Jedenfalls wusste er auch hier, dass die Heilung der zehn Aussätzigen begonnen hatte. Sonst hätte er die Männer nicht zu den Priestern geschickt. Die waren nämlich so etwas wie eine Gesundheitsbehörde und hatten zu prüfen und zu bestätigen, ob und dass der Aussatz verschwunden war. Dann konnten die von ihm Befallenen wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden.
Und tatsächlich: die zehn waren sozusagen als geheilt entlassen und konnten ihr Glück, dem Vorhof der Hölle entronnen zu sein, kaum fassen.
Und jeder von uns, der schon mal länger im Krankenhaus war, weiß, wie sehnsüchtig man auf die Entlassung wartet. Wie unerträglich die Spannung am Entlassungstag wird, wenn man auf die letzte Untersuchung und dann auch noch auf den Arztbrief warten muss, Wie groß die Erleichterung ist, wenn man dann endlich raus und alles hinter sich lassen kann. Auch die Mitpatienten, mit denen man eben noch auf Du und Du war. Und ebenso bleiben die Versprechen zurück noch mal anzurufen oder gar wieder vorbei zu kommen. Dann das befreite Lächeln. mit dem man das „Auf Wiedersehen!“ aus dem Stationszimmer quittiert: „Nee bloß nicht. Mich seht ihr hier so schnell nicht wieder!“
Nein, mit Undankbarkeit hat das nichts zu tun. Dankeschön hatte man ja noch gesagt und auch den Obolus für die Kaffeekassen entrichtet. Aber noch wichtiger ist das „Nix wie weg!“ Nix wie weg aus einem Leben, in dem man auf seine Krankheit reduziert und von der Hilfe anderer abhängig war. Nix wie weg aus einer Lage, in der man in Angst und Ungewissheit oft so elend lange warten musste. Endlich wieder nach Hause, wo so vieles liegengeblieben war.
Wenn wir jetzt an solche befreienden Wendepunkte in unserem Leben denken, dann ist das nur ein schwacher Vergleich mit dem, was die Männer nach ihrer Entlassung durch die Priester empfunden haben. Als da der eine Mann aus Samarien sagte: „Jetzt sollten wir aber erst noch mal zurück zu Jesus“ – da haben die anderen sich an die Stirn getippt. „Bist du verrückt? Hast du jetzt nichts anderes zu tun? Du willst wieder zurück dahin, wo wir krank waren, ausgesetzt und wie den letzten Dreck behandelt? Um nichts in der Welt wieder hin!“ Und auf und davon waren sie. Und ich meine, Wir können den neun von dieser entsetzlichen Krankheit Geheilten nur gratulieren und es ihnen gönnen, dass sie den Wandel des Vorzeichens vom Minus zum Plus zu Hause und mit Freunden feierten und die neuen Lebensmöglichkeiten sofort ausprobierten.
Doch nun zu dem einen, der zu Jesus zurückgekehrt ist: Warum? Was hat ihn dahingetrieben? Und was hat Jesus dazu gebracht, ihn als den zu bezeichnen, dem nun wirklich geholfen ist?
Wie gesagt, er kam zurück, obwohl da der Geruch des Vergangenen hing. Die Erinnerung an all das, was ihn entwürdigt und entwertet hat. Die Erinnerung an die Zeit, in der er Gott los war. Er kam zurück, weil er wusste: Das abzuschütteln und auszublenden, das wird mir und das wird Gott nicht gerecht. Ich kann auch auf die bösen Zeiten meines Lebens zurückkommen, und ich gewinne dabei. Ich gewinne die neue tiefere Einsicht: Gott ist mir auch in meiner Gebrochenheit, in den Minuszeiten meines Lebens nahe, in denen ich mit ihm über Kreuz lag. Das alles ist und bleibt doch ein Teil von mir. So will und kann mein Schöpfer er etwas anfangen mit mir. Da kann ich ihn doch nur von Grund auf loben. Und so wird ihm von Jesus zugesagt: Ja, steh auf, geh hin. Dein Glaube hat dir geholfen.
Ist es nicht gerade das, was wir in der Kirche im Gottesdienst erleben? Die dunklen Seiten des Lebens werden an keiner Stelle ausgeblendet. Schon beim Betreten der Kirche wird der Blick gefangen von dem gebrochenen Mann am Kreuz. In Liedern und Gebeten bekennen wir uns zu dem Gott, dem wir zu verdanken haben, dass wir bei aller Gefährdung und aller Schuld noch da sind. Die Lesungen erinnern uns an den, der es nicht verschmähte, unser verletzbares Leben zu teilen und dabei Glauben zu wecken daran, dass wir nicht verloren gehen. Beim Abendmahl nehmen wir uns in den Blick als Menschen, die auf das Brot des Lebens und den Kelch des Heils angewiesen sind und bleiben. Und am Ende der Segen, der uns im Sinne Jesu zuspricht: Steh auf, geh hin, dein Glaube hat dir geholfen!. Amen.