Kein Lohn nirgends. Aber Himmel die Fülle - Predigt zu Lukas 17,7-10 von Martin Penzoldt

Kein Lohn nirgends. Aber Himmel die Fülle - Predigt zu Lukas 17,7-10 von Martin Penzoldt
17,7-10

Liebe Gemeinde,
Jesus konfirmiert seine Jünger, im Blick auf eine kommende Zeit der Verführungen, durch ein Gleichnis.
Es steht im Lukasevangelium Kapitel 17:

Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. (Lk 17,7-10)

I. Harte Worte und eine Szene aus einer fremden Welt
Das sind harte Worte und eine Szene aus einer fremden Welt. Wie Jesus diese Sklavenwelt als Beispiel anführt – korrekt ist das nicht. Keine Kritik an solchen Verhältnissen. Es wird nicht räsoniert. Es wird als gegeben und selbstverständlich angeführt und akzeptiert. Ja, diese armseligen Knechtskreaturen haben hier sogar Vorbildcharakter!
Aber langsam. Es kann insgesamt keine Rede davon sein, dass Jesus die bestehenden Verhältnisse sanktioniert hat. Im Gegenteil. Nur geht es hier nicht darum.
Jesus stellt seinen Jüngern drei rhetorische Fragen:
Ob der Knecht wohl nach langer harter Tagesarbeit endlich Pause hat und bei der Heimkunft am Abend Essen und Trinken bekommt? Nein, das sei ferne, muss die Antwort lauten.
Zweitens: Ob er denn etwa erst noch das Essen für den Herrn bereiten soll? Jawohl! Hacken zusammen und Schürze umgebunden!
Drittens: Ob ein Knecht erwarten kann, dass die ihm aufgetragene Arbeit anerkannt, er gelobt und ihm gedankt wird? Mitnichten.

Dieses Gleichnis steht nur im Lukasevangelium, ist archaisch und ob es uns passt oder nicht: echte Jesusüberlieferung.
Heutzutage würde man es vielleicht aus Feinfühligkeit aus der Bibel oder wenigstens aus der Predigtordnung getilgt haben, denn es passt so gar nicht in unsere Welt der Personenwürde und schon gar nicht der Bemühung um eine korrekte Sprache. Menschen in solchen niederschmetternden Beschäftigungsverhältnissen geben kaum ein gutes Beispiel – weder der Herr noch der Knecht.

II. Übertragung in das Verhältnis von Mensch und Auto
Vielleicht dient eine Übertragung in das Verhältnis von Mensch und Auto?
Vielleicht würde das Gleichnis in einer künftigen Bibelrevision der „Allerbesten Nachricht für den Konfirmanden in mir“ so klingen:
Ja ihr Lieben, würde Jesus dann sagen, ein jeder von euch ist doch schon einmal mit einem Auto gefahren. Wenn man nun den Blinker setzt, dann blinkt das Auto rechts oder links, ganz so wie man will. Wird man dann das Lenkrad streicheln und zum Auto sagen: Ei, ei, das hast du aber brav gemacht?
Oder wenn es draußen kalt ist und die Klimaautomatik reagiert, die Abstandswarnung, die Müdigkeitserkennung oder die Gangautomatik:  alles läuft und schaltet aus sich heraus – automatisch. Keiner käme auf die Idee, sich bei seinem Auto zu bedanken.
Benzin und Wartung bekommt das Auto natürlich, aber immer nachgeordnet, wenn für alles andere gesorgt wurde.
Kurzum: Beim Auto funktioniert das Gleichnis. Es tut was man will. Aus.

III. „Das mag ein Wechsel sein“ (eg 27,5)
Aber nun lässt uns Jesus den Platz hinterm Steuer wechseln – und plötzlich sind wir der Knecht, bzw. das Auto. „So auch ihr“!
Jetzt sieht die Sache schon völlig anders aus. Was uns gerade so selbstverständlich erschienen ist, wirkt erneut so erschreckend wie in Jesus ursprünglichen Worten: Wir sollen die sein, die gesteuert werden, die folgen müssen, arbeiten und schuften, Mühsal ertragen und Kilometer runterreißen – und müssen dann noch dem Fahrer mit allem Komfort zu Diensten sein? Die Pointe sitzt. Im Original damals wie im Bild vom Auto heute.
Aber das kann doch gar nicht gemeint sein. So haben wir nicht gewettet. So wollen wir doch nicht leben. Oder?

Doch. Wenn wir das Auto wären, dann wäre das in Ordnung. Denn wenn das Auto etwas von sich selbst wüsste, dann, dass es von Menschen geschaffen und gemacht wurde, und nur durch sie seine Existenz und sein Funktionieren hat. Es ist so sehr bis ins letzte Schräubchen Werk seines Meisters, dass es gar nicht anders denken kann, als dass es ihm samt allem Stahl, Kunststoff und Gummi gehört und auf ihn angewiesen ist vom Werk über die Werkstätte bis zum Schrottplatz.
Anders hat damals auch ein Knecht kaum denken können. Er war verdingt, eine Sache, seinem Herrn hörig wie ein Besitz, ein Mittel für des Herren Zwecke und ganz seinem Dienst ergeben. Sein Dienst geschieht gewissermaßen ganz automatisch.

IV. Automatisch – von selbst
Wenn Jesus uns mit dieser Sklavennatur in Beziehung setzt, dann nur um seine Pointe in dem Gleichnis kraftvoll zu machen: Es gibt Dinge, die wir widerwillig tun, mit angezogener Bremse. Und es gibt Dinge, die wir aus uns heraus tun, weil sie uns entsprechen. Zu den Dingen, die wir aus uns heraus tun, zählt für Jesus ganz selbstverständlich die Verehrung des einen Gottes, das Halten seiner Gebote und die Erwartung seines Kommens.
Da wir nun ganz und gar Gottes Werk sind, er uns erschaffen hat und wir aus seinem Atem leben, ist es keine Fremdbestimmung, ihm so ganz und gar zuzugehören. Als Christen glauben wir das und verstehen uns so. Aber wir müssen es erst noch tief in unserem Inneren begreifen, erfahren, wie wir bis in jede unserer Zellen Teil von Gottes großer Welt sind.

Dazu gehört auch, dass wir das zum Ausdruck bringen – durch Dienst.
Durch den Gottesdienst zum Beispiel, der ja nicht umsonst so heißt. Gott zu dienen sind wir hier. Und wir dienen hier Gott, indem wir ihn loben.
Wenn man das Alte Testament daraufhin querliest, wozu denn der Mensch auf Erden ist, dann zeigt es sich, dass er zum Lobpreis Gottes lebt, als sein Resonanzraum geschaffen ist.

Mit Musik und Gesang und Orgelklang sind wir also auf dem richtigen Weg.
Gesten aber sind im „Protestantismus des aufrechten Ganges“ verkümmert. So gerade noch werden die Hände lässig gefaltet. Den Kopf zu neigen vor Kreuz und Altar, gilt manchem schon als katholisch. Aber es ist doch eine treffende Geste, die ausdrückt, dass wir eben allein in Hinsicht auf Gott so angewiesen, so ohnmächtig, so zugehörig, so absolut und schlechthinnig abhängig sind, dass wir im Gebet und im Gedanken an ihn den Kopf senken.
Aber – und das gehört dazu – sonst vor niemandem!

Die Drastik mit der uns Jesus an diesen Punkt führt, will bewirken, dass wir auch zuinnerst erfahren und fühlen, was wir wissen und glauben: unsere absolute Abhängigkeit von Gott. Die gesammelte christliche Religiosität zielt auf diesen Punkt: Gerade, wenn der Knecht erschöpft ist, wenn er selbst der Versorgung bedarf, dann kommt es darauf an, wen er an erster Stelle setzt: sich oder seinen Herrn? Die Fixierung auf sich und die Grenzen des eigenen Könnens lösen sich nur durch Gottes Verheißung und Kraft, durch das Kommen seines Reiches.
Jesus führt seine Jünger durch Wege, Worte und Taten an die Grenze ihrer Selbstaufgabe: ihm mehr zu trauen als der eigenen Rückversicherung. Mehr kann der auf Erden wandelnde Gottessohn nicht tun.
Ob sie ihre Ängste zurücklassen und den Sprung wagen und ihm folgen und dem Himmelreich entgegenziehen, das entscheidet sich im tiefsten Inneren ihrer Gotteszugehörigkeit, der Seele. Jesus zwingt sie nicht. Er droht ihnen nicht. Aber er nimmt ihnen die Angst um sich und lehrt sie Gott im Letzten zu vertrauen, weil sie sonst nicht bestehen. Weil sie aus eigener Kraft den Verführern und Leiden nicht gewachsen sind.
Jesus warnt die Jünger vor Zeiten der Bedrängnis und der Täuschungen. Uns künden heute die Worte „postfaktische Zeiten“, „fake news“, und „alternative facts“ von schweren Verwerfungen. Dass man sich wappnen müsse.

Das stehen Menschen nicht durch, wenn sie nicht innerlich frei werden.
Innengeleitet müssen sie sein. In Freiheit versetzt. Nur Gott getreu. „Christus in mir“, wie Paulus gelegentlich sagt.
„Ich in dir / du in mir, / laß mich ganz entschwinden, /
dich nur sehn und finden.“ (eg 165,5)
Jesus setzt einen fröhlichen Wechsel in Gang. So werden Menschen dienen können, ohne ihre Würde zu verlieren. Von sich aus. Automatisch. Wie ER selbst. „So auch ihr.“
Frei von dem Blick auf Zustimmung oder Kritik von außen. Nicht außengleitet, sondern aus sich, facere quod in se est (Martin Luther, De homine, 27), daher auch nicht mehr angewiesen auf Lob noch Tadel wie die Kinder, sondern Erwachsene, die ihrem Gewissen folgen.

Zu lange ist die Welle der Manipulation über uns her geschwappt: Anerkennung ersehnen wir uns im Übermaß. Lob – und möglichst keinen Tadel, Likes bei Twitter, „Freunde“ bei Facebook, alles auf Zucker, nur noch Einsen im Schulzeugnis, die zu nichts taugen und gerichtsfest-verlogene Elogen im Arbeitszeugnis, auf die keiner was gibt.
Ständig wird gelobt und anerkannt und bedankt und „gewertschwätzt“.
Eine Runde Lobhudelei gehört zum Gruppenritual. Aber wer lobt, der hat zuvor geurteilt, über den anderen geurteilt und stellt sich damit über ihn: „Brav, brav, lob, lob.“
Er zerstört damit, was er respektieren sollte: die innere Freiheit.
Wer aus sich heraus handelt, soll angefixt werden, nach Lob zu gieren, abhängig zu werden, manipulierbar, lenkbar. Lob zerstört die innere Motivation und ersetzt sie durch Fremdsteuerung, durch Zuckerbrot und Peitsche.

V Kein Lohn nirgends. Aber Himmel die Fülle.
Und wenn die Jünger in allem frei geworden sind und damit ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit getan haben, erwartet sie dann Dank und ewiger Lohn?
Der Wunsch ist plausibel und wird von den angesehenen Pharisäern damals und alle Zeiten hindurch und auf allen Wegen immer wieder vorgebracht.
Nur Jesus wieder: Wer dem Gottesreich entgegengeht, erwarte keinen Lohn!
Religion ist kein Tauschgeschäft von halbwegs guten Taten gegen göttliche Huld und Gnade. Sie ist tiefster Ausdruck der Zugehörigkeit der Menschen zu Gott. Basta.
Es bedarf keiner Umgarnung der Gottheit, Opfer und heiliger Gelübde. No frills. Alles was einer tut, geschieht um seiner selbst willen, ist entweder in sich gut oder eben nicht, aber will und hat kein Anrecht auf himmlischen Lohn. Auch weil solches Schielen nach Belohnung die gute Tat korrumpiert. Wer sich von äußerem Lob und Tadel frei gemacht hat, kann auch den Schritt gehen und auf die letzte innere Verteidigung verzichten, nämlich ganz auf sich selbst bauen zu wollen und durch eigene Kraft den Himmel aller Himmel aufzutun.

Denn auch „wenn du nun aus lauter guten Werken beständest bis auf die Fersen, so wärst du trotzdem nicht rechtschaffen und gäbest Gott darum noch keine Ehre und erfülltest also das allererste Gebot nicht“. (Martin Luther, Freiheit, 1520)
Luthers Argument ist nicht, dass es an Quantität, sondern an Qualität fehlt: wir können uns angesichts der Ewigkeit unserer Taten nicht gewiss sein. Vor Gott also gilt kein „facere quod in se“. Darum verschärft Luther das Verdikt Jesu, wir seien „armseligen Knechte“ durch den Ausdruck „unnütze Knechte.“ Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche erläutern: „…unnütz meint hier unzureichend, weil niemand so sehr Gott fürchtet, so sehr liebt und ihm so sehr glaubt, wie es nötig ist ... Jedem muß deutlich sein, daß an dieser Stelle das Vertrauen auf unsere eigene Leistung verdammt wird". (Apologie der C. A. Art. IV, 334 ff).
Man höre: Alle Glocken der reformatorischen Rechtfertigungslehre werden in diesem Gleichnis geläutet. Aber wo bleibt das Evangelium?

VI. Herr und Knecht
Das Evangelium heißt ganz schlicht, dass sich der Herr, Jesus, für uns zum Knecht gemacht hat, damit wir die Freiheit haben, als Herren unsererseits in Pflicht genommen zu werden.
Zusammengefasst: „Domini sumus, ergo Domini sumus“: Wir sind des Herren, darum sind wir Herren.
Nur wenig geringer geschaffen als Gott ist der Mensch (Ps 8,6), ein kleiner Schöpfer (Thomas von Aquin), Krone der Schöpfung (Gen 1).
Wir sind Söhne und Töchter Gottes und haben Anteil am Reich und leben davon, das Gottes Reich in Jesus bereits gekommen ist (Lk 17,20f.).
Unsere Freiheit aber hat ihre Qualität darin, dass wir mit Haut und Haaren unserem Schöpfer und Erlöser gehören und uns in seinen Dienst nehmen lassen.
Wie war das gleich? „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (Martin Luther, Freiheit, 1520) Amen.

Perikope
12.02.2017
17,7-10

„Jeder kann großartig sein, weil jeder dienen kann.“ - Predigt zu Lukas 17,7-10 von Wolfgang Grosse

„Jeder kann großartig sein, weil jeder dienen kann.“ - Predigt zu Lukas 17,7-10 von Wolfgang Grosse
17,7-10

Jesus spricht:
Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe;und danach sollst du essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. (Lk 17,7-10, Lutherbibel 2017)

 

Ich erinnere mich noch gut:
Mein Vater ging immer zum Dienst. Nicht zur Arbeit. Nicht zum Job. Er ging zum Dienst. Ohne zu Murren.
Morgens um halb acht verließ er das Haus. Nachmittags um Vier war Dienstschluss. Als ich älter war, holte ich ihn manchmal mit dem Fahrrad ab.
Mein Vater war Beamter. Im Amt. Finanzamt, um genau zu sein. Er hatte einen Dienstherrn – sein Vorgesetzter oder noch eine Etage höher – und diente sozusagen dem Staat.
Wir redeten von seiner Arbeit nie als „Beruf“ oder – wie es neudeutsch mittlerweile heißt – als „Job“. Mein Vater ging zum „Dienst“.

Auch heute noch redet man von „Dienst“. Der öffentliche, der diplomatische, der militärische Dienst, der mittlere und der gehobene Dienst.
Es gibt Diensthabende, Dienstwechsel.
Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft.
In Kirchens gibt es den Pfarr-, Orgel-, Küster- und Lektorendienst und wir reden „vom Dienst am Nächsten“.
Man ist in Diensten oder nimmt eine Maschine in Dienst.
Manchmal versagen einem die Beine den Dienst.
Im Winter leistet ein warmer Mantel gute Dienste.
Und wer verzichtet schon gerne freiwillig auf seinen Verdienst?
Es gibt ihn noch, den Begriff „Dienst“, aber er ist doch irgendwie aus der Mode gekommen.

Vom „Dienen“ reden wir natürlich noch viel weniger.
„Dienen“ hat einen bitteren Beigeschmack, erinnert an die Dienstmagd und den Diener früherer Zeiten in Herrschaftshäusern, an „Knicks“ und „Diener“ machen, an Pflichten und Abhängigkeiten, an Unterdrückung und Ausbeutung, an Sklaverei und Knechtschaft.
Damit wollen wir ja nichts mehr zu tun haben. Das liegt längst hinter uns.

Aber seien wir ehrlich: Hat sich so viel geändert zur heutigen Arbeitswelt?
Abhängigkeiten sind geblieben. Dienstgeber und Dienstnehmer, die „Oben“ und die „Unten“ ebenso. Nur wir nennen es nicht mehr so. Man redet von gutem Miteinander, von Teamspirit, von Anerkennung und gegenseitiger Wertschätzung, man analysiert, entwirft Strukturpläne und Qualitätsmodelle. Mitarbeitermotivation ist das Zauberwort.
Doch nicht selten steht dabei der Verdacht im Raume: Es geht um Leistungssteigerung im Sinne des Unternehmens. Und letztendlich doch nicht um den einzelnen Menschen. Der Trend zum Zweit- oder Dritt-Job ist ungebrochen. Kein Auskommen mit dem Einkommen.

Mein Vater ging immer zum Dienst. Nicht zur Arbeit. Nicht zum Job. Er ging zum Dienst. Ohne zu Murren.

Jesus spricht:
Wer von euch ist Vorgesetzter und hat Angestellte, die tagtäglich für euch arbeiten, und sagt zu ihnen, wenn sie mit der Arbeit fertig sind: Kommt gleich her, wir wollen zusammen Essen gehen? Wird der Vorgesetzte nicht vielmehr zu den Angestellten sagen: Hier ist noch dringend etwas zu erledigen, beeilt euch, Überstunden gibt es nicht. Das muss noch heute erledigt werden, erst danach ist Feierabend! Dankt dieser Vorgesetzte etwa den Angestellten, dass sie getan haben, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze, ökonomische Humanmasse; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. (Lk 17,7-10)

Man muss dreimal schlucken und doch treffen diese Sätze mitten ins Herz.
Sie tun weh, weil sie den Finger in die Wunde legen, weil sie genau das beschreiben, was in einer sich wandelnden, scheinbar immer kapitalistischeren Arbeitswelt für viele Menschen schon Realität ist. Trotz aller Arbeitszeitregelungen. 38-Stundenwoche, Frankreich angeblich schon seit Jahren 35 Stunden, und im gleichen Atemzug: die Ausnahmeregelungen für verkaufsoffene Sonntage nehmen zu, unbezahlte Überstunden sind die Regel, von Mobbing am Arbeitsplatz ganz zu schweigen.

Jesus spricht … - diese Worte aber schmerzen noch viel mehr, weil eben Jesus sie sagt.

Jesus.
Er, der sich für die Unterdrückten einsetzt.
Er, der die Ausgebeuteten sieht.
Er, der sich der Ausgestoßenen annimmt.
Er, der die Armen an seinen Tisch lädt.
Er, der die Unglücklichen tröstet.
Er, der Gerechtigkeit predigt.
Er, der eine bessere Zukunft verspricht.
Er, der im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Anm.: Sonntagsevangelium) eine ganz andere, himmlische Ordnung verkündet. Denn das Reich Gottes ist nahe.

Jesus.
Er spricht diese Sätze. Und hält einen Spiegel vor.
Den Jüngern.
Uns.
Dem System.
In aller Radikalität.

Die Jünger kennen dieses System nur zu gut. Nicht nur von den Römern. Sie kommen alle – mal mehr mal weniger – daher. Fischer, Zöllner, Handwerker, vielleicht nicht gerade „reich“ zu nennen, aber mit Beruf und Verdienst, vielleicht sogar mit Knechten oder Angestellten.
Sie sind seinem Ruf gefolgt, haben alles verlassen, hinter sich gelassen, haben sich in den Dienst gestellt. Und merken trotzdem immer wieder: wir scheitern an Jesu Auftrag.
Da gibt es Rangstreit unter den Jüngern und es wird debattiert, wer zur Rechten Gottes sitzen darf.
Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist …
Alles?

Es ist nicht einfach, nein, es ist in unserer Welt fast unmöglich, Jesu Ruf in all seiner Radikalität zu folgen. Wenige Menschen schaffen das. Ziehen sich aus allem heraus. Mönche und Nonnen vielleicht. Aber selbst sie sind letztendlich nicht aus der Welt.

Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. (Lk 9,23)
Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz.
Und dem Dienst.

Wir wissen es, Jesus weiß es: wir sind unnütze Knechte.
Gerade deshalb reicht er uns die Hand.
Er geht mit uns. Nicht wir mit ihm.
Wir mögen uns noch so sehr um unseren Dienst bemühen: Er dient uns schon längst.
Mit aller Hingabe. In aller Güte. In aller Freiheit.
Er sieht unsere arbeitsmüden Augen und Hände.
Er bereitet das Mahl.
Er lädt uns an seinen Tisch.
Er dankt uns für unser unvollkommenes Dienen.
Er stärkt unsere erschlafften Kräfte.
Er macht uns immer wieder Mut.
Im Vertrauen auf Gott und in der Hoffnung auf sein nahes Reich geht er mit uns, um weiter zu arbeiten, um weiter zu dienen, um die Welt zu verwandeln, damit Gerechtigkeit werde. Durch Dienen verändert sich die Welt.

„Jeder kann großartig sein, weil jeder dienen kann.“ (Martin Luther King)
Amen.

Perikope
12.02.2017
17,7-10

"Mensch Gott!"

Votum Joshua

Ich habe das Wort Syrien gehört.
Syrien in der Weihnachtsgeschichte.
Heute denke ich bei Syrien an Terror, Krieg und den IS. Und das da, wo die Geschichte von Jesus angefangen hat. Damals war kein Krieg, aber auch schwere Zeit. Jesus' erstes Bett war eine Futterkrippe. Kein sicheres Zuhause.
So wie bei vielen Kindern heute.

Votum Tess

Die Klarheit des Herrn. Wenn ich die Augen zumache, kann ich mir besser vorstellen, wie sich das angefühlt hat bei den Hirten: die Klarheit! Gott ist jetzt ganz nah. Das ist auch mein Weihnachtsgefühl. Ich atme ein und atme aus und denke: Ey, heute ist Weihnachten!
Wie schön: Die Nachricht kommt zuerst zu den Hirten. Zu einfachen Leuten. Das find' ich toll: Die frohe Botschaft ist für jeden da!

Votum Annika

Die Engel sagen: Fürchtet Euch nicht! Das gehört zu jedem Krippenspiel. Das versteht jedes Kind. Ich fühle mich bei diesen Worten gleich behütet und sicher. Vor den Engeln oder auch vor Gott muss man keine Angst haben. Diese alten Worte brauche ich an Weihnachten. Und auch sonst. Daran kann ich mich orientieren. Fürchtet euch nicht!

Votum Jessica

Die Hirten breiteten die Worte aus. Es gibt Worte, die mich jeden Tag wieder glücklich machen. Und andere machen mich nachdenklich oder traurig. Es gibt aber auch Worte, die treffen mitten ins Herz. So wie bei den Hirten. Seit dieser Nacht haben sich die Worte verbreitet. Bis zu uns. Von diesem besonderen Menschen. Der ist mir wichtig. In ihm wird Gott sichtbar.

Votum Jonathan

Maria nahm die Worte in ihr Herz auf. Maria hat sich darüber gefreut, was die Hirten über Kind gesagt haben. Ich finde, die Leute machen sich zu wenig Komplimente. Jede Mutter oder Vater freut sich doch, wenn sie etwas Gutes über ihr Kind zu hören bekommen, oder nicht? Wie wär's, wenn sich die Leute gerade heute an  Weihnachten mehr gute Sachen sagen! Das ist wie ein Geschenk. Das größte Geschenk geben wir heute weiter;  Die gute Botschaft von dem  Kind, das geboren ist. Damit sich viele darüber freuen.

Predigt Kirchenpräsident Dr. Volker Jung in der ARD Christvesper 24.12. 2016

Die Gnade Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns.

Liebe Gemeinde!

Die Weihnachtsgeschichte ist für mich eine wunderbare Geschichte. Gerade in Zeiten wie diesen. Wir stehen unter dem Eindruck des Anschlags von Berlin. Die Weihnachtsgeschichte erzählt von der Geburt dieses Kindes Jesus und staunt über das Wunder des Lebens. Gleichzeitig spürt man in der Weihnachtsgeschichte, wie bedroht das Leben ist – damals und heute.

In vielen Familien ist in diesem Jahr ein Kind geboren. Jetzt feiern sie das erste Weihnachten mit ihm. Und sie sind berührt davon: Ein Kind ist  ein großes Geschenk. Das hat Jonathan eben gesagt. Das gilt für das Jesuskind und für jedes Kind. Das Leben ist ein Wunder. Niemand kann es sich selbst geben.

Aber auch dafür steht die Weihnachtsgeschichte: Das Leben ist von Anfang an bedroht und gefährdet. Jesus wird geboren in einem besetzten Land. Seine Eltern müssen dem Befehl des Kaisers aus Rom folgen. Der Befehl führt sie nach Bethlehem – damals ein unbedeutender Ort am Rande der Weltgeschichte. Als sie ein Quartier für die Nacht suchen, finden sie erst mal keins. Kein Raum in der Herberge. Alles voll. Dann wenigstens eine Futterkrippe für das neu geborene Kind.

Und heute? Niemand kann Bedrohungen und Gefahren ausweichen. Vom Anfang bis zum Ende nicht. Niemand kann entscheiden, in Europa, in Asien, in Afrika oder sonst wo auf der Welt geboren zu werden. Niemand kann sich aussuchen, ob er im Schatten oder auf der Sonnenseite lebt, ob in Not oder in guten Verhältnissen. Für niemanden gibt es letzte Sicherheit, wo auch immer wir sind, ob auf einem Weihnachtsmarkt wie am vergangenen Montag in Berlin oder daheim im Wohnzimmer.

Joshua hat eben gesagt, wie die Weihnachtsgeschichte auf ihn wirkt. Da heißt es "Das geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war." Wie Joshua horche ich auf bei dem Wort Syrien. "Syrien in der Weihnachtsgeschichte." Es ist furchtbar, dass es nicht gelingt, den Krieg zu beenden. Sinnlose Gewalt. Bomben, Terror, Angst und Tod. Viele Menschen leiden – in Aleppo und an anderen Orten. Alte und Junge, Väter und Mütter und Kinder, immer wieder Kinder. Beim Blick in die Krippe von Bethlehem muss ich auch an diese Kinder denken. Und daran, dass das Jesuskind Schutz gefunden hat in seinen ersten Stunden. Aber Jesus wird sterben: Dreißig Jahre später, hingerichtet an einem Kreuz - durch menschliche Gewalt.

Jedes Menschenleben ist ein Geschenk. Und: Jedes Menschenleben ist vom Tod bedroht. So kann es sein, dass Angst nach Menschen greift. Oder das Gefühl, allein zu sein, ganz auf sich selbst geworfen, hin- und hergerissen zwischen Tag und Nacht. Und am Ende bleibt die dunkle Nacht? Viele Menschen erleben das – nicht nur in den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt. Oder auf der Flucht. Viele erleben das auch, wenn sie jemanden verloren haben und einsam sind. Einsam in dunkler Nacht. Oder wenn sie krank sind und um ihr Leben kämpfen. Wenn sie wissen, dass sie dem Tod entgegengehen. Vor einiger Zeit hat mir ein Freund geschrieben: "Mir war Weihnachten noch nie so nah wie in diesem Jahr." Er hatte wenige Wochen vorher von Ärzten gesagt bekommen, dass er unheilbar erkrankt ist. Aber es ist nicht nur dunkel um ihn. Sondern er spürt auch: In dieser Nacht, an Weihnachten, hat sich  der Himmel geöffnet. Davon erzählt die Weihnachtsgeschichte. Die Klarheit des Herrn, so heißt es, leuchtete um die Hirten. Sie sind erschrocken. Es ist etwas geschehen, das sie nicht begreifen konnten. Sie fürchten sich. Und dann hören sie Worte, die mitten ins Herz treffen, wie Jessi gesagt hat. Worte des Engels: "Fürchtet euch nicht! Ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr." Und: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens."

Die Botschaft der Engel ist eine Botschaft gegen die Angst. Sie ist eine Botschaft gegen den Tod und für das Leben. Annika hat recht, wenn sie sagt: "Fürchtet euch nicht, das versteht jedes Kind." Aber den Zuspruch: "Fürchte dich nicht!" brauchen nicht nur Kinder.

So machen sich die Hirten auf, um zu sehen, was sie gehört haben. Sie gehen zum Stall in Bethlehem. Sie finden Maria und Josef und das Kind in der Krippe. Von den Engeln wissen sie: Es ist ein besonderes Kind, ein göttliches Kind.

Wir wissen mehr als die Hirten. Wir kennen die Botschaft des Kindes. Seine Botschaft von der Liebe Gottes. Sie gilt allen Menschen. Wo auch immer sie herkommen, wer auch immer sie sind.

Die Botschaft von Jesus ist: Du bist ein von Gott geliebter Mensch. Darum mache dich auf. Vertraue auf Gottes Liebe und teile sie mit anderen. Mit denen, die dir nah sind – deiner Familie, deinen Freunden. Und auch mit denen, die dir fremd sind. Fürchte dich nicht! Jesus redet sogar davon, dass wir unsere Feinde lieben sollen. Das ist schwer. Mir jedenfalls fällt es nicht leicht, einem Menschen mit Respekt zu begegnen, der mich auch nur mit Worten angreift. Und selbst in mancher Weihnachtsfeier finden manche Menschen in ihrer Familie nicht zueinander. Und es ist noch viel schwerer, wenn wir an die Konflikte und Kriege in der Welt denken.

Trotzdem: Das Kind in der Krippe hat eine besondere Botschaft. Es ist das Geheimnis dieses Kindes, dass Gott sich selbst mit menschlichem Leben verbunden hat – mit all seinen Seiten. So erzählt die Weihnachtsgeschichte: Gott ist kein ferner, unnahbarer Gott. Gott ist Mensch geworden. So ist Gott nah – Dir und mir und allen Menschen auf dieser Erde. Gott ist nah – in hellen und in dunklen Stunden. Gott ist nah, damit wir leben.

Für mich ist die Weihnachtgeschichte eine wunderbare Geschichte. Sie erzählt wunderbar von Gott– davon, wie Gott uns beschenkt mit Leben. Wie er uns beschenkt mit seiner Liebe. Das ist für mich das Weihnachtsgefühl. So wie Du, Tess, es vorhin gesagt hast. Das Gefühl: "Jetzt ist Gott mir nah".

Ich hoffe, dass die Weihnachtsbotschaft viele kranke und traurige Menschen an diesem Fest erreicht und ihnen Halt und Hoffnung gibt. Und auch alle, die zurzeit verunsichert sind und Angst haben. Fürchtet euch nicht!

Und ich hoffe: Die Botschaft vom Frieden auf Erden beschränkt sich nicht auf dieses Fest. Wir nehmen sie mit in unseren Alltag. Damit sie hineinleuchtet in die Dunkelheiten unseres Lebens und die dunklen Gegenden dieser Welt. Denn Not und Krieg sind nicht das, was Gott will. Gott will, dass wir leben – in Frieden miteinander leben. Deshalb ist Gott Mensch geworden.

So bewahre der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft,  unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Perikope
24.12.2016
2,1-20

Gott sieht die kleinen Leute - Predigt zu Heiligabend von Margot Käßmann

Gott sieht die kleinen Leute - Predigt zu Heiligabend von Margot Käßmann
2,1-20

Liebe Gemeinde,

schauen wir heute, am Heiligen Abend zuerst auf Maria.

"Ich bin gemeint" – das begreift Maria. Ich, eine junge Frau aus Nazareth, die überhaupt nicht herausragt gegenüber den anderen. Sie erschreckt geradezu. Nichts Besonderes hat sie geleistet, sie ist nicht außergewöhnlich klug oder fromm oder schön oder reich. Und doch erlebt sie: Gott hat Großes an mir getan. Und so singt sie ihr geradezu revolutionäres Lied:

"Mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. … Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen." (Lk 1,46ff.)

Das ist schon sehr beeindruckend, finde ich! Da klingt Maria so ganz anders als sie in den vielen Bildern gern dargestellt wird: Die sanftmütige junge Mutter, ganz und gar auf das Kind ausgerichtet. So wird sie gern gesehen: liebevoll, still und demütig, ergeben geradezu. Ihr Lied klingt da ganz anders, finde ich. Selbstbewusst kommt es daher: Gott erhebt die Niedrigen!

In unserer christlichen Tradition spielt Maria als die "Gottesmutter" oder auch "Gottesgebärerin" eine große Rolle. Viele Mütter der Welt identifizieren sich mit ihr, die unter so schwierigen Umständen gebären muss und ihr Kind schützen will. Die irritiert ist über den Jugendlichen, der im Tempel lehrt. Die um den Sohn ringt, wenn sie mit seinen Geschwistern vor der Türe steht und erduldet, wie Jesus ihr eine Abfuhr erteilt. Die bis zuletzt bei ihm bleibt und auch unter dem Kreuz mitleiden wird. Die Pietá, Maria mit dem toten Sohn im Arm, sie ist weltweit und durch die Jahrhunderte ein Sinnbild mütterlicher Liebe.

Der Reformator Martin Luther war ein großer – heute würden wir sagen "Fan" – Marias. In einer Auslegung zum Lobgesang der Maria, diesem besonderen, als Magnifikat bezeichneten Liedes schreibt er: "…die zarte Mutter Christi, sie lehrt uns mit dem Beispiel ihrer Erfahrung mit Worten, wie man Gott erkennen, lieben und loben soll. Denn weil sie mit fröhlichem regem Geist sich hier rühmt und Gott lobt, er habe sie angesehen, obwohl sie niedrig und nichts gewesen sei, muss man glauben, dass sie verachtete geringe Eltern gehabt hat." Es ist erstaunlich, wie Luther sich hier in Maria hinein fühlt. Er sieht ihre Selbsteinschätzung der Niedrigkeit als Verweis auf ihre soziale Herkunft. Umso beeindruckender, welche Wertschätzung Martin Luther ihr zukommen lässt. Vielleicht können wir das wieder entdecken am Vorabend des Reformationsjubiläumsjahres – auch als Zeichen der ökumenischen Verbundenheit.

Der Gott der kleinen Leute

Wenn wir die Weihnachtsgeschichte hören, können wir immer wieder nur staunen. Es ist wahrhaftig keine Elitetruppe, die hier versammelt ist! Bei jeder Castingshow wären sie wohl durchgefallen, da ist kein Kandidat für Deutschland sucht den Superstar zu finden. Stellen wir uns nur vor, Maria – sie entspricht wohl kaum der Norm einer Heidi-Klum-Auswahl. Und Josef – er wird in der Geschichte eher als Randfigur angesehen, nicht gerade der Gewinnertyp. Die Hirten – das wären heute sicher auch Menschen, die um ihre tägliche Existenz ringen müssen. Weil sie von Hartz-IV leben, weil sie bitter arm sind im Alter oder denken wir an die Mexikaner, die illegal in den USA arbeiten und die Donald Trump unbedingt abschieben will. Nein, Lichtgestalten der Kino Glamour Glitzerwelt sind unsere biblischen Weihnachtsprotagonisten nicht…

In der Geschichte des Christentums wird es so bleiben. Petrus ist ein ängstlicher Typ. Sobald Jesus verhaftet wird, leugnet er, ihn überhaupt gekannt zu haben. Und doch wird er einer der führenden Apostel. Maria Magdalena umgibt ein eher zweifelhafter Ruf. Und doch wird sie wegen ihrer Glaubenstreue in aller Welt und durch die Jahrhunderte erinnert. Paulus hat Christen brutal verfolgt. Und doch wird er, der mit körperlichen Einschränkungen leben muss, das Evangelium über das Mittelmeer nach Europa bringen.

Jesus erzählt in seinem Leben und seinen Gleichnissen von Gott als einem Gott der kleinen Leute. Niemand ist zu gering. Alle können etwas beitragen mit ihrem Gottvertrauen zum Reich Gottes. Das ist mir wichtig an meiner Religion. Jesus selbst war kein Kämpfer, der auf dem Pferd mit dem Schwert daherkam und siegte. Unbewaffnet reitet er auf einem Esel nach Jerusalem ein. Er wehrt sich nicht, als er verhaftet wird. Er lässt sich verspotten, leidet, stirbt elend am Kreuz. Der Gott der kleinen Leute, er ist selbst klein, elend. Und gerade deshalb weiß unser Gott etwas vom Leid des Lebens, des Alltags, von Schmerz und Trauer. Gerade deshalb können wir uns diesem Gott anvertrauen. Gott schickt nicht Leid. Gott weiß selbst um Leid und Kummer und gibt uns die Kraft, damit zu leben.

Ein Unternehmer fragte mich neulich: Heißt das denn, mit den Reichen und Erfolgreichen kann Gott nichts anfangen? Aber doch! Gott freut sich an den Menschen. Nur haben es die Reichen und Erfolgreichen wohl in der Tat schwerer. Wer erfolgreich ist und gut zurecht kommt, meint oft, dass er oder sie niemanden braucht. Das habe ich mir alles selbst zu verdanken! Da vertrauen Menschen eher auf Macht, Schönheit und Geld als auf Gott. Sie sehen sich gern als "Macher" ihres eigenen Lebens. Deshalb ist es so schwer für sie, ihr Vertrauen ganz auf Gott zu werfen. So schwer wie für ein Kamel oder ein dickes Tau durch ein Nadelöhr zu gelangen. Wenn sie aber frei werden von der Gier nach Mehr, von der Angst um den Besitz und den Blick auf die Menschen um sie herum werfen, Freude haben am Geben und Teilen, ihr Herz nicht an Dinge, sondern an Gott hängen, dann teilen sie die Freiheit der Kinder Gottes.

Aber müssen wir nun alle etwas tun, um unser Gottvertrauen geradezu zu beweisen? Das wäre doch ganz gegen Luthers Erkenntnis, dass allein der Glaube unser Leben rechtfertigt und nicht unsere Leistung. An der Weihnachtsgeschichte der Evangelisten Lukas und Matthäus können wir sehr schön ablesen, was Luther meint. Maria leistet nichts. Sie vertraut sich mit ihrer Schwangerschaft Gott an. Und gerade so wird sie zum Sinnbild von Gottvertrauen. Josef hat seine Zweifel mit Blick auf all die problematischen Umstände. Aber er fragt nicht viel, er steht seiner Frau bei, vertraut seiner Intuition, seinem Traum, und flieht vor dem mordenden Diktator Herodes nach Ägypten. Die Hirten haben nichts vorzuweisen. Aber sie vertrauen dieser Botschaft, die sie wie von Engeln zu hören meinen. Es wird nicht sofort alles besser für die Protagonisten. Kein Geldregen kommt über sie, ein Happy End ist nicht in Sicht. Und doch ändert sich ihr Lebensgefühl: Gott ist da. Gott ist mitten unter uns erfahrbar, das erleben sie. Ihr Leben macht Sinn. Sie sind angesehene Personen, weil Gott sie ansieht.

Du bist gemeint

In seiner Magnifikatauslegung schreibt Martin Luther auch: "Niemand lasse den Glauben daran fahren, dass Gott an ihm eine große Tat tun will". Niemand. Das heißt, nicht nur Maria ist gemeint. Auch Du bist gemeint. Wir alle. Gott traut ganz normalen Menschen etwas zu. Allen Menschen. Auch Dir und auch mir. Und wenn wir begreifen, wir sind gemeint, dann können wir einen Teil dazu beitragen, dass eine Spur gelegt wird vom Frieden Gottes schon in dieser Welt.

Gott spricht uns an, auch wenn wir nicht außergewöhnlich klug oder fromm oder schön oder reich sind. Kleine Menschen spielen eine Rolle!  Eine junge Frau, ein Zimmermann, Hirten. Petrus, der Jesus verleugnet, und Maria Magdalena, die einen zweifelhaften Ruf hat. Du und ich. Uns allen traut Gott zu, etwas zu erzählen davon, was die Liebe und Zuwendung Gottes bedeutet. Das bleibt auch heute wahr.

Da macht ein Mensch die Erfahrung von Liebe und entdeckt: Mein Leben macht Sinn, ich bin gar kein Looser, nein, mir ist Sinn schon zugesagt. Ich schaffe das schon. Da nimmt eine Familie schlicht einen Flüchtling bei sich auf, ohne großes Trara, weil sie das als christliche Haltung ansehen. Und sie erleben Bereicherung, Glück an dieser Gemeinsamkeit. Ein Mann tritt für die Würde des Obdachlosen ein, der aus dem Laden gescheucht werden soll, und spürt an sich: Ja, das war gut, das fühlt sich richtig an. Eine Jugendliche verteidigt ihre dunkelhäutige Freundin, die in der Straßenbahn angepöbelt wird. Sie begreift: Unsere Verbindung ist stark, das Miteinander kann dem Hass etwas entgegen setzen. Immer dann ereignet sich etwas von dieser Barmherzigkeit Gottes mitten in unserer Wirklichkeit. Und immer dann sehen wir im Kleinen, was einst im Großen Gottes Zukunft bedeuten wird: Das Ende von Hass und Gewalt.

Zuletzt

Hier in der Schlosskirche steht heute eine Krippe, die in der Malschule hier in Wittenberg hergestellt wurde. Die Jugendlichen, die sie aus Ton geformt haben, stammen größtenteils aus nichtchristlichen Familien. Als sie die Weihnachtsgeschichte hörten, dachten sie daran, dass Jesus ja schon als Kind auf der Flucht war mit seinen Eltern. Und so haben sie ein kleines Flüchtlingsboot in die Krippe integriert. Ich finde das sehr anrührend und sehr passend. Nächstes Jahr werden wir bei der Weltausstellung Reformation ein solches Flüchtlingsboot im Schwanenteich in Wittenberg platzieren. Wir wollen zeigen: Reformation, Veränderung brauchen wir auch heute. Sie ist dringend geboten, denn unsere Welt schreit nach Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Die biblischen Geschichten, sie sind hochaktuell.

Gott übersieht sie nicht, die so genannten kleinen Leute. Nicht die Menschen, die in tiefster Angst über das Mittelmeer fliehen, die ertrinken, weil sie nicht schwimmen können. Nicht die Menschen, die nicht ein und aus wissen, weil das Geld so knapp ist und die Kinder doch so gern neue Schuhe hätten. Nicht die Menschen, die ganz still sind, weil die Rente so klein ist und sie sich kaum trauen, um Hilfe zu bitten, zur Tafel zu gehen, zu beschämend ist das.

Als ich vor einigen Jahren den Weihnachtsgottesdienst in der Marktkirche Hannover hielt und die Kirchenälteste mit der Lesung begann: "Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging…" stöhnte neben mir ein etwa zehnjähriger Junge auf: "O Mann, die Story kenn ich schon!" Ich hab´ ihm zugeflüstert: "Und du wirst sie immer wieder hören im Leben, jetzt mit deinen Eltern, später vielleicht mit deiner Liebsten und deinen eigenen Kindern!"

Ja, für mich klingt die Weihnachtsgeschichte jedes Jahr neu. Weil sie lebendig werden, Maria und Josef, das Kind und die Hirten und die Weisen. Wir begegnen ihnen auf den Straßen von Wittenberg und Berlin, von Köln und München. Schauen wir hin! Sehen wir uns an. Und stehen wir einander bei.

Weihnachten meint nicht immer Glanz und Gloria wie es uns die Werbung vorgaukelt. Die Weihnachtsgeschichte selbst handelt von kleinen Leuten mit all ihren Sorgen und Konflikten. Und so wird es auch heute Abend Enttäuschung gegeben haben, auch Bitterkeit und Streit. Aber vielleicht hilft der Blick auf die Weihnachtsgeschichte selbst, dass wir das überwinden. Das Leben ist nicht perfekt, kein Leben ist das. Aber wenn wir uns Gott anvertrauen, dann bekommen wir einen gnädigeren Blick auf uns selbst. Und wir können freier auf die anderen blicken. Auch wenn heute Abend nicht alles gelungen ist, nicht alles harmonisch war: Gott ist da, mitten im Alltag, mitten in unseren Auseinandersetzungen und gerade auch da, wo eine Träne fließt.

Ich wünsche Ihnen frohe und gesegnete Weihnachten.

Amen.

Perikope
24.12.2016
2,1-20

Glauben Sie an Engel? - Predigt zu Lukas 1,26-33(34-37)38 von Christiane Borchers

Glauben Sie an Engel? - Predigt zu Lukas 1,26-33(34-37)38 von Christiane Borchers
1,26-33(34-37)38

Liebe Gemeinde,
glauben Sie an Engel? Glauben Sie, dass ein Engel kommt und Ihrem Leben eine neue Per-spektive gibt? So wie Maria das erlebt hat?
Ursula wünscht sich eine neue Perspektive. Sie möchte, dass sie ihr Leben befreit führen kann. Ihre Tage verlaufen anstrengend, das geht schon Jahre so. Anstrengend sind sie, weil sie sich in ihrer jetzigen Rolle  unwohl fühlt. Die wurde ihr unfreiwillig zugeschoben. Das ist nicht immer so gewesen. Ursula hat einen verantwortungsvollen Posten in einer großen Fir-ma bekleidet. Sie hat wichtige Entscheidungen getroffen, wesentliche Impulse gesetzt, der Firma ein Profil gegeben. Dann kam ein neuer Chef, jung und unerfahren, mit neuen Ideen. „Räumen Sie Ihren Schreibtisch“, hat er schon bald nach der Übernahme der Firma angeord-net, „ab morgen arbeiten Sie in der unteren Etage.“ Diese Mitteilung des Chefs wirft Ursula völlig aus der Bahn. „Warum“, will sie wissen. „Was habe ich falsch gemacht? Womit sind Sie nicht zufrieden?“ Ohne ihr eine Antwort zu geben, verlässt der Chef überstürzt das Büro. Eine unheilvolle Stille legt sich schwer über den Raum. Mechanisch fängt Ursula an, ihren Schreibtisch zu räumen. Sie fühlt sich innerlich leer, auf eine merkwürdige Weise unbeteiligt. Als wäre es nicht sie, die hier wegräumt. Die Situation kommt ihr unwirklich vor. Die Herunterstufung des Chefs löst bei Ursula eine tiefe Krise aus. Sie darf nur noch untergeordnete Tätigkeiten ausführen. Sie wird zwar nicht entlassen -  dazu fehlen dem Chef die rechtlichen Möglichkeiten -  aber sie trägt keine Verantwortung mehr, hat keine Aufgaben mehr, die sie erfüllen. Ursula kommt mit ihrer neuen Rolle nicht zurecht. Sie ist unglücklich, wird trübsinnig. Ihr Ansehen sinkt. Ihr Selbstbild gerät ins Wanken. Das Schlimmste ist das Mitleid, das manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr entgegen bringen. „Nimm es dir nicht so zu Herzen“, tröstet sie ihr Mann. „Du wirst weiterhin gut bezahlt. Wenn der neue Chef deine Fähigkeiten nicht nutzen will, ist er selbst schuld.“ Das sagt Ursula sich selber, aber es hilft nicht wirklich. Ursula steht auf dem Abstellgleis. Sie kann keine Fahrt aufnehmen. Sie ist zum Stillstand verurteilt. Sie ist ausgemustert und abgeschoben. Das kränkt und tut weh. Es kostet Ursula viel Kraft, mit dieser unerträglichen Situation täglich umzugehen.
„Silke“, klagt Ursula ihrer besten Freundin „zu Maria ist ein Engel gekommen und hat ihr gute Botschaft gebracht. Kann nicht auch ein Engel zu mir kommen und mir gute Botschaft bringen? Oder kommen Engel nur in der Bibel vor? Es ist doch Advent! Wir warten doch auf Christus, den Retter und Erlöser.“ Ihr Wunsch kommt ihr selbst kindlich vor. Aber Ursula möchte nicht an den Rand gedrängt und ausgebremst werden. Sie wartet, dass einer kommt und sie herausholt aus ihrer beschämenden Situation. Sie braucht einen Engel, der ihrem Leben eine neue Perspektive gibt.
Engel sind Gottes Boten. Sie sind Wesen zwischen Himmel und Erde. Sie stellen die Verbin-dung zwischen oben und unten her. Engel bringen Gottes Wort zu den Menschen. Engel kommen in der Bibel vor. Engel gehen auch heute zu Menschen, die in Not und Bedrängnis sind.
Wenn Engel in das Leben eines Menschen eintreten, kann das nicht nur Freude, sondern auch Furcht auslösen. Maria erschrickt, als Gabriel sie anspricht. Sie ist eine einfache Frau, sie ist es nicht gewohnt, dass sich ihr der Himmel öffnet. „Sei gegrüßt, du Begnadete! Gott ist mit dir.“ (Lk 1,28b) Maria kann die Situation nicht einordnen. Der Engel erklärt sich, nimmt ihr die Angst, teilt ihr mit, was Gott mit ihr vorhat. „Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Den sollst du den Namen Jesus geben. Er wird der Sohn des Höchsten sein und den Thron Davids erben. Er wird König sein über Israel in Ewigkeit, sein Reich wird kein Ende haben.“ (Lk 1,31-33) Große Worte an eine einfache Frau gerichtet. Maria soll den Heiland gebären - ist so etwas möglich?
Maria ist eine gläubige Frau. Sie wartet wie alle frommen Jüdinnen und Juden auf den Hei-land. Die großen Worte für den Heiland und seiner Herrschaft sind ihr vertraut: Sohn des Höchsten, Davids Thron, König, Reich in Ewigkeit. Sie kennt diese erhabenen Ehrenbezeich-nungen für den Sohn Gottes von den Propheten. Sie erinnern besonders an die Schriften des Propheten Jesaja: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.“ (Jes 9,5a) In der Synagoge werden die Schriften regelmäßig gele-sen. „Und er heißt: Wunder-Rat, Ewig-Gott, Friede-Fürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er es stärke und stützte durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit (Jes  9,5bf).“
Maria ist auserwählt, das Kind zu gebären, von dem so Großes gesagt wird. Das kann sie kaum glauben. Werden andere es glauben? „Bei Gott ist kein Ding unmöglich“, besinnt sie sich. Letztlich vertraut sie der Botschaft des Engels, nimmt sie demütig an und spricht ehrfürchtig die Worte: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ (Lk 1,38) Gabriel hat seine Aufgabe erfüllt und kehrt in den Himmel zurück.
Maria hat eine Botschaft aus dem Himmel vernommen, die keine Frau je vernommen hat und auch keine Frau wieder vernehmen wird. Gabriels Botschaft ist einmalig. Gott kommt in die Welt und wird geboren von einer Frau. Anders als durch weiblichen Schoß kann und will Gott nicht auf die Erde kommen.
Gott wird Mensch wie wir, geboren von einer Frau, sterblich wie wir.
Und doch ist Jesus anders als alle anderen Menschen. Er ist wie wir und zugleich der Heiland, der König auf dem Thron Davids. Sein Reich, sein Recht und seine Gerechtigkeit haben kein Ende bis in Ewigkeit. Jesus kommt mitten in der dunklen Nacht und erhellt die Finsternis. Zu den Mühseligen und Beladenen kommt er zuerst. Er bringt das Recht zu den Völkern, den glimmenden Docht löscht er nicht. Über denen, die im Dunklen wohnen, scheint es hell.
Maria ist die Frau, die auserwählt ist, Gott in die Welt zu bringen. Der Himmel bleibt nicht für sich. Gott teilt sich mit, überlässt Menschen nicht ihrem Schicksal.
Die im Dunkeln sitzen, erhalten ein Licht. Wer den Weg nicht weiß, bekommt eine helfende Hand, die ihn führt und leitet. Gott kommt, hilft, heilt, erleuchtet, tröstet. Menschen wie Ursula bleiben nicht in der Finsternis. Mit Weihnachten kommt ein Licht in die Welt, das auch ihr gilt. Es macht ihre Finsternis hell, schenkt Hoffnung und Perspektive.
Engel kommen auch heute noch und bringen Gottes frohe Botschaft auf die Erde. Gott spricht durch Menschen, die Trost geben, die helfen, unterstützen und ein verbindendes Wort finden. Gott sendet Menschen, die an unserer Seite stehen und uns nicht verlassen.
Glauben Sie an Engel, war meine Ausgangsfrage. Glauben Sie an Engel, die zu Ihnen kom-men und Ihnen eine neue Perspektive geben? Ich glaube daran. Engel kommen und bringen gute Botschaft. Sie richten auf und stärken, machen Mut und geben Hoffnung. Gott verbürgt sich dafür, dass sein Recht und seine Gerechtigkeit auf Erden Wirklichkeit werden und sein Reich kein Ende hat in Ewigkeit. Amen.

 

Perikope
18.12.2016
1,26-33(34-37)38

Freudige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus – Predigt zu Lukas 3,1-14 von Karin Klement

Freudige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus – Predigt zu Lukas 3,1-14 von Karin Klement
3,1-14

Liebe Advents-Gemeinde, liebe Tauffamilie,

haben Sie eigentlich noch richtige Erwartungen? Hoffnungen auf etwas, das irgendwie wundervoll, absolut überraschend, ja himmlisch sein wird? Kennen Sie noch die kribbelige Vorfreude, die innere Gespanntheit, die aufgeregte Neugierde, so wie die Kinder? Für die Kleinen ist jede simple Schneeflocke ein Zauber oder ein höchst interessantes, herrlich matschiges und prima zu verklumpendes Spielzeug. Sie können nicht abwarten, bis der erste nächste Schnee fällt.

Und wir - mehr oder weniger - Erwachsenen? Sind unsere Erwartungen geschrumpft, verpufft wie ein allzu oft aufgeblasener Luftballon, der seine Spannung verloren hat? Enttäuschte Erwartungen, still und heimlich entschwundene Träume, wie ein Geist aus ferner Zeit?

Ursprünglich ist ADVENT die Zeit der Erwartung. Warte-Zeit auf den, der da kommen will, alle Jahre wieder. Doch im Laufe der Zeit ist die Erwartung abgekühlt, abgeklärt. Sie hat sich verändert. Nun warte nicht mehr ich, vielmehr richten sich die Erwartungen auf mich: Für das große Familien-Weihnachtsfest ist alles schön vorzubereiten, passende Geschenke sind zu besorgen, natürlich auch geheime Wünsche von den Augen der geliebten Menschen abzulesen und – wenn möglich – zu erfüllen. Die vor-weihnachtliche Zeit entwickelt sich zum Spießrutenlauf um die neuesten, besten, erstrebenswertesten Geschenke. Anstelle der ursprünglichen Fasten-Zeit gibt es Lebkuchen und Weihnachtsplätzchen bis zum Abwinken. Anstelle einer ruhigen Besinnlichkeit ist es ein Hetzen von einer vorgezogenen Weihnachtsfeier zur nächsten. Anstelle einer enthaltsamen, sparsam gefüllten Zeit springen mir die vollbehängten Weihnachtsbäume in jedem Einkaufsladen in die Augen, golden glitzernd im glimmernden Kerzenschein aus der Steckdose. Welche Überraschung bietet da noch der Weihnachtsbaum in der eigenen guten Stube?

Wir tun uns selbst keinen Gefallen, wenn die Erfüllung der Erwartungen jedes Jahr immer großartiger, immer beeindruckender sein soll. Aber wie kommen wir zur Ruhe? Wie finden wir wieder, was wir eigentlich erwarten – tief verborgen in der Seele, untergegangen in der proppenvollen Alltagszeit, zugedeckt von fremden Erwartungen, die uns Film, Fernsehen oder Werbung suggerieren? Wo verbirgt sich das geheimnisvolle Weihnachten? Das überraschende, unerwartete, herzbewegende Weihnachten?

Wir erwarten eine Geburt. Aber wer oder was da in uns geboren werden soll, verbirgt sich zunächst vor dem Wissen der Menschen. Nur mit einem Gefühl, mit einer leisen Ahnung beginnt das neue Leben sich zu entwickeln. So ist es zumindest bei uns Menschen.

Eine Tauffamilie erzählte mir: Als ihr Baby unterwegs war, warteten sie hocherfreut auf die ersten medizinischen Einblicke. Per Ultraschall wurde Mamas Bauch durchleuchtet. Etwas verschwommen erschien der Umriss einer Gestalt auf dem Bildschirm. Darin: Ein flimmerndes Herz, sich bewegende Arme und Beine, sogar das Profil eines Köpfchens. Immer noch recht vage, eigentlich so, wie fast jedes Kind im Mutterleib aussehen könnte. Ein kleines Detail, das genauere Rückschlüsse zulassen könnte, hielt das Kind bestens versteckt. Es weckte bei den Eltern die freudige Erwartung auf eine kleine Charlotte. Welche Überraschung, dass es anders kam als erwartet: Ein kleiner Ruben wurde geboren. Und für die Großeltern mit ihrer Hoffnung auf einen ersten männlichen Enkel noch eine überraschende Steigerung der Freude.
Freude von außen zu bewirken oder sie sich selbst zu verschaffen gelingt nicht. Sie kommt wie ein Wunder!

ADVENT – Warten auf ein Wunder?
Für den mahnenden Prediger Johannes stellt sich der Advent anders dar: Als eine Zeit der Buße, der Umkehr und Neuorientierung, weil es unbedingt und dringend nötig ist. Die Auflistung einer Reihe von Mächtigen seiner Zeit ruft den Menschen ins Bewusstsein, dass ihr Leben unter verschiedenen Fremdbestimmungen steht. Ihr Land ist besetzt von römischer Herrschermacht. An den Wegen, die sie zurücklegen, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen, stehen überall Zollstationen, wo sie der Willkür der Zöllner ausgeliefert sind. Eine allgegenwärtige Präsenz des Militärs ist weniger zu ihrem Schutz, sondern vielmehr eine Last: Soldaten, die sich unrechtmäßig und gewaltsam nehmen, was sie haben wollen. Die Aufzählung der Herren ihrer Zeit lässt die Menschen erkennen, wie ihr Leben eingebunden ist in Umstände, die sie nicht ändern können. In unheilvolle Zusammenhänge, die ihnen und anderen Unrecht antun. Das Heil der Welt lässt auf sich warten. Und von den Mächtigen, den Reichen ihrer Zeit haben die einfachen Leute nichts Gutes zu erwarten.
Aber muss man sich mit all dem abfinden? Reicht es, zu versuchen, irgendwie sein eigenes „Schäfchen ins Trockene“ zu bringen, nach dem Motto: „Hauptsache, mir geht`s gut! An den üblen gesellschaftlichen Zuständen kann ich, als kleiner Mensch, sowieso nichts ändern!“

Weshalb kommen die Menschen zu Johannes? Suchen sie ihr privates Stückchen Glück in der Taufe zur Schuldvergebung? Reicht es ihnen aus, bestätigt zu bekommen, dass sie alles getan haben, was unter den gegebenen Umständen möglich ist, um irgendwie anständig zu leben?

Für Johannes geht es weder um Anklang und Popularität bei den Leuten, die ihm zuhören, noch um geschliffene, einschmeichelnde Worte. Es geht ihm um das, was wir tun, wie wir leben. Um unsere menschliche Einstellung, um unser Verhalten. Mit bissigen, verletzenden, ja unverschämten Worten staucht er seine Hörer zusammen: Tut Buße! Kehrt um, ändert euer Leben! Tut Gutes, eben das, was Gott als Selbstverständlichkeit von euch erwartet! Herbe, unbequeme Worte. Eine Publikumsbeschimpfung, die Geschichte gemacht hat: Ihr Schlangenbrut! Glaubt ihr etwa, dass ihr aufgrund eurer Zugehörigkeit zum Gottesvolk von Gottes Zorngericht ausgenommen seid? (Lk 3,7)

Johannes, der zornige Prediger in der Wüste, enttäuscht die Erwartungen seiner Zuhörer absichtlich, ganz bewusst. Keine krummen Wege lässt er durchgehen, keine Berg- und Talfahrt, die von Wahrheit und offener Ehrlichkeit ablenken will. Auf geradem Weg soll jeder Mensch sein Ziel erreichen. Aber wie sieht dieser Weg konkret aus? Was sollen wir denn tun?

Johannes predigt eine Buß-Taufe. Er redet vom Untergang des alten Menschen im Jordanwasser und vom Auftauchen eines ganz neuen, von Schuld gereinigten Menschen hinein in ein neues Leben. Wenn wir ein Menschenkind taufen (wie heute zum Beispiel Nele Sophie), dann tun wir das wohl in ganz anderer Erwartung. Wir hoffen auf himmlischen Beistand, auf Schutz und Bewahrung. Wir hoffen auf Gottes Segen, der dieses Menschenkind wie einen Schirm vor schlimmen, tränenreichen Erfahrungen schützen soll.
Doch Johannes predigt einen anderen, einen herausfordernden Gott. Einen Gott, der seinen Anspruch an uns Menschen stellt. Einen Gott, der seine Geschöpfe nicht wie Marionetten am Bändchen hält, sondern vielmehr uns Freiraum schenkt. Freien Raum für eigene Entscheidungen, die wir selbst zu verantworten haben. Freiraum auch zu Taten und Erfahrungen, die uns belasten, schmerzen oder in die Enge treiben können.
Johannes predigt keinen sanften, butterweichen Gott, sondern einen strengen, ernstzunehmenden Gott. Diesem Gott ist es nicht gleichgültig, wie wir handeln, wie wir mit anderen und mit uns selber umgehen. Dieser Gott fordert Rechenschaft und Umkehr, nicht nur dort, wo ganz offensichtlich falsche Wege gegangen werden, sondern auch dort, wo ein Gefühl der Selbstgerechtigkeit den kritischen Blick auf das eigenen Tun verstellt.

Was Johannes predigt, ähnelt einer elterlichen Erziehung: Solange wir unseren Kindern immer nur nachgeben, ihnen keine Grenzen setzen, können sie ihre Kräfte nicht erproben. Ihre Wege nicht an uns orientieren. Wenn wir ihnen jedoch einen Rahmen vorgeben, Ethik und Moral vorleben, können sie daran ihre eigenen Wertvorstellungen ausprobieren und messen.

Die Rahmenrichtlinien für ein gottgefälliges Leben, die Johannes vorgibt, erscheinen wie simple „Allerwelts“-Regeln: Die Zöllner sollen nicht mehr fordern, als ihnen das Recht zugesteht. Die Soldaten sollen ihre Macht nicht zum Schaden anderer ausnutzen. Und wir alle sind von Johannes gehalten, unseren Besitz mit den Bedürftigen zu teilen.

Mehr verlangt er nicht? Nein, weniger verlangt er nicht! Das oft Gehörte, das allzu Vertraute und Selbstverständliche muss anscheinend immer wieder gesagt und konkret beschrieben werden. Das neue Leben aus der Taufe soll an jenem Ort anfangen, wo wir leben: Im Alltag, bei der Arbeit, in der Familie, bei den Menschen, die mit uns leben. Wenn Johannes vom Teilen und Abgeben spricht, geht es ihm vielleicht nicht darum, Besitz und Habe akribisch genau aufzuteilen, sondern eher darum, dass wir einen Blick dafür gewinnen, was wir einander schuldig sind. Dass wir uns Gedanken darüber machen, was wir selbst dazu beitragen können, damit alle Geschöpfe Gottes leben und überleben können.

Das Abgeben und Teilen – nicht nur von Geld, auch von Zeit und Mitgefühl, von Rücksicht und Anteilnahme – ist ein grundlegendes Problem unserer Zeit. Wir wissen schon, was wir einander schuldig wären, doch an der Umsetzung vom Wissen in die Tat hapert es immer noch.

Die Stimme des Predigers in der Wüste stört und stößt an. Sie lässt uns den Advent nicht gemütlich feiern oder bequem genießen. Sie fordert heraus. Und das ist gut so! Sanfte Worte hören wir zu Genüge. Freundliche, unverbindliche Worte, die sich nicht festlegen lassen, umgeben uns wie Wattebäuschen vor der harten Realität. Mit ihnen lässt sich wenig anfangen. Sie widerstehen keinem Druck, sondern geben nach und verpuffen.
Johannes aber drängt und widersteht. Seine Botschaft hat er sich nicht selbst ausgewählt, aber sie ist ihm wichtig, mindestens genauso wichtig wie die Menschen, zu denen er spricht. Doch er ist ein Rufer in der Wüste, ein Mahner aus der Distanz. Er kommt den Menschen nicht nahe, sondern bleibt ein merkwürdig fremdes Sprachrohr Gottes.

Auch Jesus fordert zur Umkehr auf. Auch er predigt vom Neuen Leben, das mit der Taufe schon hier und heute beginnen soll. Doch er tut es nicht aus der Distanz heraus, er kommt den Menschen hautnahe. Er geht in ihre Häuser, teilt ihr Leben, ihre Sorgen, kennt ihre Nöte. Und allen, die sich nach einem neuen Leben sehnen, spricht er Gottes Nähe zu. Nicht der brennend-zornige, fordernde Gott steht im Mittelpunkt seiner Rede und seines Handelns, sondern der liebende, versöhnende Gott, der großzügig sich selbst verschenkt.

„Kehrt um, denn Gottes neue Welt ist nahe!“ Was bei Johannes wie eine Drohung klingt, wird im Munde Jesu zu einer Einladung. Johannes und Jesus sind wie zwei ungleiche Brüder, und zugleich beide wichtig. Johannes bereitet den Weg vor. Er stellt uns klar vor Augen, wie ernst die Situation ist, und wie notwendig die Umkehr. Er enttäuscht unsere falschen Erwartungen.

Jesus aber überbietet die Botschaft des Johannes. Er ermutigt uns zu ganz neuen, heil- und hoffnungsvollen Erwartungen: Umkehr ist nicht nur nötig, sie wird uns auch möglich! Weil Gott in seiner Liebe uns längst zuvorkommt. Weil er uns in Jesus als Mensch und Mitmensch entgegenkommt. Das Heil, das Gott seiner Welt schenkt, ist schon längst auf den Weg gebracht. Wir schauen es im Kind in der Krippe. Wir ahnen es im Bild des Gekreuzigten.

Johannes ist der Wegbereiter, aber Jesus selbst ist der Weg, auf dem wir gehen können. All unsere Lebenswege, durch manche Nacht von Leid und Schuld, durch tiefe Täler der Enttäuschung, genauso wie über die unzähligen Gipfel des Glücks. Das dürfen wir erwarten – nicht nur im Advent. Überrascht, neugierig und gespannt – wie ein Wunder!    
Amen.

 

Perikope
11.12.2016
3,1-14

Angesehen - Predigt zu Lukas 1,26-38(39-45) von Kathrin Oxen

Angesehen - Predigt zu Lukas 1,26-38(39-45) von Kathrin Oxen
1,26-38 (39-45)

Elisabeth hatte die Hoffnung ja schon aufgegeben. Sie wusste, dass es so bleiben würde, mit den mitleidigen Blicken und dem Getuschel, wenn sie zusammen irgendwo hin gingen. Sie kannte die mehr oder weniger diskreten Nachfragen. Die Frage blieb ja sowieso immer die gleiche über die Jahre, abwechselnd nur in den Zeitformen. Zu Beginn lautete sie: „Wollt ihr nicht oder könnt ihr nicht?“. Und als die Jahre vergingen, eines nach dem anderen, hieß es irgendwann: „Wolltet ihr nicht oder konntet ihr nicht?“
Die Antwort war in ihrem Fall immer von schmerzhafter Eindeutigkeit. Natürlich wollen wir, aber es soll wohl nicht sein. Natürlich wollten wir, aber es sollte wohl nicht sein. Schon wieder die Vergangenheitsform. Aber die trifft es ja auch genau. Für uns gibt es keine Zukunft, bloß das bisschen Gegenwart und irgendwann sehr viel Vergangenheit. So ist das, ohne ein Kind.

Maria hatte die Hoffnung ja schon aufgegeben. Sie wusste, dass es so bleiben würde, mit den mitleidigen Blicken und dem Getuschel, wenn sie irgendwo hinkam. Sie kannte auch schon diese mehr oder weniger diskreten Nachfragen: „Musste das sein? Du hast doch das Leben noch vor dir…“
Und das ist nur der Anfang. Noch sieht es ja keiner, aber bald werden es alle sehen können. Dann kann sie es nicht länger verstecken und muss es zeigen. Ihr Gesicht, das Gesicht eines Mädchens und darunter der schwangere Bauch einer Frau. Mitleidige Blicke, Getuschel und manchmal auch ein leises Kopfschütteln. Sie ist doch selbst fast noch ein Kind.

Als ein Engel zu Maria kommt, um ihr anzukündigen, dass sie ein Kind erwarten wird, hat er ihr auch von Elisabeth erzählt. Eine Verwandte von Maria, ihre Cousine, deren Schicksal immer mal wieder zum Gesprächsthema wurde in der Familie.
Elisabeth und Zacharias, nein, da gibt es nichts Neues. Die werden wohl keine Kinder mehr bekommen. Ja, schade ist das. Nun sind sie ja aber auch schon viel zu alt dafür.
Aber der Engel sagt etwas anderes. Er sagt: Bei Gott ist kein Ding unmöglich. (Lk 1,37) Und er sagt auch: Elisabeth ist schwanger, man sieht es schon, sie ist im sechsten Monat. Und da ist Maria losgelaufen, um es mit eigenen Augen zu sehen. Und auch, um nicht immerzu an das andere denken zu müssen, was der Engel gesagt hat und an das sie selbst lieber noch nicht so viel denken mochte. Dass auch sie, Maria, ein Kind bekommen würde, Gott weiß, wie. Unmöglich, genauso unmöglich wie bei Elisabeth. Sie ahnt schon jetzt, was auf sie zukommen wird. Mitleidige Blicke, Getuschel, leises Kopfschütteln. Und dann ist sie bei Elisabeth und sie sieht ihr ins Gesicht, in das faltige Gesicht einer Großmutter. Und sieht Elisabeths Bauch. Das Kind bewegt sich schon, sagt Elisabeth. Unmöglich. Aber nicht bei Gott.

Elisabeth und Maria begegnen sich. Zwei Frauen, die das Allerschlimmste kennen. Eine kinderlose Frau zu sein, das war das Allerschlimmste, was einem passieren konnte, damals. Und das andere Allerschlimmste, was einem passieren konnte, damals, war ein uneheliches Kind zu bekommen. Die eine hatte es schon hinter sich, eine Vergangenheit, ein ganzes Leben voller Enttäuschung und Leere. Die andere hat es erst noch vor sich, eine Zukunft voller Ungewissheit und Fragen.

Aber als sie zusammenkommen, da ist es, als träten sie alle aus dem Schatten der Vergangenheit zu ihnen beiden. Alle diese Frauen aus der Geschichte Gottes mit seinen Menschen. All die Frauen, die auch das Allerschlimmste kennen, die mitleidigen Blicke, das Getuschel, das leise Kopfschütteln.
Sara ist da, Abrahams Frau. Auch sie hat noch ein Kind bekommen zur Unzeit, nach endlosen Jahren ohne Hoffnung. Weiße Haare, ein faltiges Gesicht und ein schwangerer Bauch.
Rahel ist da, die so sehr geliebte, um die Jakob so viele Jahre gedient hat. Lange Zeit konnte sie keine Kinder bekommen und musste noch dabei zusehen, wie ihre Schwester Lea, von Gott mit einem Kind nach dem anderen beschenkt wurde.
Hanna ist da, auch sie kinderlos, mit ihren Tränen und inständigen Gebeten und dem Gesicht voller Scham und Schmerz, die Mutter des Propheten Samuel.
Und Ruth und Naomi sind da, die junge Frau und die alte, nach Israel gekommen als Asylantinnen ohne eine Zukunft und später durch ein Kind eingeschrieben in den Stammbaum des großen Königs David. So geht es zu bei Gott. Das wissen die beiden Frauen, als sie sich begrüßen, die alte und die junge. Elisabeth und Maria.

Und all diese Frauen sind in dem Lied, das Maria anstimmt. Sie singt es allein, aber eigentlich ist es doch ein Chor. Der Chor der Frauen, die das Allerschlimmste kennen, die es schon hinter sich haben oder noch vor sich. Und dieser Chor singt:

Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. (Lk 1,46-48)

Gut, dass Maria singt. Gut, dass wir sie hören können, denn zu sehen ist sie kaum hinter all den Schleiern, die die Zeit um sie gewoben hat. Elisabeth geht es genauso.
In allen Darstellungen sehen die beiden nicht gerade aus wie Frauen, die das Allerschlimmste kennen. Dort sehen sie aus wie Königinnen, die eine rot, die andere blau gewandet, in Kleidern aus prächtigen kostbaren Stoffen mit edlem Faltenwurf.

Eigentlich sehen die beiden aber anders aus. Elisabeth hat einen beigen Mantel an und einen Pullover vom Kleiderstand auf dem Wochenmarkt. Sie hat eine billige Dauerwelle und eine kleine Wohnung, weil für mehr ihre Rente nicht reicht. Elisabeth und ihr Mann sitzen am Abendbrottisch und da sind Margarine und Streichwurst und dünner Tee und wenig Worte. Der Tag ist immer gleich und die Woche auch, weil selten mal Besuch kommt, denn die Kinder sind weit weg und haben ihr eigenes Leben und müssen auch sehen, wie sie über die Runden kommen. Das bisschen Gegenwart und viel Vergangenheit.

Und Maria ist eine von den Müttern, die ihren Kinderwagen durch die Fußgängerzonen schieben und die zu enge T-Shirts anhaben in grellen Farben. Zu zweit oder zu dritt gehen sie, mit so einer Art trotzigem Stolz. Eine von diesen Müttern, die noch Mädchen sind, deren Schwangerschaft wohl eher Befürchtungen als Freude ausgelöst hat. Ein Vater ist meistens nicht so richtig dabei. Man sieht ihnen hinterher und fragt sich, ob das wirklich sein musste und welche Zukunft außer Hartz IV sie jetzt eigentlich vor sich haben. Sie sind ja selbst fast noch Kinder.

Solche Elisabeths, solche Marias, das sind die Menschen, die Gott ansieht. Da singt keine ansehnliche junge Frau, sondern ein ganz junges jüdisches Mädchen aus der Unterschicht ihrer Zeit.
Dieses Mädchen ohne Ansehen singt mit der Kraft all der Frauen, die erfahren haben, dass Gott sie ansieht. Sie singt mit der dünnen alten Stimme Saras und mit den Stimmen der Schwestern Lea und Rahel. Sie singt mit den Worten der gedemütigten Hannas und mit der Hoffnung der Asylantin Ruth auf eine Heimat. Sie singt mit der Zuversicht einer alten, armen Frau mit dem Namen Naomi.

Maria singt mit den Stimmen derer, die ohne Ansehen sind. Sie singt für die Elisabeths und die Marias unserer Zeit. Denn die kennen noch ein anderes Allerschlimmstes: Gar nicht mehr gesehen und wahrgenommen zu werden.
Die alten Frauen und ihre Männer, die zurechtkommen müssen mit dem, was am Ende ihres Lebens herauskommt an Rente und mit dem, was für das Leben dann noch übrigbleibt.
Die Teenagermütter aus sozial schwierigen Verhältnissen. Und all die anderen Menschen ohne Ansehen, ohne die Möglichkeit und am Ende auch ohne die Motivation, noch ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.

Maria singt ihr Lied für die Menschen ohne Ansehen. Sie singt mit den Stimmen derer, die keine Zukunft haben und keine Perspektive, die zu alt sind oder zu jung, die arm und ohne Einfluss sind. Und sie singt dieses Lied gegen die Menschen mit Ansehen, in ihrem Lobgesang, dem Magnificat:

Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. (Lk 1,52f.)

Gott gibt denen eine Stimme, die sonst keiner mehr hört. Und lässt sie singen gegen alle Regeln der Welt. Denn bei Gott ist nichts unmöglich. Das ist die Erfahrung von Sara und Lea und Rahel, von Hanna und Ruth und Naomi. Das haben Elisabeth und Maria am eigenen Leib erfahren, diese beiden, die schon die Hoffnung aufgegeben hatten.Und durch sie kommt diese Geschichte Gottes mit seinen Menschen auch zu uns. Durch Jesus, geboren von einem jüdischen Mädchen am Rand der damals bekannten Welt. So entfaltet sich die Verheißung Gottes für all die Menschen ohne Ansehen. In diesem Lied kommt sie zu Elisabeth und ihrem Mann am Abendbrottisch, zu den Mädchenmüttern in der Fußgängerzone und zu uns heute morgen. Zu Menschen, die auf ganz unterschiedliche Weise die Hoffnung aufgegeben haben, dass es immer nur nach den Regeln der Welt geht.

Maria singt. Ich höre ihr Lied. Und jetzt kann ich sie sehen. Ein junges Mädchen in anderen Umständen. Ich sehe sie, ich höre die Hoffnung in ihrer Stimme:
Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. (Lk 1,46-48)
Amen.

 

Fürbittengebet

Gott von Abraham und Sara,
wir danken dir für deine Treue, die über Generationen reicht.
Wir danken dir, dass der Glaube an dich zu uns gekommen ist durch Jesus, den Sohn eines jüdischen Mädchens.
Wir bitten dich für alle Menschen, die an dich glauben und ihr Vertrauen auf dich setzen.
Wir bitten dich: Lass den Glauben lebendig bleiben in unseren Familien und wachsen von einer Generation zur nächsten.

Gott von Lea und Rahel,
wir danken dir, dass wir nicht allein sind auf der Welt, dass wir in Beziehungen miteinander leben.
Wir bitten dich für alle Menschen, die ihr Leben auf unterschiedliche Weise miteinander teilen:
als Paare und als Familien, in der Kirchengemeinde und in der Gesellschaft.
Schenke ihnen Liebe und Verständnis füreinander, auch dann wenn es Spannungen gibt.
Wir bitten dich für alle, die sich allein fühlen, für die, die einsam geworden sind, dass sie einen Menschen finden, der ihnen zuhört und sie versteht.

Gott von Ruth und Naomi,
wir danken dir für die Freiheit und Sicherheit in dem Land, in dem wir leben und in ganz Europa.
Wir bitten dich: Bewahre uns davor, neue Grenzen zu ziehen.
Zeig uns, wo wir Nächstenliebe üben können an Menschen, die zu uns kommen auf der Suche nach Sicherheit und einem guten Leben.
Wir bitten dich um kluge politische Entscheidungen, um klare Köpfe und offene Herzen.

Gott von Elisabeth und Maria,
bei dir ist kein Ding unmöglich.
Wir danken dir, dass du uns Hoffnung gibst, Kraft und Zuversicht in allem, was uns begegnet.
Wir bitten dich für alle, deren Kraft zu Ende geht, für die alten Menschen und für die Kranken.
Lass sie geborgen sein bei dir, mit ihrer Schwachheit und mit ihren Schmerzen.
In der Stille bitten wir dich um all das, was wir nicht aussprechen können.
Du hörst unser Gebet.

Perikope
18.12.2016
1,26-38 (39-45)

Wie soll ich dich empfangen? - Predigt zu Lukas 3,1-14 von Tanja Schmidt

Wie soll ich dich empfangen? - Predigt zu Lukas 3,1-14 von Tanja Schmidt
3,1-14

Liebe Gemeinde,

was tun Sie, wenn Sie liebe Gäste erwarten? Das Haus gründlich von oben bis unten putzen? Oder reicht es ihnen, einmal kurz durch zu saugen? Kochen Sie etwas Besonderes? Oder darf es auch etwas Schnelles und Bequemes sein? Welchen Aufwand Sie betreiben, hängt sicher auch von dem Gast ab, der da bald kommt.

Wie soll ich dich empfangen? Diese Frage stellt auch ein berühmtes Adventslied von Paul Gerhard. Wir werden es nachher singen. Auch in diesem Lied wird die Frage gestellt, was für Gastgeber wir sind. Der, den wir erwarten, ist in diesem Lied Jesus Christus. Welchen Empfang bereiten wir dem kommenden Herrn?

Wie sollen wir ihn empfangen? Auf diese Frage antwortet unser heutiger Predigttext.
(Verlesen des Predigttextes Lk 3,1-14)

Unser Predigttext nimmt uns mit in die Provinz Juda, also an den Rand des damaligen römischen Weltreichs. Wir befinden uns am Fluss Jordan. Dort, wo er durch die Wüste fließt. Die Wüste ist ja ein ganz besonderer Ort. In ihr gelten die vertrauten Regeln und Gewissheiten unseres Alltags nicht. In der jüdischen und christlichen Religion ist die Wüste ein spiritueller Ort. Ein Ort der Besinnung und der Gottesbegegnung. In der Wüste kann Gott sich offenbaren und dem Leben eine Wende geben.

Eine solche besondere Gottesbegegnung in der Wüste hatte auch Johannes der Täufer. Gott hat zu ihm gesprochen. Seitdem predigt er in der Wüste. Und er hat ganz offensichtlich etwas zu sagen. Denn die Menschen kommen in Scharen zu ihm um seine Botschaft zu hören. Sie spüren ganz offensichtlich, dass er in besonderer Nähe zu Gott lebt.

Was sagt Johannes zu ihnen? Zunächst einmal ein Zitat des Propheten Jesaja. „Bereitet dem Herrn den Weg und macht seine Steige eben! Was krumm ist soll gerade werden und was uneben ist, soll ebener Weg werden.“ (Jes 40,3f)

Heute können wir uns die Freude, die diese Verse bei seinen Zuhörern ausgelöst haben, kaum vorstellen. Seit Jahrhunderten wartete das Volk Israel auf das Kommen Gottes. Können Sie sich das vorstellen? Wie das ist, wenn uns von unseren Großeltern und Eltern aufgetragen wird zu warten und wachsam zu sein über Jahrzehnte und Jahrhunderte von Familie zu Familie. Was für eine Spannung sich da ansammelt, was für eine Sehnsucht!

Und nun ist er endlich nahe, der Herr. Ganz nahe.

In Scharen strömen die Menschen in die Wüste zu Johannes. Sie wollen diese freudige Nachricht hören. Und sie wollen vorbereitet sein auf das Kommen Gottes. Sie lassen sich mit Wasser taufen, wie Johannes es fordert. Die Taufe des Johannes ist ein Ritual der Reinigung von den Sünden. Alles, was zwischen ihnen und Gott steht, soll bereinigt werden. Nichts soll zwischen ihnen und Gott stehen, wenn er kommt.

Wie soll ich Gott empfangen? Die Menschen sind sich sicher: Mit der Taufe ist alles getan, um sich für diesen besonderen Besuch als würdig zu erweisen.
Aber da redet Johannes weiter: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; es ist schon die Axt an die Wurzel gelegt, jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Lk 3,7f)

Das klingt wie eine Drohung: „Pass auf, dass du dich durch dein gerechtes Tun als würdig erweist. Mit Gott ist nicht zu spaßen. Du hast nur noch wenig Zeit, dich auf sein Kommen vorzubereiten.“ Das ist alles andere als beruhigend, das macht Angst.

In der evangelischen Tradition galt Johannes daher lange als Vertreter einer Angstreligion, wie sie typisch für das Alte Testament sei. Diese sei durch Jesu Liebesreligion überwunden. Auf diese Weise musste man sich nicht weiter mit den Worten des Johannes auseinandersetzen. Man musste sie nicht auf sich beziehen. Zugleich zeigt eine solche Sicht einen bedenklichen Hochmut und ein großes Unwissen in Blick auf das Judentum.
Denn nach jüdischer Vorstellung kommt Gott nicht mit dem vordringlichen Ziel, Gericht zu halten und die Menschen zu strafen. Nach jüdischer Vorstellung ist das Kommen Gottes vielmehr mit einer allumfassenden Verwandlung dieser Welt in ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit verbunden. Durch das Tun der Gerechtigkeit und der Liebe lässt sich der einzelne Mensch in diese Bewegung mit hinein nehmen. Er hat Teil an der großen Verwandlung der Welt.

Deshalb fordert Johannes die Menschen auf: Kehrt um. Überdenkt eure Maßstäbe, ändert euer Verhalten. So nehmt ihr teil an der Verwandlung der Welt. So bereitet ihr dem Herrn den Weg.
Aber Johannes lässt keinen Zweifel, dass es auch ein „zu spät“ gibt. Gott ist für ihn wie ein loderndes Feuer ethischer Energie, die den Menschen entweder durchglüht und verwandelt oder eben auch als „Höllenfeuer“ mit der Möglichkeit eines für immer verfehlten Lebens konfrontiert.

Johannes Worte wirken wie der Ausdruck einer Religion der Angst. Und ganz fraglos setzt er den Akzent stärker auf das Gericht Gottes als es später Jesus tun wird. Aber wir sollten seine Worte nicht einfach wegschieben. Sie spiegeln eine Erfahrung wieder, die wir oft genug machen müssen: die Erfahrung, dass es ein „zu spät“ gibt. Die Erfahrung, dass einiges im Leben irreversibel ist.

In seinem Auftreten und seiner Radikalität erinnert mich Johannes der Täufer an die „Propheten“ meiner Jugendzeit. Wissenschaftler wie der „Club of Rome“ oder Hoimar von Ditfurth warnten eindringlich vor einem „weiter so“ in Hinblick auf das Wirtschaftswachstum und den damit verbunden Verbrauch und die Verschmutzung unserer ökologischen Ressourcen. Sie riefen zur Umkehr auf, zu einer Änderung des Verhaltens und einem Überdenken der Maßstäbe. Sie lehrten uns, dass ein immer mehr und immer billiger unser Ökosystem kaputt macht. Damals wurden sie von vielen verlacht. Man wollte sie nicht hören. Sie galten als Spaßverderber, dabei ging es ihnen um unsere Zukunft und das Leben auf diesem Planeten.

Heute wissen wir, wie Recht sie mit ihren Warnungen hatten. Der vom „Club of Rome“ angekündigte Klimawandel ist eingetreten und droht schlimmer zu werden als die Wissenschaftler es sich damals vorstellen konnten. Wir alle ahnen: Es kann ein „zu spät“ geben.
Und auch bei uns kommt es erst angesichts dieser Bedrohungslage zu einem Umdenken, zu einer Umorientierung. Viele Menschen überdenken ihre Lebensweise, üben sich in Konsumverzicht, fragen sich, ob ein immer mehr und immer billigeres Einkaufen wirklich richtig ist. Immer mehr Menschen machen sich über die Nebenkosten unseres westlichen Lebensstils Gedanken. Zum Beispiel versuchen sie, Produkte zu erwerben, die unter fairen und ökologischen Bedingungen erzeugt wurden.

Kehrt um, bevor es zu spät ist.

Genau dazu lädt uns Johannes ein: Um zu denken, um zu kehren auf den Weg des Lebens, der Gerechtigkeit und des Friedens. Und so dem Kommen Gottes den Weg zu bereiten.
Seine Zuhörer damals haben anscheinend gespürt, dass sein Ziel nicht die Angst und der Tod sind, sondern das Leben. Sie haben sich nicht die Ohren zugehalten, sie sind nicht weggelaufen.
Ganz offensichtlich haben sich mindestens einige seiner Zuhörer seine Worte zu Herzen genommen. Sie haben tatsächlich ihr Leben kritisch in den Blick genommen und dem vom Täufer erkannten Änderungsbedarf zugestimmt.
Auch Jesus muss die Predigt des Johannes als große Befreiung, als Aufbruch in ein neues Leben mit Gott empfunden haben. Denn er hat sich von Johannes taufen lassen. Das zeigt uns, dass es durchaus Übereinstimmungen zwischen Johannes und Jesus gegeben haben muss. Bis in den Wortlaut hinein knüpft Jesus an Johannes an. Auch er ruft bei seinem erstem öffentlichen Auftreten: „Tut Buße, denn das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen.“ (Mt 4,17)

Zwar weist Jesus viel stärker als Johannes darauf hin, dass Gott die Liebe ist und nichts als die Liebe.
Aber auch für ihn enthält Gottes Liebe zu uns die Verpflichtung, diese Liebe nicht für uns zu behalten, sondern sie weiterzugeben an unseren Nächsten. Jesus lässt keinen Zweifel daran, dass Gott seinen Willen zur Liebe nicht über unsere Köpfe hinweg durchsetzt. Gott hat uns als freie, mündige und verantwortungsfähige Menschen geschaffen. Er will unsere Mitarbeit an seinem Reich und traut uns zu, dass wir seine Liebe weitergeben. Wir sind dazu aufgefordert, als Boten Gottes die Welt nach Gottes Willen zu gestalten.

„Wie soll ich dich empfangen?“, so fragten wir zu Anfang.
Die Antwort Jesu lautet: Indem wir uns für den öffnen, der da kommt. Indem wir seiner Liebe vertrauen. Und indem wir diese von Gott empfangene Gabe weitergeben an unsere Nächsten. Ganz langsam, das ist die Hoffnung Jesu, wird die Liebe Gottes durch unser Tun die Welt verwandeln. Es wird dabei zu Rückschlägen kommen. Das Chaos und die Gewalt werden trotz des guten Willens und des Bemühens vieler die Zivilisation immer wieder zu zerstören suchen. Aber die Mächte des Chaos und Zerstörung haben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort ist das Wort, das auch am Anfang steht: die Liebe Gottes.

Sich für das Geschenk dieser göttlichen Liebe zu öffnen und sie dann weiterzugeben an unsere Nächsten, dafür wirbt Johannes, dafür wirbt Jesus, darauf kommt es an. Heute und alle Tage unseres Lebens. Amen

 

Perikope
11.12.2016
3,1-14

Frieden lernen: Wolfgang Hubers Predigt zur Garnisonkirche

Frieden lernen: Wolfgang Hubers Predigt zur Garnisonkirche
7, 36-46

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,
im Haus eines Pharisäers hat man sich versammelt. Wir haben es gerade in der Lesung gehört. Simon heißt der von vielen geachtete, aber auch gefürchtete Mann. Jesus sitzt in der Mitte der Tischgesellschaft. Ohne Einladung kommt eine Frau dazu, von hinten tritt sie an Jesus heran, mit nichts als ihren Tränen und einem Glas voll Salböl. Verzweifelt wendet sie sich Jesus zu. Er weist sie auch nicht ab, sondern wendet sich ihr zu. Dem irritierten Gastgeber hält er die Beispiele eines kleinen und eines großen Schuldners vor, denen ihre Schulden erlassen werden. welcher hat größeren Grund zur Dankbarkeit? Doch damit endet die Szene keineswegs. Jesus spricht die Frau direkt an: „Dir sind deine Sünden vergeben. Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden.“ 
So verzweifelt sie auch kam – ihr Leben ist nicht vergeblich gelebt. Es gibt einen neuen Anfang. Ihre Heilung setzt ein, weil sie hört: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Sie weiß nun, auf welche Kraft sie vertrauen kann: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Und sie kennt ihren Weg: „Geh hin in Frieden.“ Denn Frieden beginnt so: nicht auf die eigene Stärke setzen, sondern nach der Kraft ausschauen, die verbindet. Nicht Abgrenzung, sondern Versöhnung schafft Frieden. 
Aber da ist eben noch ein anderer, ein Meister der Abgrenzung. Simon, der Gastgeber, spielt das Unterscheidungsspiel. Er bestimmt, für wen an seinem Tisch Platz ist und wer draußen bleibt. Noch nie hat er daran gedacht, dass auch sein Leben Brüche hat.  Von eigener Schuld will er nichts wissen. Er meint: „Wenn Jesus ein Prophet wäre, so wüsste er, was für eine Frau ihn anrührt; sie ist eine Sünderin“
Mit den Fingern auf andere zeigen, deren Fehler aufdecken, war schon immer leichter, als zu eigenen Fehlern zu stehen. Wenn wir ehrlich sind und uns den Spiegel vorhalten, sehen wir alle eher wie Simon aus als wie die namenlose Frau mit ihrem Salböl und mit ihren Tränen. Aus diesem Grund sind viele Konflikte derart verhärtet, auch hier in Potsdam. Potsdam mit oder ohne Garnisonkirche: das ist nur ein Beispiel dafür. Immer wieder der Versuch, die Schuld bei den anderen zu suchen, ihre Motive in Frage zu stellen.
Wie müssten denn die Worte lauten, die Simon und uns freisprechen? Vielleicht so: Du bist nicht besser als andere. All deine Rechthaberei wird daran nichts ändern. Verlass dich nicht auf den Abstand, der dir die anderen vom Leibe hält. Vertrau der Liebe, die berührt und berühren lässt. Geh hin in Frieden. 
Ein solcher Frieden soll in Potsdam einen neuen Ort erhalten. Dafür soll ein Gebäude wieder erstehen, das eines der schönsten Bauwerke, ja ein Wahrzeichen Potsdams war: der Turm der Garnisonkirche. Nicht der Krieg brachte ihn zu Fall, sondern der Hochmut Walter Ulbrichts. Er wollte nur noch die Türme von Rathäusern und Kulturhäusern gelten lassen, aber nicht Kirchtürme. Er hatte Türme im Sinn, die die eigene Macht demonstrieren, nicht Türme, die auf Gott verweisen. 
Der neue Turm nimmt die großartige architektonische Form des Vorgängerbaus genau auf. Aber er fügt sich nicht mehr dem Geist der Feindschaft, der hier immer wieder aufflammte.  Wo Soldaten auf den Weg in den Krieg geschickt wurden, wollen nun Menschen unterschiedlicher Herkunft – unter ihnen Soldaten wie Zivilisten – miteinander Frieden lernen. Flüchtlinge singen gemeinsam mit Menschen, die hier schon lange heimisch sind. Menschen aus einst verfeindeten Ländern gehen Schritte der Versöhnung. Die aufrichtige Auseinandersetzung mit den Realitäten unserer Zeit verbindet sich mit dem Geist der Bergpredigt, der zu gerechtem Frieden ermutigt.
Es geht nicht nur um ein Gebäude aus Stein, es geht um Menschen. Denn nur aus ihnen, aus lebendigen Steinen, kann ein Haus des Friedens entstehen. 
Menschen finden sich hier schon jetzt zusammen, die aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen wollen. Dafür berufen wir uns heute auf die namenlose Frau, die auf dem Weg zu Jesus nichts mit sich brachte außer Tränen und Salböl: das Bekenntnis der Schuld und die Hoffnung auf Heilung.
Es gibt auch andere Wege, mit der Vergangenheit umzugehen. Auch hier in Potsdam werden sie wieder und wieder empfohlen, bis zum heutigen Tag. Vehement wird vorgeschlagen, sich an der Geschichte zu rächen, indem man ihre Orte auslöscht und den Geist der Vergangenheit versenkt. Man erklärt einen bestimmten Ort für die entscheidende Brutstätte schlimmer Gedanken. Man zählt Ereignisse aus den finsteren Jahren deutscher Geschichte auf, bei denen das Gebäude der Garnisonkirche verhängnisvollen Gedanken und politischen Irrwegen Raum gab. Doch kann man wirklich ein solches Gebäude magisch mit dem Ereignis eines einzelnen Tages oder mit einer Geschichtsepoche verbinden? Und was gibt Grund zu der Annahme, es stünde um die Demokratie und die politische Weisheit besser, wenn der Turm der Garnisonkirche nicht wieder aufgebaut würde?
Mir kommen in einem solchen Zusammenhang auch andere Gebäude in den Sinn. Im Berliner Dom wurden im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg grauenhafte Kriegspredigten gehalten; genau in dieser Kirche aber fand heute vor fünfzehn Jahren der erste deutsche Trauergottesdienst für die Opfer des 11. September 2001 statt. Das Mitgefühl mit den Opfern der Terroranschläge in New York und Washington fand dort seinen Ort. Durch das Brandenburger Tor in Berlin zog am 30. Januar 1933 ein Fackelzug für Adolf Hitler, der die Unterwerfung Berlins unter den Schrecken demonstrierte, den man als „nationale Erhebung“ bezeichnete; doch genau dieses Gebäude wurde zum Symbol der Einheit in Freiheit. Im September 2001 mahnte Bundespräsident Johannes Rau vor der Kulisse des Brandenburger Tors dazu, auch angesichts des Terrors die Freiheit zu bewahren. Und die amerikanische Sängerin Jocelyn Smith sang „Amazing grace“. Gebäude sind nicht magisch an den Geist der Vergangenheit gekettet; in ihnen kann ein neuer Geist Raum finden: erstaunliche Gnade.
Doch immer wieder derselbe Versuch: Gebäude auslöschen, den Geist der Vergangenheit versenken. Am 1. August 1951 zog eine Gruppe junger Leute in Blauhemden durch Potsdams zerstörte Innenstadt. An der Havel angekommen, ließen sie einen schwarzen Sarg zu Wasser. Auf ihm war in großen Buchstaben zu lesen: „Hier ruhen die letzten Hoffnungen der Kriegsbrandstifter auf einen alten Geist von Potsdam.“ Der Sarg war mit Steinen gefüllt. Das Versenken sollte garantiert gelingen. Doch stattdessen richtete sich der Sarg kerzengerade auf und segelte, weithin sichtbar, ein gutes Stück auf der Havel. Erst ein zweiter Versuch mit noch mehr Steinen brachte den schwarzen Sarg schließlich zum Verschwinden. Merke: Nicht martialisches Ersäufen, sondern kritisches Bedenken hilft zum verantwortlichen Umgang mit der Vergangenheit.
Dabei stützen wir uns auf den Geist von Coventry. Er zeigt auf seine Weise, dass aus Ruinen und beschädigten Bauwerken ein neuer Geist wachsen kann. Die Kathedrale von Coventry war im November 1940 einem deutschen Bombenangriff zum Opfer gefallen. 550 Menschen starben, große Teile der Innenstadt wurden zerstört, mit ihnen auch die spätmittelalterliche Kathedrale St. Michael. Drei große Zimmermannsnägel, die aus dem Dachstuhl der zerstörten Kathedrale stammten, wurden während der Aufräumarbeiten zu einem Kreuz zusammengefügt.  Dieses Nagelkreuz wurde zum Zeichen dafür, dass aus den Trümmern der Zerstörung ein neuer Geist entstehen kann: ein Geist der Versöhnung und des Friedens. Die internationale Nagelkreuzgemeinschaft trägt diesen Geist über Grenzen hinweg, von England bis Südafrika, von Canada bis Rumänien, vom Sudan bis nach Deutschland. Die Nagelkreuzkapelle hier an der Garnisonkirche ist ein Glied dieser Gemeinschaft und bekennt sich zu diesem Geist. Wir laden dazu ein, an diesem Ort etwas Neues zu wagen: Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben. Wir vertrauen auf die Zusage Jesu: „Dir sind deine Sünden vergeben. Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden.“ 
Amen.

Perikope
11.09.2016
7, 36-46

Kurswechsel

Kurswechsel
Lukas 16,1-13

Liebe Gemeinde,

wir feiern diesen Gottesdienst zwischen Banktürmen und Notunterkünften, zwischen Deutschland und Sambia, zwischen arm und reich.

Dafür haben wir einen umstrittenen Bibeltext ausgesucht. Manche Theologen halten ihn für den schockierendsten Text des Neuen Testaments überhaupt: Das Gleichnis vom beschuldigten Verwalter. Es beginnt so:

Prof. Wolfgang Nethöfel, Lesung: Und zu den Jüngern sagte Jesus: Es war einmal ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter. Der wurde bei ihm verklagt, er verschleudere sein Vermögen. Da rief er ihn zu sich und sagte: Was höre ich da über dich? Leg die Schlussabrechnung vor, denn du kannst nicht länger Verwalter sein!

(Lukasevangelium 16,1+2 (Bibelserver): In der Lesung Text und Quelle: Eigene Übersetzung angelehnt an die Zürcher Bibel, Zürich 2007)

Pfarrer Christian Reiser, Predigt: Ein Großgrundbesitzer feuert seinen Verwalter. Wegen vermeintlicher Untreue. Sein einträglich-komfortabler Karrieresessel entpuppt sich als Schleudersitz. Nur noch seine letzte Bilanz soll er vorlegen.

Ob der Verwalter wirklich seinen Chef hintergangen hat, ist nicht erwiesen. Vielleicht hatte er Neider. Vielleicht wurde er gemobbt? Verwalter eines großen Gutes zu sein, war attraktiv. Ein Managerposten. Gut bezahlt, viel Prestige.

Doch damit ist jetzt Schluss. Beim Geld hört die Freundschaft auf. Die Kündigung liegt auf dem Tisch. Was tun?

Prof. Wolfgang Nethöfel, Lesung: Der Verwalter aber sagte sich: Was soll ich tun, da mein Herr mir die Verwaltung wegnimmt? Für Feldarbeit bin ich nicht stark genug, und zu betteln schäme ich mich.(Lukas 16,3)

Pfarrer Christian Reiser, Predigt: Der Verwalter behält einen kühlen Kopf. Checkt die Lage. Statt zu spekulieren, wer ihm alles böse mitgespielt hat, konzentriert er sich darauf, was er selbst aus eigener Kraft tun kann.

Zwei Möglichkeiten kommen ihm in den Sinn. Doch beide taugen nicht für ihn. Für die Feldarbeit ist er zu schwach. Zu lange in Plüschsesseln gesessen, übergewichtig vielleicht, keine Muskeln. Von wegen, die einfachen Arbeiten sind leicht!

Betteln könnte er auch. Doch das ist ihm zu peinlich. Er, der bislang reiche, mächtige Mann, muss andere um Almosen anflehen. Ihn schaudert es.

Doch dann, ein Geistesblitz:

Prof. Wolfgang Nethöfel, Lesung: Jetzt weiß ich, was ich mache, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich als Verwalter abgesetzt bin. Und er rief die Schuldner seines Herrn, einen nach dem andern, zu sich und sagte zum ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?

Der sprach: Hundert Fass Olivenöl. Er aber sagte zu ihm: Da, nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib schnell fünfzig! Darauf sagte er zum zweiten: Und du, wie viel bist du schuldig? Der sagte: Hundert Fuhren Weizen. Er sagte zu ihm: Da, nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.(Lukas 16,4-7)

Pfarrer Christian Reiser, Predigt: Er hat’s! Das ist seine Chance. Noch ist er Verwalter, noch kann er etwas tun: Die Schuld der Schuldner nachlassen. Die werden sich dann später an ihn erinnern! Die werden sich ihm verpflichtet fühlen.

Gerettet!

Durfte er das? War das rechtmäßig? Die Theologen streiten sich. Einige sprechen von klarem Betrug. Luther nennt ihn den „unehrlichen Verwalter“. Andere weisen darauf hin, dass der Verwalter das Recht hatte, Schulden zu erlassen. Und das kann ja durchaus auch mal klug sein. Lieber weniger zurückbekommen, als alles fordern und am Ende komplett leer ausgehen.

Mag sein, dass der Verwalter klug, ja sogar legal gehandelt hat. Aber war es fair? Es war ja nicht sein Geld! In unserer durch Finanzkrise und Bankenskandale gezeichneten Zeit sind wir hier sehr sensibel. Viel Geld von Steuerzahlern ging verloren –viele Sparer wurden geprellt. Gerade verhandelt das Landgericht Frankfurt gegen sieben suspendierte Mitarbeiter einer großen Bank. Vorwurf: Bandenmäßige Steuerhinterziehung. Reiche sparen sich Steuern mit Hilfe von Banken. Sie legen Geld in Briefkastenfirmen an – in Panama, Niue und der Isle of Man.

Sich an fremdem Eigentum vergreifen, ist ein Tabu. Du sollst nicht stehlen. Wer es tut, muss bestraft werden.

Der Verwalter verschleudert das Eigentum des Großgrundbesitzers. Was passiert, als

der Deal ans Licht kommt?

Prof. Wolfgang Nethöfel, Lesung: Und der Herr lobte den Verwalter der Ungerechtigkeit, weil er klug gehandelt hatte. (Lukas 16,8a)

Pfarrer Christian Reiser, Predigt: Das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen: „Der Herr lobt den Verwalter“. Ja, wieso denn das? Ist der Großgrundbesitzer einfach ein guter Verlierer, der erkennt, dass der Verwalter so handelt wie er: Entschlossen und immer zu eigenen Gunsten und immer mit Gewinn?

Sollen wir es etwa alle so machen wie der Verwalter: Fremdes Geld verzocken und dann noch auf Lob von höchster Stelle warten? Ein neuer Skandal! Doch Jesu Fazit klingt fast so:

Prof. Wolfgang Nethöfel, Lesung: Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem Mammon der Ungerechtigkeit, damit sie euch, wenn er ausgeht, aufnehmen in die ewigen Wohnungen. (Lukas 16,9)

Pfarrer Christian Reiser, Predigt: „Macht euch Freunde mit dem Mammon der Ungerechtigkeit“. Ein gefährlicher Satz, der nur für sich genommen so klingt, als ob es vor allem darauf ankommt, etwas Gutes mit Geld zu tun – egal woher es kommt, egal ob es mit Waffengeschäften, Drogenhandel oder Erpressung verdient wurde.

Doch das meint Jesus nicht.

„Macht euch Freunde mit dem Mammon der Ungerechtigkeit“, das heißt: Gebt das Geld für das Richtige aus, statt es zu horten und zu zählen. Ja, verschleudert es für das Gute. Macht es wie der Verwalter. Nicht um Euch eine Freude zu machen, sondern damit Ihr mit dem Geld Freunde gewinnt.

Wie wichtig Freunde sind, erkennt der Verwalter ja erst, als er vor dem Ruin steht. Sein Gehalt, Ehre, Ansehen, alles geht verloren. Da begreift er: Wichtig ist nicht das Geld, sondern das, wofür es steht, was es verspricht und was es regelmäßig nicht hält, wenn es wirklich drauf ankommt. Wichtig sind Glück, gute Beziehungen zu anderen Menschen, Frieden, Freunde.

„Macht euch Freunde mit dem Geld – aber seid dabei wachsam. Es bleibt der Mammon der Ungerechtigkeit“, sagt Jesus. Nicht nur Schwarzgeld, alles Geld! Denn das Wirtschaftssystem, in dem er gelebt hat und in dem wir heute leben, ist ungerecht. Manche hungern, andere müssen täglich weit gehen, um Wasser zu holen, andere prassen und wissen nicht, wohin mit ihrem Geld. „Diese Wirtschaft tötet“, sagt der Papst.

Darum wechselt Euren Kurs. Setzt Euer Leben nicht – wie gerade in Frankfurt viele – auf das Geld! Befreit euch von der Herrschaft des Mammons – so wie der Verwalter. Wechselt euren Kurs, damit mit dem Geld die Freundschaft nicht aufhört, sondern anfängt. Investiert Eure Liebe, eure Zeit, eure Leidenschaft und auch euer Geld für die gute Sache Gottes.

Ihr seid eingeladen in seine „ewigen Wohnungen“, in sein Reich! Den Ort zum Fröhlichsein; zum Genießen, zum Vergessen, was das Herz früher beschwerte. Zum Staunen über das erste Grün oder die Sterne in der Nacht. Den Ort,an dem alle Menschen glücklich und in Frieden leben können.

Noch hat dieser Ort keine Postleitzahl. Er ist noch im Werden. Doch manchmal können wir schon etwas davon erleben. Im versonnenen Gesichtsausdruck des Jungen, der die Mondfinsternis bestaunt und sagt: „Ich könnte noch die ganze Nacht hier stehen und zusehen“. In der besorgten Frage eines Fremden, ob er mir helfen könne. In der Begegnung eines Managers und eines Obdachlosem in dieser Kirche. Solche Momente erleben, ja zu solchen Momenten beitragen, das macht das Leben reich.

Klar, der Verwalter bleibt eine etwas zweifelhafte Figur. Warum sieht Jesus ihn als Vorbild?

Prof. Wolfgang Nethöfel, Lesung: Ja, die Kinder dieser Welt sind im Verkehr mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts! (Lukas 16,8b)

Pfarrer Christian Reiser, Predigt: Der Verwalter ist ein „Kind dieser Welt“. Mit ihren Spielregeln kennt er sich bestens aus. Er findet einen Weg, sich zu retten. Und geht ihn konsequent, entschlossen. An dieser Stelle – und nur an dieser Stelle – können wir, die Kinder des Lichts, von den Kindern dieser Welt lernen.

Urkunden fälschen oder fremdes Geld verschenken, das nicht. Sondern sich mutig entscheiden, wofür wir unsere Zeit, unsere Energie und unsere Leidenschaft einsetzen. Was wirklich wichtig ist. Was in der Zukunft zählt.

Und das entschlossen zu tun, das macht den beschuldigten Verwalter zu einem Vorbild für uns!

Und so stellt uns Jesus mit diesem Gleichnis am Ende vor dieselbe Entscheidung wie auch in der Bergpredigt:

Prof. Wolfgang Nethöfel, Lesung: Niemand kann zwei Herren dienen. Denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird sich an den einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld. (Lukas 16,13)

Amen.

Perikope
08.05.2016
Lukas 16,1-13