Predigt zu Lukas 18,9-14 von Rudolf Rengstorf
Liebe Leserin, lieber Leser!
Fett und aufgeblasen füllte er die eine Seite des Bildes in meiner Kinderbibel - der Pharisäer natürlich. In der Mitte des Bildes eine kostbare Schale, in welche die Hand des Pharisäers sehr augenfällig ein Goldstück wirft. Links im Bild, ganz am Rand ist der Zöllner zu sehen. Bescheiden hält er sich im Hintergrund - mit gezogenem Hut, den Stock in der Hand. Ein ungemein sympathischer Wandersmann. Hier die sich brüstende Selbstgefälligkeit und da - ein paar Stufen niedriger - die Bescheidenheit in Person, sich verneigend und schlank.
Liebes Kind, so wurde von diesem Bild viel tausendmal gepredigt, sei nicht wie der Pharisäer, stolz und angeberhaft. Den Zöllner nimm dir zum Vorbild, der sich zurücknimmt und im Hintergrund bleibt. Ganz so, wie man in den Poesiealben der damaligen Zeit lesen konnte:
Sei das Veilchen im Moose,
so still, bescheiden und rein.
Nicht wie die stolze Rose,
die stets bewundert will sein.
Freilich das von der Kinderbibel gemalte Bild passt nicht zu einer Geschichte, die unsere mitgebrachten Moral- und Wertvorstellungen gerade nicht bestätigen, sondern sie stören und durcheinanderbringen will.
Jesus erzählt nämlich so, dass die Sympathien seiner damaligen Zuhörerschaft sich von vornherein dem Pharisäer und nicht etwa dem Zöllner zuwenden mussten. Keine Rede ist da von feister Sattheit, sondern uns wird ein Mann vor Augen gestellt, der zweimal in der Woche fastete, und das macht ja bekanntlich schlank. Dabei war die Triebfeder dieses Fastens nicht das Bemühen um Gesundheit und körperliches Wohlbefinden. Nein der Mann wollte mit seinem Fasten deutlich machen, dass Gott ihm noch wichtiger war als satt zu sein. Pharisäer, das waren Leute die davon durchdrrungen waren: Es genügt nicht, dass wir einen Tempel und Priester haben für den Gottesdienst. Vor allem anderen kommt es darauf an, dass wir Laien Gott im Alltag unseres Lebens dienen. Und so verbrachten sie viel Zeit damit, im Gebet und im Gespräch mit anderen über den Willen Gottes für ihr Leben in Beruf, Familie und dem Gemeinwesen nachzudenken. Leute, die ein Zehntel ihres Geldes dem Tempel und der Versorgung der Armen zur Verfügung stellten. Das ist zehnmal mehr als unsere Kirchensteuer. Und dazu kamen noch die erheblichen Steuern und Zölle, die von den Römern zwangsweise eingetrieben wurden.
Fasten und den Zehnten geben - das waren beileibe nicht nur Äußerlichkeiten. Wo es um den Magen und noch mehr um den Geldbeutel geht, da zeigt sich, was einem Menschen wichtig ist, woran sein Herz hängt. Bei vielen Zeitgenossen hören beim Geld die Gemütlichkeit und auch das Christentum auf. Der Pharisäer aber, den Jesus uns hier vor Augen stellt, hat seinen Glauben mit Leib und Seele, mit Geld und Gut gelebt und damit seine Freude daran gehabt, ganzheitlich dem Willen Gottes zu entsprechen.
Und während dieser Mann - so erzählt Jesus - im Tempel Gott dafür dankt, dass sein Leben eine gute klare und überzeugende Richtung hat und er nicht zu denen gehört, die mehr nach dem eigenen Wohl und Spaß fragen als nach dem Willen Gottes - da fällt sein Blick auf einen Zöllner, der sich im Hintergrund des Tempels herumdrückt. Und der hatte auch allen Grund, dort im Halbdunkel zu bleiben und sich als Sünder zu bekennen. Denn am Willen Gottes lebte er vorbei. Stand er doch im Dienste der römischen Besatzungsmacht, im Dienst von Herren, die nicht nach dem Willen des einen Gottes, Schöpfers des Himmels und der Erden, fragten,
sondern die neben einer Vielzahl von Götzen auch noch den römischen Kaiser vergötterten. Zöllner - das waren Leute, die das Volk Gottes politisch und religiös im Stich gelassen hatten, die sich bedenkenlos an ihren Landsleuten bereicherten und nicht im Traum daran dachten, sich Abgaben für den Tempel und die Armen vom Munde abzusparen. Entsprechend unbeliebt und verhasst waren sie in Israel. Hätte man damals ein Bild vom Pharisäer und Zöllner gemalt, fett und unsympathisch wäre der Zöllner, hager und glaubwürdig der Pharisäer erschienen.
Auf diesem Hintergrund wird die Störung und die Provokation deutlich, die Jesus auslöst, wenn er feststellt: statt des Gerechten kehrt der Sünder als von Gott gerechtfertigt in sein Haus zurück. Was kein Mensch für möglich hält, am wenigsten der sich im Hintergrund haltende Sünder - das tut Gott. Was zwischen einem Menschen und ihm steht, das räumt
Gott aus dem Wege und sagt: Du bist mir recht. Dich will ich haben.
Diesen grundlos barmherzigen Gott zum Zuge kommen zu lassen – darum geht es in dieser Geschichte und in ihrer Fortsetzung. Denn die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende. Die beiden im Tempel müssen ja noch mitbekommen, was Jesus hier erzählt. Damit sie nicht - jeder in seiner Glaubens- und Lebenshaltung verschlossen bleiben, sondern erfahren, wie
öffnend und befreiend sich die Barmherzigkeit Gottes auswirkt.
Und ich meine, das ist unter uns auch schon im Gange - darin dass sich im Tempel unserer Kirche zwei ganz unterschiedliche Gruppen begegnen, die durchaus vergleichbar sind mit dem eindrucksvollen Pharisäer und dem eher zweifelhaft erscheinenden Zöllner. Auf der einen Seite – so stellt es sich mir jedenfalls dar - die Gemeindeglieder, die mit Ernst
Christen sein wollen, die mit ihrem Kommen den regelmäßigen Gottesdienst halten, aufrechterhalten, die die Arbeit ihrer Gemeinde mittragen und weder Zeit noch Kosten scheuen, um Christi willen zu helfen und zu lindern, wo immer ihnen das möglich ist. Menschen, die bis in ihre berufliche und private Lebensführung hinein dem Willen Gottes nachzukommen suchen, deren Glaubwürdigkeit über jeden Zweifel erhaben und denen es zu verdanken ist, wenn Kirche und Christentum Vertrauen genießen.
Ihnen steht die große Mehrheit der Gemeindeglieder gegenüber, die nicht auf Anhieb als Christen zu erkennen sind, die in der Kirche nur zu ganz bestimmten Gelegenheiten erscheinen - zu Weihnachten oder zur Konfirmation oder bei einem anderen familiären Anlass. U-Boot-Christen heißen sie an der Küste, weil sie nur selten auftauchen. Und wenn sie es tun, dann auch mehr als Zaungäste, weil die Gottesdienstordnung ihnen fremd
und das Singen von Liturgie und Chorälen ihnen ungewohnt ist. Was ist von denen zu halten, die nur kommen, wenn sie die Kirche brauchen, sie aber sonst links oder rechts liegen lassen?
Für Gott gehören sie dazu, für ihn stehen die sogenannten Randsiedler in der Mitte, seinem Herzen sind die distanzierten Gemeindeglieder ganz nah. Davon sollen sie und wir alle hier so viel wie möglich mitbekommen und auch mit nach Hause nehmen.
Er liebt Gottesdienste, die den Gelegenheitsbesuchern, zu denen doch auch die Konfirmandinnen und Konfirmanden gehören, ganz viel mitgeben von seiner Wertschätzung; Gottesdienste, in denen sie spüren, dass sie willkommen sind und wir sie gern in unsere Mitte nehmen; Gottesdienste,. in denen auch sie Gelegenheit haben, ihren Hunger nach glückendem Leben, ihre Sehnsucht nach Gott auszudrücken Amen.
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Hochmut und Demut - Predigt zu Lukas 18,9-14 von Martin Weeber
Hochmut und Demut
Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:
Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.
Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
(Lukas 18, 9-14)
Einen Hochmütigen und einen Demütigen führt Jesus uns in diesem Gleichnis vor.
Einen, der mit sich selbst zufrieden ist, und einen, der von sich selber überhaupt nichts hält.
Die Geschichte ist schnell erzählt und schnell verstanden.
Der mit sich selbst zufrieden ist, weil er so gut und ordentlich und anständig ist und sich mit so viel Erfolg darum bemüht, ein Leben zu führen – der schaut herab auf den Zöllner, der ja mit gutem Grund nichts von sich hält.
Denn das weiß man ja von den Zöllnern in der damaligen Zeit: Die waren Gauner. Nicht ordentlich und zuverlässig wie die Zöllner und anderen öffentlichen Amtsträger heutzutage und hierzulande. Die Zöllner damals nutzten jede Gelegenheit aus, um die Leute über’s Ohr zu hauen. Der Zöllner ist also der Inbegriff der Unanständigkeit.
Nun bekommt freilich nicht der Zöllner, sondern der Anständige im Gleichnis den Schwarzen Peter zugespielt. Denn er ist nicht nur anständig, was ja in Ordnung ginge, sondern er ist eben auch hochmütig. Er bildet sich auf seine Anständigkeit ordentlich was ein und schaut auf den Zöllner herab: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.
Es sieht so aus, als sei das die Moral dieser Geschichte, und vordergründig betrachtet ist sie es auch: Sei demütig wie der Zöllner und nicht hochmütig wie der Pharisäer.
Bilde Dir nichts ein auf das, was Du tust und was Du leistest. Und schau nicht auf andere herab, die nicht so anständig und ordentlich und fleißig und moralisch sind wie Du selbst.
Demut will die Erzählung lehren und loben und Hochmut will sie strafen. „Solche Demut (wie die des zerknirschten Zöllners) will der Herr uns im heutigen Evangelium lehren und vor Hoffart und Stolz uns warnen.“ So sagt es Martin Luther in einer Predigt über den Text.
Also: Demütig sein, das wäre die Empfehlung. Klare Sache. Von nun an: demütig.
Aber ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht.
Denn wer demütig sein will, der begibt sich in Gefahr.
Wo das Rettende ist, da wächst auch Gefahr.
Denn die Sache kann schnell umkippen.
Ganz schnell kann es dazu kommen, dass ich auf meine Demut stolz werde – und dann schaue ich auf den Pharisäer herab.
Wir kennen ja solche Leute aus eigener Erfahrung:
Solche Leute gab es nicht nur damals, die gibt es heute noch genauso.
Furchtbar stolz sind sie auf das, was sie erreicht haben.
Natürlich alles erreicht auf Grund eigener Anstrengung.
Furchtbar stolz sind sie auf ihre wohlgeratenen Kinder.
Natürlich sind die nur so wohlgeraten, weil man sie konsequent erzogen und immer gefordert und gefördert hat.
Furchtbar stolz sind sie auf ihre eigene Gesundheit.
Natürlich sind sie nur deshalb so gesund, weil sie immer auf sich aufgepasst und regelmäßig Sport getrieben haben.
Wir kennen solche Leute.
Aber halt!
Was ist jetzt passiert?
Ich bin in die Falle getappt. Ich habe ins Messer gegriffen.
Hochmütig und arrogant habe ich über die Hochmütigen und Arroganten geredet.
So leicht ist das ja, die Selbstgerechten schlechtzumachen.
Aber sofort schnappt die Falle zu.
Ich schaue herab auf den Selbstgerechten – und bin im gleichen Augenblick wie er geworden:
Selbstgerecht und überheblich.
Getreu dem Motto: „An Demut nimmt’s mit mir keiner auf!“
Es ist offensichtlich gar nicht so leicht, demütig zu sein.
Auf geniale Weise hat Friedrich Nietzsche das Problem der Demut erfasst und benannt.
Er formuliert den Satz um, mit dem Jesus das Gleichnis beschließt.
Jesus sagt: „Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“
Nietzsche sagt: „Wer sich selbst erniedrigt, der will erhöht werden.“
Nur ein Wörtlein tauscht Nietzsche aus, nur zwei Buchstaben sogar:
„Wer sich selbst erniedrigt, der will erhöht werden.“
Nietzsche hat das Problem der Demut präzise erkannt und formuliert.
So leicht wird aus Demut Hochmut.
Blitzschnell wird die Kritik der Überheblichkeit zur gesteigerten Überheblichkeit.
Deshalb ist höchste Vorsicht geboten bei der Kritik an „denen da oben“, an denen auf den Gipfeln des Erfolges.
Die Demut ist ein scharfes Messer:
Herrlich hilfreich, aber zugleich höchst gefährlich.
Herrlich hilfreich ist die Demut, weil sie uns auf den Boden zurückholt:
Wir haben doch keinen Grund, eingebildet und überheblich zu sein.
Höchst gefährlich ist die Demut aber, weil sie blitzschnell umkippen kann in die Verachtung derer, von denen man meint, sie seien nicht demütig.
Aber trotz ihrer Gefährlichkeit plädiert Jesus eindeutig für die Demut. Seine Sympathie gilt dem Demütigen: Ich sage euch: Dieser Sünder ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener Anständige.
Ein Hochmütiger ist einer, der meint, er habe alles Glück seines Lebens selber verdient.
Ein Hochmütiger ist stolz darauf, was für ein guter Mensch er doch ist.
Er ist stolz auf seine Leistungen.
Ein Demütiger hingegen weiß, dass alles Glück seines Lebens verdanktes, geschenktes Glück ist. Insofern ist Demut nichts Anderes als die realistische Einschätzung unserer selbst.
So weit, so gut.
Aber noch viel zu harmlos formuliert.
Denn Demut ist mehr als einfach nur realistische Selbsteinschätzung.
Der Zöllner des Gleichnisses ist nicht einfach ein dankbarer und bescheidener Mensch, der nicht auf andere herabschaut.
Er ist ein Mensch, der sich als Sünder versteht.
Er ist zerknirscht.
Er ist ein Mensch, der weiß, dass er nicht so ist, wie er sein sollte:
Gott, sei mir Sünder gnädig!
Er schreibt es sich selbst als Schuld zu, dass er nicht so ist, wie er sein sollte.
Nicht die Anderen sind schuld, nicht die Verhältnisse, nicht die Umstände.
Der Zöllner prüft sich selber – und er besteht diese Prüfung nicht.
Und er findet keinen Trost in dem Gedanken, dass andere auch nicht besser sind als er.
Wer sich wirklich als Sünder fühlt, der fühlt sich als einziger Sünder auf der ganzen, weiten Welt: „Niemand ist so schlecht wie ich“ – so lautet die Selbstbeschreibung des Sünders.
Wir fassen solche Selbstbeschreibungen heute als Ausdruck einer tiefen Depression auf.
Wir tun alles dafür, dass Menschen es lernen, freundlicher von sich selber zu denken.
Wir halten es für den Ausdruck von Lebenskunst, „mit uns selber befreundet zu sein.“[1]
Und wir sind froh, wenn es jemandem gelingt, aus dem Kreislauf der negativen Selbstbeurteilungen wieder herauszukommen.
An dieser Stelle merken wir, wie uns bestimmte Züge des christlichen Glaubens fremd geworden sind. Es scheint, als hätten wir den Sinn für die Dramatik des Glaubens verloren.
Sich selber als Sünder aufzufassen: Das passt nicht mehr so recht zu unserem Lebensgefühl.
Es gibt eine Kantate von Johann Sebastian Bach. Sie heißt: „Mein Herze schwimmt im Blut.“ Der liegt der heutige Predigttext vom Pharisäer und vom Zöllner zu Grunde. Geschrieben wurde der Text der Kantate von einem heute vergessenen Textdichter. Dessen Namen muss man nicht kennen. Mit einem Rezitativ setzt diese Kantate ein. Der Sünder beschreibt, wie er sich fühlt:
Mein Herze schwimmt im Blut,
Weil mich der Sünden Brut
In Gottes heilgen Augen
Zum Ungeheuer macht.
Wer will das heute noch? Sich als „Ungeheuer“ fühlen in Gottes Augen?
Freilich:
Man sollte die Kantate bis zum Schluss anhören.
Dann merkt man, worauf sie hinausläuft.
Sie läuft hinaus auf einen großen Trost.
Sie endet mit einer Sopranarie im heiter-hüpfenden 12/8-Takt:
Wie freudig ist mein Herz,
Da Gott versöhnet ist
Und mir auf Reu und Leid
Nicht mehr die Seligkeit
Noch auch sein Herz verschließt.
Jubelnde Seligkeit steht am Ende.
Das Herz des Sünders ist voller Freude.
Darauf soll alles hinauslaufen.
Das hat Bachs Textdichter und das hat Bach als Komponist bestens verstanden:
Die Botschaft des Gleichnisses, das Jesus erzählt, ist am Ende eine Freudenbotschaft.
Das Gleichnis ist vielschichtig – aber am Ende zielt es auf Freiheit und auf Freude!
Am Ende ist der Sünder frei von allen Selbstvorwürfen, freudig schlägt sein Herz!
Einen Hochmütigen und einen Demütigen führt Jesus uns in diesem Gleichnis vor.
So habe ich es am Anfang der Predigt gesagt und so habe ich am Anfang die Erzählung verstanden.
Aber dann sind mir Zweifel gekommen und ich frage mich inzwischen:
Führt Jesus uns wirklich zwei verschiedene Menschen vor?
Schildert er uns nicht eher zwei Zustände unseres Herzens?
Sind wir nicht bisweilen der Pharisäer und bisweilen der Zöllner?
Meiner Beobachtung nach verhält es sich bei den meisten Menschen so:
Mal sind wir höchst zufrieden mit uns und durchaus stolz auf das, was wir tun und können und leisten. Und solange wir da nicht auf Andere herabschauen, ist das auch in Ordnung und schön und darf genossen werden.
Aber zu anderen Zeiten, da plagen wir uns mit Selbstvorwürfen.
Unsere Fehler und Versäumnisse lasten uns dann schwer auf der Seele:
„Ach, hätte ich doch dies oder jenes anders gemacht oder dies oder jenes nicht getan. Aber nun ist es zu spät.“ Manche von uns kommen aus diesen Selbstvorwürfen gar nicht mehr heraus.
Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher:
Es geht in dem Gleichnis nicht um die Einen und um die Anderen.
Es geht in dem Gleichnis um zwei Seiten unserer selbst.
Und deshalb hat das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner uns mindestens zweierlei zu sagen: Wenn wir in der Gefahr sind, auf andere herabzuschauen, weil wir so angetan sind von uns selber, weil wir uns selber so wunderbar finden, dann sagt es uns: „Bleib auf dem Boden und schau nicht auf andere herab.“
Wenn wir aber zerknirscht sind und uns Vorwürfe machen, dann sagt es uns: „Sei getrost: Trotz Deiner Fehler lässt Gott Dich nicht fallen.“
Gerechtfertigt geht der Zerknirschte aus dem Tempel nach Hause.
Vielleicht sogar beschwingt und mit einer fröhlichen Melodie auf den Lippen.
Amen.
[1] Vgl. Wilhelm Schmid: Mit sich selbst befreundet sein, Frankfurt 2004.
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Predigt zu Lukas 19,41-48 von Jochen Riepe
I
Wo ist Gott ? Oder um ganz konkret zu fragen : Wo wohnt Gott ? Gibt es einen Raum , einen besonderen , einen heiligen Raum , den er sich erwählt und zu eigen gemacht hat ? ‚Hast du Gott besucht ?‘, fragen die Kindergartenkinder, wenn ich aus der Kirche komme. ‚War er denn auch da?‘ spottet der Zeitgenosse ,‘oder ist er wieder einmal verreist?‘
II
Jerusalem – ‚Schauung des Friedens‘ … ‚jeder Stein erzählt hier eine Geschichte‘, schwärmt der Reisende und ein Journalist sprach von der ‚geballten Heiligkeit‘ dieser Stadt. Juden , Muslime und verschiedene christliche Konfessionen ehren diesen Ort und – streiten um ihn. Der Tempelberg ist so etwas wie ein traumhafter, energiegeladener Raum , der Sehnsuchtsberg der Völker, das ‚Tor zum Himmel‘. In oder auf den Ruinen des jüdischen Tempels haben Muslime die Al-Aqsar- Moschee und den Felsendom errichtet. Den Juden blieb die Klagemauer und die Welt hält immer wieder den Atem an, wenn irgendeine Seite versucht, an dem prekären Status etwas zu ändern.
III
Jesus weint. Jesus weint um Jerusalem. Nach dem Bericht des Lukas nähert er sich der Stadt , sieht sie vor sich liegen und ihm kommen die Tränen. Feinde werden sie belagern, nicht einen Stein auf dem anderen lassen , den Tempel zerstören. Für Lukas ist die Person Jesu eng mit diesem Gotteshaus verbunden. Hier wird er ‚dargestellt‘ und von Simeon und Hannah als der Messias Gottes erkannt. Hier schockiert er als 12jähriger seine Eltern : ‚Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem , was meines Vater ist ?‘ Und hier schließlich lehrt er täglich vor vielen Zuhörern, vor Freunden und Feinden. Darf man sagen : Es sind die Tränen des Juden Jesus , der mit seinem Volk den drohenden Verlust der Mitte , der Identität – ja: des Vater-Hauses beklagt ?
IV
Jesus weint um Jerusalem. Immer wieder haben Bibelleser sich darüber gewundert, daß Lukas diese gleichsam schwache Seite Jesu berichtet. Und umgekehrt : In manchen Bibelhandschriften ist der Satz gestrichen oder weggelassen worden. Ein Messias , der weint und der auch noch als Jude um Jerusalem weint, war nicht mehr verständlich oder sogar ein Ärgernis. Hatte Jesus es nicht selbst gesagt : Diese Stadt hat ‚die Zeit nicht erkannt‘ – ‚Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben‘- sie hat nicht erkannt , was zu ihrem Frieden dient und vor allem : Sie hat ihn , den Messias, den Friedenskönig , der , in dem Gott doch sein Reich errichten wollte, gelästert und verworfen. Für die Kirche späterer Zeiten war es dann klar : Mit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer hat Gott ein deutliches Zeichen gesetzt. Das erste Gottesvolk wurde gleichsam abgelöst. Rom und Byzanz überholten Jerusalem und den Berg Zion.
V
Wo ist Gott ? ‚Hast du Gott besucht?‘, fragen die Kinder. Natürlich : Ein Gotteshaus , das Haus Gottes ist das Wohnhaus Gottes. Sie drücken es auf ihre Weise ganz unbefangen aus : Der Glaube hat einen ‚Raum-Bezug‘ und jeder von uns wird Stätten , Kirchen , Gebäude kennen, mit denen er sich besonders verbunden fühlt. ‚Das Vaterhaus meines Glaubens‘. Wo wohnt der Heilige, wo dürfen wir ihm nahekommen … wenn es den Tempel nicht mehr gibt , diese Steine , denen Er doch seine Gegenwart zugesagt hatte ? Es gibt im heutigen Israel eine kleine Gruppe, die nennt sich : ‘Gläubige Bewegung Tempelberg und Eretz Jisrael‘. Diese Bewegung trägt den Schmerz über das verlorene Heiligtum und die sehr menschliche Sehnsucht : ‚Zurück!‘ in sich und spielt doch eben darin mit dem Feuer . Ihr Ziel ist der Wiederaufbau des Tempels als jüdisches Zentralheiligtum an der Stelle , an der er einst stand, die nun aber andere längst als die ihre verstehen. Als Christen in Deutschland ist uns dieser Wille sehr nahe. Wie groß war die Freude, als die Dresdener Frauenkirche wieder errichtet war . Wir wissen aber auch , wie in solchen Wiederaufbauplänen Trauer und Traum und Wahn einander berühren : Das Tor zum Himmel – das Tor zur Gewalt.
VI
‚Und als er hinzukam , sah er die Stadt und weinte über sie‘. Ich sagte es schon : Manche haben diesen Satz gestrichen oder weggelassen. Wurde in diesen Tränen nicht noch etwas zweites , anderes , für unseren Glauben Rätselhaftes oder sogar Abgründiges sichtbar ? Wenn die Wohnung Gottes zerstört ist, wenn kein Stein auf dem anderen bleibt, wenn das Vaterhaus nicht mehr ist, was ist dann mit dem Vater selbst ? ‚Er wurde mit zerstört‘, sagt der Nüchterne. ‚Er ist rechtzeitig verreist oder ausgezogen‘, spottet der Spötter : ‚Seht, sein Name an der Tür ist verblaßt.‘ Dritte schließlich meinen : ‚Seht doch die Befreiung, die darin liegt. Religion und Gewalt sind miteinander verschwistert und erst ein Jerusalem, das eine Stadt wie jede andere sein darf, erst die Entschärfung der ‚Heiligkeits-Bombe‘ wird den Menschen dort , allen Menschen dort , den ersehnten Frieden bringen‘. Mit dem Ende der heiligen Orte , mit dem Abschied vom Heiligen wird auch der Streit darum ein Ende haben und die Stadt wird endlich ihrem Namen Ehre machen : Jerusalem – Schauung des Friedens.
VII
Wenn das Haus Gottes zerstört ist , was ist dann mit Gott selbst ? Wo wohnt er auf Erden? Wo ist er angesichts der zerstörten Städte, Synagogen und Kirchen ? Ich glaube , im Sinne des Evangelisten darf man sagen : Diese verlorenen Orte , diese Trümmerhaufen der Geschichte , diese gefallenen Mauern haben ihre eigene Gottes-Sprache . Als zerstörte schließen sie nicht mehr aus . Sie führen zusammen. Die einander Fremden oder die Verfeindeten treten zusammen und leben so die Versöhnung und den Frieden , den Er, der Messias, einst Jerusalem bringen wollte. Die Steine der untergegangenen Gotteshäuser schreien es in die Welt hinaus : Laßt euch seinen Frieden gefallen. Entwaffnet euch , wie euer Gott sich entwaffnet hat, und lernt mit dem anderen zu leben. Erkennt seine Trauer, seinen Verlust und seine Sehnsucht nach Anerkennung in seinem Leid. Weint mit ihm.
VIII
Was wird aus dem Tempelberg , dem Zion , den ‚Wohnungen und Vorhöfen des Herrn‘ ? Wie Eretz Jisrael träumen viele Juden von einer Wiedererrichtung des Tempels. Sie haben diesen Traum aber – eben damit er nicht zum gewaltsamen Wahn wird – gleichsam nach vorn gelesen und sind so in eine Nüchternheit eingekehrt, die uns vieles lehrt. Gott selbst wird am Ende der Tage den Tempel vom Himmel fallen lassen. Von Menschenhand kann er nicht errichtet werden. Die Stelle, da das Allerheiligste war, das Tor zum Himmel, dort , wohin Priester in biblischer Zeit nur einmal im Jahr gehen durften – diese Stelle ist unbekannt und keiner wird sie wiederfinden. Der Glaube braucht einen Raum , ja, aber er hält es aus, daß dieser Raum noch aussteht.
IX
Wo ist Gott ? Wo wohnt er ? Im Wort , im Gesang , im Herzen , sagen wir aufgeklärten Protestanten. Gott braucht kein Haus aus Steinen . Er ist doch überall… Mag sein, aber die Kinderfrage hat auch ihr Recht. ‚Hast du heute schon Gott besucht?‘ ‚Ja, ich habe sogar an seinem Tisch gestanden‘.
‚Wohl denen , die in deinem Hause wohnen , die loben dich immerdar‘ (Ps 84,4 ).
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KONFI-IMPULS zu Lukas 18,9-14 von Frank Zeeb
Pharisäer und Zöllner
1. Umfeld
Der 11. Sonntag nach Trinitatis liegt mitten in den Sommerferien. Es sind daher zwei Grundgegebenheiten zu beachten:
– es werden nicht allzu viele Konfirmandinnen und Konfirmanden im Gottesdienst sein.
– vielerorts kann der Text also nicht vorab im Konfirmandenunterricht oder einer Gemeindegruppe besprochen werden kann. In manchen Orten gibt es allerdings Kinderferienprogramme, bei denen die Kirchengemeinde mit einigen Jugendlichen diesen Text für den Sonntag aufbereiten kann.
Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder besteht die Möglichkeit, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten oder der Gottesdienst muss für die anwesenden Jugendlichen aus sich selbst stimmig sein.
2. Der Text für die Jugendlichen
– Die Ausgangssituation mit „einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein und die anderen verachteten“ wird den meisten Jugendlichen unmittelbar einsichtig sein. Vielleicht ist es nicht die Frömmigkeit, sondern eine andere Eigenschaft: Dass einige glauben, aufgrund einer Eigenschaft oder eines Verhaltens besser zu sein als die anderen und deshalb auf diese heruntersehen, kennen Jugendliche aus beiden Perspektiven.
– Spannend ist die Perspektive dessen, der seine „moralische Unterlegenheit“ einsieht. In der Beispielgeschichte wird angedeutet, dass er unter seinen Fehlern leidet. Er bringt sie nichtöffentlich vor Gott.
– Nicht erzählt wird, wie die beiden Betroffenen selbst mit der unerwarteten Lösung umgehen, das gibt Raum für eigene Identifikationen.
– Ferner wird nicht erzählt, was Jugendliche vielleicht am meisten interessiert: Wie reagieren denn jetzt die Leute auf die beiden Personen und die Erläuterung in V. 14?
– Ob V. 14 als allgemeine Regel für das eigene Leben tauglich ist, bedarf noch der Überlegung.
3. Umsetzung
a) Wo es möglich ist, im Rahmen eines Kinderferienprogramms, Waldheims o.ä. den Text mit Jugendlichen und Kindern zu erarbeiten, wird der Wert für die Jugendlichen darin liegen, dass sie als Leitende und Textforscher ernst genommen werden. Daher wäre ein Anspiel mit ihnen gemeinsam zu erarbeiten. Ich würde es so gestalten, dass jeweils ein Vers der Lutherübersetzung verlesen wird und dann verschiedene Szenen aus dem heutigen Leben von Kindern und Jugendlichen angespielt werden. Die Schlussfrage kann in den Anspielen durchaus verschieden beantwortet werden. Aufgabe der Predigt (oder eines Interviews?) wird es dann sein, hier die Bezüge herzustellen, z.B. zur Rechtfertigung ohne eigene Werke, zur Theologie des Reiches Gottes …
b) Wenn eine vorbereitende Erarbeitung nicht möglich ist und der Gottesdienst also für Jugendliche aus sich selbst heraus stimmig sein muss, würde ich auf das Wochenlied entweder ausnahmsweise verzichten, oder dieses als Eingangslied wählen. Dann als Psalmgebet aus unserer Zeit EG 767 und als Schriftlesung das Magnificat der Maria (Lk 1, 46-54). Als weitere Lieder bieten sich an: EG 619; 627; 629, 630; 639.
In die Predigt würde ich ebenfalls mit einer Szene aus dem heutigen Leben einsteigen und dann versuchen, die beiden Personen jeweils als Gott-suchende zu schildern, mit je eigener Lebensgeschichte und einem ernsthaften Anliegen. Dabei würde ich aller Schwarz-weiß-Schematisierung wiedersprechen (Unnötig zu sagen, dass die Pharisäer jahrhundertelang als Zerrbild geschildert wurden …). Mein Predigtziel wäre, dass Gott sich auf verschiedenen Wegen finden lassen mag, egal was die Menschen sagen. Diese Erkenntnis der „Rechtfertigung ohne eigene Leistung“ mag unterschiedliche Menschen ins Gespräch bringen und die eigene Meinung relativieren.
»Ein Mensch betrachtete einst näher / Die Fabel von dem Pharisäer, / Der Gott gedankt voll Heuchelei / Dafür, dass er kein Zöllner sei. / Gottlob! rief er in eitlem Sinn, / Dass ich kein Pharisäer bin!“ (Eugen Roth)
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Sie waren allezeit im Tempel und priesen Gott - Predigt zu Lukas 19,41-48 von Michael Nitzke
Sie waren allezeit im Tempel und priesen Gott.
41 Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie 42 und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen.
43 Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen 44 und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.
45 Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben, 46 und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben »Mein Haus soll ein Bethaus sein«; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht. 47 Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn umbrächten, 48 und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn.
Gebet: Herr öffne Dein Wort für uns und öffne uns für Dein Wort. Amen.
Liebe Gemeinde,
"und [sie] waren allezeit im Tempel und priesen Gott." (Lk 24, 53) Nach dem er diese Worte auf das Papyrus geschrieben hatte, legte Lukas die Feder aus der Hand und lehnte sich zurück. Ja, nun hatte er den Bericht für seinen Freund Theophilus abgeschlossen. Vieles mehr hätte er noch schreiben können. So viele Ideen hatte er noch im Kopf, zum Beispiel all die Dinge, die den Aposteln widerfahren sind. Aber das war eine andere Geschichte. Die würde vielleicht geschrieben werden, wenn die Zeit dafür reif erschien.
Aber nun hatte er sein Werk über die Geschehnisse um Jesus von Nazareth aufgeschrieben. Nein, er war beileibe nicht der erste, der das versucht hatte. Aber er wollte es aus seiner Sicht schreiben. Sein Freund Theophilus, der sein erster Leser sein würde, machte seinem Namen alle Ehre: Theophilus, der Gottesfreund. Diesem Namen war er es schuldig, alles so genau wie möglich aufzuschreiben. Er hatte das nicht alles selbst erlebt. Aber er wusste, wen er fragen musste, und er wusste, wie er fragen musste, damit man ihm Einzelheiten und Zusammenhänge erzählte. Und dabei machte er so manche Entdeckung, über die er sich selbst wunderte. So war er doch irgendwie froh, dass ihm Leute aus Bethlehem, das mit der Krippe erzählt haben. Die Geburt des Gottessohnes in einer Behausung von Tieren, das wusste selbst Matthäus nicht, der sich doch noch darüber aufgeregt hatte, dass dieser Markus so gar nichts von der Geburt des Herrn geschrieben hatte. Ja, Lukas wusste, was so alles erzählt und geschrieben wurde über Jesus, den Christus. Aber vieles, was ihm wichtig war, fehlte dort, und um manches wurden viele Worte gemacht, die doch nicht weiter führten. Er wollte sich mit seiner Schrift nicht wichtigmachen, und auf seinen Namen kam es auch gar nicht an. Aber er wollte schreiben, was ihm wichtig war. Und das war zum Beispiel dieser letzte Satz seines Evangeliums, den er über die Jünger geschrieben hatte: "und [sie] waren allezeit im Tempel und priesen Gott."
Ja, das war für ihn von großer Bedeutung, diese enge Verbindung zum Tempel. Er wollte betonen, dass die, die Jesus folgten, nie das Band zum Glauben ihrer Vorväter haben abreißen lassen. Ja, es gab Auseinandersetzungen und Streitgespräche mit den Vertretern des Glaubens der Mütter und Väter. Aber die gab es immer. Das war es ja gerade, was diesen Glauben ausmachte: das Ringen um die Wahrheit. Der Kampf ums Wort Gottes mit den Worten, die Gott im Herzen seiner Gläubigen lebendig werden ließ. Dass dieses Ringen um Worte seinen Herrn ans Kreuz geführt hatte, war zunächst unglaublich. Aber wie wurde dieser Glaube gestärkt, als er die Worte Jesu am Kreuzt hörte: "Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!". Wer in dieser Situation so versöhnlich sein kann, der hat eine besondere Nähe zum Gott der Väter. Andere erzählen davon, Jesus habe als letztes Wort gesagt: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mk 15,34) Aber Lukas konnte sich nicht durchringen, das in seinen Bericht zu schreiben. Für Lukas zeigt Jesus am Kreuz das, was ihn immer ausgemacht hat: Er ist eins mit Gott. So schrieb Lukas als letztes Wort Jesu am Kreuz: "Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!" (Lk 23,46) Ja, den Händen des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs vertraut er seinen Geist an. Jesus ist eins mit Gott und dem Gottesvolk. Egal, was passiert ist. Und dieser Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der ihn vom Tod am Kreuz zurück ins Leben geholt hat, der zeigt, dass die Liebe siegt. Auch und gerade die Liebe zu diesem Volk, das Jakob mit wenigen nach Ägypten geführt hat, und das Mose mit vielen zurück ins gelobte Land gebracht hat.
Einen besseren letzten Satz kann es nicht geben: "und [sie] waren allezeit im Tempel und priesen Gott."
Ja, im Tempel fing alles an: Als Zacharias für den Tempeldienst erwählt wurde! Der wolle damals nicht wahrhaben, dass er einen Sohn bekommen würde. Gott hat ihn wegen seines mangelnden Vertrauens stumm gemacht. "Er soll Johannes heißen", das konnte er nicht aussprechen, sondern musste es auf eine Tafle schreiben, denn er konnte immer noch nicht wieder sprechen. Sein Sohn soll Johannes heißen, später würden sie ihn "den Täufer" nennen. Er bereitete den Weg für den, der kommen sollte: Jesus. Und auch dessen erste Wege ließ Gott zum Tempel führen. Wie froh war Lukas, dass man ihn von den beiden alten Leuten erzählt hatte, die Jesus im Tempel priesen: Simeon und Hannah, sie hatten ihr ganzes Leben auf den Christus gewartet und nun hatten sie ihn in dem neugeborenen Jesus erkannt. Und als Jesus zwölf Jahre alt war, machte er seinen Eltern Angst und lief weg. Drei Tage haben sie nach ihm gesucht. Drei Tage war er nicht zu sehen, sie standen Todesängste aus. Das Kind war verschwunden! Es war wie eine Vorahnung auf die drei Tage nach dem Ereignis am Kreuz. Und wo fanden sie ihn nach diesen drei Tagen? Im Tempel, im Haus seines Vaters, wie er sagte. Er sprach mit den Schriftgelehrten seines Gottesvolkes, im Tempel!
Lukas, dreht immer wieder an seiner Schriftrolle, schaut hier noch mal nach, und vergleicht dort mit den Aufzeichnungen seiner vielen Zwiegespräche, die er in all den Jahren geführt hat. Theophilus wird stolz auf ihn sein. Nein, stolz ist das falsche Wort! Glücklich soll sein erster Leser Theophilus sein über die Worte, die Lukas berichtet.
Während er den gottesfürchtigen und glücklichen Freund Theophilus vor Augen hat und hier und da noch einen Federstrich nachzieht, bleibt sein Auge an einer Stelle hängen, die so gar nicht glücklich erscheinen will.
Jesus weint. Jesus vergießt Tränen. Tränen über Jerusalem: Diese bedeutende Stadt, Zentrum des Glaubens. Die Stadt, die der große König David gegründet hat. Er hatte viel mit ihr vor, er wollte die Ansiedlung des kleinen Volks der Jebusiter zum Zentrum des Glaubens der Kinder Israels machen. Doch erst sein Sohn Salomon hat das geschafft, indem er den prächtigen Tempel errichten ließ. Als Jesus auf diesen Tempel sah, mag er daran gedacht haben, wie er mit zwölf Jahren hier mit den Lehrern gesprochen hat. Aber er sah nicht mehr den Tempel, den Salomo errichten ließ. Der wurde zerstört, weil sein Volk den Pakt mit den Mächtigen eingehen wollte, aber zwischen diesen Mächtigen zerrieben wurde. Vierzig Jahre saßen sie an den Wassern von Babel und weinten, bevor sie wieder zurück konnten. Und viele Jahre brauchte es noch, bis sie wieder Mut und Kraft hatten, einen neuen Tempel zu errichten. Auf diesen Tempel fällt sein Blick, ein Blick unter Tränen, denn Jesus sieht, was in Jerusalem noch niemand wahrhaben will: Geschichte wird sich wiederholen, jedenfalls zum Teil.
Lukas, hatte die Menschen in Jerusalem gefragt. Viele wussten, dass Jesus damals geweint hatte. Doch sie verstanden erst warum, als die Römer ernst gemacht hatten. Sie hatten die Stadt angegriffen und den Tempel zerstört. In Rom rühmten sie sich mit Skulpturen und Triumphbögen, dass sie die heiligen Geräte aus dem Tempel geholt hatten. Das Volk Gottes ist gedemütigt worden. Es vergoss wieder Tränen, wie damals an den Wassern zu Babel. Jesus hatte diese Tränen schon im Voraus vergossen. Und er sprach dabei zu dieser Stadt Jerusalem:
Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient!
Ja, wieder einmal hat man auf die falschen Mächte vertraut. Ein König wie Herodes, war König von Roms Gnaden, und der Hohe Rat, die höchste religiöse Institution, scheute sich nicht, die Römer zu instrumentalisieren, wenn man meinte, das könnte helfen. Aber das große Römische Reich lässt sich nicht von einem kleinen Volk an der Nase herumführen.
Lukas las die Worte Jesu, die man ihm berichtet hatte: 43 Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen 44 und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.
Und nach diesen Worten, fielen die Blicke Jesu auf den Tempel. Er liebte diesen Tempel. Es war für ihn von Kindheit an das Haus seines Vaters. Lukas dachte daran, wie andere schrieben, Jesus könne den Tempel abbrechen und ihn in drei Tagen wieder aufrichten. Ja, so erzählten sie überall. Aber wie Lukas seine Hand auch hielt, seine Feder wollte diese Worte einfach nicht zum Papyrus bringen. Jesus wollte den Tempel abbrechen? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Die das sagten, bezogen Natürlich die drei Tage auf seine Auferstehung. Aber das konnte Lukas nicht schreiben. Da musste sein Leser Theophilus, sich mit den drei Tagen begnügen, die Maria und Joseph brauchten, bis sie den kleinen Jesus im Tempel wieder fanden.
Jesus liebte diesen Tempel. Deshalb konnte er auch nicht ertragen, wie man in seinen Vorhöfen Geschäfte machte. Jesus wischte seine Tränen ab, und machte sich daran, dieser Geschäftemacherei ein Ende zu machen. Aber bitte nicht mit Gewalt. Andere schrieben, er habe da die Tische umgekippt. Das konnte Lukas sich nicht vorstellen. Wer geht in sein Vaterhaus und wirft die Möbel um? Nein, hinauskomplimentiert wird er sie haben. Mit scharfen Worten, die im nicht fremd waren, aber nicht mit Handgreiflichkeiten: »Mein Haus soll ein Bethaus sein«!
Lukas ließ beim Lesen der eigenen Worte die Gedanken schweifen. Hat er es richtig gemacht? Hat er es wirklich so geschrieben, wie man ihm berichtet hat, obwohl doch manche in Einzelheiten anderes verlesen? Er wollte sich selbst treu bleiben und dachte an seine Worte, mit der er seine Schrift einleitete. Da hatte er geschrieben: (Lk 1:) 1 Viele haben es schon unternommen, Bericht zu geben von den Geschichten, die unter uns geschehen sind, 2 wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Worts gewesen sind. 3 So habe auch ich's für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, 4 damit du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist.
Dieser sichere Grund der Lehre ist ihm wichtig, und der besteht in der Treue zum Glauben an Gott, wie er sich Abraham, Mose und den Propheten offenbart hat, dieser Gott, den Jesus seinen Vater genannt hat. Dieser Gott hat Jesus von den Toten auerweckt, und nun bekennen ihn viele als den Christus, als den erwarteten Heilsbringer, der Gottes Liebe den Menschen mit seinem ganzen Dasein bezeugt.
Wie um das zu überprüfen, fiel der Blick des Lukas nochmal auf seine Schrift. Nach der Auseinandersetzung mit den Händlern im Tempel hatte er über Jesus geschrieben: 47 Und er lehrte täglich im Tempel. Auch etwas worüber andere nicht so viel erzählten. Als sei es auf einmal überhaupt nicht mehr wichtig, dass Jesus lange und intensiv, also täglich im Tempel lehrte. Da erzählt man höchstens, er ging dort umher (Mk 11,27). Und wenn jemand sagte, er lehrte dort (Mt 21,23), dann hatte man nicht den Eindruck, als sei das eine Dauereinrichtung, sondern eher so etwas wie eine Gastpredigt. Lukas war es wichtig, dass sein Freund Theophilus die intensive Beziehung Jesu zum Tempel auch schwarz auf weiß vor Augen hatte.
Und dennoch konnte auch Lukas nicht daran vorbeigehen, was er selbst geschrieben hatte: 47 ... die Angesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn umbrächten,
Ja, das kommt vor, das einzelne missgünstige Personen ein ganzes Volk in Misskredit bringen. Lukas konnte die Tatsache nicht übergehen, dass aus der Spitze der Gesellschaft der Auftrag zur Beseitigung eines Ruhestörers namens Jesus kam. Aber nichts hätte ihm ferner gelegen, als dies: Ein ganzes Volk mit seinem überlieferten Glauben dafür verantwortlich zu machen. Eine kleine Führungsclique eines besetzten Landes macht gemeinsame Sache mit den ungläubigen Besatzern. Aus diesem Stoff haben schon die Propheten ihre Strafpredigten entwickelt. Das ist Israel gewohnt. Diese Moralpauken sind ihnen zur Heiligen Schrift geworden, und diese Schrift soll sie immer wieder zurück auf den richtigen Weg führen. Auf den Weg zurück zu Gott, dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Deshalb lieben sie und wir die Worte dieses Psalms. (Ps 119,105) Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.
Lukas hat die Tränen, die Jesus über Jerusalem weinte, an seinen eignen Augen getrocknet. Vielleicht ist sogar eine dieser Tränen auf das Papyrus getopft. Er rollt seine Schrift zusammen und kann sie nun reinen Gewissens an Theophilus übergeben. Alles ist darin, was ihm von Jesus wichtig ist. Die Geburt in Betlehem, die Lehren in Galiläa, die Tränen über Jerusalem, der Leiden auf Golgatha, die Himmelfahrt nach der Auferstehung, und ganz am Ende auch dieser Satz: über die Jünger Jesu: "und [sie] waren allezeit im Tempel und priesen Gott." Amen.
Nachwort:
Liebe Gemeinde, gestatten sie mir ein Nachwort. Am heutigen traditionellem Israelsonntag, kam es mir darauf an, vorhandene Gräben zwischen Juden und Christen zu überbrücken. Immer wieder führten Aussagen des Neuen Testamentes dazu, diese Klüfte zwischen Juden und Christen zu vertiefen. Ich habe versucht, anhand einiger Besonderheiten des Lukasevangeliums zu zeigen, dass man manches auch ganz anders interpretieren kann. Es kam mir darauf an, die Kontinuität des christlichen Glaubens zur jüdischen Tradition herauszustellen. In den letzten zwei Jahren wurde nicht nur in der Fachwelt eine intensive Diskussion geführt, welchen Stellenwert das Alte Testament gegenüber dem Neuen haben sollte. Einige Diskutanten ließen erkennen, dass das Alte Testament, oder die hebräische Bibel, wie man auch sagt, einen geringeren Wert habe. Dieser Ansicht ist zu widersprechen. Weitesten Teilen des Christentums ist die enge Verbindung zum Judentum wichtig, dies gilt es immer wieder zu betonen. Dass beide Religionen dennoch unterschiedliche Glaubensaussagen treffen, soll nicht dem Frieden dieser Religionen entgegenstehen. - Der Stil der Predigt, ein fiktiver innerer Gedankengang des Evangelisten Lukas, ist sicherlich einigen historischen Romanen zuzuschreiben, die in den letzten Monaten auf meinem Nachttisch lagen. Vielen Dank.
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zwischen zärtlichkeit und wut - predigt zu lukas 19,41-48 von tobias götting
zwischen zärtlichkeit und wut
jesus
gottes schönstes gesicht auf dieser erde
unendlich oft beschrieben
gemalt
gedeutet
manchmal mir mit vielen worten
unendlich weit weg gerückt
verborgen unter einer flut von buchstaben
versteckt unter einem berg von bildern
aber hier in dem kürzestmöglichen satz
in nur zwei worten aufgedeckt
jesus ent-deckt
weggenommen die decke von beschreibungen
und theoretischen gedankengebäuden
mir wieder einmal wie schon so oft
endlich unendlich unwahrscheinlich nah gekommen
jesus weinte
lese ich
das ist mein evangelium
das ist frohe botschaft
für mich
trotz der tränen
gerade wegen der tränen
endlich sich der eigenen tränen nicht schämen
sie fliessen lassen
statt sie runterzuschlucken
jesus weinte
wie ich manchmal auch
wie ich manchmal gerade auch nicht
andere feiern starke helden
bewaffnet bis an die zähne
stark bis zum umfallen
bereit zum kämpfen und siegen
jesus weinte
ein schwacher held
ein anti-held
vermeintlich schwach
darin unendlich stark
im verzicht auf macht
mit dem mut zur sanftheit
einer mit der „gabe der tränen“ *
jesus weinte
ohnmächtig den damals mächtigen gegenüber
unbewaffnet
nur mit der kraft der worte stark
seit damals bleibt wahr
„es geht um's tun und nicht um's siegen“ **
jesus
mit seinen tränen andere stärkend
die auch machtlos sich wähnen
denen nur zum weinen zumute sein kann
weil das leben ihnen tiefe kerben
in die seele geschlagen hat
jesus weinte
über jerusalem
den ort der besonderen anwesenheiten gottes
die zerstörung durch die römischen besatzer vorausfühlend
jesus weinte
weil ihm die gier der mächtigen
tränen in die augen treibt
er spürt die unfähigkeit der vielen
ihn zu verstehen
er spürt die ohnmacht
seine ohnmacht
die heilige stadt zu retten
er kann sie nicht aufhalten
die katastrophe
in die sein geliebtes volk hinein geraten wird
damals in jerusalem
er kann die katastrophen nicht aufhalten
die gottes auserwähltem volk
noch bevorstehen sollten
vor allem durch den „meister aus deutschland“ ***
der millionenfach gräber aushob in den himmeln
jesus weinte
in auschwitz
als gottes geliebter augapfel
sein volk
seine jüdischen geschwister
verbrannten
jesus weint
über alle orte
wo die menschen- und gotteswürde mit füssen getreten wird
wo macht die ohnmächtigen bedrängt
wo leben beschnitten und gedämpft wird
wo tränen zurückgehalten und unterdrückt werden
wo starke über die schwachen herrschen
weil sie ihre eigenen schwächen übersiegen wollen
jesus weinte
lese ich
aber nach den tränen geht es weiter
sie haben die herzkammern und die seelenhaut durchspült
sie haben die augen nicht trübe bleiben lassen
sie machen den neuen durchblick möglich
nach den tränen der ohnmacht
kommt das machtvolle handeln
gott sei dank
jesus lehrt mich
nach den tränen
muss nicht starre resignation bestimmend bleiben
tränen bringen ins fliessen
setzen neue energie frei
vielleicht nicht immer
aber es mag sein dass
jesus weint
und jesus wütet
nicht nur sanfter rebell
nicht nur zärtlich
sondern auch wütend
wütend über die vermischung von glaube und kommerz
über die käuflichkeit von gebet und gnade
über den vorrang des geldes vor dem vertrauen
über eine kirche in der die habenichtse unsichtbar sind
jesus wütet
weil es keinen billigen frieden geben darf
weil sein haus ein bethaus sein soll
ein ort der zuerst die herzen öffnet
uns einander wahrnehmen hilft
als gemeinsam dürftige und bedürftige
dass wir uns dort besinnen auf das wort
das in jesus ein gesicht bekommen hat
damit wir es von jetzt an
in den gesichtern der vielen gespiegelt finden
jesus weint
jesus wütet
und ich ahne neu
„zwischen zärtlichkeit und wut
tut das leben richtig gut.
zwischen zärtlichkeit und wut
fasse ich zum leben mut“ ****
* dorothee sölle: „gib mir die gabe der tränen, gott“
** konstantin wecker: „die weiße rose“
***paul celan: „der tod ist ein meister aus deutschland“
**** konstantin wecker: „wut und zärtlichkeit“, lied auf der gleichnamigen cd
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KONFI-IMPULS zu Lukas 5,1-11 von Stefan Nitschke
In der Regel wird davon auszugehen sein, dass die Konfirmandinnen und Konfirmanden den Predigttext erstmalig im Rahmen des Gottesdienstes zu Gehör bekommen. Manchmal werden Vorkenntnisse bestehen und nur selten wird das Thema des Predigttextes mit den Inhalten des Mittwochs-Unterrichtes verknüpft werden, so dass ein vorbereitetes Hören für die Konfirmandinnen und Konfirmanden möglich würde. Vielleicht ein Grund, mehr nach Bezügen zwischen Mittwoch und Sonntag zu suchen?
Für diesen Impuls kommt erschwerend hinzu, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen den Konfi-Jahren oder ganz zu Beginn des neuen Jahrganges liegt, wo meist anderes im Vordergrund steht.
Deshalb zwei Vorschläge:
1) Exemplarischer Gottesdienstbesuch: Gerade zu Beginn des neuen Jahrganges, wo meist darauf hingewiesen wird, wie viele Gottesdienstbesuche von den Konfis erwartet werden, ob nun mit oder ohne Strichliste, böte es sich doch an, exemplarisch das Hören der Predigt und den Besuch des Gottesdienstes in der Gruppe vorzubereiten. Vielleicht steigen so Verständnis und Lust daran? Meiner 8. Klasse habe ich ohne Einleitung und ohne Begründung, so wie es im Gottesdienst eben auch meist geschieht, den Text vorgelesen. Nach ersten ungläubigen Blicken fragte ich nach ersten Eindrücken und Assoziationen. Das daraus sich entwickelnde Gespräch bezog sich auf die folgenden drei Themen. Hier einige O-Töne und Anmerkungen:
- Erfolglosigkeit und Erfolg: „Ist Jesus für den Erfolg der Fischer verantwortlich oder hatten sie nur Glück?“ „Braucht Jesus solche Beweise, damit die Menschen ihm glauben?“ „Warum lassen sich die erschöpften Fischer noch einmal auf eine Fahrt ein? Nur weil einer sagt, probiert es noch einmal?“ „Was hat er eigentlich vorher den Menschen gesagt, dass sie ihn so ernst nehmen?“
- Menschenfischer: Dieses Wort wirkte auf die meisten anstößig. „Sollen Menschen Jesus ins Netz oder auf den Leim gehen?“ „Fische sterben, verlieren ihre Freiheit, wenn sie gefangen werden, soll Petrus das etwa mit Menschen tun?[1]“ Eine andere aktuelle Assoziation eines Schülers bezog sich auf die Situation der Flüchtlinge im Mittelmeer. Auf der einen Seite makaber, dass dort tatsächlich Menschen gefischt werden, auf der anderen Seite bekommt das Wort dann eine positive Wendung, wenn damit die Rettung der Menschen verbunden ist.
- Nachfolge: „Alles zurücklassen, würde ich nie machen!“ „Was versprechen sich die davon? Nur weil sie einmal Erfolg hatten, als Jesus dabei war?“ „Besticht Jesus die Fischer mit dem Fang?“ „Also bei twitter ist es aber einfacher, ein follower zu werden.“ Die Antwort einer Schülerin: „Ja, das stimmt, aber wenn du damals ohne Handy aktuelle Nachrichten von Jesus wolltest, musstest du wohl oder übel hinterhergehen.“
Anhand dieser Themen und Fragen könnte ein erstes Problembewusstsein zu Lukas 5,1-11 entstehen. Daraus folgt die Höraufgabe für die Predigt, genau auf ein Thema oder eine Frage zu achten. Was geschieht in der Predigt damit? Gibt es eine Antwort? Wird das Problem umgangen, ausgeblendet oder vermieden? Oder gibt es eine interessante Wendung, die so nicht erwartet wurde? Anschließend gilt es natürlich, sich in einem Predigtnachgespräch noch einmal den Konfis und ihren Eindrücken zu stellen. Sicherlich kann dies nicht jeden Sonntag geleistet werden, aber warum die Konfirmanden nicht einmal als Predigthörer ganz ernst nehmen?
2) Vorstellungsgottesdienst
Als zweite Möglichkeit könnte man Lukas 5,1-11 im Vorstellungsgottesdienst der neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden verwenden. Vielfältige Bezüge zwischen Text und Lebenswelt bieten sich an:
- Die ersten Jünger begeben sich in die Nachfolge Jesu, ohne so genau zu wissen, worauf sie sich einlassen. Nur auf die Aufforderung Jesu hin – bei den Konfis werden diese Rolle die Eltern übernommen haben – machen sie sich auf den Weg? Kannten sich eigentlich alle Jünger Jesu bereits? Wahrscheinlich nicht. Ebenso geht es den Konfis. Aus unterschiedlichen Ecken zusammengewürfelt, sind sie für ein Jahr an diese Gruppe gebunden.
- Das Stichwort Menschenfischer könnte Anlass sein, manche unausgesprochenen Ängste zu thematisieren. Wollen die mich hier von etwas überzeugen, was ich gar nicht glauben kann? Bin ich denen hier ins Netz gegangen?
- Ebenso kann das Bild vom Netz positiv gedeutet werden. Neue Kontakte und Bezüge werden geknüpft. Ein Netz, mit dem sich etwas erreichen lässt, das tragfähig ist. Die Gemeinde kann ein Bild für dieses Netz sein, an das sie nun anknüpfen, in das sie sich einbinden können, so dass neue starke Knotenpunkte entstehen. Und nicht etwa, damit Löcher gestopft werden.
- Liturgische Vorschläge: Der Gottesdienstraum könnte mit einem Netz gestaltet werden, in das sich die Konfis im Laufe des Gottesdienstes symbolisch einknüpfen – sprich: ein Symbol von sich oder ihren Namen hineinhängen und ein paar Worte dazu sagen. Lied: „Gut, dass wir einander haben“ von Manfred Siebald.
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Kanzelgedanken eines Schwermütigen - Predigt zu Lukas 5,1-11 von Stefan Henrich
Kanzelgedanken eines Schwermütigen
Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten.
Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.
Liebe Gemeinde,
Sonntag morgens, fünf vor zehn: die Glocken läuten, die Kirchentüren stehen offen, kaum einer tritt ein.
Wenn jetzt nicht noch ein Bus kommt, denkt der Pastor und begrüßt die Gemeinde doch freundlich mit den Worten Jesu: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
Eine Kirchenvorsteherin liest den Wenigen in den Bänken die Geschichte von dem wunderbaren Fischzug des Petrus als Evangelium und Predigttext, als gute Botschaft.
Dem Pastor wird weh zumute, als er hört: Eine große Menge drängt zu Jesus, um das Wort Gottes zu hören.
Er wünscht sich dabei gewesen zu sein an jenem Anfang, als Jesus sich das Fischerboot zur Kanzel macht und Simon den Fang seines Lebens fischt.
Trübe Gedanken umspülen diese Sehnsucht.
Hat er selber nicht dem Simon Petrus gleich auch die ganze Nacht gearbeitet? Die Nachbarn wissen immer zu erzählen, dass das Licht im Arbeitszimmer am Samstagabend vor der Predigt lange leuchtet.
Nur an Erleuchtung fehlt es ihm. Unzufrieden ist er mit der Predigt. Hölzern und wenig inspiriert kommt sie ihm vor, als er sie vorträgt auf der Kanzel. In seinem tiefsten Herzen kann er ganz gut verstehen, dass die Leute nicht in Scharen gekommen sind. Er fragt sich, ob er sich selber zuhören wollte, sonntags morgens um zwanzig nach zehn?
Vor der Antwort drückt er sich, fragt sich aber, was ist denn mit den Liedern und den Gebeten und der Gemeinschaft? Und wir haben öfter auch mal Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst, das ist doch immer ganz schön.
Seine Frau sagt immer, er habe zur Zeit wohl eine ausgesprochene Midlife-Crisis. Andere sprechen von Burnout, jetzt aber plagt ihn eine Schwitzattacke oben auf der Kanzel.
O Je, denkt der Pastor, die Schwiegermutter des Simon Petrus hatte auch Fieber gehabt und Jesus war zu ihr eingekehrt und hatte das Fieber vertrieben. In Simons Haus war das passiert.
Jesus und Petrus hatten sich vermutlich von daher schon gekannt, bevor sie sich wieder begegnen an jenem Morgen am Strand bei den Schiffen vor den leeren Netzen.
Jetzt aber blasen Petrus und seine Kollegen Trübsal, während sie die Netze säubern von dem Schmutz der See. Die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen, da fangen andere Glocken an zu läuten. Existenznot und Hunger heißen die, kein schöner Morgen ist das.
Andere Leute kommen, Strandgänger. Was oder wen suchen die? Sie finden Jesus. Der bittet Simon, ihn ein wenig hinauszufahren auf seinem Boot.
Von Boot aus predigt er den Vielen. Ach, denkt der Pastor, die Kanzel hat was. Jesus sitzt wahrscheinlich im Bug des Schiffes, lässt sich von den Wellen schaukeln, über ihm die Weite des Himmel, vor ihm der Strand. Bilder von Urlauberseelsorge, inszenierten Piratenfahrten und Strandgottesdiensten tauchen auf vor des Pastors inneren Augen.
Jetzt aber kämpft er sich weiter durch seine Predigt, die ganz bei Petrus gelandet ist.
Dem fühlt er sich nah, so viel vergebliche Mühe in der Nacht und kaum noch Kraft jetzt am Tag.
Was aber sagt Jesus ihm? Fahr hinaus auf die Tiefe.
Es ist, als sei das ein Sinnbild für das Leben schlechthin: Gib nicht auf, schürfe tiefer, fische frischer, verlass dich nicht auf eigene Weisheiten, vertraue dich jemand anderem an.
Natürlich, Jesus hat einen Vertrauensvorschuss gehabt. Mit der Schwiegermutter hatte das ja auch geklappt, und Versuch macht klug, so denkt der Pastor, dass Petrus vielleicht gedacht haben könnte.
Was aber, wenn Petrus gedacht hätte, dieser Jesus ist doch nur eines Zimmermannes Sohn und ansonsten ein Klugschwätzer? Ich selber weiß, wie man fischt und da lass ich mir nicht dreinreden. Ja, wenn Petrus so gedacht hätte, dann wäre es wohl nichts geworden mit erstens reichem Fang und zweitens mit der Kirche.
Denn, und das sagt der Pastor auch auf seiner Kanzel im Kirchenschiff, dieses Fischerboot auf dem See Genezareth, das war die erste Kirche, die zur Freude Gottes sich gründete.
Im wahrsten und positiven Sinne des Wortes neugierige Ohren hören Worte Jesu, welche die Herzen erreichen. Strandläufer und erfolglose Fischer hören, was Gott zu sagen hat durch Jesu Mund. Auch wenn leider kein Wort der Predigt Jesu überliefert ist, eines weiß der Pastor: So viel bewirkt die Predigt, dass mindestens einer einen neuen Anlauf nimmt, dem Mangel seines Lebens abzuhelfen. Mit Jesu Hilfe, das ist genaugenommen das Hören und Befolgen seines Wortes, gelingt das.
Petrus macht den Fang seines Lebens. Die eben geflickten Netze reißen, die zur Hilfe herbeigekommenen Boote schaukeln bedrohlich ob der Menge des Fanges, all das ist mit Sinnen und Verstand nicht zu fassen.
Petrus geht in die Knie, Schrecken und Furcht werden zum tiefen Graben, in dem er zu versinken droht. Ein weiter Sund tut sich auf zwischen ihm und Gott. Ich bin ein sündiger Mensch, der über diesen Graben nicht springen kann, du aber kommst zu mir.
Was für eine Erkenntnis auf der Tiefe des Wassers! Und daraufhin lösendes Wort Jesu, seit jeher Gottesbotenformel dem Menschen zugut: Fürchte dich nicht!
Jesus traut Petrus schlussendlich uranfänglich Großes zu. Du, Petrus, wirst Menschen für Gott und seine Güte begeistern. Von diesem wunderbaren Fischzug an wirst du Menschen fangen, damit du das Gefängnis ihrer Seelen aufbrichst und sie glücklich machst als Kinder Gottes, die glauben, hoffen und lieben gegen alle Not der Welt gegen an.
Der Pastor denkt angesichts der Menschenfischerfangworte unwillkürlich erschüttert an die übervollen Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer. Hier sind Menschen in Todesgefahr gefangen, die von verbrecherischen Menschenschleppern und Schleusern erst um ihr Erspartes gebracht und dann auf todesgefährliche Fahrt geschickt werden.
Die Menschenfänger und Menschenjäger im sicheren Hintergrund sind das zerstörerische Zerrbild dessen, wozu Petrus beauftragt ist. Petrus stünde wohl auf den Seiten der Fischer, die als Sea-Watchleute sich aufmachen, um den Flüchtlingen zu helfen sicher an die Küsten Europas zu kommen zu neuem Anfang und neuem Leben , nachdem das vorherige zusammengebrochen ist unter Krieg, Vertreibung oder existentieller Not.
Der Pastor spürt, wie nah der Text geht, mitten hinein in die Tiefe des Lebens. Bevor er die Kanzel verlässt, sagt er: Jesus ist gekommen die Fülle des Lebens zu bringen (Joh. 10,10) den Fernen und den Nahen.
Am Ausgang bedankt sich eine der Getreuen bei ihm für die Predigt. Er habe so müde gewirkt und doch sei im Widerschein seiner Anstrengung ein anderer Geist zu spüren gewesen. Das war petrus- und christusnah, sagt sie, und doch authentisch.
Der anschließende Kaffee war heiß und gut.
Amen
Anmerkung: In der Predigt klingt auch titelmäßig an die Auslegung zur Stelle in dem wunderbaren wiederentdeckten Kommentar von Helmut Gollwitzer, Die Freude Gottes. Einführung in das Lukasevangelium, 9. Auflage 1979, Burckhardthaus-Laetare Verlag, Gelnhausen u.a., S.68ff.
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Es kommt ein Schiff geladen. Advent mitten im Sommer - Predigt zu Lukas 5,1-11 von Maximilian Heßlein
Es kommt ein Schiff geladen. Advent mitten im Sommer
Liebe Gemeinde,
„Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord. Trägt Gottes Sohn voll Gnaden des Vaters ewigs Wort.“ Wenn wir dieses Lied heute gemeinsam sängen, liebe Gemeinde, was würden Sie wohl sagen?
Was ist denn heute los? Haben wir etwa Advent mitten im Sommer? Ankunft des Herrn? Jetzt und hier? Weihnachten vor der Tür?
Nein, Adventszeit haben wir nicht im Kirchenjahr.
Genau den ersten Vers aber dieses wunderschönen alten Liedes finde ich in der Geschichte wieder, die Lukas uns heute erzählt. Advent mitten im Sommer. Ankunft des Herrn.
Die Menschen bedrängen Jesus: Erzähle uns. Wir wollen das Wort Gottes hören. Der Platz ist eng. Jesus muss ausweichen.
Da sieht er die Fischer. Nach getaner Arbeit waschen sie am frühen Morgen ihre Netze im Wasser des Sees aus. Eine mühevolle, beschwerliche Nacht ist das gewesen. Und, das erfahren wir von Simon später, diese Arbeit ist ohne Ertrag geblieben.
Abgerackert, abgekämpft, müde und enttäuscht stehen und knien die Männer am Ufer des Sees und säubern ihre Netze. Einer von ihnen ist Simon. Zu ihm geht Jesus an Bord und lässt sich ein kleines Stück auf das Wasser hinausfahren.
Nun kommt ein Schiff geladen. Geladen mit dem Wort Gottes, Mensch geworden in Jesus, begleitet von einer müden Schar.
Doch was ist denn das für ein Wasser, auf das dieses Boot hinaus fährt?
Für uns Christen ist Wasser untrennbar von Jesus her mit der Taufe verbunden. Ein Zeichen des Heils, das in Gestalt des Herrn zu uns gekommen ist. Heilsames Wasser.
Aber wenn ich in diese Geschichte weiter hineingehe, dann finde ich ein anderes Wasser, auf das dieses Boot hinausfährt. Es ist dunkel, abgründig und tief wie ein See bei einem heraufziehenden Gewittersturm.
Sie kennen die Wasser, über die Gottes Geist zu Beginn der Urgeschichte schwebt, als die Erde noch wüst und leer ist. Das große Durcheinander, Verwirrung liegt noch auf der Erde. Es ist ein Tohuwabohu. Unbeschreibliche Unordnung. Unsägliches Chaos.
Und die Geschichte von der Sintflut. „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“, spricht der Herr. Im Zorn darüber schickt Gott die Sintflut auf die Erde. Das kennen sie auch. Die Erde, Gottes Schöpfung, wird verschlungen von diesen Wassern aus dem Himmel.
Sie erinnern sich sicher auch an den letzten Gewittersturm, der über unsere Stadt hinweggefegt ist. Da war der Weltuntergang wirklich nah. Die plötzliche Finsternis. Der Wind. Die Unmengen von Wasser, die aus den Schleusen des Himmels auf uns herabfielen. Von der chaotischen Urgewalt, die dem Wasser zu eigen ist, lernen wir immer wieder aufs Neue.
Gott jedenfalls lässt dem Chaos und der Unordnung in der Sintflut wieder freien Lauf. Es scheint geradezu, als wolle er die Schöpfung zurückdrehen. „Es reute ihn, dass er die Menschen gemacht hatte“, sagt die Schrift. Nur ein Boot, Noahs Arche, bietet Überleben und lässt Zuflucht finden vor der Gefährdung des Lebens.
Können wir das nicht auch erleben in arbeitsreicher und druckvoller Zeit? Chaos und Bedrohung, die Möglichkeit von diesem Druck und den Ansprüchen des Lebens und der Welt verschlungen, vertilgt zu werden?
Am Ende des Schuljahrs lerne ich etwas von dem Stress und dem Druck, der schon in manchem jungen Leben liegt.
Der Kampf um gute Ausgangspositionen für dieses Leben nämlich, der fängt immer deutlicher und immer klarer schon in der Schule an. Viele Schülerinnen und Schüler, auch ihre Lehrer können Ihnen sicher einiges davon berichten. Klassenarbeiten und Tests stehen an. Noten werden gemacht. Zeugnisse werden geschrieben. Leistung wird eingefordert und bewertet. Immer wieder. Schon in den ersten Klassen einer Schulkarriere werden die Grundsteine für Erfolg oder Misserfolg gelegt. Die Frage des sozialen Aufstiegs oder Abstiegs ist vielfach eine Frage der Grundschule geworden. Sie betrifft Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren. Und es wird hart darum gefochten.
Aus der Schule entlassen, ändert sich die Situation im Arbeitsleben zumeist nicht mehr. Die Konkurrenz untereinander bleibt enorm. Das betrifft alle Berufe gleich in welchem Bildungsstand.
Bilanzen und Gewinnerwartungen, Profite oder Verluste. Die Arbeit wird immer effizienter ausgerichtet.
Wer unter diesem Druck nicht genug arbeitet, wer krank wird und einknickt, hat schlechte Karten. Die Umstände der Arbeit können einem das tägliche Leben sehr schwer machen. Kommt es nicht hier manchmal gar zu einem Kampf ums Überleben? Und spielt der sich nicht heute schon mitten in Kollegien und Belegschaften ab? Ein Freund hat mir neulich erzählt, wie das ist, wenn verschiedene Abteilungen der gleichen Firma aufeinander gehetzt werden, sich gegenseitig zu unterbieten und auszustechen.
Das Leben gerät in Chaos und Unordnung. Die Schleusen des Himmels scheinen weit geöffnet zu sein. Ja, die Sintflut bricht ein.
Auf diesem Wasser des Chaos und der Bedrohung, der Vernichtung, auf diesem Wasser nun fährt Jesus ein kleines Stück hinaus. Er gibt sich dort hinein. Des Vaters ewigs Wort, getragen durch ein kleines Fischerboot.
„Er lehrt die Menge vom Boot aus“, heißt es da bei Lukas ganz einfach. Anbruch des Lichts. Das Wort Gottes liegt über den Wassern.
Doch was lehrt Jesus die Menschen denn? Lukas berichtet doch gar nichts davon. Hören wir, was der Evangelist weiter erzählt!
„Fahr weiter auf den See hinaus“, fordert Jesus den Simon auf. „Dorthin, wo es die tiefsten Stellen gibt. Fahr hinaus und wirf aus.“
Und, Simon fährt hinaus. Was muss Jesus, dieser Mann aus Nazareth, was muss dieser Prediger gesagt haben, dass Simon bereit ist, sich noch am gleichen Tag erneut der harten Arbeit auszusetzen?
Ich glaube, er hat den Lichtfunken gespürt. Vertrauen wächst zu dem Mann und seinem Wort.
Also, Simon fährt mit seinen Gefährten in die Mitte des Sees. Am helllichten Tag. Gegen jede Erfahrung. „Auf dein Wort hin!“, sagt er. Er fährt.
Nun trägt das Boot das Wort Gottes noch weiter, mitten hinein in die Abgründe des Lebens, unseres Lebens, meines Lebens. Mitten hinein Jesus. Er setzt sich diesem Leben aus. Dort, wo die Tiefe am tiefsten, am geheimnisvollsten und abgründigsten ist. Dorthin kommt der Heiland in seinem Boot. Kommt das Wort Gottes.
Sie werfen ihre Netze aus und machen einen reichen Fang. So reich, dass die Netze reißen und eine Bootsbesatzung zu wenig ist, den Fang einzuholen. Die Fischer müssen zusammenarbeiten.
Nebenbei gesagt, liebe Gemeinde, ist das ein Lehrstück darüber, was Menschen leisten können, wenn sie sich zusammentun und miteinander arbeiten. Das gilt im eigenen privaten Leben wie im Zusammenarbeiten großer Institutionen. Es gilt für uns ein Ende zu machen mit Ausbeutung und Bedrückung der Menschen in dieser Welt und um uns herum.
Stellt euch zusammen und packt an, heißt Gottes Aufforderung an Sie und an mich! Das sind Positionen, die in der immer noch weiter zunehmenden Individualisierung der heutigen Gesellschaft wenig populär sind.
Doch die Menschen brauchen einander. Wie das ist, für einander da zu sein, das können wir in der Kirche, in der Gemeinde Jesu erfahren. So wie wir hier heute Morgen.
Zurück aber zu Simon und seinen Gefährten. Der nämlich erkennt im Angesicht des reichen Fangs, den er zu so unmöglicher Tageszeit gemacht hat, mit wem er es in seinem Boot zu tun hat.
Er erkennt den Sohn Gottes.
Er erkennt Christus.
Er erkennt Gott selber.
Erschrecken und Furcht zwingen ihn auf die Knie. Sie gehen ihm durch Mark und Bein.
„Geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“ Eine ergreifende Szene.
Und, liebe Gemeinde, vielleicht erinnern Sie sich. Das war schon einmal so. Damals, Sie kennen das, als Adam vom Baum der Erkenntnis aß, es aber nicht durfte. Da fürchtete er sich vor dem Herrn, als dieser in der Kühle des Abends im Garten umherging. Verstecken wollte er sich. Adam weiß auf einmal um seinen Stand vor Gott. Adam erkennt in der Gegenwart des Herrn den Abgrund seines Tuns. Sein Vertrauensbruch, sein Misstrauen machen ihn angreifbar. Er hat Gott abgestreift wie alte und löchrige Kleidung. Nichts kann ihn mehr schützen. Das ist seine Furcht. Vor Gott ist er vollkommen nackt.
Genauso ergeht es Simon in unserer Geschichte. Wie Schuppen fällt es ihm von den Augen. Die Gegenwart des Allerheiligsten wird ihm zur Bedrohung. Er, der an dieser Stelle im Evangelium des Lukas den Namen Petrus erhält, er erkennt den Herrn. Und im Blick auf den Herrn erkennt er die Abgründe seines Lebens.
„Vor Gott kann ich nicht genügen.“ Dieses Ungenügen stellt ihn bloß und zieht ihm Gott aus. Seine Müdigkeit, sein erfolgloses Arbeiten, seine Ungeduld, sein Verzagen und Erschrecken. Verlorenes Vertrauen. Das ist es, was in der Bibel Sünde heißt und was Simon nackt vor Gott stehen lässt.
Wie Adam ergeht es ihm, dem schmählichen Übertreter der Gebote Gottes. Simon Petrus ein Mensch wie Adam im getrübten Garten des Paradieses, ein Mensch wie Sie und ich. Die Gegenwart des Herrn macht ihn fürchten.
„Geh weg von mir! Geh weg von mir!“
Doch Christus spricht in der Milde und Sanftmut, die nur ihm eigen ist: „Fürchte dich nicht!“ Das ist alles. „Fürchte dich nicht!“ Das ganze Wort Gottes.
Mit diesem Wort richtet er den leuchtenden Bogen der Versöhnung Gottes auf. Er bekleidet in diesem Wort an Simon die Nacktheit Adams und erlöst ihn von seiner Furcht.
Christus macht die Versöhnung offensichtlich. „Fürchte dich nicht, du lieber Mensch“, ruft er mit sanfter Stimme. „Ich weiß um deine Mühen und Plagen, ich weiß um deine Angst und Not. Komm. Komm an meine Hand. Ich halte dich frei von dem, was dich belastet.“
Hier ist die Ankunft des Sohnes Gottes in der Welt wirklich vollzogen. Das Boot trägt ihn. Im Vertrauen auf den Christus, der die Abgründe und Ängste der Menschen, meine Ängste, sieht, sich ihrer annimmt und sie überwindet, erfahre ich die Versöhnung meines Lebens mit Gott. Diese ausstrahlende Ruhe der Liebe Gottes wird erlösen von dem, was an Last und Bedrückung, an Hektik und Leistungsanforderung in diesem Leben ist.
So finde ich in den Booten, die auf den See Genezareth hinaus fahren, ein Bild unserer Kirche wieder, die in einer chaotischen und hektischen Welt ein Pol der Ruhe und der Liebe, des Entspannens und der Stärkung ist.
In dieser Kirche wird unser Leben vor dem Verderben bewahrt. Gezogen aus den allertiefsten Tiefen der Gottesferne hinein in diese Versöhnung Gottes mit den Menschen. In dieser Kirche hören wir den Ruf des Herrn: „Fürchte dich nicht!“
Aus dieser Zusage treten wir in die Nachfolge Christi ein, vertrauen ihm und setzen sein Werk in die Tat um. Sanftmut und Milde sind dabei die wichtigen Dinge, nicht Durchsetzungskraft und Gerissenheit.
Gott will nicht das Erschrecken oder die Furcht, nicht Adams, nicht Simons, nicht Ihre, nicht meine. „Fürchte dich nicht!“ Das ewige Wort Gottes. In ihm liegt das Vertrauen zu Gott begründet, das uns im Heilswasser der Taufe und im Glauben entgegenkommt. „Fürchte dich nicht“, ist seine einfache Botschaft, die im Blick auf das eigene Leben häufig so schwer ist.
Die Aufgabe, diese Botschaft des Wortes sichtbar zu machen und in der Welt zur Geltung zu bringen, geht an die Kirche. Und also geht dieser Anspruch an jede einzelne Gemeinde, an jeden von uns, an mich. Gehalten und gedeckt von dem wärmenden, versöhnenden und letztlich also dem erlösenden Zuspruch Gottes im Wort unseres Heilands werden wir frei, an der Welt zu handeln. Der Bogen Gottes, der im Gedenken an Noah in dieser Welt ist, wird weiterhin leuchten über alle Menschen und Länder.
Dazu ziehen die Fischer ihre Boote an Land und folgen dem Herrn nach. Sie treten ein in den Dienst der Nachfolge Jesu. Und sie gehen hinaus, Menschen für diesen Dienst zu gewinnen. Sie vertrauen einem neuen Weg.
Gerne möchte ich mitgehen und lade Sie ein: Gehen wir gemeinsam. Lassen wir es auch mitten im Sommer Advent werden. Hier in unserer Kirche ist die Ankunft des Herrn Gegenwart. Hier kommt das Schiff geladen bis an sein höchsten Bord.
Amen.
Lied EG 8
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Predigt zu Lukas 6,38-46 von Heinz Behrends
Es ist ein Mitsommerabend, der Tag war heiß, die Luft ist lau. Ich sitze draußen mit Freunden auf der Terrasse, wir trinken unseren Riesling, wir reden über unsere Sommerpläne, über die Bücher, die wir gerade lesen, über unsere Kinder, wir schweigen miteinander und betrachten den Himmel, das untergehende Licht, die aufziehenden Sterne, das Spiel des Lichtes am Himmel.
Es gibt Situationen, in denen stimmt alles.
Ich bringe die Kinder ins Bett, lese noch eine Geschichte vor, spreche das bergende Gebet und lege die Hand auf ihren Kopf. Sie schlafen ein, ich betrachte wie entspannt sie dort liegen.
Behütetes Leben.
Ach, ich könnte noch so manche Situation erzählen, in denen alles stimmt.
Wenn ich am Meer stehe, die Weite des Horizonts genieße, das leidenschaftliche Wasser, das die Küste küsst, den Gleichklang von Ebbe und Flut, das Blau des Himmels, das sich im Wasser spiegelt. Frische Luft durchzieht meine Brust. Mein Atem ist frei.
Es gibt Situationen, da stimmt alles.
Da öffnet sich das Herz, ich fühle mich voller Liebe. Ich bin beschenkt. Ich bin befreit von aller Selbstsucht, von meiner Selbstbeschäftigung, ich bin unmittelbar verbunden mit dem Leben.
Plötzlich ist nicht mehr nötig, nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit zu leben, nach dem Gesetz der Sünde. Ich mache mein Tun nicht abhängig von anderen Menschen.
Dies am Anfang zu sagen, ist wichtig, bevor ich über das Richten und über Barmherzigkeit spreche. Denn ohne diese Liebe, diese Barmherzigkeit, die ich in gelungenen Situationen geschenkt bekomme, bleibt von dem Jesus-Wort nur eine volkstümliche Weisheit.
„Was man nicht will, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“. Oder akademischer ausgedrückt: „Do ut des“. Gib so wird dir gegeben.
An der Liebe, die uns geschenkt wird, spüren wir, mit welchem Maß Gott uns misst.
Das anzuerkennen, erscheint nicht leicht zu sein.
Einleuchtender scheint das Maß zu sein, dass der große Philosoph Immanuel Kant formuliert hat. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Das ist ein Gesetz der Vernunft. Den kategorischen Imperativ nennen wir seinen Satz. Imperativ. Als wenn man das befehlen könnte.
Warum klappt das nicht?
Berthold Brechts Antwort ist genial. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. Barmherzig sein kann nur, wer es sich materiell leisten kann.
Etwas tiefer in die Seele des Menschen schaut der Schriftsteller Albert Camus. Wir haben ihn in den 70zigern und 80zigern leidenschaftlich gern gelesen.
In seinem Buch „Der Fall“ erzählt er von dem Strafverteidiger Clamence. Er ist bekannt für knifflige Fälle, die nicht nur juristischen Sachverstand, sondern auch Mitgefühl und Selbstlosigkeit verlangten. Eines Nachts, auf dem Weg in der Stadt, hört er als einziger den Schrei einer Frau, die in die Seine springt und sich das Leben nimmt. Der Richter Clemance kümmert sich nicht drum und geht unbeteiligt weiter.
Bis in die Geschichte ihn zu Hause einholt. Das Erlebnis hat ihn angestoßen, in sich selbst hineinzuschauen. Er sieht sich völlig neu. Seine Bescheidenheit erkennt er als Selbstbeweihräucherung, weil sie einem Erfolgreichen gut ansteht. Er entlarvt seine Demut als Herrschsucht. Er will diesem Leben entkommen und wird Bußrichter –so nennt er sich jetzt- in den Slums von Amsterdam. Er will in einer immerwährenden Beichte und Buße allen Richtern das Schwert aus der Hand nehmen. „Richtet, auf dass Ihr nicht gerichtet werdet“ , er kehrt das Wort Jesu um. Aber auch er entgeht dem Gesetz des Richtens nicht. Es hat was berauschendes, zu richten über andere, in einer Welt, die Gott als Richter nicht mehr kennt.
In einer Welt, in der Gott als Richter abgesetzt ist, wird jeder zum Richter über andere.
Etliche Medien gehen mit konkreten Menschen oft gnadenloser und unbarmherziger um als Gott es jemals tun würde.
Camus lehrt, nur im Zeigen deines Doppelgesichtes können wir miteinander leben.
Die Geschichte von dem Fall des Richters ist Literatur und erscheint fern, aber sie stimmt.
Da kommen zwei Menschen zusammen. Worüber reden sie? Über andere.
Suchen ihre Informationen zusammen, tauschen sie aus, reimen sich was zu recht, bilden ein Urteil, ohne Liebe. Achtlos, Sinnlos.
In allem, was ich über andere Menschen aufpieke, steckt eine Information über mich selber drin.
Manchmal ärgere ich mich über andere. Er nimmt sich raus, was ich mir nicht traue.
Kompensation nennen die Psychologen das.
Jesus öffnet das Thema mit einem Augenzwinkern, fast hintergründigem Humor. Du siehst den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken im eigenen Auge nicht.
Ein Blinder führt einen Blinden und beide fallen in die Grube. Putzige Vorstellung. Recht hat er.
Bedeutet das nun, dass wir uns kein Urteil mehr über andere Menschen erlauben dürfen, um nicht unbarmherzig zu sein?
Luther unterscheidet zwischen einem Richten, das einem Amt übertragen ist und dem persönlichen Richten. Richten kraft Amt darf es geben, muss es geben. Das private, persönliche Richten nicht, sagt er.
Aber muss man nicht manchmal deutlich reden, gerade unter Freunden? Was ist unsere Freundschaft wert, fragte mich ein Freund aus Studententagen, du sagst mir nie etwas Kritisches. Er hat recht. Vieles bewegt mich, ich könnte es sagen, aber ich tue es nicht.
Welches recht habe ich, zu urteilen, denke ich. Ich verschone. Wir leben in einer Schon-Kultur.
„Ich bin okay, du bist okay“, hieß ein viel gelesenes Buch vor 30 Jahren. Wir haben es verschlungen. Es bestätigte uns. Es ist alles gut. Okay. Okay.
Nur, viele Ehen scheitern an dem, was nicht gesagt wird. Wahrheiten können weh tun. Aber ohne Wahrheit keine Entwicklung einer Beziehung.
Wahrheiten müssen gesagt werden. Manchmal wird man hell wach, wenn einen jemand schüttelt.
Aber der Zusammenhang, in dem sie gesagt werden, ist wichtig. Sie muss im Kontext einer Beziehung gesagt werden.
In seinem letzten Aufsatz hat Dietrich Bonhoeffer dieses Thema durchdacht.
Er überschreibt ihn mit „Was heißt: Die Wahrheit sagen“ ( Ethik) ?
Er erzählt von einem Lehrer, der in der Öffentlichkeit der Schulklasse einen Schüler fragt: „Ist Dein Vater ein Trinker“? Der Junge antwortet: „Nein“.
Der Vater ist ein Trinker. Doch Bonhoeffer sagt, der Lehrer lügt, der Junge sagt die Wahrheit. Der Junge schützt die Familie. Der Lehrer hat kein Recht, in die Ordnung der Familie einzugreifen. „Was in der Familie vorgeht, gehört nicht vor die Ohren der Schulklasse“.
Daraus formuliert Bonhoeffer den Spitzensatz: „Wer ohne Berechtigung und ohne Veranlassung spricht, ist ein Schwätzer“.
Richten, dem anderen die Wahrheit sagen, geschehe nur in einer Beziehung, die mir ein Recht gibt zu sprechen.
So gebietet es der Geist Jesu. Das ist gelebte Barmherzigkeit.
Gott hat eine weisheitliche Ordnung errichtet. So versteht es Lukas. Am Ende wird alles wieder gegeben werden. Eine Ordnung, die sich an der Barmherzigkeit orientiert.
Und Du: Du bist überreichlich beschenkt. Gott war nicht geizig, als er Dir aus seinem Vollen in den Schoss gelegt hat. Er hat das Maß so kräftig geschüttelt, dass möglichst viel rein passt.
In den Situationen, in denen für Dich alles stimmt, da leuchtet davon auf.