„Den anderen, findigen Gott - und die andern auch alle“ - Predigt zu Lukas 15,1-3.11-32 von Dörte Gebhard

„Den anderen, findigen Gott - und die andern auch alle“ - Predigt zu Lukas 15,1-3.11-32 von Dörte Gebhard
15,1-3.11-32

„Den anderen, findigen Gott - und die andern auch alle“

(Predigt im OpenAirGottesdienst in Bottenwil/Schweiz)

Liebe Gemeinde

Wie oft schon ist dieser Sohn vor unseren Ohren fortgegangen und heimgekehrt!
Wie oft schon haben wir die unglaubliche Geschichte aus dem Lukasevangelium gehört,
wie oft sagen wir immer noch, es sei das Gleichnis vom „verlorenen Sohn“.

Davon handelt die Passage im Lukasevangelium ganz höchstens am Rande. Hören Sie selbst, wie der berühmt-berüchtigte Sohn gerade nicht verloren geht:

1 Alle Zöllner und Sünder suchten seine Nähe, um ihm zuzuhören. 2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten: Der nimmt Sünder auf und isst mit ihnen. 3 Er aber erzählte ihnen das folgende Gleichnis:

11 Und er sprach: Ein Mann hatte zwei Söhne. 12 Und der jüngere von ihnen sagte zum Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht. Da teilte er alles, was er hatte, unter ihnen. 13 Wenige Tage danach machte der jüngere Sohn alles zu Geld und zog in ein fernes Land. Dort lebte er in Saus und Braus und verschleuderte sein Vermögen. 14 Als er aber alles aufgebraucht hatte, kam eine schwere Hungersnot über jenes Land, und er geriet in Not. 15 Da ging er und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Felder, die Schweine zu hüten. 16 Und er wäre zufrieden gewesen, sich den Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Schweine frassen, doch niemand gab ihm davon. 17 Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot in Hülle und Fülle, ich aber komme hier vor Hunger um. 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19 Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heissen; stelle mich wie einen deiner Tagelöhner. 20 Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater.

Er war noch weit weg, da sah ihn sein Vater schon und fühlte Mitleid, und er eilte ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 Der Sohn aber sagte zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heissen. 22 Da sagte der Vater zu seinen Knechten: Schnell, bringt das beste Gewand und zieht es ihm an! Und gebt ihm einen Ring an die Hand und Schuhe für die Füsse. 23 Holt das Mastkalb, schlachtet es, und wir wollen essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an zu feiern. 25 Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Und als er kam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Tanz. 26 Und er rief einen von den Knechten herbei und erkundigte sich, was das sei. 27 Der sagte zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederbekommen hat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm zu. 29 Er aber entgegnete seinem Vater: All die Jahre diene ich dir nun, und nie habe ich ein Gebot von dir übertreten. Doch mir hast du nie einen Ziegenbock gegeben, dass ich mit meinen Freunden hätte feiern können. 30 Aber nun, da dein Sohn heimgekommen ist, der da, der dein Vermögen mit Huren verprasst hat, hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet. 31 Er aber sagte zu ihm: Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. 32 Feiern muss man jetzt und sich freuen, denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden.


Liebe Gemeinde

Wäre der Sohn letztlich und ganz und gar verloren gegangen, hätte Lukas diese Passage nicht in sein Evangelium aufnehmen müssen.
Er hätte es als bekannt voraussetzen können. Wir wissen, wie jemand in die grosse, weite Welt hinauszieht und dabei natürlich auch verloren gehen kann, wie jemand nur eine halbe Weltreise schafft, wie jemand abbricht, was er vorhatte, zerbricht an sich selbst ...
Wir kennen solche Söhne, die in die Welt hinausgezogen sind, von denen nie wieder jemand hörte, die für uns verloren gegangen sind.
Wir kennen sogar Väter, die im Alkohol verloren gehen, wenn das Leben daheim misslingt, auch ohne dass sie je gross losgezogen wären.
Wir kennen solche Mütter, die sich selbst verlieren in der Sorge um ihre Kinder, die das Mass des Sinnvollen verloren haben ...
Wir kennen solche Töchter, die ihr Leben verlieren, nur weil sie es verloren glaubten, die bei der Suche nach echtem Leben den echten Tod früher finden.
Wir kennen uns selbst – zur Genüge, wie wir uns verlieren können in Nichtigkeiten, wie schnell wir die Suche aufgeben, wenn etwas verloren gegangen ist, ...
Damals kannten alle Juden auch das Gebot der Thora, was mit so einem scheinbar verlorenen, widerspenstigen Sohn zu geschehen hat. Wer alles verloren hat, was er zum Leben nötig hat, sollte einst auch sein Leben verlieren. Es heisst in der Thora, im 5. Buch Mose:

Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, so sollen ihn Vater und Mutter ergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu dem Tor des Ortes und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist widerspenstig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold. So sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe, und du sollst so das Böse aus deiner Mitte wegtun, dass ganz Israel aufhorche und sich fürchte ...
(5. Mose 21,18-21)


Steinigen ist wieder alltäglich geworden auf unserer Welt, und nicht nur steinigen, so zeigen es  die Videos der Terroristen, die voller Stolz und unerträglicher Menschenverachtung im Namen Gottes auftreten und doch nur ihre eigene Gewalttätigkeit vergöttert haben.
Steinigen kann jeder, so lehren es die grausamen Bilder dieser Tage,
normale Menschen lassen sich radikalisieren und werden fähig, ihre eigenen Leute, ihre Nächsten umzubringen.

Gewaltexzesse sind der Menschheit zu keiner Zeit ‚abhanden’ gekommen, foltern und steinigen sind nicht nur vereinzelten Psychopathen möglich, sondern können sich offenbar immer wieder ausbreiten, wenn Menschen Gehirnwäschen unterzogen und ihr Aggressionspotential entdeckt und fürchterlich fruchtbar gemacht wird.

Steinigen ist nicht so weit entfernt, wie es der steinalte Bibeltext nahelegt.
Auch im 21. Jahrhundert gehen Menschen verloren, finden sich Menschen zum Steinigen bereit und leben in der Gewissheit, dass es mehr als gut und gerecht ist, was sie tun. Und beschämt müssen wir bekennen, dass auch in Europa die Hoffnungslosigkeit unter manchen Jugendlichen so gross ist, dass sie sich Lebenssinn und Anerkennung, sogar ein besseres Leben versprechen, wenn sie nach Syrien reisen und sich dem Islamischen Staat, dem IS, anschliessen.
Ob diese Söhne und Töchter verloren sind?
Die Passage im Lukasevangelium lässt anderes hoffen.

Liebe Gemeinde

Das alte Steinigungsgebot und die aktuellen Gewaltausbrüche setzt Lukas als bekannt voraus. Anderes, Neues muss er berichten, vor allem von einem anderen, findigen Vater.

Es ist ein Vater, wie ihn die Welt nicht alle Tage sieht, aber stets nötig hat.
Wir sollten einen solchen Vater kennen!
Das Gleichnis handelt vor allen Dingen von Gott, viel mehr noch als von einem losgezogenen und heimgekehrten Sohn.

Denn ein normaler, orientalischer Patriarch täte das Geschilderte alles nicht und schon gar nicht in dieser Reihenfolge!
Zuerst sieht er seinen Sohn schon von weitem, als hätte er Tag und Nacht nach ihm Ausschau gehalten.
Er war noch weit weg, da sah ihn sein Vater schon ...
Wer von uns hält denn dauerhaft Ausschau nach dem, was er für verloren, sogar für tot hält? Wer hält das aus? Wer hält das durch?
Manche Menschen vermögen es, aber sie werden selten berühmt und wir kennen ihre Namen nicht. Aber es gibt sie und es gibt:
Gott, den anderen, findigen Vater.

Er war noch weit weg, da sah ihn sein Vater schon und fühlte Mitleid.
Wer von uns kann auf weite Distanz Mitleid empfinden? Wen jammert ein Leid, das er nur im Fernsehen sieht? Eine Not, die er nur von Ferne sieht?
Und wer hat Mitleid, überhaupt, wenn es vollkommen selbstverschuldet abwärts ging?

Manche Menschen vermögen es, und brechen auf, um zu helfen in den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt; solche, die es nicht nötig hätten, gehen zu den „Ärzten ohne Grenzen“, obwohl sie auch ein  vergleichsweise beschauliches Arbeitsleben in einem westeuropäischen Krankenhaus wählen könnten.
Wir kennen ihre Namen kaum, aber doch einen, der zu diesem besonderen Mitleid immer fähig ist:
Gott, den anderen, findigen Vater.

Er war noch weit weg, da sah ihn sein Vater schon und fühlte Mitleid, und er eilte ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

Ein normaler, orientalischer Patriarch rennt grundsätzlich nicht, schon gar nicht so einem entgegen!

Wenn wir von jemandem Reue erwarten, mindestens eine Entschuldigung, dann lassen wir ihn zu uns kommen und hören das an, natürlich, wir sind anständig. Aber rennen wir raus und herzen und küssen einen, der noch mit keinem Ton um Vergebung gebeten hat? Von dem es beim besten Willen nichts Positives zu berichten gibt?
Manche Menschen haben ein so weites Herz und wohl dem, der auch nur einen von ihnen kennt, und:
Gott, den anderen, findigen Vater.

Es ist mehr als gut zu erkennen: Gottes ‚Findigkeit’ ist grösser als unsere menschlichen Möglichkeiten, ganz verloren zu gehen.

Das ist Grund zu einer Freude, mit der sich Menschen manchmal schwer tun.
Und sie fingen an zu feiern. 
Das wäre eigentlich ein geeigneter, letzter Satz!
Aber, leider, nur sie feierten, nicht: Alle feierten.
Wir kennen solche älteren Brüder, die sich nicht freuen können, solche, die immer alles richtig gemacht haben, jahrelang, solche, die nun auch auch einen solchen Vorrat an Rechtschaffenheit aufgehäuft haben, dass er für jahrelange Vorwürfe reicht: Ich habe immer gearbeitet, ich habe nie gefeiert ...
All die Jahre diene ich dir nun, und nie habe ich ein Gebot von dir übertreten. Doch mir hast du nie einen Ziegenbock gegeben, dass ich mit meinen Freunden hätte feiern können.

Echtes, hilfreiches Mitleid ist nicht alle Tage zu finden. Ehrliche Mitfreude aber ist noch seltener anzutreffen.
Mitleid, so schreibt Jürgen Moltmann[1], ist viel leichter zu haben als Mitfreude.
Mitfreude ist ein Wort, dass wir fast zuerst erfinden müssen, so ungewohnt kommt es uns über die Lippen.
Im Mitleid können wir uns hinabbeugen, kommen also von oben. Mitfreude aber bedarf des Aufblickens, der völligen Selbstlosigkeit für einen Moment. Jedes Nachrechnen, jeder Vergleich mit dem Eigenen verdirbt sofort alles. Wenn das Herz voller Neid ist, hat die Freude keinen Platz daneben. Echte Mitfreude braucht viel Raum, braucht Zeit.

Jürgen Moltmann, der grosse Theologe der Hoffnung, hat ein altersweitsichtiges Buch geschrieben. Rainer Haak fasst die Freude zusammen, wenn man das überhaupt kann:

„Freude ist der Sinn menschlichen Lebens. Für die Freude an Gott wurden Menschen geschaffen. Für die Freude am Leben wurden sie geboren. Damit werden die oft gestellten Lebensfragen: Wozu bin ich da? Bin ich noch brauchbar? Kann ich mich nützlich machen? aus den Angeln gehoben. Es gibt keine Zwecke und keinen Nutzen, für die menschliches Leben da sein muss. Es gibt keine ethischen Ziele oder idealen Zwecke, mit denen sich menschliches Leben rechtfertigen muss. Das Leben selbst ist gut. Dasein ist schön und Hiersein ist herrlich. Wir leben, um zu leben.
Die Arbeitswelt der modernen Industriegesellschaft erzieht schon Kinder in der Kita mit solchen bedrohlichen Existenzfragen, nach denen der Sinn des Lebens in Zwecken und Nutzen liegen soll. Wer aber den Sinn seines Lebens in Brauchbarkeiten und Nützlichkeiten findet, kommt unausweichlich in Lebenskrisen, wenn er krank, behindert oder alt wird. Der „Sinn“ des Lebens liegt nicht außerhalb des Lebens, sondern in ihm selbst. …“[2]

Die Religion, die Rückbindung Gott, sei daher, so Moltmann, an den Fest-punkten des Lebens entstanden. Rel-igion begann, wenn es etwas zu feiern gab, nicht an den Unglücksorten eines Volkes. Gott war bei unseren frühen Vorfahren nicht zuerst gefragt, wenn es not-wendig war, sondern wenn sein Dasein Grund zur Freude gab.
Im älteren Testament wird immer wieder betont, dass Gott nicht nur Freude macht, sondern sich selbst auch freut.
Der Prophet Zephania hat davon eine echte Ahnung und ist erfüllt von Mitfreude:

Fürchte dich nicht, Zion! Lass deine Hände nicht sinken! Denn der HERR, dein Gott, ist bei dir, ein starker Heiland. Er wird sich über dich freuen und dir freundlich sein, er wird dir vergeben in seiner Liebe und wird über dich mit Jauchzen fröhlich sein. (Zeph 3, 16f).

Gott hat Freude – beim Suchen und noch mehr beim Finden.
So kann man sich vorstellen, dass Gott auch Freude erhofft, spontan und erstaunt, später auch die Mitfreude. Das Gleichnis bei Lukas hört auf, ehe wir erfahren, ob der ältere Bruder noch feiern konnte.

Aber wir hoffen es! So kann der allerletzte Satz im Gleichnis über den anderen, findigen Vater und die andern alle doch für uns heissen: „Freude herrscht.“[3]

Die Betonung lag damals auf „Freude herrscht!“ – nun wäre zu sagen: „Freude herrscht!“
Für den einen ist das leicht, für den anderen und überhaupt: für die 99 Gerechten ein wenig schwieriger, aber es ist zu schaffen, dass „Freude herrscht!“

Und der Friede und die Freude Gottes, die höher sind als unsere Vernunft, die stärken und bewahren Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen

 

[1]  Vgl. zum ganzen Gedankengang über die Freude Jürgen Moltmann, Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens. Auch ein Beitrag zur Atheismusdebatte unserer Zeit, Gütersloh 2014, S. 91-101.

[2]  Rainer Haak: Glaubenssplitter. Ein frischer Blick auf den „alten“ Glauben, unter www.glaubenssplitter.com, abgerufen am 17. 6. 2015 in seinen Gedanken zu Moltmanns Buch.

[3]  Adolf Ogi. Als der erste Schweizer Astronaut Claude Nicollier die Erde umkreiste, begrüsste ihn Adolf Ogi am 7. August 1992 mit seinem rasch zum Bonmot gewordenen «Freude herrscht».

 

 

Perikope
21.06.2015
15,1-3.11-32

Predigt zu Lukas 15,1-3.11b-32 von Andreas Schwarz

Predigt zu Lukas 15,1-3.11b-32 von Andreas Schwarz
15,1-3.11b-32

1 Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.
2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
11 Ein Mensch hatte zwei Söhne.
12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.
13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.
14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben
15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.
16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.
17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!
18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.
19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!
20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.
22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße
23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!
24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.
25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen
26 und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre.
27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat.
28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn.
29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre.
30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.
31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein.
32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.

Eine Familiengeschichte, wie sie häufig vorkommt.
Ein junger Mensch verabschiedet sich aus dem warmen und sicheren Nest der Familie.
Weder rebellisch noch sündig.
Dem Ruf der Freiheit folgend.
Ich muss raus. Raus aus der Geborgenheit.
Ich will lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.
Dafür verzichte ich darauf, dass zuhause für mich gesorgt wird – um alles.
Ich möchte mich ausprobieren, eigene Wege gehen,
ohne zu wissen, wohin mich das führt.
Und ob ich ankomme wo ich will oder ganz woanders hingeführt werde,
das Risiko gehe ich ein.
Ich möchte gehen, ohne jemandem sagen zu müssen wohin
oder wann ich nachhause komme.
Wenn ich nachts nachhause komme, möchte ich niemanden wecken und ich möchte auch nicht gefragt werden, wo ich war und warum ich erst jetzt komme.
Ich möchte nicht, dass jemand sich Sorgen macht.
Ich möchte nichts begründen und mich nicht rechtfertigen müssen.
Gerne will ich dafür auf Fürsorge und Sicherheit verzichten.
Ich spüre ganz tief in mir die Sehnsucht, Bindungen und Fesseln abzustreifen.
Ich will Freiheit erleben, wie ich sie mir wünsche.
Und wenn mich die harte Realität auf den Boden der Tatsachen des Lebens zurückholt, dann will ich auf meine Erfahrung nicht verzichtet haben.
Ich glaube, ich kann nie der werden, der ich bin,
wenn ich immer da bleibe, wo ich bin.
Ich lerne mich selbst auch erst kennen,
wenn ich nicht die klaren Regeln und Formen der Familie immer um sich habe.
Ich möchte selbst überlegen und entscheiden.
Ich bin bereit, auch selbst die Konsequenzen  meines Tuns zu tragen.

Wie will ich leben?
Wie übernehme ich Verantwortung für das, was ich tue?
Wie viel Schutz und Begleitung brauche ich?
Wie viel Risiko kann ich eingehen?
Kann ich damit umgehen, wenn es anders wird, als ich wollte?
Was mache ich, wenn Träume platzen und Hoffnungen scheitern?
Wie will ich leben?
Freue ich mich, wenn andere mir sagen, wie es geht
und ich entspreche den Erwartungen?
Brauche ich die Freiheit eigener Wege – ohne Netz und doppelten Boden?

Menschheitsfragen.
Keineswegs moderne Selbstverwirklichung.
Selbsterfahrung des Menschen zu allen Zeiten.
An keiner Stelle der Geschichte kritisiert der Vater das Verhalten des Sohnes.
Kein mahnendes Wort, dass er sich auszahlen lässt.
Es steht ihm zu.
Er ist der Jüngere. Den Hof des Vaters bekommt er später ohnehin nicht.
Er erhält, was ihm zusteht und verliert damit jeglichen Erbanspruch.
Mehrere Familien kann der Hof nicht ernähren.
Der Jüngere ist genötigt, sich anderswo den Lebensunterhalt zu verdienen.
Der Vater lässt seinen jüngeren Sohn gehen.
Ohne ein böses Wort.
Ohne ihm ein schlechtes Gewissen zu machen.
Ohne Ratschläge und Verhaltensmaßregeln.
Mit ganz viel Vertrauen und viel Hoffnung, sicher.

Und es ist gut, dass die Eltern nicht alles, wissen, was geschieht.
Wie der Sohn sein Leben führt und wie es ihm ergeht.
Dass er sein Erbteil verschleudert.
Dass eine Wirtschaftskrise ausbricht, Menschen Hunger leiden.
Dass er in der schweren Zeit nicht arbeiten und seinen Lebensunterhalt verdienen kann.
Dass es bergab mit ihm geht, in jeder Hinsicht.
Er verliert alles, was für ihn wichtig war, was sein Leben bestimmt hat:
sein Erbe hat er verschleudert, seine religiöse Grundlagen gehen vor die Hunde, oder besser: zu den Schweinen,
und für sein Leben gibt es keine Form der Sicherheit mehr.
Er ist am Ende.
Das ist eine entwürdigende Situation.
Selbst fühlst du dich keineswegs wohl dabei, du kannst dich selbst nicht mehr riechen, wenn du bei den Schweinen lebst. Du würdest Schweinefraß fressen, wenn du dürftest, aber nicht einmal das ist erlaubt. Tiefer geht es nicht mehr.
Und bevor du überhaupt mit jemandem redest, hörst du schon die Vorhaltungen.  „Siehst du, so geht das, wenn man meint, alles selber entscheiden zu müssen, wenn man meint, frei sein zu wollen. Jetzt hast du deine Freiheit. Ich hätte es dir ja gleich sagen können, aber du hast ja nicht auf mich gehört“. 
Ach, diese unglaublichen Besserwisser.
Die haben ja wahrscheinlich alle nur darauf gewartet, dass es so kommt.
Die wussten ja schon immer, dass man seine Sicherheiten nicht weggibt, dass man sein Erbe nicht verschleudert.
„Keine Verantwortung, diese jungen Leute, kein Gespür für das, was im Leben und seiner Zukunft wirklich wichtig ist. Bleibe im Lande und nähre dich redlich – das wusste schon die Weisheit Israels; und die Eltern wissen auch, wo es langgeht. Hör doch auf die Lebenserfahrung der Alten. Aber nein, alles besser wissen. Das hast du jetzt davon“.

Glaubt irgendjemand, der Junge hätte große Lust nachhause zu gehen?
Und sich das anzuhören?
Er weiß es doch.
Ja, ihr habt ja Recht. Es gibt nichts zu beschönigen, nichts zu entschuldigen.
Ich habe nichts mehr, ich stinke, niemand will mit mir zu tun haben.
Das trage ich nun.
Und auch die zahlreichen Sprüche, Belehrungen, Vorhaltungen, Besserwissereien. Da ich sowieso überall untendurch bin, vor allem bei mir selbst, kann ich auch zu meinem Vater gehen. Arbeiten kann ich und will ich ja auch, dann kann ich wenigstens leben und nicht vegetieren. Ich bin nicht mehr ganz unten, bei den Schweinen.
Vieles habe ich verloren, im Grunde genommen alles – mein Geld, meinen Erbanspruch, mein Recht Sohn zu sein, die Achtung vor Anderen und vor mir selbst, meine religiösen Grundsätze. Aber ich kann arbeiten und ich will leben. Ich werde zu meinem Vater gehen, zugeben, dass ich mich falsch verhalten habe, dass ich Fehler gemacht habe, dass ich keinen anderen Weg mehr weiß, als zu ihm zu gehen.
Das Szenario musste von Anfang an auf der Liste gestanden haben.
Aber wenn es dann kommt, dann ist es doch bitter.
Sein Traum von Freiheit ist geplatzt.
Seine Sehnsucht, die ihn nach draußen trieb, hat sich nicht erfüllt.
Jetzt sehnt er sich nach einfachen Dingen: Essen, trinken, ein Dach über dem Kopf. Die Ansprüche sind spürbar niedriger geworden.
Das macht er zuerst mit sich aus, in seinem Kopf, in seinem Herzen.
Kein leichter Weg, zu sehen: ich bin gescheitert.
Ein schweres Vorhaben, es auch anderen gegenüber einzugestehen.
Dem Vater, der Mutter, den Geschwistern.
Er hat keine Ahnung, was die denken.
Ob sie ihn vergessen haben?
Abgeschrieben?

Das Herz des Vaters ist voller Sehnsucht.
Was immer der Sohn an Gedanken seines Vaters gemutmaßt hat,
der Vater sehnt sich nach seinem Sohn.
Sowie er seinen Sohn von Weitem sieht,
läuft er auf ihn zu und nimmt ihn in die Arme.
Und wenn er noch so dreckig ist und stinkt, er drückt ihn an sein Herz.
Da nämlich gehört er ihn – und war er wohl auch immer – am Herz des Vaters.
Die Sehnsucht erfüllt sich.
Durch nichts konnte der Sohn die Liebe des Vaters zu seinem Sohn zerstören.
Das ist, was Eltern spüren und erleben.
Liebe zu ihren Kindern auch dann, wenn sie ganz anders denken und handeln, als sie es für richtig erachten.
Kinder, um die sie sich Sorgen machen, auch wenn sie längst erwachsen sind. Kinder, die immer willkommen sind.
Türen und Herzen und Arme stehen ihnen offen, wo immer sie waren, was immer sie erlebt haben.
Wo warst du?
Warum bist du weggegangen ist?
Wo ist dein Geld?
Was hast du angestellt hat?
Warum bist du so dreckig und stinkst so widerlich?
Nicht davon. Keine Frage. Kein Wort.
Der Vater nimmt seinen Sohn in die Arme: Du bist mein Sohn.
Du kannst in deinem Leben viel kaputt machen, du kannst so viel verspielen, du kannst deine Zukunft riskieren, deine Gesundheit, dein Ansehen, deine moralischen Prinzipien. Aber mein Sohn zu sein verlierst du nicht.
Du bist nicht deshalb wieder Sohn, weil du deine Fehler bekannt hast, weil du deine Reue ausgedrückt hast, weil du zugegeben hast, dass du versagt hast.
Du bist mein Sohn, weil ich dich liebe.
Ich freue mich, dass du wieder da bist.
Du hast deine Würde nicht verloren und sollst leben.

Wer spürt, dass er geliebt wird, der hat auch Mut, Fehler zuzugeben und um Verzeihung zu bitten.
Aber darauf antwortet der Vater gar nicht.
Er ordnet ein Freudenfest an.
Alle auf dem Hof sollen sich mitfreuen, dass der Sohn wieder da ist, als Teil der Familie. Wie vorher.
Jetzt gibt es tatsächlich eine neue Chance; es ist nicht alles vorbei.
Das Leben kann neu beginnen und es ist um mehrere Erfahrungen reicher.
Vor allem um die: ich wurde nicht abgeschrieben, ich wurde nicht aus dem Familienbuch gestrichen, ich musste mir das Zuhause sein nicht verdienen, erarbeiten. Mir wurde verziehen, bevor ich um Verzeihung bitten konnte.
Mit dieser Erfahrung lässt es sich jetzt tatsächlich neu anfangen und ganz anders leben. Die vorher wenig miteinander geredet hatten, die sagen und zeigen, wie es ihnen ums Herz ist und feiern miteinander. 
Und sie lebten glücklich und zufrieden miteinander ihr ganzes Leben.
Wäre es ein Märchen, könnte dieser Satz folgen.
Aber es ist kein Märchen, es ist das Leben.
Und das hat keinen Schluss. Es ist offen.
Jesus sieht die Menschen, wie sie leben und wie sie miteinander umgehen.
Er lässt sie Neues erleben. Er hat Menschen neue Chancen geschenkt.
Denen, die erleben, sie sind gescheitert. Er hat die Prostituierten, die Zöllner angenommen und ihnen eine neue Lebenschance gegeben.
Aber nicht jeder will sich mitfreuen.
Denn es ist nicht nur der Drang nach Freiheit, den wir spüren,
nicht nur die angenehme Erfahrung, unverdient angenommen zu werden.
Es ist auch der Ärger über Andere und die Hilflosigkeit, damit umzugehen.
Der ältere Sohn kann sich nicht mitfreuen, dass sein Bruder, den er im Gespräch ‚dein Sohn‘ nennt, wieder da ist und der Vater sich auch noch darüber freut!
Furchtbar mitzuerleben, dass Vater und Sohn scheinbar nie wirklich miteinander geredet haben. Der Sohn hat nie gesagt, was er möchte, worüber er sich freut. Er hat geschwiegen, hat treu und zuverlässig, aber offensichtlich ohne Freude seine Arbeit gemacht. Und jetzt kommt raus, wie unzufrieden er ist. Jahrelang hat er es mit sich herumgetragen – und jetzt ist die Heimkehr des kleinen Bruders der Anlass, es dem Vater vorzuwerfen.
Der Vater wirbt um seinen älteren Sohn, dass er sich mitfreut.
Er war doch frei, er war zuhause, er hatte jede Chance und jedes Recht zu sagen, was er möchte, zu tun, was er wollte und verantwortete. All die Jahre wäre es leicht gewesen, darüber zu reden. Jetzt ist es schwer. Jetzt geht es um eine innere Überwindung. Das Gefühl, falsch, schlecht, ungerecht behandelt worden zu sein, verhindert die Mitfreude. Aber der Vater hört nicht auf, genau darum zu bitten.
Die Geschichte löst den Konflikt nicht.
Es ist unsere Geschichte, es sind unsere ungelösten Konflikte. Mit Gott und untereinander. Sie stehen unter dem Werben des himmlischen Vaters.
Die Freude, zu Gott zu gehören ist wichtiger als alle bedrückende Erfahrung – ich werde nicht ernst genommen, nicht genug geachtet und wert geschätzt.
Der Vater liebt den einen wie den anderen.
Indem Jesus diese Geschichte erzählt, wirbt er um das Vertrauen in die Liebe des Vaters. Die Geschichte hat kein Ende – die Einladung zur Freude gilt uns.
Gemeinsames Feiern wäre der erste Schritt auf dem Weg zu einer gelingenden Kommunikation zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen. Amen.
 

Perikope
21.06.2015
15,1-3.11b-32

Eine Geschichte vom Loslassen - Predigt zu Lukas 15,11b-24 von Thomas Volk

Eine Geschichte vom Loslassen - Predigt zu Lukas 15,11b-24 von Thomas Volk
15,11b-24

Eine Geschichte vom Loslassen

Liebe Gemeinde!
Können Sie leicht „loslassen“?
Wir müssen das ja immer wieder im Leben, „loslassen“. Die Kinder, die aus dem Haus gehen. Menschen, die mit uns das Leben geteilt haben und mit einem Mal nicht mehr für uns da sind. So manchen Sport, weil es gesundheitlich nicht mehr geht oder einfach zu anstrengend geworden ist. Die vertraute Wohnung, in der man so gerne gelebt hat. Oder den großen Lebenstraum, den man nicht mehr erreicht.

Haben Sie schon einmal einen Hund beobachtet, wie er sich in ein Stock verbissen hat? Man kann noch so viel einreden und versuchen, den Stock herausziehen, aber es geht nicht. Uns kann es ganz ähnlich gehen. Auch wir können uns sozusagen in etwas verbeißen.
In einen Streit, der zwar vorbei ist, den wir immer wieder auftischen, weil wir so gekränkt worden sind.
In die feste Meinung, wir müssten den Garten jedes Jahr aufs Neue mit der gleichen Anstrengung bewirtschaften und dabei spüren wir genau, dass es von Jahr zu Jahr mühsamer wird.
Und manche halten an der Illusion fest, die Partnerin würde wieder zurückkommen und wissen eigentlich nur zu gut, dass diese Beziehung unwiderruflich zu Ende ist.

Dabei gehört das Loslassen zum Leben dazu. Jede und jeder von uns muss ganz unterschiedliches Loslassen: Menschen. Lebensformen. Auch Ansichten und Einstellungen.
Wir müssen sogar loslassen, ob wir wollen oder nicht. Oft werden wir nicht einmal gefragt. Unser Leben gleicht einem andauernden Umzug. Wir ziehen nicht nur von einem Ort zum nächsten, auch von einem Lebensabschnitt in den anderen und können nicht immer alles mitnehmen, was uns wichtig ist.
„Loslassen“ ist schwer. Ärzte und Psychologen können eine Menge davon erzählen, dass viele Krankheiten daher kommen, weil Menschen einfach nicht „loslassen“ können und alles krampfhafte Festhalten sich auf Organe und Muskeln übertragen kann.

Das Schriftwort für den heutigen Sonntag möchte ich Ihnen unter diesem Blickwinkel des Loslassens auslegen. Es handelt sich um das bekanntes Gleichnis vom „barmherzigen Vater“. Hören Sie aus dem 15. Kapitel des Lukasevangeliums.
Und er [Jesus] sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne.
Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.
Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.
Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben
und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.
Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.
Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!
Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.
Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!
Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.
Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße
und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!
Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.


Eine Geschichte vom "Loslassen".
Als erstes muss der Vater loslassen. Seinen jüngeren Sohn. Er will unbedingt von zu Hause weg. Jeder von uns kann sich ausmalen, was es für den Vater bedeutet, wenn er "Hab und Gut" (V.12) unter den Söhnen aufteilen muss. Dabei hat sich der Vater das alles ganz anders ausgemalt. Jetzt muss er den Sohn ausbezahlen. Ob das Geld reicht? Auch nach einiger Zeit? Auf beiden Seiten?
Ganz zu schweigen davon, wie menschlich schwer es ist, wenn jemand aus der Familie einfach so geht. Von heute auf morgen. Ohne genauen Plan. Ohne konkretes Ziel. Einfach so ins Ungewisse hinein.
Kein Wunder, dass es dem Vater schwerfällt "loszulassen", weil so viele offene Fragen da sind und niemand sagen kann, wie es jetzt weitergeht.

Auch der Sohn, der geht, muss loslassen. Er kann scheinbar gerne loslassen. Er sammelt alles zusammen und geht in ein fernes Land, schreibt Lukas. Endlich, so denkt er vielleicht. Endlich habe ich mich losgesagt von dem, was mir zu eng geworden und was mir schon lange gegen den Strich gegangen ist. Loslassen ist gar nicht schwer, mag er sich denken. Einfach auf und davon. Was kostet die Welt?
Wir, die wir die ganze Geschichte kennen, können an dieser Stelle einhaken und zu Recht einwenden: Offensichtlich ist nicht nur das "Loslassens-Müssen" schwierig, sondern auch das vermeintliche leichte, “überstürzte Loslassen". Wie leicht kann man auch in ein tiefes Loch fallen, wenn man alles auf einmal aufgibt, was getragen und Sicherheit gegeben hat, Und wie schnell kann man in einer fremden und unüberschaubaren Welt stolpern, weil man sich einfach nicht zurechtfindet.
Woche für Woche schauen Millionen von Menschen Sendungen wie „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer“ oder „Auf und Davon“, weil sie einerseits fasziniert sind, wie leicht andere Brücken abreißen können, andererseits aber - wenn die Schwierigkeiten im neuen Leben überhand nehmen - bestätigt werden: „Nein, so möchte ich nicht leben! Gut, dass ich nicht so leicht loslassen kann und will!“

Wie man „angemessen“ loslassen kann? Ohne dass es weh tut? Oder man selbst verkrampft?
Es gibt kein Patentrezept. Wie wir alle ganz unterschiedlich ist, so verschieden sind auch unsere Gewohnheiten, auf Abschiede, auf Trennungen oder auf Neustarts zu reagieren.
Ich habe aber für mich aus dieser Geschichte einen Anhaltspunkt gefunden, der mir - bei allem, was ich immer wieder loslassen muss - helfen kann, mit neuen Situationen und veränderten Vorzeichen immer wieder doch klar zu kommen.
Es ist der Blick auf jemanden, der in dieser Geschichte auch loslassen muss. Außer dem Vater und dem Sohn. Es ist Gott. Auch er muss loslassen. Uns Menschen.
Diese Geschichte zeigt mir, wie Gott es macht. Er lässt uns einfach gehen und machen. Und riskiert damit viel. Gott zwingt uns Menschen nicht - weder zum Glauben an ihn, noch zum Einhalten irgendwelcher Gebote oder Lebensformen.
Er wagt sogar viel, wenn er uns die Freiheit lässt. Denn wir könnten alles, was uns gelingt, auf unsere Fahnen schreiben und ihn für all das, was uns misslingt, verantwortlich machen. Und wir könnten alle Freiheiten, die wir haben, auch ausnutzen und alle guten Sachen für selbstverständlich halten.
Das ist das Wagnis Gottes, dass er sich so auf uns Menschen einlässt und uns zugleich uns loslässt, damit wir auch ganz anders leben können.

Aus der Art und Weise, wie Gott mit uns Menschen umgeht, entnehme ich: Zum Loslassen gehört immer auch das sich einlassen: Auf neue Lebenswege. Auf einen neuen Beruf. Auf eine neue Umgebung. Auf andere Menschen.
Auch wenn die spannende Auswanderergeschichte des „jüngeren Sohnes“ beinahe wirklich tragisch geendet hätte, macht dieses Gleichnis Mut, sich auf neue Lebensbedingungen oder Zustände einzulassen. Denn es spricht von Gott als einem „barmherzigen Vater“, der auch dann da ist, wenn es ganz anders gekommen ist, als man es sich je ausgemalt hat.

Der neue Wochenpsalm geht sogar noch einen Schritt weiter. Er spricht davon, dass Gott sich richtig freut, wenn Menschen sich gerade dann, wenn das Loslassen völlig außer Kontrolle geraten ist, noch an ihn erinnern und sich an ihn wenden.
„Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Psalm 103,2)
Vielleicht hat sich der Psalmbeter auch erinnert, dass Gott schon oft in den entscheidenden Momenten da gewesen ist:
Dass ich diese Sache angepackt und dann doch bewältigt habe, das habe ich nicht alleine geschafft.
Dass mir dieser Geistesblitz durch den Kopf geschossen ist und die rettende Idee da war konnte, das kam nicht aus mir heraus.
Und dass ich diese neue Situation durchgestanden habe, das habe ich nicht mit meinen Kräften alleine zu Stande gebracht.

Dass Gott bei allem freiwilligen oder unfreiwilligen Loslassen da ist und alle neuen Wege mitgeht, das ist die Verheißung dieses Gleichnisses, das uns Mut machen möchte, immer wieder loszulassen, weil sich nicht nur Leben immer wieder ändert, sondern wir auch mit ihm.
Wir können uns doch nicht aus Angst vor jeder Form von Veränderung verschreckt zurückziehen. Oder ständig darauf bedacht sein, nur keinen Fehler zu machen.
Gott selbst ist jedenfalls einen anderen Weg gegangen. Er hat mutig das Loslassen zugelassen. Er hat sich auch auf die Menschen eingelassen, die sich losgesagt haben, auch wenn dabei manche Wege, wie bei dem Sohn in der Geschichte, beinahe mit einer Katastrophe geendet hätte oder in der Entzugsanstalt oder in der Klinik.
Der Gott, der weiß, wie schwer alles Loslassen ist, macht uns Mut, sich immer wieder auf Neues einzulassen, auch wenn wir vielleicht manchen Weg noch nicht kennen oder noch nicht genau ausmachen können, was wir einmal in den Händen halten werden. Aber wir brechen nie alleine zu neuen Ufern auf, gehen nie nur aus eigener Kraft los. Gott lässt sich auf ein neues Kapitel unserer Lebensgeschichte ein und geht mit uns in alle neue Zeit.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
 

Perikope
21.06.2015
15,11b-24

Predigt zu Lukas 15,1-3.11b-32 von Johannes Block

Predigt zu Lukas 15,1-3.11b-32 von Johannes Block
15,1-3.11b-32

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, heißt es in Goethes Faust. Gegensätze und Ambivalenzen, liebe Freunde, machen gute Geschichten aus. Ohne zwei Seelen in seiner Brust wäre Goethes Faust vermutlich ein harmloser, ein angepasster Zeitgenosse und Charakter geworden. Interessante Figuren und gute Geschichten leben davon, dass zwei Seelen, zwei Wahrheiten, zwei Weltsichten miteinander streiten und ringen. Alles andere wäre einfach und simpel - ohne Drama, ohne Tragik, ohne Entwicklung.

Auch das Gleichnis vom verlorenen Sohn steht in der Gefahr, eine einfache und simple Geschichte zu werden. Die Gefahr besteht darin, dass man im Gleichnis vom verlorenen Sohn allein auf einen Sohn, auf den verlorenen Sohn, blickt. Doch das Gleichnis ist keine ein-fache, sondern eine zwei-fache Geschichte. Denn das Gleichnis erzählt von zwei Söhnen: vom verlorenen Sohn zum einen und vom heimgebliebenen Sohn zum anderen. „Zwei Söhne wohnen, ach! in unserem Gleichnis“.

Gottes Wort ist schärfer als ein zweischneidiges Schwert, heißt es in der Bibel (Hebräer 4,12). Gottes Wort wirkt nicht ein-fach, sondern zwei-fach: Es klagt an und es tröstet, es entlarvt und begnadigt, es richtet und erlöst. Martin Luther sagt, dass Gottes Wort auf zweifache Weise wirke: als Gesetz und als Evangelium. Das Wort Gottes als Gesetz deckt auf und klagt an: den Kleinglauben, die Selbstbezogenheit, die Lüge, die Herzlosigkeit. Das Wort Gottes als Evangelium tröstet und befreit: zum Gottvertrauen, zur Wahrheit, zur Barmherzigkeit, zur Gelassenheit.

Auch das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist ein zweischneidiges Schwert. Es ist keine simple Geschichte, weil wir sie zwei-fach verstehen sollen: als Geschichte vom verlorenen Sohn und vom heimgebliebenen Sohn, als Geschichte im Doppelschritt von Gesetz und Evangelium.

Blicken wir, liebe Freunde, in einem ersten Schritt auf die schöne, die populäre Seite im Gleichnis: Das ist die Geschichte des verlorenen Sohnes, in die das Evangelium eingwickelt ist!

I.

Jesus erzählt das Gleichnis vom verlorenen Sohn, um eine Gotteswahrheit zu veranschaulichen: Gott ist ein Liebhaber des Lebens; deshalb vergibt er allen, die reumütig erkennen, dass sie mit Worten und Taten Leben zerstören. Gott „nimmt die Sünder an“, heißt es in der Hinführung zum Gleichnis.

Man kann Leben zerstören durch Taten, indem man die Umwelt zerstört und Lebensräume asphaltiert, indem man tötet, Tiere schlachtet und Menschen abschlachtet. Und man kann Leben zerstören durch Worte, indem man lügt, Vertrauen zerstört, indem man Freundschaft mißbraucht und Beziehungen aufkündigt:

Der jüngere Sohn sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.

Der Sohn kündigt die Beziehung auf, weil er den Vater als Mittel zum Zweck mißbraucht: als bloßen Erblasser. Das ererbte Geld wird mißbraucht, weil es ohne Verantwortung verprasst wird. „Eigentum verpflichtet“, heißt es deshalb im Grundgesetz. Aus dem einen verlorenen Sohn sind mittlerweile viele verlorene Söhne und Töchter geworden, die ihre Schätze und Reichtümer allein für sich selbst verbrauchen wollen. Das private Leben und das persönliche Wohlergehen sind für viele wichtiger als die Verantwortung für die öffentliche Sache – für die res publica. Vereine, Chöre, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und andere haben bereits viele Söhne und Töchter verloren – und verlieren Jahr um Jahr weitere. Dem verlorenen Sohn ist die eigene Freiheit und Selbstverwirklichung wichtiger als ein Leben in Verantwortung und in Beziehung: zum Vater, zum älteren Bruder, zum Gesinde im Haus und zum Vieh auf dem Hof.

Gott vergibt dem Sünder, weil Gott ein Liebhaber des Lebens ist. Gott feiert ein Fest, weil ein Mensch wieder in’s Leben gefunden hat: in’s Vertrauen, in die Beziehung, in’s Miteinander. Wenn man im dämmernden Morgenlicht das Gesicht seines Mitmenschen erkennt, dann beginnt das Leben, sagt ein jüdisches Sprichwort. Der heimgekehrte, der in’s Leben zurückgekehrte Sohn ist dem Vater wichtiger als das verlorene Erbe und Geld. Gott zahlt einen hohen Preis. Er tauscht  das verlorene Geld gegen den verlorenen Sohn. Gott zahlt den Preis, weil er ein Liebhaber des Lebens ist.

Die Energie, die den verlorenen Sohn nach Hause führt, ist die Güte des Vaters, an die sich der Sohn in seiner Not erinnert:

Da ging der Sohn in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!

Der Entschluss und Mut zur Rückkehr gründet in der Erinnerung an die himmlische Güte: Gott gewährt Leben, Gott erhält am Leben, Gott gibt Brot in Fülle. Das ist das schöne Evangelium im Gleichnis: Gott regiert, indem er gütig ist; Gott richtet, indem er vergibt; Gott ruft nach Hause, indem er seine Gaben austeilt und den Tisch deckt.

Manchmal schreibt sich das Evangelium Gottes in unserer Welt weiter. Üblicherweise gelten das Gesetz und die Strafe, die Macht und die Autorität, die Ordnung und die Disziplin. „Ohne Fleiß keinen Preis“ – das gilt erst recht in Sachsen-Anhalt, im Land der Frühaufsteher! Doch manchmal fällt ein himmlischer Schein des Evangeliums in unsere Welt. Das geschieht dann, wenn die Güte und Liebe es vermag, über Fehler und Schwächen hinwegzusehen, ein Auge zuzudrücken, das Leben wichtiger als das Geld und den Menschen wichtiger als dessen Schuld zu nehmen. Vor einiger Zeit habe ich von folgender Geschichte gehört, die ein weitgereisender Weltenbummler erzählte:

„Bei einer Zugfahrt saß ich neben einem jungen Mann, der sehr bedrückt wirkte. Nervös rutschte er auf seinem Sitz hin und her, und nach einiger Zeit platzte es aus ihmn heraus: Dass er ein entlassener Häftling sei und jetzt auf der Fahrt nach Hause. 
Seine Eltern waren damals bei seiner Verurteilung tief getroffen. Im Gefängnis hatten sie ihn nie besucht, nur manchmal einen Weihnachtsgruß geschickt. Trotzdem, trotz allem hoffte er nun, dass sie ihm verziehen hätten. Er hatte ihnen geschrieben und sie gebeten, sie mögen ihm ein Zeichen geben, an dem er, wenn der Zug an dem kleinen Bauerngehöft kurz vor der Stadt vorbeiführe, sofort erkennen könne, wie sie zu ihm stünden. Hätten sie ihm verziehen, so sollten sie in dem großen Apfelbaum an der Strecke sichtbar ein gelbes Band anbringen. Wenn sie ihn aber nicht sehen wollten, brauchten sie gar nichts zu tun. Dann werde er weiterfahren, weit weg.
Als der Zug sich seiner Heimatstadt näherte, hielt er es nicht mehr aus, brachte es nicht über sich, aus dem Fenster zu gucken. Ich tauschte den Platz mit ihm und versprach, auf den Apfelbaum zu achten. Und dann sah ich den Apfelbaum: Der ganze Baum – über und über mit lauter leuchtenden gelben Bändern behängt!
‚Da ist er!’, flüsterte ich, ‚alles in Ordnung!’ Er sah hinaus, Tränen standen ihm in den Augen. Mir war, als hätte ich ein Wunder miterlebt.“

Manchmal schreibt sich das Evangelium Gottes in unserer Welt wundersam weiter: wenn verlorene Söhne und Töchter wieder in’s gemeinsame Leben finden; wenn die Güte einen Menschen wichtiger nimmt als dessen Fehler. Dann kommt es zu Geschichten, in die das Evangelium eingwickelt ist!

Blicken wir, liebe Freunde, in einem zweiten Schritt auf die unschöne, die unpopuläre Seite im Gleichnis: Das ist die Geschichte des heimgebliebenen Sohnes, in die das Gesetz eingwickelt ist!

II.

Die unschöne, die unpopuläre Seite im Gleichnis wird häufig übersehen und gern verdrängt: Das ist die Eifersucht des heimgebliebenen Sohnes. In der Eifersucht des heimgebliebenen Sohnes entlarvt sich ein Wesenszug des ganzen Menschengeschlechtes: Gottes Gnade für andere macht eifersüchtig. Das ist eine tief eingefleischte, geradezu urtümliche Mitgift der Menschheit, von der die biblische Urgeschichte erzählt:

Es begab sich, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.

Das ist die unschöne, die unpopuläre Seite im Gleichnis, die häufig übersehen und gern verdrängt wird: die Eifersucht auf den Erfolg des anderen. Der Andere hat den besseren Arbeitsort, das höhere Gehalt, das größere Auto, die bessere Idee, die erfolgreicheren Kinder, die glücklichere Partnerschaft, den höheren Stimmenanteil bei der Wahl, den größeren Einfluss. Gottes Gnade für andere macht eifersüchtig:

Der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.

Alles hat seine zwei Seiten. Auch die Gnade Gottes kommt nicht einfach problemlos zur Welt. Sie löst Eifersucht aus. Sie hat Konsequenzen: Die Gnade Gottes beglückt die Verlorenen, die es eigentlich nicht verdient haben; und die Gnade Gottes empört die Daheimgebliebenen, die sich alles treu und redlich verdient und erarbeitet haben. Die Gnade Gottes provoziert, weil sie unverdient zuteilt, weil sie sich ökonomisch nicht rechnet, weil sie in keiner Bilanz auftaucht. Gottes Gnade unterläuft die üblichen Standards: Sie teilt sich aus wie ein Preis oder eine Ehrenwürde, die man aus Sicht der anderen nicht verdient hat. Gottes Gnade hat einen Beigeschmack für die Daheimgebliebenen, die Redlichen, die Etablierten. Es ist für viele eine Zumutung, wenn Asylanten und Flüchtlinge einfach nach Deutschland kommen – unverdientermaßen und ohne Verdienst. Es ist für manche eine Zumutung, wenn heute Menschen an die Tür der Kirchengemeinde klopfen, die früher zu den Verächtern und Bedrückern der Kirche zählten. Gottes Gnade kann eine Zumutung sein. Gottes Gnade für andere kann eifersüchtig machen. Die ist die unschöne, die unpopuläre Seite im Gleichnis, die häufig übersehen und gern verdrängt wird.

III.

„Zwei Söhne wohnen, ach! in unserem Gleichnis“. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist keine ein-fache, sondern eine zwei-fache Geschichte. Denn das Gleichnis erzählt von zwei Söhnen: vom verlorenen Sohn zum einen und vom heimgebliebenen Sohn zum anderen. Es ist eine zweischneidige Geschichte im Doppelschritt von Gesetz und Evangelium. Diese Geschichte ruft die Verlorenen nach Hause und entlarvt die Eifersucht der Daheimgebliebenen.

Doch das Ziel im Gleichnis, liebe Freunde, besteht nicht darin, Verlierer und Gewinner oder Erste und Letzte oder Verlorene und Daheimgebliebene gegeneinander zu stellen. Jesus erzählt das Gleichnis, um in das Leben zu führen, das aus der Gnade Gottes lebt. Gottes Gnade teilt sich gleichmäßig aus, so dass Letzte zu Ersten und Erste zu Letzten werden (Mt 20,16). Sie teilt zu, wovon alle leben. Sie schenkt sich aus, ohne anderen zu nehmen. Die Gnade Gottes nimmt niemandem etwas weg, sondern gibt den Verlorenen das, was die Daheimgebliebenen bereits besitzen:

Der Vater sprach zum älteren Sohn: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein.

Jesus erzählt im Gleichnis von einem Leben, das aus der Gnade Gottes fließt. Manchmal verlaufen die Wege in das Leben auf unterschiedlichen Strecken: Der eine merkt erst in der Fremde, was er zuhause an Güte verloren hat; und der andere merkt zuhause, dass er dort in der Güte noch gar nicht angekommen ist.

Am Ende im Gleichnis geht es um das Fest des Lebens – um ein Leben, das sich immer wieder neu aus der Güte und Vergebung speist. Gott ist ein Liebhaber des Lebens, der einen hohen Preis dafür zahlt, dass wir auf unterschiedlichen Wegen zum Fest des Lebens gelangen. Auf dem Fest des Lebens werden die Verlorenen willkommen geheißen und den Daheimgebliebenen fällt auf, was ihnen bereits alles gehört. Am Ende kommt es darauf an, nicht sich selbst, sondern Gott als den großzügigen Gastgeber des Lebens zu entdecken:

Der Vater sprach: Bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!

 

Perikope
21.06.2015
15,1-3.11b-32

Predigt zu Lukas 5,1-11 von Joachim Hempel

Predigt zu Lukas 5,1-11 von Joachim Hempel
5,1-11

'Hast du das auch gut überlegt?' - meine Güte, denke ich heute, wie oft haben es Gutmeinende dir ins Gewissen eingesprochen: 'Hast du das auch gut überlegt? - denn nur nach reiflicher Überlegung lässt doch Unsereiner alles stehen und liegen und haut einfach ab; oder etwa nicht?

Die Geschichte von den übervollen Netzen, von Wunder und Erschrecken endet ja in erstaunlicher Weise mit einem Knüller: „Und sie brachten die Boote an Land und verließen alles und folgten ihm nach.“ - Nun gut, Jesus-Geschichten Gewohnte werden schnell sagen, bei ihm, dem Meister, dem Gottgesegneten ist nicht immer alles logisch und rational überlegt, gerade das mögen wir ja an ihm, dieses spontane, aus Gottes gutem, heil machenden Heiligen Geist entspringende Reden und Tun.

Aber ehrlich, Hand auf's Herz: ...verließen alles und folgten ihm nach – wie oft haben Sie und ich im Leben so entschieden, so gehandelt – auch gerade wir in Jesu Nachfolge uns 'Christen' Nennende?

Lukas verleiht der Geschichte einen mehrfach gebauten Spannungsbogen, der aus des Alltag Alltäglichkeit in die Begegnung mit Gottes Wirklichkeit reicht: Der Zulauf der Zuhörer ist so groß, der Andrang der Nachdrängenden ist so gewaltig, dass Jesus auf Abstand gehen muss, sonst könnte er im Gedränge Atemnot kriegen und sein Wort in der Bedrängnis unhörbar werden. Im Abstand Halten liegt die Kraft! - Dann: die Netze flickenden Fischer, die nach der Nacht-Arbeit erfolglos zurück müde am Ufer Notwendiges tun, rudern mit und für ihn nochmal auf den See. Was soll's, werden sie gedacht haben, und im abwinkenden Zweifel füllen sich die Netze mehr und mehr; nur mit vereinten Kräften können sie ihr Glück in Netzen fangen.

So würde die Geschichte vom Gutes tuenden Menschenfreund Jesus ja schon reichen. Aber Lukas setzt noch eins obendrauf, denn jetzt geht es um Furcht und Schrecken, um Gewissensnöte im Unfassbaren; und Jesus: „Fürchte dich nicht!“ Lukas nimmt auf, was er schon am Beginn seines Evangeliums von Jesus Christus in der Geburtsgeschichte in Bethlehems Stall aus himmlischen Höhen hatte quasi als Überschrift verkünden lassen: Fürchtet euch nicht, denn siehe ich verkündige euch große Freude... - Diese große Freude vom Heiland, der der Welt und den Menschen zugute vom Himmel gekommen ist und Fleisch angenommen hat – wie unser Credo das nennt, tut im Alltag der Menschen genau dies: er nimmt Angst und Furcht und wandelt sie in Freude und Hoffnung und macht dadurch Glauben stark.

Dieser Glaube ist bei Simon, Jakobus, Johannes und wohl Simons Bruder Andreas so groß, dass die sich nicht von vollen Netzen, gutem Gewinn und flottem Einkommen faszinieren lassen, sondern den Urheber des guten Lebens so vertrauensvoll ansehen, dass sie in seiner Nähe bleiben und mit ihm und den Menschen noch ganz andere Geschichten der Hoffnung, der Liebe, des Glaubens erleben wollen.

Habt ihr das auch gut überlegt? Werden manche der Umherstehenden, der Freunde, Fischerkollegen, der Familien gedacht oder auch laut gerufen haben, und die Antwort lautet: NEIN! Schlicht und einfach NEIN!

Das Wunder des Lebens geht nicht in der Fähigkeit des Denkens und rationalen logischen Tuns auf; das Leben ist höher und weiter, umfassender und wunderbarer, und es gibt Situationen im Leben, wo 'alles oder fast alles oder mindestens etwas stehen und liegen lassen' dem Leben seine Atemfreiheit zurück gibt, den Blick weitet, das Herz kräftig schlagen lässt: das ist das Reich des Vertrauens, des Zutrauens, der Liebe und Hoffnung. Jedenfalls wären die Fischer vom See nicht Jünger, Apostel, Evangelisten, Gottes Menschenfreunde geworden, wenn sie den Augenblick am Ufer nicht begriffen hätten.

Die Kirche dankt es ihnen bis heute, denn sie stehen bei uns in hohem Ansehen, wir freuen uns über solche Jesu Jünger. Und bei den bedenklichen Nachfolgegeschichten unserer Tage, wo junge Leute sich im Internet von schwarz vermummten Sturmgewehrträgern zum Kampf für einen Gottesstaat locken lassen, um dann in Syrien oder im Irak mal ebenso für einige Monate Menschen tot zu schießen, bei diesen und ähnlich teuflischen Geschichten sind uns Simon, Jakobus, Johannes und Andreas doch noch in ganz anderer Weise 'Väter des Glaubens': 'Fürchte dich nicht' steht gegen 'Furcht und Schrecken mit tödlicher Gewalt' - das dürfen wir nie aus den Augen verlieren: wir sind Gottes Heiligen Geistes Kinder und stehen in der Verantwortung vor ihm und vor uns anvertrauten Menschen!

Amen

Perikope
05.07.2015
5,1-11

Zieh deinen Weg - Predigt zu Lukas 15,1-3.11b-32 von Manfred Wussow

Zieh deinen Weg - Predigt zu Lukas 15,1-3.11b-32 von Manfred Wussow
15,1-3.11b-32

Zieh deinen Weg

Herbert Grönemeyer, Liedermacher,  hat einem seiner Lieder den Titel gegeben: „Zieh deinen Weg.“
Das hört sich dann so an:

Zieh deinen Weg
Folg deinen eigenen Regeln
Zieh deinen Weg
Keine Angst vor richtig und falsch
Wer die Wahrheit kennt
ist niemals überlegen
Vertritt deinen Punkt
aber zeug immer von Respekt


Das Lied erzählt von einer großen Freiheit – und von einer großen Sehnsucht: den eigenen Weg zu gehen, ohne Angst vor “richtig“ und „falsch“, aber auch ohne jede Überheblichkeit. Ganz schön brisant – und bescheiden: „Wer die Wahrheit kennt, ist niemals überlegen“.

Am Ende klingt das Lied aus – es klingt wie ein Resümee:

Lüge nicht
Geh dem Kummer nicht entgegen
Prüfe dich
ob du weißt, wovon du sprichst
Zweifel nicht
Jeder Berg lässt sich bewegen
Gib nie auf
Sei bereit fürs große Glück.


Nicht dem Kummer entgegenzugehen, wird als Wunsch und als Hoffnung formuliert. Für wen? Ist es eine Warnung, eine Ahnung, ein Wunsch? Wer sich auf den Weg macht, nur seinen eigenen Regeln folgt und ohne Angst vor „richtig“ und „falsch“ - könnte dem Kummer entgegengehen. Es gibt Menschen, die sagen im Brustton der Überzeugung: wird dem Kummer entgegengehen!

Im Lied heißt es: Lüge nicht – prüfe dich – zweifel nicht.  Eine dichte Folge von Empfehlungen. Ein Dreiklang. Und doch hat jedes Wort ein eigenes Gewicht. Ob es so reicht, passt? „ Jeder Berg lässt sich bewegen.“ Den Satz hat Grönemeyer dem Evangelium abgelauscht. Es ist ein Wort Jesu: Der Glaube versetzt Berge! Wagemut und Vertrauen liegen in diesem Wort – doch: was heißt hier Glaube? Das letzte Wort hat im Lied – das Glück. „Sei bereit fürs große Glück“! Gib nie auf! Nie!

Der Weg in die Fremde und nach Hause

Das Evangelium erzählt heute tatsächlich von einem jungen Menschen, der sich frohgemut, vielleicht sogar kühn, darauf einlässt, sein Glück zu suchen. Er macht es nicht bei Nacht und Nebel, wenn nicht schon mit dem Segen des Vaters, dann doch mit seinem Geld. Gut ausgestattet sehen wir ihn eine weite Reise antreten. Das Glück liegt in der Ferne – und doch nah genug. Und der junge Mann ist ihm auf der Spur. Als er dann wieder aufwacht – Entschuldigung, es ist bei ihm wohl lange dunkel gewesen -, findet er sich bei den Schweinen wieder. Die schönen Mädchen und die „guten“ Freunde – sie kennen ihn jetzt nicht mehr. Zu essen hat er auch nichts mehr. Bis auf das, was auch die Schweine bekommen. Ist das das große Glück?

Jedenfalls sehen wir den jungen Mann, heruntergekommen, abgerissen, seit Tagen nicht mehr gewaschen, den beschwerlichen Weg nach Hause antreten. Beschwerlich nicht nur, weil er aus der ersehnten Ferne kommt, beschwerlich auch, weil ein Verlierer heimkehrt. Von weitem zu sehen! Mit der bescheidenen Option, Tagelöhner bei seinem Vater zu werden. Ohne Erbansprüche – die sind weg. Und mit ihnen die Würde, Sohn zu sein.

Jesus erzählt die Geschichte, die wir unter dem volkstümlichen Namen „verlorener Sohn“ zu kennen glauben. Wir sehen den Vater – er muss wohl schon oft Ausschau gehalten haben – gegen alle Regeln, gegen allen Anstand mit fliegenden Fahnen und ausgebreiteten Armen auf das Häufchen Elend zulaufen, es an sich drücken und abküssen. Und dann muss alles ganz schnell gehen: Neues Gewand, edler Ring, beste Schuhe – und ein großes Fest. Sogar das Mastkalb, extra für einen besonderen Zweck vorgehalten, muss heute daran glauben.
Denn: „Mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden worden.“ -  Habt ihr etwa Vorhaltungen, Vorwürfe erwartet?

Und Lukas, der die Geschichte überliefert, farbenprächtig und überaus sinnlich, erzählt mitten in seinem Evangelium eine – Ostergeschichte. Die Geschichte von einem neuen Leben. Unverhofft, nicht erwartet. Sogar gegen alle Realität, gegen alle Vernunft.
Wenn uns etwas einleuchtet – bei klarem Verstand, dann das:
„Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.“

Verlorener Sohn?

Ist der Typ, den es am Ende doch noch nach Hause verschlägt, ein verlorener Sohn?
Wir sind sehr im Bann dieses Gedankens. Schön moralisch eingepackt, mit Goldschleife „Erfahrung“ zusammengebunden, bedient der jüngere Sohn dann tatsächlich als „verlorener Sohn“  fromme und weniger fromme Erwartungen – und bestätigt alte Ängste.  Aber genau betrachtet: Er hat sich auf seinen Weg gemacht. Ohne „richtig“ und „falsch“.  Und der Vater hat ihn gehen lassen. Da schwingt auch kein falscher Unterton mit. Es deutet sich auch keine tragische Geschichte an. Der Vater hat schon am Anfang dieses Weges ein mütterliches Herz. Ohne moralischen Zeigefinger, ohne letzte Worte, ohne große Geste. Nicht einmal verhalten äußert sich die Sorge. Der Sohn darf gehen.

Und zurückkehren. Dabei  hätte er bei den Schweinen bleiben können. Stolz und unnahbar. Kein Hahn hätte nach ihm gekräht. Klug und clever hätte er – vielleicht – sogar einen Aufstieg hinbekommen. Wieder von unten und von vorne angefangen. Aus eigener Kraft. Jung und unbeugsam. Das Muster eines Stehauf-Männchens. Womöglich hoch angesehen. Und geachtet in fremder Erde beigesetzt. Aber:  als der Vater ihn in die Arme schließt, als Sohn, nicht als Tagelöhner, ist er gefunden. Er hat sich selbst auch gefunden. Und den Weg, der ihm das Glück schenkt, das er für sich suchte. Die Geschichte, die Jesus erzählt, ist eine Oster-Geschichte. Nur wer auferstanden ist, kann auf den Tod zurückschauen, kann ihn hinter sich lassen, ist ihm entronnen. Jetzt kann seine Geschichte erzählt werden.

In dieser Geschichte spielt es eine große Rolle, dass der jüngere Sohn das Wagnis eingeht, in der Fremde sein Glück zu suchen. Was er erlebt, erfährt und erleidet, formt nicht nur seine Biographie, sondern wird in dieser Geschichte aufbewahrt. Auch für andere! Und in ein neues Licht gerückt! Ich frage provokativ: Kann ein Mensch stolz sein, verlorener Sohn gewesen zu sein? In den Lebensläufen macht sich so etwas nicht gut … Wir haben unsere Träume gestriegelt, die Schubladen für Klischees fein lasiert, unsere Ängste in große Worte gepackt.

Offene Geschichte

Jetzt habe ich was gesagt! Der ältere Bruder, in der Hierarchie ganz oben, nicht einmal informiert, hört, als er von der Arbeit nach Hause kommt, müde, hungrig und dreckig, die Musik, das Lachen, die Freude. Die Auskunft, die er noch auf dem Feld bekommt, macht ihn wütend. Dass für „den“ – er hat keinen Namen mehr und heißt nur noch „dieser dein Sohn“ – ein Fest gefeiert wird, ist eine Frechheit. Jesus erzählt verhalten davon … uns soll der Mund nicht schäumen.

So sehen wir den Vater wieder hinausgehen. Wieder schwenkt der Lichtkegel auf ihn. Der Vater wendet sich – jetzt - dem älteren Sohn zu. Er, der gute, brave Sohn, ist – jetzt -  in der Gefahr, verloren zu gehen. Sich zu verlieren! Aber die beiden scheinen sich nicht zu verstehen. Ob er denn nicht wüsste, dass ihm alles gehören würde, fragt der Vater. Um ihn dann zur Mitfreude einzuladen. Komm, sagt er, dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden … wenn das kein Grund ist, ausgelassen zu feiern? Sich von Herzen zu freuen?

Aber der ältere Sohn …. Ja, was macht er? Kommt er, feiert er mit? Schließt er den jüngeren Bruder auch in seine Arme? Jesus lässt die Geschichte am Ende einfach offen. So, als ob er sie uns anvertraut. Wir müssen sie weiter erzählen. Wir!
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie möchte ich denn die Geschichte weiter erzählen? Wie soll sie denn ausgehen? Welchen Schluss gebe ich ihr? Provokativ tritt ungeschminkt die Frage auf wie ein Star: Kann ein Mensch stolz sein, nicht verloren gegangen zu sein? Wie hört sich das an, wenn er – oder sie – es so sagt? Selbstgerecht? Überheblich? Vielleicht sogar - verbittert? Enttäuscht? Es ist längst nicht ausgemacht, was Glück ist – was Geschenk – was Verdienst. Es ist auch nicht ausgemacht, was im Erfolg Verlust, was im Ruhm Angst, was in der Größe Niedertracht ist. Es ist nicht ausgemacht …
Ich könnte mich um mein Leben reden … Worte verlieren, bevor ich sie gefunden habe… den Ausgang verpassen. Doch: wenn die Geschichte offen bleibt – bleibe ich dann auch offen? Wenn ich ihr kein Ende gebe – kann ich neu anfangen?

Wer stolz ist, nicht so sein wie „der“ oder „die“, bleibt mit sich allein - und kann sich auch nicht freuen, nicht einmal mitfreuen. Die gute Welt gerinnt zu einer kalten … Eine böse Ahnung beschleicht mich: was ist, wenn man draußen bleibt? Nicht mehr dazu gehört? Mit ganz viel Tugend, mit Erfolg, mit dem besten Ruf? Am Ende ist das klar: Das Fest wird – gefeiert! Gastgeber ist der Vater. Er lädt ein. Er lässt sich das Fest etwas kosten. Jetzt wird auch nicht mehr geredet – zumindest nicht vor der Türe! Ich spitze neugierig die Ohren – ob ich etwas von drinnen erhasche?

Das große Mahl

Jesus erzählt ein Gleichnis von dem ganz großen Glück. Das größte Glück in dieser Geschichte ist: ein Mensch, der tot war, ist wieder lebendig geworden – ein Mensch, der verloren war, ist wieder gefunden. Jetzt wird ein festliches Mahl angerichtet! Jetzt wird gefeiert!

Was fällt Jesus ein, uns so durcheinander zu bringen?  Die Dinge auf den Kopf zu stellen? Tatsächlich: der ungewohnte, überraschende Blick räumt uns die Möglichkeit ein, uns in dieser Geschichte wieder zu finden und gleichzeitig hinter die Kulissen zu schauen, die wir meisterhaft auf unseren Bühnen errichtet haben. Feiere ich mit? Wer bin ich auf diesem Fest? Wie kommentiere ich das Ungewohnte, das Unerwartete? Kein Mensch geht allein verloren, kein Mensch wird allein gefunden.

Das Evangelium lässt Menschen feiern, ausgelassen und fröhlich sein.
Ich kenne viele Menschen, die Angst davor haben, ihr Leben zu verändern, denen der Mut fehlt, sich „aufzumachen“, die keine Barmherzigkeit erwarten können – und ich kenne viele Menschen, die verliebt in ihre kleine Welt keinen Traum mehr haben – und sich und anderen keinen zugestehen. Sie schlachten das Schwein für ihre – Tugend.
Die Geschichte vom verlorenen Sohn schenkt uns Worte, darüber zu reden – und barmherzig zu werden.

Übrigens: das Wort „Barmherzigkeit“ meint, hebräisch, den Mutterschoß. Wenn von Gott gesagt wird, er sei barmherzig – wird er als Mutter vorgestellt.
Ein tolles Bild für den – Vater. Am Anfang steht die Geborgenheit. In ihr wächst das Glück. Wie das Leben.

Noch einmal Grönemeyers Lied. Seine letzten Worte:
„Gib nie auf
Sei bereit fürs große Glück“
enden heute an einer langen Tafel.

Ich muss mir jetzt mein Plätzchen am Tisch suchen. Ich habe Hunger.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.

 

Perikope
21.06.2015
15,1-3.11b-32

KONFI-IMPULS zu Lukas 15,1-7(8-10) von Cornelius Kuttler

KONFI-IMPULS zu Lukas 15,1-7(8-10) von Cornelius Kuttler
15,1-10

Der Bibeltext und die Konfis – Perspektiven für die Predigt

Wo erleben Konfirmandinnen und Konfirmanden, dass sich jemand über sie freut? Immerhin liegt der Fluchtpunkt der Gleichnisse vom verlorenen Schaf und verlorenen Groschen in der Freude. In emotionalen Bildern leuchtet auf, wie sehr sich Gott darüber freut, wenn verlorene Menschen gefunden werden.

Es sind m. E. drei Themen, die im vorliegenden Predigttext Lebensrelevanz für Konfis aufweisen können: 1) Wer freut sich über mich 2) Für wen bin ich so wichtig, dass er sich auf die Suche nach mir machen würde 3) Was ist eigentlich ein Sünder?

1)      Konfis erleben wohl eher selten, dass sich Menschen über sie freuen. Kleine Kinder tragen den Nimbus mit sich: „Ist der/die süß“, jüngere Geschwister werden gelobt für Erfolge im Kindergarten oder der Grundschule. Ich frage mich, ob Konfis dies noch erfahren: Dass Menschen sich über sie freuen – einfach deshalb, weil es sie gibt, ohne Erfolge in der Schule oder im Sportverein aufweisen zu müssen?

Jesus erzählt dem gegenüber davon, dass Gott sich über Menschen freut. Einfach deshalb, weil sie (wieder) in seiner Nähe sind. Meiner Erfahrung nach leben Jugendliche im Konfi-Alter im Spagat zwischen der Angst vor einer allzu großen Fokussierung auf ihre Person – es wird als peinlich empfunden, im Mittelpunkt zu stehen – und der tiefen Sehnsucht nach Aufmerksamkeit.

Die Gleichnisse von Jesus könnten diese Sehnsucht nach wohltuender Aufmerksamkeit ansprechen und mit dem Themenkreis der Freude Gottes über einen Menschen in Berührung bringen: Gott freut sich darüber, uns in seiner Nähe zu haben, weil sein Herz für uns schlägt.

2)      Die Gleichnisse von Jesus sprechen Menschen eine unverlierbare Würde zu: Gott macht sich auf die Suche nach jedem Menschen, um ihn in die enge Lebensgemeinschaft mit ihm zurückzuholen. Die Frage: „Für wen bin ich wichtig?“, erlebe ich bei Konfirmandinnen und Konfirmanden als sehr präsent. Da mögen es vielleicht Anzahl und Inhalt der WhatsApp-Nachrichten sein, die über die Bedeutung des eigenen Lebens für andere Auskunft geben. Der Botschaft vom liebenden und suchenden Gott eignet eine (nicht nur für Konfis) befreiende und ermutigende Lebensrelevanz.

3)      Die Frage nach Sünde und Umkehr besitzt für Jugendliche im Konfi-Alter konkret-operationalen Charakter: Sünde ist das, was verboten und was auch objektiv als Verbrechen einzustufen ist: Höchst spannend ist für mich, wie Konfirmandinnen und Konfirmanden meiner Gruppen den biblischen Begriff des „Sünders“ in einem Konfi-Film darstellten: als Mädchen, das ein Handy klaut. Dass Sünde in biblischer Terminologie eine weit umfassendere Tiefendimension menschlicher Existenz zukommt, ist für Konfis m.E. nicht im Blick. Herausfordernd ist es darum, in der Predigt zu fokussieren, was Sünde meint.

Idee für den Gottesdienst:

Die Konfis könnten die Gleichnisse entweder in einem Film umsetzen oder – wenn dies technisch zu aufwändig ist – in einer Fotostory, die von Konfis im Gottesdienst kommentiert wird. Mein Vorschlag ist, dass die Jugendlichen die Gleichnisse nicht nur reproduzieren, sondern in eigene Lebenssituationen übertragen. Evtl. würde sich der Vorstellungsgottesdienst der Konfis als Rahmen anbieten, z. B. zum Thema „Was bin ich wert?“   

 

Perikope
21.06.2015
15,1-10

Sind wir nicht angemessene Ersatzgäste? - Predigt zu Lukas 14,15-24 von Katharina Wiefel-Jenner

Sind wir nicht angemessene Ersatzgäste? - Predigt zu Lukas 14,15-24 von Katharina Wiefel-Jenner
14,15-24

Sind wir nicht angemessene Ersatzgäste?

Einer, der mit zu Tisch saß, sprach zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen.

Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.

Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei. Der Tisch ist festlich gedeckt. Blumen, Kerzen, gestärkte Servietten, funkelnde Gläser, glänzendes Silber. In der Küche dampft es über den Töpfen, die Platten sind angerichtet, die Schüsseln vorbereitet. Die Gläser für den Aperitif warten auf Tabletts. Der Bote sagt, dass wir kommen sollen. „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Wir sind eingeladen. Uns hat der Bote gesagt, dass wir kommen sollen – uns! Wir? Bisher war von uns noch nie die Rede. Aber wir sind offensichtlich gemeint.

Die uns weniger freundlich gesonnenen Kommentatoren sagen uns, dass wir nur Ersatzgäste sind. Sie erzählen uns, dass eigentlich andere kommen sollten, aber abgesagt haben. Von dem einen heißt es, dass er wegen eines größeren Vertragsabschlusses nicht kommen konnte. Irgendeine Immobiliengeschichte. Saß vielleicht noch im Flieger. Solche Leute werden ja ohnehin dauernd eingeladen. Darum würde so einer wahrscheinlich das köstliche Mahl gar nicht schätzen. Wenn sich solche Leute an einen festlich gedeckten Tisch setzen, dann haben sie immer noch ihre Geschäfte im Sinn – von Familienfeiern vielleicht abgesehen. Es heißt, er habe sich immerhin entschuldigen lassen. Gute Manieren haben sie in der Geschäftswelt – das muss man ihnen zugestehen. Doch das Fest geht bis Mitternacht, er hätte doch alle Zeit der Welt gehabt, um noch nachzukommen und mitzufeiern. Wahrscheinlich wollte er von vornherein nicht kommen. Er verachtet den Gastgeber. Auf so einen Gast kann man also verzichten und stattdessen uns einladen.

Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei.

Es heißt, dass noch ein anderer aus der Geschäftswelt eingeladen war und auch nicht gekommen ist. Dem Vernehmen nach war der aus der Logistikbranche und hatte noch mit der Anschaffung seiner neuen Wagenflotte zu tun. Der war vom gleichen Schlag wie der mit den Immobilien. Schade, dass das Geschäftsleben so abfärbt. Man muss echt aufpassen, dass man nicht auch so wird. Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei. Ein Dritter war noch eingeladen. Der hat sich nicht einmal entschuldigt. War beim Anwalt, um den Ehevertrag mit seiner künftigen Frau zu unterschreiben. Die Anwälte empfehlen das heute ja auch wieder. Hat man Vermögen, schließt man so für den Fall aller Fälle jeden Streit aus. Liebe ist gut, aber besser ist es doch, man sichert sich ab. Wer nur Verträge im Kopf hat, denkt natürlich nicht daran, sich zu entschuldigen. 

Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei.

Warum in aller Welt hat der Gastgeber nur diese vermögenden Geschäftsmenschen eingeladen? Hat er nicht gewusst, dass sie arrogant bis in die Haarspitzen sind? Hat er nicht geahnt, dass sie ihn höflich lächelnd abblitzen lassen? Oder hat er ihnen eine Chance gegeben, obwohl sie so sind, wie sie sind? Hat er gehofft, dass sie hinter der arroganten Fassade herzliche und interessierte Menschen sind. Er hat wohl hinter ihrem fleißigen und glatten Auftreten eine große Sehnsucht gespürt. Hat er gesehen, wie verletzlich auch die Herzen von harten Hunden sind. Unser Gastgeber muss so hoffnungsvoll gewesen sein, so unerschütterlich vertrauensvoll.

Aber es war kein Versehen von den dreien. Sie sind mit voller  Absicht weggeblieben. Sie wollten unseren Gastgeber kränken.

Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei.

Ob sie damit gerechnet haben? Sie haben unseren Herrn gekränkt und provoziert. Ob sie dachten, dass der sich dann eben allein hinsetzt, weint und seinen Wein alleine trinkt? Oder dachten sie, er würde es einfach so hinnehmen. Was kann man tun, wenn die Gäste einen versetzen? Sie haben ihn gekränkt und er ist zornig – mit vollem Recht.

Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei.

Nein, das Mahl hat noch nicht begonnen und unser Herr trinkt seinen Wein auch nicht allein. Er zeigt lieber, wie göttlicher Zorn aussieht. Auf die Schnelle werden die eingeladen, die noch nie von Meißner Porzellan gegessen haben, die nicht wissen, was Messerbänkchen sind, die noch echten Hunger kennen und deren Geschmack nicht zwischen den erlesenen Weinen unterscheiden kann. So etwas passiert, wenn man den Herrn des Lebens kränken will. Das Kostbarste der Erde wird denen aufgetischt, denen bisher das Glück des Lebens vorenthalten wurde. Der Zorn richtet sich nicht gegen die, die ihn verdient hätten. Der Zorn verwandelt sich in Reichtum für die Armen, in Liebe für die Übersehenen, in Tapferkeit für die Ängstlichen, in Erfolg für die Verlorenen, in Hoffnung für die Trostlosen, in Tanzen für die Trauernden, in Glück, einfach nur Glück. Der Festsaal wird beben vom Jubel. Er wird von Lebensenergie bersten. Mit seinem Zorn schafft der verachtete Gastgeber pure Freude bei denen, die bisher kaum Freude kannten.

Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei. Wir wollen da auch hin, wo der göttliche Zorn eine Welle puren Glücks auslöst. Wir wollen da auch hin, wo wir trotz Erdenschwere in den Himmel tanzen, wo sich die Lebenslust nicht schämen muss, wo wir nicht mehr sein müssen als wir sind, wo es egal ist, wo wir herkommen, welche Sprache wir sprechen, wer wir sind. Wir wollen da auch hin und wir bringen auch unsere Vorfreude mit. Wir bringen unsere Hoffnung mit, unserem Herrn endlich alle Fragen stellen zu können, die uns bisher gequält haben. Wir bringen unsere Wehmut über die verlorene Zeit mit. Wir bringen unsere Schuld mit. Wir bringen unsere Sehnsucht nach Frieden mit. Sind wir nicht angemessene Ersatzgäste? Passen wir nicht gut zu denen, die bisher nur Hunger kannten? Wir kommen. Sag Bescheid, Bote, sag Bescheid, wir kommen so schnell es geht.

Hat das Mahl schon begonnen? Nein, es hat noch nicht begonnen. Der Bote ist noch unterwegs. Auf den Straßen, in Zügen, auf Plätzen, in Foren und Netzwerken, an den Raststätten, Flughäfen, Lagern, auf den Schiffen übers Mittelmeer, im Jobcenter, unter den Brücken. Der Bote muss noch weiter.

Bevor die Sonne untergeht wird unser Herr das Mahl nicht beginnen lassen. Solange können wir mit dem Boten zusammen unterwegs sein. Zwischendurch müssen wir uns noch stärken. Brot und Wein haben wir dabei. Wenn die Sonne untergeht, werden wir rechtzeitig an Ort und Stelle sein. Sicherheitshalber achten wir auf den Boten und hören, auf ihn. Wenn er dann sagt: Kommt, es ist alles bereit, dann werden wir mit ihm bei seinem und unserem Herrn ankommen und essen, trinken, tanzen, jubeln.

Amen.

 

Perikope
14.06.2015
14,15-24

Einmal ist es zu spät – darum kommt, denn es ist alles bereit!- Predigt zu Lukas 14,15-24 von Dieter Splinter

Einmal ist es zu spät – darum kommt, denn es ist alles bereit!- Predigt zu Lukas 14,15-24 von Dieter Splinter
14,15-24

Einmal ist es zu spät – darum kommt, denn es ist alles bereit!

(In der Lutherbibel ist der Text überschrieben mit "Das große Abendmahl") 15 Als aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! 16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. 17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! 18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen. 21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. 24 Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.

I.

Liebe Gemeinde!

„Kommt, denn es ist alles bereit!“ Das große Fest ist vorbereitet. Die Speisen stehen schon auf dem Tisch. Saftiger Braten, geräucherter Fisch, leckere Beilagen, frisches Obst und kühler Wein sind für die Gäste vorbereitet. Dem Gastgeber selber läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Die Musiker stimmen bereits ihre Instrumente. Sie trinken schon einmal ein Glas Wein, um sich selber in Stimmung zu bringen. Der Gastgeber gibt die letzten Anweisungen. Auf einem Tisch soll noch mehr Brot stehen, auf einem anderen  mehr Wein. Zudem lässt er noch Fackeln im Garten und Lampen im Haus anzünden.  Zum Fest gehört eine  Festbeleuchtung, besonders am Abend. Und dann schickt der Gastgeber den Boten los. Der soll nun die Geladenen zu Tisch bitten: „Kommt, denn es ist alles bereit!“

Einst war das so üblich. Einige Zeit vor dem großen Abendmahl hatte ein  Bote schon einmal eine Einladung ausgesprochen. Er hatte den Geladenen Zeit und Ort für das Fest mitgeteilt. Offenbar hatte da keiner der Eingeladenen gesagt: „Es tut mir leid! Ich kann nicht kommen!“ So rechnet der Gastgeber fest mit allen, die er eingeladen hat. Doch dann hagelt es kurzfristig Absagen. „Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen.“ Die Gründe klingen vernünftig. Aber sind sie es? Kein Bauer kauft unbesehen einen Acker. Vielmehr wird er vor dem Kauf wissen wollen, wo das Feld liegt und welchen Ertrag es bringt. Auch der zweite Landwirt hat sicher die fünf Ochsengespanne vor ihrem Erwerb begutachtet. Wozu muss er sie nun ein zweites Mal anschauen? Und schließlich der dritte der Eingeladenen: Er hat vor einiger Zeit geheiratet. Er hätte seine Frau zum Fest mitbringen können. Doch entscheidet er sich anders und bleibt mit ihr zu Hause.

In der Tat – auf die Entscheidung kommt es an! Es geht um die Frage: Welche Freude ist mir wichtiger? Die Freude am erworbenen Land, die Freude am Fuhrpark, also am Besitz? Die ehelichen Freuden? Oder ist mir die geteilte Freude wichtiger? Das gemeinschaftliche Miteinander? Denn eines ist klar: Das Fest kann nur gelingen, wenn die Eingeladenen kommen. Die Eingeladenen, die absagen, haben sich gegen das Miteinander entschieden. Sie haben sich für ihre eigene, stille Freude entschieden.

Nun könnte man fragen: Wo ist das Problem? Die beiden Bauern haben für den Besitz, den sie erworben haben, hart gearbeitet. Warum sollen sie sich nicht an ihrem Erfolg freuen? Zudem werden die Früchte, die auf dem gerade erworbenen Acker wachsen, Menschen ernähren. Mit den neuen Ochsengespannen, die Lasten ziehen, werden Waren transportiert oder Felder bestellt. Und der Mann, der bei seiner Frau bleibt, sorgt dafür, dass das Leben weitergeht. In neun Monaten werden sich alle darüber freuen. Auch vermeintlicher Egoismus kann Folgen haben, die der Gemeinschaft dienen.

Und doch endet das Gleichnis, das Jesus erzählt, schroff. Der Gastgeber aus dem Gleichnis erteilt denen, die ihre Teilnahme an seinem Fest abgesagt haben, seinerseits eine Absage: „Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.“

II.

Diese schroffe Absage kann erschrecken. Doch genau das meint das Gleichnis Jesu:  Einmal ist es zu spät! Es ist möglich, den Zeitpunkt für ein gelingendes Miteinander zu verpassen! Gerade die Leistungsträger in einer Gesellschaft laufen Gefahr, diesen Zeitpunkt zu versäumen. Sie sind mit ihren Geschäften beschäftigt. Darüber verlieren sie das Ziel aus den Augen: Freude braucht Gemeinschaft. Das Leben gelingt, wenn das Miteinander gelingt. Wer dazu eingeladen worden ist, durch Anwesenheit seinen Teil zum Gelingen dieses Miteinanders beizutragen, kann nicht durch Abwesenheit glänzen. Es stimmt also, was der Volksmund sagt: „Geteilte Freude ist doppelte Freude. Und geteiltes Leid ist halbes Leid!“ Zum Teilen sind dann besonders jene eingeladen, die auch etwas teilen können! Ihre Teilnahme am Teilen ermöglicht anderen erst die Teilhabe!

Einmal ist es zu spät! Die schroffe Aussage am Ende des Gleichnisses Jesu lenkt

schließlich den Blick auf das Reich Gottes. „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“ Das sagt einer zu Jesus. „Gewiss,“ -  entgegnet dieser mit seinem Gleichnis - „doch er tut es nicht allein!“ In Reich Gottes sitzen alle am Tisch der Geschwisterlichkeit. Das  Miteinander dort ist wie ein Festmahl am Abend. Alles dafür ist vorbereitet. Es wird herzlich dazu eingeladen: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Diese Einladung ergeht vor allem an die Starken. Dass sie eingeladen sind, wird im Gleichnis besonders betont. Denn gerade die Starken, so das Gleichnis, stehen in der Gefahr, das Reich Gottes aus den Augen zu verlieren. Wer viel hat, kann immer sagen: „So schön wie hier, kann es im Himmel gar nicht sein!“

So kommen dann die zum Zuge, die dem in Jesus Christus Mensch gewordenen Gott ohnehin besonders am Herzen liegen. Als der Knecht mit der Kunde zurück kommt, dass keiner der Eingeladenen kommt, heißt es: „Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein.“

Das kommt schon vorher vor.  Vor den Worten, die wir hier miteinander bedenken, fordert Jesus dazu auf, zu einem Mahl besonders jene einzuladen, die die Einladung nicht erwidern können. Und dann werden die genannt, die der Knecht nun zu Tisch bittet. Als das Haus immer noch nicht voll ist, schickt der Hausherr seinen Knecht noch einmal los, um die Obdachlosen, die Landstreicher hereinzubitten – und ebenso jene, die ganz am Rande stehen. Es sind die, die an den Zäunen hängen und aufgenommen werden wollen.

III.

„Kommt, denn es ist alles bereit! Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist!“ Diese Einladung hören wir, wenn wir in einem Gottesdienst das Abendmahl feiern. „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Wer so zum Abendmahl eingeladen wird, wird immer auch an das große Abendmahl im Reich Gottes erinnert. Das Abendmahl, das wir im Gottesdienst feiern, soll einen Vorgeschmack auf das himmlische und ewige Abendmahl geben. Wir können das Abendmahl im Gottesdienst darum nur feiern, wenn wir die, die am Rande der Gesellschaft stehen oder besondere Hilfe brauchen, nicht aus den Augen verlieren. Jede Teilnahme am Abendmahl erinnert uns daran, dass Teilhabe nur durch teilen möglich wird.

Vielfach geschieht das. So gibt es Vesperkirchen oder Tafeln, die von der Diakonie betrieben werden, um Arme satt zu machen. Es gibt diakonische Einrichtungen für Obdachlose oder kirchliche Einrichtungen für Menschen mit besonderen körperlichen Herausforderungen. Und es gibt, Gott sei Dank, in zahlreichen Gemeinden und diakonischen Einrichtungen Initiativen, um sich der Flüchtlinge anzunehmen, die zu uns kommen.

Die hängen buchstäblich an den Zäunen und wollen aufgenommen werden. Jedenfalls war in Spiegel-online im Oktober des letzten Jahres ein eindrucksvolles Bild zu sehen. Einem spanischen Fotografen war ein  verstörendes Foto an der Grenze von Marokko zur spanischen Exklave Melilla gelungen. Afrikanische Flüchtlinge klettern über den Grenzzaun - während dort Golfer ein paar Bälle schlagen.

„Kommt, denn es ist alles bereit!“  Wer dieser Einladung nicht folgt, wer seine Teilnahme am gelingenden Miteinander verweigert, für den schließt sich die Tür zum Reich Gottes. Einmal ist es zu spät! Das will nicht so recht zum vielfach gepflegten Bild vom „lieben Gott“ passen. Das will nicht passen zu der Aussage: „Langmütig und freundlich ist der Herr, geduldig und von großer Güte!“ All das ist Gott. Doch macht das Gleichnis vom großen Abendmahl deutlich, dass auch Gottes Geduld Grenzen kennt. Das hat Folgen. Verpasste Gelegenheiten kommen nicht wieder – auch und gerade, wenn es um Gott und sein Reich geht.

Wir kennen das aus eigenem Erleben. In der Rückschau wird es besonders deutlich. Da sagt sich der eine: „Wenn ich damals anders entschieden hätte, dann hätte ich nicht die Probleme, die ich jetzt habe!“ Oder die andere denkt sich: „Wenn ich ein anderes Fach studiert hätte, stünde ich jetzt ganz anders da!“ Oder ein Verwandter, ein Bekannter, ein Freund ist schwer krank. Man nimmt sich vor, ihn zu besuchen, findet aber wieder einen Grund, es nicht zu tun. Dann ist es zu spät – und so macht man sich Vorwürfe: „O, hätte ich doch!“

Einmal ist es zu spät! Darum verpasst die entscheidenden Gelegenheiten nicht. Nehmt an einem gelingenden Miteinander teil und ermöglicht so  die Teilhabe für jene, die am Rande stehen. So seid ihr Zeugen für das Reich Gottes und die Tür dorthin wird für euch weit aufgestoßen. Darum kommt, denn es ist alles bereit! Und seid so das, was Jesus euch verheißen hat: Salz der Erde und Licht der Welt! Amen.

Perikope
14.06.2015
14,15-24

Himmlisch unkonventionell! - Predigt zu Lukas 14,16-24 von Claudia Krüger

Himmlisch unkonventionell! - Predigt zu Lukas 14,16-24 von Claudia Krüger
14,16-24

Himmlisch unkonventionell! 

Liebe Gemeinde,

Es könnte sein, dass Sie einmal gefragt werden! Dass Sie gefragt nach Ihren inneren Bildern und Hoffnungen angesichts dessen, was einmal kommt, wenn wir diese Erde verlassen. Freilich, das ist kein alltägliches Thema, und gerne schieben wir solcherlei Fragen auch weit von uns und raunen etwas irritiert: „Das hat hoffentlich noch lange Zeit!“

Und doch: es könnte sein, dass wir gefragt werden! Am Krankenbett einer lieben Freundin oder eines Angehörigen: „Was glaubst Du, kommt etwas oder nichts, wenn ich jetzt bald gehe?! Und wenn ja, wie wird es sein?“

Und ganz unabhängig davon, ob wir glauben können, dass es eine Auferstehung, ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht, so können wir uns nicht einfach aus der Verantwortung stehlen und mit einem Schulterzucken oder einem dürren: „keine Ahnung, ich weiß es auch nicht…“ einen Menschen sich selbst und seiner Frage überlassen.

Berthold Brecht hat in seiner Hauspostille ernüchternde Worte gefunden:

 „Lasst euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen,
Ihr könnt schon Nachtwind spüren
Es kommt kein Morgen mehr.“ –
So die erste Strophe. Die letzte Strophe endet mit dem schmallippigen Satz:
„Ihr sterbt mit allen Tieren
und es kommt nichts nachher“.

Das ist zu wenig - meine ich. Ein dicker Punkt am Schluss. Dunkles Nichts. Wenigstens ein Fragezeichen könnte am Schluss stehen, oder ein Fragezeichen kombiniert mit einem vagen Doppelpunkt. Wenigstens das.

Wir sind auch uns selbst eine Antwort schuldig. Und wir sind einander eine Antwort schuldig.

Wir könnten nachfragen, ob es Bilder und Hoffnungen gibt, die der Kranke in sich trägt oder ob es eine Vision gäbe, wie das für ihn oder sie im besten Falle aussehen könnte oder was sich jemand im tiefsten Herzen wünschen würde.

Vielleicht ein Sein oder Nicht-mehr-Sein immerhin ohne Schmerz und Leid, ein Sein in der Geborgenheit einer großen göttlichen Liebe, ein Gehen in ein helles freundliches Licht, wie es häufig in der Bildenden Kunst dargestellt ist. Ich meine, wir sind geradezu dazu verpflichtet, wenigstens einige Bilder und Hoffnungen anzubieten, darunter auch Bilder und Geschichten aus der Bibel. Egal, ob wir sie uns zu Eigen machen können oder nicht, wir sollten sie wenigstens kennen und sie einem suchenden Menschen anbieten können. Da sind die kostbaren Auferstehungsgeschichten mit den Engeln am leeren Grab. Da ist die Rede von den Wohnungen Gottes, in welchen Christus uns selbst einen Platz bereitet hat. Da malt uns die Offenbarung das Bild vom himmlischen Jerusalem, einem Ort, an dem es kein Leid und keinen Schmerz und keine Tränen mehr gibt und wir in der unmittelbaren Nähe Gottes uns auf immer geborgen wissen. Es gibt noch viele kostbare Bilder – das Erblicken Gottes von Angesicht zu Angesicht, das Sitzen im Schoße Abrahams. Welches wäre mein Bild, meine innere Vision, was wünsche ich mir?

In unserem heutigen Predigttext geht es um die Frage nach dem Reich Gottes. Es geht um das, was kommen wird, dermal einst. Aber es geht gleichzeitig auch um das, was bereits mit Christi Kommen angebrochen ist, was sich mit ihm in dieser Welt schon heilsam und hoffnungsvoll verändert hat. Und eben auch darum, was wir Menschen tun können, um im Sinne Christi ein Stück Himmel auf Erden beharrlich durchzusetzen. Jede und jeder an ihrem und seinen Ort.

Wir erfahren in unserer Geschichte aus dem Lukasevangelium:

Himmlisch unkonventionell geht es im Reich Gottes zu!

Gottseidank!

Das Gleichnis Jesu vom Reich Gottes steht im Zusammenhang einer theologischen Auseinandersetzung Jesu mit Pharisäern und Schriftgelehrten. Wichtige kluge Leute. Honoratioren. Ehrengäste, man kennt sich. Glaubensexperten. Gesetzestreue.  Zum Essen war er geladen im Haus eines Oberen der Pharisäer. Vornehm wird es zugegangen sein. Höflichkeit und Etikette werden gewahrt, selbstverständlich! Aber argwöhnisch stellen sie ihn auf die Probe, sie „belauerten ihn“, heißt es in der Lutherübersetzung. Wir kennen das: Freundliche Minen, aber dahinter finstere Gedanken, wie man jemanden bloßstellen und eines Fehlers überführen könnte. Geistige oder geistliche Überlegenheit demonstrieren, so ganz nebenbei. Machtspiele, bisweilen ganz subtile.

Jesus aber lässt sich nicht beirren, er heilt am Sabbat, nachdem auf seine Frage, ob es am Sabbat erlaubt sei, zu heilen – nur vielsagendes Schweigen kommt. Er heilt. „Wer ist unter euch, dem sein Sohn oder sein Ochse in den Brunnen fällt und der ihn nicht alsbald herauszieht, auch am Sabbat?“  

So schlicht sind mitunter scheinbar hochkarätige theologische Fragen zu lösen.

So menschenfreundlich. Die Liebe wird eindeutig der Gesetzestreue übergeordnet.

Die Anwesenden schweigen dazu. 

„Sitz- und Rangordnung“ ist das nächste Thema. Jesus stellt fest, dass die anwesenden frommen Leute, wie alle anderen auch, gern den besten Platz einnehmen möchten, aber

die Sucht nach Ehre vergiftet alle Gemeinschaft. Er stellt die himmlische Ordnung dagegen: „Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.“ Irritierend. Himmlisch anders: Ehrung von Gott erhält nur der, er unten am Tisch sitzt und sich gerade keiner Ehrung für wert hält. Ehre von Gott bekommen wir Menschen durchaus, aber unberechenbar, unverdient, aus reiner Gnade. Aus göttlicher Liebe.

Und dann wird es noch unkonventioneller, wenn Jesus zum Gastgeber sagt:

„Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten, es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“

Eine Zumutung. Heute wären es Bootsflüchtlinge, körperlich Entstellte, geistig Behinderte, Geschlagene und Missbrauchte. Obdachlose, Bettler dort in den Fußgängerzonen und unter den Brücken. Kinder, deren Blick keinerlei Hoffnung mehr spiegelt. Alte Menschen, die vor dem Fernseher einsam verelenden. Und je mehr wir nachdenken, und je achtsamer wir uns umblicken, desto länger könnten wir die Reihe derer fortsetzen und erschrecken darüber.

Sie alle können eine Einladung nicht erwidern, geschweige denn diese überbieten. Sie können nichts zurückgeben, denn sie haben nichts.

Tischgemeinschaft ist im Orient ein Bild engster Freundschaft. Auch Jesus selbst ist eingeladen und nicht in der Lage, eine Gegeneinladung auszusprechen. Selig preist er den Gastgeber, weil er mit dieser Einladung an ihn die starre weltliche Ordnung durchbrochen hat, in der alles auf Leistung und Gegenleistung zielt. Daraufhin greift einer der Gäste die Seligpreisung des Gastgebers auf und weitet sie aus: Selig, wer das Brot isst im Reich Gottes.“ Er hat verstanden, dass es hier und jetzt bei diesem Essen am Sabbat um das Reich Gottes geht. Und Jesus erwidert ihm und den anderen Gästen:

Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen:  Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen, ich bitte dich, entschuldige mich. Und der zweite sprach: ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen, ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: ich habe eine Frau genommen, darum kann ich nicht kommen.

Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach:  Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast, es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.

Ich gehe gerne auf Feste, wo es ein gutes Essen, kostbare Begegnungen und gute Gespräche gibt. Ja, wer ginge nicht gerne auf ein Fest! Noch dazu zu einem Gastgeber, der wirklich alles daran setzt, dass es ein besonders schönes Fest wird und: der es an nichts fehlen lässt!

Nichts schien dagegen zu sprechen, die Einladung anzunehmen. Sonst hätte man das ja bereits getan, nachdem man die Einladung bekommen hatte. Gründe gibt es ja durchaus, eine Einladung auch abzulehnen. Man fürchtet, es kämen Menschen, mit denen man nicht recht ins Gespräch kommt. Man ist vielleicht dem Gastgeber nicht allzu sehr verbunden ist oder mutmaßt, dass manche einem durch ihre ewig gleichen Geschichten oder ihr Gehabe gewaltig auf die Nerven gehen.

Diese Einladung aber schien verlockend! Auf solch ein Fest freut man sich lange im Voraus und hält sich den Termin frei von anderen Verpflichtungen. Und wie in der damaligen Zeit üblich, ergeht kurz vor dem Fest noch einmal eine persönliche Erinnerung. Ganz und gar ungewöhnlich ist aber nun das Verhalten der geladenen Gäste. Für sich genommen sind die einzelnen Motive und Entschuldigungsgründe durchaus begreiflich: Stress in der Arbeit, dringende Geschäfte, familiäre Beweggründe. Ackerkauf, Ochsengespanne, eine junge Ehefrau, die man aber schließlich auch mitbringen könnte. Aber im Gesamtzusammenhang sind die Absagen weder begreiflich noch vernünftig, sondern geradezu anstößig.

Die Erzählung handelt, wenn Jesus sie erzählt, nicht von einem menschlichen Gastgeber, sondern von Gott. Und ihm gegenüber verhalten wir Menschen uns manchmal ganz und gar unverständlich, stellen die Notwendigkeiten des Alltags über das Fest der Gegenwart Gottes, und halten womöglich die Einladung für einen Dauerkarte, die man auch später noch nutzen könnte. Wir merken nicht, dass gerade jetzt der Moment ist, nichts anderem als dieser Einladung zu folgen! Es gibt keinen Aufschub! Gott gibt sich die Ehre. Wir sollten seine Ehre nicht verletzen!

Die Antwort  Gottes auf die Meldungen seines Knechtes ist Zorn! Aber, erstaunlich: der Zorn führt nicht, wie beim menschlichen Kränkungen, zur Absage des Festes. Nicht wie bei den Großen und Kleinen dieser Welt. Im Gegenteil! Er folgt einer anderen Logik. Er folgt der Logik der Liebe. Und die ist, wie wir ja schon festgestellt haben, ganz und gar unkonventionell. Himmlisch anders. Hat einen langen Atem.

Das Fest Gottes findet statt, allem zum Trotz! Es muss unbedingt stattfinden. Seine Liebe zu uns Menschen muss unbedingt gelebt und gefeiert werden. Sie duldet keinen Aufschub, keine Absage.

An die Stelle der zuerst Geladenen treten nun andere Gäste. An ihnen wird deutlich, wie wenig angewiesen der Gastgeber auf den Wert und Rang seiner Gäste ist. Jesus selbst sitzt ja bereits bei Zöllnern und Sündern. Mit ihm hat das Fest schon längst begonnen, ist das Reich Gottes angebrochen! Und nach dieser Regel werden nun Menschen eingeladen, die sonst keinen Platz in der feinen Gesellschaft haben: Blinde, Lahme, Krüppel, Mittellose. Dem Gastgeber kommt es einzig und allein darauf an, die Tafel zu besetzen und sei es durch Leute von der Straße und aus den finstersten Gassen und den stinkenden Unterführungen. Mehr noch: sogar die von den Landstraßen und Zäunen und den Booten auf dem Mittelmeer, die Allerletzten der Aussichtslosen sind eingeladen, auf dass sein großzügiges reiches Haus voll

werde! Ein Gastgeber, der sich, wer weiß, wenn sein Zorn verflogen ist,  sich doch noch selbst derer in Gnade erbarmen könnte, die seine Einladung ausgeschlagen haben?!

Sie sollen kommen, die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Juden und Heiden, die Völker weltweit, die Promovierten und die Einfältigen, die Taktierer und die mit Herzensbildung, die zweifelnden Mittelalterlichen, so viele, die auf Platz – und Sinnsuche sind. Alle eben, die der Liebe bedürfen. Und solcher Liebe bedürfen wir doch alle! Junge wie Alte. Arme wie Betuchte, gepiercte Tätowierte und die in feinen Stoffen. Vernachlässigte und gequälte Kinder ganz besonders, aber auch all die Satten Sinnentwöhnten. Wir sehnen uns nach Liebe, die maßlos und bedingungslos ist, die jeden und jeden wahrnimmt. Die wirklich sieht: nur dich, nur mich, „mich ganz allein“, wie Kinder manchmal selig sagen.

Wir sehen uns nach einem Gott, der  mir und dir, jedem und jeder nachläuft. Unermüdlich.

Liebe Gemeinde: bei wem sonst wären wir gleichermaßen bedingungslos geliebt?!

Welch ein grandioses Willkommen-Sein, welch übergroße Liebe, die uns nun aber auch dazu drängen müsste, das wir unsererseits Menschen die Freundschaft zu bieten, die üblicherweise nicht mit uns verkehren. Jetzt gilt es, Gottes bedingungslose Liebe zu teilen, und darin alle erfahrene göttliche Liebe weiter zu geben. Überwältigend. Maßlos. Jeder und jede auf eigene Weise.

Der Gastgeber kommt zum Ziel: das Haus wird voll!

Das Fest gelingt, weil die Gäste gerne kommen. Sie haben nichts zu besorgen und insofern nichts zu versäumen. Sie sind ganz und gar präsent. Sie sind präsent, wie nur Kinder es in vollkommener Weise sein können: im Glück seliger Selbstvergessenheit.

Im Moment absoluter Freiheit und vollkommener Erfüllung. Menschen, die dem Druck der Zeit und der Verpflichtungen entnommen sind. Ja, der  Feiernde ist ein Urbild des freien Menschen.

Und wir alle sind einladen, frei oder wenigstens freier zu werden, um aus der Fülle gegebener Zeit zu leben, hier und jetzt.

 Das Fest Gottes geht weiter! Es geht dort weiter, wo Liebe unter den Menschen gelebt wird, fassungslos großzügig, bedingungslos und ohne nach Gegenleistung zu fragen.

Wer sich aus den Verpflichtungen lösen kann und feiert, der hat auch wieder Kraft für die alltäglichen Herausforderungen.

Das Fest Gottes geht weiter, das Fest der Liebe,  das Lied der Liebe in unseren Herzen.

Und das soll kräftig weiter klingen in Ohren und Herzen der Menschen!

Auf einem Glasfenster in einer kleinen Krankenhauskapelle ist das große Festmahl wunderbar dargestellt. Dort ist der Tisch nicht nur in einem hellen strahlenden Saal festlich und überreich gedeckt, sondern dort hängen auch Instrumente, Geigen, Flöten Harfen. Alles ist voll von Musik und Lachen, das Lied der Liebe spielt im Herzen, fröhliches Sitzen am Tisch Gottes, neben geliebten Menschen und in Gottes Nähe.

Für mich ist das auch ein Bild für die Zukunft im Reich Gottes, wenn es einmal vollendet sein wird. Zu sagen: nichts kommt. Dunkel. Schluss.

Das ist zu wenig. Gebt hungrig fragenden Menschen ein Bild mit vom gedeckten Tisch, dem übervollen Tisch, an dem Gottes Freude  Raum nimmt und die Liebe alles erfüllt.

Dort mögen wir einmal alle einen Platz finden, an dem wir ohne Wenn und Aber aus tiefstem Herzen willkommen sind und selige Freude herrscht.

Vielleicht müssen wir dafür wieder werden wie die Kinder. Müssen einfach der Einladung folgen: “Kommt, denn es ist alles bereit.“ „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen sei, ich will euch erquicken. „ Vielleicht können wir wie Kinder voll Vertrauen den offenen Armen eines liebenden Vaters entgegen eilen. Uns selig aufheben und herumwirbeln lassen. Und dann mit strahlenden Augen sitzen an seinem Tisch, bedingungslos geliebt. Amen.

Vorschlag: Lied: 222

Perikope
14.06.2015
14,16-24