Eine Geschichte vom Loslassen - Predigt zu Lukas 15,11b-24 von Thomas Volk
Eine Geschichte vom Loslassen
Liebe Gemeinde!
Können Sie leicht „loslassen“?
Wir müssen das ja immer wieder im Leben, „loslassen“. Die Kinder, die aus dem Haus gehen. Menschen, die mit uns das Leben geteilt haben und mit einem Mal nicht mehr für uns da sind. So manchen Sport, weil es gesundheitlich nicht mehr geht oder einfach zu anstrengend geworden ist. Die vertraute Wohnung, in der man so gerne gelebt hat. Oder den großen Lebenstraum, den man nicht mehr erreicht.
Haben Sie schon einmal einen Hund beobachtet, wie er sich in ein Stock verbissen hat? Man kann noch so viel einreden und versuchen, den Stock herausziehen, aber es geht nicht. Uns kann es ganz ähnlich gehen. Auch wir können uns sozusagen in etwas verbeißen.
In einen Streit, der zwar vorbei ist, den wir immer wieder auftischen, weil wir so gekränkt worden sind.
In die feste Meinung, wir müssten den Garten jedes Jahr aufs Neue mit der gleichen Anstrengung bewirtschaften und dabei spüren wir genau, dass es von Jahr zu Jahr mühsamer wird.
Und manche halten an der Illusion fest, die Partnerin würde wieder zurückkommen und wissen eigentlich nur zu gut, dass diese Beziehung unwiderruflich zu Ende ist.
Dabei gehört das Loslassen zum Leben dazu. Jede und jeder von uns muss ganz unterschiedliches Loslassen: Menschen. Lebensformen. Auch Ansichten und Einstellungen.
Wir müssen sogar loslassen, ob wir wollen oder nicht. Oft werden wir nicht einmal gefragt. Unser Leben gleicht einem andauernden Umzug. Wir ziehen nicht nur von einem Ort zum nächsten, auch von einem Lebensabschnitt in den anderen und können nicht immer alles mitnehmen, was uns wichtig ist.
„Loslassen“ ist schwer. Ärzte und Psychologen können eine Menge davon erzählen, dass viele Krankheiten daher kommen, weil Menschen einfach nicht „loslassen“ können und alles krampfhafte Festhalten sich auf Organe und Muskeln übertragen kann.
Das Schriftwort für den heutigen Sonntag möchte ich Ihnen unter diesem Blickwinkel des Loslassens auslegen. Es handelt sich um das bekanntes Gleichnis vom „barmherzigen Vater“. Hören Sie aus dem 15. Kapitel des Lukasevangeliums.
Und er [Jesus] sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne.
Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.
Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.
Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben
und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.
Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.
Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!
Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.
Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!
Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.
Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße
und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!
Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.
Eine Geschichte vom "Loslassen".
Als erstes muss der Vater loslassen. Seinen jüngeren Sohn. Er will unbedingt von zu Hause weg. Jeder von uns kann sich ausmalen, was es für den Vater bedeutet, wenn er "Hab und Gut" (V.12) unter den Söhnen aufteilen muss. Dabei hat sich der Vater das alles ganz anders ausgemalt. Jetzt muss er den Sohn ausbezahlen. Ob das Geld reicht? Auch nach einiger Zeit? Auf beiden Seiten?
Ganz zu schweigen davon, wie menschlich schwer es ist, wenn jemand aus der Familie einfach so geht. Von heute auf morgen. Ohne genauen Plan. Ohne konkretes Ziel. Einfach so ins Ungewisse hinein.
Kein Wunder, dass es dem Vater schwerfällt "loszulassen", weil so viele offene Fragen da sind und niemand sagen kann, wie es jetzt weitergeht.
Auch der Sohn, der geht, muss loslassen. Er kann scheinbar gerne loslassen. Er sammelt alles zusammen und geht in ein fernes Land, schreibt Lukas. Endlich, so denkt er vielleicht. Endlich habe ich mich losgesagt von dem, was mir zu eng geworden und was mir schon lange gegen den Strich gegangen ist. Loslassen ist gar nicht schwer, mag er sich denken. Einfach auf und davon. Was kostet die Welt?
Wir, die wir die ganze Geschichte kennen, können an dieser Stelle einhaken und zu Recht einwenden: Offensichtlich ist nicht nur das "Loslassens-Müssen" schwierig, sondern auch das vermeintliche leichte, “überstürzte Loslassen". Wie leicht kann man auch in ein tiefes Loch fallen, wenn man alles auf einmal aufgibt, was getragen und Sicherheit gegeben hat, Und wie schnell kann man in einer fremden und unüberschaubaren Welt stolpern, weil man sich einfach nicht zurechtfindet.
Woche für Woche schauen Millionen von Menschen Sendungen wie „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer“ oder „Auf und Davon“, weil sie einerseits fasziniert sind, wie leicht andere Brücken abreißen können, andererseits aber - wenn die Schwierigkeiten im neuen Leben überhand nehmen - bestätigt werden: „Nein, so möchte ich nicht leben! Gut, dass ich nicht so leicht loslassen kann und will!“
Wie man „angemessen“ loslassen kann? Ohne dass es weh tut? Oder man selbst verkrampft?
Es gibt kein Patentrezept. Wie wir alle ganz unterschiedlich ist, so verschieden sind auch unsere Gewohnheiten, auf Abschiede, auf Trennungen oder auf Neustarts zu reagieren.
Ich habe aber für mich aus dieser Geschichte einen Anhaltspunkt gefunden, der mir - bei allem, was ich immer wieder loslassen muss - helfen kann, mit neuen Situationen und veränderten Vorzeichen immer wieder doch klar zu kommen.
Es ist der Blick auf jemanden, der in dieser Geschichte auch loslassen muss. Außer dem Vater und dem Sohn. Es ist Gott. Auch er muss loslassen. Uns Menschen.
Diese Geschichte zeigt mir, wie Gott es macht. Er lässt uns einfach gehen und machen. Und riskiert damit viel. Gott zwingt uns Menschen nicht - weder zum Glauben an ihn, noch zum Einhalten irgendwelcher Gebote oder Lebensformen.
Er wagt sogar viel, wenn er uns die Freiheit lässt. Denn wir könnten alles, was uns gelingt, auf unsere Fahnen schreiben und ihn für all das, was uns misslingt, verantwortlich machen. Und wir könnten alle Freiheiten, die wir haben, auch ausnutzen und alle guten Sachen für selbstverständlich halten.
Das ist das Wagnis Gottes, dass er sich so auf uns Menschen einlässt und uns zugleich uns loslässt, damit wir auch ganz anders leben können.
Aus der Art und Weise, wie Gott mit uns Menschen umgeht, entnehme ich: Zum Loslassen gehört immer auch das sich einlassen: Auf neue Lebenswege. Auf einen neuen Beruf. Auf eine neue Umgebung. Auf andere Menschen.
Auch wenn die spannende Auswanderergeschichte des „jüngeren Sohnes“ beinahe wirklich tragisch geendet hätte, macht dieses Gleichnis Mut, sich auf neue Lebensbedingungen oder Zustände einzulassen. Denn es spricht von Gott als einem „barmherzigen Vater“, der auch dann da ist, wenn es ganz anders gekommen ist, als man es sich je ausgemalt hat.
Der neue Wochenpsalm geht sogar noch einen Schritt weiter. Er spricht davon, dass Gott sich richtig freut, wenn Menschen sich gerade dann, wenn das Loslassen völlig außer Kontrolle geraten ist, noch an ihn erinnern und sich an ihn wenden.
„Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Psalm 103,2)
Vielleicht hat sich der Psalmbeter auch erinnert, dass Gott schon oft in den entscheidenden Momenten da gewesen ist:
Dass ich diese Sache angepackt und dann doch bewältigt habe, das habe ich nicht alleine geschafft.
Dass mir dieser Geistesblitz durch den Kopf geschossen ist und die rettende Idee da war konnte, das kam nicht aus mir heraus.
Und dass ich diese neue Situation durchgestanden habe, das habe ich nicht mit meinen Kräften alleine zu Stande gebracht.
Dass Gott bei allem freiwilligen oder unfreiwilligen Loslassen da ist und alle neuen Wege mitgeht, das ist die Verheißung dieses Gleichnisses, das uns Mut machen möchte, immer wieder loszulassen, weil sich nicht nur Leben immer wieder ändert, sondern wir auch mit ihm.
Wir können uns doch nicht aus Angst vor jeder Form von Veränderung verschreckt zurückziehen. Oder ständig darauf bedacht sein, nur keinen Fehler zu machen.
Gott selbst ist jedenfalls einen anderen Weg gegangen. Er hat mutig das Loslassen zugelassen. Er hat sich auch auf die Menschen eingelassen, die sich losgesagt haben, auch wenn dabei manche Wege, wie bei dem Sohn in der Geschichte, beinahe mit einer Katastrophe geendet hätte oder in der Entzugsanstalt oder in der Klinik.
Der Gott, der weiß, wie schwer alles Loslassen ist, macht uns Mut, sich immer wieder auf Neues einzulassen, auch wenn wir vielleicht manchen Weg noch nicht kennen oder noch nicht genau ausmachen können, was wir einmal in den Händen halten werden. Aber wir brechen nie alleine zu neuen Ufern auf, gehen nie nur aus eigener Kraft los. Gott lässt sich auf ein neues Kapitel unserer Lebensgeschichte ein und geht mit uns in alle neue Zeit.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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Predigt zu Lukas 15,1-3.11b-32 von Johannes Block
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, heißt es in Goethes Faust. Gegensätze und Ambivalenzen, liebe Freunde, machen gute Geschichten aus. Ohne zwei Seelen in seiner Brust wäre Goethes Faust vermutlich ein harmloser, ein angepasster Zeitgenosse und Charakter geworden. Interessante Figuren und gute Geschichten leben davon, dass zwei Seelen, zwei Wahrheiten, zwei Weltsichten miteinander streiten und ringen. Alles andere wäre einfach und simpel - ohne Drama, ohne Tragik, ohne Entwicklung.
Auch das Gleichnis vom verlorenen Sohn steht in der Gefahr, eine einfache und simple Geschichte zu werden. Die Gefahr besteht darin, dass man im Gleichnis vom verlorenen Sohn allein auf einen Sohn, auf den verlorenen Sohn, blickt. Doch das Gleichnis ist keine ein-fache, sondern eine zwei-fache Geschichte. Denn das Gleichnis erzählt von zwei Söhnen: vom verlorenen Sohn zum einen und vom heimgebliebenen Sohn zum anderen. „Zwei Söhne wohnen, ach! in unserem Gleichnis“.
Gottes Wort ist schärfer als ein zweischneidiges Schwert, heißt es in der Bibel (Hebräer 4,12). Gottes Wort wirkt nicht ein-fach, sondern zwei-fach: Es klagt an und es tröstet, es entlarvt und begnadigt, es richtet und erlöst. Martin Luther sagt, dass Gottes Wort auf zweifache Weise wirke: als Gesetz und als Evangelium. Das Wort Gottes als Gesetz deckt auf und klagt an: den Kleinglauben, die Selbstbezogenheit, die Lüge, die Herzlosigkeit. Das Wort Gottes als Evangelium tröstet und befreit: zum Gottvertrauen, zur Wahrheit, zur Barmherzigkeit, zur Gelassenheit.
Auch das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist ein zweischneidiges Schwert. Es ist keine simple Geschichte, weil wir sie zwei-fach verstehen sollen: als Geschichte vom verlorenen Sohn und vom heimgebliebenen Sohn, als Geschichte im Doppelschritt von Gesetz und Evangelium.
Blicken wir, liebe Freunde, in einem ersten Schritt auf die schöne, die populäre Seite im Gleichnis: Das ist die Geschichte des verlorenen Sohnes, in die das Evangelium eingwickelt ist!
I.
Jesus erzählt das Gleichnis vom verlorenen Sohn, um eine Gotteswahrheit zu veranschaulichen: Gott ist ein Liebhaber des Lebens; deshalb vergibt er allen, die reumütig erkennen, dass sie mit Worten und Taten Leben zerstören. Gott „nimmt die Sünder an“, heißt es in der Hinführung zum Gleichnis.
Man kann Leben zerstören durch Taten, indem man die Umwelt zerstört und Lebensräume asphaltiert, indem man tötet, Tiere schlachtet und Menschen abschlachtet. Und man kann Leben zerstören durch Worte, indem man lügt, Vertrauen zerstört, indem man Freundschaft mißbraucht und Beziehungen aufkündigt:
Der jüngere Sohn sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.
Der Sohn kündigt die Beziehung auf, weil er den Vater als Mittel zum Zweck mißbraucht: als bloßen Erblasser. Das ererbte Geld wird mißbraucht, weil es ohne Verantwortung verprasst wird. „Eigentum verpflichtet“, heißt es deshalb im Grundgesetz. Aus dem einen verlorenen Sohn sind mittlerweile viele verlorene Söhne und Töchter geworden, die ihre Schätze und Reichtümer allein für sich selbst verbrauchen wollen. Das private Leben und das persönliche Wohlergehen sind für viele wichtiger als die Verantwortung für die öffentliche Sache – für die res publica. Vereine, Chöre, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und andere haben bereits viele Söhne und Töchter verloren – und verlieren Jahr um Jahr weitere. Dem verlorenen Sohn ist die eigene Freiheit und Selbstverwirklichung wichtiger als ein Leben in Verantwortung und in Beziehung: zum Vater, zum älteren Bruder, zum Gesinde im Haus und zum Vieh auf dem Hof.
Gott vergibt dem Sünder, weil Gott ein Liebhaber des Lebens ist. Gott feiert ein Fest, weil ein Mensch wieder in’s Leben gefunden hat: in’s Vertrauen, in die Beziehung, in’s Miteinander. Wenn man im dämmernden Morgenlicht das Gesicht seines Mitmenschen erkennt, dann beginnt das Leben, sagt ein jüdisches Sprichwort. Der heimgekehrte, der in’s Leben zurückgekehrte Sohn ist dem Vater wichtiger als das verlorene Erbe und Geld. Gott zahlt einen hohen Preis. Er tauscht das verlorene Geld gegen den verlorenen Sohn. Gott zahlt den Preis, weil er ein Liebhaber des Lebens ist.
Die Energie, die den verlorenen Sohn nach Hause führt, ist die Güte des Vaters, an die sich der Sohn in seiner Not erinnert:
Da ging der Sohn in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!
Der Entschluss und Mut zur Rückkehr gründet in der Erinnerung an die himmlische Güte: Gott gewährt Leben, Gott erhält am Leben, Gott gibt Brot in Fülle. Das ist das schöne Evangelium im Gleichnis: Gott regiert, indem er gütig ist; Gott richtet, indem er vergibt; Gott ruft nach Hause, indem er seine Gaben austeilt und den Tisch deckt.
Manchmal schreibt sich das Evangelium Gottes in unserer Welt weiter. Üblicherweise gelten das Gesetz und die Strafe, die Macht und die Autorität, die Ordnung und die Disziplin. „Ohne Fleiß keinen Preis“ – das gilt erst recht in Sachsen-Anhalt, im Land der Frühaufsteher! Doch manchmal fällt ein himmlischer Schein des Evangeliums in unsere Welt. Das geschieht dann, wenn die Güte und Liebe es vermag, über Fehler und Schwächen hinwegzusehen, ein Auge zuzudrücken, das Leben wichtiger als das Geld und den Menschen wichtiger als dessen Schuld zu nehmen. Vor einiger Zeit habe ich von folgender Geschichte gehört, die ein weitgereisender Weltenbummler erzählte:
„Bei einer Zugfahrt saß ich neben einem jungen Mann, der sehr bedrückt wirkte. Nervös rutschte er auf seinem Sitz hin und her, und nach einiger Zeit platzte es aus ihmn heraus: Dass er ein entlassener Häftling sei und jetzt auf der Fahrt nach Hause.
Seine Eltern waren damals bei seiner Verurteilung tief getroffen. Im Gefängnis hatten sie ihn nie besucht, nur manchmal einen Weihnachtsgruß geschickt. Trotzdem, trotz allem hoffte er nun, dass sie ihm verziehen hätten. Er hatte ihnen geschrieben und sie gebeten, sie mögen ihm ein Zeichen geben, an dem er, wenn der Zug an dem kleinen Bauerngehöft kurz vor der Stadt vorbeiführe, sofort erkennen könne, wie sie zu ihm stünden. Hätten sie ihm verziehen, so sollten sie in dem großen Apfelbaum an der Strecke sichtbar ein gelbes Band anbringen. Wenn sie ihn aber nicht sehen wollten, brauchten sie gar nichts zu tun. Dann werde er weiterfahren, weit weg.
Als der Zug sich seiner Heimatstadt näherte, hielt er es nicht mehr aus, brachte es nicht über sich, aus dem Fenster zu gucken. Ich tauschte den Platz mit ihm und versprach, auf den Apfelbaum zu achten. Und dann sah ich den Apfelbaum: Der ganze Baum – über und über mit lauter leuchtenden gelben Bändern behängt!
‚Da ist er!’, flüsterte ich, ‚alles in Ordnung!’ Er sah hinaus, Tränen standen ihm in den Augen. Mir war, als hätte ich ein Wunder miterlebt.“
Manchmal schreibt sich das Evangelium Gottes in unserer Welt wundersam weiter: wenn verlorene Söhne und Töchter wieder in’s gemeinsame Leben finden; wenn die Güte einen Menschen wichtiger nimmt als dessen Fehler. Dann kommt es zu Geschichten, in die das Evangelium eingwickelt ist!
Blicken wir, liebe Freunde, in einem zweiten Schritt auf die unschöne, die unpopuläre Seite im Gleichnis: Das ist die Geschichte des heimgebliebenen Sohnes, in die das Gesetz eingwickelt ist!
II.
Die unschöne, die unpopuläre Seite im Gleichnis wird häufig übersehen und gern verdrängt: Das ist die Eifersucht des heimgebliebenen Sohnes. In der Eifersucht des heimgebliebenen Sohnes entlarvt sich ein Wesenszug des ganzen Menschengeschlechtes: Gottes Gnade für andere macht eifersüchtig. Das ist eine tief eingefleischte, geradezu urtümliche Mitgift der Menschheit, von der die biblische Urgeschichte erzählt:
Es begab sich, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.
Das ist die unschöne, die unpopuläre Seite im Gleichnis, die häufig übersehen und gern verdrängt wird: die Eifersucht auf den Erfolg des anderen. Der Andere hat den besseren Arbeitsort, das höhere Gehalt, das größere Auto, die bessere Idee, die erfolgreicheren Kinder, die glücklichere Partnerschaft, den höheren Stimmenanteil bei der Wahl, den größeren Einfluss. Gottes Gnade für andere macht eifersüchtig:
Der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.
Alles hat seine zwei Seiten. Auch die Gnade Gottes kommt nicht einfach problemlos zur Welt. Sie löst Eifersucht aus. Sie hat Konsequenzen: Die Gnade Gottes beglückt die Verlorenen, die es eigentlich nicht verdient haben; und die Gnade Gottes empört die Daheimgebliebenen, die sich alles treu und redlich verdient und erarbeitet haben. Die Gnade Gottes provoziert, weil sie unverdient zuteilt, weil sie sich ökonomisch nicht rechnet, weil sie in keiner Bilanz auftaucht. Gottes Gnade unterläuft die üblichen Standards: Sie teilt sich aus wie ein Preis oder eine Ehrenwürde, die man aus Sicht der anderen nicht verdient hat. Gottes Gnade hat einen Beigeschmack für die Daheimgebliebenen, die Redlichen, die Etablierten. Es ist für viele eine Zumutung, wenn Asylanten und Flüchtlinge einfach nach Deutschland kommen – unverdientermaßen und ohne Verdienst. Es ist für manche eine Zumutung, wenn heute Menschen an die Tür der Kirchengemeinde klopfen, die früher zu den Verächtern und Bedrückern der Kirche zählten. Gottes Gnade kann eine Zumutung sein. Gottes Gnade für andere kann eifersüchtig machen. Die ist die unschöne, die unpopuläre Seite im Gleichnis, die häufig übersehen und gern verdrängt wird.
III.
„Zwei Söhne wohnen, ach! in unserem Gleichnis“. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist keine ein-fache, sondern eine zwei-fache Geschichte. Denn das Gleichnis erzählt von zwei Söhnen: vom verlorenen Sohn zum einen und vom heimgebliebenen Sohn zum anderen. Es ist eine zweischneidige Geschichte im Doppelschritt von Gesetz und Evangelium. Diese Geschichte ruft die Verlorenen nach Hause und entlarvt die Eifersucht der Daheimgebliebenen.
Doch das Ziel im Gleichnis, liebe Freunde, besteht nicht darin, Verlierer und Gewinner oder Erste und Letzte oder Verlorene und Daheimgebliebene gegeneinander zu stellen. Jesus erzählt das Gleichnis, um in das Leben zu führen, das aus der Gnade Gottes lebt. Gottes Gnade teilt sich gleichmäßig aus, so dass Letzte zu Ersten und Erste zu Letzten werden (Mt 20,16). Sie teilt zu, wovon alle leben. Sie schenkt sich aus, ohne anderen zu nehmen. Die Gnade Gottes nimmt niemandem etwas weg, sondern gibt den Verlorenen das, was die Daheimgebliebenen bereits besitzen:
Der Vater sprach zum älteren Sohn: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein.
Jesus erzählt im Gleichnis von einem Leben, das aus der Gnade Gottes fließt. Manchmal verlaufen die Wege in das Leben auf unterschiedlichen Strecken: Der eine merkt erst in der Fremde, was er zuhause an Güte verloren hat; und der andere merkt zuhause, dass er dort in der Güte noch gar nicht angekommen ist.
Am Ende im Gleichnis geht es um das Fest des Lebens – um ein Leben, das sich immer wieder neu aus der Güte und Vergebung speist. Gott ist ein Liebhaber des Lebens, der einen hohen Preis dafür zahlt, dass wir auf unterschiedlichen Wegen zum Fest des Lebens gelangen. Auf dem Fest des Lebens werden die Verlorenen willkommen geheißen und den Daheimgebliebenen fällt auf, was ihnen bereits alles gehört. Am Ende kommt es darauf an, nicht sich selbst, sondern Gott als den großzügigen Gastgeber des Lebens zu entdecken:
Der Vater sprach: Bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!
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Predigt zu Lukas 5,1-11 von Joachim Hempel
'Hast du das auch gut überlegt?' - meine Güte, denke ich heute, wie oft haben es Gutmeinende dir ins Gewissen eingesprochen: 'Hast du das auch gut überlegt? - denn nur nach reiflicher Überlegung lässt doch Unsereiner alles stehen und liegen und haut einfach ab; oder etwa nicht?
Die Geschichte von den übervollen Netzen, von Wunder und Erschrecken endet ja in erstaunlicher Weise mit einem Knüller: „Und sie brachten die Boote an Land und verließen alles und folgten ihm nach.“ - Nun gut, Jesus-Geschichten Gewohnte werden schnell sagen, bei ihm, dem Meister, dem Gottgesegneten ist nicht immer alles logisch und rational überlegt, gerade das mögen wir ja an ihm, dieses spontane, aus Gottes gutem, heil machenden Heiligen Geist entspringende Reden und Tun.
Aber ehrlich, Hand auf's Herz: ...verließen alles und folgten ihm nach – wie oft haben Sie und ich im Leben so entschieden, so gehandelt – auch gerade wir in Jesu Nachfolge uns 'Christen' Nennende?
Lukas verleiht der Geschichte einen mehrfach gebauten Spannungsbogen, der aus des Alltag Alltäglichkeit in die Begegnung mit Gottes Wirklichkeit reicht: Der Zulauf der Zuhörer ist so groß, der Andrang der Nachdrängenden ist so gewaltig, dass Jesus auf Abstand gehen muss, sonst könnte er im Gedränge Atemnot kriegen und sein Wort in der Bedrängnis unhörbar werden. Im Abstand Halten liegt die Kraft! - Dann: die Netze flickenden Fischer, die nach der Nacht-Arbeit erfolglos zurück müde am Ufer Notwendiges tun, rudern mit und für ihn nochmal auf den See. Was soll's, werden sie gedacht haben, und im abwinkenden Zweifel füllen sich die Netze mehr und mehr; nur mit vereinten Kräften können sie ihr Glück in Netzen fangen.
So würde die Geschichte vom Gutes tuenden Menschenfreund Jesus ja schon reichen. Aber Lukas setzt noch eins obendrauf, denn jetzt geht es um Furcht und Schrecken, um Gewissensnöte im Unfassbaren; und Jesus: „Fürchte dich nicht!“ Lukas nimmt auf, was er schon am Beginn seines Evangeliums von Jesus Christus in der Geburtsgeschichte in Bethlehems Stall aus himmlischen Höhen hatte quasi als Überschrift verkünden lassen: Fürchtet euch nicht, denn siehe ich verkündige euch große Freude... - Diese große Freude vom Heiland, der der Welt und den Menschen zugute vom Himmel gekommen ist und Fleisch angenommen hat – wie unser Credo das nennt, tut im Alltag der Menschen genau dies: er nimmt Angst und Furcht und wandelt sie in Freude und Hoffnung und macht dadurch Glauben stark.
Dieser Glaube ist bei Simon, Jakobus, Johannes und wohl Simons Bruder Andreas so groß, dass die sich nicht von vollen Netzen, gutem Gewinn und flottem Einkommen faszinieren lassen, sondern den Urheber des guten Lebens so vertrauensvoll ansehen, dass sie in seiner Nähe bleiben und mit ihm und den Menschen noch ganz andere Geschichten der Hoffnung, der Liebe, des Glaubens erleben wollen.
Habt ihr das auch gut überlegt? Werden manche der Umherstehenden, der Freunde, Fischerkollegen, der Familien gedacht oder auch laut gerufen haben, und die Antwort lautet: NEIN! Schlicht und einfach NEIN!
Das Wunder des Lebens geht nicht in der Fähigkeit des Denkens und rationalen logischen Tuns auf; das Leben ist höher und weiter, umfassender und wunderbarer, und es gibt Situationen im Leben, wo 'alles oder fast alles oder mindestens etwas stehen und liegen lassen' dem Leben seine Atemfreiheit zurück gibt, den Blick weitet, das Herz kräftig schlagen lässt: das ist das Reich des Vertrauens, des Zutrauens, der Liebe und Hoffnung. Jedenfalls wären die Fischer vom See nicht Jünger, Apostel, Evangelisten, Gottes Menschenfreunde geworden, wenn sie den Augenblick am Ufer nicht begriffen hätten.
Die Kirche dankt es ihnen bis heute, denn sie stehen bei uns in hohem Ansehen, wir freuen uns über solche Jesu Jünger. Und bei den bedenklichen Nachfolgegeschichten unserer Tage, wo junge Leute sich im Internet von schwarz vermummten Sturmgewehrträgern zum Kampf für einen Gottesstaat locken lassen, um dann in Syrien oder im Irak mal ebenso für einige Monate Menschen tot zu schießen, bei diesen und ähnlich teuflischen Geschichten sind uns Simon, Jakobus, Johannes und Andreas doch noch in ganz anderer Weise 'Väter des Glaubens': 'Fürchte dich nicht' steht gegen 'Furcht und Schrecken mit tödlicher Gewalt' - das dürfen wir nie aus den Augen verlieren: wir sind Gottes Heiligen Geistes Kinder und stehen in der Verantwortung vor ihm und vor uns anvertrauten Menschen!
Amen
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Zieh deinen Weg - Predigt zu Lukas 15,1-3.11b-32 von Manfred Wussow
Zieh deinen Weg
Herbert Grönemeyer, Liedermacher, hat einem seiner Lieder den Titel gegeben: „Zieh deinen Weg.“
Das hört sich dann so an:
Zieh deinen Weg
Folg deinen eigenen Regeln
Zieh deinen Weg
Keine Angst vor richtig und falsch
Wer die Wahrheit kennt
ist niemals überlegen
Vertritt deinen Punkt
aber zeug immer von Respekt
Das Lied erzählt von einer großen Freiheit – und von einer großen Sehnsucht: den eigenen Weg zu gehen, ohne Angst vor “richtig“ und „falsch“, aber auch ohne jede Überheblichkeit. Ganz schön brisant – und bescheiden: „Wer die Wahrheit kennt, ist niemals überlegen“.
Am Ende klingt das Lied aus – es klingt wie ein Resümee:
Lüge nicht
Geh dem Kummer nicht entgegen
Prüfe dich
ob du weißt, wovon du sprichst
Zweifel nicht
Jeder Berg lässt sich bewegen
Gib nie auf
Sei bereit fürs große Glück.
Nicht dem Kummer entgegenzugehen, wird als Wunsch und als Hoffnung formuliert. Für wen? Ist es eine Warnung, eine Ahnung, ein Wunsch? Wer sich auf den Weg macht, nur seinen eigenen Regeln folgt und ohne Angst vor „richtig“ und „falsch“ - könnte dem Kummer entgegengehen. Es gibt Menschen, die sagen im Brustton der Überzeugung: wird dem Kummer entgegengehen!
Im Lied heißt es: Lüge nicht – prüfe dich – zweifel nicht. Eine dichte Folge von Empfehlungen. Ein Dreiklang. Und doch hat jedes Wort ein eigenes Gewicht. Ob es so reicht, passt? „ Jeder Berg lässt sich bewegen.“ Den Satz hat Grönemeyer dem Evangelium abgelauscht. Es ist ein Wort Jesu: Der Glaube versetzt Berge! Wagemut und Vertrauen liegen in diesem Wort – doch: was heißt hier Glaube? Das letzte Wort hat im Lied – das Glück. „Sei bereit fürs große Glück“! Gib nie auf! Nie!
Der Weg in die Fremde und nach Hause
Das Evangelium erzählt heute tatsächlich von einem jungen Menschen, der sich frohgemut, vielleicht sogar kühn, darauf einlässt, sein Glück zu suchen. Er macht es nicht bei Nacht und Nebel, wenn nicht schon mit dem Segen des Vaters, dann doch mit seinem Geld. Gut ausgestattet sehen wir ihn eine weite Reise antreten. Das Glück liegt in der Ferne – und doch nah genug. Und der junge Mann ist ihm auf der Spur. Als er dann wieder aufwacht – Entschuldigung, es ist bei ihm wohl lange dunkel gewesen -, findet er sich bei den Schweinen wieder. Die schönen Mädchen und die „guten“ Freunde – sie kennen ihn jetzt nicht mehr. Zu essen hat er auch nichts mehr. Bis auf das, was auch die Schweine bekommen. Ist das das große Glück?
Jedenfalls sehen wir den jungen Mann, heruntergekommen, abgerissen, seit Tagen nicht mehr gewaschen, den beschwerlichen Weg nach Hause antreten. Beschwerlich nicht nur, weil er aus der ersehnten Ferne kommt, beschwerlich auch, weil ein Verlierer heimkehrt. Von weitem zu sehen! Mit der bescheidenen Option, Tagelöhner bei seinem Vater zu werden. Ohne Erbansprüche – die sind weg. Und mit ihnen die Würde, Sohn zu sein.
Jesus erzählt die Geschichte, die wir unter dem volkstümlichen Namen „verlorener Sohn“ zu kennen glauben. Wir sehen den Vater – er muss wohl schon oft Ausschau gehalten haben – gegen alle Regeln, gegen allen Anstand mit fliegenden Fahnen und ausgebreiteten Armen auf das Häufchen Elend zulaufen, es an sich drücken und abküssen. Und dann muss alles ganz schnell gehen: Neues Gewand, edler Ring, beste Schuhe – und ein großes Fest. Sogar das Mastkalb, extra für einen besonderen Zweck vorgehalten, muss heute daran glauben.
Denn: „Mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden worden.“ - Habt ihr etwa Vorhaltungen, Vorwürfe erwartet?
Und Lukas, der die Geschichte überliefert, farbenprächtig und überaus sinnlich, erzählt mitten in seinem Evangelium eine – Ostergeschichte. Die Geschichte von einem neuen Leben. Unverhofft, nicht erwartet. Sogar gegen alle Realität, gegen alle Vernunft.
Wenn uns etwas einleuchtet – bei klarem Verstand, dann das:
„Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.“
Verlorener Sohn?
Ist der Typ, den es am Ende doch noch nach Hause verschlägt, ein verlorener Sohn?
Wir sind sehr im Bann dieses Gedankens. Schön moralisch eingepackt, mit Goldschleife „Erfahrung“ zusammengebunden, bedient der jüngere Sohn dann tatsächlich als „verlorener Sohn“ fromme und weniger fromme Erwartungen – und bestätigt alte Ängste. Aber genau betrachtet: Er hat sich auf seinen Weg gemacht. Ohne „richtig“ und „falsch“. Und der Vater hat ihn gehen lassen. Da schwingt auch kein falscher Unterton mit. Es deutet sich auch keine tragische Geschichte an. Der Vater hat schon am Anfang dieses Weges ein mütterliches Herz. Ohne moralischen Zeigefinger, ohne letzte Worte, ohne große Geste. Nicht einmal verhalten äußert sich die Sorge. Der Sohn darf gehen.
Und zurückkehren. Dabei hätte er bei den Schweinen bleiben können. Stolz und unnahbar. Kein Hahn hätte nach ihm gekräht. Klug und clever hätte er – vielleicht – sogar einen Aufstieg hinbekommen. Wieder von unten und von vorne angefangen. Aus eigener Kraft. Jung und unbeugsam. Das Muster eines Stehauf-Männchens. Womöglich hoch angesehen. Und geachtet in fremder Erde beigesetzt. Aber: als der Vater ihn in die Arme schließt, als Sohn, nicht als Tagelöhner, ist er gefunden. Er hat sich selbst auch gefunden. Und den Weg, der ihm das Glück schenkt, das er für sich suchte. Die Geschichte, die Jesus erzählt, ist eine Oster-Geschichte. Nur wer auferstanden ist, kann auf den Tod zurückschauen, kann ihn hinter sich lassen, ist ihm entronnen. Jetzt kann seine Geschichte erzählt werden.
In dieser Geschichte spielt es eine große Rolle, dass der jüngere Sohn das Wagnis eingeht, in der Fremde sein Glück zu suchen. Was er erlebt, erfährt und erleidet, formt nicht nur seine Biographie, sondern wird in dieser Geschichte aufbewahrt. Auch für andere! Und in ein neues Licht gerückt! Ich frage provokativ: Kann ein Mensch stolz sein, verlorener Sohn gewesen zu sein? In den Lebensläufen macht sich so etwas nicht gut … Wir haben unsere Träume gestriegelt, die Schubladen für Klischees fein lasiert, unsere Ängste in große Worte gepackt.
Offene Geschichte
Jetzt habe ich was gesagt! Der ältere Bruder, in der Hierarchie ganz oben, nicht einmal informiert, hört, als er von der Arbeit nach Hause kommt, müde, hungrig und dreckig, die Musik, das Lachen, die Freude. Die Auskunft, die er noch auf dem Feld bekommt, macht ihn wütend. Dass für „den“ – er hat keinen Namen mehr und heißt nur noch „dieser dein Sohn“ – ein Fest gefeiert wird, ist eine Frechheit. Jesus erzählt verhalten davon … uns soll der Mund nicht schäumen.
So sehen wir den Vater wieder hinausgehen. Wieder schwenkt der Lichtkegel auf ihn. Der Vater wendet sich – jetzt - dem älteren Sohn zu. Er, der gute, brave Sohn, ist – jetzt - in der Gefahr, verloren zu gehen. Sich zu verlieren! Aber die beiden scheinen sich nicht zu verstehen. Ob er denn nicht wüsste, dass ihm alles gehören würde, fragt der Vater. Um ihn dann zur Mitfreude einzuladen. Komm, sagt er, dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden … wenn das kein Grund ist, ausgelassen zu feiern? Sich von Herzen zu freuen?
Aber der ältere Sohn …. Ja, was macht er? Kommt er, feiert er mit? Schließt er den jüngeren Bruder auch in seine Arme? Jesus lässt die Geschichte am Ende einfach offen. So, als ob er sie uns anvertraut. Wir müssen sie weiter erzählen. Wir!
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie möchte ich denn die Geschichte weiter erzählen? Wie soll sie denn ausgehen? Welchen Schluss gebe ich ihr? Provokativ tritt ungeschminkt die Frage auf wie ein Star: Kann ein Mensch stolz sein, nicht verloren gegangen zu sein? Wie hört sich das an, wenn er – oder sie – es so sagt? Selbstgerecht? Überheblich? Vielleicht sogar - verbittert? Enttäuscht? Es ist längst nicht ausgemacht, was Glück ist – was Geschenk – was Verdienst. Es ist auch nicht ausgemacht, was im Erfolg Verlust, was im Ruhm Angst, was in der Größe Niedertracht ist. Es ist nicht ausgemacht …
Ich könnte mich um mein Leben reden … Worte verlieren, bevor ich sie gefunden habe… den Ausgang verpassen. Doch: wenn die Geschichte offen bleibt – bleibe ich dann auch offen? Wenn ich ihr kein Ende gebe – kann ich neu anfangen?
Wer stolz ist, nicht so sein wie „der“ oder „die“, bleibt mit sich allein - und kann sich auch nicht freuen, nicht einmal mitfreuen. Die gute Welt gerinnt zu einer kalten … Eine böse Ahnung beschleicht mich: was ist, wenn man draußen bleibt? Nicht mehr dazu gehört? Mit ganz viel Tugend, mit Erfolg, mit dem besten Ruf? Am Ende ist das klar: Das Fest wird – gefeiert! Gastgeber ist der Vater. Er lädt ein. Er lässt sich das Fest etwas kosten. Jetzt wird auch nicht mehr geredet – zumindest nicht vor der Türe! Ich spitze neugierig die Ohren – ob ich etwas von drinnen erhasche?
Das große Mahl
Jesus erzählt ein Gleichnis von dem ganz großen Glück. Das größte Glück in dieser Geschichte ist: ein Mensch, der tot war, ist wieder lebendig geworden – ein Mensch, der verloren war, ist wieder gefunden. Jetzt wird ein festliches Mahl angerichtet! Jetzt wird gefeiert!
Was fällt Jesus ein, uns so durcheinander zu bringen? Die Dinge auf den Kopf zu stellen? Tatsächlich: der ungewohnte, überraschende Blick räumt uns die Möglichkeit ein, uns in dieser Geschichte wieder zu finden und gleichzeitig hinter die Kulissen zu schauen, die wir meisterhaft auf unseren Bühnen errichtet haben. Feiere ich mit? Wer bin ich auf diesem Fest? Wie kommentiere ich das Ungewohnte, das Unerwartete? Kein Mensch geht allein verloren, kein Mensch wird allein gefunden.
Das Evangelium lässt Menschen feiern, ausgelassen und fröhlich sein.
Ich kenne viele Menschen, die Angst davor haben, ihr Leben zu verändern, denen der Mut fehlt, sich „aufzumachen“, die keine Barmherzigkeit erwarten können – und ich kenne viele Menschen, die verliebt in ihre kleine Welt keinen Traum mehr haben – und sich und anderen keinen zugestehen. Sie schlachten das Schwein für ihre – Tugend.
Die Geschichte vom verlorenen Sohn schenkt uns Worte, darüber zu reden – und barmherzig zu werden.
Übrigens: das Wort „Barmherzigkeit“ meint, hebräisch, den Mutterschoß. Wenn von Gott gesagt wird, er sei barmherzig – wird er als Mutter vorgestellt.
Ein tolles Bild für den – Vater. Am Anfang steht die Geborgenheit. In ihr wächst das Glück. Wie das Leben.
Noch einmal Grönemeyers Lied. Seine letzten Worte:
„Gib nie auf
Sei bereit fürs große Glück“
enden heute an einer langen Tafel.
Ich muss mir jetzt mein Plätzchen am Tisch suchen. Ich habe Hunger.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
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KONFI-IMPULS zu Lukas 15,1-7(8-10) von Cornelius Kuttler
Der Bibeltext und die Konfis – Perspektiven für die Predigt
Wo erleben Konfirmandinnen und Konfirmanden, dass sich jemand über sie freut? Immerhin liegt der Fluchtpunkt der Gleichnisse vom verlorenen Schaf und verlorenen Groschen in der Freude. In emotionalen Bildern leuchtet auf, wie sehr sich Gott darüber freut, wenn verlorene Menschen gefunden werden.
Es sind m. E. drei Themen, die im vorliegenden Predigttext Lebensrelevanz für Konfis aufweisen können: 1) Wer freut sich über mich 2) Für wen bin ich so wichtig, dass er sich auf die Suche nach mir machen würde 3) Was ist eigentlich ein Sünder?
1) Konfis erleben wohl eher selten, dass sich Menschen über sie freuen. Kleine Kinder tragen den Nimbus mit sich: „Ist der/die süß“, jüngere Geschwister werden gelobt für Erfolge im Kindergarten oder der Grundschule. Ich frage mich, ob Konfis dies noch erfahren: Dass Menschen sich über sie freuen – einfach deshalb, weil es sie gibt, ohne Erfolge in der Schule oder im Sportverein aufweisen zu müssen?
Jesus erzählt dem gegenüber davon, dass Gott sich über Menschen freut. Einfach deshalb, weil sie (wieder) in seiner Nähe sind. Meiner Erfahrung nach leben Jugendliche im Konfi-Alter im Spagat zwischen der Angst vor einer allzu großen Fokussierung auf ihre Person – es wird als peinlich empfunden, im Mittelpunkt zu stehen – und der tiefen Sehnsucht nach Aufmerksamkeit.
Die Gleichnisse von Jesus könnten diese Sehnsucht nach wohltuender Aufmerksamkeit ansprechen und mit dem Themenkreis der Freude Gottes über einen Menschen in Berührung bringen: Gott freut sich darüber, uns in seiner Nähe zu haben, weil sein Herz für uns schlägt.
2) Die Gleichnisse von Jesus sprechen Menschen eine unverlierbare Würde zu: Gott macht sich auf die Suche nach jedem Menschen, um ihn in die enge Lebensgemeinschaft mit ihm zurückzuholen. Die Frage: „Für wen bin ich wichtig?“, erlebe ich bei Konfirmandinnen und Konfirmanden als sehr präsent. Da mögen es vielleicht Anzahl und Inhalt der WhatsApp-Nachrichten sein, die über die Bedeutung des eigenen Lebens für andere Auskunft geben. Der Botschaft vom liebenden und suchenden Gott eignet eine (nicht nur für Konfis) befreiende und ermutigende Lebensrelevanz.
3) Die Frage nach Sünde und Umkehr besitzt für Jugendliche im Konfi-Alter konkret-operationalen Charakter: Sünde ist das, was verboten und was auch objektiv als Verbrechen einzustufen ist: Höchst spannend ist für mich, wie Konfirmandinnen und Konfirmanden meiner Gruppen den biblischen Begriff des „Sünders“ in einem Konfi-Film darstellten: als Mädchen, das ein Handy klaut. Dass Sünde in biblischer Terminologie eine weit umfassendere Tiefendimension menschlicher Existenz zukommt, ist für Konfis m.E. nicht im Blick. Herausfordernd ist es darum, in der Predigt zu fokussieren, was Sünde meint.
Idee für den Gottesdienst:
Die Konfis könnten die Gleichnisse entweder in einem Film umsetzen oder – wenn dies technisch zu aufwändig ist – in einer Fotostory, die von Konfis im Gottesdienst kommentiert wird. Mein Vorschlag ist, dass die Jugendlichen die Gleichnisse nicht nur reproduzieren, sondern in eigene Lebenssituationen übertragen. Evtl. würde sich der Vorstellungsgottesdienst der Konfis als Rahmen anbieten, z. B. zum Thema „Was bin ich wert?“
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Sind wir nicht angemessene Ersatzgäste? - Predigt zu Lukas 14,15-24 von Katharina Wiefel-Jenner
Sind wir nicht angemessene Ersatzgäste?
Einer, der mit zu Tisch saß, sprach zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen.
Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.
Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei. Der Tisch ist festlich gedeckt. Blumen, Kerzen, gestärkte Servietten, funkelnde Gläser, glänzendes Silber. In der Küche dampft es über den Töpfen, die Platten sind angerichtet, die Schüsseln vorbereitet. Die Gläser für den Aperitif warten auf Tabletts. Der Bote sagt, dass wir kommen sollen. „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Wir sind eingeladen. Uns hat der Bote gesagt, dass wir kommen sollen – uns! Wir? Bisher war von uns noch nie die Rede. Aber wir sind offensichtlich gemeint.
Die uns weniger freundlich gesonnenen Kommentatoren sagen uns, dass wir nur Ersatzgäste sind. Sie erzählen uns, dass eigentlich andere kommen sollten, aber abgesagt haben. Von dem einen heißt es, dass er wegen eines größeren Vertragsabschlusses nicht kommen konnte. Irgendeine Immobiliengeschichte. Saß vielleicht noch im Flieger. Solche Leute werden ja ohnehin dauernd eingeladen. Darum würde so einer wahrscheinlich das köstliche Mahl gar nicht schätzen. Wenn sich solche Leute an einen festlich gedeckten Tisch setzen, dann haben sie immer noch ihre Geschäfte im Sinn – von Familienfeiern vielleicht abgesehen. Es heißt, er habe sich immerhin entschuldigen lassen. Gute Manieren haben sie in der Geschäftswelt – das muss man ihnen zugestehen. Doch das Fest geht bis Mitternacht, er hätte doch alle Zeit der Welt gehabt, um noch nachzukommen und mitzufeiern. Wahrscheinlich wollte er von vornherein nicht kommen. Er verachtet den Gastgeber. Auf so einen Gast kann man also verzichten und stattdessen uns einladen.
Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei.
Es heißt, dass noch ein anderer aus der Geschäftswelt eingeladen war und auch nicht gekommen ist. Dem Vernehmen nach war der aus der Logistikbranche und hatte noch mit der Anschaffung seiner neuen Wagenflotte zu tun. Der war vom gleichen Schlag wie der mit den Immobilien. Schade, dass das Geschäftsleben so abfärbt. Man muss echt aufpassen, dass man nicht auch so wird. Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei. Ein Dritter war noch eingeladen. Der hat sich nicht einmal entschuldigt. War beim Anwalt, um den Ehevertrag mit seiner künftigen Frau zu unterschreiben. Die Anwälte empfehlen das heute ja auch wieder. Hat man Vermögen, schließt man so für den Fall aller Fälle jeden Streit aus. Liebe ist gut, aber besser ist es doch, man sichert sich ab. Wer nur Verträge im Kopf hat, denkt natürlich nicht daran, sich zu entschuldigen.
Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei.
Warum in aller Welt hat der Gastgeber nur diese vermögenden Geschäftsmenschen eingeladen? Hat er nicht gewusst, dass sie arrogant bis in die Haarspitzen sind? Hat er nicht geahnt, dass sie ihn höflich lächelnd abblitzen lassen? Oder hat er ihnen eine Chance gegeben, obwohl sie so sind, wie sie sind? Hat er gehofft, dass sie hinter der arroganten Fassade herzliche und interessierte Menschen sind. Er hat wohl hinter ihrem fleißigen und glatten Auftreten eine große Sehnsucht gespürt. Hat er gesehen, wie verletzlich auch die Herzen von harten Hunden sind. Unser Gastgeber muss so hoffnungsvoll gewesen sein, so unerschütterlich vertrauensvoll.
Aber es war kein Versehen von den dreien. Sie sind mit voller Absicht weggeblieben. Sie wollten unseren Gastgeber kränken.
Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei.
Ob sie damit gerechnet haben? Sie haben unseren Herrn gekränkt und provoziert. Ob sie dachten, dass der sich dann eben allein hinsetzt, weint und seinen Wein alleine trinkt? Oder dachten sie, er würde es einfach so hinnehmen. Was kann man tun, wenn die Gäste einen versetzen? Sie haben ihn gekränkt und er ist zornig – mit vollem Recht.
Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei.
Nein, das Mahl hat noch nicht begonnen und unser Herr trinkt seinen Wein auch nicht allein. Er zeigt lieber, wie göttlicher Zorn aussieht. Auf die Schnelle werden die eingeladen, die noch nie von Meißner Porzellan gegessen haben, die nicht wissen, was Messerbänkchen sind, die noch echten Hunger kennen und deren Geschmack nicht zwischen den erlesenen Weinen unterscheiden kann. So etwas passiert, wenn man den Herrn des Lebens kränken will. Das Kostbarste der Erde wird denen aufgetischt, denen bisher das Glück des Lebens vorenthalten wurde. Der Zorn richtet sich nicht gegen die, die ihn verdient hätten. Der Zorn verwandelt sich in Reichtum für die Armen, in Liebe für die Übersehenen, in Tapferkeit für die Ängstlichen, in Erfolg für die Verlorenen, in Hoffnung für die Trostlosen, in Tanzen für die Trauernden, in Glück, einfach nur Glück. Der Festsaal wird beben vom Jubel. Er wird von Lebensenergie bersten. Mit seinem Zorn schafft der verachtete Gastgeber pure Freude bei denen, die bisher kaum Freude kannten.
Hat das Mahl schon begonnen? Der Bote sagt, dass alles bereit sei. Wir wollen da auch hin, wo der göttliche Zorn eine Welle puren Glücks auslöst. Wir wollen da auch hin, wo wir trotz Erdenschwere in den Himmel tanzen, wo sich die Lebenslust nicht schämen muss, wo wir nicht mehr sein müssen als wir sind, wo es egal ist, wo wir herkommen, welche Sprache wir sprechen, wer wir sind. Wir wollen da auch hin und wir bringen auch unsere Vorfreude mit. Wir bringen unsere Hoffnung mit, unserem Herrn endlich alle Fragen stellen zu können, die uns bisher gequält haben. Wir bringen unsere Wehmut über die verlorene Zeit mit. Wir bringen unsere Schuld mit. Wir bringen unsere Sehnsucht nach Frieden mit. Sind wir nicht angemessene Ersatzgäste? Passen wir nicht gut zu denen, die bisher nur Hunger kannten? Wir kommen. Sag Bescheid, Bote, sag Bescheid, wir kommen so schnell es geht.
Hat das Mahl schon begonnen? Nein, es hat noch nicht begonnen. Der Bote ist noch unterwegs. Auf den Straßen, in Zügen, auf Plätzen, in Foren und Netzwerken, an den Raststätten, Flughäfen, Lagern, auf den Schiffen übers Mittelmeer, im Jobcenter, unter den Brücken. Der Bote muss noch weiter.
Bevor die Sonne untergeht wird unser Herr das Mahl nicht beginnen lassen. Solange können wir mit dem Boten zusammen unterwegs sein. Zwischendurch müssen wir uns noch stärken. Brot und Wein haben wir dabei. Wenn die Sonne untergeht, werden wir rechtzeitig an Ort und Stelle sein. Sicherheitshalber achten wir auf den Boten und hören, auf ihn. Wenn er dann sagt: Kommt, es ist alles bereit, dann werden wir mit ihm bei seinem und unserem Herrn ankommen und essen, trinken, tanzen, jubeln.
Amen.
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Einmal ist es zu spät – darum kommt, denn es ist alles bereit!- Predigt zu Lukas 14,15-24 von Dieter Splinter
Einmal ist es zu spät – darum kommt, denn es ist alles bereit!
(In der Lutherbibel ist der Text überschrieben mit "Das große Abendmahl") 15 Als aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! 16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. 17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! 18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen. 21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. 24 Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.
I.
Liebe Gemeinde!
„Kommt, denn es ist alles bereit!“ Das große Fest ist vorbereitet. Die Speisen stehen schon auf dem Tisch. Saftiger Braten, geräucherter Fisch, leckere Beilagen, frisches Obst und kühler Wein sind für die Gäste vorbereitet. Dem Gastgeber selber läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Die Musiker stimmen bereits ihre Instrumente. Sie trinken schon einmal ein Glas Wein, um sich selber in Stimmung zu bringen. Der Gastgeber gibt die letzten Anweisungen. Auf einem Tisch soll noch mehr Brot stehen, auf einem anderen mehr Wein. Zudem lässt er noch Fackeln im Garten und Lampen im Haus anzünden. Zum Fest gehört eine Festbeleuchtung, besonders am Abend. Und dann schickt der Gastgeber den Boten los. Der soll nun die Geladenen zu Tisch bitten: „Kommt, denn es ist alles bereit!“
Einst war das so üblich. Einige Zeit vor dem großen Abendmahl hatte ein Bote schon einmal eine Einladung ausgesprochen. Er hatte den Geladenen Zeit und Ort für das Fest mitgeteilt. Offenbar hatte da keiner der Eingeladenen gesagt: „Es tut mir leid! Ich kann nicht kommen!“ So rechnet der Gastgeber fest mit allen, die er eingeladen hat. Doch dann hagelt es kurzfristig Absagen. „Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen.“ Die Gründe klingen vernünftig. Aber sind sie es? Kein Bauer kauft unbesehen einen Acker. Vielmehr wird er vor dem Kauf wissen wollen, wo das Feld liegt und welchen Ertrag es bringt. Auch der zweite Landwirt hat sicher die fünf Ochsengespanne vor ihrem Erwerb begutachtet. Wozu muss er sie nun ein zweites Mal anschauen? Und schließlich der dritte der Eingeladenen: Er hat vor einiger Zeit geheiratet. Er hätte seine Frau zum Fest mitbringen können. Doch entscheidet er sich anders und bleibt mit ihr zu Hause.
In der Tat – auf die Entscheidung kommt es an! Es geht um die Frage: Welche Freude ist mir wichtiger? Die Freude am erworbenen Land, die Freude am Fuhrpark, also am Besitz? Die ehelichen Freuden? Oder ist mir die geteilte Freude wichtiger? Das gemeinschaftliche Miteinander? Denn eines ist klar: Das Fest kann nur gelingen, wenn die Eingeladenen kommen. Die Eingeladenen, die absagen, haben sich gegen das Miteinander entschieden. Sie haben sich für ihre eigene, stille Freude entschieden.
Nun könnte man fragen: Wo ist das Problem? Die beiden Bauern haben für den Besitz, den sie erworben haben, hart gearbeitet. Warum sollen sie sich nicht an ihrem Erfolg freuen? Zudem werden die Früchte, die auf dem gerade erworbenen Acker wachsen, Menschen ernähren. Mit den neuen Ochsengespannen, die Lasten ziehen, werden Waren transportiert oder Felder bestellt. Und der Mann, der bei seiner Frau bleibt, sorgt dafür, dass das Leben weitergeht. In neun Monaten werden sich alle darüber freuen. Auch vermeintlicher Egoismus kann Folgen haben, die der Gemeinschaft dienen.
Und doch endet das Gleichnis, das Jesus erzählt, schroff. Der Gastgeber aus dem Gleichnis erteilt denen, die ihre Teilnahme an seinem Fest abgesagt haben, seinerseits eine Absage: „Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.“
II.
Diese schroffe Absage kann erschrecken. Doch genau das meint das Gleichnis Jesu: Einmal ist es zu spät! Es ist möglich, den Zeitpunkt für ein gelingendes Miteinander zu verpassen! Gerade die Leistungsträger in einer Gesellschaft laufen Gefahr, diesen Zeitpunkt zu versäumen. Sie sind mit ihren Geschäften beschäftigt. Darüber verlieren sie das Ziel aus den Augen: Freude braucht Gemeinschaft. Das Leben gelingt, wenn das Miteinander gelingt. Wer dazu eingeladen worden ist, durch Anwesenheit seinen Teil zum Gelingen dieses Miteinanders beizutragen, kann nicht durch Abwesenheit glänzen. Es stimmt also, was der Volksmund sagt: „Geteilte Freude ist doppelte Freude. Und geteiltes Leid ist halbes Leid!“ Zum Teilen sind dann besonders jene eingeladen, die auch etwas teilen können! Ihre Teilnahme am Teilen ermöglicht anderen erst die Teilhabe!
Einmal ist es zu spät! Die schroffe Aussage am Ende des Gleichnisses Jesu lenkt
schließlich den Blick auf das Reich Gottes. „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“ Das sagt einer zu Jesus. „Gewiss,“ - entgegnet dieser mit seinem Gleichnis - „doch er tut es nicht allein!“ In Reich Gottes sitzen alle am Tisch der Geschwisterlichkeit. Das Miteinander dort ist wie ein Festmahl am Abend. Alles dafür ist vorbereitet. Es wird herzlich dazu eingeladen: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Diese Einladung ergeht vor allem an die Starken. Dass sie eingeladen sind, wird im Gleichnis besonders betont. Denn gerade die Starken, so das Gleichnis, stehen in der Gefahr, das Reich Gottes aus den Augen zu verlieren. Wer viel hat, kann immer sagen: „So schön wie hier, kann es im Himmel gar nicht sein!“
So kommen dann die zum Zuge, die dem in Jesus Christus Mensch gewordenen Gott ohnehin besonders am Herzen liegen. Als der Knecht mit der Kunde zurück kommt, dass keiner der Eingeladenen kommt, heißt es: „Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein.“
Das kommt schon vorher vor. Vor den Worten, die wir hier miteinander bedenken, fordert Jesus dazu auf, zu einem Mahl besonders jene einzuladen, die die Einladung nicht erwidern können. Und dann werden die genannt, die der Knecht nun zu Tisch bittet. Als das Haus immer noch nicht voll ist, schickt der Hausherr seinen Knecht noch einmal los, um die Obdachlosen, die Landstreicher hereinzubitten – und ebenso jene, die ganz am Rande stehen. Es sind die, die an den Zäunen hängen und aufgenommen werden wollen.
III.
„Kommt, denn es ist alles bereit! Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist!“ Diese Einladung hören wir, wenn wir in einem Gottesdienst das Abendmahl feiern. „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Wer so zum Abendmahl eingeladen wird, wird immer auch an das große Abendmahl im Reich Gottes erinnert. Das Abendmahl, das wir im Gottesdienst feiern, soll einen Vorgeschmack auf das himmlische und ewige Abendmahl geben. Wir können das Abendmahl im Gottesdienst darum nur feiern, wenn wir die, die am Rande der Gesellschaft stehen oder besondere Hilfe brauchen, nicht aus den Augen verlieren. Jede Teilnahme am Abendmahl erinnert uns daran, dass Teilhabe nur durch teilen möglich wird.
Vielfach geschieht das. So gibt es Vesperkirchen oder Tafeln, die von der Diakonie betrieben werden, um Arme satt zu machen. Es gibt diakonische Einrichtungen für Obdachlose oder kirchliche Einrichtungen für Menschen mit besonderen körperlichen Herausforderungen. Und es gibt, Gott sei Dank, in zahlreichen Gemeinden und diakonischen Einrichtungen Initiativen, um sich der Flüchtlinge anzunehmen, die zu uns kommen.
Die hängen buchstäblich an den Zäunen und wollen aufgenommen werden. Jedenfalls war in Spiegel-online im Oktober des letzten Jahres ein eindrucksvolles Bild zu sehen. Einem spanischen Fotografen war ein verstörendes Foto an der Grenze von Marokko zur spanischen Exklave Melilla gelungen. Afrikanische Flüchtlinge klettern über den Grenzzaun - während dort Golfer ein paar Bälle schlagen.
„Kommt, denn es ist alles bereit!“ Wer dieser Einladung nicht folgt, wer seine Teilnahme am gelingenden Miteinander verweigert, für den schließt sich die Tür zum Reich Gottes. Einmal ist es zu spät! Das will nicht so recht zum vielfach gepflegten Bild vom „lieben Gott“ passen. Das will nicht passen zu der Aussage: „Langmütig und freundlich ist der Herr, geduldig und von großer Güte!“ All das ist Gott. Doch macht das Gleichnis vom großen Abendmahl deutlich, dass auch Gottes Geduld Grenzen kennt. Das hat Folgen. Verpasste Gelegenheiten kommen nicht wieder – auch und gerade, wenn es um Gott und sein Reich geht.
Wir kennen das aus eigenem Erleben. In der Rückschau wird es besonders deutlich. Da sagt sich der eine: „Wenn ich damals anders entschieden hätte, dann hätte ich nicht die Probleme, die ich jetzt habe!“ Oder die andere denkt sich: „Wenn ich ein anderes Fach studiert hätte, stünde ich jetzt ganz anders da!“ Oder ein Verwandter, ein Bekannter, ein Freund ist schwer krank. Man nimmt sich vor, ihn zu besuchen, findet aber wieder einen Grund, es nicht zu tun. Dann ist es zu spät – und so macht man sich Vorwürfe: „O, hätte ich doch!“
Einmal ist es zu spät! Darum verpasst die entscheidenden Gelegenheiten nicht. Nehmt an einem gelingenden Miteinander teil und ermöglicht so die Teilhabe für jene, die am Rande stehen. So seid ihr Zeugen für das Reich Gottes und die Tür dorthin wird für euch weit aufgestoßen. Darum kommt, denn es ist alles bereit! Und seid so das, was Jesus euch verheißen hat: Salz der Erde und Licht der Welt! Amen.
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Himmlisch unkonventionell! - Predigt zu Lukas 14,16-24 von Claudia Krüger
Himmlisch unkonventionell!
Liebe Gemeinde,
Es könnte sein, dass Sie einmal gefragt werden! Dass Sie gefragt nach Ihren inneren Bildern und Hoffnungen angesichts dessen, was einmal kommt, wenn wir diese Erde verlassen. Freilich, das ist kein alltägliches Thema, und gerne schieben wir solcherlei Fragen auch weit von uns und raunen etwas irritiert: „Das hat hoffentlich noch lange Zeit!“
Und doch: es könnte sein, dass wir gefragt werden! Am Krankenbett einer lieben Freundin oder eines Angehörigen: „Was glaubst Du, kommt etwas oder nichts, wenn ich jetzt bald gehe?! Und wenn ja, wie wird es sein?“
Und ganz unabhängig davon, ob wir glauben können, dass es eine Auferstehung, ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht, so können wir uns nicht einfach aus der Verantwortung stehlen und mit einem Schulterzucken oder einem dürren: „keine Ahnung, ich weiß es auch nicht…“ einen Menschen sich selbst und seiner Frage überlassen.
Berthold Brecht hat in seiner Hauspostille ernüchternde Worte gefunden:
„Lasst euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen,
Ihr könnt schon Nachtwind spüren
Es kommt kein Morgen mehr.“ –
So die erste Strophe. Die letzte Strophe endet mit dem schmallippigen Satz:
„Ihr sterbt mit allen Tieren
und es kommt nichts nachher“.
Das ist zu wenig - meine ich. Ein dicker Punkt am Schluss. Dunkles Nichts. Wenigstens ein Fragezeichen könnte am Schluss stehen, oder ein Fragezeichen kombiniert mit einem vagen Doppelpunkt. Wenigstens das.
Wir sind auch uns selbst eine Antwort schuldig. Und wir sind einander eine Antwort schuldig.
Wir könnten nachfragen, ob es Bilder und Hoffnungen gibt, die der Kranke in sich trägt oder ob es eine Vision gäbe, wie das für ihn oder sie im besten Falle aussehen könnte oder was sich jemand im tiefsten Herzen wünschen würde.
Vielleicht ein Sein oder Nicht-mehr-Sein immerhin ohne Schmerz und Leid, ein Sein in der Geborgenheit einer großen göttlichen Liebe, ein Gehen in ein helles freundliches Licht, wie es häufig in der Bildenden Kunst dargestellt ist. Ich meine, wir sind geradezu dazu verpflichtet, wenigstens einige Bilder und Hoffnungen anzubieten, darunter auch Bilder und Geschichten aus der Bibel. Egal, ob wir sie uns zu Eigen machen können oder nicht, wir sollten sie wenigstens kennen und sie einem suchenden Menschen anbieten können. Da sind die kostbaren Auferstehungsgeschichten mit den Engeln am leeren Grab. Da ist die Rede von den Wohnungen Gottes, in welchen Christus uns selbst einen Platz bereitet hat. Da malt uns die Offenbarung das Bild vom himmlischen Jerusalem, einem Ort, an dem es kein Leid und keinen Schmerz und keine Tränen mehr gibt und wir in der unmittelbaren Nähe Gottes uns auf immer geborgen wissen. Es gibt noch viele kostbare Bilder – das Erblicken Gottes von Angesicht zu Angesicht, das Sitzen im Schoße Abrahams. Welches wäre mein Bild, meine innere Vision, was wünsche ich mir?
In unserem heutigen Predigttext geht es um die Frage nach dem Reich Gottes. Es geht um das, was kommen wird, dermal einst. Aber es geht gleichzeitig auch um das, was bereits mit Christi Kommen angebrochen ist, was sich mit ihm in dieser Welt schon heilsam und hoffnungsvoll verändert hat. Und eben auch darum, was wir Menschen tun können, um im Sinne Christi ein Stück Himmel auf Erden beharrlich durchzusetzen. Jede und jeder an ihrem und seinen Ort.
Wir erfahren in unserer Geschichte aus dem Lukasevangelium:
Himmlisch unkonventionell geht es im Reich Gottes zu!
Gottseidank!
Das Gleichnis Jesu vom Reich Gottes steht im Zusammenhang einer theologischen Auseinandersetzung Jesu mit Pharisäern und Schriftgelehrten. Wichtige kluge Leute. Honoratioren. Ehrengäste, man kennt sich. Glaubensexperten. Gesetzestreue. Zum Essen war er geladen im Haus eines Oberen der Pharisäer. Vornehm wird es zugegangen sein. Höflichkeit und Etikette werden gewahrt, selbstverständlich! Aber argwöhnisch stellen sie ihn auf die Probe, sie „belauerten ihn“, heißt es in der Lutherübersetzung. Wir kennen das: Freundliche Minen, aber dahinter finstere Gedanken, wie man jemanden bloßstellen und eines Fehlers überführen könnte. Geistige oder geistliche Überlegenheit demonstrieren, so ganz nebenbei. Machtspiele, bisweilen ganz subtile.
Jesus aber lässt sich nicht beirren, er heilt am Sabbat, nachdem auf seine Frage, ob es am Sabbat erlaubt sei, zu heilen – nur vielsagendes Schweigen kommt. Er heilt. „Wer ist unter euch, dem sein Sohn oder sein Ochse in den Brunnen fällt und der ihn nicht alsbald herauszieht, auch am Sabbat?“
So schlicht sind mitunter scheinbar hochkarätige theologische Fragen zu lösen.
So menschenfreundlich. Die Liebe wird eindeutig der Gesetzestreue übergeordnet.
Die Anwesenden schweigen dazu.
„Sitz- und Rangordnung“ ist das nächste Thema. Jesus stellt fest, dass die anwesenden frommen Leute, wie alle anderen auch, gern den besten Platz einnehmen möchten, aber
die Sucht nach Ehre vergiftet alle Gemeinschaft. Er stellt die himmlische Ordnung dagegen: „Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.“ Irritierend. Himmlisch anders: Ehrung von Gott erhält nur der, er unten am Tisch sitzt und sich gerade keiner Ehrung für wert hält. Ehre von Gott bekommen wir Menschen durchaus, aber unberechenbar, unverdient, aus reiner Gnade. Aus göttlicher Liebe.
Und dann wird es noch unkonventioneller, wenn Jesus zum Gastgeber sagt:
„Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten, es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“
Eine Zumutung. Heute wären es Bootsflüchtlinge, körperlich Entstellte, geistig Behinderte, Geschlagene und Missbrauchte. Obdachlose, Bettler dort in den Fußgängerzonen und unter den Brücken. Kinder, deren Blick keinerlei Hoffnung mehr spiegelt. Alte Menschen, die vor dem Fernseher einsam verelenden. Und je mehr wir nachdenken, und je achtsamer wir uns umblicken, desto länger könnten wir die Reihe derer fortsetzen und erschrecken darüber.
Sie alle können eine Einladung nicht erwidern, geschweige denn diese überbieten. Sie können nichts zurückgeben, denn sie haben nichts.
Tischgemeinschaft ist im Orient ein Bild engster Freundschaft. Auch Jesus selbst ist eingeladen und nicht in der Lage, eine Gegeneinladung auszusprechen. Selig preist er den Gastgeber, weil er mit dieser Einladung an ihn die starre weltliche Ordnung durchbrochen hat, in der alles auf Leistung und Gegenleistung zielt. Daraufhin greift einer der Gäste die Seligpreisung des Gastgebers auf und weitet sie aus: „Selig, wer das Brot isst im Reich Gottes.“ Er hat verstanden, dass es hier und jetzt bei diesem Essen am Sabbat um das Reich Gottes geht. Und Jesus erwidert ihm und den anderen Gästen:
Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen, ich bitte dich, entschuldige mich. Und der zweite sprach: ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen, ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: ich habe eine Frau genommen, darum kann ich nicht kommen.
Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast, es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.
Ich gehe gerne auf Feste, wo es ein gutes Essen, kostbare Begegnungen und gute Gespräche gibt. Ja, wer ginge nicht gerne auf ein Fest! Noch dazu zu einem Gastgeber, der wirklich alles daran setzt, dass es ein besonders schönes Fest wird und: der es an nichts fehlen lässt!
Nichts schien dagegen zu sprechen, die Einladung anzunehmen. Sonst hätte man das ja bereits getan, nachdem man die Einladung bekommen hatte. Gründe gibt es ja durchaus, eine Einladung auch abzulehnen. Man fürchtet, es kämen Menschen, mit denen man nicht recht ins Gespräch kommt. Man ist vielleicht dem Gastgeber nicht allzu sehr verbunden ist oder mutmaßt, dass manche einem durch ihre ewig gleichen Geschichten oder ihr Gehabe gewaltig auf die Nerven gehen.
Diese Einladung aber schien verlockend! Auf solch ein Fest freut man sich lange im Voraus und hält sich den Termin frei von anderen Verpflichtungen. Und wie in der damaligen Zeit üblich, ergeht kurz vor dem Fest noch einmal eine persönliche Erinnerung. Ganz und gar ungewöhnlich ist aber nun das Verhalten der geladenen Gäste. Für sich genommen sind die einzelnen Motive und Entschuldigungsgründe durchaus begreiflich: Stress in der Arbeit, dringende Geschäfte, familiäre Beweggründe. Ackerkauf, Ochsengespanne, eine junge Ehefrau, die man aber schließlich auch mitbringen könnte. Aber im Gesamtzusammenhang sind die Absagen weder begreiflich noch vernünftig, sondern geradezu anstößig.
Die Erzählung handelt, wenn Jesus sie erzählt, nicht von einem menschlichen Gastgeber, sondern von Gott. Und ihm gegenüber verhalten wir Menschen uns manchmal ganz und gar unverständlich, stellen die Notwendigkeiten des Alltags über das Fest der Gegenwart Gottes, und halten womöglich die Einladung für einen Dauerkarte, die man auch später noch nutzen könnte. Wir merken nicht, dass gerade jetzt der Moment ist, nichts anderem als dieser Einladung zu folgen! Es gibt keinen Aufschub! Gott gibt sich die Ehre. Wir sollten seine Ehre nicht verletzen!
Die Antwort Gottes auf die Meldungen seines Knechtes ist Zorn! Aber, erstaunlich: der Zorn führt nicht, wie beim menschlichen Kränkungen, zur Absage des Festes. Nicht wie bei den Großen und Kleinen dieser Welt. Im Gegenteil! Er folgt einer anderen Logik. Er folgt der Logik der Liebe. Und die ist, wie wir ja schon festgestellt haben, ganz und gar unkonventionell. Himmlisch anders. Hat einen langen Atem.
Das Fest Gottes findet statt, allem zum Trotz! Es muss unbedingt stattfinden. Seine Liebe zu uns Menschen muss unbedingt gelebt und gefeiert werden. Sie duldet keinen Aufschub, keine Absage.
An die Stelle der zuerst Geladenen treten nun andere Gäste. An ihnen wird deutlich, wie wenig angewiesen der Gastgeber auf den Wert und Rang seiner Gäste ist. Jesus selbst sitzt ja bereits bei Zöllnern und Sündern. Mit ihm hat das Fest schon längst begonnen, ist das Reich Gottes angebrochen! Und nach dieser Regel werden nun Menschen eingeladen, die sonst keinen Platz in der feinen Gesellschaft haben: Blinde, Lahme, Krüppel, Mittellose. Dem Gastgeber kommt es einzig und allein darauf an, die Tafel zu besetzen und sei es durch Leute von der Straße und aus den finstersten Gassen und den stinkenden Unterführungen. Mehr noch: sogar die von den Landstraßen und Zäunen und den Booten auf dem Mittelmeer, die Allerletzten der Aussichtslosen sind eingeladen, auf dass sein großzügiges reiches Haus voll
werde! Ein Gastgeber, der sich, wer weiß, wenn sein Zorn verflogen ist, sich doch noch selbst derer in Gnade erbarmen könnte, die seine Einladung ausgeschlagen haben?!
Sie sollen kommen, die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Juden und Heiden, die Völker weltweit, die Promovierten und die Einfältigen, die Taktierer und die mit Herzensbildung, die zweifelnden Mittelalterlichen, so viele, die auf Platz – und Sinnsuche sind. Alle eben, die der Liebe bedürfen. Und solcher Liebe bedürfen wir doch alle! Junge wie Alte. Arme wie Betuchte, gepiercte Tätowierte und die in feinen Stoffen. Vernachlässigte und gequälte Kinder ganz besonders, aber auch all die Satten Sinnentwöhnten. Wir sehnen uns nach Liebe, die maßlos und bedingungslos ist, die jeden und jeden wahrnimmt. Die wirklich sieht: nur dich, nur mich, „mich ganz allein“, wie Kinder manchmal selig sagen.
Wir sehen uns nach einem Gott, der mir und dir, jedem und jeder nachläuft. Unermüdlich.
Liebe Gemeinde: bei wem sonst wären wir gleichermaßen bedingungslos geliebt?!
Welch ein grandioses Willkommen-Sein, welch übergroße Liebe, die uns nun aber auch dazu drängen müsste, das wir unsererseits Menschen die Freundschaft zu bieten, die üblicherweise nicht mit uns verkehren. Jetzt gilt es, Gottes bedingungslose Liebe zu teilen, und darin alle erfahrene göttliche Liebe weiter zu geben. Überwältigend. Maßlos. Jeder und jede auf eigene Weise.
Der Gastgeber kommt zum Ziel: das Haus wird voll!
Das Fest gelingt, weil die Gäste gerne kommen. Sie haben nichts zu besorgen und insofern nichts zu versäumen. Sie sind ganz und gar präsent. Sie sind präsent, wie nur Kinder es in vollkommener Weise sein können: im Glück seliger Selbstvergessenheit.
Im Moment absoluter Freiheit und vollkommener Erfüllung. Menschen, die dem Druck der Zeit und der Verpflichtungen entnommen sind. Ja, der Feiernde ist ein Urbild des freien Menschen.
Und wir alle sind einladen, frei oder wenigstens freier zu werden, um aus der Fülle gegebener Zeit zu leben, hier und jetzt.
Das Fest Gottes geht weiter! Es geht dort weiter, wo Liebe unter den Menschen gelebt wird, fassungslos großzügig, bedingungslos und ohne nach Gegenleistung zu fragen.
Wer sich aus den Verpflichtungen lösen kann und feiert, der hat auch wieder Kraft für die alltäglichen Herausforderungen.
Das Fest Gottes geht weiter, das Fest der Liebe, das Lied der Liebe in unseren Herzen.
Und das soll kräftig weiter klingen in Ohren und Herzen der Menschen!
Auf einem Glasfenster in einer kleinen Krankenhauskapelle ist das große Festmahl wunderbar dargestellt. Dort ist der Tisch nicht nur in einem hellen strahlenden Saal festlich und überreich gedeckt, sondern dort hängen auch Instrumente, Geigen, Flöten Harfen. Alles ist voll von Musik und Lachen, das Lied der Liebe spielt im Herzen, fröhliches Sitzen am Tisch Gottes, neben geliebten Menschen und in Gottes Nähe.
Für mich ist das auch ein Bild für die Zukunft im Reich Gottes, wenn es einmal vollendet sein wird. Zu sagen: nichts kommt. Dunkel. Schluss.
Das ist zu wenig. Gebt hungrig fragenden Menschen ein Bild mit vom gedeckten Tisch, dem übervollen Tisch, an dem Gottes Freude Raum nimmt und die Liebe alles erfüllt.
Dort mögen wir einmal alle einen Platz finden, an dem wir ohne Wenn und Aber aus tiefstem Herzen willkommen sind und selige Freude herrscht.
Vielleicht müssen wir dafür wieder werden wie die Kinder. Müssen einfach der Einladung folgen: “Kommt, denn es ist alles bereit.“ „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen sei, ich will euch erquicken. „ Vielleicht können wir wie Kinder voll Vertrauen den offenen Armen eines liebenden Vaters entgegen eilen. Uns selig aufheben und herumwirbeln lassen. Und dann mit strahlenden Augen sitzen an seinem Tisch, bedingungslos geliebt. Amen.
Vorschlag: Lied: 222
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Zweierlei abgerichtete Höllenhunde oder Gottes makelhafte Schönheit - Predigt zu Lukas 16,19-31 von Markus Kreis
Zweierlei abgerichtete Höllenhunde oder Gottes makelhafte Schönheit
Eine Granitarbeitsplatte in der Küche, die Lackierung einer Karosserie, ein je nach Jahreszeit mehr oder weniger großes Stück blanke Haut. Menschen lieben schöne Oberflächen. Wir fühlen uns davon angezogen, das kann man schlechterdings nicht bestreiten. Dabei muss eine Oberfläche nicht unbedingt glatt sein, rau geht auch als schön durch.
Wie ist das zu erklären? Diese Faszination für Schönheit? Vielleicht so: In einer schönen Oberfläche steckt ganz schön viel Arbeit. Sie bringt auf ihre Art ein Leistungsvermögen zum Ausdruck. Das gilt sicher für Granitarbeitsflächen und andere technische Werkstücke, von Kunstobjekten ganz zu schweigen. Darin findet sich eine ganze Menge an Feinarbeit, Knowhow und Theorie.
Ähnliches gilt für alles menschlich Schöne wie z.B. gezeigte blanke Haut. Dahinter verbirgt sich viel Disziplin, Training und Schulung - wie man spätestens seit den einschlägigen TV-Sendungen wie GNTM wissen kann. Das Leben als Model ist wahrhaft nicht nur ein Zuckerschlecken. Die Gott gegebene Begabung allein reicht dafür nicht aus, obwohl sie unabdingbare Grundlage ist. Opernsänger, Geigenspieler, Balletttänzer, alles Virtuose im Bereich der E-Musik ist davon betroffen.
Apropos Gott – wir Christen glauben: Die Schönheit der Schöpfung, die Schönheit von Tieren, Pflanzen und Materie bezeugen sein Werk, stehen für seinen Willen, zeigen sein Leistungsvermögen. Diese Schönheit ist nicht allein ein willkürliches Werk der Natur und der in ihr wirkenden Kräfte.
Schönheit bringt ein Wohlgefallen allerhöchster Stelle zum Ausdruck. Deswegen ist sie Menschen so wichtig. Schönheit und Ansehen gehören zueinander, sie hängen zusammen. Das war zu allen Zeiten und Epochen so. Und es gilt immer noch, egal ob in China oder bei den Aborigines, bei den Eskimos oder den Latinos oder den Europäern. Und es gilt unabhängig davon, welche Merkmale jeweils als Ausdruck von Schönheit empfunden werden. Was schön ist und was nicht, das ist von Kultur zu Kultur durchaus verschieden.
Schönheit und Ansehen gehören zueinander, hängen zusammen. So sehr, so eng, dass Menschen bei Schönheitsmakeln, bei Unansehnlichkeit nachhelfen, sich behelfen. Und d.h.: weniger Schönes mit Schönem verstecken, überspielen, zum Verschwinden bringen. Geminderte Schönheit ist unsere Sache nicht, da reagieren wir empfindlich, eher liegt uns die Betonung von Schönheit. Bleiben wir beim erst Genannten:
Das Verdecken von Schönheitsmakeln spielt in unserem Alltag eine große Rolle, hier sei die Kleidung genannt. Aber auch anderes, was wir uns so kaufen und gönnen. Was wir an Dienstleistung in Anspruch nehmen, den Besuch bei Friseur zum Beispiel.
Ebenso die Art, wie wir uns präsentieren, wie wir miteinander reden, wie wir miteinander umgehen. Unansehnliches, Makel behaftetes gefährden das Ansehen, Anmut und Schönheit stärken es augenscheinlich. Und keiner fühlte sich je so schön, dass er vom erwähnten Verbergen nie Gebrauch machen musste. Ein jeder war als Redner oder als Hörer vom schön Reden betroffen. Kennt plumpes Gerede, Stammtischgeschwätz, das er besser kritisch aufgenommen hätte.
Wir Menschen wissen um die ersehnte Schönheit und um das damit einher gehende Verbergen von Unansehnlichkeit all zu gut. Deshalb erkennen wir ein weiteres: Schönheit kann vordergründig sein! Und wir fragen uns: Was mag dahinter stecken?
Umso mehr, als es in Schöpfung und Natur einige schön und harmlos scheinende Tiere und Pflanzen gibt, die sich in Wahrheit als sehr gefährlich erweisen. Solche Tiere und Pflanzen erfordern einen umsichtigen Umgang;
Entsprechendes gilt natürlich, wenn wir mit schönen Menschen zu tun kriegen. Da ist ebenso Umsicht und Vorsicht vonnöten. Da fragen wir: Geht es um das Erwecken interesselosen Wohlgefallens? Oder stecken Interessen dahinter, soll uns da etwas verkauft werden?
Umgekehrt gilt genauso: Wenn wir mit unansehnlichen Mitmenschen zu tun bekommen, sind wir geneigt zu denken, dass sie was zu verbergen haben. Aber lassen wir uns von Schönheit nicht blenden! Und lassen wir uns gleichfalls nicht von Unansehnlichkeit den Blick auf die Wahrheit entstellen!
Das dürfte uns Christen nicht schwer fallen - sich vom Augenschein nicht blenden zu lassen. Angesichts der Tatsache, dass einige der schönsten Kunstwerke der Menschheit die Kreuzigung Jesu thematisieren - musikalisch oder in Bildern. Und viele kennen dazu entsprechende Märchen, wie das vom Froschkönig oder das von der Schönen und dem Biest oder das vom hässlichen Entlein.
Also, Christen dürfte es nicht schwer fallen, den Augenschein auf Blendung zu prüfen. Jedenfalls tritt das Thema in unserem Bibeltext auf. Der Reiche erscheint als ein Geblendeter. Der Bibeltext teilt nicht ausdrücklich mit, ob er sich vom eigenen Leben und Wohlergehen hat täuschen lassen. Oder von der Unansehnlichkeit des Lazarus.
Hat er den geschundenen Lazarus erst gar nicht wahrgenommen? Oder hat er ihn erblickt? Und sich angesichts dieses Jammerbildes menschlicher Verletzlichkeit ganz auf sein Wohlergehen in Schönheit gestürzt? Hat sich dabei ganz auf sein Erbe oder auf sein wirtschaftliches Potential und Geschick verlassen?
Und warum? Um seine Verletzlichkeit zu verstecken, um sich als unverletzlich schön zu wähnen? Verwundung hat ja was Ansteckendes! Wie dem auch sei, sein Irrtum macht ihn namenlos, führt ihn geradewegs in eine höllenhafte Unterwelt.
Hat sich Lazarus blenden lassen? Hatte er nur Augen für seine schwärenden Wunden und ins Auge stechenden Verletzungen? Oder schwebte vor seinem Auge nur der Reiche mit seinem makellosen Ansehen und Wohlergehen? Die aussichtslose Hoffnung, von der Party ein paar Krümel abzubekommen? Wie es in der Bibel immerhin den Hunden ab und an gelingt.
Auch darüber sagt der Predigttext nichts direkt aus. Es ist nicht zu erkennen, ob Lazarus ein guter Armer war. Oder ob er ein böser Armer war, selbst schuld an seinem Ergehen. Es könnte ja sein, dass die Innenwelt des Lazarus seiner geschilderten abstoßenden äußeren Erscheinung entsprochen hat - zumindest so lange, bis er in den Himmel aufgenommen worden war.
Klar ist nur, dass Lazarus der Wahrheit ins Auge geblickt haben muss. Wie anders hätte er sonst zu Gott in Abrahams Schoß gelangen können? Und die Wahrheit lautet: Gott hat geholfen. Mit all seiner abstoßenden Schönheit und. Mit der Auferstehung des Gekreuzigten.
Und in Jesu Geist hilft er in Wahrheit und Wirklichkeit weiter: Gott hilft dem Verletzlichen, der seinen schwärenden Wunden ausgesetzt ist und ihrer nicht ledig wird. Gott hilft dem makellos Schönen, der seine Verletzlichkeit vor sich versteckt. Und deshalb Verletzte aus Angst vor Ansteckung und Schönheitsdellen meidet.
Diese göttliche Hilfstätigkeit vorausgesetzt, erscheint eines im Predigttext merkwürdig und befremdlich. Lazarus, was soviel heißt wie mein Gott hat geholfen, Lazarus kann dem Reichen in der Unterwelt nicht helfen. Obwohl dieser darum inniglich bittet. Zu groß ist die Kluft, als unüberwindbar erweist sich dem Reichen der Abstand.
Das ist umso erstaunlicher, als es dem Reichen in der höllenhaften Unterwelt so ähnlich ergeht, wie Lazarus in der Oberwelt. Seine Verletzlichkeit brennt sich ihm ein sowie die Tageshitze einst dem Lazarus zusetzte. Anstelle der Hunde lecken Flammen an seinem schwärenden Körper, anstelle von Hunger peinigt ihn Durst.
Durst, der im Gegensatz zu Hunger etwas Unstillbares hat. Hunger kann befriedigend gestillt werden, davon zeugt unter anderem das Wort satt. Für einen derart gestillten Durst gibt es kein Wort. Und die neuerdings dazu erfundenen Wörter setzen sich im Sprachgebrauch nicht durch.
Klar, der Reiche hätte helfen können. Dann hätte er gemerkt, dass er in Schönheit Recht bekommt, und zwar doppelt Recht und Schönheit bekommt. Der Umgang mit Verletzten ist ansteckend, der macht einem die eigene Verletzlichkeit klar – das ist zugegeben.
Aber ebenso ansteckend ist die erwachende Lebendigkeit und Schönheit des Verletzten, wenn ihm Hilfe zuteil wurde. Die neue Lebensenergie und Freude. Die springt über. Und zumindest in unserem Bibeltext wäre die dazu erforderliche Gabe für den Reichen ein Klacks gewesen, Tischabfall, Krümel.
Keine großen Investitionssummen, keine langfristige Verpflichtung, keine besonderen Fähigkeiten und Talente. Wäre mehr erforderlich, dann würde womöglich der Reiche nur in seinem Größenwahn bestärkt werden. Letztlich wäre sein Tun eine herablassende Hilfe, eine Art von Zuwendung, die an einige Charity-Aktivitäten heutiger Prominenter erinnert.
Die vom Reichen erforderte Gabe lautet Vergebung. Jemandem zu vergeben, dass er an die eigene Verletzlichkeit und Verwundung erinnert. Und so die ersehnte Makellosigkeit und Schönheit gefährdet.
Die Gabe besteht also darin Hilfe zu gewähren, obwohl damit die eigene Verletzlichkeit oder Verwundung auftaucht – wenn nämlich die Hilfe scheitert, an eigenem Unvermögen z.B., Oder weil sie vom Bedürftigen abgelehnt wird. Da kann das schöne Selbstbild ganz unschöne Dellen abkriegen.
Diese Gabe zeigt wahre Schönheit. Von mir aus auch wahre innere Schönheit. Diese zeigt sich meiner Meinung nach, obwohl eine innere, garantiert auch äußerlich: als Anmut im Tun und Lassen. Als Anmut, die ihre Verletzlichkeit offenbart.
Gott gewährt in Kreuz und Auferstehung die Kraft zu dieser Vergebung, indem er uns vergibt. Er vergibt dem armen Lazarus, nimmt ihm Ängste und Wunden und gibt ihm schöne neue Lebenskraft, die den Schmerz erlittener Verletzungen übersteigt. Die ihn trotz aller Enttäuschungen erneut um Hilfe bitten lässt bei Gott und den Mitmenschen.
Auch dem Reichen in seiner Unterwelt gewährt Gott Vergebung. Vergebung, die den Reichen trotz aller Enttäuschung erneut Gott um Beistand bitten lässt. Vergebung, so dass er als Reicher der eigenen Verletzlichkeit standhält, also eventuelle Selbstbilddellen in Kauf nimmt und dem Armen Hilfe gewährt, ganz bescheiden und unspektakulär. Amen.
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Sprich nur ein Wort – und alles wird neu - Predigt zu Lukas 5,1–11 von Sven Evers
Sprich nur ein Wort – und alles wird neu
Gescheitert. Auf der ganzen Linie. Wieder einmal. Er kann die Misserfolge kaum noch zählen. Was hat er nicht alles versucht. Eine Fortbildung nach der anderen. Jeden Feierabend am Schreibtisch verbracht, um besser zu werden, um endlich die Fehler abzustellen, weil es doch an ihm selber lag – oder nicht? Wie viel hatte er sich vorgenommen für diesen Tag, dieses Projekt, diese eine Konferenz, an der so viel hing. Und dann? Wieder nichts. Ausgelacht hatten sie ihn, jedenfalls fühlte er sich so.
Jetzt sitzt er in der Küche. Trinkt einsam seinen Kaffee. Hört gar nicht hin, was die anderen reden. Sieht sie kaum, als sie sich neben ihn setzt mit ihrem Kaffee. Ihm in die Augen schaut. Sich räuspert. Da merkt er auf. „Komm“, sagt sie – „versuch es noch ein einziges Mal“. – Ausgerechnet sie, denkt er. Nett ist sie ja, das schon – aber aus einer ganz anderen Abteilung. Was versteht sie denn von seiner Arbeit, von seiner Verantwortung, von seiner Angst vor dem Scheitern?
Und doch: Ihre Worte machen ihm Mut. Ihr Blick macht ihm Mut. Es liegt so viel Zutrauen darin. Ja, sie traut ihm etwas zu, das spürt er.
Er sagt gar nicht viel. Lächelt zweifelnd zurück und nickt ihr zu. Ein leises „OK“.
Er geht zurück in sein Büro. An den Schreibtisch. An die Arbeit. Zum ersten Mal – mit Erfolg...
5,1Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth 2und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
Lass ihn reden, denkt sich Petrus. Das war eine richtige Sch...Nacht. Stundenlang haben wir uns die Kälte um die Ohren wehen lassen, haben immer und immer wieder die Netze ausgeworfen, uns mühsam nur auf den Beinen gehalten, weil die Müdigkeit und der Frust so groß waren. Und wofür? Nichts haben wir gefangen, aber auch gar nichts. So langsam wird es dramatisch. Wenn sich nicht bald etwas ändert, dann weiß ich kaum noch, wie ich die Familie ernähren soll. Gescheitert. Auf der ganzen Linie. Wieder einmal....
4Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! 5Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
Warum habe ich eigentlich auf diesen Mann gehört? Das hat Petrus sich im nachhinein oft gefragt, ohne wirklich eine Antwort darauf zu finden. Vielleicht waren es die Worte, die er so nebenbei aufgeschnappt hatte, während er in Gedanken und mit den Händen beschäftigt war und Jesus von seinem Boot aus predigte?
Vielleicht war es der Frust, fast schon Fatalismus, der ihn sagen ließ, dass es darauf ja nun auch nicht mehr ankomme?
Vielleicht war es die Art und Weise, in der Jesus ihn aufforderte. Da lag eine Bestimmtheit in seinen Worten und eine Überzeugungskraft – wider alle Vernunft. Weder hatte dieser Zimmermann Ahnung von der Fischerei, noch konnte er ahnen, wie müde, wie frustriert, wie kaputt Petrus und die Seinen waren, und dass sie eigentlich nur noch nach Hause wollten und den Misserfolg der Nacht vergessen. – Oder konnte er es doch ahnen?
Wie auch immer: Sie haben es gewagt. Er hat es gewagt. Wider alle Vernunft, wider alle Erfahrung den Worten Jesu vertraut – naja, oder ihnen doch zumindest etwas zugetraut. Sie sind rausgefahren auf den See des Misserfolgs. Ein letztes Mal... Und das hat alles verändert.
„Auf Dein Wort will ich die Netze auswerfen“
Die anderen haben schon etwas verwirrt geschaut, als Petrus die Leinen los machte, um wieder auf den See hinaus zu fahren. „Hast Du nicht mehr alle Tassen im Schrank“, haben sie vielleicht gefragt. „Warum lässt Du Dir von dem sagen, was Du zu tun hast? Der hat doch von Fischerei keine Ahnung.“ „Nein“, hat Petrus vielleicht geantwortet. „Aber doch ist da etwas in seinen Worten, das mir Mut macht. Und wie soll ich herausfinden, ob es Sinn macht oder nicht, bevor ich es nicht ausprobiert habe. Was haben wir zu verlieren? Wir waren die ganze Nacht auf See – ob wir nun noch einmal mehr oder weniger hinaus fahren, was macht das für einen Unterschied. Wir haben nichts zu verlieren, aber vieles zu gewinnen. Ist das nicht oft so im Leben? Woher wisst Ihr, dass morgen die Sonne aufgeht, bevor ihr sich nicht mit eigenen Augen seht? Woher wisst Ihr, dass das Versprechen, das andere Euch geben, gehalten wird, bevor es tatsächlich in die Tat umgesetzt ist? Wir fahren hinaus. Vielleicht ändert es nichts – dann fahren wir nach Hause und überlegen in Ruhe, wie es weitergehen kann. Oder es ändert alles. Aber wir werden es nie erfahren, wenn wir nicht auf dieses Wort dieses Mannes hin hinaus fahren.“
Und so fuhren sie hinaus.
6Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. 7Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. 8Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
Es hat alles verändert. Vertrauen verändert alles. Hätte Petrus sich nur auf seine Erfahrung verlassen, und sei sie noch so professionell, sei sie noch so fundiert – niemals hätte er erlebt, was er erlebt hat. Erfahrung ist wichtig – aber sie bringt nie Neues hervor.
Kompetenzen sind wichtig – aber sie alleine schaffen noch keinen Erfolg.
Professioneller Sachverstand, gerade im Beruf – natürlich! Aber sie alleine verändert nichts.
Mut zum Sprung in das Ungewisse; das Bauen auf das, was noch nicht da ist; bedingungsloses Vertrauen dem, was nie durch Erfahrung belegt werden kann, weil es noch keinen Grund hat in der Erfahrung – das verändert. Das macht neu. Nicht nur die Dinge oder die Situation, in der man steht, sondern den Menschen selber.
Petrus ist nicht mehr derselbe, während er hier mit den schweren Netzen kämpft, die wider alle Erfahrung, wider alle Vernunft bis zum Zerreißen gespannt sind. Sie trauen ihren Augen nicht, er und die Kollegen um ihn – sie können ihren Augen nicht trauen, weil ihre Augen noch nie gesehen haben, was hier geschieht, noch gar nicht wissen, wie das Neue aussieht.
So stehen sie verwirrt, erstaunt, verwundert, ratlos, begeistert und in tiefer Demut da. Der Schatz der Erfahrung auf der einen – der Schatz des Vertrauens auf der anderen Seite. Das, was sie sich selber zugetraut haben auf der einen, das, was Gott ihnen zutraut auf der anderen Seite.
Das Neue; das Leben; die Fülle – ersehnt, erhofft, manchmal sogar vorgestellt – und doch kaum zu ertragen in seiner Andersartigkeit, in seiner Neuheit, seiner Lebendigkeit.
9Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, 10ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. 11Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.
Jetzt sind sie bereit für das Neue, für das wirklich Neue. Und das war nun noch weniger absehbar als die vollen Netze, die sie schon nicht für möglich gehalten hätten. Als sei für die das erste Mal die Sonne aufgegangen und würden sie zum ersten Mal das Leben erblicken, wie es wirklich ist – oder wie es sein könnte.
„Fürchte Dich nicht“ – die ersten Worte Jesu, weil Angst macht, was neu ist und nicht vertraut. Weil man uns Menschen nicht einfach in eine neue, unbekannte Welt hineinwerfen und dann allein lassen kann, und sei diese neue Welt auch noch so schön.
Aber jetzt wird alles anders. Die vielen Fische – unerwartet, unverhofft – doch letztlich noch eine Fortsetzung dessen, was war. Früher wenig Fische oder viele – jetzt ganz viele. Das ist noch nichts wirklich Neues.
Und wie bescheiden sind – nicht nur Petrus und die Seinen – sondern auch wir wohl oft, wenn wir Neues erhoffen, alles anders werden soll, nichts mehr so bleiben, wie es ist – und wir insgeheim doch nur hoffen auf ein Mehr von dem, was schon ist, weil wir Angst haben vor dem, was ganz anders sein könnte...
Von nun an wird Petrus die Netze Netze sein lassen. Nicht, weil etwas verkehrt ist am Fischerhandwerk. Jesus stellt auch keine allgemeingültige Regel für das Leben in der Gemeinschaft mit Gott auf, indem er etwa sagt, dass jede und jeder seinen und ihren Beruf zu verlassen hätte, wenn er oder sie sich auf die Seite Gottes stellen will. Aber für Petrus ist genau dieses Neue das, was Gott Jesus für ihn bereit hält. Für ihn ist genau dies das Leben, das er leben darf und – will. Für ihn ist in einem Augenblick alles anders geworden.
Er hatte den Mut, gegen alle Erfahrung zu handeln und gegen die innere Vernunft seines Wissens und Könnens – auf das Wort Jesu hin.
Er hatte den Mut zu vertrauen dem, der keine Beweise in den Händen hielt, um Petrus theoretisch zu überzeugen von dem, was dann praktisch zu vollziehen wäre oder auch nicht.
Er hat den Sprung gewagt, ohne den es keinen Glauben geben kann – ach, was heißt keinen Glauben – ohne den es kein Leben geben kann, das den Namen Leben verdient.
Er geht zurück in sein Büro. An den Schreibtisch. An die Arbeit. Zum ersten Mal – mit Erfolg...er lächelt. Es geht also doch, denkt er. Wenn mir nur endlich jemand etwas zutraut. Wenn ich nur endlich mir selber etwas zutraue. Dann kann ich das, was war, durchbrechen, dass es nicht auch noch das bestimmt, was kommt.
Er packt seine Sachen. Schließt die Tür und macht sich auf den Heimweg. Lächelnd – zum ersten Mal nach langer Zeit.
Weil sich etwas geändert hat. Weil ihm jemand etwas zugetraut hat.
Jetzt müsste ihm nur noch jemand sagen, dass es da einen Gott gibt, der ihm nicht etwas, sondern alles zutraut. Der nicht etwas, sondern alles verändert.